Zusammenfassung
Hintergrund
Eine der wichtigsten und wirksamsten Präventionsmaßnahmen zum Schutz vor saisonaler Influenza sind Impfungen. Die ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt die Influenzaimpfung für besondere Personengruppen, wie Patienten in beschützenden Einrichtungen sowie in Pflege- und Altenheimen (bPA-Einrichtungen). Die Europäische Kommission (EK) fordert eine Influenzaimpfquote von 75 % in der älteren Bevölkerung. In Deutschland liegen bisher nur vereinzelte Ergebnisse aus Befragungen zu Influenzaimpfquoten für Patienten in bPA-Einrichtungen vor.
Fragestellung
Ziel der Studie war es, auf Basis ambulanter Abrechnungsdaten erstmals einen bundesweiten Überblick über die Influenzaimpfquoten bei in bPA-Einrichtungen versorgten Patienten zu geben.
Material und Methoden
Es erfolgte die deskriptive Auswertung der ambulanten vertragsärztlichen Abrechnungsdaten für 6 Studienkohorten in den Jahren 2010 bis 2016.
Ergebnisse
Die Impfquote der Studienkohorten variiert über die Saisons hinweg zwischen 56,6 % und 60,3 %. Über den Gesamtzeitraum wurde ein Durchschnitt von 58,5 % erreicht. Es zeigten sich deutliche regionale Unterschiede in den Influenzaimpfquoten von bis zu 20 Prozentpunkten (PP) sowie wenn zuvor ein Hausarzt konsultiert wurde (bis zu 35 PP).
Diskussion
Die Ergebnisse geben erste Einblicke zu Impfquoten in bPA-Einrichtungen und enthalten Hinweise auf Zusammenhänge zwischen strukturellen Versorgungsunterschieden und der Inanspruchnahme von Influenzaimpfungen. Die Ergebnisse können dazu beitragen, Gruppen mit besonders niedrigen Influenzaimpfquoten zu identifizieren. Sie ergänzen die Datenbasis für gesundheitspolitische Maßnahmen zur Erhöhung der Impfquoten. Für die untersuchte Gruppe wurden die Empfehlungen der EK zu einer Influenzaimpfquote von 75 % bisher nicht erreicht.
Abstract
Background
Vaccination is one of the most important and effective preventive measures against seasonal influenza. The German Standing Committee on Vaccination (STIKO) recommends influenza vaccination for specific groups of patients, including those in protective facilities and nursing or special care homes (“bPA-facilities”). The defined aim of the European Commission (EC) is vaccination coverage of 75% or higher among the elderly. In Germany, vaccination rates in bPA-facilities are currently based on surveys in limited samples of patients.
Objectives
The aim of the present study is to gain better insight into nationwide influenza vaccination rates. Specifically, we aim to identify influenza vaccination coverage of patients with ambulatory medical care in bPA-facilities.
Material and methods
The present analysis is a descriptive analysis of Germany’s billing data of all ambulatory statutory health insurance physicians (ASHIP) for six study cohorts from 2010 to 2016.
Results
On average, 58.5% of patients in bPA-facilities received an influenza vaccination between 2010 (60.3%) and 2016 (56.6%), with strong differences between different ASHIP billing areas (up to 20 percentage points(pp)) and patients who consulted a general practitioner (up to 35 pp).
Conclusions
These results provide initial insights into vaccination coverage in bPA-facilities and show associations between the structural differences in care setting and the use of influenza vaccines. Furthermore, they can help to identify groups with low influenza vaccination rates and complement existing data thereby assisting health policy in increasing vaccination coverage. The present study group has not yet reached the EC goal of 75% influenza vaccination coverage.
