Organische Ursachen akuter psychiatrischer Syndrome stellen die wichtigste Differenzialdiagnose bei psychiatrischen Akutaufnahmen, im Konsiliar-Liason-Dienst, der Heimvisite und im ärztlichen Notdienst dar. Diagnostik und Therapie akuter organischer Psychosyndrome erfordern ein breites somatisches Fachwissen, aber insbesondere auch die Bereitschaft, organische Ursachen für eine psychiatrische Symptomatik in Betracht zu ziehen. Sie ist eine anspruchsvolle, interdisziplinäre sowie multiprofessionelle Zusammenarbeit erfordernde Aufgabe, die für den Patienten selbst prognostisch von entscheidender Bedeutung ist und auch das psychosoziale Umfeld betrifft.

Im vorliegenden Artikel wird daher das Wissen über die häufigsten akuten psychiatrischen Syndrome organischer Ursache dargestellt. Eine klinisch relevante und effiziente Diagnostik wird erarbeitet und therapeutische Implikationen vorgestellt. Der Leser/die Leserin soll damit in die Lage versetzt werden, diese interdisziplinäre Aufgabe, die von den involvierten Fachvertretern mit großer Sorgfalt und dem erforderlichen Weitblick durchgeführt werden muss, fachkompetent zu meistern und auch in der eigenen psychiatrischen Diagnostik somatische Ursachen differenzialdiagnostisch regelhaft zu bedenken.

Klassifikation organisch bedingter psychischer Störungen

In der ICD-10 sind die akuten organisch bedingten psychischen Störungen separat in den Diagnosekategorien F04 bis F07 aufgeführt und werden so von „funktionellen“ oder endogenen psychiatrischen Erkrankungen abgegrenzt. Zwar folgt dann die Beschreibung der Psychopathologie, die Verschlüsselung kennzeichnet jedoch die unterschiedliche Ätiologie. Dabei werden allerdings Erkenntnisse über somatische Einflüsse bei den anderen psychischen Störungen bewusst vernachlässigt. Das DSM-IV dagegen überwindet die Abgrenzung von „funktionalen“ und „organischen“ Krankheiten und ordnet psychiatrische Syndrome organischer Ursache entsprechend ihrer Psychopathologie zu. Sie werden als „mental disorders due to a general medical condition“ (psychiatrische Erkrankungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors) entsprechend ihres Phänotyps klassifiziert. Lediglich eine Restkategorie mit Persönlichkeitsveränderungen, katatonen Zustandsbildern und psychiatrisch nicht klassifizierbaren Symptomen oder Syndromen verbleibt als eigene Entität.

Beide Klassifikationssysteme verwenden zum Teil erheblich differente Kriterien. Eine klinische Bedeutung hat dies insbesondere für die Diagnose des Delirs, da hier die DSM-IV-Kriterien bei weitem nicht so rigide sind wie in der ICD-10. Dies führt zur (klinisch sinnvolleren) Erfassung auch subsyndromaler deliranter Zustände im DSM-IV.

In der historischen Abfolge hatte zunächst Kurt Bonhoeffer 1910 den exogenen Reaktionstyp summarisch für alle organisch bedingten und mit einer Bewusstseinsstörung einhergehenden psychiatrischen Syndrome beschrieben. H.H. Wieck differenzierte 1969 reversible Funktionspsychosen (Durchgangssyndrom, Bewusstseinstrübung, Koma) von organischen Defektzuständen und erwarb sich den Verdienst, das Augenmerk auf die zumindest potenzielle Reversibilität akuter psychoorganischer Syndrome zu richten und dadurch ihre diagnostische Bedeutung hervorzuheben.

Klinische Relevanz/Epidemiologie der einzelnen Störungen

Psychische Symptome können der somatischen Erkrankung vorausgehen, sie begleiten oder aber in deren Verlauf auftreten. Ihre klinische Relevanz wird insbesondere durch die kurzfristig mögliche Reversibilität der psychiatrischen Symptomatik und die dafür notwendige Behandlung der kausalen somatischen Erkrankung deutlich. So erreicht beispielsweise das Absetzen des zur Behandlung eines Harnwegsinfekts eingesetzten Gyrasehemmers das Sistieren einer deliranten Episode mit Fremd- und Eigengefährdung.

Insgesamt ist die Prävalenz psychoorganischer Störungen schwer abzuschätzen, da größere, populationsbasierte Studien nicht vorliegen. Für den psychiatrischen Konsiliarbereich hat die Lübecker Allgemeinkrankenhausstudie eine Querschnittsprävalenz von 16% [2] berichtet. Von den Konsilanforderungen betreffen sie im Allgemeinen über 20% (21,3% in [3]) Am häufigsten tritt das meist multifaktoriell bedingte Delir auf (ICD-10: F5.0), das einen erheblichen Anstieg mit dem Patientenalter aufweist und bei über 65-Jährigen je nach Patientenklientel eine Prävalenz von 25% (internistische Akutstation) bis über 70% (Hüftfraktur postoperativ) hat [14].

Amnestische Syndrome sind weitaus seltener, autoptisch lässt sich bei ca. 34% der Alkoholkranken eine Wernicke-Enzephalopathie oder eine Kleinhirnatrophie nachweisen [13]. Eine transitorische globale Amnesie tritt etwa bei 10:100.000 Einwohner pro Jahr auf, 75% der Attacken ereignen sich zwischen dem 50. und 70. Lebensjahr.

Isolierte organische wahnhafte Störungen gehen in ihrer Prävalenz mit der Reduktion der Neurosyphilis aufgrund konsequenter Antibiotikabehandlung zurück. Organische Halluzinosen treten überwiegend bei Einschränkungen der sensorischen Funktionen auf.

Bei Epilepsiekranken besteht eine 2fach höhere Lebenszeitprävalenz für psychische Störungen, insbesondere Depressionen (30%) und Psychosen (bis 7%) [10]

Ursachen akuter organischer Störungen

Verschiedenste medizinische Konstellationen können in psychiatrischen Syndromen resultieren. Tab. 1 zeigt ein von der Autorin erstelltes Akronym als Gedankenstütze, um die vielfältigen Ursachen leichter zu rekapitulieren.

Tab. 1 MEMO zu den vielfältigen Ursachen AKUTEr ORGANISCHEr STörungen

Bei den Infektionskrankheiten sind insbesondere das Herpes-simplex-Virus, HIV, Tollwut, Borreliose, Syphilis, chronische Meningitis (z. B. Tuberkulose) und seltener chronisch persistierende virale Erkrankungen zu nennen. Epileptische Anfälle, insbesondere komplex-fokale, und postiktale Zustände können klinisch zum Teil kaum von primären psychiatrischen Erkrankungen differenziert werden. Hier kann das Elektroenzephalogramm (EEG) weiterhelfen, jedoch spricht ein normales EEG nicht gegen eine epileptische Genese.

