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Von ARMIN bis zu Arzneimittelvereinbarungen

Dass Arzneimittelsteuerung vielfältig und unterschiedlich effizient sein kann, hat bereits der erste Beitrag in der Reihe zur regionalen Arzneimittelsteuerung gezeigt. Um die Ärzte in einer wirtschaftlichen Verordnungsweise zu unterstützen, gibt es neben den regionalen Arzneimittelvereinbarungen aber weitere Möglichkeiten und Modelle. Im Folgenden werden der KBV-Medikationskatalog und das Versorgungsmodell ARMIN näher betrachtet, hinsichtlich der Steuerungseffekte bewertet und die Überschneidungen der beiden Instrumente aufgezeigt.

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Erstveröffentlichungsdatum: 01.10.2018

Zitationshinweis: Pieloth, K., Luley, C.: „Von ARMIN bis zu Arzneimittelvereinbarungen“, in: „Monitor Versorgungsforschung“ (05/18), 14-15; doi: 10.24945/MVF.05.18.1866-0533.2094

Plain-Text

>> Der Medikationskatalog der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) soll Vertragsärzte bei einer evidenzbasierten, patientenorientierten, wirtschaftlichen und indikationsgerechten Verordnungsentscheidung unterstützen. Er besteht aus 12 Gruppen mit insgesamt 20 Indikationen und wurde zum 01.01.2017 um die beiden Gruppen Asthma und COPD erweitert. Als Entscheidungshilfe für den Arzt werden die darunter gefassten versorgungsrelevanten Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen nach definierten, evidenzbasierten Kriterien in die drei Kategorien Standard-, Reserve- oder Nachrangig zu verordnende Wirkstoffe eingeordnet (vgl. KBV, 2016). Ursprünglich für die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) entwickelt, kann der Katalog auch zur Steuerung der Arzneimittelversorgung herangezogen werden. Diese Möglichkeit wurde mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz geschaffen, nach dem die Richtgrößenprüfung als Regelprüfmethode durch regionale Prüfvereinbarungen nach § 106b SGB V abgelöst werden kann. Bereits seit Januar 2017 sind in einigen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) Zielquoten über den Medikationskatalog Bestandteil der regionalen Arzneimittelvereinbarungen. Die fünf KVen Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein sowie Sachsen und Thüringen, haben auch in 2018 Quoten über den Medikationskatalog implementiert. In Sachsen und Thüringen ist dieser zudem Bestandteil des ABDA-KBV-Modells ARMIN, das mit seinen drei Modulen für eine sichere und noch bessere Arzneimittelversorgung steht und in diesem Beitrag ebenfalls erläutert wird.
Steuerung mit dem
Medikationskatalog
Für die Erfüllung der Quote über den Medikationskatalog in den fünf KVen zählt allerdings nicht die korrekte Wirkstoffauswahl aus den drei Kategorien je Indikation, sondern die Erfüllung der Mindest- oder Höchstquote bezogen auf Standard-, Reserve- und Nachrangig zu verordnende Wirkstoffe über den gesamten Medikationskatalog. Eine Ausnahme ist Sachsen mit einer Quote zur Indikation Osteoporose, die lediglich für Orthopäden relevant ist. Abbildung 1 zeigt den Ist-Anteil an Standard- und Reservewirkstoffen des Medikationskataloges für Allgemeinärzte/praktische Ärzte je KV-Region. Es fällt auf, dass sich die Quoten von Q2/2017 auf Q2/2018 kaum verändert haben und für die betrachtete Facharztgruppe wenige regionale Unterschiede zu erkennen sind. Die beiden Regionen Sachsen und Thüringen können mit der Kombination aus Zielquoten über den Medikationskatalog und dem Versorgungsmodell ARMIN den Anteil an Standard- und Reservewirkstoffen im Vergleich zu anderen Regionen immerhin leicht erhöhen. Generell scheint aber eine Steuerung über diese breite Gruppendefinition schwierig und ist, zumindest in diesem Beispiel, nicht klar erkennbar.
