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Der Philipperbrief des Paulus

2020
978-3-7720-5688-8
A. Francke Verlag 
Eve-Marie Becker
10.2357/9783772056888
CC BY-SA 4.0https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.de

Im vorliegenden Band sind Eve-Marie Beckers Arbeiten zur Person des Paulus und zu seiner literarischen Tätigkeit zusammengestellt. Besonderes Interesse gilt dabei dem Philipperbrief und seiner Rezeptions- und Wirkungsgeschichte bis zu Ernst Lohmeyer. Die Beiträge stehen im Zusammenhang der Kommentierung des Briefs für die Serie: "Meyers Kritisch-Exegetischer Kommentar (KEK)". Der Kommentar soll die wirkmächtige Auslegung von Ernst Lohmeyer (1928/1930) ersetzen. Vier der insgesamt sechzehn Aufsätze, die im vorliegenden Band zusammengestellt sind, wurden bisher nicht oder nicht auf Deutsch oder Englisch veröffentlicht, die übrigen zwölf Aufsätze sind zwischen 2005 und 2018 erschienen.

ISBN 978-3-7720-8688-5 www.narr.de Im vorliegenden Band sind Eve-Marie Beckers Arbeiten zur Person des Paulus und zu seiner literarischen Tätigkeit zusammengestellt. Besonderes Interesse gilt dabei dem Philipperbrief und seiner Rezeptions- und Wirkungsgeschichte bis zu Ernst Lohmeyer. Die Beiträge stehen im Zusammenhang der Kommentierung des Briefes für die Serie: „Meyers Kritisch-Exegetischer Kommentar (KEK)“. Der Kommentar soll die wirkmächtige Auslegung von Ernst Lohmeyer (1928/ 1930) ersetzen. Vier der insgesamt sechzehn Aufsätze, die im vorliegenden Band zusammengestellt sind, wurden bisher nicht oder nicht auf Deutsch oder Englisch veröffentlicht, die übrigen zwölf Aufsätze sind zwischen 2005 und 2018 erschienen. 29 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Der Philipperbrief des Paulus Eve-Marie Becker 29 Der Philipperbrief des Paulus Vorarbeiten zu einem Kommentar Eve-Marie Becker 29 38688_Umschlag.indd 1,3 38688_Umschlag.indd 1,3 08.01.2020 12: 07: 50 08.01.2020 12: 07: 50 Der Philipperbrief des Paulus Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie Band 29 • 2020 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Eve-Marie Becker Der Philipperbrief des Paulus Vorarbeiten zu einem Kommentar Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Professorin Dr. theol. Eve-Marie Becker ORCID: 0000-0002-0398-6448 Neutestamentliches Seminar Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Deutschland DOI: https: / / doi.org/ 10.2357/ 9783772056888 Die Veröffentlichung wurde unterstützt durch den Open-Access-Publikationsfonds der WWU Münster. © 2020 · Eve-Marie Becker Das Werk ist eine Open Access-Publikation. Es wird unter der Creative Commons Namensnennung - Weitergabe unter gleichen Bedingungen | CC BY-SA 4.0 (https: / / creativecommons.org/ licenses/ by-sa/ 4.0/ ) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, solange Sie die/ den ursprünglichen Autor/ innen und die Quelle ordentlich nennen, einen Link zur Creative Commons-Lizenz anfügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden. Die in diesem Werk enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der am Material vermerkten Legende nichts anderes ergibt. In diesen Fällen ist für die oben genannten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen. Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 1862-2666 ISBN 978-3-7720-8688-5 (Print) ISBN 978-3-7720-5688-8 (ePDF) ISBN 978-3-7720-0399-8 (ePub) Inhaltsverzeichnis Der Philipperbrief des Paulus: Zur Einleitung in den vorliegenden Band . . . . . . . 11 1. Zur literarischen und theologischen Bedeutung des Philipperbriefes in der Rezeptions- und Auslegungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 2. Zum Aufriss des vorliegenden Bandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1. Der erste Teil (I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.2. Teil Zwei bis Vier (II-IV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 3. Kurzer Ausblick und Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Zur Rezeption und Interpretation des Philipperbriefes: Von Lukas bis Ernst Lohmeyer I Paul and “Paul”: Paul’s letter to the Philippians in light of Acts 20: 18-36 . . . . 21 1. Luke’s reproduction of Paul in Acts 20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Conceptual analogies? Tacitus’s depiction of Seneca in and beyond ann 12-15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.1. Remodeling the image of Seneca as a historical agent in ann 12-15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.2. How history-writing “manipulates” letter-writing . . . . . . . . . . . . . 29 3. Some conclusions for the interpretation of Paul’s letter to the Philippians . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 Bibliography . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II Philip Melanchthon’s reading of Paul’s letter to the Philippians and contemporary exegesis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1. The quest . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2. Melanchthon’s interpretation of Philippians in the Loci Communes (1521) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.1. Melanchthon’s approach to Philippians in the Loci . . . . . . . . . . . . 37 2.2. Melanchthon’s exegetical principles in his Loci in light of the “New Perspective” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Melanchthon’s interpretation of Philippians in his Oratio (1546) . . . . 41 Bibliography . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 6 Inhaltsverzeichnis III „Der Apostel Paulus im Gefängnis“: Rembrandts Deutung 1627 . . . . . . . . . . . 47 1. Rembrandt - der Porträtmaler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Zur Bildbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.1. Ikonographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.2. Attribute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Der biblische Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 4. Rembrandt - der protestantische Maler . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 IV The anxiety ( Sorge ) of the human self: Paul’s notion of μέριμνα . . . . . . . . . . . 55 1. Paul’s ultima verba on anxiety in Philippians . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2. 1 Cor 12 and 2 Cor 11: anxiety in community politics and ethics . . . . 58 2.1. Paul’s anxiety as apostle: 2 Cor 11: 28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 2.2. Anxiety in community life: 1 Cor 12: 24f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 3. 1 Cor 7: 32ff.: anxiety and individual decision-making . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.1. Paul and sexual ethics: 1 Thess 4 and beyond . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.2. Sexuality and anxiety: individual decision-making in 1 Cor 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 4. Paul’s explosure of the human self . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Bibliography . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK . . . . . . . . 69 1. Die erstmalige Kommentierung des Philipperbriefes im KEK durch H. A. W. Meyer (1847-1874/ 75) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1.1. Der zeitgeschichtliche Kontext der Erstausgabe 1847 . . . . . . . . . . 71 1.2. Die Anlage und Bedeutung des Meyer-Kommentars 1847 . . . . . 74 1.3. Die folgenden Auflagen des Meyer-Kommentars bis 1874 und die englischsprachigen Ausgaben der Jahre 1875 und 1889 . . . . 79 2. Die Kommentierungen des Philipperbriefes durch A. H. Franke (1886) und E. Haupt (1897/ 1902) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 3. Die bislang letzte Kommentierung des Philipperbriefes im KEK durch E. Lohmeyer in den Jahren 1928/ 1930-1974 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 4. Die Auslegung von Phil 2,5/ 6ff. im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 II. Zur Person und dem literarischen self-fashioning des Paulus VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 1. Standortbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 2. Paulus, der Brief-Autor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 Inhaltsverzeichnis 7 3. Autobiographie und Biographie - historische, literarische und anthropologische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.1. Der historische Wert der Autobiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 3.2. Literarische Aspekte der Autobiographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.3. Anthropologische Aspekte von Autobiographie . . . . . . . . . . . . . . 110 4. Form und Funktion von Autobiographie bei Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.1. Methodische Zwischenüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4.2. Autobiographische Aussagen und Texte bei Paulus - Eine Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 4.3. Autobiographie und Individuierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 5. Autobiographie bei Paulus: Rückblick und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . 116 5.1. Biographie und Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5.2. Individuierung und Identitätsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 5.3. Literarizität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 5.4. Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 5.5. Charakter und Personalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 VII Die Person des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Paulus als Person. Physiognomisches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 2. Paulus als Person. Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 3. Paulus als Autor und Autobiograph. Die Person über sich selbst . . . 130 4. Paulus als Apostel. Die Person des Paulus und die anderen Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.1. Paulus und Christus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4.2. Paulus und die Apostel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4.3. Paulus und die Gemeinden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 5. Paulus als Jude und ‚Christ‘. Der ‚Bruch‘ in der Person . . . . . . . . . . . . 133 6. Paulus und sein Körper. Grenzen und Entgrenzung der Person I . . . 135 7. Paulus und das Eschaton. Grenzen und Entgrenzung der Person II . 136 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 VIII Paul as homo humilis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Paul: The humble letter-writer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Paul’s epistolary concept of humility in Philippians . . . . . . . . . . . . . . . 143 2.1. The ταπεινοφροσύνη as an ethical principle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2.2. Narrative examples . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 2.3. The apostle’s personal authority . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2.4. Paul’s personal ταπείνωσις . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 2.5. Language of subordination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 8 Inhaltsverzeichnis 2.6. A waiver of material prosperity . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 2.7. Genus humile and genus medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. Results and perspectives . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Bibliography . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 III. Zur literarischen Welt des Briefeschreibers Paulus IX Paulus als frühkaiserzeitlicher Briefeschreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. Paulus von Tarsus und seine Zeitgenossen im 1. Jh. n.Chr. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 2. Paulus von Tarsus aus der Sicht des Lukas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Paulus von Tarsus, der reisende Briefeschreiber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 X How and why Paul deals with traditions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Paul and the gospel “tradition” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. 1 Corinthians 15: 1-11 and 11: 23-25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Paul’s use of the Jesus traditions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 4. Other types of “traditions” . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 5. Brief conclusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Paulus und die Götter der Anderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 2. Das paulinische Wirken in Philippi nach der Darstellung des Lukas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 3. Das paulinische Wirken in Makedonien aus der Sicht des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 4. Phil 2,6-11 und das ethos des Statusverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 5. Kurzer Ausblick: Ethos und Theologie in Philippi . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 IV. Zu Schlüsseltexten und Kontexten des Philipperbriefes XII Paulus als doulos in Röm 1,1 und Phil 1,1: Die epistolare Selbstbezeichnung als Argument . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Vorüberlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 2. Die Funktion der Autorrollen bei Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3. Rollenwechsel in Phil 1-2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 4. Doulos sozialhistorisch und motivgeschichtlich betrachtet . . . . . . . . . 211 Inhaltsverzeichnis 9 5. Die Autorrolle als Argument: δοῦλος und ταπεινοφροσύνη . . . . . . . 216 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 XIII Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns: Kriton 50a und Phil 1,23f. im Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Sokrates zwischen Kerker und Flucht: „Davonlaufen? “ ( Kriton 50a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 2. Paulus zwischen Fesseln und Christus: „Aus der Welt scheiden? “ (Phil 1,23f.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 3. Individuelle Entscheidungsspielräume: Ethische Kriterien und politische Dimensionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 4. Ein Ausblick: Literarische, theologische und kulturgeschichtliche Wirkungen paradigmatischen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 XIV Mimetische Ethik im Philipperbrief: Zu Form und Funktion paulinischer exempla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Mimetik, imitatio und exemplum : Einführende Überlegungen zu einem komplexen Wirkzusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 2. Strukturen mimetischer Ethik im Philipperbrief . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 3. Phil 2,6-11 als exemplum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 4. Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 5. Theoretische und theologische Perspektivierungen . . . . . . . . . . . . . . . . 256 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 XV Polemik und Autobiographie: Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1. Phil 3,2-4a im Kontext des Philipperbriefes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 1.1. Phil 3,2-4a und die Frage der literarischen Einheitlichkeit des Philipperbriefes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 1.2. Phil 3,2-4a und die Frage nach den Gegnern in Philippi . . . . . . . 265 1.3. Phil 3,2-4a und die Frage der Datierung des Philipperbriefes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 2. Zur autobiographischen Funktion der Polemik in Phil 3,2-4a . . . . . . 272 2.1. Der autobiographische Fluchtpunkt in Phil 3,4a . . . . . . . . . . . . . . 272 2.2. Autobiographische Passagen in Phil 1,12ff. und 3,4bff. . . . . . . . . 276 2.3. Autobiographie und Polemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 10 Inhaltsverzeichnis XVI Die Tränen des Paulus (2 Kor 2,4; Phil 3,18): Emotion oder Topos? . . . . . . 283 1. Die Texte (2Kor 2,4; Phil 3,18; Apg 20,19.31) und Fragen . . . . . . . . . . . 283 2. „Unter Tränen schreiben“ - Cicero, Fam XIV; Quint fratr I; Att IX-XV als Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 3. Die Tränen des Paulus - Zur Synergie von Emotionalität und Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Verzeichnis der ursprünglichen Titel und Orte der Erstveröffentlichungen . . . . 301 Indices Stellen (in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Begriffe, Sachen und Orte (in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Autoren und Personen (antike und moderne - in Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Der Philipperbrief des Paulus: Zur Einleitung in den vorliegenden Band In diesem Band lege ich meine Aufsätze 1 zum Philipperbrief vor, die in überwiegender Zahl zwischen 2010 und 2018 erschienen sind (siehe Beiträge III-V, VIII und XI-XVI). Zwei der hier zusammengestellten Beiträge sind bisher noch nicht veröffentlicht (siehe Beiträge I-II), zwei weitere Beiträge wurden bisher weder in englischer oder deutscher Sprache, sondern allein auf Dänisch publiziert (siehe Beiträge III und IX). Zusätzlich habe ich einzelne Beiträge in die Sammlung mit aufgenommen, die die für die Lektüre des Philipperbriefes relevanten Grundlagen meiner Paulusinterpretation darstellen und so auch meinen Zugang zum Philipperbrief näher beleuchten (siehe Beiträge VI und VII sowie IX und X). Die Beiträge dienen der Vorbereitung meiner Kommentierung des Philipperbriefes in der Reihe KEK (Nachfolgeband des Kommentars von Ernst Lohmeyer von 1928/ 1930). Die in diesem Band versammelten Beiträge beschäftigen sich - neben übergreifenden exegetischen, historischen und hermeneutischen Fragen zur Interpretation des Philipperbriefes - vor allem mit folgenden Textabschnitten im Detail: Phil 1,1 (Beiträge VI, VIII, XII); 1,7ff. (Beitrag I); 1,12ff. (Beitrag XV); 1,23f. (Beitrag XIII); 2,3 (Beiträge VIII und XI); 2,5/ 6-11 (Beiträge VIII, X, XI); 2,19-24 (Beiträge VII und XIV); 2,25-30 (Beiträge VII und XIV); 3,2-4a (Beitrag XV); 3,4bff. (Beiträge II, VI und XV); 3,17ff. (Beiträge XV und XVI); 3,20f. (Beiträge VIII, XIV und XV); 4,6 (Beitrag IV); 4,8 (Beitrag II). 2 1 Vgl. aber auch: E.-M. Becker, Der Begriff der Demut bei Paulus (Tübingen: Mohr Siebeck, 2015; engl. Übersetzung: Paul on Humility [transl. by W. Coppins; BMSEC; Baylor University Press/ Mohr Siebeck, 2020]). - Die hier vorgelegten Aufsätze wurden, soweit es sich um Wiederabdrucke handelt, leicht bearbeitet, z.T. bibliographisch aktualisiert, vor allem aber formal durchgesehen. 2 Im Stellenregister finden sich wegen der Menge der Einträge keine weiteren Hinweise zu den in diesem Band behandelten Stellen. 12 Der Philipperbrief des Paulus: Zur Einleitung in den vorliegenden Band 1. Zur literarischen und theologischen Bedeutung des Philipperbriefes in der Rezeptions- und Auslegungsgeschichte Der Philipperbrief zählt nicht zu den sogenannten Hauptbriefen des Paulus (Röm, Gal, 1 und 2 Kor) und hat daher - besonders in der protestantischen Exegese und Theologie - eine eher nachgeordnete Rolle gespielt. 3 Obgleich Phil 2,6-11 den Grundtexten paulinischer Christologie zugerechnet werden muss, steht der Philipperbrief gemeinhin „im Schatten“ der oben genannten Hauptbriefe, da in ihm bestimmte Grundthemen paulinischer Theologie wie die Rechtfertigungslehre nicht im Vordergrund stehen. Für Epistolographie und Theologie des Apostels ist der Philipperbrief zudem weniger von Interesse als der 1. Thessalonicherbrief, in dem die Forschung zumeist die Reflexion über die Anfänge und Grundlagen der paulinischen Missionstheologie und Eschatologie erkennen will. Im Rahmen der sieben mehrheitlich für authentisch gehaltenen Paulusbriefe ist der Philipperbrief also tendenziell von untergeordneter Bedeutung. Nur der Philemonbrief findet noch weniger theologische Aufmerksamkeit. Dass beide Briefe einander situativ und lebensgeschichtlich nahestehen, legt zumindest das Gefangenschaftsmotiv, das in Philipperwie Philemonbrief leitend ist, nahe. Wo genau hat der Philipperbrief im Corpus Paulinum seinen Platz? Durch die Paulus-Arbeiten Ferdinand Christian Baurs (1845/ 2 1867) war der Philipperbrief in Verdacht geraten, ein unechtes, d. h. pseudepigraphes paulinisches Schreiben zu sein (siehe Beitrag V). Die von Baur vorgebrachten stilistischen, religionsgeschichtlichen und theologischen Beobachtungen wiegen in der Tat schwer und bestätigen in jedem Fall den Eindruck, dass der Philipperbrief eine eigenständige briefliche Komposition darstellt, die sich von einer postulierten „Mitte der paulinischen Theologie“ her 4 , wie sie die protestantische Exegese - so auch Baur - definiert hat, nur schwer oder kaum erschließen lässt. Nun hat Baur zugleich auf die Scharnierstellung des Philipperbriefes zur deutero- und tritopaulinischen Generation apostolischer Briefstellerei aufmerksam gemacht. Hier liegt das bleibende Verdienst der kritischen Studien Baurs. Wenn aber, wie die gegenwärtige Paulusexegese mehrheitlich annimmt, der Brief als authentisches paulinisches Schreiben zu verstehen, also unter die ortho-paulinischen Briefe zu rechnen ist, so bleibt zu diskutieren, ob und in welcher Weise der 3 Vgl. gleichwohl zuletzt: J. Frey/ B. Schliesser (Hg.), Der Philipperbrief des Paulus in der hellenistisch-römischen Welt (WUNT 353; Tübingen: Mohr Siebeck, 2015). 4 Vgl. etwa U. Schnelle, „Methodische Probleme der (Re)konstruktion der Theologie aus den erhaltenen Briefen“, in: Paulus Handbuch (hg. F. W. Horn; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 273-279, 274. 2. Zum Aufriss des vorliegenden Bandes 13 Philipperbrief als eine „literarische Entität“ erkennbar werden kann und worin genau sein literarisches und theologisches Eigenprofil liegt. Kurzum: Die Frage nach dem geeigneten hermeneutischen Schlüssel stellt sich umso dringlicher. Überlegungen zur Datierung des Briefes und damit auch zur Situierung der Gefängnishaft des Paulus in Korinth, Ephesus, Caesarea oder Rom sind fundamental, lassen sich aus meiner Sicht jedoch nicht in erster Linie auf der Basis der textimmanenten Hinweise etwa zum „Prätorium“ (Phil 1,13), dem „Haus des Kaisers“ (Phil 4,22) 5 oder der Chronologie der Ereignisse, die mit der Sendung des Timotheus verbunden sein könnte (Phil 1,1; 1,19ff.), klären. Eher dienen (a) die oben schon erwähnte situative Nähe zum Philemonbrief, in dem sich Paulus als πρεσβύτης bezeichnet (Phlm 9), (b) die sprachliche und thematische Scharnierstellung des Philipperbriefes zum post-paulinischen Paulinismus sowie (c) das theologische und literarische Eigenprofil des Briefes als Indizien für seine Spätdatierung - wohl in römische Haft. So gelesen beschließt der Philipperbrief als Spätwerk des Apostels die Periode seiner Briefstellerei, die er, soweit es die tradierte Anzahl an Paulusbriefen nahelegt, wohl mit 1 Thess eröffnet hatte. 2. Zum Aufriss des vorliegenden Bandes Im vorliegenden Band frage ich nach dem geeigneten erschließenden Werkzeug zur umfassenden Wahrnehmung und Interpretation des Philipperbriefes aus unterschiedlichen methodischen Perspektiven: aus einer rezeptions- und wirkungsgeschichtlichen Sicht auf den Philipperbrief (Teil I), aus einer literaturkritischen und literaturgeschichtlichen Sicht auf Paulus als Briefsteller und die Funktion seines epistolaren Schreibens - dem Philipperbrief und über diesen Brief hinaus (Teile II-III) - sowie aus exegetischer Sicht auf eminente Textpassagen des Philipperbriefes, die sich auch als dessen Schlüsseltexte verstehen lassen (Teil IV). Den verschiedenen methodischen Perspektiven ist gemein, Paulus als Autor, Person und literarische persona in den Vordergrund der Textinterpretation zu rücken, während die gegenwärtige - besonders anglo-amerikanisch geprägte - Philipperbrief-Forschung den Fokus vor allem auf Philippi und die sozial-historische Situation der paulinischen Adressatenschaft in Makedonien richtet. 6 5 Vgl. ähnlich auch H. Löhr, „Philipperbrief“, in: Paulus Handbuch (hg. F. W. Horn; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 203-210, 205-207. 6 Vgl. zuletzt etwa: J. R. Harrison/ L. L. Welborn (ed.), The First Urban Churches 4. Roman Philippi (Writings from the Greco-Roman World. Supplement Series 13; Atlanta: SBL Press, 2018); J. A. Marchal (ed.), The People beside Paul. The Philippian Assembly and History from Below (Atlanta: SBL Press, 2015); J. Frey/ B. Schliesser (Hg.), Philipperbrief . 14 Der Philipperbrief des Paulus: Zur Einleitung in den vorliegenden Band 2.1. Der erste Teil (I) Der erste Teil der vorliegenden Aufsatzsammlung („Zur Geschichte der Rezeption und Interpretation des Philipperbriefes“) wählt eine rezeptions- und wirkungsgeschichtliche Sicht auf die Deutung des Philipperbriefes und sucht so der gewachsenen Bedeutung, die den Kategorien der Wirkung und Rezeption für das Textverstehen gegenwärtig in den exegetischen Disziplinen eingeräumt wird, Rechnung zu tragen. 7 Thematisch wird in diesem Teil des Bandes der Bogen von Lukas, dem mutmaßlich frühesten Rezipienten und Interpreten des paulinischen Schreibens an die Philipper (Beitrag I; vgl. auch Beitrag XI), bis zur historisch-kritischen Kommentierungsgeschichte im KEK von 1847 bis 1928 (Beitrag V), gespannt. Die Beiträge II-IV geben schlaglichtartige Einblicke in die Wirkung und Rezeption des Philipperbriefes bei Philipp Melanchthon (1521 und 1546) und Rembrandt van Rijn (1627) sowie in die mögliche Bedeutung des Briefes für die existenzialphilosophischen Diskurse des 20. Jahrhunderts. Die erstmals auf Deutsch oder Englisch publizierten Beiträge I-III zur Rezeption und Wirkung des Philipperbriefes bei Lukas, Melanchthon und Rembrandt stelle ich hier etwas ausführlicher vor: Die Frage, wieweit die Apostelgeschichte als „dependenter Text“ zu einem im Entstehen begriffenen Corpus von Paulusbriefen entstanden ist, ist weithin umstritten (siehe Beitrag I). Gerade die Rede des Paulus an die Gemeindeältesten aus Ephesus im kleinasiatischen Milet (Apg 20,18ff.) enthält jedoch deutliche Textsignale, die nicht nur eine Kenntnis des Philipperbriefes durch Lukas wahrscheinlich machen, sondern auch ein Licht darauf werfen können, wie der auctor ad Theophilum den Paulusbrief rezipiert und literarisch adaptiert hat, nämlich im Rahmen einer wohl platzierten Abschiedsrede. Auch dieses Indiz könnte für die Frage nach der Einordnung des Philipperbriefes in die chronologische Folge der Paulusbriefe wertvoll sein: Sieht Lukas im Philipperbrief die ultima verba des Paulus? Bei der vermeintlichen lukanischen Adaption des Philipperbriefes lässt sich lediglich von einer Form „diskreter Intertextualität“ sprechen - der Autor spielt höchstens auf den Prätext an, ohne dessen Rezeption offenzulegen. 8 Gleiches gilt für Rembrandts Paulus-Gemälde von 1627 (siehe Beitrag III). Rembrandt, dessen 350. Todestags 2019 gedacht wird, ist zwar als kongenialer Bibelinterpret 7 Zur hermeneutischen Bedeutung der Kategorie der Rezeption vgl. O. Wischmeyer, Hermeneutik des Neuen Testaments. Ein Lehrbuch (NET 8; Tübingen/ Basel: Francke, 2004), 73ff. - Vgl. im Übrigen zur Wirkung des Philipperbriefes auch meine EBR-Beiträge „Kenosis“ (15 [2017], 114-117) und „Meekness“ (im Druck). 8 Vgl. hier und für das Folgende: V. Hösle, „Über den Vergleich von Texten. Philosophische Reflexionen zu der grundlegenden Operation der literaturwissenschaftlichen Komparatistik“, in: Orbis Litterarum 63 (2008), 381-402, bes. 389ff. 2. Zum Aufriss des vorliegenden Bandes 15 bekannt. Ob und in welcher Weise speziell die Lektüre des Philipperbriefes das Gemälde „Paulus im Gefängnis“ inspiriert hat, muss allerdings offenbleiben. Deutlich ist, dass der Topos des gefangenen Apostels literaturgeschichtlich im Philipperbrief seinen Ausgang nahm. Im Unterschied zur diskreten Intertextualität, die bei Lukas und Rembrandt vorzuliegen scheint, ist bei Melanchthon und den KEK-Autoren von „expliziter Intertextualität“ zu sprechen: Als Interpreten bzw. Exegeten des Philipperbriefes nehmen der Reformator (siehe Beitrag II) wie auch die KEK-Kommentatoren (siehe Beitrag V) auf den Brief explizit Bezug. Gerade die Auslegung des Philipperbriefes bei Melanchthon verdient besondere Aufmerksamkeit: Während die Verwendung dieses Briefes in den Loci Communes von 1521 die oben schon erwähnte marginale Bedeutung des Schreibens für die protestantische Bibelhermeneutik zu belegen scheint, gibt sich Melanchthon 25 Jahre später, nämlich in seiner Oratio in funere reverendi viri D. Martini Lutheri (1546) als ein philologisch wie hermeneutisch vielseitiger und produktiver Exeget des Philipperbriefes zu erkennen. Den Vergleichspunkt zum Wirken Luthers macht Melanchthon in der paulinischen Rede von der exemplarischen Christusbeziehung, die an der apostolischen Existenz sichtbar wird, fest. Melanchthon stellt das literarische wie theologische Eigenprofil des Philipperbriefes auf diese Weise differenziert heraus und öffnet so die Interpretation des Paulusbriefes weit über das Theologoumenon von der Rechtfertigung hinaus. Der 2017 erstmals publizierte Beitrag IV stellt die Auslegung des Philipperbriefes in den ideengeschichtlichen Horizont der existenzialphilosophisch geleiteten Beschäftigung mit dem Motiv der „Sorge“ ( cura , μέριμνα). Auch wenn sich Martin Heideggers Interpretament von der „Selbstauslegung des Daseins als ‚Sorge““ eher auf den Mythos des Hyginus ( fabulae 220) als auf Phil 4 oder Abschnitte aus 1 und 2 Kor rückbezieht, so spiegeln die Paulustexte doch eigenständige Überlegungen zum (antiken) Konzept der „Sorge“ wider, die Heidegger oder auch Michel Foucault im Sinne einer „kanonbedingten Rezeption“ zumindest nicht unvertraut gewesen sein dürften. 