Hintergrund und Fragestellung
Influenzaausbrüche in beschützenden Einrichtungen sowie Pflege- und Altenheimen (kurz: bPA-Einrichtungen) betreffen in besonderem Maße ältere oder multimorbide Menschen, die ein erhöhtes Risiko für schwerwiegende Krankheitsverläufe tragen. Jährlich treten in den Wintermonaten Grippewellen mit unterschiedlicher Intensität auf. Saisonale Influenzainfektionen gehen mit einer Vielzahl an Erkrankungs- und Todesfällen sowie Krankenhauseinweisungen einher und stellen für die öffentliche Gesundheitsversorgung eine bedeutende Infektionskrankheit mit hohen Kosten dar [1,2,3]. Die kosteneffektivste Präventionsmaßnahme gegen eine Influenzaerkrankung ist die Impfung, die jährlich vor Beginn der Influenzasaison durchgeführt werden sollte. Neben dem individuellen, gesundheitlichen Nutzen von Impfungen für Einzelne ist die bevölkerungsweite Effektivität abhängig von der Durchimpfung. Durch hohe Impfquoten erhöht sich der gesundheitliche und ökonomische Nutzen, da eine Senkung der Krankheitslast und Verlängerung der ausbruchsfreien Zeiträume zu erwarten ist [4, 5]. Die ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt eine Influenzaimmunisierung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit erhöhter gesundheitlicher Gefährdung durch Grundleiden oder mit beruflicher Exposition sowie für Personen ab 60 Jahren und insbesondere für Bewohner von Alters- oder Pflegeheimen. Seit der Saison 2014/2015 fordert die Europäische Kommission aufgrund der hohen Krankheitslast eine Influenzaimpfquote von 75 % für die ältere Bevölkerung [6].
Influenzaimpfquoten werden im Rahmen von nationalen und internationalen Qualitätsindikatoren erfasst. Insbesondere wird über Patienten mit chronischen Erkrankungen berichtet [7,8,9,10]. In Deutschland liegen bereits bundesweite Studien zu Impfquoten bei Erwachsenen und über 60-Jährigen zur Umsetzung der Influenzaempfehlung auf Basis von Routinedaten vor, welche Hinweise auf regionale Unterschiede in der Inanspruchnahme aufzeigen [11, 12]. Bödeker et al. geben einen ersten Einblick in die Umsetzung der Influenzaempfehlungen in Alten- und Pflegeheimen. Sie kommen zu dem Schluss, dass Studien zu Influenzaimpfquoten fehlen sowie zu relevanten Faktoren, welche die Impfentscheidung der Bewohner von Alten- und Pflegeheimen beeinflussen [13]. Ferner fanden sich in Studien Hinweise auf die Rolle der Hausärzte zur Motivation bei Impfungen [13,14,15,16,17,18]. Für Patienten in Alten- und Pflegeheimen zeigen verschiedene internationale Studien erreichbare Impfquoten zwischen 81 % und 93 % [19, 20]. In Deutschland existieren jedoch keine aussagekräftigen Analysen zu den Influenzaimpfquoten von Bewohnern in bPA-Einrichtungen. Diese Lücke soll mit der vorliegenden Analyse auf Basis von Routinedaten verkleinert werden.
Ziel dieser Arbeit ist es, Daten über die deutschlandweiten Impfquoten zur Influenza von in bPA-Einrichtungen vertragsärztlich versorgten Patienten im zeitlichen Verlauf der letzten 6 Impfsaisons (2010/2011 bis 2015/2016) darzustellen und zu untersuchen. Die Impfquoten können erste Hinweise auf die Umsetzung der Empfehlungen der STIKO und der Europäischen Kommission geben [6, 8].
Methoden
Datengrundlage
Datengrundlage sind die bundesweiten ambulanten vertragsärztlichen Abrechnungsdaten der Jahre 2010 bis 2016. Diese enthalten Informationen über abgerechnete Diagnosen gemäß ICD-10 GM (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems 10 German Modification; [21]) und Leistungen auf Basis des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes (EBM). Im EBM ist jeder Leistung eine Nummer, die sogenannte Gebührenordnungsposition (GOP), zugeordnet [22]. Der EBM spezifiziert die Abrechnung und Vergütung von vertragsärztlichen Leistungen. Ergänzend können Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) spezifische Leistungen (kurz: KV-spezifische GOPen) aufnehmen, welche durch gesonderte Verträge vereinbart wurden (z. B. Hausbesuche in Pflegeheimen, Impfleistungen). In dieser Datengrundlage ist jede in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) versicherte Person mit mindestens einem Vertragsarztkontakt im entsprechenden Abrechnungszeitraum erfasst.