Ernährungsbedingte Mangelzustände betreffen insbesondere Niacin, Vitamin B1 und B12. Metabolische Enzephalopathien renaler oder hepatischer Ursache, Hypoglykämien, Ketoazidose, akute intermittierende Porphyrie kommen ebenso in Frage wie endokrine Störungen (Hypo- und Hyperthyreoidismus, Parathormonstörungen, hypophysäre Dysfunktion, Störungen der Nebennierenrindenfunktion). Demyelinisierende Erkrankungen wie Multiple Sklerose und amyotrophe Lateralsklerose (ALS) zeigen insbesondere affektive Störungen, seltener kognitive Beeinträchtigungen. Auch bei den zerebrovaskulären Erkrankungen überwiegen die affektiven Störungen, insbesondere Depressionen und Störungen des emotionalen Ausdrucks wie Affektlabilität und -inkontinenz. Systemische Vaskulitiden (Panarteriitis nodosa, Lupus erythematodes, Morbus Behcet, Hypersensitivitätsangiitis) manifestieren sich zeitweise auch über depressive, seltener durch psychotische Symptome. Zerebrale Lipidosen (metachromatische Leukodystrophie, Adrenoleukodystrophie und Gangliosidose) sind seltene Ursachen für organische Psychosen und Persönlichkeitsveränderungen.

Vergiftungen mit Kohlenmonoxid, Blei, Quecksilber und organischen Lösungsmitteln können sich primär psychiatrisch manifestieren (Depression, Irritabilität, Apathie, kognitive Defizite). Auch Tumorleiden und paraneoplastische Erkrankungen sind zu bedenken, deren psychiatrische Symptomatik der Tumordiagnose um Monate bis Jahre vorangehen kann (Syndrom der inadäquaten ADH-Sekretion beim Pancoast-Tumor, limbische Enzephalitis, insbesondere temporal und frontal gelegene Metastasen, Lymphome, ZNS-eigene Tumoren).

Einzelne Syndrome und Krankheitsbilder

Delir

Delir ist definiert als akut auftretendes und fluktuierendes Krankheitsbild mit Desorientierung (meist zur Zeit, seltener zum Ort), Aufmerksamkeitsstörung, formalen Denkstörungen und psychomotorischer Unruhe (hyperaktives Delir) oder Apathie (hypoaktives Delir) sowie häufigen Tag-Nacht-Rhythmusstörungen, seltener Halluzinationen und Wahnerleben.

Das Delir, oft mit den älteren Begriffen „akuter Verwirrtheitszustand“ und „organisches Durchgangssyndrom“ beschrieben, stellt eine gravierende und häufige, akute zerebrale Funktionsstörung dar, die unterschiedlichste Ursachen haben kann. Trotz seiner potenziellen Reversibilität ist das Delir insbesondere beim älteren Menschen oft mit einer erheblichen Funktionseinbuße, Morbidität und auch Einjahresmortalität vergesellschaftet. Gerade der beim älteren Menschen häufig nicht mehr kompensierbare Funktionsverlust bedingt erhebliche Einschränkungen der Lebensqualität, Pflegeheimeinweisung und raschere Demenzprogression. Häufig unerkannt und teilweise iatrogen verursacht stellt das Delir damit auch eine bedeutende Kostenquelle im Gesundheitswesen dar. Für die USA errechnete Sharon Inouye Kosten von knapp 7 Mrd. US-Dollar pro Jahr [14].

Das Delir stellt die gemeinsame Endstrecke einer Vielzahl pathologischer Vorgänge dar. Ähnlich der Herzinsuffizienz können unterschiedliche Ursachen alleine oder gemeinsam zur akuten Hirnfunktionsstörung, dem Delir und zu seinem Verlauf beitragen. Das Delir prädisponierende Faktoren sind zunächst das Alter des Patienten, akute und chronische zerebrale, chirurgische und systemische Erkrankungen, eine intensivmedizinische Behandlung, vorbestehende sensorische und kognitive Einschränkungen, der Verlust an Selbstständigkeit im Behandlungsverlauf sowie eine Polypharmazie mit oft unüberblickbaren Wechselwirkungen.

Auslöser des Delirs

Als direkte Auslöser des Delirs sind Infektionen, Schmerzen, Exsikkose, Elektrolytentgleisungen, Operationen, akute zerebrale Ereignisse (Abb. 1), sedierende und andere zentral wirksame Medikation oder deren Entzug, aber auch Malnutrition und Beschränkung des Bewegungsradius (wie Infusionen, Katheter, Pflegestuhl und Fixierungen, intensivmedizinische Behandlung) nachgewiesen.

Abb. 1
figure 1

Chronisches Subduralhämatom. Akutes Delir einer 86-jährigen alleinlebenden Patientin mit psychomotorischer Unruhe, Desorientiertheit und wahnhaftem Erleben (wähnt sich auf einem Fest). Neurostatus ohne Befund. Ursache: chronisches Subduralhämatom rechts > links mit Kompression und Mittelinienverlagerung (Kopftrauma nicht erinnerlich). Therapie: Trepanation zur Drainage, Delir sistiert nach 3 Tagen

Häufig besteht, insbesondere beim älteren Patienten, eine multifaktorielle Genese , wobei gilt, dass bei mehreren prädisponierenden Faktoren bereits geringe Auslöser zum Delir führen können. So haben gerade ältere Menschen mit mehreren, üblicherweise gut kompensierten, chronischen Erkrankungen, regelmäßiger Multimedikation und gegebenenfalls leichter kognitiver Einschränkung ein besonderes Risiko, bei einer banalen Infektion (Zystitis oder Bronchitis) oder leichter Exsikkose an einem Delir zu erkranken (Tab. 2).

Tab. 2 Häufige Auslöser eines Delirs

Gerade bei den Medikamenten kommt Substanzen, die über ein anticholinerges Nebenwirkungsprofil verfügen und die Blut-Hirn-Schranke passieren können, eine besondere Bedeutung zu (Tab. 3). Das liquorgängige Anticholinerikum Scopolamin zeigt dosisabhängig typische Aufmerksamkeitsdefizite und Delirsymptome sowie die für das Delir typischen EEG-Veränderungen und gilt daher als Modellsubstanz für eine akute Enzephalopathie [22]. Anticholinerge Nebenwirkungen treten bei einer ganzen Reihe von Medikamenten auf. Hinzu kommt eine wohl mit dem Alter veränderte Blut-Hirn-Schranken-Durchlässigkeit sowie eine durch die zerebrale Reserve reduzierte Toleranz anticholinerger Nebenwirkungen, sodass gerade bei älteren Menschen anticholinerge Nebenwirkungen häufig zu erwarten sind.