9 Der 2018 erschienene Beitrag V zeichnet die Kommentierungsgeschichte des Philipperbriefes in der KEK-Reihe, die bisher durch Heinrich A. W. Meyer (1847), August H. Franke (1886), Erich Haupt (1897) und Lohmeyer erfolgte, nach und sucht dabei auch, die Grundfragen und -probleme der Interpretation diesseits und jenseits der Auseinandersetzung mit F. C. Baur darzulegen. 9 Zum Begriff vgl. noch einmal: V. Hösle, „Über den Vergleich von Texten“, 389ff. 16 Der Philipperbrief des Paulus: Zur Einleitung in den vorliegenden Band 2.2. Teil Zwei bis Vier (II-IV) Im zweiten Teil der vorliegenden Aufsatzsammlung werden grundlegende Beobachtungen zur Form und Funktion des paulinischen Briefeschreibens angestellt, die sich besonders für die Interpretation des Philipperbriefes als zentral erweisen (Beiträge VI-VIII): Autobiographie und self-fashioning gewinnen in einem - mutmaßlich - letzten Schreiben des Apostels zusätzlich an Bedeutung, wie an den Textbelegen (Beiträge VI und VII) erkennbar wird. Die epistolare Konstruktion des Paulus als homo humilis (Beitrag VIII) erfährt im Philipperbrief gar ihre stärkste Ausprägung. Im dritten Teil erfolgen Überlegungen zu den literaturgeschichtlichen und intellektuellen Rahmenbedingungen, unter denen Paulus seine Briefe - so auch den Philipperbrief - verfasst (Beiträge IX-XI). Der vierte Teil konzentriert sich auf die Auslegung von Schlüsseltexten aus Phil 1-3, die das Bild des Briefstellers Paulus in Interaktion mit seinen Adressaten und in Auseinandersetzung mit möglichen Gegnern in Philippi bestimmen (Beiträge XII-XVI). Es ergeben sich verschiedene Einsichten für die Erschließung des literarischen und theologischen Eigenprofils des Philipperbriefes: Paulus ist in seinen Briefen, so auch in Phil 3, immer wieder autobiographisch greif- und fassbar (Beitrag VI). Der Apostel kommt darin, wie er seine Person nicht nur zum permanenten Gegenstand seines Briefeschreibens macht (Beitrag VII), sondern fortlaufend Einblicke in seine innere Befindlichkeit erlaubt, dem Briefsteller Cicero - der am besten bekannten Person der antiken Welt 10 - am nächsten (Beitrag XVI). Im Philipperbrief entwickelt Paulus darüber hinaus speziell das Rollenmodell des „homo humilis“ (Beitrag VIII) - hier wird die epistolare Selbstbezeichnung als δοῦλος zum eigentlichen Argument (Beitrag XII). In dem Maße, in dem Paulus sich selbst in seiner Gefangenschaft zum Paradigma politisch-ethischen Handelns macht und dabei Erinnerungen an das paradigmatische Handeln des Sokrates ( Kriton 50a) ermöglicht (Beitrag XIII), fordert er von seinen Adressaten die Mimesis , d. h. die ethische Nachahmung seiner Person (Beitrag XIV) in ihrer Suche nach Christus-Konformität (Phil 3,20f.). Im Kontext seiner Missionstätigkeit - dem „distinctive feature of early Christianity“ 11 - im makedonischen Philippi (Beitrag XI) und unter den Rahmenbedingungen der frühkaiserzeitlichen Epistolographie (Beitrag IX) betätigt sich Paulus grundsätzlich als epistolarer Autor, der immer wieder eklektisch bzw. 10 W. Schuller, Cicero oder Der Letzte Kampf um die Republik. Eine Biographie (München: C. H. Beck, 2003), 2013, 7 (unter Hinweis auf Otto Eduard Schmidt [1893]). 11 A. Chaniotis, Age of Conquests. The Greek World from Alexander to Hadrian 336 BC - AD 138 (London: Profile Books, 2019), 384. 3. Kurzer Ausblick und Dank 17 selektiv und konnektiv auf ihn gekommene Traditionen aufgreift, verknüpft und so neu konfiguriert (Beitrag X). Im Brief an die Philipper prägen gleichwohl die persönlichen Umstände, unter denen Paulus schreibt, sowie die spezifische Situation der philippischen Gemeinde Inhalt, Form und Stil des Schreibens: So verzichtet Paulus anders als in 1 und 2 Kor, Gal und Röm auf explizite Schriftbezüge und die Konstruktion missions- oder heilsgeschichtlicher Zusammenhänge. Auch greift Paulus nicht - so wie in allen anderen Briefen - gemeindliche Anfragen oder Probleme erkennbar auf. Paulus vermeidet zudem die sonst übliche Selbsttitulierung als „Apostel“. Im Mittelpunkt des Briefes stehen nunmehr die Person des δοῦλος Christi, des Gefangenen, der in Erwartung eines baldigen Todes auf die Konformität mit Christus in Leiden und Auferstehung hofft (Phil 3,10f.21). Paulus sucht, sich selbst und seinen Lesern am exemplum Christi (Phil 2,6-11) ethische und eschatologische Orientierung zu geben. Die Polemik gegen die „Feinde des Kreuzes Christi“ (Phil 3,18) wird zum scharfen Kontrast zum Beispiel des Paulus (Beitrag XV), des demütig gesinnten Nachahmers Christi, der nun für sich selbst, noch vor dem Tag der Parusie, auf eschatologische Vollendung hofft. 3. Kurzer Ausblick und Dank Die in diesem Band versammelten Aufsätze markieren eher den Anfangsals den Schlusspunkt meiner Beschäftigung mit dem Philipperbrief. 12 Die Vorarbeit an einem Kommentar macht zunächst das Nachdenken über sachgerechte Schlüsselfragen notwendig, mit Hilfe derer sich der Text umfassend und möglichst nachhaltig erschließen lässt. Der mutmaßlich letzte Brief des Paulus verdient zudem längerfristig eine besondere Aufmerksamkeit - via Kommentierungsarbeit und darüber hinaus. So 12 Weitere Aufsätze sind kürzlich bereits erschienen bzw. befinden sich im Druck und konnten in die vorliegende Sammlung nicht mehr mit aufgenommen werden - vgl.: E.-M. Becker, „Das introspektive Ich des Paulus nach Phil 1-3. Ein Entwurf“, in: NTS 65 (2019), 310-331; dies., „Paul’s epistolary self in and around Philippians“, in: Self, Self-Fashioning and Individuality in Late Antiquity (hg. M. Niehoff/ J. Levinson; CRPG 4; Tübingen: Mohr Siebeck, 2019) (im Druck); dies., „Demut und Polemik in Phil 1-3: Literarische und ethische Interaktionen“, in: Gegenspieler. Zur Auseinandersetzung mit dem Gegner in frühjüdischer und urchristlicher Literatur (hg. M. Tilly/ U. Mell; WUNT; Tübingen: Mohr Siebeck, 2019) (im Druck); dies., „Σοφία ἄνωθεν versus ἄνω κλῆσις? Jas 3: 15 and Phil 3: 14 in comparison“, in: Who was James? (hg. E.-M. Becker/ S. Luther/ S. L. Jónsson; WUNT; Tübingen: Mohr Siebeck, 2020) (im Druck); dies., „Das Ethos des narrativen Ego in Phil 1-3“, in: Genre und Ethik des Philipperbriefes (hg. E.-M. Becker/ H. Löhr; BThSt; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2020) (im Druck). 18 Der Philipperbrief des Paulus: Zur Einleitung in den vorliegenden Band stellen die in diesem Band versammelten Studien eher eine Momentaufnahme nach knapp zehnjähriger Annäherung an den Philipperbrief als eine auswertende Interpretation dar. Gleichwohl lassen sich schon an den hier versammelten Beiträgen hermeneutische Bahnen erkennen, auf denen die Auslegungsarbeit fortlaufend voranschreitet. Ich danke den Mitherausgeberinnen und -herausgebern der NET-Reihe - Jens Herzer, Friedrich Wilhelm Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp - für die Aufnahme des Bandes in die Reihe. Dem Francke Verlag, besonders Frau Dr. Valeska Lembke, danke ich für die gute und zuverlässige Zusammenarbeit im gesamten Publikationsprozess. Den verschiedenen Verlagen, bei denen die Mehrzahl der Beiträge erstveröffentlicht wurden, danke ich für die Erteilung der Wiederabdruckgenehmigungen (siehe auch Verzeichnis der Erstveröffentlichungen). Einen besonderen Dank schulde ich schließlich Frau stud. theol. et phil. Rebecca Meerheimb (Münster) für ihre verlässliche Arbeit an der Vorbereitung des Gesamtmanuskripts und die Erstellung der Register - ohne ihren Einsatz hätte der Band nicht so bald erscheinen können. Die verschiedenen, hier versammelten Beiträge zum Philipperbrief verdanken sich überwiegend Aufforderungen zum Mitwirken an Konferenzen, Workshops, Seminargruppen oder Publikationsprojekten. So danke ich allen Kolleginnen und Kollegen, die auf diese Weise meine Arbeit am Philipperbrief angeregt und gefördert haben, und allen Studierenden in den vergangenen Jahren in Aarhus, Atlanta und Münster, die manche Forschungsthese bereitwillig mitdiskutiert und immer auch kreativ weitergedacht haben. Münster/ Westfalen im Juli 2019 I. Zur Rezeption und Interpretation des Philipperbriefes: Von Lukas bis Ernst Lohmeyer I Paul and “Paul”: Paul’s letter to the Philippians in light of Acts 20: 18-36* 1. Luke’s reproduction of Paul in Acts 20: 18ff. In his famous and well-known chapter on methodology (“Methodenkapitel”), the Greek historian Thucydides reflects about the function of speeches in history-writing (1.22). Here he reveals some remarkable insights into his compositional techniques as a history-writer: As to the speeches that were made by different men it has been difficult to recall (διαμνημονεῦσαι) with strict accuracy (ἀκρίβειαν) the words actually spoken, both for me, as regards that which I myself heard, and for those who from various other sources have brought me reports (ἀπαγγέλλουσιν). Therefore the speeches are given in the language in which, as it seemed to me, the several speakers would express, on the subjects under consideration, the sentiments most befitting the occasion, though at the same time I have adhered as closely as possible to the general sense of what was actually said. 1 As we learn from this short passage of the Peloponnesian War , the historian’s composition of speeches has to deal with a few technical issues and interpretive challenges because he writes partly about events he has not witnessed himself: the composition of speeches is (a) based on different types of reports and sources; (b) should reach authenticity, and (c) has to be adjusted to the overall narrative purpose. The composition of speeches thus necessarily has to go through historiographical interpretation. Particularly in and by means of speeches, the historian can and must articulate to a huge degree his particular interpretive view of history. Consequently, a reshaping of historical protagonists will take place especially when the historian frames his figures as orators. Since Martin Dibelius (“Die Reden der Apostelgeschichte und die antike Geschichtsschreibung”) the insights on ancient methods and aims of historiographical “speech-making” have been applied consistently to Lukan studies. In the case of Acts, it is now a widely shared scholarly methodology to read the diversity of speeches inserted into the narrative as the historian’s intentional 1 * Paper presented in March 2017 at the “Early Christian Studies Workshop” at the University of Chicago. Margaret M. Mitchell has to be thanked for this invitation. - Cara Marie Forney and Erich Benjamin Pracht (Atlanta/ Aarhus) are to be thanked for copy-editing the manuscript. Transl. C. F. Smith, in: LCL 108: 39. 22 I Paul and “Paul”: Paul’s letter to the Philippians in light of Acts 20: 18-36* attempt to make his narrative sound authentic . The historian, for instance, implements a “biblicizing style” or “archaizing effect” (e.g., Acts 3: 13), 2 or points to the diversity of languages that are used by the different protagonists of his story (Acts 2: 8; 21: 40; 22: 2; 26: 14). The historian, in other words, uses the speeches as elements for further interpreting the history of events ( pragmata ): the elements of analepsis and prolepsis are inherent to speeches as they help arrange the narrative account into a coherent more story. In regard to the quest for Lukan sources - especially in the case of Pauline speeches (Acts 13-28) - scholarly opinions still differ: did Luke know and use Pauline letter-writing when he shaped or re-shaped the image (or “picture”) 3 of Paul - especially as an orator - in Acts? 4 The quest concerning Luke’s usage of Pauline letter-writing is frequently put into a much wider interpretive frame. On the one hand, we could discuss how the image of Paul is (re)shaped in a variety of post-Pauline writings up to the end of the 2 nd century CE: from Pauline pseudepigraphy up to the Acts of Paul we could explore how Paul is perceived and reproduced as an apostle - including or excluding his own letter-writing activity. 5 Rieuwerd Buitenwerf, on the other hand has, among others, broadened the debate about Lukan sources in Acts far beyond the speech sections: he even suggests reading a re-narrating passage like Acts 9: 1-25 as a “narrative history based on the letters of Paul.” 6 By showing how Acts 9 recalls or echoes several Pauline letters (esp. Gal, 1 and 2 Cor), Buitenwerf ultimately reaches the conclusion that Acts in general “depends” on Pauline letters (p. 85). As many other scholars before and after him (e.g., R. I. Pervo), Buitenwerf also finds it difficult to imagine “that the author of Acts-… did not have access to Paul’s letters” (p. 85). Pauline letters had been spread. They must have been known especially to an author like Luke who in general and by (self)definition was so eager to collect all kinds of available materials on the past (Lk 1: 1-4). Even though we can thus presuppose a Lukan knowledge of Paul’s letters, I would make two critical remarks to Buitenwerf’s proposal: First , I would avoid the use of the term “literary dependence” when describing Luke’s way of “using” Pauline letter-writing. As I intend to show in this paper, 2 See C. R. Holladay, Acts , 42f. 3 To the Lukan image of Paul in general: B. Heininger, “Reception,” 309-338, 328ff. 4 See D. Marguerat, “Paul after Paul,” 2ff.; R. I. Pervo, Acts , 12ff.; see lately: N. Lüke, Kohärenz . 5 R. I. Pervo, Acts of Paul , 41f. shows how APl is in his image of Paul similar and different to Acts: In both cases, Paul is shown as a “wandering missionary“; however, Paul’s message in APl has a “strongly anti-establishment edge, rejecting the official forms of authority-…”. See also B. L. White, Remembering Paul . 6 R. Buitenwerf, “Narrative History,” 61-88. 1. Luke’s reproduction of Paul in Acts 20: 18ff. 23 the relation between Acts and Pauline epistolography is much more complex - as the general principles of how Luke (re)shapes the image of Paul in Acts are much more diverse (s. below). Second , in contrast to how Buitenwerf in his interpretation of Acts largely repeats the long lasting prejudice that “as historiography, Acts is not very reliable” (p. 61), I would argue, instead, that - seen specifically in light of Thucydides’ methodological reflections mentioned above - Luke’s attempt to reshape rather than to record Paul by creative means has to be seen as an authenticating strategy. This is especially true when Luke presents Paul as an orator and creates speeches that cannot be verbatim reports, and thus are hardly “historically precise” - because Luke has to rely on various, manifold, and partly divergent kinds of “sources.” Luke in fact reproduces Paul. Luke himself would consider this way of (re)shaping Paul to be the most accurate depiction of the apostle’s life and mission (deeds and words). Reshaping rather than recording the “past” is how historians - especially within speech sections - claim to achieve historiographical accuracy. In a manner similar to how Thucydides describes the principles of historiographical speech-making, therefore, Luke has to be reproductive . He has to combine, reshape and interpret what were most likely oral reports or testimonies, contemporary images of Paul, and the Pauline letter-writing in a meaningful sense. As a historian, Luke recalls and revisits Paul as a protagonist of his historiographical account, indeed adequately , and this means from his, i.e. Luke’s, interpretive point of view. By programmatically reproducing the image of Paul, Luke uses (a) eyewitness reports (“How was Paul remembered as an orator? ”), (b) contemporary, evaluative images of the apostle (“From the perspective of later decades, what did Paul actually contribute to the mission and expansion of the gospel message? ”) as much as (c) Paul’s own literary products (that is, his letter-writing). Such a revising Lukan approach to “Paul” is - as I argue - in particular to be found in Acts 20: 18ff. The image of Paul here must be the creative result of Luke’s consultation and reproduction of the diversity of “sources” he could examine. As I have indicated elsewhere 7 Acts 20: 18ff. contains a variety of motifs and literary devices that make it highly plausible to imagine an intertextual relation between Acts and Paul’s letter to the Philippians. First , the motif of Pauline humility (ταπεινοφροσύνη: Acts 20: 19; see Phil 2: 3), related to a concept of service (δουλεύειν: Acts 20: 19; see Phil 1: 1; 2: 7, 22) performed amid tears (δάκρυοι: Acts 20: 19; see Phil 3: 18-21), presents an inventory of semantics that is typical, if not specific of Philippians - especially since the term ταπεινοφροσύνη only occurs once in the authentic Pauline letters (Phil 2: 3). Also Luke’s mention of elders/ 7 See E.-M. Becker, Demut , 173ff. 24 I Paul and “Paul”: Paul’s letter to the Philippians in light of Acts 20: 18-36* presbyters (Acts 20: 28; Phil 1: 1: “bishops and deacons”) and “praying” (Acts 20: 36; Phil 1: 9) interconnects both texts. Second , Luke draws on metaphors which he finds in Philippians. The motif of δέσμοι (Acts 20: 22f.; Phil 1: 7, 13ff.; in both texts used as a metaphor) and the agonistic metaphor of running (Acts 20: 24; Phil 3: 13f.) pick up Paul’s language and terminology used particularly in this letter. Third , in terms of its personal or even emotional tone Acts 20: 18ff. takes up the general narrative outline of Philippians which presupposes a cordial friendship of Paul and his audience (reflected in Acts 20: 37f.). Fourth , we can identify in both texts similar concepts of the Pauline “self”: Carl R. Holladay points out in regard to Acts 20: 24 how Paul’s way of valuing “one’s own life-… transcendentally rather than self-referentially is a firmly established Pauline sentiment (Phil 1: 18-26) that resonates with the Lukan Jesus” (see Lk 9: 23ff.; 12: 23; 14: 26; 17: 33). 8 The close intertextual relation between Acts 20 and Philippians does not exclude the possibility of Luke having various other Pauline letters in his mind. 9 Rather, the observation of intertextual relations between Acts and Philippians - here and at other places (e.g., Acts 16: 10 and Phil 4: 15) - leads to the question: what does Luke do with Philippians? Does he allude to it, does he intentionally create echoes, or does he merely quote Pauline language? And why does the auctor ad Theophilum neither mention the (epistolary) source behind the speech nor Pauline letter-writing as such? 10 Does letter-writing in Paul’s case have a bad connotation? Or does Luke, for whatever reason, simply want to ignore Pauline letter-writing as such, and/ or Philippians in particular? 2. Conceptual analogies? Tacitus’s depiction of Seneca in and beyond ann 12-15 By entering the field of ancient historiography another time, we might learn more about Luke’s concept of reproducing Paul rather than recording him. We will, for now, look at the field of early imperial historiography, specifically at Tacitus’s reproduction of Seneca. Here we can study, first , how a historian remodels the image of a historical agent who may well also be a letter-writer, and, second , how historiography transforms, or “manipulates” letter-writing. 8 C. R. Holladay, Acts , 397. 9 Luke might have esp. 1 and 2 Cor - see the motifs: “aliment” in Acts 20: 33f. and 1 Cor 9: 12ff.; the “weak” in Acts 20: 35 and 1 Cor 8: 12; “giving” in Acts 20: 35 and 2 Cor 8: 8f. and 9: 7 - in mind. 10 Luke only mentions Paul as a carrier of letters in his earlier ‘career’ as a persecutor of Christ-believers (Acts 9: 2; 22: 5), and in his function as a delegate of the Jerusalem council (Acts 15: 23), or as an object of accusation in juridical documents (Acts 23: 25, 33). 2. Conceptual analogies? Tacitus’s depiction of Seneca in and beyond ann 12-15 25 In Tacitus’s ann 12-15 we find the most comprehensive Tacitean engagement with Seneca. This section contains his only explicit references to the philosopher. 11 Ann 12-15 comprises the first mentioning of Seneca (12.8.2) - as being remitted by Agrippina of banishment - up to the philosopher’s suicide (15.60- 64). James Ker 12 has demonstrated how Tacitus all the way through depicts Seneca in a “Tacitean portrait” (p. 305), indeed, both, in his deeds or historical achievements as a statesman and in his literary activities. In terms of, both the philosopher’s image as well as the reception of his works, ann 15.60-64 seems to be the “hermeneutical key” to Tacitus’s interpretation of Seneca. How does Ker in general describe the profile of the “Tacitean Seneca? ” 2.1. Remodeling the image of Seneca as a historical agent in ann 12-15 According to Ker (a) the Tacitean portrait of Seneca is always characterized by incidents “Tacitus does not mention” (p. 307); (b) Tacitus’s “entire narrative on Seneca exhibits the tendency toward an ‘audience-based’ portrait-…, incorporating the conflicting judgments of several internal audiences” (p. 308); (c) Seneca’s character is “pulled in different directions by certain structural pressures in the Annals” (p. 308); (d) already Tacitus’s “first mention of Seneca- … introduces many motifs that will recur-…” ( ann 12.8.2; p. 313). (e) We might add to this list of compositional principles, which Tacitus follows when reproducing “Seneca,” the fact that the historian, especially in the part on the Neronic time ( ann 13-16), frequently makes use of forerunning historians like Cluvius Rufus (e.g., 14.2.1), Fabius Rusticus (15.61.3; 13.20.2; 14.2.2) and Pliny the Elder (15.33.3) - these authors are most likely to be Tacitus’s “triad of sources” (Quellentrias; e.g., 13.30). 13 The bonds to his sources impact the way in which Tacitus creates his story. Even though he has shown earlier in his Annals a critique of F. Rusticus who was, from Tacitus’s perspective, much too close a friend of Seneca ( ann 13.20.2), he might follow F. Rusticus ( ann 15.61.3) especially in the report of Seneca’s death ( ann 15.60-64), and hereby accept the pro-Senecan tendencies which he finds here. The overall portrait of Seneca in the Annals is thus not fully cohesive (see, e.g., ann 15.60.2 versus 15.45.3). To sum up: A historian like Tacitus obviously has a concise idea of how he would like to reproduce a crucial historical protagonist. By collecting and in- 11 D. R. Blackman/ G. G. Betts (ed.), Concordantia Tacitea , 1632 - Seneca is mentioned 51 times in ann 12-15. 12 See J. Ker, “Seneca in Tacitus,” 305-329. 13 J. Tresch, Nerobücher , 15ff. and 69f.; see in general on ann 15: E.-M. Becker, Markus-Evangelium , 342ff. 26 I Paul and “Paul”: Paul’s letter to the Philippians in light of Acts 20: 18-36* vestigating literary and documentary (e.g., ann 15.74) sources and testimonies of a wider range, he would create his particular portrait of Seneca by (a) leaving things out, (b) taking his contemporary, partly dissenting (reading) audience into account; (c) Tacitus’s portrait of Seneca has to fit the overall narrative frame and argument of his writing - (d) the way in which the very first mentioning of the protagonist is created, might already be decisive; and (e) ultimate narrative cohesion is intended, but not achieved (s. tendencies of sources). What can we learn for our field of Acts-and-Paul-studies from how Tacitus (re)shapes the image of Seneca into his portrait? Remodeling the image of Paul, (a) Luke does not give us a full picture of Paul’s achievements either: he intentionally leaves things out: Luke does not mention Paul’s violent death in Rome; he does not reveal particular interest in mentioning Paul’s collection mission which was so decisive for Paul’s self-understanding (e.g., 1 Cor 16; 2 Cor 8-9; but see above: Acts 20: 35; see also: 24: 17); and most evidently, Paul’s letter-writing activity as such is ignored. Instead, Paul is frequently shown as an orator who primarily speaks to the public instead of addressing specific communities (as he does in his letter-writing). Is the historical figure of Paul the letter-writer transformed by Luke into the image of “Paul” the orator then? And why is this? When comparing Acts 20 and Philippians a striking difference comes to light: Philippians is a captivity letter , while Acts 20: 18ff. is composed as a free speech in front of an ecclesial delegation. Luke obviously wants to show Paul in his farewell scene as a free man rather than as a prisoner, when predicting his personal fortune. (b) As we see most clearly in the prologues, Luke takes his contemporary audience into special account when composing Luke-Acts. Superficially, Acts 20: 18ff. is meant to be a farewell speech in which Paul prepares the Ephesian elders for his impending leave. However, interestingly enough, Paul does not meet with the elders in Ephesus directly but at a different place: in Miletus. Macedonia as a constitutive area of Pauline missionary activities and letter-writing (Phil, but also 1 Thess) does not play any role here (last time mentioned in Acts 20: 1, 3). Could this choice of topography be explained by “audience-based” expectation? Do effectively different, eventually competing places and regions of Paul’s (former) sphere of influence in and beyond Asia Minor have to be reconciled at the time when Luke composes Acts? Seen in light of how geography is re-modeled when Philippians is supposedly re-shaped in Acts 20: 18ff., and how Luke relocates the Ephesians to Miletus, we might reconsider the situation of early Christ-believing communities at the end of the 1 st century CE. (c) The portrait of Paul in Acts 20: 18ff. is shaped according to the concept of a farewell scene. Hereby, the farewell as such is as important as the predicting character ( prolepsis ) of Paul’s speech: we know the stylistic features of ancient 2. Conceptual analogies? Tacitus’s depiction of Seneca in and beyond ann 12-15 27 farewell discourses from “biblical and early Jewish literature” (e.g., Gen 27: 1ff.; 49; Tob 14: 1ff; T12 Patr), 14 but also from New Testament texts (see, e.g., John 14- 17; 2 Tim 4). 15 The farewell is expressed via speeches, treatises, or letters; according to the literary motifs and devices, which are typical of the farewell discourse. Acts 20: 18ff. also provides a short construct of history (v. 18f.), followed by a reference to the apostolic integrity (v. 19-21) and a prospect on personal fortune (v. 22f.); Paul emphasizes his subordination under divine plans (v. 24) and prepares his audience/ the readers of Acts for separation (v. 25); as a church-leader, Paul gives a final testimony (v. 26f.), expresses admonition and warnings (v. 28-30), encourages his audience to memorize the apostolic exhortations (v. 31) and explains the present aim of exhortation (v. 32); the speech is concluded by a final proof of apostolic integrity (v. 33-35). The farewell discourse in Acts 20: 18ff. does not function as ultima verba , which is - in ancient literature a “literary topos, esp. in biographic and historiographic literature, in rhetorical literature and in purely literary works” which was “intended to illustrate the character and attitude of the dying person.” 16 Tacitus also portrays Seneca as expressing ultima verba within the report of the philosopher’s exitus ( ann 15.60-64). 17 Seneca hereby recalls his friends “from tears to fortitude” ( ann 15.62), and last of all addresses his wife ( ann 15.63), who wants to depart this life together with her husband. Luke’s portrait of Paul in Acts 20: 18ff., by contrast, is placed in a literary context where Paul - at the same time - looks back and ahead. In both perspectives, he wants to make obvious his apostolic integrity in order to sum up earlier history and to prepare for the coming needs of self-defense (Acts 22ff.). Luke is not interested in focusing on Paul’s death as such - neither here nor elsewhere in Acts. (d) Paul is first mentioned in Acts 8: 1. The first reference to Paul, who is at that time witnessing Stephen’s martyrdom, is decisive for how Luke will shape the image of the Paul in and beyond Acts 20: 18ff. Stephen’s speech and martyr- 14 M. Theobald, “Abschiedsrede.” 