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Zielgerichtete Onkologika: Innovation und Umsatzgarant

Zytostatika sind seit vielen Jahren das Mittel der Wahl in der onkologischen Therapie. Ergänzt werden sie seit gut 20 Jahren durch Biologika und weitere spezifische Wirkstoffe, die als wichtige Behandlungsalternative für einige der mittlerweile über 200 identifizierten verschiedenen Krebsarten zu sehen sind. Die neuen, sogenannten zielgerichteten Therapien lassen die Umsätze für pharmazeutische Unternehmen in der Onkologie, aber auch die Kosten für die Versichertengemeinschaft in der GKV deutlich steigen. In welchem Umfang zeigt dieser Überblick zum Markt der Onkologika und insbesondere der Targeted Therapies.

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Erstveröffentlichungsdatum: 02.04.2020

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>> In der Therapie von Tumorerkrankungen werden neben Operation und Strahlentherapie Arzneimittel aus zahlreichen Wirkstoffklassen eingesetzt. Deren Auswahl ist abhängig von der Tumorentität, den Vortherapien und des Zustands der Patienten, so dass sich höchst individuelle Therapieverläufe ergeben. Auch Kombinationen aus verschiedenen Onkologika spielen zusammen mit der supportiven Therapie zur Vorbeugung und Behandlung von Nebenwirkung eine wesentliche Rolle in der Behandlung von Krebserkrankungen. Laut der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie undMedizinische Onkologie e.V. (DGHO) finden Zytostatika seit den 60er und 70er Jahren Einsatz bei der Behandlung bösartiger Blutkrankheiten und solider Tumore. Die Deutsche Krebsgesellschaft (DKG) spricht von mehr als 50 verschiedenen, die Zellteilung hemmenden Medikamenten, die zur Chemotherapie eingesetzt und durch deren Kombination möglichst viele Tumorzellen in den unterschiedlichen Phasen des Zellzyklus eliminiert werden. Zytostatika wie Alkylanzien, Antimetabolite, Anthrazykline, Taxane und Vincaalkaloide sind deshalb vor allem für metastasierende oder sehr große Tumore oft die einzige Therapieoption. Aus der pharmakologischen Wirkung, nämlich der Zytotoxizität, ergeben sich auch die Nebenwirkungen, die unspezifisch andere sich schnell teilende Zellen bspw. der Mundschleimhaut oder des Knochenmarks betreffen. Anders als Zytostatika richten sich neuere Arzneimittel gezielt gegen Merkmale der Tumorzelle, um Signale oder Signalwege, die das Tumorwachstum verstärken, zu blockieren. Basis dieser zielgerichteten Krebstherapie sind molekular-genetische Untersuchungen von Tumorgewebe oder Blut, mit denen die jeweils relevanten Biomarker identifiziert werden können.
Onkologika: 17% Umsatzanteil am Gesamtmarkt
Der Markt für Onkologika hat sich aufgrund der Zulassung vieler neuer Arzneimittel deutlich verändert. Lag die Anzahl der im ambulanten GKV-Markt verordneten DDD von Antineoplastika und cytostatischen Hormonen (ATC2-Klassen L01 und L02 nach EphMRA) in 2013 noch bei 193,65 Mio., stieg diese im letzten Jahr auf 233,75 Mio. DDD an. Hingegen bleibt der DDD-Anteil bezogen auf den gesamten ambulanten GKV-Markt über den kompletten Betrachtungszeitraum mit ca. 0,5% relativ konstant. Ungeachtet der absoluten Mengenausweitung stehen Onkologika für eine deutliche Zunahme des Umsatzes im ambulanten GKV-Markt. Wurde mit Antineoplastika und cytostatischen Hormonen in 2013 noch ein Umsatz von 3,97 Mrd. Euro erzielt, so waren es in 2019 schon 8,09 Mrd. Euro –dies entspricht einer Steigerung von mehr als 100%. Auch anteilig wachsen die Umsätze im Betrachtungszeitraum. Hatten die Onkologika in 2013 noch einen Umsatzanteil von 11,3% am gesamten ambulanten GKV-Markt, steigt dieser in 2019 bereits auf 17% (Quelle: ambulante GKV-Abrechnungsdaten für Fertigarzneimittel und Zubereitungen, INSIGHT Health).
Welche Bedeutung die neuen zielgerichteten Therapien haben, zeigt sich bei einer Betrachtung der DDD und Umsätze der einzelnen ATC3-Klassen. Während monoklonale Antikörper (mAB), Proteinkinase-Inhibitoren (PKI) und andere antineoplastische Mittel (ATC3-Klassen L01G, L01H und L01X nach EphMRA) am dargestellten Markt der Onkologika insgesamt nur 17,6% der in 2019 verordneten DDD auf sich vereinen, machen diese gleichzeitig einen Umsatzanteil von 73,3% aus. Mit 5,93 Mrd. Euro liegt die Gruppe somit deutlich über allen anderen ATC3-Klassen. Im Gegensatz dazu entfällt zwar mit 67,7% der verordneten DDD ein Großteil auf cytostatische Hormone und Hormon-antagonisten (ATC3-Klassen L02B und L02A nach EphMRA), allerdings wird hier lediglich 13,0% des Umsatzes generiert. Das entspricht im letzten Jahr einem Gesamtwert von 1,05 Mrd. Euro (vgl. Abb. 1). Auch die Kosten je DDD zeigen diese Differenzen hervorragend auf. So betragen diese bei monoklonalen Antikörpern nach Apothekenverkaufspreis rund 180 Euro, wobei im Gegensatz dazu nur knapp 5,50 Euro je DDD für cytostatische Hormone anfallen.
Targeted Therapies im Fokus