Tab. 3 Anticholinerg wirkende, delirogene Medikation

Besondere praktische Bedeutung kommt dem Entzugsdelir zu, das beim Ausbleiben oder Absetzen gewohnter Mengen von Alkohol oder Medikamenten, insbesondere Benzodiazepinen (z. B. nicht erwähnte Schlafmedikation) auftreten kann. Neben der bereits beschriebenen Symptomatik ist eine vegetative Stigmatisierung mit stark sympatikotonem Muster (Erregung, Schwitzen, Beschleunigung der Herzfrequenz, Erhöhung des Blutdrucks, Erniedrigung der Krampfschwelle/Krampfanfälle) sowie teilweise die Ausbildung szenischer Halluzinationen, manchmal auch mit redundanten Objekten („weiße Mäuse“) charakteristisch. Diese durch ein dopaminerges Übergewicht verursachten Zustände können lebensbedrohliche vegetative Entgleisungen zur Folge haben, die unbehandelt zum Tod durch Herzversagen führen können.

Eine Risikoabschätzung ist z. B. mit der Lübecker Alkoholentzugsrisikoskala (LARS) möglich (http://www.zfa.ch/ang_aerzte/materialien/LARS.pdf).

Als pathophysiologisches Korrelat der gemeinsamen Endstrecke „Delir“ wird eine Dysbalance verschiedener Neurotransmitter , insbesondere eine anticholinerg-hyperdopaminerge Verschiebung angesehen [27]. Die Rolle anderer Neurotransmitter ist bislang noch unklar. Verschiedene pathogenetische Mechanismen können die Endstrecke einer zerebralen Dysfunktion auslösen [14] (Abb. 2). Neben der Reduktion des oxidativen Hirnmetabolismus und einem geänderten zerebralen Hydrationszustand (z. B. bei Exsikkose oder Elektrolytverschiebungen) spielen insbesondere bei Infektionen und Schmerzzuständen Veränderungen der Zytokinaktivität (IL-1β, IL-2, IL-6, Interferon-y, Interferon-β1, TNF-α) eine Rolle. Einzelne Studien haben auch auf ein größeres Delirrisiko bei lokalisierten zerebralen Läsionen hingewiesen, insbesondere im Bereich des präfrontalen Kortex und rechts-parietal sowie bei der Läsion subkortikaler Kerngebiete (Thalamus, Nc. caudatus rechts).

Abb. 2
figure 2

Modell zur Pathophysiologie des Delirs. ACh Acetylcholin, DA Dopamin

Häufig jedoch addieren sich verschiedene Belastungen (z. B. bei intensivpflichtigen Patienten und Älteren). Hier ist noch einmal das Schwellenkonzept des Delirs hervorzuheben. Aktuell stellt es sich so dar, dass die klinische Ausbildung eines Delirs durch einzelne, aber auch mehrere gleichzeitig oder konsekutiv auftretende Ursachen getriggert wird. Die Schwere der einzelnen Ursachen oder deren Summe, die letztlich zur Delirsymptomatik führen, ist aber abhängig von der zerebralen Vorschädigung und/oder dem Alter des Patienten. Fehlt eine solche Vorschädigung, ist zu erwarten dass schwerwiegende, meist metabolische Ursachen bestehen, die ein Delir auslösen. Dieses Konzept legt nahe, auch auf subsyndromale Delirformen zu achten, deren Prognose ebenfalls ungünstiger ist [5]. Hierin begründet sich auch die empfohlene Orientierung an den DSM-IV-Kriterien, da bereits gering ausgeprägte Delirien negative Folgen aufweisen. Ebenso gewinnt die Delirprävention an besonderer Bedeutung, da durch diese negative Folgen am nachhaltigsten vermieden werden können.

Prognose

Für die Prognose eines Delirs spielen Vorbedingungen und Auslöser eine große Rolle. So gehen gut und zügig behandelbare Ursachen wie Infektionen, Exsikkose, leichte Intoxikationen, Entzugssymptomatik und Schmerzen oft mit kompletter Restitution einher, während multifaktorielle Delirien, deren Auslöser teilweise unvermeidbar sind (z. B. Restriktion nach Operation), oft langwierig verlaufen und mit bleibenden Funktionseinbußen in Selbständigkeit und Kognition verbunden sind. Ebenso ist bei neurotoxischen Auslösern nicht mit einer Restitutio ad integrum zu rechnen (schwere Lithiumintoxikation, Schädel-Hirn-Traumata, Schlaganfälle). Gerade bei Demenzerkrankten ist zumeist von einem ungünstigen Verlauf der Grundkrankheit nach einem Delir auszugehen [8].

Verlauf eines Delirs

Der Verlauf eines Delirs ist daher vielgestaltig und aufgrund der fluktuierenden Symptomatik oft wechselhaft. Von wenige Stunden Dauer bis zu einer Wochen und Monate anhaltenden Symptomatik reicht die Erfahrung. Das ICD-10 trägt diesem Umstand Rechnung, indem es ein chronifiziertes Delir erst nach mehr als 6 Monaten Dauer den Demenzen zurechnet.

Amnestisches Syndrom

Das amnestische Syndrom ist eine isolierte, hirnorganisch bedingte Störung des Kurzzeit- oder längerfristigen Gedächtnisses ohne wesentliche Einbußen in anderen kognitiven Funktionen, d. h. bei erhaltener Aufmerksamkeit, logischem Denkvermögen und basaler Alltagskompetenz.

Isolierte Störungen des Gedächtnisses werden durch unterschiedliche Ätiologien wie Schlaganfälle , Traumata, Hypoxie, Epilepsien, Vitaminmangel und Infektionen (Herpesenzephalitis, HIV) ausgelöst. Die fehlende Erinnerung an vergangene Tatsachen und Geschehnisse, das episodische Gedächtnis, ist klinisch am Wesentlichsten. Sie wird durch eine Störung des medialen Temporallappens (Hippokampusformation), des Thalamus und der Corpora mamillaria hervorgerufen. Es werden retrograde Erinnerungsstörungen von anterograder Amnesie unterschieden. Die Abgrenzung zu nichtorganischen Gedächtnisstörungen (dissoziative Amnesie, Gedächtnisstörungen bei Depression) gelingt über eine neuropsychologische Untersuchung , in der die gelingende Speicherung neuer Information und das Wiedererkennen verbalen und nichtverbalen Materials nachgewiesen werden kann. Eine Demenz entwickelt sich progredient über mehr als 6 Monate und weist Defizite in mehreren kognitiven Domänen mit Alltagsbeeinträchtigungen auf und ist dadurch differenzialdiagnostisch abzugrenzen.

Drei häufigere akute Amnesien werden hier dargestellt:

Korsakow-Psychose

Die Ursache der Korsakow-Psychose ist ein mehrmonatiger Vitamin-B1-Mangel, der zumeist auf dem Boden einer chronischen Alkoholkrankheit (ICD-10: F10.6 – multifaktoriell durch hepatische Malabsorption, Malnutrition, genetische Prädisposition und zerebrale Vorschädigung), seltener durch Malnutrition (Anorexie, Schizophrenie, Hyperemesis) entsteht. Bei akuten Verläufen geht ein hochakutes neurologisches Krankheitsbild, die Wernicke-Enzephalopathie mit Ataxie, Ophthalmoplegie, Nystagmus und Bewusstseinstrübung voraus, das oft unentdeckt bleibt und eine hohe Mortalität von ca. 20% hat.

