Zusammenfassung
Fachinterne Nachrufe und Würdigungen von neurologischen Schülern und Kollegen fokussierten lange auf Pettes unverkennbare wissenschaftliche Verdienste um die deutsche Neurologie bzw. Neurovirologie. Oft ignorierten oder marginalisierten sie seine Rolle als Zweiter Vorsitzender der Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater (GDNP) während der NS-Zeit. Arbeiten und Gutachten aus jüngerer Zeit stellen einseitige Bewertungen zunehmend infrage und zeichnen ein widersprüchliches Bild. Pette trat 1933 der NSDAP und dem NS-Ärztebund bei und unterzeichnete im gleichen Jahr das „Bekenntnis der Professoren zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“. Seit 1934 als Nachfolger Nonnes Ordinarius in Hamburg, leitete Pette ab 1935 die „Neurologische Abteilung“ der gleichgeschalteten GDNP und war damit zentraler Akteur auf verbandspolitischer Ebene mit Kontakten zur Führungsebene in Partei und Regierung. Er lehnte das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ nicht grundsätzlich ab und verfasste auch einzelne Gutachten für das Hamburger Erbgesundheitsobergericht, trat gleichzeitig aber für eine differenzierte Diagnostik und gegen vorschnelle Sterilisationen ein. Über die „Euthanasie“-Maßnahmen und die zugehörige Begleitforschung war er vermutlich früh informiert, doch nicht darin involviert. Während und nach einem langwierigen Entnazifizierungsverfahren stilisierte er sich zum unpolitischen Wissenschaftler und zum Vertreter einer „oppositionellen Haltung“. 1950 wirkte er an der Gründung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) mit, war bis 1952 Erster Vorsitzender und danach Ehrenvorsitzender, seit 1969 vergibt die DGN den Heinrich-Pette-Preis. Die kurz nach dem Krieg von ihm begründete Stiftung zur Erforschung der spinalen Kinderlähmung wurde nach Pettes Tod nach ihm benannt und trägt seit 2011 den Namen „Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie“. Für die Zukunft erscheint ein umsichtiger Umgang mit diesem ambivalenten Erbe geboten.
Abstract
For a long time, biographical sketches and obituaries have focused on Pette’s instantly recognizable scientific contributions to German neurology and neurovirology; however, they often ignored or marginalized his role as vice-president of the Society of German Neurologists and Psychiatrists (GDNP) during the Nazi era. Recent investigations and reports based on newly discovered records question such one-sided assessments and paint a contradictory picture. Pette joined the National Socialist German Workers’ Party (NSDAP) and the NS Medical Association in 1933 and in the same year signed the “vow of allegiance of the professors to Adolf Hitler and the National Socialistic State”. In 1934 he succeeded Nonne as professor for neurology in Hamburg and from 1935 headed the neurological branch of the NS-controlled Society of German Neurologists and Psychiatrists (GDNP). As a result, Pette had a strong influence on all activities of this organization and had contact with party leadership and the government. In principle, he was not opposed to the “Law for the Prevention of Genetically Diseased Offspring” and produced various expert reports addressed to the Appellate Hereditary Health Court in Hamburg. Simultaneously, he advocated differentiated diagnostics and rejected hasty sterilizations. He seems to have been acquainted with the “euthanasia” program and concomitant research projects but was not involved in them. During and after a lengthy denazification trial he stylized himself into a nonpolitical scientist representing an “oppositional attitude”. In 1950 he was co-founder of the German Neurological Society (DGN) and was president until 1952 and then honorary president. Since 1969 the DGN awards the Heinrich Pette Prize. The Foundation for Research in Spinal Poliomyelitis founded by him shortly after WWII was named after him after his death. Since 2011 it bears the name “Heinrich Pette Institute, Leibniz Institute for Experimental Virology”. In future, a prudent dealing with this ambivalent legacy seems to be advisable.
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Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
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Martin, M., Karenberg, A. & Fangerau, H. Heinrich Pette (1887–1964) und die schwierige Bewertung seiner Rolle von der Weimarer Republik bis in die BRD. Nervenarzt 91 (Suppl 1), 35–42 (2020). https://doi.org/10.1007/s00115-019-00842-7
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00115-019-00842-7
Schlüsselwörter
- Geschichte der Neurologie
- Medizin im Nationalsozialismus
- Geschichte der Eugenik
- Gesellschaft Deutscher Neurologen und Psychiater
- Deutsche Gesellschaft für Neurologie