15 See G. L. Parsenios, Departure , 22-31. - There are farewell motifs to be found (partly similar to Philippians) in John 14-17 also, such as: going back to the past, by only referring back un-specifically (ch. 17); Jesus preparing for his departure/ leave (14: 2ff.); revealing and explaining his authority (e.g., 14: 10); admonition and exhortation (14: 15); consolation: you are not alone (14: 18), announcement of a substituting person (14: 26); community and love: God, Jesus, disciples (16: 27); instruction of basic commands (14: 21; 15: 9ff.); call for imitation 14: 18; warnings (14: 30); poetic, metaphoric speech (15: 1ff.); exhortation/ joy (e.g., 15: 11; 16: 20); establishing friendship by listening to Jesus’ commands (15: 14); 2 Tim 4: 1-9: warnings (v. 3); expressing confidence in salvation (v. 7ff.); preparing for departure and death (v. 6). 16 C. Englhofer, “Ultima verba.“ 17 See F. A. Marx, “Tacitus,” 83-103, 92ff. 28 I Paul and “Paul”: Paul’s letter to the Philippians in light of Acts 20: 18-36* dom, the accusations brought up against him (Acts 6: 14), and the consequences of his death for the Jerusalem community (Acts 8: 1-3) intertwine the story of Acts with the Jesus-story in the gospel narrative (Lk 21: 20ff.), and help implement the global missionary program (according to Acts 1: 8: the early community of Christ-believers cannot stay any longer in Jerusalem but has to spread). It is Paul, whom we, certainly by Lukan intention, first meet as a bystander of Stephen’s brutal death, and who himself will only shortly thereafter be “converted” into a Jesus-follower (Acts 9), who will finally and ultimately accomplish the world-wide mission program (Acts 28: 30f.). In his apologia (Acts 22: 1) in front of the Jewish people in Jerusalem, where Paul is confronted with accusations, again similar to those earlier brought up against Stephen (Acts 21: 28), he himself retells - in Hebrew language (Acts 21: 40; 22: 2! ) - his conversion story (see also Acts 26). Here Paul will explicitly refer back to his earlier role as a persecutor of Jesus-followers (Acts 22: 7f., 20). To Luke, Paul is thus not only the personal paradigm of the successful global missionary, but also of a “convert” who has to perform a crucial, indeed an ultimate change of roles: the persecutor himself will get more and more into the life-endangering situation of self-defense. Can this narrative motif of a “change of roles” in Acts be seen as a Lukan echo of Phil 2: 6-11? In any case, Paul becomes a role-model for those readers of Acts who engage in global mission. It is only once in Acts - indeed, in 20: 18ff. - that Paul can explain his personal fortune explicitly to fellow Christians: to the Ephesian community leaders. Everywhere else in his speeches, Paul addresses non-Christian audiences. And it is only in Acts 20: 18ff. that Luke would use the term ταπεινοφροσύνη - a term which, because of its ambiguous sounding in the Hellenistic-Roman world, might not belong to Luke’s favorite vocabulary. 18 (e) It seems that Luke in Acts cannot draw on precedent historiographical accounts - as Tacitus, for instance, goes back to F. Rusticus. However, historians necessarily have to consult different types of sources (literary, documentary, oral) since they can - even in the case of writing contemporary history - not be constant eyewitnesses of the events narrated themselves. Even though Tacitus aims at creating a cohesive narrative account in his Annals , the seams and tendencies (e.g., ann 15.60.2, 15.65.1) of the sources are still visible. Seen against this background, we might re-evaluate how much the tendencies that can be found within the so-called “We-passages” in Acts (16: 10-17; 20: 4-15; 21: 1-18; 27: 1-28: 16) differ from other parts in the book - especially those where the usage of Paul’s letters seems likely: as it is the case in Acts 20: 18ff. 19 18 See E.-M. Becker, Demut , 173. 19 See E.-M. Becker, Birth , esp. 94-95. 2. Conceptual analogies? Tacitus’s depiction of Seneca in and beyond ann 12-15 29 2.2. How history-writing “manipulates” letter-writing In his portrait of Seneca, Tacitus does not seem to be interested in mentioning the philosopher as a literary author (but see ann 12.8.2). In fact, the historian never characterizes Seneca as a letter-writer. 20 However, Ker shows how Tacitus, within and even beyond depicting Seneca in his historiographical writings, “appropriated many words, phrases, colors, and thoughts from the writings of Seneca- … Tacitus makes intertextual allusions to Seneca that are not robotic but creative, integrating Seneca’s language and thought into his own work” (p. 314). Such a literary principle of an imitative remodeling is reflected by Seneca himself ( ep mor 84.5). How does Tacitus make sense of it? In various Tacitean writings, for instance, ep mor 70 is echoed and remodeled (see ann 15.57 and ep mor 70.19ff.; ann 15.61f. and ep mor 70.5, 27) without being mentioned as such. Ker even goes so far as to claim that “Tacitus infuses his Senecan episodes with the complexity of Seneca’s writing, both as a stylistic and conceptual reservoir and as a form of communication that served as a component of the historical Seneca’s actions” (p. 316). Ep mor 70, which reflects the “different factors influencing one’s deliberation about suicide” ( J. Ker, p. 324), certainly becomes important for how Tacitus depicts the report of Seneca’s exitus ( ann 15.61f.; ep mor 70.5, 27). In ann 15.62.1, it is not only Seneca’s literary work as such but rather his “life and-… the lessons of his writings” that Tacitus alludes to as an exemplar ( J. Ker, p. 324). Moreover, Tacitus provides a variety of allusions to Seneca’s writing without quoting them or making them explicitly visible to his readers. One reason for this must be that Tacitus does not want to quote literary works 21 since he considers them to be already known to the public. In ann 15.63.3 Tacitus explains this very phenomenon to his readers: instead of reciting the ultimate discourse Seneca dictates to his secretaries shortly before his death, Tacitus refrains “from modifying” since it “has been given to the public in his own words” (… in vulgus edita eius verbis invertere supersedeo ). 22 As indicated earlier, Luke alludes several times to Pauline letters in and beyond Acts 20: 18ff. We could even see in the very end of Acts, in 28: 31 (παρρησία) an echo of Paul’s language used in Philippians (Phil 1: 20; but also: 2 Cor 3: 12; 7: 4). In terms of semantics and specific motifs, Paul’s letter to the Philippians 20 “Epistula” only occurs 57 times in the Tacitean corpus - see D. R. Blackman/ G. G. Betts (ed.), Concordantia Tacitea , 504 - from which 13 references are to be found in the Annals (1.30.4; 1.36.3; 2.26.2; 2.70.2; 2.78.1; 3.44.3; 3.59.2; 4.34.5; 4.70.1; 5.2.2; 6.2.3; 6.24.1; 16.8.1). 21 I mean literary works except historiography here, which Tacitus uses and quotes as “sources” and competitive forerunners, see F. Rusticus above. 22 Transl. J. Jackson, in: LCL 322: 317. 30 I Paul and “Paul”: Paul’s letter to the Philippians in light of Acts 20: 18-36* stands clear behind Acts 20: 18ff. By not quoting the letter, and by not mentioning it explicitly, Luke does not only leave out valuable information - something different, “manipulative” is going on when letters are reproduced in the frame of history-writing: first , Luke would presuppose the Pauline letters to have reached public status. They are disseminated already and cannot be reproduced as “letters,” but rather within speeches . Second , letters in history-writing, best described as “insertion letters,” per se have a different function: they are either fictitious texts, or they are used (or rephrased) for documentary purpose (e.g., Acts 15: 23b-29; Tacitus, ann 14.11). 23 In other words: it is the ancient culture of literary activity as such which prevents Luke (and Tacitus) from documenting “real literary” letters and inserting them into history-writing. However, to ignore Paul as letter-writer also has consequences for how Luke reproduces Paul: third , since Luke consciously wants to reshape the image of the apostle, he remodels the “epistolary Paul” as “free speaking Paul.” While the apostle in his letter to the Philippians says farewell to a Macedonian community by epistolary means, indeed as a prisoner, the Lukan Paul gives a speech in Asia Minor. He speaks as a free man and, only in Acts, is Paul able to present his “apostolic” self-understanding to a community delegation of Christ-believers. It is hardly accidental then that only in Acts 20: 18ff. can Paul do what he normally does in his letters: address Christ-believing communities. By tremendously re-shaping the image of Paul, Luke himself chooses how much and what kind of Pauline thinking he wants to preserve and to carry forward. At the same time, Luke’s compositional technique cannot simply be seen as contingent or arbitrary. It seems to me that - as stated above - to Luke three principles are decisive when composing (especially the speeches in) Acts: Luke’s image of Paul is based on (a) eyewitness reports, (b) contemporary, evaluative images of the apostle which Luke shares with his audience(s), and (c) Paul’s letter-writing as such. In a conceptual sense then, what Luke does with Paul is not so different to the way Tacitus “manipulates” the image of Seneca as a literary author. 3. Some conclusions for the interpretation of Paul’s letter to the Philippians Acts 20 and Paul’s letter to the Philippians share a lot of semantics and motifs. Luke probably used Philippians when composing the farewell speech in ch. 20. Could, however, Luke’s reception of Philippians also illuminate our under- 23 See E.-M. Becker, Birth , esp. 100f. 3. Some conclusions for the interpretation of Paul’s letter to the Philippians 31 standing of the letter - could the phenomenon of intertextuality lead to mutual illuminations of both texts (without necessarily playing themselves out in a kind of a circular argument)? Luke’s supposed reception of Philippians can reveal some intriguing insights, not only into Luke’s compositional technique but also into the early history of reading and interpreting Philippians. Let me conclude with some brief reflections. (a) As pointed out earlier, Luke does not and cannot see himself limited to sources such as Paul’s letters, for instance the letter to the Philippians, when composing a speech or a farewell scene. He has to consider other sources of information as well (s. above). His interpretive task is to combine and reconcile diverse, partly divergent types of sources and to satisfy his reading audience. This view on Luke might shed interesting light on the (authoritative) status of Pauline epistolography (Philippians included) in the end of the 1 st century. (b) In light of Acts 20: 18ff., Paul’s letter to the Philippians seems to be perceived by Luke as a farewell discourse since the historian draws on it to a remarkable extent. The debate about Philippians’s literary genre and rhetorical purpose (see J. Reumann) might be enriched by comparing Philippians to Acts 20: 18ff. and by observing how the letter was read and interpreted by Luke. (c) Having said this, we will also have to make crucial distinctions between both texts. Even though Acts 20: 18ff. and Philippians are close in terms of semantics and motifs, and even though both texts might share conceptual features of ancient farewell discourse literature, significant differences come to light: first , Acts 20: 18ff. contains a farewell speech , which is pretty close to farewell discourses which we know from the Jewish world (s. above), while Philippians entails consoling motifs also, which rather derive from consoling literature of the Greco-Roman world. 24 Second , Luke’s overall purpose of presenting Paul in ch. 20 is apologetic; in his letter-writing to the Philippians, in contrast, Paul intends to implement mimetic ethics. Third , while the epistolary setting has an ethical purpose in Philippians, it widely serves an apologetic purpose in Acts 20: 18ff. Luke transforms the ethical teacher Paul, whom he finds in Philippians, and Paul’s legacy therein, into the paradigm of a Christ-believing witness who practices apologia . 25 As such a paradigm of an “apologist,” the Lukan Paul finally appears as a moral example: accordingly, the reader might understand in a new way, and indeed different to Phil 2: 3, what ταπεινοφροσύνη and παρρησία are about. 24 See the rich discussion about “consolation” in Philippians; see G. L. Parsenios, Departure , 25ff. 25 Luke in fact might be stimulated to do so since Paul himself describes his situation in his imprisonment as apologia [Phil 1: 7] - a self-description chosen, in order to foster Paul’s concept of mimetic ethics. 32 I Paul and “Paul”: Paul’s letter to the Philippians in light of Acts 20: 18-36* (d) In his perception of Philippians, Luke sees himself no longer bound to address any specific congregation: In Acts 20 he rather remodels early Christian topography in a quite complex way (Macedonia, Ephesus, Miletus). Luke is obviously less interested in documenting or recording precisely any ( written ) communication of Paul with particular communities in Asia Minor or Macedonia. Rather, the historian wants to show Paul according to Luke’s own geographical concept: as an orator to the public who will be an ultimate martyr ; only because he is forced to self-defense, he will reach Rome and thus finally complete the global missionary strategy. (e) The book of Acts as a whole and Paul’s letter to the Philippians share a certain affiliation to the city of Rome: in Acts, Luke sends his most prestigious figure - Paul - finally to the caput mundi ; in Philippians Paul seems to be in Roman captivity (Phil 1: 12ff.; 4: 22). How is “Rome” anticipated in both texts? To Luke, Rome is a place of expectation and hope. Here, Paul - a Roman citizen - might receive fair treatment; here, Paul can preach the βασιλεία even in παρρησία and without any hindrance (in contrast to all the obstacles he had to face in his earlier career, especially in Asia Minor). To Paul the letter-writer, the city of Rome - even though it is not explicitly mentioned in Philippians - is a place where a final decision will be made about his personal fortune. As a prisoner the apostle anticipates his sentence of death. In that Luke transforms, reproduces, or “manipulates” Paul’s letter to the Philippians in Acts 20: 18ff. - a letter being written amidst Paul’s anticipation of his impending death - into a proleptic announcement of his pending leave, the historian finally also crucially remodels the image of Rome and the nature of Paul’s farewell: first , instead of becoming an estimated place of death in the near future (as indicated in Philippians), Rome is seen by Luke as a promising, if not successful center of coming preaching activities . Second , while Paul in Philippians shapes in effectu a kind of ultima verba which he uses for the purpose of ethical instruction, Luke makes Paul’s farewell in Acts 20: 18ff. to be a topographical incident: indeed, Paul’s farewell is about his leave from known areas to unknown places like Rome, where the goal of finally “witnessing” globally (e.g., Acts 23: 11; see 1: 8; 9: 15-16) is reached. Bibliography E.-M. 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The quest Since the 1960/ 70s, widely initiated by Krister Stendahl’s (1921-2008) deconstruction of the “introspective Self,” 1 the so-called “New Perspective on Paul” (NPP) has formulated a strong critique on a Pauline exegesis dominated by Lutheran hermeneutics. 2 By Lutheran hermeneutics we generally mean a specific Lutheran reading by which certain theologoumena of reformatory theology are taken as an interpretative frame for reading Paul’s letters and understanding Pauline anthropological thinking. 3 With its strong focus on terms like πίστις, νόμος, and δικαιοσύνη, Paul’s letter to the Romans was and still is the focus of NPPand “Radical New Perspective” (RNP)-debates. 4 Paul’s letter to the Philippians, by contrast, never really was in the frontline of these discussions. However, when it comes to the interpretation of Paul’s autobiographical narrative in Phil 3: 4bff., the question about how to analyze the genitive Χριστοῦ in 3: 9 (… διὰ πίστεως Χριστοῦ) - whether it is an objective or a subjective genitive 5 - in fact reflects some hermeneutical issues implied in the (Lutheran) justification-concept as uncovered by the NPP. In many ways, Paul’s letter to the Philippians is an interesting test case for the study of reformatory exegesis: The topics of “law,” “faith” and “circumcision” appear most prominently in Phil 3. Likewise, Paul’s polemics against those who practice “mutilation” (3: 2) is of constant interest for studying Philippians in light 1 * Paper presented at the “Refo500 Melanchthon” workshop, organized by Assoc. Prof. Bo Kristian Holm, at Aarhus University in December 2011. - Erich Benjamin Pracht (Aarhus) has to be thanked for copy-editing the article. K. Stendahl, “The Apostle (1962),” 261-263; idem, “The Apostle Paul (1963),” 199-215. 2 See in general e.g. M. Zetterholm, Paul . 3 Stendahl wanted to detect a certain Western, i.e. an Augustinian and Lutheran, hermeneutics of Paul which had dominated especially the reading of Paul’s letter to the Romans. What Stendahl criticizes here is a reading of Paul that was construed along the lines of a negative theological anthropology. According to Stendahl, the ‘introspective view’ “rests on the presupposition that man is essentially the same through the ages, and that this continuity in the human self-consciousness is the common denominator between the New Testament and any age of human history”, K. Stendahl, “The Apostle Paul (1963),” 208. 4 See J. P. B. Mortensen, Paul, esp. 21ff. 5 See lately P. A. Holloway, Philippians , 165-168. 36 II Philip Melanchthon’s reading of Paul’s letter to the Philippians of the NPP or RNP. 6 So far, however, the role of Paul’s letter to the Philippians for reformatory theology has not been studied systematically. 7 This applies despite the fact that reformatory exegesis has - based on Pauline exegesis - produced fresh ideas about Paul and his life course as the discussion about the interpretation of Phil 4: 3 most impressively shows. 8 In this contribution, I shall provide some observations on Philip Melanchthon’s approach to Philippians. Beside a rather “Lutheran”-inspired reference to Philippians in his Loci Communes (see 2.), Melanchthon shows multiple hermeneutical interests when reading and interpreting Paul’s letter to the Philippians. Melanchthon’s multi-faceted interest in Philippians becomes evident especially in his “ Oratio in funere reverendi viri D. Martini Lutheri ” from 1546 (see 3.). 2. Melanchthon’s interpretation of Philippians in the Loci Communes (1521) Protestant theology in the first half of the 16 th century emerged in a specific historical context, where its theological pragmatics (justification of the believer) and hermeneutical principles (“Schriftprinzip”) had socio-political relevance (critical attitude towards religious authorities). 9 In this context, the theologoumenon of justification played an important role. Gerhard Ebeling once has pointed out that Luther’s idea on the justification sola fide cannot be seen as an arbitrary preference of a favorite teaching-…, but rather as a declaration of what the inner structure of all theological assertions are about. 10 Ebeling’s statement, however, also implies that biblical theology and Pauline exegesis in particular is the material center of Lutheran hermeneutics. In a 6 See, e.g., M. D. Nanos, “Out-Howling,” 183-222. - See in general: J. P. B. Mortensen, “Filipperbrevet 3: 2-11,” 189-204. 7 See, however, B. Weiss, Der Philipper-Brief , who continuously takes in protestant theology when depicting the reception history of Philippians. 8 Clement of Alexandria identified a female character behind the expression: γνήσιε σύζυγε - in fact: Paul’s wife ( strom 3.448B; see B. Weiß, Philipper-Brief , 299) - an interpretation that was already (with reference to 1 Cor 7: 8) heavily debated in Patristic exegesis. In reformatory exegesis, however, that interpretation was reestablished (see Erasmus, Bugenhagen, Bullinger; B. Weiß, ibid.). 9 See H. Scheible, Melanchthon , 168ff. 10 G. Ebeling, Dogmatik I , 32: “Aber ebenso ist der Hinweis auf die Rechtfertigung allein aus Glauben nicht etwa als willkürliche Bevorzugung einer Lieblingslehre vor anderen gemeint, sondern als Angabe dessen, was die innere Struktur sämtlicher theologischer Aussagen ausmacht. Dasselbe gilt von der dem Rechtfertigungsthema korrespondierenden Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium-…” See also G. Ebeling, Luther , 121. 2. Melanchthon’s interpretation of Philippians in the Loci Communes (1521) 37 similar way and inspired by Luther’s hermeneutics, 11 Melanchthon makes use of the theologoumenon of justification. His interpretation of Paul’s letter-writing is widely informed by a Lutheran theological hermeneutics. 2.1. Melanchthon’s approach to Philippians in the Loci Melanchthon’s approach becomes evident in his most prominent writing, his “Hauptwerk,” 12 which at the same time is commonly known as the first “protestant dogmatic”: the Loci Communes (1521). Melanchthon formulates one of the central theological statements already in the introduction (0.13): Nam ex his (= vis peccati, lex, gratia [0.12]) proprie Christus cognoscitur, siquidem hoc est Christum cognoscere beneficia eius cognoscere, non, quod isti docent, eius naturas, modos incarnationis contueri. 13 In his comment to this Locus , Horst Georg Pöhlmann emphasizes how Melanchthon partly has based this thesis of protestant theology on his reading of Paul (see “ Declamatiuncula in Divi Pauli Doctrinam ”, 1520). Melanchthon partly refers to Luther’s “Heidelberger Disputation” (1518) and Luther’s Operationes in Psalmos (1519-1521). 14 How can we best describe the potential of “protestant” - or, more specifically: Lutheran - hermeneutics as articulated here? There are two hermeneutical insights implied in Melanchthon’s proposition - one is critical or analytical, the other one is constructive: 15 The critical or analytical dimension leads to a substantial deconstruction of a theologia gloriae , as represented by Scholastic theologians like Thomas of Aquinas 16 (… non, quod isti docent, eius naturas, modos incarnationis contueri ). It leads, at the same time, to a disclosure of what beneficium actually contradicts ( vis peccati, lex, gratia , 0.12). In a constructive sense, Melanchthon shows how the perception of Christ is defined (… hoc est Christum cognoscere beneficia eius cognoscere- …) and what “beneficium” ex positivo means and presupposes ( vis peccati, lex, gratia ). The “constructive potential” of Melanchthon’s theological proposition becomes most evident in the way in which he later on in the Loci explicitly refers to Paul and his letter to the Philippians (7.34; 7.90f.): 11 See H. Scheible, Melanchthon , 170. 12 See H. Scheible, Melanchthon , 172. 13 P. Melanchthon, Loci , 22. 14 P. Melanchthon, Loci , 22f. (n. 27). 15 Melanchthon would according to Neh 4: 11 describe this phenomenon as follows: Jerusalem was rebuilt in that people did building-work with one hand and had their sword in the other - s. reference to this in his funeral tale on Luther below. 16 P. Melanchthon, Loci , 22f. (n. 27). 38 II Philip Melanchthon’s reading of Paul’s letter to the Philippians (a) In 7.33f., Melanchthon discusses the fact that justification is not yet reached completely. He refers to Luther as well as to Augustine, Cyprian and Paul (Rom 7: 23; 12: 2). Melanchthon claims: “… quatenus credimus, liberi sumus, quatenus diffidimus, sub lege sumus .” 17 In that context, he adds a reference - not a direct quotation 18 - to Phil 3: 12 in order to show that Paul himself was conscious about the continuous need of aiming for “perfection.” I cannot discuss here in detail how Melanchthon interprets the meaning of “law.” More importantly, the basic idea here is to shape in a noetic sense an “Existenzbeschreibung” that follows up the distinction between credimus = liberi sumus, and diffidimus = sub lege sumus . In other words, Melanchthon develops a type of a Christ-believing Existenzbeschreibung in which the “law” has a constitutive function for the believer’s self-understanding. From this point of view, Melanchthon also approaches Phil 3: 12 - a text that can be read differently from a modern exegetical perspective. When Paul talks about his imperfection in Phil 3, he points to his eschatological hope (Phil 3: 14) as well as to his current personal situation: the biographical context in prison (Phil 1: 7 etc.). Paul does not necessarily develop an anthropological statement but rather reaches an interpretation of his personal fortune, which might be of relevance for his “imitators” (see Phil 3: 17) who are like himself emulators of Christ. (b) Another example of how Melanchthon approaches Philippians via the hermeneutical key of iustitia ex lege , can be found in his interpretation of Phil 3: 8f. The Pauline passage is still framed by Paul’s autobiographical narratio (Phil 3: 4bff.). Herein, it refers to Paul’s self-understanding as a personal example to his readers. In his interpretation of that passage in the Loci (7.90f.), however, Melanchthon reads the Pauline statement in light of the theologoumenon of the iustitia ex deo est (per fidem est Christi). We, thus, get the impression that Melanchthon, again, narrows Paul’s thinking, such as in his letter to the Philippians, in that he makes it first of all to be a contribution to the theological discourse about iustitia and lex . Is Melanchthon’s approach to Phil 3 legitimate in terms of hermeneutics? In a motific sense it is: In Phil 3: 9 Paul talks about πίστις, νόμος, and δικαιοσύνη. However, in the argumentative frame of Phil 3 it becomes evident that the theologoumenon of justification does not really stand in the center of the Pauline argument but only supports Paul’s conceptualization of his own personal exemplum that he provides for his readers. In his interpretation of Phil 3 in the 17 P. Melanchthon, Loci , 300. 18 The Vulgata-text (Phil 3: 12) is: -… non quod iam acceperim aut iam perfectus sim sequor autem si conprehendam in quo et conprehensus sum a Christo Iesu. 2. Melanchthon’s interpretation of Philippians in the Loci Communes (1521) 39 Loci Melanchthon thus narrows or even misconceives Paul’s crucial argument of apostolic self-reflection. I shall add here a philological remark to Phil 3: 9, where Melanchthon quotes the Pauline text, while he only alludes to it in the cases of Phil 3: 8 and 3: 12 (see above). In the case of Phil 3: 9 the Pauline text obviously is of specific theological importance. It seems as if Melanchthon does not have the Vulgata-text in mind but that he himself translates the Greek text: Melanchthon’s Latin text is much closer to the Greek than contemporary Latin translations, especially when it comes to the complicated interpretation of the prepositions that are used here: The Vulgata-text says: -… sed illam quae ex fide est Christi quae ex Deo est iustitia in fide. The Greek text, however, says: - … ἀλλὰ τὴν διὰ πίστεως Χριστοῦ, τὴν ἐκ θεοῦ δικαιοσύνην ἐπὶ τῇ πίστει - a phrase that is much better expressed in Melanchthon’s translation in his Loci : -… sed eam, quae per fidem est Christi, quae iustitia ex deo est 19 - per fidem equals διὰ πίστεως. The art of Greek philology finally leads Melanchthon to a significant concept of “faith”: Melanchthon’s translation - even though it might reflect reformatory theology here - is much more than the Vulgata-tradition close to the Pauline Greek in a philological sense. Melanchthon’s expertise as a Greek philologist is an important contribution to the reformatory movement since it attests to the reformatory movement in humanism. 