Skip to main content

Gestohlene Zeit

  • Chapter
  • First Online:
Mutterschaft und Wissenschaft
  • 3080 Accesses

Zusammenfassung

Gestohlene Zeit: Es sind Textfragmente, oft nachts geschrieben, in jeder freien Minute – kostbare Zeit, die dann an einer anderen Stelle fehlt. Dieses Text-Mosaik ist eine deutsch-französische Collage mit Auszügen aus meinem Tagebuch und aus den Gedichten, die ich geschrieben habe, seitdem meine Kinder auf der Welt sind. Das kreative Schreiben hilft mir, etwas innezuhalten und dem ständigen Spagat, dem ich mein Leben als Mutter und Wissenschaftlerin bisher unterworfen habe, nachzuspüren. Ich bin Französin, zweifache Mutter, mit einem ostdeutschen Mann verheiratet, Wissenschaftlerin, Hochschulmanagerin. Aber auch: Klavierspielerin, leidenschaftliche Zeitungsleserin und Kinogängerin, mit einem Faible für Yoga und Ayurveda.

In Frankreich geboren und aufgewachsen, bin ich mit rund 20 Jahren nach (Ost-)Deutschland gekommen. Nach einer Promotion über die ostdeutsche Frauenliteratur in Leipzig habe ich in Stuttgart meine beiden Kinder zur Welt gebracht. Nach einer kurzen Zwischenstation im Ruhrgebiet arbeite ich jetzt im „Osten“. Meine Kinder, in Deutschland großgeworden, sind ein Jahr lang in Frankreich zur Grundschule gegangen.

Diese Textfragmente sind auch der Versuch, diesen Spagat produktiv zu machen. Wie drückt Sprache interkulturelle Unterschiede aus? „Rabenmutter, Schlüsselkinder und Feierabend“ – Wörter, die es auf Französisch nicht gibt. Ich gehe auf französische und deutsche Erziehungsstile ein, auf das Frau- und Muttersein in Frankreich und Deutschland, sowie auf Rollenbilder von Müttern in Ost- und Westdeutschland. Es sind vielschichtige Perspektiven, die sich zum Teil überlagern und auch Vergleiche ermöglichen.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this chapter

eBook
USD 19.99
Price excludes VAT (USA)
  • Available as EPUB and PDF
  • Read on any device
  • Instant download
  • Own it forever
Softcover Book
USD 29.99
Price excludes VAT (USA)
  • Compact, lightweight edition
  • Dispatched in 3 to 5 business days
  • Free shipping worldwide - see info

Tax calculation will be finalised at checkout

Purchases are for personal use only

Institutional subscriptions

Similar content being viewed by others

Notes

  1. 1.

    Dt.: Wir haben das Wochenende mit meiner Schwägerin, ihrem Mann und ihren Töchtern in der Jugendherberge in Thale verbracht. Als ich am Samstagabend die Köchin nach etwas Milch für die Kinder für den nächsten Morgen fragte, entgegnete sie: „Ich denke, dass eine Mutter von zwei Kleinkinder so etwas vorhersehen und einkalkulieren sollte.“ Sie sagte mir das geradezu ins Gesicht, so als sagte sie, ich sei eine schlechte Mutter. Dabei tue ich mein Bestes, um alle meine Leben gleichzeitig unter einen Hut zu bekommen. Was weiß sie denn über mein Leben? Und von den Herausforderungen, denen ich mich ständig stellen muss?

    Dass meine Organisationsfähigkeiten in Frage gestellt werden, merke ich immer wenn ich diese oder jene Sache für die Kinder vergesse: nicht genug warme Sachen oder Hausschuhe für Théo. Die Kinder meiner Schwägerin sind immer tadellos angezogen, meine laufen oft mit zu kleinen Mützen (Emma) oder drei Tage in derselben Strumpfhose (Théo) herum. Die Cousinen haben Bademäntel, meine dagegen haben Glück, wenn ich daran denke, ein Handtuch für sie mitzunehmen. Die Cousinen haben Wanderschuhe, Théo seine vollkommen verdreckten Sportschuhe. Ich würde diesen Vergleichen gern weniger Bedeutung beimessen, aber ich kann nicht.

    Es hat mir das Herz gebrochen, Thomas mit den Kindern im Zug wegfahren zu lassen. Ich beneide alle Leute, die diesen Feiertag mit ihren Kindern verbringen können. Ich fühle mich zerrissen zwischen meiner Arbeit und meiner Familie. Jeder Moment ist ein gestohlener Moment, sei es der Familie, sei es meinem Beruf. Ich sollte mich wieder an die Arbeit machen, aber ich kann nicht. Ich kann aber auch nicht mehr mit den Kindern meiner Freundin spielen, bei denen ich in Magdeburg wohne – das würde mich zu sehr an meine Kleinen erinnern, die mir so fehlen.

    Es scheint mir, als hole das auch jeden vergangenen Abschiedsschmerz wieder hervor. Ich denke an meine eigene Mutter, die mir sagt, dass das Haus in Metz „recht leer“ ist, nachdem wir ausgezogen sind. Heute Abend bin ich empfänglich für die Erinnerungen von Orten, für Erinnerungen, die in Böden, Wänden und Möbeln wohnen.

    Es wird Zeit, dass das Semester zu Ende ist, diese Pendelei ist unerträglich. Noch 5 Wochen.

    Als ich heute Morgen das Zimmer sauber machte, hatte ich eine heftige Auseinandersetzung mit Théo. Ich habe ihm verboten mit dem Besen zu spielen bevor er seine Schuhe anzieht. Er hat geschrien, geweint und mich mit sehr viel Unverständnis angesehen. Ich war zu sehr von meinem eigenen Schmerz eingenommen, um seinen zu sehen. Ich habe Angst, die dünnen Fasern unserer Bindung zu zerstören. Ich habe Angst, irreparablen Schaden anzurichten. Ich habe Angst, ein für alle Mal ihre Entwicklungsschritte zu verpassen. (Übersetzung: Sarah Czerney)

Literatur

  • Cyrulnik B (2019) Préparer les petits à la maternelle. Odile Jacob, Paris

    Google Scholar 

  • Gibran K (2003) Der Prophet. Deutscher Taschenbuch Verlag, München

    Google Scholar 

  • Woolf V (1957) A room of one’s own. Harcourt, Brace & World, New York

    Google Scholar 

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Anne Lequy .

Editor information

Editors and Affiliations

Rights and permissions

Reprints and permissions

Copyright information

© 2020 Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature

About this chapter

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this chapter

Lequy, A. (2020). Gestohlene Zeit. In: Czerney, S., Eckert, L., Martin, S. (eds) Mutterschaft und Wissenschaft. Springer, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-658-30932-9_13

Download citation

  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-30932-9_13

  • Published:

  • Publisher Name: Springer, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-658-30931-2

  • Online ISBN: 978-3-658-30932-9

  • eBook Packages: Business and Economics (German Language)

Publish with us

Policies and ethics