Abbildung der Influenzaimpfsaisons
Zu Beginn einer Influenzasaison wird eine jeweils angepasste Influenzaimpfung empfohlen. Erste Impfungen können ab September erfolgen, empfohlen wird die Impfung ab der 40. Kalenderwoche. Im Rahmen der ambulanten Versorgung erfolgen die Impfungen im Zeitraum zwischen dem 3. Quartal und dem 1. Quartal des Folgejahres. In der vorliegenden Analyse wurden die einzelnen Impfsaisons von 2010/2011 (3. Quartal 2010 bis 1. Quartal 2011) bis 2015/2016 (3. Quartal 2015 bis 1. Quartal 2016) betrachtet.
Bildung von Studienkohorten und Berechnung der Impfquoten
In den Basispopulationen der jeweiligen Saison wurden alle gesetzlich krankenversicherten Patienten erfasst, die im Untersuchungsjahr zu Beginn der Impfsaison mindestens einen Arztkontakt hatten. Es wurden lediglich Patienten berücksichtigt, deren Geschlecht sowie Geburtsjahr eindeutig bestimmbar waren. Um die Gruppe der Patienten in bPA-Einrichtungen adäquat abzugrenzen, erfolgte der Einschluss von Patienten ab 60 Jahren bis 110 Jahren [22, 23]. Aus den Basispopulationen wurde in der vorliegenden Studie für jedes Jahr im Analysezeitraum eine Studienkohorte wie folgt gebildet (Abb. 1): Zur Operationalisierung von Patienten in bPA-Einrichtungen wurde sowohl die bundeseinheitliche GOP 01415 (im Folgenden: Besuchspauschale) herangezogen, welche sich auf den dringenden Besuch oder Besuch in einem beschützenden Wohnheim bzw. Einrichtung bzw. Pflege- oder Altenheim mit Pflegepersonal bezieht, als auch KV-spezifische GOPen. Es wurden Patienten erfasst, ausgehend vom ersten bis vierten Quartal eines Jahres, für die in dem Zeitraum die Besuchspauschale oder eine KV-spezifische GOP mindestens 2‑mal abgerechnet wurde (M2Q: in mindestens 2 Quartalen). Durch die Anwendung des M2Q-Kriteriums konnten die dauerhaft in bPA-Einrichtungen lebenden Patienten gegenüber Patienten der Kurzzeitpflege und Patienten, die kurzfristig nach dem Übergang in einer bPA-Einrichtung versterben, abgegrenzt werden. Ausgehend von den Patienten in bPA-Einrichtungen mit Inanspruchnahme der vertragsärztlichen Versorgung im Kalenderjahr (z. B. 2010) wurden nur Patienten mit mindestens einer beliebigen Leistungsinanspruchnahme in der jeweiligen Impfsaison (z. B. 3. Quartal 2010 bis 1. Quartal 2011) eingeschlossen, um die Patienten in bPA-Einrichtungen exakt abzugrenzen beispielsweise gegenüber verstorbenen Patienten. Abb. 1 stellt die Bildung der Studienkohorten der Impfsaisons im Flussdiagramm dar.