20 2.2. Melanchthon’s exegetical principles in his Loci in light of the “New Perspective” In his interpretation of Pauline texts, such as Phil 3, Melanchthon is in his Loci strongly influenced by a “Lutheran hermeneutics.” Melanchthon approaches his reading of Phil 3 through the lenses of the theologoumenon of justification by focusing his interpretation on lex, gratia and iustificatio as key terms. Even if Melanchthon is concise regarding matters of Greek philology, he tends to narrow Pauline thinking to the concept of justification. The suspicion regarding the paradigmatic of a “Lutheran reading of Paul,” raised by the representatives of the “New Perspective,” seem to be legitimate - it even applies to Melanchthon’s exegesis of Pauline texts. Nevertheless, the NPP-critique of a “Lutheran Paul” that was dominating Protestant exegesis and its preunderstanding of Pauline texts in the sense of a “Western reading” falls much too short. This becomes evident in two points: 19 P. Melanchthon, Loci , 318. 20 See H. Scheible, Melanchthon , 105ff. 40 II Philip Melanchthon’s reading of Paul’s letter to the Philippians (1) The critique of the “Lutheran Paul” as articulated by the representatives of the NPP is not new. It is rather typical of protestant theology - in line with Lutheran tradition - to question its dogmatic and hermeneutical framework constantly. One of these self-critical debates took place in 1916 between Wilhelm Bousset (1865-1920) and Paul Wernle (1872-1939). Bousset - in his refutation of Wernle’s critical remarks about Bousset’s monograph “Kyrios Christos” - raised the issue of to what extent protestant theology as a hermeneutical key can legitimately lead Pauline exegesis. 21 As Bousset and Wernle, as well as all subsequent protestant theologians, are diverse interpreters of Paul and Luther, the history of (protestant self-)critique still continues. Likewise, Ed P. Sanders and Krister Stendahl have formulated their critique of previous Lutheran theologians and their approaches to Pauline exegesis. Today we have to continuously work out how we can further develop our research perspective on Paul and Pauline reception history up to the reformation period and its impact on modern Paulinism. The task of interpreting Luther and Paul is per definitionem infinite. Rudolf Bultmann, who was himself frequently under suspicion as a representative of the so-called “Lutheran Paul,” 22 was quite sensitive of the various dilemmas of the Paul-and-Luther-reception. Bultmann himself pointed out how Luther’s interpretation of Pauline texts does not only provide helpful insights into the interpretation of Paul’s letter-writing but also tends to narrow or even conceal Pauline thinking: 23 Before judging about Luther’s reading of Paul , we have to work on an appropriate understanding of Luther . The “Lutheran Paul,” in other words, cannot be restricted to a fixed paradigm or a concise hermeneutical concept - Luther as an exegete of Paul is himself part of a dynamic process of reception history. We thus have to prepare for a careful understanding of Luther and Luther’s exegesis of Pauline texts first. (2) At the same time, we cannot take all protestant theologians or all protestant writings with the same brush: We have to distinguish between Luther and Melanchthon as we have to distinguish between the Loci Communes and 21 “Die Hauptfaktoren des paulinischen Christentums sind nicht dieselben wie die des reformatorischen: Sündenelend und der immer wiederholte, täglich erneuerte Trost der Vergebung. Im Mittelpunkt des persönlichen Christentums des Paulus steht vielmehr das beseligende Gefühl der völligen Neuschöpfung, der Freiheit der pneumatischen Gotteskinder,” W. Bousset, Jesus , 47f. - In general, Bousset opposes in this book Wernle’s contribution: “Jesus,” 1-92. 22 Cf. M. Zetterholm, Paul , e.g. 75. 23 In 1928, Rudolf Bultmann says: “The academic research is infinite, because our terminology develops infinitely and therefore each generation is given the task of interpretation. Luther’s exegesis of Paul may be based on a real understanding of Paul; but we cannot settle for it, since we first of all need to interpret Luther,” R. Bultmann, “Bedeutung,” 114- 133, 123. 3. Melanchthon’s interpretation of Philippians in his Oratio (1546) 41 other types of reformatory literature - either written by Melanchthon or other theologians. Even though certain theologoumena - such as the justificationtheologoumenon - have consistently been brought up by reformatory theologians, there is no uniform “reformatory Pauline exegesis.” We have to study Luther and Melanchthon differently - we have to look at them as individual theologians and authors and we even need to distinguish between the different types of writings that derive from the same author. I shall thus in a final step look at a different writing of Melanchthon - dating to 1546 - where he, in contrast to the Loci , approaches Paul’s letter to the Philippians from a rather different perspective. 3. Melanchthon’s interpretation of Philippians in his Oratio (1546) We will now turn to a text that has generally not been counted among the most central writings of Melanchthon: Melanchthon’s funeral speech on Luther (“ Oratio in funere reverendi viri D. Martini Lutheri ”). However, this text gives a good impression of Melanchthon’s view on both Luther and Paul in 1546. After a complicated history of transmission that cannot be discussed here, 24 the “ Oratio in funere reverendi viri D. Martini Lutheri ” has been edited again in 1997. In his funeral speech on Luther, Melanchthon chooses a prominent literary type of an oratio that is known from antiquity: the laudatio funebris . In his speech, Melanchthon though claims several times that he would differ from the ancient prototype (… tantum de mortui laudibus- …) 25 since he would not intend to hold a laudation. This assertion, however, rather functions as an introductory trope. Melanchthon starts by placing Luther in the list of de viris illustribus , which reaches from Adam to Johannes Tauler. Hereafter Melanchthon compares the regents of big ancient empires - Solon, Themistocles, Scipio and Augustus - with leaders of the church, such as Isaiah, John the Baptist, Paul, Augustine and Luther who, of course, exceed the former group of ancient figures. Afterwards, Melanchthon portrays Luther as a humanist and a teacher of the church. In order to show Luther’s humanist profile, Melanchthon uses various proofs: He refers to respective attestations made by Erasmus; he talks about Luther’s virtues - in comparison with ancient ideas of virtues (see Hercules or Cimon); 24 See S. Bräuer, “Überlieferung,” 185-209. 25 The text is edited by S. Bräuer, “Überlieferung,” 214-219, 214. - See also the translation into German: “Rede,” 156-168. - See also: W. Wischmeyer, “Melanchthon,” 517-534. 42 II Philip Melanchthon’s reading of Paul’s letter to the Philippians he claims that Luther was eager to read history-writing in order to interpret on the basis of exempla mentioned there contemporary time and life. In Melanchthon’s funeral speech, Luther appears as a true humanist. Which role does Pauline exegesis play in Melanchthon’s speech and in his portrait of Luther? Regarding how Melanchthon reads and uses Pauline texts here and how he summarizes Luther’s theology, two observations are of particular interest to me: First , Luther’s teaching - and this is the main argument in Melanchthon’s speech - “points to the will of God and the real worship, it interprets the Bible and the word of God, the Gospel of Jesus Christ.” 26 According to Melanchthon’s interpretation, Luther has renewed the true and necessary teaching, especially in regard to atonement ( poenitentia ). Luther had explained Paul’s teaching, “which says that Man is justified by belief,” 27 as Melanchthon puts it. Here, again, the theologoumenon of justification occurs as a central element of how Luther conceptualizes Paul’s theology. The theologoumenon of justification, however, is not the only way in which Melanchthon characterizes in the funeral speech Luther’s achievements as a teacher. Second , how does Melanchthon use Pauline letters in general? How does he refer to Paul’s letter to the Philippians in particular? There is one direct quotation of Philippians existent in the funeral speech. At first, this quotation could be a kind of a reference of any sort to an ancient source text - Melanchthon uses Philippians in a rather unspecific way, in fact in conjunction with other biblical writings or pagan literature like Vergil. When quoting the Greek text of Phil 4: 8, Melanchthon only refers to the first part of this verse (4: 8a) 28 . Phil 4: 8 is the only time that Paul uses the term ἀρετή. The topic of “virtue” reflects precisely what Melanchthon addresses in the funeral speech and how he wants to dignify Luther’s lifework. Melanchthon aims at revealing Luther’s virtues (see above). For that purpose, he refers to the “short list of virtues” as being presented in Phil 4: 8. However, Melanchthon himself does not make use of the term ἀρετή here. Neither does he state that already Paul would have had an idea about human or specifically Christian virtues. Melanchthon rather presupposes that his audience knows this verse by heart so that Phil 4: 8, in fact, acts as a key-element of the whole speech. Phil 4: 8 is in the center of Melanchthon’s valuation of Luther and his ethos as a teacher of the church. 26 … sed demonstrationem uoluntatis et ueri cultus Dei, et explicationem sacrarum literarum, et praeconium uerbi Dei, id est, Euanglij IESV CHRISTI , S. Bräuer, “Überlieferung,” 214 (cf. “Rede,” 157). 27 … Illustrauit Pauli doctrinam quae ait, fide iustificari hominem , S. Bräuer, “Überlieferung,” 215 (see “Rede,” 159). 28 See S. Bräuer, “Überlieferung,” 216. 3. Melanchthon’s interpretation of Philippians in his Oratio (1546) 43 The role of Paul’s letter to the Philippians for the concept of Melanchthon’s funeral speech is not at all marginal. Philippians rather more appears to be a central source text - an “intertext” which Melanchthon continuously recalls. In the rhetorical frame of lauding Luther and his lifework, it is thus less the theologoumenon of justification that dominates Melanchthon’s argument here, but much more the concept of creating Luther’s paradigmatic role in light of Paul’s self-description. In the end of his speech, Melanchthon points to various paradigmatic teachers, like Jeremiah, John the Baptist and Paul. He suggests adding Luther to this list of paradigmatic teachers. 29 By fashioning Luther as such a paradigmatic teacher, Melanchthon adequately reflects Paul’s self-conceptualization in Philippians. In no other letter does Paul shape such a clear concept of himself as an exemplum , which should be imitated by his readers. 30 Besides his quotation of Phil 4: 8, Melanchthon’s reading of Paul’s letter to the Philippians thus proves to be “appropriate” and in line with Paul’s pragmatics of writing in at least two dimensions: First , Melanchthon makes Luther to appear as a true imitator of Paul. Hereby, he follows Paul’s pragmatics of letter-writing in Phil 3: 17. When Melanchthon talks about Luther’s expectation of being close to God and Jesus Christ - after having been taken out of his body in order to see God’s identity 31 - Melanchthon most obviously alludes to Phil 3: 10f.: He makes Paul’s desire of recognizing Christ after being transformed into Christ’s fortune to become Luther’s own desire. Melanchthon actualizes Luther as the paradigm of a Christ-emulator as defined by Paul in his letter to the Philippians. Second , in pointing to Luther’s virtues and adding him to the list of paradigmatic teachers, Melanchthon explicitly requests of his audience to “imitate” Luther (… Virtutes etiam nobis necessarias pro nostra mediocritate imitemur- …). 32 Here Melanchthon obviously alludes another time to Paul’s demand of following or “mimicking” him (Phil 3: 17): As Paul admonishes the community in Philippi to “imitate” him by doing what they have learned and received from Paul (Phil 4: 9), Melanchthon makes Luther to be a virtue-based object of imitation. In Melanchthon’s speech, Luther becomes nothing less than an impersonation of Paul in his letter to the Philippians. Melanchthon’s exegesis of Paul has more to offer than a reiteration of a certain hermeneutical key: the theologoumenon of justification. Melanchthon 29 … ita saepe huius uiri doctrinam et cursum consideremus- … S. Bräuer, “Überlieferung,” 218 (see “Rede,” 166). 30 See E.-M. Becker, “Mimetische Ethik,” 219-234. 31 S. Bräuer, “Überlieferung,” 217 (see “Rede,” 164). 32 S. Bräuer, “Überlieferung,” 218 (see “Rede,” 166). 44 II Philip Melanchthon’s reading of Paul’s letter to the Philippians demonstrates a high amount of exegetical sensitivity. He shows that there is finally no one-dimensional reading of Paul that would comply with a “Lutheran” or a “Melanchthonian Paul.” Studying Pauline exegesis in reformatory time will certainly reveal manifold ways of conceptualizing Pauline theology beyond the justification doctrine or mimetic ethics. Bibliography E.-M. Becker, “Mimetische Ethik im Philipperbrief. Zu Form und Funktion paulinischer exempla,” in: Metapher - Narratio - Mimesis. Begründungsformen frühchristlicher und antiker Ethik (ed.-by F. W. Horn et al.; WUNT 356; Tübingen: Mohr Siebeck, 2016), 219-234 - in this volume nr. XIV. W. Bousset, Jesus der Herr. Nachträge und Auseinandersetzungen (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1916). S. Bräuer, “Die Überlieferung von Melanchthons Leichenrede auf Luther,” in: Humanismus und Wittenberger Reformation. Festgabe anläßlich des 500. Geburtstages des Praeceptor Germaniae Philipp Melanchthon am 16. Februar 1997 (ed. M. Beyer et al.; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 1996), 185-252. S. Bräuer, “Rede bei der Bestattung des ehrwürdigen Mannes D. Martin Luther”, in: Melanchthon deutsch (ed. M. Beyer et al.; Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt, 1997), 156-168. R. Bultmann, “Die Bedeutung der ‘dialektischen Theologie’ für die neutestamentliche Wissenschaft,” in: GuV 1 (UTB 1760; Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck), 1993 9 ), 114-133. G. Ebeling, Dogmatik des christlichen Glaubens Band I. Prolegomena - Erster Teil (Tübingen: J. C. B. Mohr, Paul Siebeck, 1987 3 ). G. Ebeling, Luther. Einführung in sein Denken (UTB 1090; Tübingen: J. C. B. Mohr (Paul Siebeck) 4 1981). P. A. Holloway, Philippians. A Commentary (Hermeneia; Minneapolis: Fortress, 2017). P. Melanchthon, Loci Communes 1521. Lateinisch-Deutsch. Übersetzt und mit kommentierenden Anmerkungen versehen von H. G. Pöhlmann (ed. by Lutherisches Kirchenamt der VELKD; Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1997 2 ). J. P. B. Mortensen, “Filipperbrevet 3: 2-11 og det ‘radikalt’ ny Paulusperspektiv (eller ‘Paul Within Judaism’),” in: DTT 81 (2018), 189-204. J. P. B. Mortensen, Paul Among the Gentiles: A ‘Radical’ Reading of Romans (NET 28; Tübingen/ Basel: Francke, 2018). M. D. Nanos, “Out-Howling the Cynics. Reconceptualizing the Concerns of Paul’s Audience from His Polemic in Philippians 3,” in: The People beside Paul. The Philippian Assembly and History from Below (ed. by J. A. Marchal; Atlanta: SBL Press, 2015), 183-222. Bibliography 45 H. Scheible, Melanchthon. Vermittler der Reformation. Eine Biographie (München: C. H. Beck, 2016). K. Stendahl, “The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West,” in: Journal for the Scientific Study of Religion 1/ 2 (1962), 261-263. K. Stendahl, “The Apostle Paul and the Introspective Conscience of the West,” in: HTR 56 (1963), 199-215. B. Weiss, Der Philipper-Brief ausgelegt und die Geschichte seiner Auslegung kritisch dargestellt (Berlin: Wilhelm Hertz, 1859). P. Wernle, “Jesus und Paulus. Antithesen zu Boussets Kyrios Christos,” in: ZThK 25 (1915), 1-92. W. Wischmeyer, “Melanchthon - Erste Früchte des Jubiläumsjahres 1997,” in: Gottes-Vorstellungen. Die Frage nach Gott in religiösen Bildungsprozessen. Gottfried Adam zum 60. Geburtstag (ed.-by U. Körtner/ R. Schelander; Wien 1999), 517-534. M. Zetterholm, Approaches to Paul. A student‘s guide to recent scholarship (Minneapolis: Fortress, 2009). III „Der Apostel Paulus im Gefängnis“: Rembrandts Deutung 1627 1. Rembrandt - der Porträtmaler Rembrandt van Rijn - der „größte holländische Maler und einer der größten Maler aller Zeiten“ 1 - gilt zugleich als bedeutender Porträtmaler, der seine Figuren als Charaktere zeigt, präzise, ernsthaft und scharf darstellt, sie zu individuellen Gestalten macht, die vom Leben gezeichnet sind, ohne ihm hoffnungslos ausgeliefert zu sein. Ähnlich ernst, ohne hoffnungslos zu sein, wirkt auch Paulus auf dem Gemälde „Der Apostel Paulus im Gefängnis“. Dieses Gemälde, das auf die Figur des Heidenapostels konzentriert ist, lässt sich als ein Idealporträt bezeichnen. Rembrandt dienen neben Figuren wie Aristoteles („Aristoteles vor der Büste des Homer“, 1653, Metropolitan Museum of Art, New York) vielfach auch Personen aus der Geschichte Israels und des frühen Christentums - so wie Paulus - als Vorlagen zu solchen Idealporträts. So kommt in dem Gemälde „Der Apostel Paulus im Gefängnis“ von 1627, das sich in der Staatsgalerie Stuttgart befindet, beides zusammen - Rembrandts tiefe Kenntnis von Menschen sowie sein Interesse an biblischen Themen 2 : Und gerade mit diesem Gemälde gelingt es ihm, eine menschliche Gestalt in ein biblisches Thema zu transponieren und - umgekehrt - der wichtigsten Person des frühen Christentums ein individuelles menschliches Profil zu verleihen. Rembrandt ist erst 21 Jahre alt und lebt noch in seiner Geburtsstadt Leiden, als er den gealterten Apostel Paulus in einer Gefängniszelle darstellt. Das Gemälde zählt zu Rembrandts Frühwerken, ist also entstanden, bevor dieser nach Amsterdam übersiedelte und hier sehr schnell als Bildnismaler Karriere machte. Doch ist dieses frühe Gemälde bereits charakteristisch für Rembrandts Schaffen insgesamt. Denn auch in späteren Gemälden - wie etwa bei „Petrus und Paulus im Gespräch“ (1628, National Gallery of Victoria, Melbourne) - wird sich Rembrandt mit der Gestalt des Apostels Paulus befassen. Und 1661, als er etwa acht Jahre vor seinem Tod im Alter von 55 Jahren ein Selbstporträt - ein von Rembrandt bevorzugt gewähltes genre , mit dem er gleichsam eine zusammenhängende Selbstbiographie schafft 3 - malt, stellt er sich hier sogar selbst 1 E. H. Gombrich, Geschichte der Kunst , 419. 2 Vgl. D. Apostolos-Cappadona, „Rembrandt“, 426. 3 Vgl. E. H. Gombrich, Geschichte der Kunst , 420. 48 III „Der Apostel Paulus im Gefängnis“: Rembrandts Deutung 1627 als Apostel Paulus dar („Selbstporträt als Apostel Paulus“, 1661, Rijksmuseum, Amsterdam). So begleitet der ‚Apostel Paulus‘ als Person und Motiv das künstlerische Schaffen Rembrandts zeitlebens. 2. Zur Bildbeschreibung 2.1. Ikonographie In Rembrandts Gemälde „Der Apostel Paulus im Gefängnis“ ist Paulus allein zu sehen - es handelt sich um ein Idealporträt. Paulus tritt uns trotz seiner leicht gebückten Körperhaltung als kräftig gewachsene Apostelgestalt entgegen. Hier liegt ein neuzeitlicher Bildtypus vor, der wesentlich dem durch die Apostelgeschichte entworfenen Paulus-Bild entspricht und sich von den frühen Paulus-Darstellungen, die Paulus klein, mit Glatze und gebogener Nase zeigen und die auf dem durch die Acta Pauli konzipierten Paulus-Bild basieren (Act Pl 3,2-3), unterscheidet 4 . Paulus ist sichtlich gealtert und trägt leicht gewelltes weißes Haar sowie einen an die Philosophentradition angelehnten langen Bart. Die Augen des Apostels wirken müde, doch der aufgestützte rechte Arm sowie der fest umgriffene Schreibstift in der linken Hand demonstrieren Entschlossenheit. Der Blick ist diagonal leicht nach unten gerichtet und verläuft parallel zu dem einfallenden Lichtstreifen, der in Hinsicht auf Richtung und Farbe auf eine tiefstehende frühabendliche Sonne schließen lässt. Der Lichtstreifen illuminiert besonders den Kopf und Rumpf, d. h. die Schreibhaltung des Apostels. Im Zentrum des Bildes befindet sich der auf einen Codex gestützte rechte Ellenbogen des Paulus. Die rechte Hand stützt das Kinn und bringt - in paralleler Linienführung zum stehenden Schwert - einen Gestus der Nachdenklichkeit zum Ausdruck. Durch die Bildaufteilung wird der briefschreibende Paulus betont. Rembrandt stellt Paulus also im Typus des sitzenden Evangelisten dar 5 , der schon in der mittelalterlichen und neuzeitlichen Kunst als ‚sinnender Apostel‘ bei der Abfassung seiner Briefe vorgeprägt ist 6 (als zeitliche Parallele zu Rembrandt vgl. auch Jan Lievens [1607-1674], „Der Apostel Paulus“, ca. 1629, Kunsthalle, Bremen). Das rechte Bein des Apostels ist leicht nach außen gedreht, so dass der nackte, auf einem Steinvorsprung neben dem Schuh liegende rechte Fuß stärker in das Augenmerk des Betrachters fällt. 4 Vgl. M. Lechner, „Paulus“, 130f. 5 Vgl. ebd., 137. 6 Vgl. ebd., 138. 2. Zur Bildbeschreibung 49 Rembrandt van Rijn, Paulus im Gefängnis (1627). Staatsgalerie Stuttgart. Foto: anagoria. https: / / de.wikipedia.org/ wiki/ Datei: 1627_Rembrandt_Paulus_im_Gef%C3%A4ngnis_ Staatsgalerie_Stuttgart_anagoria.JPG 50 III „Der Apostel Paulus im Gefängnis“: Rembrandts Deutung 1627 2.2. Attribute Das wichtigste, wenngleich auch auf der linken Seite im Schatten befindliche Attribut ist das vertikal stehende Schwert, das besonders seit dem 13. Jh. für Paulusdarstellungen obligatorisch wird 7 . Es findet sich aber schon auf dem sog. Bassus-Sarkophag (359 n. Chr.) und symbolisiert in der Frühzeit der Paulus-Ikonographie den Märtyrertod des Apostels: Da Paulus sich nach der Darstellung der Apostelgeschichte (Apg 22,28) auf das römische Bürgerrecht berufen konnte, wurde er vermutlich durch das Schwert hingerichtet, also enthauptet. Die frühesten Hinweise auf den Tod des Paulus in 1 Clem 5,3ff. allerdings geben keinerlei Aufschluss über die Art des paulinischen Martyriums. In späterer Zeit scheint das Schwert auch allegorisch gedeutet und auf die Schärfe der theologischen Verkündigung des Paulus (z. B. 1 Kor 1-2) bezogen worden zu sein 8 . Auch in dem „Selbstporträt als Apostel Paulus“ (ca. 1661) verweist Rembrandt - wenn auch nur in Andeutung - auf das Schwert als Attribut. In der protestantischen Tradition tritt zu dem Attribut des Schwertes vielfach das Buch hinzu 9 : In Rembrandts Darstellung, wo mehrere geöffnete und geschlossene Codices sowie einzelne Manuskriptseiten rechts von der Apostelgestalt auf der Schlafstätte aufliegen, berühren sich die Attribute Schwert und Buch sogar direkt, so dass die allegorische Deutung des Schwertes ausgearbeitet zu sein scheint. Der ausgezogene rechte Schuh und der auf einem Steinvorsprung ruhende rechte Fuß erinnern an die bei seiner Berufung in Ex 3,5 an Mose ergangene Aufforderung, sich ohne Schuhe Gott zu nähern: „Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land.“ Auch darüber hinaus schafft Rembrandt eine Paulus-Mose-Typologie: Denn obwohl das Gemälde keinerlei Inschriften oder Anspielungen auf bestimmte Bibelverse oder Zitate aus den Paulus-Briefen enthält, verweist der einfallende Lichtstreifen doch implizit auf 2 Kor 3,18, d. h. auf einen Vers, der kunstgeschichtlich gerne und oft mit der Paulus-Ikonographie verbunden wird 10 : „Nun aber schauen wir alle mit aufgedecktem Angesicht die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel, und wir werden verklärt in sein Bild von einer Herrlichkeit zur andern von dem Herrn, der der Geist ist.“ Genau dieser Vers aber findet sich im 2 Kor am Ende jenes Abschnittes, in welchem Paulus den apostolischen Dienst mit dem Dienst des Mose vergleicht. 7 Vgl. ebd., 132. 8 Vgl. ebd., 132f. 9 Vgl. ebd., 134. 10 Vgl. ebd., 134. 3. Der biblische Hintergrund 51 3. Der biblische Hintergrund In Rembrandts Gemälde „Der Apostel Paulus im Gefängnis“ sind zwei wesentliche neutestamentliche Motive verarbeitet und miteinander verbunden, nämlich erstens die Gefangenschaft des Paulus und zweitens der briefeschreibende Paulus - ein Motiv, auf dessen Basis Rembrandt den Paulus als Evangelisten stilisiert. Die Gefangenschaft des Paulus ist in den neutestamentlichen Schriften literarisch gut dokumentiert: Fünf der insgesamt dreizehn unter dem Namen des Paulus überlieferten Briefe sind offenbar in der Situation einer Gefangenschaft entstanden (Phil, Phlm, Kol, Eph; 2 Tim). Diese Briefe werden daher als sog. Gefangenschaftsbriefe bezeichnet. Nach modernem Forschungsstand sind allerdings nur zwei dieser Briefe (Phil, Phlm) authentisch, d. h. tatsächlich von Paulus in seiner Gefangenschaft abgefasst. Unklar bleibt, um welche Gefangenschaft des Paulus es sich hier jeweils historisch handelt oder welche Gefangenschaft in den drei pseudepigraphen Briefen literarisch fiktiv entworfen ist: Den sog. Peristasenkatalogen (z. B. 2 Kor 11,23ff.), in denen Paulus seine Leiden als Apostel aufzählt, ist jedenfalls zu entnehmen, dass Paulus mehrfach und in verschiedenen Zusammenhängen in Gefangenschaft geriet. Nehmen wir die Zeugnisse der Apostelgeschichte hinzu, so müssen wir davon ausgehen, dass Paulus an unterschiedlichen Orten, nämlich offenbar in Ephesus (vgl. 2 Kor 1,3- 11), in Philippi (vgl. Apg 16,23ff.), in Caesarea (Apg 23-26) und erst zuletzt in Rom (Apg 28) in Gefangenschaft war. Auch über Paulus hinaus ist die Gefangenschaft von wichtigen Gottesboten ein beliebtes Thema in den biblischen Schriften: Hier ist etwa an die Gefangenschaft des Josef in Gen 39 zu denken. Dem frühjüdischen Geschichtsschreiber Artapanus (2. Jh. v. Chr.) zufolge geriet auch Mose in Gefangenschaft und wurde - ähnlich wie Petrus, Paulus und Silas in Apg 12 und 16 - durch ein Türöffnungswunder befreit (nach Eusebius, P E IX,27,23-25). In neutestamentlicher Zeit wird besonders über die Inhaftierung des Täufers Johannes in Mk 1,14parr. sowie seinen Aufenthalt im Gefängnis (Mt 11,2) berichtet. In der Apostelgeschichte geraten nahezu alle Protagonisten - Petrus (Apg 12,3ff.), Paulus und Silas (Apg 16,23ff.), ja sogar „die Apostel“ als Kollektiv (Apg 5,18) - in Gefangenschaft. Jesus von Nazaret hingegen wird zwar im Zusammenhang der Passionsereignisse gefangen genommen (Mk 14,43ff.parr.), doch berichten die Evangelien nicht über einen Gefängnisaufenthalt Jesu, sondern deuten ihn höchstens insofern an, als zwischen der Gefangennahme und den ersten Verhören einerseits sowie der Auslieferung Jesu an Pilatus andererseits mindestens eine Nacht liegen muss (vgl. Mk 15,1; Joh 18,29). Während die Apostelgeschichte umfänglich über die Inhaftierungen und Gefangenschaften des Paulus erzählt, berichtet sie nichts über den briefeschrei- 52 III „Der Apostel Paulus im Gefängnis“: Rembrandts Deutung 1627 benden Paulus . Dass Paulus - sogar während seiner Gefangenschaften - Briefe geschrieben hat, ist hingegen vor allem seinen Briefen selbst und den hierin formulierten Hinweisen auf Briefeschreiben (vgl. z. B. 2 Kor 1,12-14; 10,9-11) sowie späteren Reflexen auf die Paulus-Briefe (z. B. 2 Thess 2,2; 2 Petr 3,15f.) zu entnehmen. Indem Rembrandt den briefeschreibenden Paulus im Gefängnis inszeniert, verknüpft er also die in der Apostelgeschichte überlieferte Erzähltradition über die Inhaftierungen des Paulus mit der überlieferten Paulus-Briefliteratur selbst. Übrigens greift Rembrandt der modernen Epistolographie-Forschung insofern vor, als er Paulus die Codex-, also die Buch-Form, die sich besonders in der römischen Literatur des 1. Jhs. n. Chr. durchzusetzen begann, und nicht Papyrus-Rollen benutzen lässt 11 . Freilich wird es Rembrandt bei dieser buchgeschichtlichen Anspielung in erster Linie darum gehen, den schriftstellerisch tätigen Heidenapostel in eine größere Nähe zu den vier Evangelisten, die zumeist mit Büchern abgebildet werden, rücken und damit literarisch wie theologisch aufwerten zu wollen - ein Motiv, das sich etwa auch in der berühmten Vier-Apostel-Darstellung Albrecht Dürers („Die vier Apostel Johannes, Petrus, Markus und Paulus“, 1526, Alte Pinakothek, München) finden lässt. Während den oben genannten paulinischen Gefangenschaftsbriefen nicht deutlich zu entnehmen ist, um welche Gefangenschaft des Paulus es sich hier jeweils handelt, lässt Rembrandt keinen Zweifel daran aufkommen, welche paulinische Gefangenschaft er selbst in den Blick nimmt: Das auf der linken Bildseite parallel zur Körperhaltung des Apostels platzierte Schwert sowie die gealterte Gestalt des Paulus deuten auf seinen baldigen Tod hin - Paulus befindet sich also in seiner letzten, in der römischen Gefangenschaft. Doch an welchem seiner Briefe könnte Paulus gerade arbeiten, als der Maler Rembrandt ihn im Gefängnis besucht und porträtiert? Eine Verknüpfung von Gefangenschaft, Alter und Todeserwartung oder Todessehnsucht findet sich vor allem in drei Briefen, nämlich in Phil, Phlm und 2 Tim (vgl. Phil 1,7.13; 1,20f.; Phlm 9; 2 Tim 1,8; 4,6-8). Rembrandt selbst hat allerdings noch nicht zwischen authentischen oder pseudepigraphen Paulus-Briefen unterschieden. Während Paulus im Phlm und im 2 Tim einige Mitstreiter oder Mitgefangene erwähnt (Phlm 23f.; 2 Tim 4,11.21), die bei ihm sind, scheint er nur im Philipperbrief 12 - so wie in Rembrandts Gefängnisszene - allein zu sein. Können wir also davon ausgehen, dass Rembrandt an den Philipperbrief denkt, wenn er den inhaftierten Paulus in dieser Szene allein in seiner Zelle sitzend einen Brief schreiben lässt? 