ARMIN: Optimierung der
Arzneimittelversorgung
Die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) wurde als Modellvorhaben nach § 64a SGB V im April 2014 vom Sächsischen und Thüringer Apothekerverband, der KVen Sachsen und Thüringen sowie der AOK PLUS ins Leben gerufen. In drei nacheinander ausgerollten Modulen soll ARMIN eine sichere und korrekte Einnahme der Medikamente fördern und die Therapietreue von chronisch kranken Patienten im Rahmen eines gemeinsamen Medikationsmanagements von Arzt und Apotheker verbessern. In Modul 1, der sogenannten Wirkstoffverordnung, sollen teilnehmende Ärzte statt spezifischer Präparate den Wirkstoff verordnen. Die konkrete Auswahl des Produktes erfolgt in der Apotheke unter Berücksichtigung bestehender Rabattverträge. Ziel ist es, Einsparpotenziale zu erschließen, ohne die Therapiequalität zu gefährden. Ebenfalls positive Effekte soll die Wirkstoffverordnung auf die Adhärenz der Patienten haben, die den verordneten Wirkstoff sowohl auf dem Rezept als auch auf der von der Apotheke abgegebenen Packung wiedererkennen. Seit dem Juli 2014 ist die Wirkstoffverordnung für rund 200 ausgewählte verordnungsstarke Wirkstoffe aus dem Generikasegment möglich.
Die Wirkstoffverordnungen im Generikasegment haben nach Start des Modells innerhalb weniger Quartale Anfang 2016 ein Maximum von etwas mehr als 335.000 Verordnungen erreicht. Dies entspricht einem Anteil von 6,3 Prozent an allen Generika-Verordnungen der AOK Plus in Sachsen und Thüringen. In den letzten beiden Jahren liegt der Anteil an Wirkstoffverordnungen bei Generika relativ konstant bei etwa 4 Prozent (vgl. Abb. 2). Zahlen, die auch zu den bisherigen Veröffentlichungen über ARMIN passen, in denen vor allem die geringe Anzahl an eingeschriebenen Ärzten thematisiert wird. Obwohl beispielsweise Wirkstoffverordnungen für Patienten, die in das Modellprojekt eingeschrieben sind, herausgerechnet werden und so das ärztliche Budget nicht belasten, ist die Teilnahmebereitschaft nach wie vor gering. Die Pharmazeutische Zeitung berichtete vor etwa einem Jahr von 555 teilnehmenden Ärzten und die ABDA kürzlich von 3.500 eingeschriebenen Versicherten, bei einem Potenzial von ca. 3,2 Mio. Versicherten in der AOK Plus. Eine externe Evaluation nach § 27 Absatz 1 des ARMIN-Vertrages schließt auch das Modul 1 ein. Welche Erklärungen diese liefert und welche Maßnahmen zur Verbesserung bei einer Übernahme in die kollektivvertragliche Versorgung getroffen werden, bleibt abzuwarten. Denn die Mitteilung zum Auswahlverfahren für die Evaluation wurde erst im August dieses Jahres veröffentlicht.
Die Wirkstoffverordnung ist aber nur eines von drei Modulen, die die fünf Vertragspartner bis Ende März 2022 fortführen können. Modul 2 beinhaltet den von der KBV erarbeiteten und eingangs beschriebenen Medikationskatalog. Laut ARMIN-Vertrag, Anlage 10, sind teilnehmende Ärzte angehalten, entsprechend den Empfehlungen aus dem Medikationskatalog wenn möglich Standard- und Reservewirkstoffe zu verordnen. Innerhalb eines Wirkstoffes soll bevorzugt ein im Praxisverwaltungssystem (PVS) als rabattiert gekennzeichnetes Fertigarzneimittel verordnet werden, nach Möglichkeit mit Hilfe einer Wirkstoffverordnung. Die Umsetzung des Medikationskatalogs im PVS der teilnehmenden Ärzte erfolgt mit Hilfe einer IT-Vertragsschnittstelle. Hier sind bei Verordnungen für AOK