Die regionale Zuordnung eines Patienten erfolgte nach dem Wohnortprinzip (letzter Wohnort im jeweiligen Beobachtungszeitraum einer Impfsaison) und wurde auf der Ebene der KVen, welche mit Ausnahme von Nordrhein-Westfalen den Bundesländern entspricht, sowie getrennt nach alten und neuen Bundesländern ausgewertet. Darüber hinaus erfolgte die Einteilung in 3 Kreistypen: Kernstädte, verdichtetes Umland und ländliches Umland [24]. Um die hausärztliche Versorgung abzugrenzen und näher zu untersuchen, wurden die im Rahmen der Abrechnungsstatistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung benutzten Abrechnungsgruppenzuordnungen verwendet. Zur weiterführenden Analyse der Impfsaisons wurden zusätzlich Patienten in bPA-Einrichtungen als chronisch krank markiert, wenn eine gesicherte Diagnose mindestens 2‑mal codiert wurde (M2Q je Impfsaison). Als Grundlage diente die von Riens et al. verwendete Definition von chronischen Erkrankungen auf Basis des ICD-10 GM, mit Ausnahme der transitorischen ischämischen Attacke, da diese ein akutes Krankheitsbild darstellt [11, 21].
Zur Berechnung der Impfquote wurde der Anteil der Patienten mit abgerechneter GOP für eine Influenzaimpfung bezogen auf die Anzahl der Patienten in der jeweiligen Studienkohorte gebildet. Darüber hinaus wurden die Impfquoten stratifiziert nach Chronikern, Geschlecht, Altersgruppen oder regionaler Zuordnung berechnet und dargestellt [22, 24].
Die Validierung der Studienkohorte (Übersicht über die Korrespondenzadresse erhältlich) erfolgte anhand der Anzahl verfügbarer vollstationärer Plätze in Pflegeheimen, welche in der Gesundheitsberichterstattung des Bundes (Pflegestatistik) bereitgestellt wird [25].
Statistische Analyse
Die statistischen Analysen wurden mit R (Version 3.2.5) durchgeführt. Für regionale Vergleiche der Influenzaimpfung wurde die relative Häufigkeit der gegen Influenza geimpften, in bPA-Einrichtungen vertragsärztlich versorgten Patienten zu allen in bPA-Einrichtungen vertragsärztlich Versorgten dargestellt.
Ergebnisse
Basis- und Studienpopulationen
Über die Basispopulation der Jahre waren durchschnittlich 28,6 % der Patienten mindestens 60 Jahre und höchstens 110 Jahre alt. Drei von hundert über 60-jährige Patienten wiesen eine mindestens in 2 Quartalen abgerechnete Besuchspauschale oder KV-spezifische GOP auf, welche sich auf einen Vertragsarztkontakt in einer bPA-Einrichtung bezog. Als vertragsärztlich versorgte bPA-Patienten konnten in der ersten Impfsaison 461.941 und in der letzten betrachteten Impfsaison 462.028 Personen identifiziert werden. Aus diesen Patienten ergeben sich die Studienkohorten (Grundgesamtheit) für die Impfsaisons (Tab. 1). In der Gesundheitsberichterstattung des Bundes werden die verfügbaren vollstationären Plätze in Pflegeheimen für die Jahre 2011 (N = 830.781), 2013 (N = 847.705) und 2015 (N = 866.300) angegeben. Die Studienkohorten der Jahre 2011/2012, 2013/2014 und 2015/2016 entsprechen durchschnittlich 56 % der in der öffentlichen Pflegestatistik erfassten verfügbaren vollstationären Plätze in Pflegeheimen. Das Durchschnittsalter betrug in den jeweiligen Impfsaisons 84 Jahre, mit einer Standardabweichung von 8 Jahren (Median: 85 Jahre). Die Hälfte der Patienten hatte ein Alter zwischen 79 und 90 Jahren in den betrachteten Impfsaisons.
Impfquoten
Die bundesweite Impfquote der ab 60-jährigen, in bPA-Einrichtungen vertragsärztlich versorgten Patienten lag in der ersten untersuchten Impfsaison 2010/2011 bei 60,3 %. Über die Jahre zeigte sich ein Abfall der Impfquoten auf 56,6 % (Impfsaison 2015/2016). Durchschnittlich 59,0 % der in bPA-Einrichtungen vertragsärztlich versorgten Patienten mit chronischen Erkrankungen wurden gegen die Influenza in den Impfsaisons von 2010/2011 bis 2015/2016 geimpft. Tab. 1 stellt die Anzahl der in bPA-Einrichtungen versorgten Patienten und den prozentualen Anteil der gegen Influenza geimpften Patienten differenziert nach Impfsaison, Alter, Geschlecht und weiteren Merkmalen dar.