11 Vgl. E.-M. Becker, Schreiben und Verstehen , 82ff. 12 Vgl. dazu zuletzt: J. A. Doole, „Was Timothy in Prison with Paul? “. 4. Rembrandt - der protestantische Maler 53 Der ernste, aber nicht hoffnungslose Gesichtsausdruck des Heidenapostels, der mit einem zögerlichen, aber entschlossenen, den Schreibfluss unterbrechenden Nachdenken verbunden ist, sowie der einfallende Lichtstreifen, der seine Person und einen Teil seiner Schriften illuminiert, legen den Eindruck nahe, dass Paulus gerade dabei ist, zwischen Ernst und Freude, Angst und Zuversicht hin- und hergerissen zu sein: Paulus könnte hier gerade Phil 1,18-20 formulieren wollen: „Was tut’s aber? Wenn nur Christus verkündigt wird auf jede Weise, es geschehe zum Vorwand oder in Wahrheit, so freue ich mich darüber. Aber ich werde mich auch weiterhin freuen; denn ich weiß, daß mir dies zum Heil ausgehen wird durch euer Gebet und durch den Beistand des Geistes Jesu Christi, wie ich sehnlich warte und hoffe, daß ich in keinem Stück zuschanden werde, sondern daß frei und offen, wie allezeit so auch jetzt, Christus verherrlicht werde an meinem Leibe, es sei durch Leben oder durch Tod.“ (Übersetzung nach: rev. Fassung der Lutherbibel 1984). 4. Rembrandt - der protestantische Maler Die Porträtmalerei gehört - kunst- und theologiegeschichtlich betrachtet - zu den wichtigsten Bildgattungen, die im Europa der nachreformatorischen Zeit, so auch im Holland des 17. Jhs., „in einer protestantischen Umgebung weiterbestehen konnte“ 13 . Rembrandt gibt sich darin, dass er die Porträtmalerei zur Interpretation biblischer Themen und Motive wählt, so gesehen als selbständiger und selbstbewusster protestantischer Maler zu erkennen. Denn ein Gemälde wie „Der Apostel Paulus im Gefängnis“ ist keineswegs als reine Bibelillustration zu verstehen, sondern bietet eine eigenständige, wohl protestantisch gefärbte Deutung der Person und der Theologie des Paulus: Rembrandt rückt den briefeschreibenden Paulus in schriftstellerische Nähe zu den Evangelisten und wertet damit seine Briefe literarisch und theologisch auf. Zudem gelingt es Rembrandt durch die Wahl der Porträtform, die Gefangenschafssituation des sog. Heidenapostels so zu deuten, dass sie über dessen autobiographische Hinweise und über die in der Apostelgeschichte entworfenen Erzählungen hinausgeht und uns gleichsam introspektiv Einblick in die ‚Person des Paulus‘ als der entscheidenden Konstante seines Lebens und Wirkens gewährt. 14 13 E. H. Gombrich, Geschichte der Kunst , 413. 14 Vgl. E.-M. Becker, „Person des Paulus“; D. Apostolos-Cappadona, „Rembrandt“, 428. 54 III „Der Apostel Paulus im Gefängnis“: Rembrandts Deutung 1627 Der bedeutende Kunsthistoriker Ernst H. Gombrich hat den Zusammenhang zwischen Rembrandts Menschenkenntnis und seinem starken Interesse an biblischen Themen und deren Deutung einmal wie folgt formuliert: „Betrachten wir-… Rembrandts große Porträts, stehen wir Menschen in aller Unmittelbarkeit gegenüber, so wie sie das Schicksal gezeichnet hat. Sein ruhiges Malerauge blickt geradewegs in die Tiefen der menschlichen Seele. Ich weiß, daß das sentimental klingt, aber ich kenne keinen anderen Ausdruck, um Rembrandts geradezu unheimliches Wissen um menschliches Empfinden und Verhalten zu kennzeichnen-… Dank dieser Gabe sind Rembrandts Illustrationen zur biblischen Geschichte so grundverschieden von allem, was vorangegangen ist. Als frommer Protestant muß er die Bibel immer wieder gelesen haben. Er versenkte sich in den Geist dieser Geschichten und versuchte, sich genau auszumalen, wie sie sich abgespielt haben mochten und wie sich Menschen in einer solchen Situation bewegen und benehmen würden“ 15 . So ist Rembrandts Gemälde „Der Apostel Paulus im Gefängnis“ letztlich nicht nur eine Momentaufnahme aus dem Leben und Wirken des Paulus, sondern bietet eine theologisch eigenständige Analyse der Person des Paulus. Wenn einer der bedeutendsten Theologen des 20. Jhs., der Neutestamentler Rudolf Bultmann (1884-1976), schon in seinen Berliner Studiensemestern (1904/ 1905) besonders die Malerei Rembrandts zu schätzen lernt, weil sie seiner Meinung nach eine eindringliche Analyse der menschlichen Realität bietet 16 , so erweist sich hier, wie eng Rembrandts Kunst auch wirkungsgeschichtlich mit der protestantischen Theologie und Kultur, ja der neutestamentlichen Exegese, bis ins 20. Jh. und darüber hinaus verbunden bleibt. Bibliographie D. Apostolos-Cappadona, „Rembrandt“, in: RGG 4 7 (2004), 426-429. E.-M. Becker, Schreiben und Verstehen. Paulinische Briefhermeneutik im Zweiten Korintherbrief (NET 4; Tübingen/ Basel: Francke, 2002). E.-M. Becker, „Person des Paulus“, in: O. Wischmeyer (Hg.), Paulus. Leben - Umwelt - Werk - Briefe (hg. O. Wischmeyer; UTB 2767; Tübingen/ Basel: Francke, 2006 [2012 2 ]), 107-119. J. A. Doole, „Was Timothy in Prison with Paul? “, in: NTS 65 (2019), 59-77. E. H. Gombrich, Die Geschichte der Kunst (Frankfurt: S. Fischer, 1996 16 ). K. Hammann , Rudolf Bultmann. Eine Biographie (Tübingen: Mohr Siebeck 2009). M. Lechner, „Paulus“, in LCI 8 (1976), 128-147. 15 E. H. Gombrich, Geschichte der Kunst , 423. 16 Vgl. K. Hammann, Rudolf Bultmann , 22. IV The anxiety (Sorge) of the human self: Paul’s notion of μέριμνα 1. Paul’s ultima verba on anxiety in Philippians In ancient and modern discourse, the phenomenon of “anxiety” and “care” is much debated. 1 In the Greek-speaking world, μέριμνα primarily reflects human ‘anxiety’ and ‘worry’, and, as such, the Septuagint writings as well as early Christian literature tend to adopt a relatively uninformed or critical view of human anxiety and care: Matt 6: 25-34, the passage “often etitled ‘On Anxiety’”, 2 contains the strong Jesuanic imperative “do not be anxious” (μὴ μεριμνᾶτε: Matt 6: 25). 3 In combination with Jesus’ admonition of Martha - “… you are anxious and troubled about many things (μεριμνᾷς καὶ θορυβάζῃ περὶ πολλά)” (Luke 10: 41; cf. also: Luke 21: 34) 4 -, μέριμνα is generally seen as an expression by which (the Matthean and Lukan) Jesus devalues and criticizes the attitude of “anxiety,” and New Testament researchers have devoted little scholarly attention to investigating this phenomenon. 5 The Latin expression cura , in contrast, is considerably more ambivalent in its meaning. It can mean anxiety and worry as much as ‘care’, and it is therefore largely equivalent to the German expression “Sorge,” which is a central term in Heidegger’s existential philosophy. From Hyginus’ myth ( fabulae 220) 6 about 1 Cf. in general also: E. R. Dodds, Pagan ; H. D. Betz, Sermon , 461-465. - For “anxiety” as rhetorical strategy in Augustine, cf. T. Fuhrer, “Zeitalter.” 2 H. D. Betz, Sermon , 460. 3 Μεριμν-: Exod 5: 9; Esth 1: 1; Ps 54: 23; Ps 37: 19LXX; Prov 17: 12; Sir 30: 24; 31: 1f.; 42: 9; Dan 11: 26. To the Hebrew lexicon and terminology, cf.: T. Muraoka, Index , 78. - On only related Greek expressions for taking care or being anxious: Ps 12: 3LXX; 39: 18LXX; 126: 2LXX; Sir 30: 26; 34: 1. Cf. also: Or Sib 2: 316; 2: 326; 3: 89; 5: 440. - References among the writings of the Apostolic Fathers are limited: Herm 19: 3 (Vis III: 11); 23: 4 (Vis IV: 2); 25: 3 - cf. H. Kraft, Clavis , 287. Cf. only few instances in Patristic literature: G. W. H. Lampe, Lexicon , 843. - Translations of NT texts in general follow NRSV. 4 Instead - Jesus continues - “one thing is needful, Mary has chosen the good portion-…” (v. 42). 5 Cf. D. Zeller, Brief (on 1 Cor 7); in general: R. Bultmann, “Μεριμνάω κτλ.”; R. Bultmann, Theologie , 242 (on 1 Cor 7); M. E. Thrall, Epistle (on 2 Cor). See also H. D. Betz, Sermon , 460-465. 6 “When Cura {‘Worry’} was crossing a certain river, she saw muddy clay, picked it up, pondered for a moment, and then molded a human. While she was thinking about just what she had created, Jupiter arrived on the scene. Cura asked him to give breath to the human, and Jupiter readily agreed to do it. But then, when Cura was about to name this 56 IV The Anxiety ( Sorge ) of the human self: Paul’s notion of μέριμνα the origin and nature of human anxiety ( cura ) to Heidegger’s philosophy, 7 it is thus possible to see how anxiety and care are two sides of the same coin; since they refer to human temporality, they are simply basic human reactions to the experience of time and mortality, in which the attitudes of fear and concern cooperate. In this article, I will show how such a broadening of the semantic field of μέριμνα and cura inspires our reading of Paul and provides fundamental insights into Paul’s understanding of selfhood. Near the end of his letter to the Philippians (4: 6), Paul analyzes human existence by admonishing his readers: “Have no anxiety about anything-…” (μηδὲν μεριμνᾶτε- …). At first, it may appear as though Paul simply rejects various kinds of daily-life “anxiety” that could occupy or even worry the Philippian community; we might imagine that Paul is recalling Jesuanic language here (Luke 10: 41 - s. above). And indeed, most New Testament scholars take this path. Some argue that, in his admonition in Phil 4, Paul practices “pastoral care.” 8 Other scholars see a direct connection to Jesus traditions here 9 - depending on the overall interpretation of Philippians. 10 In fact, in Matt 6 (= Q; Luke 12: 22ff.), Jesus teaches more comprehensively about “anxiety” and “care”; he says: “… do not be anxious about your life-… (v. 25: μὴ μεριμνᾶτε τῇ ψυχῇ ὑμῶν)-…; do not creature after herself, Jupiter stopped her and said that it should be named after him. Now, while Cura and Jupiter were debating over the name, Earth rose up as well and said that it should be named after her, seeing how she was the one who had furnished her own body. They took up Saturn as the judge of their case, and it appears that he judged fairly in their case: ‘Jupiter, because you gave it breath, you shall reclaim the breath after death; Earth, because you offered up your body, you shall reclaim the body. Because Cura first molded it, she shall possess it so long as it lives. But because there is some disagreement about the name, it shall be called ‘human’ { homo } because it was clearly created from earth { humus }’”, Translation according to Scott Smith/ Trzaskoma, Fabulae , 166f. To Hyginus’ collection of fabulae , published by Hyginus Mythographus (2 nd century CE): Schmidt, “Hyginus.” - The myth is also quoted in Heidegger, Sein , 197f. 7 Cf. Heidegger’s description of “Selbstauslegung des Daseins als ‘Sorge’” ( Sein , 197f.). In § 41 of “Being and Time” (1927), Heidegger explains how being in the world in its existential dimension is characterized by “fear”, “anxiety” and “care”: “… Weil das Inder-Welt-sein wesenhaft Sorge ist, deshalb konnte-… das Sein bei dem Zuhandenen als Besorgen, das Sein mit dem innerweltlich begegnenden Mitdasein Anderer als Fürsorge gefaßt werden“ (193). - S. also Heidegger’s earlier reflections on “Bekümmerung” in GA 60: “Phänomenologie,” 52-54. In the frame of his lecture on “Einleitung in die Phänomenologie der Religion” (1920/ 21), Heidegger also presents his reading of Pauline letters, in particular: Gal, 1 Thess, 2 Thess (§§ 14-16; 23-29). Foucault’s idea of the Socratic concept of ἐπιμέλεια (e.g. M. Foucault, “Ethik”) can be viewed less as existentialism and more as a polemic against Heidegger’s existentialism. 8 U. B. Müller, Brief , 198. 9 Cf. J. Reumann, Philippians , 635f.; W. Schrage, Brief , 177f. 10 Lohmeyer’s martyrology interpretation in E. Lohmeyer, Brief , 169, has Matt 10: 19 in the background here. 1. Paul’s ultima verba on anxiety in Philippians 57 be anxious about tomorrow, for tomorrow will be anxious for itself-… (v. 34: μὴ οὖν μεριμνήσητε εἰς τὴν αὔριον, ἡ γὰρ αὔριον μεριμνήσει ἑαυτῆς)-… But seek first his (= God’s) kingdom-… (v. 33).” In the Sermon on the Mount (Q-Text: 12: 22, 25f., 29; cf. also: 12: 11), Jesus’ final commandment is: “… seek first (ζητεῖτε) his kingdom and his righteousness-…” (v. 33). So, in Phil 4, does Paul adhere to Jesus tradition - a tradition that even echoes the Stoic critique of “anxiety? ” Indeed, Epictetus also devalues “anxiety.” For him, “anxiety” is ἀγωνία ( Diss 2: 13); it arises when a man looks for something that is outside of his control: “When I see a man in anxiety” - Epictetus states -, “I say to myself, What can it be that this fellow wants? For if he did not want something that was outside of his control, how could he still remain in anxiety? ” (2: 13: 1). 11 Paul surpasses such a general critique of “anxiety” reminiscent of sapiential teaching, which tends to focus on stereotyped concerns and principles, and instead he proposes an individual approach to “anxiety” and “care” that reveals the existential dimensions of μέριμνα. This becomes clear if we study Philippians in its entirety. First, in chapter 2, Paul presents his co-worker Timothy as the perfect example of anxiety to the Philippians: “I have no one like him” - Paul says -, “who will be genuinely anxious for your welfare” (v. 20: τὰ περὶ ὑμῶν μεριμνήσει); they all “look after their own interests (τὰ ἑαυτῶν ζητοῦσιν), not those of Jesus Christ” (v. 21). In the Greek tradition, μέριμνα is an expression for the type of anxiety that tends to completely occupy a person. 12 Timothy is fully occupied with “anxiety” for the Philippians. Paul does not criticize μεριμνάω; instead, he proposes it as a crucial attitude in the ministry of Christ. Second, Paul’s reflection on “anxiety” in Phil 4 exceeds any sapiential teaching about overcoming the concerns of daily life, because Paul interprets anxiety as biographical and existential experience. In this last letter(s), Paul is a prisoner in Caesarea or Rome; he is facing his impending trial and expecting his imminent death (Phil 1). The admonition not to be anxious should be viewed in the context of various personal remarks about Paul’s internal state of mind as well as his eschatological hopes: Paul wishes to participate in Christ’s resurrection or to be transformed into the “Gestalt” (μορφή) of Christ. Ernst Lohmeyer has even suggested a martyrological reading of Phil 4 and, as such, reads v. 6 in relation to Matt 10: 19. 13 Irrespective of whether we agree with Lohmeyer’s reading, Phil 4: 6 remains an admonition in light of existential danger. 11 Translation according to: W. A. Oldfather, Epictetus , 291. For Epictetus and ἐπιμέλεια, s. above. 12 Cf. J. H. Moulton/ G. Milligan, Vocabulary , 397f. 13 Cf. E. Lohmeyer, Brief , 169f. Third, similar to Heidegger’s analysis, Paul also approaches human “anxiety” as an existential phenomenon, since he relates it to temporality (‘Zeitlichkeit’). When Paul admonishes his readers not to be anxious in Phil 4, he perceives temporality by expressing a specific eschatological expectation included in an announcement of time: χαίρετε ἐν κυρίῳ πάντοτε-… ὁ κύριος ἐγγύς - “Rejoice in the Lord always-… The Lord is at hand” (Phil 4: 4). In Phil, Paul does not ignore human “anxiety” as such; in fact, he even recommends it. In revealing his own experience as a prisoner and pointing to Timothy’s example of an anxious ministry, he turns “anxiety” into an existential phenomenon of life experience. Only eschatological, Christ-centered hope can finally de-activate existential anxiety. In ancient discourse, it is this idea of biographical experience as much as eschatological hope that marks the difference between the sapiential, philosophical or moral and the Pauline approach to “anxiety.” 14 2. 1 Cor 12 and 2 Cor 11: anxiety in community politics and ethics Earlier in Paul’s letter-writing, “anxiety” and “care” appear as anthropological tools to guide ethics and community life. And already in these letters, Paul elaborates on his personal experiences and perception of “anxiety.” 2.1. Paul’s anxiety as apostle: 2 Cor 11: 28 In 2 Cor 11, Paul confesses that his apostolic duties continuously worry him: “And, apart from other things” - he says -, “there is the daily pressure upon me of my anxiety (μέριμνα) for all the churches” (v. 28). Apostolic ministry is busy and exhausting, and it involves dealing with conflicts and missionary competition. In 2 Cor 10-13, the conflict with the Corinthian community is escalating. In Paul’s opinion, the apostolic ministry is full of personal “anxiety.” Nevertheless, commentators on 2 Cor - such as Margaret E. Thrall - tend to interpret the Pauline reference to “anxiety” as either insignificant or a negative expression. 15 We might follow Thrall in valuing “anxiety” as something negative here - Paul is seemingly troubled about the Corinthians. However, the letter of Aristeas offers a different interpretation (271). In this letter, it is stated: “… to the question-…, 14 “This eschatological dimension- … has no real parallel in the thinking of Greco-Roman philosophers” either (F. E. Brenk, “Most Beautiful,” 108 in regard to 1 Cor 7). 15 “… μέριμνα is somewhat negative in its connotations-… Since Paul is still cataloguing his apostolic trials, it is this sense that is appropriate, rather than a more general notion of pastoral care,” M. E. Thrall, Epistle , 749. 58 IV The Anxiety ( Sorge ) of the human self: Paul’s notion of μέριμνα 2. 1 Cor 12 and 2 Cor 11: anxiety in community politics and ethics 59 ‘what preserves a kingdom? ’ the answer is given, μέριμνα καὶ φρόντις-…, ‘care and watchfulness to see that no injury is inflicted by those who are set in positions of authority over the people’.” 16 A more positive connotation of Paul’s view on μέριμνα is plausible; namely, that Paul views μέριμνα as a part of his job description in a leading position. Interpreters like Thrall thus miss some crucial points. By expressing his personal “anxiety”, Paul interprets his apostleship in individual terms . He does so quite comprehensively - and here, Thrall is right in her overall analysis of 2 Cor 11. “Furthermore,” she concludes, “the following verse suggests anxiety. From Paul’s point of view, he has had, and at this point has still, ample cause for anxiety about the Corinthian congregation.” 17 Unlike E. R. Dodds (s. above) or Gerd Theißen, 18 I am less interested in “anxiety” as a religious tremendum or a psychological phenomenon. Instead, I suggest that, in order to describe his current situation as an apostle, Paul makes use of an anthropological pattern which he further develops toward selfhood and individuality. And this is true even though Paul might use his expression of “anxiety” as a rhetorical strategy: He certainly intends to legitimize his personal engagement in Corinthian affairs (cf. 2 Cor 10-13). Paul explores “anxiety” as a pattern of selfhood primarily as a personal rhetorical strategy to authorize his public ministry. 2.2. Anxiety in community life: 1 Cor 12: 24f. Although Paul applies the phenomenon of human “anxiety” and “care” to community life, he is particularly interested in the role of the individual community member. In 1 Cor 12, Paul describes the body of the ecclesia as being guided by “anxiety” and “care”. He states, “But God has so composed the body-…, that there may be no discord of the body, but that the members may have the same care for one another (ὑπὲρ ἀλλήλων μεριμνῶσιν)” (v. 24f.). Paul writes about the concrete need to “take care” of one another because the Corinthians are “individual members” of the body of Christ (v. 27). In light of the desire for higher, spiritual and eschatological gifts (χαρίσματα, v. 31), being engaged in communal “care” appears as an individual activity of “anxiety.” 19 16 H. J. Moulton/ G. Milligan, Vocabulary , 397. 17 M. E. Thrall, Epistle , 749. 18 Cf., e.g. G. Theißen, Erleben , 164ff. 19 The communal engagement in welfare and care is also significant for Paul’s status as apostle. The whole project of collecting money for the Jerusalem community (e.g. 2 Cor 8-9) can be seen as a concrete action of welfare and represents the most prestigious and determining project of Paul’s individual legitimacy as apostle (Gal 2: 10). Biographically, Paul must have been extremely “anxious” to succeed in making the collection mission a communal endeavor of individual activity. The duty of communal care and welfare based In this approach to “anxiety” and “care,” Paul even sees himself as a paradigm: “What you have learned and received and heard and seen in me, do-…” (Phil 4: 9). Paul is an example of personal anxiety. But how does Paul deal with “anxiety” and “care” when it concerns the issues of daily life - especially those issues that do not concern him? Can Paul also act as a personal example in the field of anxiety and family life when he himself refrains from living in wedlock (1-Cor-9)? Does he adhere to ancient ascetic verdicts - expressed by Menander and others - according to which “having a wife and being the father of children-… brings many anxious moments in life? ” 20 To answer this question, I will examine 1 Cor-7, where Paul conceptualizes another type of individual “anxiety” and “care”. It is in the discourse about sexual ethics that μεριμνάω occupies its most prominent place - even as wordplay (v. 34a: μερίζομαι). 21 3. 1 Cor 7: 32ff.: anxiety and individual decision-making In 1 Cor 7: 32ff., Paul remarks: ‘Take your existential μέριμνα as a tool for deciding about your sexual behavior and your family life.’ Here, Paul makes human “anxiety” into a criterion of individual ethics. In doing so, he contributes to a broader ancient discourse about “selfhood”. In her analysis of early Imperial Roman literature, Shadi Bartsch argues that the sense of the human Self is especially developed in its encounter with sexuality and ethics. 22 In Paul’s view, of course, the “action space” for developing selfhood via sexuality and ethics is primarily not Roman society but the sphere of ecclesia . Individual ethics is on individual efforts is also relevant to Paul in a material sense: Paul as an individual person who in general intends to be αὐτάρκης (Phil 4: 11) might well be in need of care and welfare. In Phil 4: 10, he expresses his thankfulness for the care the Philippians previously showed him: “I greatly rejoiced in the Lord that you have now at least revived your concern (φρονεῖν) for me-…” (v. 10; J. Reumann, Philippians , 646): Here we meet the Greek verbum φρονέω, which “echoes” throughout his letter-writing (ibid., 648); in Phil 4: 10, it approaches the meaning of φροντίζω - “taking care” ( curare ) (cf. G. Bertram, “Φρήν κτλ.,” 229). Cf. on φρον-: Phil 1: 7; 2: 5; 3: 15, 19; 4: 10; 2: 3: ταπεινοφροσύνη. The semantic field of “anxiety” and “care” is thus relatively comprehensive: It ranges from μεριμνάω to φρονέω. Heidegger is correct to imply that human “Sorge” or cura always carries the double meaning of being worried or anxious about time and temporality and practicing care. In Paul, both terms also overlap constantly; μεριμνάω and φρονέω are used equally in an ethical context when Paul discusses his project of conceptualizing communal behavior. Hereby, μεριμνάω and φρονέω appear as elementary tools of human “anxiety” and “care” that imply and demand individual engagement. 20 Cf. V. L. Wimbush (ed.), Behavior , 171. 21 Cf. W. Deming, Paul , 200. 22 Cf. S. Bartsch, Mirror . 60 IV The Anxiety ( Sorge ) of the human self: Paul’s notion of μέριμνα 3. 1 Cor 7: 32ff.: anxiety and individual decision-making 61 thus framed by communal identity . Before I examine how Paul conceptualizes “anxiety” as a tool of individual sexual ethics, I will first outline Paul’s general concept of sexual ethics in its communal setting. 3.1. Paul and sexual ethics: 1 Thess 4 and beyond From his earliest letter-writing, Paul deals with sexual ethics. Like other topics of ethical discourse, questions about sexual ethics primarily result from discussions within the community, but they also emerge from communication with those “outside” (ἔξω) the community. Paul expresses his goals of general ethical teaching most clearly in 1 Thess 4, by stating: “we exhort you-… to mind your own affairs, and to work with your hands, as we charged you; so that you may command the respect of outsiders, and be dependent on nobody” (v. 10-12pass.). Like various other fields of ethical teaching - such as law, the economy, food and dress codes - in sexual ethics, the formal tools of Pauline rhetoric are also diverse. 23 Hermut Löhr writes, “… Paul’s ethics seems to be on the border between ‘Gebotsethik’ (ethics based on commandments) and ‘Einsichtsethik’ (ethics based on insight or understanding); ” 24 the variety of ethical arguments indeed corresponds to the diversity of topics discussed; Paul frequently exposes something like “dispositional ethics”. In all ethical discourse, Paul is ultimately concerned with the “sanctification” or “holiness” (ἁγιασμός) of the community as a communal entity. This concern is socio-politically significant: Paul intends to strengthen the social attractiveness of Christ-believing communities 25 and to organize communal life around a perfect “political environment,” as it is discussed in political theory in and beyond Aristotle ( pol 9: 1280b). By caring for the community’s sanctification, issues of sexual behavior seem to be most popular and most urgent - for the group and the individual (s. above). Paul’s ethical admonitions are sometimes very concrete. This is most evident within the so-called catalogues of virtues and vices, for instance in 1 Cor 6: 9: “… neither the immoral, nor idolaters, nor adulterers, nor sexual perverts- … will inherit the kingdom of God.” Here, by addressing groups of people, Paul almost exclusively incriminates what he believes constitutes sexual immorality: 23 “Repetition and extension,” “Generalizations: Agents, Objects and Actions, Norms and Virtues,” “Personification,” “Authority and Example,” “Climax and Progress,” H. Löhr, “Exposition,” 200-210. 24 H. Löhr, “Exposition,” 211. 25 Hartmut Leppin identifies that, as opposed to the Roman widows, Christian widows, for instance, were not forced to re-marry. The law of marriage was much more liberal among Christian women than among Romans: “Das Christentum wertete die Jungfrauenschaft oder das Witwentum höher als die Ehe, was manchen Frauen neue Freiräume erschloss,” FAZ 298 (23.12.2014), 40 (Rhein-Main Zeitung). πόρνοι, ἀρσενοκοῖται. 26 However, as early as 1 Thess 4, Paul proclaims: “… this is the will of God, your sanctification (ἁγιασμός): that you abstain from unchastity (πορνεία); that each one of you know how to take a wife for himself in holiness and honor, not in the passion of lust (ἐν πάθει ἐπιθυμίας) like heathen who do not know God-… For God has not called us for uncleanless (ἀκαρθασία), but in holiness (ἁγιασμός)-…” (1 Thess 4: 3-8pass.). Paul’s approach to sexual ethics here is exhortative . It addresses the collective of community members. The discoursal frame is religious. Since Paul aims at the sanctification of communal sexual ethics, current exegesis tends to argue that, in his sexual ethics, Paul wishes to implement cultic purity. It seems as though Paul combines various traditions of ethical teaching, which are partly derived from Jewish instruction and partly analogous to Stoic ethics: When Paul wants the Thessalonians to “abstain” (ἀπέχεσθαι) in a general sense from “immorality” (πορνεία), he also uses a “technical term” - ἀπέχεσθαι - which “aimed at distinguishing Christian from pagan morality.” 27 It is thus common for current scholarship on Pauline ethics to emphasize how, in his teaching about sexuality, Paul combines Hellenistic moral philosophy and Jewish parenesis . 28 Will Deming has worked extensively on this topic, especially in regard to 1 Cor 7. 