Speziell bei Alkoholkranken besteht auch unter Thiaminsubstitution ein hohes Risiko des Übergangs in eine Korsakow-Psychose, die durch retrograde und anterograde Amnesie für episodische Inhalte bei erhaltenem implizitem und semantischem Gedächtnis (Weltwissen) gekennzeichnet ist und – insbesondere in frühen Stadien – durch ein konfabulatorisches Füllen der Erinnerungslücken, meist als Intrusion auf gezielte Nachfrage, auffällt. Zumeist besteht ein „zeitlicher Gradient“, die Erinnerung an frühere Episoden ist eher möglich, während jüngere Erlebnisse nicht erhalten sind. Mangel der Kritikfähigkeit und Krankheitseinsicht, Störungen des Antriebs und exekutiver Funktionen treten hinzu und weisen auf eine frontale Schädigung hin. Im MRT zeigen sich zunächst T2-Hyperintensitäten der Mamillarkörper, später periventrikuläre Gliosen, thalamische und frontale Atrophie [16] (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Akute Wernicke-Enzephalopathie bei einem schizophrenen 56-jährigen Mann nach psychosemotiviertem, monatelangem Fasten. MRT in FLAIR-Sequenz mit typischer Hyperintensität der Corpora mamillaria. a In der Akutphase (koronar und transversal), b Normalisierung nach 3 Monaten

Während die Wernicke-Enzephalopathie vollständig rückbildungsfähig ist, verläuft die Korsokow-Psychose meist ungünstig. Die Gedächtnisstörungen sind oft irreversibel und 25% der Patienten benötigen eine institutionelle Betreuung. Unter Alkoholkarenz und guter struktureller Betreuung tritt aber oft eine erfreuliche Stabilisierung ein. Die hohe psychiatrische Komorbidität bei Alkoholabhängigkeit, insbesondere für bipolare Störungen, Schizophrenie und Angsterkrankungen ist differenzialdiagnostisch und therapeutisch zu beachten und wirkt sich prognostisch ungünstig aus [16, 17].

Transiente globale Amnesie

Die transiente globale Amnesie (TGA) ist als vorübergehende anterograde Amnesie von ca. 1–24 h Dauer, im Mittel 6–8 h definiert. Eine inkomplette retrograde Amnesie kann bestehen. Die Patienten sind wach und kontaktfähig, zur Person vollständig, zu Zeit und Ort nicht orientiert. Neue Information kann nur wenige Sekunden gespeichert werden, daher wirken die Patienten ratlos und fragen ständig nach. Fokal-neurologische Defizite und weitere kognitive Störungen fehlen, unspezifische Symptome wie Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit treten auf. Pathophysiologisch wird von einer multifaktoriellen Genese ausgegangen, die neben emotionalen und belastungsbezogenen Triggern (körperliche Aktivität, Kälte) auch vaskuläre Störungen sowie (bei jüngeren Patienten) Migräneäquivalente beinhalten kann und als gemeinsame Endstrecke eine passagere Funktionsstörung mediobasaler Temporallappenanteile unter Einschluss der beiden Hippocampi verursacht. Hierfür spricht auch der MRT-Befund mit Signalanhebungen im Hippokampusbereich in der Diffusionswichtung.

Bei Frauen ist eine vorausgehende emotionale Belastung bei ängstlicher Persönlichkeitsstruktur häufig [19]. Differenzialdiagnostisch ist insbesondere eine amnestische epileptische Episode mittels EEG auszuschließen. Bei typischer Symptomatik kann ansonsten auf eine weitere Diagnostik verzichtet werden. Etwa 20% der Patienten erleiden rezidivierende TGAs. Die Prognose ist äußerst günstig mit Restitutio ad integrum innerhalb 24 h, mit einer mnestischen Lücke von einigen Stunden, wenn auch diskrete neuropsychologische Defizite länger nachweisbar bleiben können. (http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/030–083.htm)

Limbische Enzephalitis

Konzentrations- und Kurzzeitgedächtnisstörungen sowie affektive Symptome und epileptische Anfälle zeichnen die limbische Enzephalitis als differenzialdiagnostisch häufig zu bedenkende paraneoplastische Erkrankung aus. Sie kann der Tumordiagnose (oft kleinzelliges Bronchialkarzinom, Hodgkin-Lymphome sowie Hoden-, Mamma- und Thymustumoren, Teratome) um bis zu 4 Jahre vorausgehen, aber auch unabhängig von einem Malignom auftreten. Derzeit wird ätiologisch von einer Autoimmunreaktion auf onkogene Antigene Ausgegangen; spezifische Antikörper (antineuronale AK, Zellmebran-AK) können Hinweise auf einen verursachenden Tumor geben (Übersicht bei [6, 9]). Die Liquordiagnostik weist neben einer lymphozytären Zellvermehrung einen erhöhten Proteingehalt und oligoklonale Banden auf, in Serum und Liquor können antineuronale Antikörper nachweisbar sein. Das MRT weist zumeist ein typisches Bild mit Signalintensitäten der Hippocampi auf (Abb. 4).

Abb. 4
figure 4

Limbische Enzephalitis, beidseits temporomesiale und links hippokampale Signalanhebung ohne wesentliche Kompression in der FLAIR-Sequenz des MRT

Die Prognose kann nach der Entfernung des auslösenden Tumors günstig sein, insbesondere AK-negative Fälle haben eine bessere Prognose. Zellmembran-AK sprechen auf eine immunsuppressive Therapie besser an [6].

Organische Halluzinose

Die organische Halluzinose ist gekennzeichnet durch anhaltende Trugwahrnehmungen in der optischen, akustischen oder auch taktilen sensorischen Qualität ohne alltagsrelevante Störungen des Bewusstseins, des Gedächtnisses oder anderer kognitiver Funktionen. Eine realistische Distanz zur Trugwahrnehmung kann nicht aufrechterhalten werden.

Es handelt sich um eine Gruppe von Syndromen unterschiedlicher Genese, bei denen optische, akustische oder haptische Halluzinationen das klinische Bild bestimmen. Organische Halluzinosen entstehen z. B. im Sinne der Alkoholhalluzinose auf dem Boden einer langjährigen Alkoholkrankheit . Hierbei treten meistens akustische Halluzinationen auf, wobei es sich in charakteristischer Weise meist um Stimmen mit herabsetzendem, kränkendem Inhalt mit oft grob-beschimpfendem Ausdruck handelt. Vorwiegend optische, oft szenische und geradezu oneiroide (traumähnliche) Halluzinationen kommen durch vaskuläre Schädigung , Augenerkrankungen, Läsionen der Sehbahn und bei den Parkinson-Syndromen sowie bei der frühen Lewy-Körperchen-Krankheit vor. Darüber hinaus können Medikamentennebenwirkungen, wie L-Dopa, Dopaminagonisten, Digitalis und Stimulanzien ursächlich sein. Bekannt sind auch die haptischen Halluzinosen bei klassischem „Dermatozoenwahn“. Prädisponierend für organische Halluzinationen im Alter sind sensorische Einschränkungen, insbesondere Seh- und Hörstörungen. Weiterhin kann soziale Isolierung und Reizabschirmung prädisponierend wirken. Diagnoseleitend ist die fehlende quantitative Bewusstseinstörung bei allenfalls in der eingehenden neuropsychologischen Testung nachweisbaren leichten kognitiven Einschränkungen.

