Die Verringerung von überschüssigem Körperfett im Rahmen einer leitliniengerechten Adipositastherapie ist eine der größten medizinischen Herausforderungen unserer Gesellschaft. Die globale Prävalenz der Adipositas hat sich seit 1975 fast verdreifacht [1]. In den USA sind mehr als zwei Drittel der Bevölkerung übergewichtig, und mehr als 30 % der Erwachsenen und 20 % der Jugendlichen leiden an Adipositas [1]. Zu den klassischen mit Adipositas vergesellschafteten Begleiterkrankungen gehören unter anderem Diabetes mellitus Typ 2 (T2D), Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie die nichtalkoholische Fettlebererkrankung („non-alcoholic fatty liver disease“ [NAFLD]; [1]). Auch das Risiko verschiedener (vor allem gastrointestinaler) Krebserkrankungen ist bei Personen mit einem Body-Mass-Index (BMI) > 30 kg/m2 deutlich erhöht. Schätzungen zufolge sind etwa 4–9 % aller Krebserkrankungen auf überschüssiges Körperfett zurückzuführen, wobei Adipositas sowohl mit einer schlechteren Prognose der Behandlung maligner Erkrankungen als auch mit einer erhöhten Inzidenz der Entwicklung von Karzinomen korreliert [1]. Zudem erschwert Adipositas den Verlauf und die Prognose infektiöser Erkrankungen, etwa der „coronavirus disease 2019“ (COVID-19; [1]). Bereits im Kindes- und Jugendalter erhöht Adipositas die Prävalenz psychischer, neurologischer, pulmonaler, gastrointestinaler und endokriner Erkrankungen (Abb. 1), was eine erhebliche Belastung unserer Gesundheitssysteme zur Folge hat [1]. Allein in den USA belaufen sich die mit Adipositas assoziierten Behandlungskosten auf mehr als 190 Mrd. US-$ pro Jahr [1].

Abb. 1
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Begleiterkrankungen von Adipositas. COPD „chronic obstructive pulmonary disease“ (chronisch-obstruktive Lungenerkrankung), PCOS „polycystic ovary syndrome“ (Syndrom polyzystischer Ovarien)

Neben umweltbedingten Faktoren tragen auch genetische Faktoren erheblich zur Varianz des BMI bei. Mit einer geschätzten Erblichkeit von etwa 40–70 % ist der Anteil genetischer Faktoren am BMI vergleichbar mit dem für das Tourette-Syndrom (58–77 %), Psoriasis (66 %), Herz-Kreislauf-Erkrankungen (34–53 %) oder Brustkrebs (25–56 %; [1]). Die zunehmende gesellschaftliche und rechtliche Anerkennung von Adipositas als chronische, fortschreitende Erkrankung ist zweifelsohne ein Meilenstein unseres modernen Gesundheitsverständnisses. Die Erkenntnis, dass Adipositas nicht auf mangelnde Selbstdisziplin zurückzuführen ist, destigmatisiert nicht nur betroffene Patienten, sondern setzt auch den Grundstein, um verhaltenstherapeutische Programme zur Behandlung von Adipositas zu entwickeln, die (prä-)klinische Forschung zu fördern sowie neue pharmakologische Strategien zur nachhaltigen Gewichtsreduktion zu entwickeln.

Ein chirurgischer Eingriff kommt nur für eine begrenzte Zahl extrem bedürftiger Patienten infrage

Obgleich verhaltenstherapeutische Maßnahmen mit gesünderer Ernährung und mehr körperlicher Aktivität das Grundgerüst der medizinischen Gewichtsintervention darstellen, sind solche Interventionen ohne begleitende chirurgische oder pharmakologische Maßnahmen nicht in der Lage, der wachsenden Adipositasprävalenz wirksam und dauerhaft zu begegnen. Die bariatrische oder metabolische Chirurgie ist bislang der effektivste Ansatz zur nachhaltigen Gewichtsreduktion. Mit stetig verbesserten laparoskopischen Verfahren beschränkt sich die Hospitalisierungszeit oft auf nur wenige Tage, und nicht selten führen chirurgische Interventionen selbst nach Follow-up von mehr als 10 Jahren zu einer dauerhaften Gewichtsreduktion von über 25 % sowie zu einer anhaltenden Verbesserung der Glukosehomöostase [1]. Obgleich die Wirksamkeit der bariatrischen Chirurgie außer Frage steht, sind operative Maßnahmen zur Gewichtsreduktion zumeist irreversibel und nicht ohne Risiko. Zudem kommt ein chirurgischer Eingriff nur für eine begrenzte Anzahl extrem bedürftiger Patienten infrage. Pharmakotherapien stellen somit die einzige Möglichkeit dar, der stetig wachsenden Notwendigkeit einer nachhaltigen Gewichtsreduktion auf breiter Ebene zu begegnen.