29 Such a description of Pauline sexual ethics might be adequate. However, this description focuses on either the collective or communal or the religious aspects of Paul’s moral arguments. Thus, as much as scholars tend to neglect Paul’s concept of “anxiety” and “care,” they also tend to overlook the individual implications of Pauline ethics. In 1 Cor 7 in particular, Paul does not restrict himself to a collective moral exhortation; rather, he presupposes and enforces a human self-understanding according to which ethical discourse can be developed in- 26 For a discussion of whether ἀρσενοκοῖται in 1 Cor 6: 9 means “homosexuality,” cf.: W. L. Petersen, Homosexuals ; D. F. Wright, Homosexuals ; J. Boswell, Christianity , 344, considers “male prostitutes” here. 27 A. J. Malherbe, Letters , 225. Πορνεία itself is a broad polemical expression against various kinds of illegitimate sexuality, F. W. Horn, “Heiden,” 297. As Abraham J. Malherbe identifies, Paul’s teaching against ἀκαρθασία κτλ. “was [also] part of basic Jewish instruction in moral behavior”, ibid., 226. At the same time, some elements of Paul’s language, for instance the expression “not in lustful passion”, “was derived from the Stoics. They defined pathos- … as an irrational and unnatural movement of the soul, as an impulse in excess-… It is a troubled movement of the soul, an intemperate longing, disobedient to reason, that may rightly be termed desire or lust” (229f.; with reference to, e.g., Cicero, Tusc Disp 3: 7; 3: 23f.; 4: 11). However, there is a significant difference between the philosophical and the Pauline incrimination of pathos : “Instead of understanding lustful passion as opposition to reason, as the philosophers did, Paul asserts that its cause was ignorance of God. In this he was Jewish” (ibid., 230). 28 Cf. H. D. Betz, “Lasterkataloge/ Tugendkataloge.” 29 Cf. W. Deming, Paul . 62 IV The Anxiety ( Sorge ) of the human self: Paul’s notion of μέριμνα 3. 1 Cor 7: 32ff.: anxiety and individual decision-making 63 dividually. He does so by taking himself as a paradigm and pointing to his own human “anxiety”: consequently, μέριμνα occurs as an anthropological viz. ethical criterion of individual decision-making . 3.2. Sexuality and anxiety: individual decision-making in 1 Cor 7 In 1 Cor 7: 32, Paul states: “I want you to be free from anxieties (ἀμέριμνος).” This seems to be close to Paul’s admonition in Phil 4 (s. above). Again, Paul is concerned with the analysis of human existence because, in 1 Cor 7, the context is also full of various temporal, that is eschatological, motifs. Paul says, “the appointed time has grown very short (ὁ καιρὸς συνεσταλμένος).” However, in this frame of correctly perceiving time, Paul does not only admonish his community; rather, he makes his engagement with individual anxiety into the final criterion of sexual ethics. How does Paul achieve this? The general discourse about sexual ethics is raised by the Corinthians themselves, who write to Paul and ask him about various subjects (1 Cor 7: 1; περὶ δέ) which all concern the legitimacy of sexual practice among Christ believers. One central question is whether those who are unmarried should marry. If the Corinthians simply take Paul as an individual paradigm here, they will remain single and live unmarried. And, indeed, Paul recommends his unmarried lifestyle to the Corinthians (v. 8). At the same time, Paul is well aware of the moral challenges of remaining unmarried. He argues that, if the Corinthians “cannot exercise self-control, they should marry. For it is better to marry than to be aflame with passion (πυροῦσθαι)” (v. 9). Paul is clearly aware of erotic affects, 30 and he is realistic enough to consider these affects when responding to the Corinthian questions (cf. v. 36). Since he cannot refer to the Lord’s authority here (v. 10), everything Paul says about the status of being “unmarried” is based upon his individual view: “I have no command (ἐπιταγή) of the Lord, but I give my opinion (γνώμη) as one who by the Lord’s mercy is trustworthy” (v. 25). At this point, Paul actually reveals the principles of individual decision-making . In light of eschatological hope, Paul would like the Corinthians to adopt an adequate type of Christ-believing “anxiety.” For this reason, he does not intend to “lay any restraint (βρόχος) upon” the Corinthians (v. 35). He therefore identifies various options for handling “anxiety” by, of course, sympathizing with how “anxiety” appears among those who are unmarried. 31 “The unmarried man 30 Current studies on ancient emotions have revealed the extent to which Paul was aware of emotionality, which he also made use of as a letter-writer. 31 For Paul’s promotion of celibacy, see F. E. Brenk, “Most Beautiful,” 108ff. is anxious (μεριμνᾷ) about the affairs of the Lord, how to please the Lord; but the married man is anxious (μεριμνᾷ) about worldly affairs, how to please his wife, and his interests are divided. And the unmarried woman or girl is anxious (μεριμνᾷ) about the affairs of the Lord, how to be holy in body and spirit; but the married woman is anxious (μεριμνᾷ) about worldly affairs, how to please her husband” (v. 32b-34). Paul concludes that getting married “is no sin” (v. 36), but refraining from marriage is a better choice (v. 38). Paul’s recommendation to remain single is remarkable, especially when seen in the light of Hellenistic-Roman politics and culture : Augustan marriage legislation was designed to increase the birthrate in the early Roman Empire, 32 and Aristotelian politics is rooted in the theory that marriage is the prototype of communitarian life in the polis ( pol 1: 2). 33 Most evidently, in 1 Cor 7, Paul elaborates on eschatological “anxiety” as an individual tool of decision-making. 34 In Paul’s argument, μέριμνα is a basic pattern of anthropology and ethics. While Paul generally engages in communal affairs, such as the οἰκοδομή (“manner of building”) 35 of the Corinthian community, in 1 Cor 7, he is primarily concerned with each person’s existential “anxiety”; in this way, he reflects on the female and the male person equally. Reflections about “anxiety” and “care” help to develop the experience of the human Self. It is precisely in this that the Corinthians can ultimately follow Paul’s personal example. It is the individual paradigm of decision-making rather than Paul’s personal lifestyle or his case for celibacy (Dieter Zeller) 36 or practices of “temporary abstinence” 37 that the Corinthians should follow. 32 Lex Julia de Maritandis Ordinibus (18 BCE); Lex Papia Poppaea (9 CE) - cf. also: Suetonius, Aug 34. Cf. also: Kolb, Rom , 367 etc. 33 Cf. also H. Flashar, Aristoteles , 108ff. 34 Although the topic might specifically allow for reflections on “anxiety,” Dieter Zeller shows how, in antiquity in particular, the existential experience of “anxiety” applies to the field of marriage and family life, D. Zeller, Brief , 264: “… Dieses existentielle Besetztsein von den Ängsten um den Lebensunterhalt und die Angehörigen kennzeichnet aber nach volkstümlicher Anschauung gerade Ehe und Familie” - with reference to Sophocles, Antiphon, Menander, and Papyrus XIV: 17 - Neuer Wettstein II: 1: 301ff. 35 H. G. Liddell/ R. Scott/ J. Jones, Lexicon , 1204. 36 Cf. D. Zeller, Brief , 278. 37 J. M. Gundry, “Light,” 37. 64 IV The Anxiety ( Sorge ) of the human self: Paul’s notion of μέριμνα Bibliography 65 4. Paul’s explosure of the human self In contrast to modern anthropology and ethics, Paul’s treatment of “anxiety” and “care” is not systematic. And although - as E. A. Judge claims - social “behaviour and training people in it was a major interest Paul shared with the popular philosophers,” 38 Paul does not develop a consistent training program or a comprehensive anthropological or ethical concept. However, by reflecting on human “anxiety” and “care,” i.e. μέριμνα, Paul not only takes the conditio humana seriously, he also develops ethical discourse in the direction of individual decision-making. As a communal body, the ecclesia finally consists of the moral integrity of individuals. Since the community as such should imitate Paul, the apostle proposes existential “anxiety” and “care” as individual tools to face temporality and prove oneself in an ethical sense. By shaping the pattern of individual “anxiety” and “care,” Paul thus surpasses the purpose of communal ethics: he finally explores the human Self. In doing so, Paul even prepares for some modern thoughts of individual ethics. “Anxiety” and “care” appear to be individual habits of Pauline anthropology and ethics. In the end, they connect Paul with modern philosophy, or perhaps more accurately, they connect modern philosophy with Paul. For this reason, I will conclude by suggesting that we apply to Pauline exegesis what Harold Bloom once said about the field of literary theory: He favors “a Shakespearean reading of Freud-… over a Freudian reading of Shakespeare.” 39 The same could be said about Paul and modern philosophers. Since Paul anticipates central ideas of individual anthropology and ethics, I dare to say that I favor a Pauline reading of philosophy over a philosophical reading of Paul. Bibliography S. Bartsch, The Mirror of the Self: Sexuality, Self-Knowledge, and the Gaze in the Early Roman Empire (Chicago etc.: University of Chicago Press, 2006). G. Bertram, “Φρήν κτλ.,” in: ThWNT 9 (1973), 216-231. H. D. Betz, The Sermon on the Mount: A Commentary on the Sermon on the Mount, including the Sermon on the Plain (Matthew 5: 3-7: 27 and Luke 6: 20-49) (Hermeneia; Minneapolis: Fortress, 1995). H. D. Betz, “Lasterkataloge/ Tugendkataloge,” in: RGG 4 5 (2002), 89-91. H. 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Die Neukommentierung des Philipperbriefes durch Erich Haupt (1841-1910) im Jahre 1897 dagegen erfuhr fünf Jahre später eine weitere Auflage (1902). 4 Die bislang letzte Kommentierung des Philipperbriefes im KEK erfolgte durch Ernst Lohmeyer (1890-1946) im Jahre 1928/ 1930 5 - es handelte sich damit insgesamt um die achte Auflage des KEK zum Philipperbrief. 6 Im Jahre 1953 wurde eine Bearbeitung, die die handschriftlichen Eintragungen Lohmeyers mit aufnahm, durch Werner Schmauch (1905-1964) vorgenommen. 7 Fünf Nachdrucke dieser Ausgabe, teils zusammen mit der Kommentierung des Kolosser- und Philemonbriefes, erfolgten in den nächsten 20 Jahren (1954, 1956, 1961, 1964 und 1974). Der vierte Nachdruck erschien 1964 zusammen mit einem von Schmauch erstellten „Beiheft“, das dieser offenbar nur wenige Tage vor seinem Tod fertigstellen konnte. 8 1 Vgl. H. A. W. Meyer, Phil (1847); die Veröffentlichung der 2. Hälfte der „Neunten Abtheilung“, die den Kolosser- und den Philemonbrief umfasste, erfolgte 1848; im Folgenden werden die Kommentare immer mit Verfasser, „Phil“ und Seitenangabe zitiert. 2 Vgl. H. A. W. Meyer, Phil (1874), v-xviii. 3 Vgl. A. H. Franke, Phil (1886). 4 Vgl. E. Haupt, Gefangenschaftsbriefe (1897/ 1902). In beiden Ausgaben sind die einzelnen Teile (und das Vorwort! ) getrennt paginiert, wobei der Philipperbrief am Schluss des gesamten Bandes steht. Die zuerst genannte höhere Auflagenzahl bezieht sich auf den Kommentar zum Epheserbrief. Bei den Verweisen wird unterschieden zwischen „Haupt, Gefangenschaftsbriefe , Vorwort bzw. Einleitung“ und (für die Kommentierung) „Haupt, Phil “. 5 Zur Frage des Erscheinungsjahres unten mehr. 6 Vgl. E. Lohmeyer, Brief . 7 E. Lohmeyer, Briefe . 8 Vgl. W. Schmauch/ E. Lohmeyer, Briefe : Das Vorwort (a. a. O., 4) wurde Pfingsten 1964 verfasst, also am 17./ 18. Mai. Schmauch verstarb am 24. Mai, also etwa nur eine Woche 70 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK Die bisherige Kommentierungsgeschichte des Philipperbriefes im KEK reicht von 1847-1974. Der Philipperbrief im KEK liegt - bisher letztmalig - als Ausgabe der vierzehnten Auflage von 1974 in der Kommentierung durch Lohmeyer vor. Wie nicht zuletzt an der Zahl der (Wieder-) Bearbeitungen oder Nachbzw. Neudrucke erkennbar, sind Meyer und Lohmeyer die bis heute prägenden Kommentatoren des Philipperbriefes im KEK. Doch allein der Meyer-Kommentar erfuhr eine Übersetzung in die englische Sprache (1875) 9 und fand nur wenige Jahre später noch einmal gesondert Eingang in die amerikanische Welt (1885/ 1889). 10 1. Die erstmalige Kommentierung des Philipperbriefes im KEK durch H. A. W. Meyer (1847-1874/ 75) Der Kommentar Heinrich A. W. Meyers zum Philipperbrief erschien erstmals im Jahre 1847, und zwar zunächst als Einzelband. 11 In erstaunlicher Offenheit und Klarheit teilt Meyer nach der Widmung des Bandes an den „Consistorial-Director v. Derschau“ zu Beginn seiner „Vorrede“ mit, wie sich die Kommentierung des Philipperbriefes in sein persönliches akademisches Lebenswerk einfügt: Sowohl die Bearbeitung der synoptischen Evangelien als auch die Ausführung „combinirter Aemter“ sowie - nach überstandener Krankheit - ein längerer Erholungsaufenthalt „in fernen Bergen und Thälern“ haben Meyer in seiner Arbeit am Philipperbrief Unterbrechungen aufgenötigt (IX). 12 Meyer sieht die Verzögerung nicht nur als Problem, sondern auch als Chance: „Muss ich […] Nachsicht in Anspruch nehmen, so geschieht diess mit dem Vertrauen, dass durch jene Verzögerung um so weniger verloren worden, als nun noch die neuesten Kommentare und Monographien, deren Benutzung und theilweise Bestreitung manches Interessante und Wichtige an die Hand gab, berücksichtigt werden konnten“ (IX). Meyer kann gerade wegen der zeitlichen Verzögerung seinen Kommentar in die aktuellsten Forschungsdebatten seiner Zeit stellen, die, wie wir gleich sehen, später. - Zur Biographie Lohmeyers vgl. zuletzt auch: J. R. Edwards, Between the Swastika and the Sickle . 9 Vgl. H. A. W. Meyer, Handbook (1875). 10 Vgl. H. A. W. Meyer, Handbook (1885/ 1889). 11 Band 9,2 erscheint 1848 und enthält den Kolosser- und Philemonbrief. Auch bei der 2.- Auflage der 9. ,Abtheilung‘ (1858/ 1859) und nochmals bei der 8. Auflage (1928/ 1930) wurde die Kommentierung des Philipperbriefes vorweg veröffentlicht. Teilausgaben, die nur den Philipperbrief enthielten, erschienen auch später, so von der 6. und 7. Auflage (1897 bzw. 1902, jeweils E. Haupt) und von der 9. Auflage (1953, E. Lohmeyer) und deren Nachdrucken. 12 Zu Meyers Biographie siehe K. Hammann, „Meyer“. 1. Die erstmalige Kommentierung des Philipperbriefes im KEK durch H. A. W. Meyer 71 besonders durch die Arbeiten Ferdinand Christian Baurs und Albert Schweglers 13 bestimmt sind. Unverkennbar tritt in Meyers „Vorrede“ die „Person des Kommentators“ hervor - ein Umstand, der gleichwohl für diese Epoche der Kommentierungsarbeit nicht ungewöhnlich ist: Denn auch zeitlich benachbarte Kommentatoren wie Bernhard Weiß oder Wilhelm M. L. de Wette - und später auch Meyers Nachfolger in der KEK-Serie Franke 14 - legen in ihren Widmungen bzw. Vorworten oder Vorreden in ähnlicher Offenheit dar, welche Bedingungen und persönlichen Interessen ihren Zugang zur Kommentierungsaufgabe bestimmt haben. 15 Der Kommentator weist sich im 19. Jahrhundert selbstbewusst als forschendes Subjekt aus und tritt als ebensolches aktiv und autoritativ in die Forschungsdiskurse seiner Zeit. 16 1.1. Der zeitgeschichtliche Kontext der Erstausgabe 1847 Im zeitlichen Umfeld des Meyer-Kommentars aus dem Jahre 1847 17 sind einige wichtige Kommentare zum Philipperbrief entstanden, die die Geschichte seiner Interpretation und so auch die Kommentierung Meyers beeinflusst haben. 18 Zu nennen sind etwa die Kommentare von Conrad S. Matthies (1835) 19 und Wessel A. van Hengel (1838) 20 . Dazu kommt die in einer kombinierten Ausgabe erschienene Kommentierung des Philipperbriefes durch Wilhelm M. L. de Wette (1843, 1847 2 ), 21 die der Kommentarkonzeption Meyers zeitlich und sachlich am nächsten steht, sowie der etwas später entstandene, eher als Monographie 13 Vgl. A. Schwegler, Zeitalter . Vgl. dazu auch unten unter 1.2. 14 Vgl. A. H. Franke, Phil (1886), Vorrede. 15 W. M. L. de Wette tut dies in seinem Kommentar ( Erklärung ) auf S. 5-8 und B. Weiß (s. u.) auf S. v-xii. 16 Zur Rolle und Bedeutung der „Person des Kommentators“ vgl. E.-M. Becker, „Person“. 17 Sofern nicht anders vermerkt, geht meine Darstellung von der forschungsgeschichtlich wichtigen Erstausgabe des Kommentars aus eben dem Jahre 1847 aus - darauf beziehen sich dann auch die Seitenangaben im Text. - Vgl. zur Forschungsgeschichte des Philipperbriefes im 19. Jahrhundert insgesamt auch die von Otto Merk (Erlangen) seinerzeit betreute Dissertation: B. Mengel, Studien , bes. 82-190 (Geschichte der Auslegung bis B. Weiß und von B. Weiß bis E. Lohmeyer), die Verf.in erst nach Abschluss des Beitrags konsultiert hat. 18 Vgl. etwa die Auslegung H. A. W. Meyers von Phil 2,7: ders., Phil (1847), 53-56 (s. dazu ausführlicher unten). 19 Vgl. C. S. Matthies, Erklärung . - Vgl. zur bibliographischen Übersicht über die Kommentarlandschaft des 19. Jahrhunderts: W. M. L. de Wette, Lehrbuch , 265f.; ders., Erklärung (1845 2 ), 176; am besten und übersichtlichsten - wenn auch nicht fehlerfrei - ist die bibliographische Aufstellung bei H. A. W. Meyer, Handbook , VII-XI. 20 Vgl. W. A. van Hengel, Commentarius . 21 Vgl. W. M. L. de Wette, Erklärung . 72 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK konzipierte Kommentar von Bernhard Weiß (1859), 22 mit dem sich Meyer dann in der dritten Auflage seines Kommentars explizit (kritisch) auseinandersetzt (1865) 23 . Die Bedeutung des Philipperbriefes für die protestantische Exegese und Theologie in der Mitte des 19. Jahrhunderts ist keineswegs gering, auch wenn diesem Brief gerne unterstellt wird, „nicht im Zentrum der Paulusforschung“ zu stehen (oder gestanden zu haben). 24 Stellvertretend für viele Exegeten beschreibt Weiß (1827-1918) die paradox anmutende Notwendigkeit der Kommentierungsaufgabe wie folgt: „Daß es gerade der Philipperbrief war, den ich erwählte, dafür könnte ich mancherlei Gründe anführen, die verhältnißmäßig geringe Zahl seiner neueren Bearbeitungen, wie die verhältnißmäßig große Zahl der dogmatischen loci, die er enthält“ (vi). Gerade letztere Feststellung mag sich auf die theologische Bedeutung von Phil 2,5ff. beziehen - einen Text, den wir später eigens betrachten werden, 25 nicht zuletzt auch wegen seiner Bedeutung für die christologische Lehre von der Kenosis im 19. Jahrhundert, die von Phil 2,7 ausgeht. 26 Wenn wir Meyers Kommentarband zunächst im forschungsgeschichtlichen Kontext seiner Entstehungszeit würdigen, zeigt sich, dass insbesondere die Jahre 1842-1847 - im mehrfachen Wortsinne - die eigentlich „kritischen“ Jahre der Philipperbrief-Exegese sind. Zeitlich genau in die Vorgeschichte des Meyer-Kommentars zum Philipperbrief fallen die historisch-kritischen Paulus-Studien Baurs aus dem Jahre 1845 (1867 2 ), 27 die zwar bereits durch dessen Arbeit an den Pastoralbriefen (1835) vorbereitet waren, 28 nun aber direkt auf die Exegese und Auslegung des Philipperbriefes ausstrahlten. Baur (1792-1860) stellte nämlich 1845 auf der Basis ausführlicher religionsgeschichtlicher und historischer, später auch stilkritischer Beobachtungen nun auch die Echtheit des Philipperbriefes in Frage. Damit ging Baur weit über die zeitgenössischen Tendenzen der historischen Paulus-Kritik, die Echtheit der Paulusbriefe in Zweifel zu ziehen, hinaus, wie Gottlieb Lünemanns (1819-1894) Erwiderung aus dem Jahre 1847, 29 22 Vgl. B. Weiss, Philipper-Brief . 23 Vgl. H. A. W. Meyer, Phil (1865), V. Meyers Auseinandersetzung mit Weiß wird etwa bei der Auslegung von Phil 2,7 konkret deutlich: a. a. O., 66. 24 So zuletzt wieder J. Frey, „Philipperbrief“, 1. 25 S.u. unter 4. 26 Vgl. dazu etwa die Darstellung bei W. Pannenberg, Christologie, 317ff. 27 Vgl. F. C. Baur, Paulus (1845), bes. 458-475; ders., Paulus (1867 2 ), bes. 50-88. 28 Vgl. F. C. Baur, Pastoralbriefe , 79 und 86. Baur hielt lediglich den Römer- und Galaterbrief sowie den 1. und 2. Korintherbrief für authentisch (a. a. O., 79). Zu Baurs Bedeutung für die Erforschung des frühen Christentums und seiner Literatur vgl. U. Köpf (Hg.), Geschichtsbetrachtung ; und vgl. zuletzt: M. Bauspiess et al. (Hg.), Baur . 29 Vgl. G. Lünemann, Pauli , 1ff. 1. Die erstmalige Kommentierung des Philipperbriefes im KEK durch H. A. W. Meyer 73 aber auch Baurs kritische Auseinandersetzung mit de Wette 30 verdeutlicht. De Wette (1780-1849) hatte seinerseits zuletzt - übrigens im Unterschied zu Meyer, der insgesamt im Echtheitsdiskurs eine wohl eher gemäßigte Position vertritt 31 - die Echtheit des Epheserbriefes bezweifelt, 32 hielt aber an der Echtheit des Philipperbriefes fest. 33 Bei seiner Beurteilung der Unechtheit des Philipperbriefes im Jahre 1845 leiten Baur im Wesentlichen drei Beobachtungen: 34 Der Philipperbrief bewege sich, wie Phil 2,5ff. zeigten, „im Kreise gnostischer Ideen und Ausdrücke“ (458); 35 der Brief sei von einer vorherrschenden „Subjectivität des Gefühls“ geprägt (464), gekennzeichnet durch „Gedankenarmuth“ und Mangel an einem bestimmten „Zweck und Grundgedanken“ (1843: 464; 1867 2 : 59); die historische Situationsbeschreibung des Paulus in Phil 1,12 etc. „steht ganz für sich“ (469). 36 Hiermit ist die eigentliche Kontrastfolie beschrieben, vor der Meyers vielfältige Polemik in seinem Kommentar verständlich wird. Wie de Wette nimmt auch Meyer zum einen bereits in seiner 6-seitigen „Vorrede“ auf Baur kritisch Bezug, wenn er schreibt: „Die neueste Kritik, welche unsern Brief den apostolischen Händen zu entwinden versucht hat, habe ich zwar kurz, aber, wie ich glaube, doch hinreichend für den gar zu prekären Versuch, auch unter Berücksichtigung der wackern Lünemann ’schen Gegenschrift, besprochen“ (X). 30 Vgl. C. F. Baur, Paulus (1845), 458 31 Vgl. W. M. L. de Wette, Erklärung (1847 2 ), 92, der hier explizit auf Meyer hinweist. - Vgl. auch A. Lindemann, „Epheserbrief“. 32 Vgl. W. M. L. de Wette, Erklärung (1847 2 ), 92. Im Lehrbuch (1842 4 ) hatte de Wette noch die Echtheit des Epheserbriefes zwar ausführlich diskutiert (254ff.), im Ergebnis aber nicht bezweifelt (263): Die Gründe reichen „nicht hin den Brief zu verwerfen“ (263). Schon im Vorwort zur Erklärung im Jahre 1843 macht de Wette aber seine geänderte Beurteilung - er geht nun von der Unechtheit des Epheserbriefes aus - deutlich, wiederabgedruckt in: Erklärung (1847 2 ), 6. De Wette ändert also seine Beurteilung der Echtheit des Epheserbriefes zwischen 1842 und 1843. 33 Vgl. W. M. L. de Wette, Erklärung (1847 2 ), 175f.; vgl. schon ders., Erklärung (1843), 82 und 162ff. 34 Vgl. im Folgenden: C. F. Baur, Paulus (1845), 458ff. 35 Zur kritischen Sicht auf Baurs Verständnis der Gnosis vgl. V. H. Drecoll, „Gnosis“. 36 In der zweiten, nach dem Tode Baurs durch Eduard Zeller (1814-1908) herausgegebenen Auflage des Paulusbuches 1867 wird ein „Zusatz“ beigefügt, in welchem Baur auf die zwischenzeitlichen Diskussionen über die Echtheit des Philipperbriefes Bezug (72- 88) nimmt und besonders auch stilkritische Beobachtungen ergänzt (87f.): „Diese ganze Phraseologie ist nicht sehr paulinisch, um so mehr aber in der Weise eines Schriftstellers, welcher dem Mangelnden des Gedankens durch die Fülle des Ausdrucks nachhelfen zu müssen glaubt. Dagegen finden sich auch wieder Ausdrücke, welche, da sie bei Paulus nicht wiederholt vorkommen, so specifisch paulinisch sind, dass der Verfasser unseres Briefes selbst auf seine Quelle zurückverweist“, F. C. Baur, Paulus (1867 2 ), 88. 74 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK Zum anderen setzt sich Meyer in § 3 seiner „Einleitung“ (1-6) mit Baurs Echtheitskritik explizit auseinander (4ff.: s. u.). Die Diskussion über die Echtheit des Philipperbriefes nimmt Meyer sogar zum Anlass für grundsätzliche theologische und hermeneutische Erwägungen. Er beschreibt, wie er die exegetische Kritik in seiner Zeit sich überschlagen sieht, und kritisiert scharf die, wie er sagt, „Gelüste, […] den Philipperbrief […] zu einer untergeschobenen raffinirten Tendenzschrift zu stempeln“ (X). 37 Demgegenüber versteht Meyer den Philipperbrief als „Liebesbrief unter den Paulinischen Schreiben“ (Xf.). Nur „schwerlich anderswo [hört man] den inneren Herzschlag Pauli“ (XI). Meyer lässt auf seine einleitende Kritik an der Paulusexegese seiner Zeit zugleich Überlegungen folgen, die die exegetische Forschung programmatisch auf ihre theologische wie kirchliche Verantwortung hinweisen und verpflichten. Philologisch-exegetische Forschung und kirchliche Lehre gehören für den Begründer des KEK - wie diesen emphatischen Worten zu entnehmen ist 38 - untrennbar zusammen (vgl. auch XIV): „Die Freiheit der Kritik muss innerhalb der protestantischen Kirche ihr volles Recht behalten, aber sie soll auch ihre Gränzen erkennen, an welchen sie zur Verirrung wird, die an Verhärtung gränzt, wenn ihr Schwerdt die Scheide nicht finden kann“ (XI). 1.2. Die Anlage und Bedeutung des Meyer-Kommentars 1847 Der Meyer-Kommentar zum Philipperbrief umfasst in seiner ersten Auflage neben der schon genannten „Vorrede“ (IX-XIV) eine „Einleitung“ (1-6), die kurz und prägnant, in drei Abschnitte unterteilt, im Sinne der damaligen Einleitungswissenschaft wesentliche Einleitungsfragen abhandelt: 39 die Frage nach der Gemeinde der Philipper (§ 1: 1f.), „Ort, Zeit, Veranlassung und Inhalt“ des Philipperbriefes (§ 2: 2-4) sowie dessen „Aechtheit und Einheit“ (§ 3: 4-6). § 1 ist noch erkennbar zeitlich vor dem eigentlichen Aufkommen der archäologischen und epigraphischen Forschung in Nordgriechenland im letzten Drittel des 19. Jahr- 37 In fast umgekehrter Richtung polemisierte W. M. L. de Wette bereits 1843 im Vorwort zur Erstauflage des kombinierten Kommentars gegen die Forscher seiner Zeit, die sich gegen seine Echtheitskritik des Epheserbriefes stellen: Vgl. ders., Erklärung (1847 2 ), 7. Meyer wird hier nicht erwähnt, zumindest nicht explizit. 38 Nicht weniger emphatisch sind indes die einleitenden Bemerkungen zur Aufgabe der Exegese, die W. M. L. de Wette anstellt: Vgl. ders., Erklärung , bes. 6f. 39 Vgl. ähnlich die Unterteilung der Einleitungsfragen bei W. M. L. de Wette, Lehrbuch (1842 4 ), 265ff.: Gemeinde, „Veranlassung, Inhalt, Zeit“ und „Einheit und Aechtheit“ des Philipperbriefes. 1. Die erstmalige Kommentierung des Philipperbriefes im KEK durch H. A. W. Meyer 75 hunderts entstanden. 40 Gleichwohl hatte schon Esprit Marie Cousinéry (1744- 1833) im Jahre 1831 die Topographie und Archäologie Philippis ausführlich dokumentiert und beschrieben. 41 Meyer verweist zwar 1847 auf diese Darstellung (1 Anm. **; 1874 4 : ebd. noch ausführlicher), greift allerdings bei seiner Rekonstruktion der Gemeindegeschichte hauptsächlich auf die Apostelgeschichte und den Philipperbrief als historische Quellen zurück. Denn das leitende Paradigma exegetischer Arbeit liegt seinerzeit - anders als heute 42 - in philologisch und theologisch geleiteter Textauslegung. Weitaus aktueller bleibt Meyers Diskussion der Abfassungsverhältnisse des Briefes in § 2: Unter Verweis auf die altkirchlichen Überlieferungen (z. B. Chrysostomus), die Situationsbeschreibung des Paulus (Phil 1,12ff.) und die briefliche Semantik, die in die Nähe des Kaiserhauses deutet (Phil 4,22), lokalisiert Meyer den Philipperbrief in Rom und weist Hypothesen einer möglichen Abfassung des Briefes in Caesarea oder Korinth, wie sie seit 1799 bzw. 1731 diskutiert wurden, 43 zurück. Eine Abfassung des Briefes in Ephesus stand in der Forschung bis dahin noch nicht zur Diskussion. 44 Meyer datiert die Abfassung des Philipperbriefes in das Jahr 63 oder Anfang 64 (3). 45 Der Brief sei vor allem Ausdruck der Liebe des Apostels nach empfangener „Geldunterstützung“ durch die Philipper - „ein Muster der Vereinigung von zarter Liebe und theilweise fast elegischem Gepräge mit hoher apostolischer Würde und Freimüthigkeit“ (3). 40 Vgl. dazu L. Bormann, Philippi , 3, der darauf hinweist, dass die „wissenschaftliche Erforschung“ Philippis im Jahre 1861 begann und die ersten Ergebnisse der Begehungen 1894 veröffentlicht wurden. 41 Vgl. E. M. Cousinéry, Voyage ; tom. 2, 1-44, stellt nicht nur einen genauen Reisebericht im Stile der Reiseliteratur der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts dar, sondern bietet auch eine gründliche Beschauung der damals zugänglichen Archäologie und Topographie Philippis - inklusive der Wiedergabe einiger wichtiger Inschriften (z. B. a. a. O., 21f.) - von L. Bormann, Philippi , nicht erwähnt. P. Pilhofer, Philippi II , z. B. 453 bzw. 544, erwähnt Cousinéry kurz. 42 Vgl. zuletzt z. B. die sozialgeschichtlich ausgerichteten Beiträge in: J. A. Marchal (Hg.), People . 43 Vgl. einerseits zur Caesarea-Hypothese: H. E. G. Paulus, Introductionis , und andererseits zur Korinth-Hypothese: G. L. Oeder, De Tempore (ohne Seitenzahl). 44 Die mögliche Abfassung des Philipperbriefes in Ephesus wurde ausführlich wohl erstmals von W. Michaelis (1935) diskutiert - so L. Bormann, „Letter“, 231. Die Überlegung zu einer möglichen Abfassung in Ephesus begegnet aber bereits bei H. Lisco (1900) und A. Deissmann (1908), wie H. Omerzu, „Paulus“, 177, darstellt. Vgl. dazu aber bereits E. Haupt, Gefangenschaftsbriefe , Einleitung (1902 2 ), 86 und 82 (s. u.). 