Arzneimittel zur zielgerichteten Therapie, sogenannte Targeted Therapies, erweitern das Behandlungsspektrum insbesondere für Patienten mit fortgeschrittener Krebserkrankung deutlich. Die Entwicklung und damit das Wirkprinzip beruhen auf der Identifikation prädiktiver Marker, also veränderter Zielstrukturen auf der Oberfläche der Tumorzellen. Ansatzpunkte sind hierbei die Blockade von Rezeptoren für Wachstumsfaktoren oder das Auslösen einer Immunreaktion durch monoklonale Antikörper. Kinasehemmer unterbrechen die Übertragungskette für Wachstumssignale innerhalb der Zelle oder unterbinden Reparaturmechanismen an geschädigtem Erbmaterial. Nebenwirkungen sind trotz des hochspezifischen Targetings der Therapien nicht auszuschließen, denn die Zielstrukturen der Wirkstoffe kommen teilweise auch bei gesunden Zellen vor.
Wie viele und welche Medikamente mit neuen Wirkstoffen in Deutschland in den letzten Jahren auf den Markt gekommen sind, listet der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa). So wurden, wie Abbildung 2 aufzeigt, seit 2013 insgesamt 33 neue Wirkstoffe zur zielgerichteten Krebstherapie auf dem deutschen Markt eingeführt. Alleine 14 neue Arzneimittel und damit 40% in den letzten beiden Jahren. Behandelnde Ärzte können dadurch aus einem immer größeren Pool an Therapieoptionen für eine zunehmende Zahl an onkologischen Indikationen schöpfen.
Zielgerichtete Therapien mit 3,6% Versorgungsanteil
Ein Vergleich einzelner Arzneimittel in der Gruppe der neuen zielgerichteten Therapien untereinander, erscheint vor dem Hintergrund diverser Zeitpunkte der Markteinführung, differierender Anwendungsgebiete, Patientenpopulationen und Therapielinien wenig sinnvoll. Auch sind in dieser Gruppe komplexe Proteine wie monoklonale Antikörper neben small molecules wie den Proteinkinase-Inhibitoren vertreten. Eine Betrachtung der gesamten Gruppe der zielgerichteten onkologischen Therapien (basierend auf Selektionskriterien nach Abbildung 2) gibt hingegen durchaus einen Eindruck zur Versorgungs- und Umsatzrelevanz. So liegt der Gesamtumsatz im ambulanten GKV-Markt (ohne CAR-T-Zelltherapien) in 2019 bei 1,49 Mrd. Euro – dies entspricht einem Anteil von 18,4% am gesamten Onkologika-Markt. Bezogen auf die DDD sind dies lediglich 3,6%. Die mit Abstand höchsten Kosten je DDD mit rund 1.477 Euro entfallen auf den in 2015 zugelassenen monoklonalen Antikörper Blinatumomab (Quelle: ambulante GKV-Abrechnungsdaten für Fertigarzneimittel und Zubereitungen, INSIGHT Health). Wie bei allen zielgerichteten Therapien sind aber auch hier ganz besondere Umstände zu berücksichtigen. Das Orphan Drug wird Second-Line bei einer hochspezifischen Form der akuten lymphatischen Leukämie eingesetzt. Somit stehen hohen Kosten sehr geringe Verordnungsvolumina gegenüber.
Ausblick
Enorme Fortschritte in der Forschung, Früherkennung, Diagnostik, Therapie und Nachsorge bieten neue Perspektiven für Patienten mit Tumorerkrankungen. Zahlen aus dem Zentrum für Krebsregisterdaten am Robert Koch-Institut (RKI) zeigen, dass die krebsbedingte Mortalität in Deutschland altersstandardisiert für beide Geschlechter von 181,8 Fällen pro 100.000 Einwohner im Jahr 2000 auf 152,4 Fälle in 2016 gesunken ist. Damit überleben immer mehr Patienten ihre Krebserkrankung, gelten als geheilt oder befinden sich in Remission. Aufgrund der Tatsache, dass viele Tumorerkrankungen über einen stetig steigenden Zeitraum kontrolliert werden können, rücken neben der optimalen langfristigen und stabilisierenden Therapie zunehmend Fragen der Lebensqualität in den Mittelpunkt. Die Daten des RKI zeigen aber auch, dass Krebs durchaus nach wie vor als eine der größten Herausforderungen in der Medizin bezeichnet werden kann. So liegt die Zahl der Neuerkrankungen für beide Geschlechter in 2016 bei 492 Tausend und hat damit seit 2006 bei Männern um 2%, bei Frauen um 5% zugenommen (vgl. RKI, 2019). Auf der Hand liegende Gründe sind der demografische Wandel sowie Umwelteinflüsse und individuelle Risikofaktoren. Um den Entwicklungen Rechnung zu tragen, hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) im Februar 2019 die Nationale Dekade gegen Krebs initiiert. In fünf Themenblöcken sollen Ziele von der Verbesserung der Lebensqualität, über den Ausbau Deutschlands als Forschungsstandort bis hin zum optimalen Zugang zur onkologischen Versorgung realisiert werden. Zum einjährigen Jubiläum erklärt Prof. Dr. Baumann vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ): „Die geplanten neuen NCT-Standorte werden uns nachhaltig ermöglichen, deutlich mehr Ergebnisse aus der Krebsforschung schnell und sicher in die klinische Entwicklung zu bringen.“  Zusammen mit den bereits verfügbaren Therapieoptionen, den neuen Targeted Therapies und den vom vfa im Februar 2020 erwähnten 206 laufenden Projekten zu Krebstherapien steigen augenscheinlich die Chancen, Tumore langfristig zu kontrollieren und Patienten besser zu versorgen. <<

Autorinnen: Kathrin Pieloth, Gina Milbratz*

Zitationshinweis:

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