Zu den klinisch untersuchten Wirkstoffen für die Behandlung der Adipositas gehören unter anderem [1]

  • Sympathomimetika,

  • Serotonergika,

  • Entkoppler der mitochondrialen Adenosintriphosphat(ATP)-Synthese,

  • Lipasehemmer,

  • Antagonisten am Cannabinoidrezeptor 1 und

  • Agonisten am Rezeptor für das „glucagon-like peptide-1“ (GLP-1).

Bei nahezu allen diesen Pharmakotherapeutika betrug der mittlere prozentuale placebokorrigierte Gewichtsverlust nach etwa 1‑jähriger Behandlung < 10 % [1]. Zeigte ein Wirkstoff ein größeres Potenzial zur Gewichtsreduktion, so war dies in der Regel mit dem Auftreten inakzeptabler Nebenwirkungen verbunden, wie etwa mit pulmonalarterieller Hypertonie, Valvulopathie oder einem erhöhten Risiko eines kardiovaskulären Ereignisses [1]. In Anbetracht jahrzehntelanger, größtenteils enttäuschender, Forschungsbemühungen, wurde ein pharmakologisch induzierter Gewichtsverlust von mehr als 10 % bei tolerablen Dosierungen lange als ein unüberwindbares Hindernis erachtet. Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten Erfolge biochemisch optimierter GLP-1-Mimetika beeindruckend. Sowohl der GLP-1-Rezeptor-Agonist (GLP-1RA) Semaglutid 2,4 mg (Wegovy®, Novo Nordisk) als auch Tirzepatid (Mounjaro®, Eli Lilly), ein unimolekularer Koagonist des Rezeptors für das glukoseabhängige insulinotrope Polypeptid (GIPR) und des GLP-1-Rezeptors (GLP-1R), senkten in klinischen Studien bei tolerablem Sicherheitsprofil placebokorrigiert das Körpergewicht um etwa 15–20 % [2,3,4,5,6,7,8,9,10]. Auch in Hinblick auf kardiovaskuläre Effekte überzeugen die neuen Wirkstoffe, selbst bei Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko [11, 12]. Doch was unterscheidet die neuen Wirkstoffe von bisherigen Pharmakotherapeutika und welche Rolle spielt dabei das glukoseabhängige insulinotrope Polypeptid (GIP)?

GLP-1-Rezeptor-Agonisten

GLP‑1 wird von enteroendokrinen Zellen (L-Zellen) des unteren Gastrointestinaltrakts gebildet und nach Nahrungsaufnahme (vor allem nach Aufnahme von Glukose) in den Blutkreislauf sezerniert. Die primäre physiologische Funktion von GLP‑1 besteht darin, die Insulinsekretion im Pankreas in Abhängigkeit vom Blutzuckerspiegel zu stimulieren und gleichzeitig die Sekretion von Glukagon zu inhibieren [13]. Zudem verzögert GLP‑1 durch Inhibition der Magenentleerung die Glukoseabsorption im Darm, stimuliert die Proliferation der pankreatischen β‑Zellen und wirkt durch seine antiinflammatorischen Effekte dem programmierten Zelltod (Apoptose) entgegen [13]. Neben diesen glukoregulatorischen Eigenschaften hat GLP‑1 kardio- und neuroprotektive Effekte, wirkt inhibitorisch auf das Belohnungssystem im Hypothalamus und senkt das Körpergewicht durch die zentralnervöse Hemmung der Nahrungsaufnahme (Abb. 2; [13]). Diese Eigenschaften machen GLP‑1 auch für die Behandlung der Adipositas interessant.

Abb. 2
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Direkte und indirekte Effekte von GLP‑1 in Gehirn und Peripherie. GLP‑1 „glucagon-like peptide-1“

Die Entwicklung der GLP-1-Mimetika ist ein Musterbeispiel für den stetigen Fortschritt der pharmakologischen Diabetesforschung und belegt darüber hinaus eindrucksvoll, welche Implikationen sich daraus auch für die Behandlung der Adipositas ergeben. Während das pharmakologische Potenzial des körpereigenen GLP‑1 bedingt durch eine Halbwertszeit von nur 2 bis 3 min eher gering ist, führte die kontinuierliche biochemische Optimierung der GLP-1RA zu hocheffektiven Antidiabetika, die nunmehr 2‑mal täglich (Exenatid BID), täglich (Liraglutid, Lixisenatid) oder sogar nur wöchentlich (Exenatid ER, Albiglutid, Dulaglutid, Semaglutid) appliziert werden müssen [1, 14]. Auch die Entwicklung eines oral verfügbaren GLP-1RA (Semaglutid, Rybelsus®) unterstreicht den Erfolg dieser Wirkstoffklasse.