45 Die Beurteilung Meyers entspricht eng derjenigen de Wettes, vgl. ders., Erklärung (1847 2 ), 174f.: Der Philipperbrief stammt aus der späteren Phase der römischen Gefangenschaft - de Wette verweist hier auf Phil 1,7.12ff.; 2,23.35ff. und die fehlende Anwesenheit des Lukas am Briefschluss; bereits ähnlich ders., Lehrbuch (1842 4 ), 267 unter Verweis auf Phil 1,12ff.; 2,26ff. und 4,21 - Lukas war „nicht mehr bei dem Apostel“ (267). 76 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK Im Lichte der oben beschriebenen Baur’schen Echtheitskritik wird die genaue Bestimmung der konkreten brieflichen Funktion grundlegend - eine Fragestellung, die die Philipperbrief-Forschung übrigens bis in die Gegenwart bestimmt. Meyer findet im Philipperbrief darüber hinaus besonders einen herzlichen Stil des Apostels, das Fehlen von „Disposition“, „doctrinelle[n] Durchführungen“, alttestamentlichen „Citationen und dialektische[n] Argumentationen“ (3) und sieht genau hierin wiederum wichtige „innerliche“ Merkmale der Authentizität des Schreibens (4). 46 Ähnliche Beschreibungen der epistolaren Eigenheiten des Philipperbriefes haben noch in der gegenwärtigen Forschung Bestand, 47 ohne dass allerdings Meyers Kommentar dabei eigens Erwähnung fände. In seiner direkten Auseinandersetzung mit Baur und Schwegler (1819-1857) 48 über die Echtheit des Philipperbriefes führt Meyer nun in § 3 einerseits altkirchliche Zeugnisse zur frühen Bekanntheit und Verbreitung des Philipperbriefes als „äußerliche“ Indizien seiner Echtheit an (z. B. Polykarp, Phil 3,1; Tertullian, adv Marc 5,19). 49 Andererseits weist er Baurs Gründe für den Zweifel an der Authentizität des Briefes hier in der Einleitung wie auch in der nachfolgenden Kommentierung im Einzelnen und auf der Basis konkreter Textexegese zu Phil 2,5ff., 50 aber auch Phil 1,1.12; 2,11; 3,1; 4,2 f.22 entschieden zurück und konstatiert: „Die einzelnen Argumente Baur’s erledigen sich durch unbefangene Exegese der bezüglichen Stellen“ (5). Zuletzt diskutiert Meyer den Vorschlag J. H. Heinrichs’ und Heinrich E. G. Paulus’ (1761-1851), 51 den Philipperbrief ursprünglich in einen „exoterischen“ (Phil 1,1-3,1 und 4,21-23) und einen „esoterischen“ (Phil 3,1-4,20) Briefabschnitt 46 W. M. L. de Wette, Erklärung ( 2 1847), 175 teilt diese Einschätzung zwar, würdigt aber stärker die im Brief zutage tretende Interaktion des Paulus mit den Philippern: Der Philipperbrief sei ein „liebliches Gewebe aus zwei Hauptbestandtheilen […]: die Angelegenheiten der Philipp. und die des Apostels“ (ebd.). 47 Vgl. etwa L. Bormann, „Letter“, 226f. 48 H. A. W. Meyer, Phil (1847), 5 verweist hierbei besonders auf Schwegler, Zeitalter 2, 133ff. Schweglers Beurteilung der Unechtheit steht unter dem Einfluss Baurs. Schwegler stützt sich besonders auf die nicht authentisch wirkende Nennung der Namen in Phil 4,2: Er hält Euodia und Syntyche für juden- und heidenchristliche „Partheinamen“ (135) und sieht in der Nennung des Clemens in Phil 4,3 eine spätere Clemens-Tradition am Werk, die auch in Phil 4,22 im Hintergrund stehe (134 und 29f.). - Zu Schweglers Leben und Wirken besonders auch im Bereich der Alten Geschichte vgl. J. Matzerath, „Kritik“. 49 Ähnlich de Wette in seinem Lehrbuch (1842 4 ), 268, allerdings unter Hinweis auf u. a. Tertullian, de resurrect 23; Irenaeus, adv haer 4,18,4, während sich ders., Erklärung (1847 2 ), 175f. nicht mit Baur kritisch auseinandersetzt. 50 Vgl. H. A. W Meyer, Phil (1847), bes. 61-63 als „Anmerkung“. S. auch dazu unten unter 1.3. 51 Vgl. J. H. Heinrichs, Pauli , 33f.; leicht variierte These bei: H. E. G. Paulus, „Akademische Programme“, 702f. - vgl. dazu B. Mengel, Studien , 192. 1. Die erstmalige Kommentierung des Philipperbriefes im KEK durch H. A. W. Meyer 77 zu unterteilen 52 und so mit verschiedenen Adressatengruppen - entweder der ganzen Gemeinde oder einer vertrauteren Gruppe - zu rechnen. Gerade vor dem Hintergrund der besonders persönlich anmutenden Briefsituation betrachtet, meint Meyer, dass das Modell der Briefteilung „ein nicht bloss unhistorischer, sondern selbst unpsychologischer Fehlgriff“ (6) sei. In diesem Zusammenhang wertet Meyer die von Baur monierte stilistische Besonderheit des paulinischen Schreibens nicht nur als Indiz seiner Echtheit , sondern auch der literarischen Einheit . Und doch bleibt Meyer der historischen Kritik seiner Zeit in gemäßigter Form verpflichtet: Mit Hinweis auf Phil 3,1 und die Polykarp-Notiz geht er davon aus, dass dem Philipperbrief ein früheres, nicht mehr erhaltenes Schreiben des Paulus an die Philipper vorausging (6). Die briefliche Sammlung an die Philipper ist also unvollständig überliefert. Meyers Kommentierung des Philipperbriefes erfolgt auf knapp 140 Seiten (6- 145), und zwar im Sinne einer fortlaufenden, annotierenden Kommentierung. 53 Im Blick auf den Gesamtumfang des Kommentars, die Proportionen der Teilabschnitte darin und die klar strukturierte Herangehensweise hat Meyers Kommentar zum Philipperbrief, der im Blick auf seine sachliche Positionierung an vielen Punkten de Wette auffällig nahe steht, im Kontext seiner Zeit gleichwohl eine eigenständige Bedeutung. 54 Meyers Zugriff auf den Text des Philipperbriefes ist philologisch gründlich, sein Umgang mit wichtigen Forschungsfragen und -meinungen ist in der Sache klar, präzise und durchaus scharf. Die genannten Forschungspositionen sind zumeist auch bibliographisch dokumentiert. 55 Meyers Textbeobachtungen sind in Teilen noch aktuell, wie etwa das Beispiel der nach wie vor in der Forschung kontrovers diskutierten Auslegung von Phil 1,7 zeigt. 56 52 Ähnlich kritisch gesehen auch bei W. M. L. de Wette, Lehrbuch (1842 4 ), 267f. - Zur Übersicht über die Teilungsmodelle im 19. Jahrhundert vgl. auch: C. Clemen, Einheitlichkeit . 53 Anders der Zugang bei W. M. L. de Wette oder B. Weiß, die den Text des Philipperbriefes auf der Basis von Sinneinheiten kommentieren. 54 Zum Vergleich (zu den Lit.angaben s. o.): Matthies bietet neben einer Vorrede (iii-xxii) eine lange Einleitung (1-24) und einen fortlaufenden Kommentar (25-124); van Hengel beginnt nach einer „Praefatio“ (V-VIII) mit einem „Introitus“ (1-8) und schließt eine ausführliche „Interpretatio“ an (29-333); de Wette beschränkt sich nach einem „Vorwort“ (5- 8) auf eine kurze Einleitung (173-176) und einen vergleichsweise kurzen Kommentar (177-231); Weiß verfasst statt einer Vorrede eine Widmung an den Lehrer J. A. Dorner (iii-xii) und fährt mit einer umfänglichen Einleitung (1-28) und einem ebenso umfänglichen Kommentar (31-355) fort. 55 So geht Meyer auch in bibliographischer Hinsicht mit der Forschungs- und Auslegungsgeschichte sorgfältiger um als etwa B. Weiss, Philipper-Brief . 56 Einige der in der gegenwärtigen Exegese wieder diskutierten Fragen zur Auslegung von Phil 1,7 befassen sich mit (a) der Bestimmung des Subjekts im Satzteil διὰ τὸ ἔχειν με ἐν τῇ καρδίᾳ ὑμᾶς (vgl. dazu etwa J. Reumann, Philippians , 101ff.) sowie (b) der Frage, ob 78 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK Meyer bleibt nicht nur in der Einleitung, sondern auch im Kommentarteil immer als subjektiv agierender Exeget erkennbar, der selbstbewusst seine Forschungsposition vertritt und mit Hilfe seiner philologischen Kompetenz und seines exegetisch-theologischen Sachurteils das Textverstehen zu autorisieren und so auch zu objektivieren sucht. Für die in den folgenden Jahrzehnten erschienenen Kommentare zum Philipperbrief wird Meyer zu einem Standardwerk - das gilt mindestens bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts in der deutschsprachigen wie in der anglophonen Welt, 57 wo teils sogar noch in der jüngeren Forschung auf Meyer verwiesen wird. 58 Schon Marvin R. Vincent (1834-1922) schrieb allerdings 1911 in durchaus kritischer Bewunderung: „Meyer stands in the very front rank of exegetes. Great learning; remarkable exegetical insight; devout, fair, independent, clear and forcible in statement; strong historic sense. He leans somewhat towards excessive literalism, and is not a good authority on text […]“. 59 der Begriff χάρις bereits auf die Gabe der Philipper (4,10ff.) zu beziehen sei (vgl. etwa B. Nongbri, „Variants“). Diese Fragen werden schon in der Exegese des 19. Jahrhunderts gestellt - vgl. auch C. S. Matthies, Erklärung , 31ff. - und gerade von Meyer sowohl philologisch als auch sachlich souverän bearbeitet. Bez. (a) folgert H. A. W. Meyer, Phil (1847), 13: „Die Wendung ist Ausdruck der innigen Liebe […] Pauli zu den Lesern, nicht umgekehrt“; bez. (b) fragt Meyer (a. a. O., 15): Warum „sollte Paulus, hätte der jetzt schon für das Empfangene danken wollen, sich nicht bestimmt ausgesprochen haben (wie 4,10ff.), sondern nur so, dass es der Leser hätte errathen müssen? “ W. M. L. de Wette, Erklärung (1847 2 ), 180f. bietet im direkten Vergleich zu Meyer mehr Referenzen zur klassischen paganen und patristischen Literatur, bleibt aber im Zugriff auf Grundfragen des Textverstehens hinter Meyer zurück. 57 Vgl. einerseits B. Weiss, Philipper-Brief , 54 oder M. R. Vincent, Commentary , 89. Vincent verwendet offenbar die deutschsprachigen Ausgaben des Meyer-Kommentars ebenso wie die englische Übersetzung: a. a. O., xl-xli. E. Lohmeyer, Phil (1953 9 ) führt den Meyer-Kommentar nicht mehr an. 58 Vgl. P. T. O’Brien, Philippians , z. B. xxiii oder 91. [Allerdings hat W. B. Eerdmans den Kommentar am 15. August 2016 wegen Plagiat-Verdachts vom Markt genommen, s. dazu die Verlagsmitteilung und die Reaktion O’Briens: www.eerdmans.com/ Pages/ Item/ 59043/ Commentary-Statement.aspx]. 59 M. R. Vincent, Commentary , xl-xli. 1. Die erstmalige Kommentierung des Philipperbriefes im KEK durch H. A. W. Meyer 79 1.3. Die folgenden Auflagen des Meyer-Kommentars bis 1874 und die englischsprachigen Ausgaben der Jahre 1875 und 1889 Die zweite Auflage des Meyer-Kommentars zum Philipper-, Kolosser- und Philemonbrief erscheint 1859. 60 Meyer hat aus der Literatur, was zwischenzeitlich erschienen ist, „zu Rathe gezogen“ (V). Das gilt insbesondere im Blick auf den „grossartigen christologischen Erguss Phil. 2,6 ff.“, über den „neuerlich wieder viel und viellerlei verhandelt [wurde], Zutreffendes und Verfehltes“ (V). Insgesamt hat Meyer den Kommentar also durchgesehen - er hat „die ganze kritische und exegetische Mühwaltung auf’s neue durchgemacht“ (V). So wächst der Kommentarteil insgesamt um knapp zehn Seiten (6-153), indem Meyer teils in den Fußnoten Literatur ergänzt, teils die Anmerkungen nach der Textkommentierung erweitert. Sein Vorgehen wird, wie wir bei der Analyse von Phil 2,6ff. sehen werden, sogar zu Revisionen beim Textverstehen führen. 61 Auch die dritte und vierte Auflage des Kommentars (1865 und 1874) sind noch einmal durch Meyer selbst bearbeitet und - besonders um weitere Literatur - ergänzt worden. So wächst der Kommentarteil in der dritten (7-169) und vierten Auflage deutlich (7-203). Auch in der dritten Auflage bietet Meyer eine neue „Vorrede“ (V-VII), in der er sich kritisch, teils polemisch mit der Philipperbrief-Forschung seiner Zeit befasst und besonders jede mögliche Infragestellung einer paulinischen Präexistenz-Christologie zurückzuweisen sucht (VI). Da die vierte Auflage erst kurz nach dem Tode Meyers erscheint - Meyer hatte von dem „Manuscripte […] selbst noch die eine Hälfte nach Göttingen befördert“ ( 4 1874: xviii) -, tritt anstelle einer Vorrede des Verfassers nun die schon erwähnte biographische Einleitung des Sohnes, auf die auch schon William P. Dickson in der englischen Ausgabe des Kommentars 1875 hinweist. 62 Denn die erste englische Übersetzung des Meyer-Kommentars zum Philipperbrief erschien nur kurz nach dem Tode Meyers, und zwar in einem Kommentarband, der wie in der deutschen Ausgabe auch den Kolosserbrief enthielt, während der Philemonbrief zusammen mit dem Epheserbrief herausgegeben wurde. Die Übersetzung des Philipperbrief-Kommentars (1-233) wurde zunächst von G. H. Venables auf der Basis der dritten Auflage des Meyer-Kommentars vorgenommen, dann aber von John C. Moore unter Berücksichtigung der gerade erst 60 Vgl. H. A. W. Meyer, Phil (1859 2 ). Eine Teilausgabe der „Neunten Abtheilung“, die nur den Kommentar zum Philipperbrief umfasste, erschien bereits 1858. - Die folgenden Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. 61 S. dazu unten unter 4. 62 Vgl. H. A. W. Meyer, Handbook (1875), v. - Die folgenden Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. 80 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK erschienenen vierten Auflage von Meyers Philipperbrief-Kommentar durchgesehen und bearbeitet. 63 Die Wissenschaftskommunikation geschieht - wie auch sonst im 19. Jahrhundert - zügig, ja umgehend. Im Jahre 1885/ 1889 wird dann noch einmal eine englische Ausgabe speziell für den amerikanischen Buchmarkt herausgebracht. 64 Es handelt sich dabei um eine Kommentarsammlung, die aus Meyers Kommentierung des Philipper-, Kolosser- und Philemonbriefes und zudem aus der Kommentierung der beiden Thessalonicherbriefe durch Lünemann besteht. Dieser Sammelband entspricht damit der 9. und 10. Abteilung der deutschen Ausgabe von 1874 bzw. 1867. In der amerikanischen Ausgabe wird Meyers Philipperbrief-Kommentar (1- 191) entsprechend der englischen Übersetzung von 1875 wieder veröffentlicht. Im Unterschied zur englischen Ausgabe bietet der amerikanische Band von 1889 eine leicht erweiterte Literaturliste (vii-xii) und eine veränderte Druckform - die Fußnoten sind nun in Kolonnen gedruckt. Bemerkenswert sind aber vor allem einige in den laufenden Text eingestellten „notes“ des amerikanischen Herausgebers Timothy Dwight (z. B. 188f.), in welchen Meyers Exegese und Textinterpretation - anders als in der englischen Ausgabe von 1875 - ihrerseits teils durchaus kritisch kommentiert wird. 65 Dwight (1828-1916), damaliger Präsident der Yale University, fügt ein Vorwort ein (iii-vi), in dem er die Funktion dieser „notes“ begründet: Sie sollen der amerikanischen „edition a value of its own, and thus a reason for its existence“ geben (iv). Darüber hinaus legt Dwight die Geschichte der vorliegenden Übersetzung und seine persönliche Arbeit an vorausliegenden Übersetzungen von Meyer-Kommentaren, besonders des Römerbriefes, dar. Er führt den Leser so nicht nur in die Bedeutung des neutestamentlichen Kommentarwesens ein, sondern beschreibt auch die Mühen, besonders aber den Mehrwert eines solchen Übersetzungsprojekts. 63 All dies ist der „Prefatory Note“ (V) zu entnehmen, die William P. Dickson (1823-1901), der auch Teile des Kommentars zum Kolosserbrief übersetzte, dem Band vorausstellte. 64 Vgl. H. A. W. Meyer, Handbook (1885/ 1889). - Die folgenden Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. 65 So findet sich in H. A. W. Meyer, Handbook (1885/ 1889), 190 eine kritische Bemerkung des Herausgebers zu Meyers Verständnis von μεριμνᾶτε in Phil 4,6: Während Meyer den Begriff im Sinne von „ care “, als „contrast to full obedience in God“ (a. a. O. 166) versteht, insistiert Dwight auf einer Deutung als „ anxious care which distracts and harasses the soul“ (190). 2. Die Kommentierungen des Philipperbriefes durch Franke und Haupt 81 2. Die Kommentierungen des Philipperbriefes durch A. H. Franke (1886) und E. Haupt (1897/ 1902) August H. Frankes Kommentar zum Philipperbrief erschien erstmalig und einzig im Jahre 1886. Die Auslegung erfolgte, wie bei H. A. W. Meyer, zusammen mit dem Kolosser- und dem Philemonbrief. 66 Franke, seit 1882 Privatdozent in Halle, wurde kurz vor Erscheinen des Kommentars auf einen Lehrstuhl für Neues Testament an der Universität zu Kiel berufen. Sein Ordinariat dort hatte er allerdings lediglich für drei Jahre inne - er musste es wegen schwerer Krankheit schon 1889 aufgeben. 1891 verstirbt Franke, mit nur 37 Jahren. Frankes Grab befindet sich - wie das seines Nachfolgers bei der Kommentierung des Philipperbriefes im KEK, Erich Haupt - auf dem Laurentiusfriedhof in Halle. Auf Frankes Grabstein ist Phil 1,21 zu lesen: „Christus ist mein Leben“ 67 . Wie wir auch bei Ernst Lohmeyer sehen werden (s. u.), sind bei Franke Leben und Forschen erkennbar eng verbunden. Dies wird bereits in der knappen, aber persönlich gehaltenen, zweiseitigen „Vorrede“ in dem Kommentar deutlich, wo Franke seine krankheitsbedingten Unterbrechungen bei seiner Arbeit am Philipperbrief beschreibt. Auf diese „Vorrede“ folgt eine Einleitung (1-25), die sich mit den drei Forschungsproblemen befasst, die ähnlich schon Meyers Einleitung die Struktur vorgegeben hatten (s. o.): der Rekonstruktion der Gemeinde in Philippi (§ 1: 1-7), Fragen nach „Veranlassung, Zweck und Inhalt des Briefes“ (§ 2: 7-15) und der Frage nach der „Einheit und Echtheit“ des Philipperbriefes (§ 3: 15-25). Frankes Zugang zu den Einleitungsfragen bleibt im Ergebnis nahe bei den Einschätzungen Meyers: So rechnet auch Franke mit einer Abfassung des Philipperbriefes in Rom im Jahre 63 oder 64 n. Chr. (8). Frankes Darstellung ist jedoch deutlich länger, in Teilen auch umfassender als die des Vorgängers: Franke diskutiert unter § 1 ausführlich „die Frage nach dem nationalen Bestande und dem religiösen Charakter der Gemeinde zu Philippi“ (3) und stellt in diesem Zusammenhang die wechselvollen Forschungstrends, entweder von judaisierenden Parteiungen (mit Verweis auf Matthies) 68 oder von einer aus Juden und Heiden gemischten Gemeinde auszugehen, dar (5). Auch die Diskussion über die Einheit und Echtheit des Philipperbriefes in § 3 ist weitaus umfangreicher geraten - sie gleicht in vielen Abschnitten einem zu- 66 Vgl. A. H. Franke, Phil , 1-254. - Die folgenden Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. 67 Zu den biographischen Daten und zur Abbildung des Grabsteins vgl. C. Stephan, Fakultät , 109f. 68 C. S. Matthies, Erklärung , 2 rechnet in Philippi grundsätzlich mit „Heiden“ als Bewohnern; dazu kommen proselytische jüdische Familien. 82 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK meist unpolemisch gehaltenen Literatur- und Forschungsbericht (15-25). Franke sieht in Phil 3,1ff. den eigentlichen Ansatzpunkt für die Infragestellung der literarischen Einheit (15), weicht aber auch hier in seiner Gesamtbeurteilung der Einleitungsfragen kaum von Meyer ab. Franke versteht offensichtlich seinen Kommentar als Fortführung und Aktualisierung des Meyer’schen Projekts (vgl. 20). Zur Aktualisierung gehört auch, dass Franke erstmalig eine Gliederung des Textes nach Sinneinheiten bietet (schon 14f.), die kurz formal und inhaltlich charakterisiert werden - so etwa bereits Phil 1,1-11 (25f.) als „Eingang des Briefes“, der dann wiederum in kleineren Einheiten kommentiert wird (Phil 1,1f.; 1,3-6; 1,7f.; 1,9-11 [25-43]). Doch sogar in vielen Detailfragen sieht sich Franke weitestgehend an die Kommentierung Meyers wie an eine Vorlage gebunden. 69 So gibt er bei der Deutung von Phil 1,7 (s. o.) fast wörtlich Meyer wieder: Die Wendung διὰ τὸ ἔχειν με-… sei „Ausdruck der innigen Liebe […] des Ap(ostels) zu den Lesern, nicht umgekehrt“ (35). Bei seiner Auslegung von Phil 2,5ff. wiederum setzt sich Franke - jedenfalls im Detail - durchaus auch kritisch mit Meyer auseinander (s. u.). Frankes Kommentar hat, vielleicht zu Unrecht, keine große Wirkung auf die Philipperbrief-Forschung entfaltet. 70 Zwar kommt Frankes Werk von 1886 nicht wirklich über die ersten vier durch Meyer bearbeiteten Auflagen des Philipperbrief-Kommentars hinaus, auch wenn sich sein Zugriff auf den Text und die Forschungsfragen sowie seine Darstellungsform deutlich vom Meyer-Kommentar unterscheiden. Der Wert des Franke-Kommentars liegt zweifellos darin, die Forschungsdiskurse des 19. Jahrhunderts, in denen sich schon Meyer fortlaufend zu bewegen und zu bewähren suchte, noch einmal ausführlich, dabei teils überaus materialreich darzulegen und sie mit anderen Augen auszuwerten. Franke leistet so - ob gewollt oder ungewollt - ein rewriting des Meyer-Kommentars. Erich Haupt, seit 1888 Professor für Neues Testament in Halle, schloss seine Kommentierung des Philipperbriefes 1897 ab. 71 Sie erfolgte wiederum im Rahmen einer gemeinsamen Auslegung der sogenannten Gefangenschaftsbriefe, zu denen nun aber neben dem Philemon-, Kolosser- und Philipperbrief auch der Epheserbrief zählte. Der Kommentarband erschien 1902 noch einmal in bearbeiteter Form, 72 zu einer Zeit, wo Haupt bereits so schwer an einer Gichterkrankung litt, dass er „auf das Katheder getragen werden mußte“ 73 . 69 So auch von A. H. Franke selbst in seiner „Vorrede“ (ohne Seitenzahl) beschrieben. 70 Auch E. Lohmeyer, Phil (1953 9 ) führt den Franke-Kommentar nicht an. 71 Zu den biographischen Daten vgl. auch C. Stephan, Fakultät , 111-114. 72 Vgl. E. Haupt, Gefangenschaftsbriefe , Vorwort (1897) und (1902) - die folgenden Seitenzahlen im Text beziehen sich jeweils auf E. Haupt, Gefangenschaftsbriefe , Einleitung (1897) bzw. (1902). 73 C. Stephan, Fakultät , 113. 2. Die Kommentierungen des Philipperbriefes durch Franke und Haupt 83 Die Einleitung zum Philipperbrief umfasst - neben einer kurzen übergreifenden Einleitung in die Gefangenschaftsbriefe (1) - weitere 18 Seiten (1897: 86-104; 1902: 83-101), der Kommentar selbst 1897 etwas mehr als 190 Seiten (1-193; 1902: 1-180). Den Bereich der Einleitungsfragen untergliedert Haupt stringent und überzeugend in die Betrachtung der Leser, des Briefeschreibers und des Briefes. Er weicht so in der Strukturierung, nicht aber in der sachlichen Beurteilung von seinen Vorgängern im KEK ab. Denn auch Haupt lokalisiert die Abfassung des Philipperbriefes in Rom (1897: 90; 1902: 86f.). In seiner Bearbeitung des Kommentars von 1902 setzt sich Haupt dann nicht nur mit der von H. E. G. Paulus schon länger behaupteten Abfassung des Briefes in Caesarea kritisch auseinander (1897: 90; 1902: 86), sondern verwirft auch die erst kürzlich, nämlich im Jahre 1900, von Heinrich Lisco (1862-1906) 74 aufgebrachte These einer möglichen ephesinischen Abfassung des Philipperbriefes (1902: 86 und 82). Ausführlich diskutiert Haupt die Fragen der literarischen Einheitlichkeit (1897: 97ff.; 1902: 94ff.) und der Echtheit (1897: 103f.; 1902: 100f.) des Briefes. Die forschungsgeschichtliche Diskussion über die Authentizität des Philipperbriefes hatte zwar, wie Haupt hier zeigt und darstellt, in der Zeit nach Baur an Brisanz verloren, war aber keineswegs beendet. Das hatte bereits auch Franke (19ff.) umfassend gezeigt. In einem in beiden Ausgaben des Kommentars unverändert gebliebenen Abschnitt des Vorwortes (1897/ 1902) reflektiert Haupt die Bedeutung, Leistung und Begrenzung des KEK, wie sie sich aus seiner Sicht am Ende des 19. Jahrhunderts darstellt: Die Kommentarserie habe ihre „beherrschende Stellung wesentlich durch zwei Eigenschaften erworben: die gründliche und saubere philologische Erklärung und die umfassende Berücksichtigung der Geschichte der Auslegung“. Die bisherige Schwäche des KEK sieht Haupt jedoch darin, dass „vermöge der älteren glossatorischen Methode die Gedankenbewegung namentlich in den paulinischen Briefen zu wenig in den Vordergrund trat“ (1897/ 1902: III). In der Tat bietet Meyer, wie oben gesehen, eine fortlaufende, annotierende Kommentierung, ohne den Text des Philipperbriefes in Sinneinheiten zu strukturieren. Erst Franke und Haupt operieren in ihren Kommentaren auf der Basis einer mehr oder weniger großflächigen Textgliederung. Trotz des erkennbar gewachsenen Interesses, den gedanklichen Duktus des Philipperbriefes noch deutlicher als Franke in den Blick zu nehmen, bietet auch Haupt keinen wesentlichen Neuansatz in der Philipperbrief-Forschung. Gleichwohl aktualisiert er die Auslegung des Philipperbriefes im Rahmen des KEK und bereichert sie um die nun explizierte Einsicht, dass die Paulusbrief-Exegese nicht nur historische, philologische oder auslegungsgeschichtliche Fragen zu bearbeiten habe, 74 H. Lisco, Vincula Sanctorum , Vorwort und bes. 20ff. 84 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK sondern auch dazu dienen solle, den „Gedankengehalt“ der Briefe zu erheben und deutend wiederzugeben (1902: VI). An diese Einsicht wird Ernst Lohmeyer anknüpfen. 3. Die bislang letzte Kommentierung des Philipperbriefes im KEK durch E. Lohmeyer in den Jahren 1928/ 1930-1974 Die Kommentierung des Philipperbriefes durch Ernst Lohmeyer im KEK erschien erstmals 1928/ 1930, 75 und zwar während Lohmeyers Zeit als Professor in Breslau (1921-1935). In ebendieser Zeit entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit mit dem Verlagshaus Vandenhoeck & Ruprecht, die auch zu dem Angebot der Neukommentierung der sogenannten Gefangenschaftsbriefe, zuletzt von Haupt (unter Einschluss des Epheserbriefes) kommentiert, führte. Nach Andreas Köhns Darstellung nimmt Lohmeyer im Jahre 1923 das Angebot an. 76 Schon 1924 macht Lohmeyer deutlich, dass er die Gefangenschaftsbriefe keineswegs als eine „Einheit“ versteht und dass er daher auch nicht - anders als Haupt - eine gemeinsame Einleitung verfassen werde. 77 Die Arbeit am Philipperbrief-Kommentar ist etwa nach fünf Jahren abgeschlossen. 78 In vielerlei Hinsicht bricht Lohmeyers Kommentierung des Philipperbriefes mit den Vorgängerkommentaren im KEK, wie der Verfasser bereits in seinem Vorwort darlegt: 79 Der „philologisch-historische Stoff [ist] fast durchweg in die Anmerkungen verwiesen[,] und die Diskussion über andere exegetische Meinungen möglichst beschränkt“. Lohmeyer wünscht, dass der Kommentar 75 Das Erscheinungsjahr der Erstausgabe ist wohl 1928. Zwar verweisen alle Bibliothekskataloge auf 1930, genauso wie das Impressum von KEK 9. Allerdings weist der originale Pappeinband der Separatausgabe des Philipperbrief-Kommentars diesen als 1928 erschienen aus - ich danke Dietrich-Alex Koch (Münster) für diesen Hinweis. - Auch in der von Lohmeyer selbst gefertigten Bibliographie - sowie in den im Folgenden genannten Lohmeyer-Biographien - wird 1928 als Erscheinungsjahr genannt, vgl. insbesondere: E. Lohmeyer, „Bibliographie“, 368. 76 Vgl. dazu A. Köhn, Lohmeyer , bes. 30ff. 77 Der Brief Lohmeyers an den Verlag vom 4. Januar 1924 ist wiedergegeben bei: A. Köhn, Lohmeyer , 32. 78 Ein erster Entwurf des Philipperbrief-Kommentars lag bereits 1926 vor, das Manuskript wurde 1927 fertiggestellt. Weil Lohmeyer allerdings zu massiven Kürzungen des Manuskripts gezwungen war - er hatte offenbar den Manuskriptumfang um das Zweifache überschritten -, verzögerte sich die Publikation noch einmal. Auch Lohmeyers Austausch des Philipperbrief-Manuskripts mit dem Karl Barths führte offenbar zu weiteren Überarbeitungen. Diese Darstellung der Entstehungsgeschichte von Lohmeyers Philipperbrief-Kommentar stützt sich auf A. Köhn, Lohmeyer , bes. 35-44. 79 Vgl. E. Lohmeyer, Phil (1953), 3* (Vorwort). Die folgenden Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. 3. Die bislang letzte Kommentierung des Philipperbriefes im KEK durch E. Lohmeyer 85 nicht als Nachschlagewerk verstanden, „sondern im ganzen gelesen werden“ möchte (Vorwort). Er rückt den Kommentar als wissenschaftliches genre damit faktisch in die Nähe einer Monographie. In formaler Hinsicht gibt Lohmeyer so noch weiter die annotierende Kommentierweise Meyers auf. Auch er gliedert den Text in Sinneinheiten und bietet zunächst eine kurze Erklärung jedes Sinnabschnitts, dann eine versweise Erklärung, die allerdings - im Unterschied zu Frankes und Haupts Vorgehen - eher einer Text deutung als einer exegetischen Analyse gleichkommt. Lohmeyers Kommentierung lässt sich daher vielleicht am besten als ein close reading des Philipperbriefes im Sinne einer sachlichen Deutung der Gedankenwelt des Paulus verstehen. 80 Dazu gehört auch, dass Lohmeyers Kommentar erstmalig im KEK auch eine Übersetzung des Philipperbriefes enthält, die - wie Lohmeyer im Vorwort 1928 schreibt - beabsichtigt, „den Text zu deuten, nicht ihn zu ersetzen“. 81 Die philologische und historische Analyse der Textabschnitte selbst ist kurz gehalten, Forschungsdiskurse werden - wenn überhaupt und so auch vom Kommentator angestrebt - nur am Rande erwähnt. Auch im Blick auf die Einleitungsfragen schlägt Lohmeyer einen neuen Weg ein. Im Unterschied zu Meyer, Franke und Haupt verlegt er den Abfassungsort des Briefes nach Caesarea (3) und datiert die Abfassung auf den Spätsommer 58 (4). Die historischen Fragen zur (Gemeinde-) Geschichte Philippis, Ort und Zeit der Abfassung werden gemeinsam unter dem Aspekt der „Vorgeschichte“ des Briefes abgehandelt (1-4). Den insgesamt kurz gehaltenen (1-8) Abschnitt der „Einleitung“ erweitert auch Lohmeyer - wie schon Haupt - mit einer verhältnismäßig umfassenden Übersicht über die Form und den Inhalt des Briefes (4-8). Anders als Meyer den persönlichen Charakter des Philipperbriefes als dessen eigentliches Wesensmerkmal herausgestellt hatte (s. o.), betont Lohmeyer die sachliche „Notwendigkeit“ des Paulus, den „Ausdruck persönlicher Verbundenheit“ zu wählen (4f.). Der paulinische Schreibstil wird nun also als strategisches Mittel der Argumentation gewertet. Der Brief sei durch die „einzigartige Situation des Martyriums, durch die Apostel und Gemeinde ebenso verbunden wie geschieden sind“, geprägt (5). So erkennt Lohmeyer im Philipperbrief eben keine lose Gedankenfolge, sondern eine „strenge Geschlossenheit des inneren Auf- 80 Dieser Ansatz bestimmt insgesamt den Zugang Lohmeyers zur paulinischen Theologie, wie er sich auch in den Grundlagen paulinischer Theologie findet - der Aufsatzsammlung, in die nach A. Köhn, Lohmeyer , 40f. auch geringere Teile des Philipperbrief-Kommentars Eingang fanden, die Lohmeyer bei seinem KEK-Manuskript herauskürzen musste. Wie Lohmeyer in einem - von A. Köhn (ebd.) dokumentierten - Brief an Ruprecht vom 12. Februar 1928 mitteilt, wurde der gesamte Exkurs zu Phil 2,6ff. bereits der „Heidelberger Akademie der Wissenschaften“ übergeben = E. Lohmeyer, Kyrios . 