Die Wirbelsäule 2023; 07(01): 11-12
DOI: 10.1055/a-1519-8117
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Kraniozervikale sagittale Balance und zervikaler Bandscheibenersatz

Bastian Storzer
1   Wirbelsäulenzentrum, Schön Klinik München Harlaching, München, Deutschland
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Auch im Bereich der Halswirbelsäule werden zunehmend in den letzten insbesondere 10 Jahren sagittale Parameter untersucht.

Die horizontale Ausrichtung des Kopfes ist eine wesentliche Aufgabe der Halswirbelsäule und damit ist ihr Alignment u.a. auch von der Stellung der Brustwirbelsäule abhängig. Insbesondere der T1 Winkel bestimmt dies mit und damit auch die zervikale Lordose [1].

Einen Einfluss des sagittalen Profils auf Operationsergebnisse zeigt sich zervikal bisher a.e. bei Laminoplastien. Hier gibt es vermehrt Hinweise, dass sich Patienten mit mehr Kyphose schlechter erholen [2]. Was sich natürlich auch durch das Operationsverfahren im Sinne der indirekten Dekompression mit Myelonshift gut erklären lässt.

Für andere Operationsverfahren gibt es diesbezüglich keine klare Evidenz.

Seit die Bandscheibenprothetik zunehmend angewandt wird, haben sich viele Studien mit sagittalem Alignment und Prothese auseinandergesetzt. Ein Zusammenhang zwischen sagittalem Profil und klinischem Outcome konnte bisher aber nicht nachgewiesen werden.

Da die kraniozervikalen Parameter in vielen Studien nicht eingeschlossen sind, gingen Yi-Wei Shen et al. der Frage nach, ob es einen Zusammenhang der kraniozervikalen Parameter mit dem klinischen Outcome nach Prothesenimplantation gibt.

Untersucht wurden 169 Patienten, die, aufgrund einer degenerativen Radikulopathie oder Myelopathie, entweder eine single-level oder zwei-level Prothese bekamen. Neben klinischen wurden auch radiologische Parameter erfasst.

Ein klinischer Zusammenhang mit dem zervikalen Alignment konnte nicht nachgewiesen werden. Es zeigte sich aber eine Korrelation des präoperativen zervikalem SVA mit der Progression einer Anschlussdegeneration, was auch in anderen Studien gezeigt werden konnte [3] [4].

Des Weiteren zeigte sich bei single-level Prothesen eine signifikante Zunahme der Lordose allerdings bei zwei-level Prothesen nur ein Trend ohne Signifikanz hierzu. Eventuell kann das an der deutlich kleineren Patientenanzahl liegen (52 zwei-level vs. 117 ein-level).

Da die Operationen allerdings alle von einem Chirurgen durchgeführt wurden, wird es nicht einfach die Anzahl der Eingriffe weit zu erhöhen.

Die Autoren fanden bei Patienten mit höherem C2 Winkel und konsekutiv größerem zervikalem SVA eine niedrigere Beweglichkeit im Indexlevel sowie eine geringere Lordose postoperativ allerdings war die Verbesserung der Lordose signifikant größer.

Sie schließen daraus, dass diese Patienten eventuell besonders von einer Prothese profitieren.

Diese Schlussfolgerung kann als Anregung aufgefasst werden, allerdings besteht hierfür keine Evidenz, da sich dies auch klinisch nicht niederschlägt.

Insgesamt war der Nachbeobachtungszeitraum relativ kurz. Insbesondere Anschlussdegenerationen brauchen einen längeren Zeitraum, um klinisch sichtbar zu werden. Dies wird von den Autoren auch in den limitations aufgeführt.

Ein weiteres bekanntes Problem bei Arbeiten über zervikale Bandscheiben-Prothesen ist die Variabilität der Implantate, die z.T. eine komplett unterschiedliche Biomechanik haben und ein sehr variables Implantat abhängiges Fehlerpotenzial haben.

Bei der Diskussion im Rahmen dieser Arbeit fallen v.a. 2 Probleme auf:

  1. Die Daten zu lumbalen bzw. thorakolumbalen Deformitäten sind wesentlich weiter, was eventuelle Zielwerte betrifft. Das zervikale Alignment ist sehr viel variabler und es kann durchaus auch eine kyphotische zervikale Stellung als physiologisch gelten, insbesondere bei niedrigem T1 Winkel.
    Da eine idealer Lordosewinkel nicht klar definiert ist, kann eine (Re-) Lordorsierung nicht immer das richtige Ziel eines operativen Eingriffs sein.

  2. Bis auf bei kyphotischen Deformitäten, z.B. im Rahmen einer OPLL, gibt es bisher keine Korrelation des zervikalen Alignments mit postoperativem Outcome und es ist nicht klar, inwieweit Überlegungen hierzu in der präoperativen Planung eine Konsequenz haben.

Zusammenfassend ist die hier vorliegende Studie interessant aber insgesamt u.a. bei kleiner Patientenzahl und kurzem Follow-up wohl ohne klinische Konsequenz.

Um mehr Aussagekraft zu gewinnen, sollten die Daten evtl. auch im Rahmen von Multicenter Studien gesammelt werden.



Publication History

Article published online:
27 February 2023

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  • Literatur

  • 1 Staub BN, Lafage R, Kim HJ. International Spine Study Group. et al. Cervical mismatch: the normative value of T1 slope minus cervical lordosis and its ability to predict ideal cervical lordosis. J Neurosurg Spine 2018; 30: 31-37 DOI: 10.3171/2018.5.SPINE171232.
  • 2 Sakai K, Yoshii T, Arai Y. et al. Impact of preoperative cervical sagittal alignment for cervical myelopathy caused by ossification of the posterior longitudinal ligament on surgical treatment. J Orthop Sci 2022; 27: 1208-1214 DOI: 10.1016/j.jos.2021.08.006.
  • 3 Okada E, Matsumoto M, Ichihara D. et al. Does the sagittal alignment of the cervical spine have an impact on disk degeneration? Minimum 10-year follow-up of asymptomatic volunteers. Eur Spine J 2009; 18: 1644-1651 DOI: 10.1007/s00586-009-1095-5.
  • 4 Faldini C, Pagkrati S, Leonetti D. et al. Sagittal segmental alignment as predictor of adjacent-level degeneration after a cloward procedure. Clin Orthop Relat Res 2011; 469: 674-681 DOI: 10.1007/s11999-010-1614-z.