In der Adipositasbehandlung wird das Potenzial von GLP-1-RA erst seit wenigen Jahren genutzt

Doch während biochemisch optimierte GLP-1RA sich als wirkungsvolles Instrument zur Behandlung des T2D herausgestellt haben, wird deren Potenzial zur Behandlung der Adipositas erst seit wenigen Jahren genutzt. So sind für die Behandlung der Adipositas etwa 2fach höhere Dosierungen erforderlich als für die Behandlung des T2D, und GLP-1-Mimetika führen dosisabhängig zu gastrointestinalen Nebenwirkungen, vor allem Übelkeit und Erbrechen. Jedoch zeigen moderne lang wirksame GLP-1RA im Gegensatz zu kurz wirksamen GLP-1RA nicht nur ein größeres Potenzial zur Gewichtsreduktion, sondern auch ein geringeres Potenzial für die Entwicklung gastrointestinaler Nebenwirkungen [15], was gerade für die Adipositastherapie eine bahnbrechende Errungenschaft darstellt.

Semaglutid hat ein deutlich stärkeres Potenzial zur Reduktion des Körpergewichts als Liraglutid

Mit Liraglutid 3 mg (Saxenda®) wurde 2015 der erste GLP-1RA für die Behandlung der Adipositas bei Erwachsenen in der Europäischen Union zugelassen, gefolgt von dessen Zulassung für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen ab 12 Jahren im Jahr 2021. Mit Semaglutid 2,4 mg (Wegovy®) folgte im Jahr 2022 der zweite in Europa für die Behandlung von Adipositas bei Erwachsenen zugelassene GLP-1RA. Strukturell unterscheidet sich Semaglutid nur wenig von Liraglutid. So wurde bei Semaglutid die Dipeptidylpeptidase-4(DPP-4)-sensible Aminosäure Alanin an der N‑terminalen Position 2 durch eine nichtproteinogene Aminosäure (Aminoisobuttersäure) ersetzt, und die reversibel an Albumin bindende Palmitinsäure durch ein C18-Diglyzerid ausgetauscht [14]. Diese augenscheinlich geringen Änderungen haben jedoch erhebliche Auswirkung auf die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik. So wurde die Halbwertszeit von Semaglutid gegenüber Liraglutid von etwa 12 auf ungefähr 160 h erhöht, wodurch die Applikationsfrequenz von täglich (Liraglutid) auf nunmehr wöchentlich (Semaglutid) gesenkt wurde. Zudem senkt Semaglutid das Körpergewicht deutlich stärker als Liraglutid, was gerade für die Behandlung der Adipositas von entscheidender Bedeutung ist. Während Liraglutid nach etwa 1‑jähriger Behandlung das placebokorrigierte Körpergewicht bei Patienten mit Adipositas ohne T2D um 5,4 % senkte [16], reduzierte Semaglutid in einer vergleichbaren Studie das Körpergewicht um 12,4 % [10]. Doch obgleich Semaglutid bei Patienten mit Adipositas ohne T2D das Körpergewicht um mehr als 10 % senkte, lag der Gewichtsverlust bei Patienten mit Adipositas und T2D nur bei 6,2 % [6, 10]. Zusammenfassend zeigt Semaglutid im Vergleich zu Liraglutid ein deutlich stärkeres Potenzial zur Reduktion des Körpergewichts, besonders bei Patienten mit Adipositas ohne T2D.

GIPR/GLP-1R-Koagonisten

Im Jahr 2009 entwickelten Richard diMarchi und Matthias Tschöp einen Wirkstoff, der durch geschickte Sequenzhybridisierung die metabolischen Effekte von GLP‑1 und Glukagon in einem einzigen hochwirksamen Molekül vereinte [17]. Aufbauend auf dieser Strategie entwickelten Tschöp und diMarchi 2013 den ersten Koagonisten mit Aktivität an den Rezeptoren für GLP‑1 und GIP [18], dann anschließend den ersten Triple-Agonisten an den Rezeptoren für GLP‑1, GIP und Glukagon [19]. In präklinischen Studien waren diese Ko- und Triagonisten der alleinigen Behandlung mit GLP‑1, GIP oder Glukagon überlegen, sowohl hinsichtlich der Verbesserung des Glukosestoffwechsels als auch in der Reduktion des Körpergewichts [17,18,19]. Den Erfolg dieser Strategie unterstreichend, haben anschließend zahlreiche Pharmaunternehmen dieses Konzept des unimolekularen Polyagonismus aufgegriffen (Tab. 1), wobei sich die Wirksamkeit dieser neuen Wirkstoffklasse auch in klinischen Studien bestätigte (Tab. 2; [2,3,4, 20]).