Charles-Bonnet-Syndrom

Das von Charles-Bonnet im 18. Jahrhundert beschriebene Syndrom zeichnet sich durch komplexe, häufig farbige und bewegte visuelle Halluzinationen von Personen und realistischen Objekten aus, die insbesondere bei älteren Menschen mit visueller Einschränkung wiederholt auftreten. Verschiedene Definitionen schließen zum Teil neuropsychiatrische Erkrankungen ein [7]. Ursächlich ist vor allem ein Rückgang der Sehschärfe, häufig bei Makuladegeneration [21], der über Monate und Jahre persistierende visuelle Halluzinationen auslöst. Pathophysiologisch scheint die Deafferentierung des visuellen Kortex eine Rolle zu spielen, zusätzliche Neurotransmitterstörungen des serotoninergen und cholinergen Systems werden postuliert [7]. Differenzialdiagnostisch sollten weitere Demenzsymptome, psychotisches Erleben und Bewusstseinsfluktuationen (Delir, Lewy-Körperchen-Demenz) abgegrenzt werden.

Organisch wahnhafte Störung

Personen mit organisch wahnhafter Störung haben die anhaltende, unkorrigierbare Überzeugung, von besonderer Abstammung oder Wichtigkeit zu sein (Abstammungs-, Größenwahn ), geheime Liebesbeziehungen zu kennen (Liebeswahn, Eifersuchtswahn ), beeinträchtigt oder benachteiligt zu werden. Die Symptomatik tritt im Zusammenhang mit einer hirnorganischen Erkrankung oder in deren Gefolge auf, kognitive Defizite können die Symptomatik begleiten oder ihr folgen. Herausragendes Beispiel der organischen wahnhaften Störung ist die Syphilis, die über die osteuropäische Zuwanderung wieder häufiger gesehen wird. In allen Stadien können psychische Symptome im Vordergrund stehen, die Verläufe sind oft untypisch und symptomarm. Etwa 10% der Patienten entwickeln 10 bis 20 Jahre nach ihrer Erstinfektion eine parenchymatöse Form der Erkrankung (Neurolues). Neben Persönlichkeitsveränderungen, kognitiven Einbußen und Stimmungsschwankungen werden insbesondere wahnhafte Symptome, oft Größenideen beobachtet. Klassische neurologische Symptome wie Tremor, Dysarthrie, Hyperreflexie, Argyl-Robertson-Pupille (kleine, entrundete Pupille ohne Lichtreaktion) treten oft später auf. (http://www.uni-duesseldorf.de/awmf/ll/030–101.htm)

Auch nach HIV-Infektion treten schizophreniforme psychotische Störungen auf, die häufig Größenideen zum Thema haben. Daneben kommen psychotische Episoden bei Epilepsiekranken, häufig in anfallsarmen Phasen, vor.

Organische affektive Störung

Bei der organischen affektiven Störung kommt es zu einer meist abrupt im zeitlichen Zusammenhang mit der organischen Ursache beginnenden manischen oder depressiven Auslenkung, die oft von einer seltsamen Indifferenz oder Affektlabilität begleitet wird. Kognitive Störungen stehen nicht im Vordergrund. Bei den affektiven Störungen organischer Ursache ist regelmäßig differenzialdiagnostisch eine Anpassungsstörung (ICD-10: F43.2) an die Diagnose der chronischen Erkrankung oder depressive Reaktionen (ICD-10: F32) sowie die Induktion depressiver Symptome durch die Medikation (ICD-10: F19.8) zu bedenken. Diagnoseleitend ist dabei der zeitliche Zusammenhang zur organischen Störung beziehungsweise Medikamentengabe. Häufige Beispiele sind die Demyelinisierungserkrankungen und Schlaganfälle.

Multiple Sklerose

Psychische Symptome umfassen bei der Multiplen Sklerose (MS) insbesondere Depression, Irritabilität, aber auch Enthemmung, Euphorie und Affektinkontinenz, seltener Halluzinationen oder Wahnentwicklung. Kognitive Beeinträchtigungen treten bei bis zu 50% der MS-Patienten auf. Die in der Therapie verwendeten Kortikoide und möglicherweise auch Interferone lösen ebenfalls affektive Symptome aus, sodass zeitweise die Ätiologie nicht eindeutig zu trennen ist. MRT-Befunde von Hyperintensitäten im medialen präfrontalen Kortex bei gleichzeitiger temporaler Atrophie sprechen jedoch für einen organischen Zusammenhang [11]. Psychosoziale Stressoren wirken sich auf Schubhäufigkeit, Krankheitsverlauf und Kognition aus, sodass eine kombinierte medikamentöse und psychotherapeutische Behandlung angebracht scheint [15].

Vaskuläre Depression

Vaskuläre Erkrankungen können eine Depression bedingen, ihr vorausgehen oder in ihrer Folge entstehen [25]. Diesem bidirektionalen Bezug liegen mehrere organische Mechanismen zugrunde [24].

Das Konzept der vaskulären Depression umfasst die im höheren Lebensalter neu auftretenden affektiven Störungen, die phänomenologisch von psychomotorischer Verlangsamung, Apathie und Alltageinschränkung geprägt sind, seltener Euphorie oder Affektlabilität mit auffälliger Dissoziation von subjektivem und objektivem Befund umfassen können [1]. Für eine organische Ursache sprechen die MRT-Befunde vermehrter vaskulärer Läsionen, insbesondere im präfrontal-striatalen Netzwerk [20]. Zwei klinische Syndrome werden unterschieden, „Poststroke-Depression“ und Depression mit exekutiver Dysfunktion , wobei Letzteres multiple organische Ursachen aufweist [1]. Wenn auch die Validität eines eigenständigen Syndroms immer wieder infrage gestellt wird [23], ist eine interdisziplinäre neuropsychiatrische Zusammenarbeit für Diagnostik und Therapie erforderlich [1, 20, 24].

Psychische Symptome bei anderen somatischen Erkrankungen

In engem Zusammenhang mit medizinischen oder neurologischen Erkrankungen kann es zu kurzfristigeren, isolierten oder kombinierten, Tage bis wenige Wochen anhaltenden Störungen der Affektivität, der Denkabläufe oder Denkinhalte sowie des sozialen Verhaltens kommen.