Die relative Häufigkeit der geimpften Frauen in bPA-Einrichtungen betrug durchschnittlich 59,1 % und die der geimpften Männer 56,8 % in den untersuchten Impfsaisons. Die relative Impfquote in der ersten Impfsaison (2010/2011) und in der letzten Impfsaison (2015/2016) lag bei Männern bei 58,7 % bzw. bei 54,9 %. Die Impfquoten fielen somit deutlich niedriger als bei Frauen mit 60,9 % sowie 57,2 % aus. Die Abb. 2 stellt die absoluten Zahlen und relativen Häufigkeiten differenziert nach Geschlecht pro Impfsaison dar.
Die Betrachtung der Altersverteilung der Influenzaimpfquoten in den Impfsaisons ergab, dass die höchsten Impfquoten in den Altersgruppen ab 80 Jahren vorlagen. Die relativen Influenzaimpfquoten zwischen der ersten Impfsaison (2010/2011) und der letzten Impfsaison (2015/2016) zeigten eine deutliche Abnahme der Impfungen in den Altersgruppen um durchschnittlich 4 Prozentpunkte (Tab. 1).
Abb. 3 verdeutlicht, dass bei Inanspruchnahme von hausärztlicher Versorgung die Impfquoten in allen Impfsaisons höher lagen als ohne Inanspruchnahme. Im Durchschnitt wurden 58,7 % der in bPA-Einrichtungen vertragsärztlich versorgten Patienten, die einen Hausarzt konsultiert hatten, in den Impfsaisons von 2010/2011 bis 2015/2016 gegen Influenza geimpft. Einer von hundert Patienten nahm durchschnittlich die hausärztliche Versorgung in den Impfsaisons nicht in Anspruch. Bei den Patienten ohne hausärztliche Versorgung sank die Impfquote innerhalb der Impfsaisons auf durchschnittlich 24,8 %.
Stratifiziert nach der Siedlungsstruktur lagen die Impfquoten durchschnittlich bei 55,3 % in Kernstädten, bei 58,0 % im verdichteten Umland und bei 63,9 % im ländlichen Umland [24]. Abb. 4 stellt die Influenzaimpfquoten in den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) dar. Die niedrigsten Influenzaimpfquoten waren in den untersuchten Impfsaisons durchgängig in Hamburg (2010/2011: 54,0 %; 2015/2016: 48,0 %), Nordrhein (2010/2011: 55,1 %; 2015/2016: 50,4 %) und Bremen (2010/2011: 55,2 %; 2015/2016: 49,8 %) zu finden.
Die höchsten Influenzaimpfquoten fanden sich insgesamt in den neuen Bundesländern. Der stärkste Rückgang der Impfquoten zwischen den Impfsaisons 2010/2011 und 2015/2016 von durchschnittlich 4,6 Prozentpunkten ist in den alten Bundesländern zu verzeichnen. In den neuen Bundesländern sanken die Impfquoten um durchschnittlich 2,4 Prozentpunkte. Über die Untersuchungszeiträume hinweg waren die Impfquoten in den betrachteten Altersgruppen in den neuen Bundesländern durchgängig höher als in den alten Bundesländern (Tab. 1).