Tab. 1 Ko- und Triagonisten in klinischer Entwicklung

Das prominenteste Beispiel ist der GIPR:GLP-1R-Koagonist Tirzepatid (Mounjaro®), der im Juli 2022 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) zur Behandlung des T2D zugelassen wurde. In den SURPASS-Phase-III-Studien zeigte Tirzepatid eine deutlich stärkere Senkung von Hämoglobin A1c (HbA1c) als die Behandlung mit Semaglutid 1 mg [3], Insulin glargin [2] oder Insulin degludec (Tab. 2; [4]). Abhängig von der Dosis (5, 10 oder 15 mg) zeigten die Studienteilnehmer zudem innerhalb der 40- bis 52-wöchigen Behandlung eine placebokorrigierte Reduktion des Körpergewichts von 7 bis 14,5 % [2,3,4,5, 21]. In der Phase-III-Studie SURMOUNT‑1, in der Patienten mit Adipositas ohne T2D über 72 Wochen behandelt wurden, zeigte sich sogar ein placebokorrigierter Gewichtsverlust von 17,8 % (Tab. 2; [22]). Wie bei GLP-1-Mimetika klassischerweise zu beobachten, wurden auch unter Tirzepatid dosisabhängig gastrointestinale Nebenwirkungen beobachtet, vor allem Übelkeit, Erbrechen und Durchfall (Tab. 3). Diese Nebenwirkungen traten bei bis zu 20 % der Patienten auf, verschwanden jedoch zumeist bereits während der initialen dosiseskalierenden Behandlungszeit [2,3,4,5]. Zusammenfassend reduziert Tirzepatid bei vergleichbarem Sicherheitsprofil das Körpergewicht deutlich stärker als Semaglutid, und dies besonders bei Patienten mit Adipositas ohne T2D.

Tab. 2 Überblick über das Tirzepatid-Phase-III-Programm SURPASS sowie SURMOUNT‑1
Tab. 3 Selektiver Überblick über das Sicherheitsprofil von Tirzepatid im SURPASS-Programm

Offene Fragen und Erkenntnisse aus präklinischer Forschung

Die Fragen, warum GIPR:GLP-1R-Koagonisten das Körpergewicht stärker senken als GLP-1RA und welche Rolle GIP für diesen Effekt spielt, sind nicht leicht zu beantworten. Auch ist die gegenwärtige Publikationslage durchaus kontrovers, wobei sowohl GIPR-Agonisten als auch -Antagonisten positive Effekte auf den Energiestoffwechsel haben [1]. Außerdem ist der insulinstimulierende Effekt von GIP bei Patienten mit T2D deutlich reduziert [23]. Zudem basiert Tirzepatid auf der Sequenz des humanen GIP, das sich in seiner Pharmakodynamik vom Peptid bei Nagetieren unterscheidet. So ist humanes GIP im Gegensatz zur Situation im Menschen selbst bei supraphysiologischen Konzentrationen nicht in der Lage, den GIPR der Maus vollständig zu aktivieren [24]. Dies könnte auch erklären, warum Tirzepatid das Körpergewicht GLP-1R-defizienter Mäuse nicht gesenkt hat [25]. Leider lässt dies jedoch keine Rückschlüsse auf die Situation im Menschen zu, wo Tirzepatid vermeintlich deutlich stärker am GIPR bindet als in der Maus. Der GIPR:GLP-1R-Koagonist MAR709 bindet mit vergleichbar hoher Potenz an die Rezeptoren für GLP‑1 und GIP der Maus, und während MAR709 in wildtypischen Mäusen das Körpergewicht und die Nahrungsaufnahme deutlich stärker senkt als ein pharmakokinetisch vergleichbarer GLP-1RA, geht diese verstärkte Effektivität in Mäusen verloren, denen der GIPR im Gehirn fehlt [26]. Sowohl die periphere als auch die zentrale Applikation eines lang wirksamen GIPR-Agonisten senkte in wildtypischen Mäusen das Körpergewicht und die Nahrungsaufnahme, nicht jedoch in Mäusen, denen der GIPR im Gehirn fehlt [26]. Zudem verringerte in Nagetieren die gleichzeitige Applikation eines GIPR-Agonisten und GLP-1RA das Auftreten GLP-1R-vermittelter gastrointestinaler Nebenwirkungen (Übelkeit und Erbrechen), was vermeintlich den verträglichen Einsatz höherer Dosierungen von GLP-1RA begünstigt [27]. Zusammenfassend deuten zahlreiche präklinische Studien darauf hin, dass GIP das Körpergewicht über die zentralnervöse Regulation der Nahrungsaufnahme steuert [26, 28]. Da Tirzepatid jedoch auf der Sequenz des humanen GIP basiert und dieses nur schwach am GIPR der Maus bindet, kann die Relevanz von GIP für den gewichtsreduzierenden Effekt von Tirzepatid nur in humanen Studien untersucht werden.