Periiktale psychiatrische Phänomene bei Epilepsie

Während ein generalisierter tonisch-klonischer Anfall unschwer klassifiziert werden kann, sind epileptisch ausgelöste Angst, Depression, Verhaltensstörungen klinisch oft schwer zuzuordnen. Sie können dem eigentlichen Anfallsgeschehen als Aura vorausgehen, im Anfall oder direkt im Anschluss auftreten. Hinweise kann der anfallsartige, immer gleichartige Ablauf geben. Differenzialdiagnostisch ist hier das EEG richtungsweisend, das bei generalisierten Anfällen ohne augenfällige motorische Symptome eine rhythmische Anfallsaktivität zeigt. Fokale Anfälle, die durch Propagation der elektrischen Entladung sekundär Bewusstseinsstörungen auslösen (sog. komplex-fokale Anfälle) zeigen teilweise nur geringe Veränderungen im Oberflächen-EEG, sodass hier eine Video-EEG- und invasive EEG-Diagnostik notwendig werden kann. Ein unauffälliges EEG während der Episode spricht daher zunächst nicht gegen ein Anfallsgeschehen. Insbesondere bei frontal ausgelösten Anfällen können Verhaltensstörungen prominent, die Reorientierungsphase aber sehr kurz sein, sodass primär psychiatrische Ursachen zunächst naheliegend scheinen. Eine spezielle Differenzialdiagnose zum Delir stellt die Serie komplex-fokaler Anfälle bzw. der nonkonvulsive Status dar, der sich – gänzlich ohne motorische Entäußerungen – rein in Desorientierung und Verhaltensauffälligkeiten zeigen kann [18]. Drei Typen sind in unserem Kontext relevant: Mit Bewusstseinsstörung geht der Absencestatus, aber auch der komplex-fokale Status ohne motorische Symptome einher, der einfache fokale Status kann durch nichtmotorische affektive, sensorische Symptome oder Verhaltensstörungen geprägt sein. Diagnostisch sind im EEG nachweisbare rhythmische Entladungen (formal über 30 min) und eine anhaltende klinische Symptomatik wegweisend. Ein typischer EEG-Befund ist in Abb. 5 zu sehen, wobei die EEG-Veränderungen sehr unterschiedlich sein können. Akute neurologische Ursachen der zumeist symptomatischen Epilepsie müssen hier ausgeschlossen werden.

Abb. 5
figure 5

Nonkonvulsiver Status epilepticus. EEG einer 68-jährigen Patientin mit akut aufgetretener Apathie, Appetitverlust, Desorientierung. MRT ohne Befund. Im EEG: bitemporaler Krampffokus, der unter Carbamazepintherapie sistiert

Interiktale psychische Störungen

Interiktale Störungen treten unabhängig vom Anfallsgeschehen auf. Am häufigsten sind depressive und dysphorische Bilder mit kurzer Episodendauer von wenigen Tagen. Eine Abgrenzung von Nebenwirkungen antiepileptischer Medikation ist oft schwierig (z. B. bei Levetiracetam, Vigabatrin, Topiramat). Interiktale Psychosen treten zumeist bei Temporallappenepilepsien auf, die sich von schizophrenen Psychosen phänomenologisch kaum unterscheiden, wobei der Verlauf günstiger zu sein scheint. Bei Epilepsiepatienten mit langwierigen, komplexen Verläufen treten bei plötzlicher Anfallfreiheit sogenannte „alternative“ psychische Störungen (Alternativpsychosen, -depressionen) auf, die ebenfalls medikamentös bedingt sein können.

Diagnostische Verfahren

Zunächst ist die Weitung des differenzialdiagnostischen Blickes auf organische Ursachen psychiatrischer Störungen von entscheidender Bedeutung. Gerade bei Patienten mit psychiatrischen Vorerkrankungen wird immer wieder eine organische Ursache übersehen. Bei den Delirien geht man davon aus, dass bis zu 40% der Delirien nicht erkannt werden, gerade bei der Hochrisikogruppe der älteren Demenzkranken. Daher sind insbesondere auf Stationen mit vielen Delirrisikopatienten (Chirurgie, Intensivstation, Geriatrie) einfache Delirscreeningverfahren hilfreich. Die im englischen Sprachraum sehr weit verbreitete, DSM-IV-basierte „confusion assessment method“ (CAM) ist kürzlich in einer deutschen Version validiert worden [12] (Tab. 4). Der einfache, auch von geschultem Pflegepersonal anzuwendende Algorithmus erlaubt ein tägliches Delirscreening innerhalb der Alltagsroutine (<5 min) und ist auch bei älteren und dementen Patienten valide.

Tab. 4 „Confusion assessment method“: deutsche validierte Screeningmethode für Delira

Standardisierte Screeningverfahren können jedoch die sorgfältige Erhebung, Dokumentation und diagnostische Einordnung des psychopathologischen Befunds nicht ersetzen, auch und gerade angesichts der Wechselhaftigkeit und Vielgestaltigkeit mancher Syndrome. Darüber hinaus ist eine fundierte neuropsychologische Leistungsdiagnostik zur Objektivierung und detaillierten Dokumentation der Leistungseinschränkungen unerlässlich, die auch eine Verlaufsbeobachtung und Therapiebeurteilung ermöglicht.

Die somatische Diagnostik umfasst zunächst neben der psychiatrischen Evaluation eine internistische und neurologische Untersuchung, eine abgestufte Labordiagnostik, die primär Entzündungsparameter, Organfunktionen, Elektrolyte, Schilddrüsenwerte, Medikamenten- und Vitaminspiegel umfasst. Mittels EKG werden kardiale Ursachen (meist von Delirien) erfasst. Das EEG ermöglicht eine objektive Einschätzung der bestehenden quantitativen Bewusstseinsstörungen, objektiviert eine akute Enzephalopathie und kann epilepsietypische Potenziale und Rhythmisierungen aufzeigen.

Gerade bei höher betagten Patienten mit zerebralen Vorerkrankungen oder Demenz kann das EEG richtungsweisend ein Delir abgrenzen [26] und auf klinisch nicht differenzierbare Anfallsäquivalente hinweisen [4]. Typische EEG-Befunde im Delir sind die Reduktion bis hin zum Fehlen einer okzipitalen Grundaktivität im Zustand entspannter Wachheit, die auch durch konsequente Aktivierung (klopfen, Augen öffnen) nicht paradox evoziert beziehungsweise durch Aktivierung blockiert wird. Global entsteht eine dem Ausmaß der quantitativen Bewusstseinsstörungen entsprechende Verlangsamung der Grundaktivität mit dem Auftreten von τ- und δ-Wellen sowie das intermittierende Auftreten einer insbesondere frontal ausgeprägten, rhythmischen δ-Aktivität (sog. FIRDA). Quantitative EEG-Evaluation und einfache Aktivierung können insbesondere beim Vorliegen einer Demenz das Delir differenzieren [26] (Abb. 6).