Diskussion
Die vorliegende Studie liefert erste Einblicke zur Umsetzung der Empfehlung von Influenzaimpfungen der STIKO von in deutschen bPA-Einrichtungen vertragsärztlich versorgten Patienten. Die hier beschriebenen Studienkohorten stellen Subgruppen der Gesamtheit aller Patienten in bPA-Einrichtungen dar. Bisher lagen für Deutschland lediglich Ergebnisse aus Einzelerhebungen in bPA-Einrichtungen vor. Trotz der Einschränkungen auf die beschriebenen Subgruppen bietet sich aufgrund der Größe der Beobachtungsgruppe und der hier angewandten Methode die Gelegenheit, einen relevanten Eindruck über das Impfgeschehen in bPA-Einrichtungen zu erlangen. Die Influenzaimpfempfehlungen wurden durchschnittlich mit einer Quote von 58,5 % über alle beobachteten Impfsaisons umgesetzt. Im Rahmen des bundesweiten Gesundheitsmonitorings (GEDA) des Robert Koch-Instituts (RKI) konnten ähnliche Impfquoten von 54,3 % (2010/2011) bzw. 52,6 % (2011/2012) der ≥60-jährigen Personen ermittelt werden [26, 27]. Riens et al. schätzen anhand von vertragsärztlichen Abrechnungsdaten Impfquoten von 47 % (2009/2010) bzw. 37,8 % (2013/2014) der ≥60-jährigen Patienten [11]. Der Unterschied der Impfquoten lässt sich durch die methodische Herangehensweise der Studien erklären. Der prozentuale Anteil gegen Influenza geimpfter in bPA-Einrichtungen versorgter Patienten sank in den letzten 6 Jahren kontinuierlich (2010/2011: 60,3 %; 2015/2016: 56,6 %). Erklären lässt sich die Anzahl nichtgeimpfter Patienten in den Studienkohorten zum Teil durch die Freiwilligkeit der Impfung, wobei die Entscheidung im Rahmen einer gemeinsamen Entscheidungsfindung erfolgen soll, sowie durch möglicherweise vorliegende Kontraindikationen [28, 29]. Umfrageergebnisse der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzGA) zeigen, dass nahezu zwei Drittel der Befragten ab 60 Jahren die Grippeimpfung für sich persönlich als „(besonders) wichtig“ einschätzen (63 %). Die große Mehrzahl der Patienten in bPA-Einrichtungen weist geriatrische Krankheitsbilder auf. Die Patienten verbringen oft ihre letzte Lebensphase in den Einrichtungen, dies kann vermutlich die Einschätzung der Wichtigkeit der saisonalen Grippeimpfung beeinflussen. Ein Grund für die Nichtinanspruchnahme der Influenzaimpfungen bei den über 60-Jährigen (51 %) und bei Chronikern (48 %) war der Zweifel an der Wirksamkeit der Impfung. Die Einschätzung, dass Grippe keine besonders schwere Krankheit sei, lag in beiden Gruppen bei 35 % [30]. Ursachen für die in der vorliegenden Arbeit gefundenen rückläufigen Impfquoten können allerdings im Rahmen dieser Arbeit nicht benannt werden.
Unsere Analysen weisen darauf hin, dass das Impfverhalten stark durch die Inanspruchnahme der hausärztlichen Versorgung (58,7 % mit vs. 24,8 % ohne hausärztliche Versorgung) geprägt wird. Hausärzte spielen eine primäre Rolle hinsichtlich der Impfmotivation [14, 16]. Patienten mit chronischen Erkrankungen sowie in bPA-Einrichtungen lebende Patienten sollten über den Nutzen der Impfung im Vergleich zum Risiko der Krankheit aufgeklärt werden, um die Entscheidungsfindung zu unterstützen [30, 31].
Deutliche regionale Unterschiede in den Influenzaimpfquoten zeigen sich konsistent in allen Studienkohorten. In den neuen Bundesländern waren die Impfquoten über die Untersuchungszeiträume durchgängig höher als in den alten Bundesländern. Die Ost-West-Unterschiede der Influenzaimpfquoten könnten auf historische Gegebenheiten (Impfpflicht vs. Impfempfehlung) zurückgeführt werden, welche sich in der Inanspruchnahme der Influenzaimpfung widerspiegeln. Für die Influenzaimpfquoten in den KVen Bayerns und Baden-Württemberg liegt wahrscheinlich eine Unterschätzung vor. Die Daten der im Rahmen der sogenannten hausarztzentrierten Versorgung (HzV) behandelten Patienten sind nicht Bestandteil der verwendeten Datengrundlage. Im Rahmen der KV-Impfsurveillance zeigte sich bei den über 60-Jährigen bereits ein rückläufiger Trend. Der abnehmende Trend der Inanspruchnahme von Influenzaimpfungen zeigt sich ebenso bei in bPA-Einrichtungen versorgten Patienten [11, 32, 33].