Plus-Versicherte ergänzend zur Darstellung des Medikationskatalogs farbliche Kennzeichnungen für Arzneimittel hinterlegt. Beispielsweise sind patentfreie Arzneimittel, für die die AOK Plus Rabattverträge abgeschlossen, hat grün markiert. Blau gekennzeichnet sind patentgeschützte (und/oder biotechnologisch hergestellte) Arzneimittel, die bei der Kasse ebenfalls unter Rabattvertrag stehen. Dem Arzt wird zum Erreichen der vereinbarten Vertragszwecke empfohlen, im Rahmen der bestehenden Therapiefreiheit bevorzugt grün hinterlegte Arzneimittel oder direkt den Wirkstoff zu verordnen. Zudem sind, wie bereits oben beschrieben, indikationsübergreifende Zielquoten für den Verordnungsanteil an Standard- und Reserve-Wirkstoffen in den Arzneimittelvereinbarungen beider KVen festgelegt.
Modul 3: Medikations-Management bei ARMIN
Mit dem Medikationsmanagement wird seit Juli 2016 und mit einer starken zeitlichen Verzögerung aufgrund technischer Herausforderungen das dritte Modul und Herzstück von ARMIN umgesetzt. Die Überprüfung der Gesamtmedikation (einschließlich der Selbstmedikation) hat zum Ziel, die Arzneimitteltherapiesicherheit bei multimorbiden Patienten zu optimieren und die Therapietreue der Patienten zu verbessern. Arzt und Apotheker als gleichberechtigte Partner mit definierten Aufgaben und dezidierten Zuständigkeiten garantieren einen zwischen den Leistungserbringern konsolidierten Medikationsplan in elektronischer Form, der während der gesamten Teilnahme fortgeschrieben wird. So wurde das Modellprojekt in diesem Jahr gleich mit zwei Auszeichnungen belohnt, u.a. beim Bundeswettbewerb „Ausgezeichnete Gesundheit 2018“ in Berlin als herausragendes Beispiel in der Kategorie „Versorgung mit Sicherheit“.
FAZIT
ARMIN ist ein gutes Beispiel für ein Pilotprojekt, das bis dato in einigen der ursprünglich von den Projektpartnern formulierten Erwartungen zurückgeblieben ist. So sind die geringen Quoten bei den Wirkstoffverordnungen sowie die immer noch überschaubare Zahl an eingeschriebenen Ärzten und Patienten sicher nicht zufriedenstellend. Die im Rahmen des Projektes entwickelten Module mit ihren innovativen Ansätzen strahlen allerdings bereits jetzt über die Ursprungsregionen Thüringen und Sachsen hinaus. Beispielsweise haben, wie eingangs beschrieben, drei weitere KVen den Medikationskatalog aus Modul 2 in ihre aktuellen Arzneimittelvereinbarungen übernommen. Und obschon die direkten Steuerungseffekte der Quoten bisher eher gering ausfallen, geben sie den verordnenden Ärzten in 22 wichtigen Indikationen eine nach Maßgabe der KBV qualitätsgesicherte und evidenzbasierte Orientierungshilfe. Und nicht zuletzt gilt der im Sommer 2016 gestartete Medikationsplan mit den hierzu definierten Prozessen als Vorbild für die breite Umsetzung eines elektronischen Medikationsmanagements in der Regelversorgung. Denn obwohl seit Oktober 2016 alle gesetzlichen Versicherten mit einer dauerhaften und gleichzeitigen Medikation von mindestens drei systemisch wirkenden Arzneimitteln den gesetzlichen Anspruch auf einen Medikationsplan haben, liegt dieser bisher nur in Papierform vor. Dagegen bietet ARMIN die Möglichkeit, neue Ansätze im Arzneimittelmanagement in realita zu testen. Das Modell gab und gibt somit wichtige Impulse für andere Regionen und Initiativen in der Arzneimittelversorgung und erfüllt damit durchaus den originären Zweck eines Pilotprojektes. <<
Autoren:
Kathrin Pieloth,
Christian Luley*

* INSIGHT Health ([email protected]); Literatur bei den Verfassern

 

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