Abb. 6
figure 6

Typische EEG-Befunde beim Delir. Oben Frontal intermittierende rhythmische δ-Aktivität. Unten Allgemeine Verlangsamung im Sinne einer mittelschweren Allgemeinveränderung, okzipitales Fehlen des physiologischen α-Grundrhythmus

Eine zerebrale Bildgebung ist unerlässlich. Während nach Schädel-Hirn-Traumata meist zunächst eine zerebrale Computertomographie zum Ausschluss epi- und subduraler Blutungen ausreicht, ermöglicht das MRT mit Diffusionswichtung eine akkuratere Erfassung ischämischer und entzündlicher Ätiologien sowie eine Diagnostik von Thalamus und Hirnstamm (Abb. 3, Abb. 4). Die Liquordiagnostik differenziert akute und chronische Meningoenzephalitiden und kann Hinweise auf eine Alzheimer-Demenz (Phospho-τ und β-Amyloid) oder MS (oligoklonale Banden) geben (Tab. 5).

Tab. 5 Differenzielle Liquordiagnostik bei Meningitisverdacht

Therapie

Im Vordergrund der Therapie akuter organischer Syndrome steht die Behandlung der organischen Grundkrankheit. Dies bedeutet bei der Alkoholkrankheit die unverzügliche Thiamingabe i. v. (500 mg 3-mal/Tag), die Beherrschung auftretender Entzugssymptomatik (mittels einem Diazepam- oder Lorazepamschema), idealerweise durch regelmäßiges Scoring gestützt [17, 28]. Clomethiazol wird vor allem im Deutschland verwendet, hat ein hohes Abhängigkeitspotenzial, und respiratorische Nachteile (bei „chronic obstructive pulmonal disease” kontraindiziert). Zur Anfallsprophylaxe wird adjuvant Carbamazepin oder Oxcarbazin eingesetzt, Clonidin verhindert Blutdruckspitzen (http://www.uni-duesseldorf.de/AWMF/ll/030–006.htm)

Beim nicht-Substanz-bezogenen Delir ist der Ausgleich von Elektrolytverschiebungen , das Absetzen von Noxen, eine virusstatische oder antibiotische Therapie, Immunmodulation und -suppression vordringlich.

Dennoch erfordern die psychiatrischen Symptome häufig eine zusätzliche psychiatrische Medikation, psychosoziale Intervention und gegebenenfalls psychotherapeutische Begleitung. Sie sind im Verlauf der somatischen Erkrankung nicht immer rückgängig und benötigen oft eine spezifische psychiatrische Therapie. Zudem kann bei wenig beeinflussbaren Krankheitsverläufen die gezielte Kontrolle belastender psychiatrischer Symptome zur Verbesserung der Lebensqualität im Rahmen eines Palliativkonzeptes beitragen.

Symptomatische Therapie des akuten Delirs

In der Behandlung des akuten Delirs sind vor der Symptomkontrolle die akuten Auslöser des deliranten Zustandes suffizient zu behandeln. Darüber hinaus profitiert der Patient von psychosozialen Interventionen wie Reizabschirmung, Schaffung einer vertrauten und sicheren Umgebung, Einbezug vertrauter Angehöriger, gewohnte Tagesrhythmik und weitest mögliche (Re-)Orientierung, aktivierende Pflege und Therapie. Wesentliches therapeutisches Ziel ist die Vermeidung eines Selbstständigkeitsverlustes.

Medikamentöse Interventionen (Tab. 3) richten sich nach der Ätiologie, der klinischen Symptomatik und der Delirausprägung sowie den Bedürfnissen des Patienten. Im Vordergrund steht hier eine antidopaminerge Behandlung mit Haloperidol in aufsteigender Dosierung bis zum Wirkungseintritt. Als Alternativen sind, insbesondere bei Kontraindikationen gegen typische Neuroleptika, Atypika wie Risperidon, Olanzapin und Quetiapin möglich. Zur Reinstallation des Tag-Nacht-Rhythmus und einer eventuell notwendigen Sedierung eignen sich niederpotente Neuroleptika wie Pipamperon und Melperon. Bei massiver Angst hat sich Lorazepam bewährt, allerdings in niedriger Dosierung, da dieses Medikament dosisabhängig delirogen wirkt. Differenzialdiagnostisch besonders zu beachten ist hier die Lewy-Körperchen-Demenz , die mit deliranten Zuständen einhergeht und sich häufig unter der Neuroleptika- oder Benzodiazepingabe massiv verschlechtert. Auch beim Morbus Parkinson sind die meisten Neuroleptika kontraindiziert. Hier sollte auf Quetiapin oder Clozapin ausgewichen werden.

Bei chronischen Delirien und Delirien bei Demenz gibt es zudem Hinweise auf einen günstigen Einfluss von Cholinesterasehemmern (Tab. 6).

Tab. 6 Therapie des Delirs

Therapie der weiteren organisch ausgelösten psychiatrischen Erkrankungen

In Allgemeinen sind hier die Regeln der Psychopharmakologie psychiatrischer Störungen anzuwenden. Grundsätzlich sind bei organischen Störungen, insbesondere zerebralen Erkrankungen, niedrige Dosierungen und längere Aufdosierungszeiten zu berücksichtigen. Für die Behandlung affektiver Störungen kommen insbesondere die nebenwirkungsärmeren modernen Antidepressiva ohne massive Wechselwirkungen infrage, wie selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (z. B. Citalopram) und selektive Serotonin- und Noradrenalinwiederaufnahmehemmer. Dies gilt insbesondere auch für die interiktalen psychiatrischen Erkrankungen bei Epilepsie. Bei psychotischen Störungen werden die nebenwirkungsärmeren atypischen Antipsychotika bevorzugt. Hier ist insbesondere bei zerebraler Vorschädigung das erhöhte Schlaganfall- und Mortalitätsrisiko zu bedenken.

Ebenso ist eine regelmäßige Überprüfung der Indikation zur psychiatrischen Medikation erforderlich, da mit der ursächlichen Behandlung diese mittelfristig verzichtbar sein kann.

Eine Ausnahme stellen die periiktalen psychiatrischen Auffälligkeiten bei Epilepsie dar, sie werden durch eine Optimierung der Anfallsmedikation behandelt.

Fazit für die Praxis

Akute psychische Störungen organischer Ursache stellen eine wichtige Differenzialdiagnose dar, die erhebliche und zeitsensitive Therapierelevanz hat. Psychische Symptome als Erstmanifestation systemischer Erkrankungen werden oft verkannt. Delirante Zustände gerade beim zunehmenden älteren Patientenklientel sind ein häufiger Grund für Konsiliaranfragen. Medikamentöse, neurologische und somatische Ursachen müssen anamnestisch, laborchemisch und bilddiagnostisch (CCT, MRT, EEG) erfasst und differenzialdiagnostisch erwogen werden. Die Therapie ist immer zunächst ursachenorientiert. Erst in einem zweiten Schritt kommt eine symptomorientierte psychiatrische Medikation (in der Akutsituation z. B. Haloperidol 0,5–5 mg und/oder Lorazepam 0,5–1mg) altersadäquat dosiert zur Anwendung. Grundsätzlich sind niedrige Dosen, langsame Aufdosierung und wechselwirkungsarme Medikation von Vorteil. Die Prävention iatrogen ausgelöster Delirien und deren Komplikationen benötigt besondere Beachtung.