Von den europäischen Ländern wurde der Influenzaimpfschutz in den höheren Altersgruppen (entsprechend den Empfehlungen des jeweiligen Mitgliedstaates z. B. ≥59, ≥60 oder ≥65 Jahre) für die Saison 2012/2013 an das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) gemeldet. Die Impfquoten in den Ländern variierten von 1–77,4 % (Median: 44,7 %). Die höchsten Impfquoten wurden von den Niederlanden (77 %) und England (74 %) gemeldet [34]. In den USA belief sich die Impfquote der Saison 2015/2016 bei den über 65-Jährigen auf 63,4 %, was im Vergleich zu der Saison 2014/2015 einen Rückgang um 3,3 % bedeutet [35]. Internationale Studien zeigen Impfquoten von ca. 80 % bis über 90 % für Patienten in bPA-Einrichtungen – Kanada (92 %; [20]), Frankreich (80,8–91 %; [36, 37]), USA (76,2 %; [38]).
Im internationalen Vergleich zeigen sich in dieser Untersuchung für Deutschland niedrigere Impfquoten in den Studienkohorten der in bPA-Einrichtungen vertragsärztlich versorgten Patienten, welche auch im Zeitverlauf rückläufig sind. In anderen europäischen Ländern zeichnet sich ein ähnliches Bild für ältere Patienten ab [39]. Unterschiedliche nationale Studien beobachteten seit der pandemischen Influenzasaison 2009/2010 eine Abnahme der Impfquoten. Die kontroversen Diskussionen über Sicherheit und Wirksamkeit einer Impfung könnten die Impfbereitschaft in der Bevölkerung negativ beeinflusst haben [30].
Die Auswertung der Studienkohorten gibt erste Hinweise auf die Abdeckung der Influenzaimpfungen. Die gewählte Methodik lässt jedoch keine vollständigen Aussagen bezogen auf alle Patienten in bPA-Einrichtungen zu. Vor dem Hintergrund, dass jedem Patienten in bPA-Einrichtungen eine Influenzaimpfung empfohlen wird, deren Nutzen die Risiken deutlich überwiegt, sofern keine Kontraindikation vorliegt, lassen die anhand unserer Beobachtung ermittelten Impfquoten einen Nachholbedarf vermuten, bezogen auf die durch die Europäische Kommission geforderte 75 %-Abdeckung.
Stärken und Limitationen
Die verwendeten Routinedaten der vorliegenden Studie bilden erstmals die krankenkassen- und regionalübergreifenden Influenzaimpfquoten von vertragsärztlich versorgten Patienten in bPA-Einrichtungen ab. Auch wenn es sich hier lediglich um eine Subgruppe aller Patienten in bPA-Einrichtungen handelt, können erste Eindrücke zum Impfgeschehen auf dieser Basis gewonnen werden. Die Arbeit leistet einen Beitrag, die Umsetzung von Influenzaimpfempfehlungen in bPA-Einrichtungen auch im zeitlichen Verlauf abzuschätzen. Bisher lagen keine Studien von Influenzaimpfquoten von Patienten in Alten- und Pflegeheimen in diesem Umfang und über einen solchen Zeitverlauf vor.