Präklinische Studien deuten auf eine zentralnervöse Regulation der Nahrungsaufnahme durch GIP hin

Weiterhin müssen zukünftige Studien klären, warum sowohl die Aktivierung als auch die Inhibition des GIPR positive Effekte auf den Energiestoffwechsel hat. Zu klären wäre hier etwa, ob die Aktivierung des GIPR zu dessen Desensibilisierung führt und sich GIPR-Agonisten somit wie funktionelle Antagonisten verhalten. Obgleich diese Möglichkeit experimentell weiter untersucht werden muss, sprechen doch einige Erkenntnisse gegen diese Theorie. Zum einen führt selbst die ligandenunabhängige Aktivierung der GIPR-Neurone im Hypothalamus zu einer Reduktion der Nahrungsaufnahme [28], zum anderen führt die GIP-induzierte Reduktion von Körpergewicht und Nahrungsaufnahme nicht zu einer verringerten Expression des GIPR im Hypothalamus oder Fettgewebe [26]. Ähnlich der Insulinresistenz oder Leptinresistenz führt in der Regel erst die chronische Sättigung eines Rezeptors zu dessen Desensibilisierung. Jedoch ist eine einzige Injektion eines lang wirksamen GIPR-Agonisten direkt in den Hypothalamus ausreichend, um das Körpergewicht und die Nahrungsaufnahme adipöser Mäuse über mehrere Tage hinweg zu senken [26].

Eine weitere zu untersuchende Hypothese ist, dass GIPR-Agonisten und -Antagonisten das Körpergewicht über unterschiedliche Gewebe und Mechanismen regulieren. Gerade antikörperbasierte GIPR-Antagonisten haben sich im Mausmodell als wirkungsvoll in der Behandlung der diätinduzierten Adipositas herausgestellt, und Antikörper zeichnen sich oft dadurch aus, nur schwer in das Gehirn zu penetrieren. In diesem Kontext wäre es also durchaus möglich, dass GIPR-Agonisten das Körpergewicht über Mechanismen im Gehirn steuern, während GIPR-Antagonisten das Körpergewicht über ihre Wirkung in peripheren Organen (wie etwa dem Fettgewebe) beeinflussen.

Fazit für die Praxis

  • Die Indikation zur Adipositastherapie besteht bei Menschen mit einem Body-Mass-Index (BMI) ≥ 30 kg/m2 oder bei Personen mit Übergewicht (BMI ≥ 27 kg/m2) und Begleiterkrankungen wie arterieller Hypertonie oder Diabetes mellitus Typ 2.

  • Basis der Adipositastherapie ist eine Kombination aus Ernährungs‑, Bewegungs- und Verhaltensinterventionen.

  • Wenn mit dieser konservativen Basistherapie individuelle Therapieziele nicht erreicht werden, erfolgt eine stufenweise eskalierende konservative Therapie, etwa mit kurzfristigen niedrigkalorischen Kostformen (Energieaufnahme pro Tag < 800 kcal) und Pharmakotherapie, oder eine chirurgische Therapie.

  • Die bariatrische Chirurgie ist im Vergleich zur konservativen Therapie einschließlich aktuell verfügbarer Medikamente hinsichtlich der Gewichts- und Körperfettreduktion, der Verbesserung von Adipositasbegleiterkrankungen, der langfristigen Gewichtsstabilität und der Senkung des Sterblichkeitsrisikos deutlich wirksamer.

  • Mit der nächsten Generation von Medikamenten zur Behandlung der Adipositas könnte diese Lücke in der Therapieeffektivität zunehmend geschlossen werden, sodass zukünftig Medikamente wie Semaglutid und Tirzepatid eine echte Alternative zur chirurgischen Therapie der Adipositas werden können.