CME-Fragebogen

Welche Aussagen zu den akuten organischen psychischen Störungen trifft zu?

Bei vorbestehender psychiatrischer Erkrankung ist eine organische Ursache unwahrscheinlich.

Patienten mit organischen Störungen sollten nicht in der Psychiatrie behandelt werden.

Organische Psychosyndrome stellen eine wichtige und anspruchsvolle Differenzialdiagnose in der Psychiatrie dar.

Die Therapie psychoorganischer Störungen erfolgt ausschließlich mit Antipsychotika.

Störungen des Gedächtnisses werden nicht zu den akuten organischen Störungen gerechnet.

Bei welchem der folgenden Medikamente ist die Auslösung eines Delirs am wenigsten wahrscheinlich?

Fentanyl-Pflaster

Oxybutynin

Biperiden

Mirtazapin

Rivastigmin

Die Ursache der Wernicke-Enzephalopathie ist:

Ausschließlich eine langjährige Alkoholkrankheit.

Ein Mangel an Thiamin, der umgehend behandelt werden sollte.

In der großen Anzahl von Alkoholintoxikationen zu sehen.

Nach der Entgiftungsphase mit Tabletten zu beheben.

Nur in Speziallabors feststellbar.

Das Elektroenzephalogramm ist heutzutage in der Psychiatrie…

nicht mehr indiziert.

nur noch zur Differenzierung von epileptischen Anfällen geeignet.

ein hilfreiches Instrument zur Diagnostik und Verlaufskontrolle des Delirs.

einer Computertomographie vorzuziehen.

nur mit spezieller Technik valide auswertbar.

Eine 75-jährige demente Patientin wird wegen neu aufgetretener Angst und Unruhe vorgestellt. Sie ist abweisend, berichtet unzusammenhängend und kann zum Erstaunen der Tochter weder ihren Namen noch ihr Geburtsdatum nennen. Auch eine Steigerung der Nachtmedikation (Oxazepam) konnte sie nicht beruhigen. Seit 2 Tagen wird sie wegen eines Harnwegsinfekts mit Ciprofloxacin behandelt. Der Hausarzt vermutete Schmerzen aufgrund ihrer Osteoporose und hat ein stärkeres Schmerzpflaster empfohlen. Welche Aussage trifft nicht zu?

Delirien bei Demenzkranken werden oft übersehen.

Schmerzen können bei Demenzkranken Delirien auslösen.

Die antibiotische Therapie sollte unbedingt beibehalten werden, da das Medikament als Ursache des Delirs nicht in Frage kommt.

Demenzkranke haben ein besonders hohes Delirrisiko.

Bei Demenzkranken kann das Elektroenzephalogramm differenzialdiagnostisch hilfreich sein, um ein Delir abzugrenzen

Ein 64-jähriger Geschäftsmann wird vom Rettungsdienst in die Notaufnahme gebracht. Er ist ratlos, wiederholt seine Fragen ständig und kann keine Angaben zu Zeit und Situation, wohl aber zu seiner Person machen. Der neurologische Befund ist unauffällig. Welche Aussage trifft zu?

Ein Blutalkoholspiegel kann hier den Verdacht auf eine Korsakow-Psychose erhärten.

Ein EEG sollte in dieser Situation unbedingt auch nachts durchgeführt werden.

Eine Normalisierung des psychopathologischen Befundes innerhalb von 24 h ist unwahrscheinlich.

Fast jeder der betroffenen Patienten erleidet mehrere solcher Episoden.

Es könnte sich um eine transiente globale Amnesie handeln. Pathophysiologisch ist hierbei von einer Funktionsstörung des Hippokampus und des medialen Temporallappens auszugehen.

Affektive Störungen treten bei vielen somatischen Erkrankungen auf. Welche der aufgezählten Ursachen trifft am ehesten nicht zu?

Amyotrophe Lateralsklerose

Rechts-parietal zerebrale Ischämie

Limbische Enzephalitis

Charles-Bonnet-Syndrom

Syphilis

Ein 86-jähriger Patient mit neu diagnostiziertem Parkinson-Syndrom berichtet von Tierchen, die sich an der Wand entlang bewegen. Seine Ehefrau sei schon ganz verärgert, dass er sie immer wieder darauf anspreche. Welche Aussage zur Behandlung dieses Patienten trifft zu?

Eine Veränderung der Parkinson-Medikation ist nicht indiziert.

Die Demenz des Patienten sollte mit einem Cholinesterasehemmer behandelt werden.

Zur Behandlung der optischen Halluzinationen sollten hochpotente Neuroleptika wie Risperidon eingesetzt werden.

Die kraniale Computertomographie ist dringlich indiziert zum Ausschluss einer Hirnblutung.

Eine Reduktion der dopaminergen Stimulation kann die optischen Halluzinationen beseitigen.

Ein 62-jähriger Russlanddeutscher entwickelt einen Eifersuchtswahn. Im neurologischen Befund zeigt sich eine Polyneuropathie, kognitive Defizite mit inkohärentem Denken fallen auf. Es besteht ein alkoholischer Foetor. Angesichts der Wahnentwicklung stehen verschiedene diagnostische und therapeutische Entscheidungen an. Welche Aussage trifft nicht zu?

Eine Liquordiagnostik zum Ausschluss einer Neurolues kann indiziert sein.

Eine Magnetresonanztomographie ist differenzialdiagnostisch hilfreich.

Organische wahnhafte Störungen sprechen nicht auf Antipsychotika an.

Thiamininfusionen sind bei Verdacht auf Alkoholkrankheit indiziert.

Psychotische Episoden treten auch in anfallsarmen Intervallen bei Epilepsiekranken auf.

Überprüfen Sie die folgenden Aussagen zur Pharmakotherapie des Delirs. Welche der Aussagen ist richtig?

Die Behandlung des Alkoholentzugsdelirs unterscheidet sich nicht von Delirien anderer Genese.

Neben der Kausaltherapie sollte regelmäßig eine antidopaminerge Therapie mit Antipsychotika durchgeführt werden.

Vor der Pharmakotherapie sollte eine komplette Medikamentenanamnese erhoben und Serumspiegel abgenommen werden.

Schlafmedikation sollte unbedingt abgesetzt werden, um Wechselwirkungen und Übersedierung zu vermeiden.

Die meisten Delirien bedürfen gar keiner Pharmakotherapie.