Die Analysen beziehen sich auf einen Zeitraum von 6 Jahren und erlauben die Beurteilung der Entwicklung des Impfgeschehens für die Subgruppe der in bPA-Einrichtungen vertragsärztlich versorgten Patienten. Eine Einschränkung der vorliegenden Studie liegt in der grundsätzlichen Begrenzung der Aussagefähigkeit von Routinedaten, welche nicht primär für Forschungszwecke erfasst werden und somit mehrere Schwächen aufweisen. So können Influenzaimpfungen möglicherweise im stationären Umfeld aufgrund eines Krankenhaus- und/oder Rehabilitationsaufenthaltes erfolgt und deshalb nicht in die Daten eingeflossen sein. Zudem sind die Ergebnisse abhängig von der Definition und Auswahl der untersuchten Grundgesamtheit sowie der Operationalisierung der Zuordnung von in bPA-Einrichtungen versorgten Patienten. Mit der gewählten Operationalisierung wurde eine inhaltlich medizinisch abgeleitete, transparente und über den Untersuchungszeitraum konstante Kohortenbildung angestrebt, um eine möglichst valide Schätzung der Grundgesamtheit von in bPA-Einrichtungen versorgten Patienten, auch im Zeitverlauf, zu erreichen. Durch die Abrechnung der Besuchspauschale über mindestens 2 Quartale des Aufgreifjahres hinweg wird sichergestellt, dass beispielsweise Patienten in der Kurzzeitpflege nicht eingeschlossen sind. Eine weitere Absicherung, dass die Patienten mindestens eine ambulante Leistung in der Impfsaison erhalten haben, stellte sicher, dass diese sich während der Impfsaison in der bPA-Einrichtung befanden.
Verglichen mit den öffentlichen Statistiken zur Anzahl der vollstationären Pflegeheimplätze ergibt sich für die Jahre 2011, 2013 und 2015 eine durchschnittliche Abdeckung von ca. 56 %. Zum Teil lässt sich die Differenz zur Anzahl der vollstationären Pflegeheimplätze von 44 % dadurch erklären, dass durch die gewählte Operationalisierung zur Zuordnung von Patienten in bPA-Einrichtungen solche Patienten, die in bPA-Einrichtungen leben, deren Inanspruchnahme der vertragsärztlichen Versorgung aber rein in Praxen erfolgt, nicht berücksichtig werden. Zu beachten ist zudem, dass Altenheime oder andere Wohnformen in die öffentlichen Statistiken der vollstationären Pflegeheimplätze nicht eingehen, sodass der Anteil der Studienkohorte an der wahren Anzahl der in Alten- und Pflegeeinrichtungen lebenden Menschen noch deutlich geringer sein wird. Zudem werden privat krankenversicherte Patienten sowie Patienten in regionalen Selektivverträgen und/oder Verträgen der HzV ebenfalls nicht in den vorliegenden Routinedaten erfasst [25].
Fazit
Die vorgestellten Impfquoten aus der Routinedatenerhebung geben die Möglichkeit, erste Erkenntnisse zu in bPA-Einrichtungen vertragsärztlich versorgten Patienten zu erhalten. Die Ergebnisse zeigen eine Abnahme der Impfquoten von der Impfsaison 2010/2011 bis zur Impfsaison 2015/2016 um 3,7 Prozentpunkte. Weiterhin zeigten sich Hinweise auf einen Zusammenhang hinsichtlich der strukturellen Versorgungsunterschiede und der Inanspruchnahme von Influenzaimpfungen. Für die untersuchte Gruppe wurden die Empfehlungen der Europäischen Kommission zu einer Influenzaimpfquote von 75 % bisher nicht erreicht.
Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit von weiteren gesundheitspolitischen Maßnahmen und einer verstärkten Verbreitung von Gesundheitsinformationen zur Erhöhung der Impfbereitschaft und verbesserten Umsetzung von Impfungen in bPA-Einrichtungen. Dies ist erforderlich, um Morbidität, Mortalität und sensitive Krankenhauseinweisungen aufgrund vermeidbarer Influenzaerkrankungen zukünftig weiter zu verringern.
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Kurch-Bek, D., Gallowitz, C., Tenckhoff, B. et al. Influenzaimpfquoten von Patienten mit vertragsärztlicher Versorgung in beschützenden Einrichtungen, Pflege- und Altenheimen . Bundesgesundheitsbl 62, 84–93 (2019). https://doi.org/10.1007/s00103-018-2854-4
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00103-018-2854-4
Schlüsselwörter
- Routinedaten
- Influenzaimpfquoten
- Versorgung in institutionellen Einrichtungen
- Ältere
- Ambulante Versorgung