81 E. Lohmeyer, Phil (1928), Vorwort (Rückseite des Umschlagkartons, ohne Paginierung). 86 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK baus und eine notwendige Folge in allen seinen Teilen“ (5), wie er in einer an der Martyriums-Thematik orientierten Gliederung des brieflichen Hauptteiles (Phil 1,12-4,9) aufzeigt (5f.): Hier spreche ein „Märtyrer zu Märtyrern“ (5). 82 Der hermeneutische Schlüssel zum Verstehen des Philipperbriefes liegt für Lohmeyer also zum einen in der Selbstdeutung des Paulus als Märtyrer. Er liegt zum anderen in der Analyse von Phil 2,6ff., dem „Christuslied“ (8), das für Lohmeyer zu einem „Grundtext christlicher Philosophie“ wird. 83 Dieser doppelte hermeneutische Schlüssel dient dem bisher letzten Kommentator des Philipperbriefes im KEK nicht zufällig dazu, Baurs immer noch nachwirkende Echtheitskritik aufzunehmen, aber entscheidend umzudeuten: 84 Wie Baur will auch Lohmeyer Phil 2,6ff. „in der Tat nicht auf Paulus zurückführen“ (8). Gleichwohl hält er - anders als Baur - das Christuslied für einen „vorpaulinischen, judenchristlichen Psalm“ (8). Auch Baurs Kritik an der Gedankenführung des Philipperbriefes greift Lohmeyer produktiv auf: Die „‚Vagheit‘ der brieflichen Haltung […] hat ihre konkreten Gründe. Denn Märtyrer sein heißt nichts anderes als die letzte religiöse Wirklichkeit in ihrer göttlichen von keiner Zeit und Geschichte beschwerten Allgemeinheit in Zeit und Geschichte erleben“ (8). Fiel Meyers Kommentierung des Philipperbriefes in eine im mehrfachen Wortsinne „kritische Phase“ der Paulusexegese und geschah sie im Wesentlichen als eine Widerlegung der Baur’schen Argumente, so schließt sich bei Lohmeyers produktiver Auseinandersetzung mit Baur der Kreis. Lohmeyer muss Baur nicht länger widerlegen, er deutet Baurs „genialen Blick“ (7) um. Dass Lohmeyer mit seiner martyrologischen Deutung des Philipperbriefes, die seinen Kommentar von den zeitgenössischen, bis heute ebenso einflussreichen Kommentierungen des Briefes durch Martin Dibelius (1911; 1937 3 ), 85 Karl Barth (1928) 86 oder Wilhelm Michaelis (1935) 87 deutlich unterscheidet, in erschreckender Weise sein eigenes Schicksal als Theologe unter den Bedingungen von Nationalsozialismus einerseits und sowjetischer Besatzung andererseits vorausbeschrieb, konnte er sicher nicht ahnen. Lohmeyers Kommentierung des Philipperbriefes wird in 82 E. Lohmeyer, Phil (1953), 5f. gliedert wie folgt: „Das Martyrium des Paulus“ (Phil 1,12-26), „Das Martyrium der Gemeinde“ (Phil 1,27-2,16), „Die Hülfe im Martyrium“ (Phil 2,17-30), „Die Gefahren im Martyrium“ (Phil 3,1-21), „Letzte Mahnungen im Martyrium“ (Phil 4,1- 9). 83 So beschrieben bei D. Kuhn, Metaphysik , 96. 84 Baur ist im Übrigen auch der einzige Exeget, mit dem sich Lohmeyer in seiner Einleitung explizit und kritisch auseinandersetzt. 85 Vgl. M. Dibelius, Philipper. 86 Vgl. K. Barth, Erklärung . - Barth weist im Literaturverzeichnis auf Lohmeyers Kommentar als „im Erscheinen begriffen“ hin (a. a. O., 126). Zur Zusammenarbeit zwischen Barth und Lohmeyer kurz vor Erscheinen beider Kommentare vgl. A. Köhn, Lohmeyer , 40. 87 Vgl. W. Michaelis, Brief . 4. Die Auslegung von Phil 2,5/ 6ff. im Vergleich 87 einer dramatischen „real life experience“ verifiziert. 88 Retrospektiv zeigt sich so, wie Leben und Werk eines Exegeten letztlich kaum zu trennen sind. Der Kommentator und sein Kommentar prägen und beeinflussen einander gegenseitig, auch wenn diese Wechselwirkung oft erst im geschichtlichen Abstand deutlich werden kann. 4. Die Auslegung von Phil 2,5/ 6ff. im Vergleich Ein abschließender Blick soll der Auslegungsgeschichte von Phil 2,5/ 6ff. im KEK gelten - einem Text, der, wie wir schon sahen, seit dem 19. Jahrhundert nicht nur im Streit über die mögliche Unechtheit, weil: gnostische Prägung (Baur) 89 des Philipperbriefes eine große Rolle spielte, sondern der auch zu den theologischen Kerntexten innerhalb des Briefes, wenn nicht des gesamten Corpus Paulinum zählt. Zudem gehört dieser Abschnitt, wie in der Exegese immer wieder konstatiert wurde und wird, „zu den schwierigsten Abschnitten der paulinischen Briefe“ 90 . Folgende Aspekte waren (und sind) bei der vergleichenden Betrachtung der KEK-Kommentare von besonderer Bedeutung für das Textverstehen: (a) die formale und funktionale Bestimmung von Phil 2,5/ 6-11, (b) die Verknüpfung mit dem Kontext, (c) die Interpretation des Begriffs ἁρπαγμός in V. 6 und (d) die Deutung der Kenosis Christi in V. 7. Meyer widmet sich in seinem Kommentar 1847 der Auslegung von Phil 2,5-11 auf den Seiten 47-63. 91 (a) Der Textabschnitt wird unter Verweis auf 2,3f. als eine Beispielerzählung zur Ermahnung, nicht die eigenen Interessen in den Vordergrund zu stellen, verstanden (47). (b) Der Abschnitt ist im Zusammenhang von 2,1ff. bzw. 1,27ff. zu sehen (43). (c) Nach Meyer bedeutet der ἁρπαγμός in V. 6 nicht praeda , sondern - unter Verweis auf Plutarch ( de pueror educ 120) - den Akt des Raubens oder Beutemachens (50). Meyer erklärt V. 6 wie folgt: „ nicht für ein Rauben hielt er das Gott-Gleichsein , d. h. nicht so sah er die Gottgleichheit […] an, als wäre sie ein Verhältniss des Beutemachens, als bestehe sie im Ansichreissen fremden Besitzes“ (50). (d) Statt andere zu berauben, hat Christus sich selbst, d. h. der vormenschlichen Doxa entleert und die μορφὴ θεοῦ gegen eine μορφὴ δούλου eingetauscht (53). Die Kenosis Christi vollzieht sich als „ Ausziehen “ (ἐκδύειν) der göttlichen μορφή (54) und wird als κρύψις realisiert. Meyers 88 Vgl. H. D. Betz, „Introduction“, 15. Vgl. dazu auch E.-M. Becker, Demut , 211ff. - Vgl. zuletzt auch die Biographie von J. R. Edwards, Between the Swastika and the Sickle . 89 Vgl. den kritischen Hinweis bei H. A. W. Meyer, Phil (1847), 50. 90 E. Lohmeyer, Phil (1953), 90. 91 Im Vergleich: W. M. L. de Wette, Erklärung (1847 2 ), 194-200; C. S. Matthies, Erklärung , 59-68; B. Weiss, Philipper-Brief , 142-164. 88 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK Deutung, die sich 1847 noch nahe an der Tübinger Position im Theologenstreit des 17. Jahrhunderts hält, ist in vielen, aber doch nicht in allen Punkten mit der Interpretation de Wettes verwandt. 92 Tatsächlich ist eine Differenz zwischen beiden Kommentaren auffällig: Bei der Beschreibung des (göttlichen) Status Jesu als handelnder Person und des Vorgangs der Kenosis unterscheidet sich de Wettes Sicht auf Phil 2,6f. von der Meyers. 93 Mit der zweiten Auflage seines Kommentars beginnend ist Meyer offenbar darum bemüht, seine Deutung von Phil 2,6ff. (möglichen) Kritikern zum Trotz zu verteidigen oder auch zu korrigieren. So fügt er eine Bemerkung zum antidoketischen Gehalt von Phil 2,7 an (1859 2 : 60) und erweitert seine Ausführungen zur christologischen Deutung von Phil 2,6-8 (1847: 57; 1859 2 : 62-64) in signifikanter Weise: Der göttliche Logos legte bei der Menschwerdung die μορφὴ θεοῦ ab, also die göttliche Doxa als eine „Existenzform“, behielt aber das εἶναι ἴσα θεῷ als ein göttliches „Selbstbewusstsein“ bei (1859 2 : 63). Meyer distanziert sich jetzt - und unter explizitem Verweis auf Gottfried Thomasius (1802-1875) 94 - von seiner 1847 angedeuteten Nähe zu der von den Tübinger Theologen im 17. Jahrhundert (s. o.) vertretenen Vorstellung von der κρύψις. Meyer grenzt sich zugleich kritisch von weitergehenden zeitgenössischen Versuchen ab, die Kenosis Jesu als eine „Selbstbeschränkung des göttlichen Logos“ (so Thomasius) oder eine „ethische Ineinanderbildung göttlichen und menschlichen Lebens in der Person Christi“ (1859 2 : 63) zu deuten. Solche Versuche verweist Meyer letztlich auf das Gebiet der Dogmatik (1859 2 : 63; 1865 3 : 69f.). Offenbar hat Meyer sich zwischen 1847 und 1859 dennoch u. a. von dem Erlanger Gelehrten Thomasius und dessen Vorstellung einer kenotischen Christologie 95 im Blick auf seine Analyse von Phil 2,6f beeinflussen, wenn nicht: korrigieren lassen. 96 Die christologischen Debatten über die sogenannte „Selbstentäußerung des Logos“ im 19. Jahrhundert sind anders gelagert als die im 17. Jahrhundert 97 - das hat Meyer wohl 92 Auch für W. M. L. de Wette, a. a. O., 190ff. handelt Phil 2,6ff. vom „ Vorbild der Selbstverleugnung Jesu “ (194), das im Zusammenhang mit Phil 1,27-2,16 steht. Auch de Wette, der den Begriff ἁρπαγμός von den Konnotationen in Heliodorus ( Aeth 7,20) oder Cicero ( Verr 5,15) abgrenzt, versteht ihn als actus rapiendi (196) und sieht die Kenosis als dessen Gegensatz. 93 Nach W. M. L. de Wette, a. a. O., 197 spricht Paulus schon in V. 6-9 vom filius incarnatus , nach H. A. W. Meyer, Phil (1847), 47f. erst in V. 7 - vgl. dazu: E.-M. Becker, „Kenosis“, 114-117. 94 Vgl. G. Thomasius, Person , bes. 198f., 233ff. und 429ff. 95 Vgl. dazu J. Webster, „Christologie“, bes. 930. 96 Vgl. G. Thomasius, Person , 233ff. Nach Thomasius „ist die Erniedrigung […] Entäußerung der göttlichen Seins- und Wirkungsweise […] und damit der sogenannten relativen göttlichen Eigenschaften, in denen die immanenten nach außen hin sich manifestieren und zur Erscheinung kommen: der Allmacht, Allwissenheit, Allgegenwart“ (a. a. O., 237). 97 Vgl. dazu noch einmal W. Pannenberg, Christologie , bes. 318-320. 4. Die Auslegung von Phil 2,5/ 6ff. im Vergleich 89 zwischenzeitlich erkannt. Die dritte und vierte Auflage seines Kommentars von 1865 und 1874 bieten demgegenüber zwar bibliographische Ergänzungen und sachliche Erläuterungen, aber keine nennenswerten Revisionen (1865 3 : 68-70; 1874 4 : 85-88). Nur insistiert Meyer 1865 schon in der „Vorrede“ darauf, an der paulinischen Präexistenz-Christologie des Philipperbriefes festhalten zu wollen (1865 3 : VI). Sein Zugriff auf Phil 2,7 ist von der ersten bis zur vierten Auflage dogmengeschichtlich bestimmt. Die Kommentierung von Phil 2,5ff. (91-125) in Frankes Kommentar 1886 folgt (a) im Blick auf die Formbestimmung weitgehend der in der protestantischen Exegese damals üblichen Deutung des Textes als einer (ethisch orientierten) Beispielerzählung (89). Für Franke äußert sich die vorbildhafte „Gesinnungsweise“ Christi in dem Verzicht auf den ἁρπαγμός, die Übung der Kenosis und der Selbsterniedrigung (91). (b) Phil 2,5/ 6-11 sind im Zusammenhang von 2,1-11 zu sehen, wo Paulus zu „liebevoller Eintracht und demüthiger Selbstverleugnung“ ermahnt (79). (c) In der Deutung des ἁρπαγμός erkennt Franke - anders als noch Meyer, der seine Aufmerksamkeit besonders auf V. 6a.c gelenkt hatte - den eigentlichen exegetischen „Mittelpunkt der Diskussion“ (97). Gegen Meyer - aber ähnlich wie Lohmeyer später - spricht sich Franke dafür aus, den ἁρπαγμός nicht nur als „Rauben“, sondern auch als „Beute“ ( praeda ), also als res rapta zu verstehen (98). Der ἁρπαγμός bezeichne im metonymischen Sinne das „Mittel räuberischer Selbstbereicherung“ (100 - unter Hinweis auf 1 Tim 6,5). Frankes Darstellung erfolgt umständlich, auf mehr als sechs Seiten (97-103ff.). (d) Die Kenosis Christi stehe dem ἁρπάζειν gegenüber - so wird Christus, nach Franke, zum „vollkommensten Vorbild der geforderten Gesinnung der Selbstverleugnung“ (109). Die Vorstellung von der Kenosis sei nicht mit der Selbsterniedrigung zu identifizieren (109). Anders als Meyer geht Franke davon aus, dass Christus in der Kenosis nicht nur die μορφὴ θεοῦ, sondern auch das εἶναι ἴσα θεῷ aufgegeben habe (109f.). Franke bleibt aber bei seiner Auslegung von Phil 2,5/ 6-11 insgesamt dem Vorgängerkommentar Meyers in Zuwie Widerspruch (z. B. 112) eng verpflichtet. In Erich Haupts Kommentierung 98 von Phil 2,5/ 6-11 wird (a) Phil 2,5-11 als „Muster“ für eine Gesinnung, nämlich die Übung von ταπεινοφροσύνη im Sinne von „Selbstlosigkeit, welche auf eignen Besitz und […] Wohl verzichten kann“ (60f.), verstanden. (b) Haupt begreift 2,5-11 als literarische Einheit, ohne den Abschnitt makro-kontextuell weiter einzubinden (vgl. 60). (c) Haupt versteht - so wie Meyer, aber anders als Franke - den ἁρπαγμός zunächst als actus rapiendi (69f.), bleibt aber bei dieser Deutung nicht stehen, weil er sie semantisch 98 E. Haupt, Phil ; die Seitenzahlen beziehen sich hier und im Folgenden auf die zweite Bearbeitung von 1902 (dort: 60-89). 90 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK für inkonsistent hält. Haupt will den ἁρπαγμός letztlich nicht als (widerrechtlich angeeignete) Beute, sondern, unter Verweis auf Heliodorus ( Aeth 7,20), als „Fund“ übersetzen (73): Demnach hielt Christus das εἶναι ἴσα θεῷ „nicht für einen Gegenstand, an dem er krampfhaft festhielt“ (73). Wie Meyer und Franke will auch Haupt nicht zwischen der μορφὴ θεοῦ und dem εἶναι ἴσα θεῷ qualitativ unterscheiden (69). (d) Die Kenosis Christi in Phil 2,7 hält Haupt für eine unbestimmte Wendung, die sich nicht durch ihren möglichen Gegensatz zum ἁρπαγμός, sondern durch die Explikation μορφὴν δούλου λαβών und so im Kontrast zur μορφὴ θεοῦ erschließt (76f.). Auch Haupt knüpft in vielerlei Hinsicht an Meyer und Franke an, zeichnet sich aber gerade im Vergleich mit Franke durch eine klare und knappe Darstellung aus und sucht zielbewusst nach dem Gesamtverstehen von Phil 2,5/ 6ff. Ernst Lohmeyer widmet sich auf den Seiten 90-99 seines Philipperbrief-Kommentars der Interpretation von Phil 2,5/ 6-11. Sie führt zu einer grundlegenden exegetischen Neubewertung und -deutung des Textabschnitts. (a) Lohmeyer versteht Phil 2,6ff. als einen vorpaulinischen „Hymnus“ und betrachtet den Abschnitt isoliert von seinem Kontext. Diese Deutung, die Lohmeyer schon in seinem „Kyrios Jesus“ (1927/ 1928) darlegt, 99 ist teils durch formgeschichtliche Fragen, 100 teils aber auch durch stilkritische Untersuchungen, die am Ende des 19. Jahrhunderts verstärkt einsetzen, inspiriert. 101 Die Bezeichnung von Phil 2,5/ 6ff. als Hymnus wird durch Lohmeyers Kommentar zum Philipperbrief terminologisch und genrespezifisch in die Forschung eingeführt 102 - weder bei Adolf Deissmann (1911) noch bei Martin Dibelius (1925 2 ) begegnet sie zuvor - und fortan von den zeitgenössischen Kommentatoren ganz selbstverständlich aufgenommen. 103 Nach Lohmeyer spricht Phil 2,6-11 als ein „Psalm“ (98) oder „Hymnus“ (91 oder 99) von „der Gegenständlichkeit eines göttlich-menschlichen Geschehens, nicht aber von der Vorbildlichkeit einer ethischen Gesinnung“ (98). Christus steht Paulus „in diesem Gedichte als Vorbild des Martyriums“ (98). (b) Zwar 99 Vgl. E. Lohmeyer, Kyrios , 4ff.; bes. 8. 100 Vgl. J. Kroll, Hymnodik . Kroll (1889-1980) beschäftigt sich in seiner Studie jedoch nicht eigens mit dem Philipperbrief oder Phil 2,5/ 6ff. 101 Vgl. J. Weiss, „Beiträge“, bes. 190ff. - Darauf weist E. Lohmeyer, Kyrios , 4f. Anm. 3 explizit hin. 102 Vgl. dazu E. Lohmeyer, Phil (1953), 98f. - die folgenden Seitenzahlen im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. 103 Zwar gliedert schon Adolf Deissmann im Jahre 1911 Phil 2,5-11 in zwei Strophen - den Begriff Hymnus verwendet er jedoch noch nicht: Vgl. A. Deissmann, Paulus , 112f. Vgl. etwa M. Dibelius, Philipper , 72. - In der zweiten Auflage seines Kommentars zum Philipperbrief (1925 2 ) hatte Dibelius zwar den feierlichen Ton von Phil 2,5ff. herausgestellt, aber auch noch nicht die Bezeichnung „Christushymnus“ gewählt. 4. Die Auslegung von Phil 2,5/ 6ff. im Vergleich 91 ordnet auch Lohmeyer Phil 2,5/ 6-11 dem Duktus von 1,27ff. zu - dieser handelt aber aus seiner Sicht von der „Gemeinde im Martyrium“ (70). (c) Lohmeyer versteht - hierbei Franke ohne Nennung folgend - den ἁρπαγμός sowohl als res rapta und res rapienda , denn die Gestalt Christi ist „Kyrios kraft ihrer göttlichen Art und wird Kyrios wieder durch die eigene Tat“ (93). (d) Die Kenosis Christi in Phil 2,7 deutet Lohmeyer als Beschreibung der „Menschwerdung“, als Vorgang, bei dem „die göttliche Gestalthaftigkeit […] der Knechtsgestalt weicht“ (93). Die diffizilen syntaktischen und dogmatischen Diskussionen über die christologische Bedeutung der Kenosis, wie sie bis zum Ende des 19. Jahrhunderts geführt wurden, setzt Lohmeyer indes nicht fort. Lohmeyers sprachlich-literarische und sachliche Deutung des Textabschnitts setzte sich in der Exegese durch und wurde lange durchgehalten. 104 Sie hat, gerade weil sie einen formgeschichtlichen und philosophischen Ausweg aus den dogmengeschichtlichen Dilemmata der Auslegungsgeschichte aufzuzeigen versuchte, die früheren KEK-Kommentare zum Philipperbrief überboten, wenn nicht in den Schatten gestellt. Doch auch Lohmeyers Deutung steht zur Diskussion. Die kritische Auseinandersetzung mit seinem Zugang zum Philipperbrief in jüngster Zeit konzentriert sich zum einen darauf, die literarische Deutung von Phil 2,6-11 als Hymnus bzw. poetischer Text zurückzuweisen. 105 Zum anderen wurde und wird an Lohmeyers martyrologischer Deutung des Philipperbriefes Kritik geübt 106 und dabei auch die textpragmatische Funktion von Phil 2,6-11 neu überdacht. 107 Ein Blick in die Auslegungsgeschichte des Philipperbriefes im KEK des 19. Jahrhunderts kann daher dazu anleiten, nicht nur hinter Lohmeyers wirkungsvollen Kommentar zurückzufragen, sondern auch über diesen hinauszusehen. 104 Vgl. dazu etwa O. Hofius, Christushymnus , 1f. 105 Vgl. dazu R. Brucker, ‚ Christushymnen ‘, bes. 309ff. 106 Eine solche kritische Auseinandersetzung mit Lohmeyer begegnet bereits bei W. Michaelis, Brief , 62f. - hier im Blick auf Phil 3,17ff. 107 Vgl. die möglichen unterschiedlichen Perspektiven auf den Philipperbrief, bedingt durch die Rekonstruktion verschiedener ökonomischer Lebenssituationen, wie sie P. Oakes aufzeigt: ders., „Philippians“, 155-164; Oakes sieht das „Leiden der Philipper“ in erster Linie ökonomisch bedingt: ders., „Economic Situation“, 63-82. Vgl. zudem die Kritik an Lohmeyers martyrologischer Sicht auf das Selbst- und Christusverständnis des Paulus im Philipperbrief bei: E.-M. Becker, Demut , 125ff. 92 V Der Philipperbrief in der Geschichte seiner Kommentierung im KEK Bibliographie K. Barth, Erklärung des Philipperbriefes (München: Kaiser, 1928). F. C. Baur, Paulus, der Apostel Jesu Christi. Sein Leben und Wirken, seine Briefe und seine Lehre. Ein Beitrag zu einer kritischen Geschichte des Urchristenthums (Stuttgart, 1845). F. C. Baur, Paulus, der Apostel Jesu Christi. Sein Leben und Wirken, seine Briefe und seine Lehre. 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Jhs. 3 an antike, in diesem Fall an paulinische Texte heran. 4 Sachlich lassen sich die autobiographischen Passagen in den paulinischen Briefen allerdings als Elemente antiker Autobiographik in die altertumswissenschaftlichen Debatten einbetten und - wenn auch nur mit Einschränkung 5 - sogar in den literaturwissenschaftlichen Diskursen der jüngeren Autobiographie-Forschung verorten 6 . 1 So findet sich auch das Lemma ‚Autobiographie‘ in einigen einschlägigen altertumswissenschaftlichen Lexika nicht (RE; OCD; KlP - hier aber mit Verweis auf: M. Fuhrmann, „Biographie“, wo Sp. 903f. Hinweise zu antiken autobiographischen Formen erfolgen: „Nach Form und Inhalt einzigartige autob(iographische) Dokumente sind der 7. Brief Platons, die Bildungsgeschichte Ciceros [ Brut 304ff.] sowie die Res gestae des Augustus“ [s. dazu unten], a. a. O., 904), wohl aber in DNP: K. Jansen-Winkeln/ H. Görgemanns/ W. Berschin, „Autobiographie“, und bereits im RAC: A. Sizoo, „Autobiographie“. 2 Vgl. dazu A. Momigliano, Biography , 28ff. 3 G. Misch Geschichte , hier Bd. 1.1., 7 Anm. 1 stellt den Begriff der ‚Selbstbiographie‘ erstmals 1796 in dem Titel einer Sammlung, die von dem Tübinger Literarhistoriker Seybold herausgegeben ist, fest. 4 Eine Betrachtung des paulinischen Briefeschreibens unter dem Aspekt der ‚Autobiographie‘ wird in der Paulus-Forschung jedoch zumeist nicht vorgenommen, obwohl bereits Misch das autobiographische Potential des paulinischen Schreibens und dessen Fortwirken auf die Geschichte der Autobiographie hervorgehoben hat, vgl. Misch, Geschichte 1.2 ., 540ff., bes. 544 Anm. 1. und 541: „So ist auch in der Bekehrungsgeschichte des Apostels, obwohl er selbst sie nur gelegentlich berührt, ein neuer Ansatz der Selbstdarstellung enthalten“, mit Hinweis auf Gal 1,11ff.; 1 Kor 15,8; Phil 3,7ff. Vgl. aber die fehlenden Hinweise in den jüngsten Paulus-Darstellungen: E. P. Sanders, Paulus ; J. Becker, Paulus ; E. Lohse, Paulus ; K. Berger, Paulus , München 2002; U. Schnelle, Paulus . 5 S. dazu unten. 6 Die jüngere und jüngste Autobiographie-Forschung hat in den Geschichtswissenschaften und in den Literaturwissenschaften einen deutlichen Aufschwung erlebt (vgl. auch einführende Überlegungen dazu bei: E.-M. Becker, „Autobiographie“. Aus der Fülle der Literatur sei hier nur hingewiesen auf: L’ Autobiografia ; J. Jessen/ R. Voigt, Bibliographie ; G. Niggl (Hg.), Autobiographie .; M. Holdenried, Autobiographie ; J.-P. Carron, Ecriture ; T. Klaiber, Ce triste Système ; E. Kormann, Ich , mit einer guten Übersicht über die Geschichte der Autobiographie-Forschung besonders im 20. Jh., a. a. O., 43-101. 100 VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben Es geht im Folgenden also darum, Texte und Passagen der paulinischen Briefe, in denen Paulus ,von und über sich selbst schreibt‘, erstens als historische Nachrichten auszuwerten, sie zweitens in ihrer literarischen Bedeutung und Funktion zu betrachten und drittens nach den Wechselwirkungen mit der Konstituierung paulinischer Individualität und Personalität zu fragen. Diese drei Aspekte des Beitrags korrelieren mit den drei Bestandteilen des Begriffs ,Auto-biographie‘, die Georg Misch zur Grundlage seiner bekannten Begriffs-Definition genommen hat: Die Autobiographie „läßt sich kaum näher bestimmen als durch Erläuterung dessen, was der Ausdruck besagt: die Beschreibung ( graphia ) des Lebens ( bios ) eines Einzelnen durch diesen selbst ( auto )“. 7 1. Standortbestimmung Ich beginne mit zwei unterschiedlichen Voten, die erstens die literarische , zweitens die historische Bedeutung autobiographischer Texte in der Antike charakterisieren. „Eine einzige Selbstbiographie von unvergänglichem Werte hat das Altertum hervorgebracht, die Konfessionen des h. Augustin-…“. Doch das Buch Augustins ist „eingeordnet in die geschichtliche Kontinuität. Es versteht sich von selbst, daß es darum nicht aufhört, eine eigene und neue und unvergleichliche Leistung zu sein. Augustin hat nicht geschrieben, um über sein Leben zu berichten; seine Konfessionen sind die Potenzierung seiner Soliloquien“ 8 . So beschreibt Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff 1907 in einer Besprechung des soeben erschienenen ersten Bandes von Mischs „Geschichte der Autobiographie“ 9 , die die neuere Autobiographie-Forschung maßgeblich veranlaßt hat 10 , aus seiner Sicht die Geschichte und Bedeutung der Autobiographie in der Antike. Zweifellos fallen für von Wilamowitz Paulus als Autor und seine Briefe nicht in den Bereich autobiographischer Literatur. Mit dieser Beschreibung der Bedeutung Augustins für die Geschichte der Autobiographie läßt sich eine Aussage Eduard Nordens konfrontieren: „Cicero ist uns von allen Menschen des Altertums am genauesten bekannt, genauer noch als Augustinus: denn dessen Konfessionen sind stark stilisiert und für die Wirkung auf ein Lesepublikum berechnet, während wir von Cicero nicht viel weniger 7 G. Misch, Geschichte 1.1 ., 7. 8 U. von Wilamowitz-Moellendorff, „Autobiographie“, 120 und 126. 9 Vgl. G. Misch, Geschichte . 10 Vgl. z. B. M. Holdenried, Autobiographie , 14. 1. Standortbestimmung 101 als tausend Briefe besitzen, unter denen nur wenige für die Öffentlichkeit bestimmt waren“ 11 . Beide Voten akzentuieren - ohne sich inhaltlich zu widersprechen - zwei unterschiedliche Aspekte, die für die Beschäftigung mit Autobiographie und autobiographischen Literaturformen der Antike zu bedenken sind: - die Autobiographie , d. h. literarische Aspekte autobiographischer Literatur im engeren Sinne (Wilamowitz-Moellendorff), - und die Erschließung einer antiken Biographie im Kontext einer historischen Fragestellung und im weiten Feld autobiographisch gefärbter Literatur (Norden). 12 Im Folgenden werde ich erstens nach dem historischen Wert autobiographischer Texte als Teil von Biographie und zweitens nach den literarischen Aspekten autobiographischer Literatur im Kontext antiker Gattungsgeschichte fragen. Dabei setze ich drei 13 einschlägige literaturwissenschaftlich wie literatur- und gattungsgeschichtlich geprägte Begriffe in ein Verhältnis zu einander: Autor - Biographie - Autobiographie Damit bewegen wir uns auf ein von Oda Wischmeyer mehrfach untersuchtes Gebiet der Paulus-Forschung zu. 14 Diese Überlegungen geben drittens Aufschluß über die Wechselwirkungen zwischen Biographie, Autobiographie und Personalität bei Paulus. Die Autobiographie wird sich dabei als ein wesentliches Bindeglied zwischen der Biographie und der Konstituierung paulinischer Personalität erweisen . 11 E. Norden, „Römische Literatur“, 39. 12 Letztere Auffassung korreliert mit der exegetischen Übung, aus den persönlichen Bemerkungen des Paulus Teile seiner vita zu rekonstruieren. 13 Der für die paulinischen Briefe zudem wichtige Begriff der Autographie (vgl. z. B. Gal 6,11ff.), der sich letztlich auf die „Hinzufügung der Unterschrift von eigener Hand beschränkte“, T. Dorandi, „Arbeitsweise“, 25, wird hier allerdings nicht weiter bedacht. 14 Vgl. O. Wischmeyer, „2. Korinther 12,1-10“; dies., „Autor“. 102 VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben 2. Paulus, der Brief-Autor Als Verfasser autobiographischer Texte verstanden, muß der Briefeschreiber Paulus zunächst als literarischer Autor gewürdigt werden. Paulus schrieb mindestens sieben uns erhaltene und für authentisch befundene Briefe 15 und läßt sich daher in dreifacher Weise als historischer und literarischer ,Autor‘ bezeichnen: Im Sinne eines auctor ist Paulus erstens der geistige Urheber der an fünf Gemeinden oder Gemeindebezirke (Korinth, Thessaloniki, Galatien, Rom, Philippi) und an eine Privatperson (Philemon) gerichteten Briefe. 16 Zweitens : Im Sinne der auctoritas binden sich die apostolische Autorität des zuletzt berufenen Augenzeugen der Auferstehung Christi (1 Kor 15,8ff.) und der Briefautor Paulus gegenseitig. Dieser Vorgang findet rezeptionsgeschichtlich und zunächst nicht autorenbzw. produktionsorientiert statt: Die korinthische Gemeinde als kontinuierlichste Adressatin paulinischer Briefe erkennt die Gewichtigkeit und Kraft der Paulusbriefe (2 Kor 10,10) an. Paulus selbst beginnt im 2. Korintherbrief, die Funktion seiner Briefe hermeneutisch zu bedenken (bes. 2 Kor 2.7), und formuliert Ansätze zu einer Brief hermeneutik 17 . Das Phänomen der Pseudepigraphie (2 Thess, Kol, Eph, Tritopaulinen bzw. Pastoralbriefe) im möglichen Rahmen einer sog. Paulus-Schule zeigt 18 , daß die ca. 12 Jahre paulinischer Schreibtätigkeit 19 traditionsbildend und autoritätssichernd gewirkt haben. Die pseudepigraphen Briefeschreiber leihen die briefliche Autorität des Paulus, um die Tradition paulinischer Lehre und Gemeindetheologie nach Pauli Tod fortsetzen, d. h. sichern und ergänzen, zu können. Drittens : Die rezeptionsgeschichtliche Erfahrung der Bedeutung seiner Briefe und die briefhermeneutischen Überlegungen dazu lassen Paulus schließlich auch in literarischer Hinsicht zum Autor werden. Schon im 2 Kor, spätestens aber im Röm vervollkommnet Paulus sein Briefeschreiben soweit, daß die Briefe über eine konkrete Gemeindesituation hinausweisen, d. h. den Charakter von Gelegenheitsbriefen zugunsten theologisch wie literarisch anspruchsvoller antiker Briefe eintauschen. In diesem Zusammenhang ist dann auch das Phänomen der Autobiographie zu würdigen. Denn ein Schreiber autobiographischer Texte weist sich in be- 15 1 Thess; 1 und 2 Kor; Gal; Phlm; Röm; Phil. Vgl. dazu: O. Wischmeyer (Hg.), Paulus . 16 Zur hiermit verbundenen Frage der Co-Autorschaft bzw. Co-Adressatenschaft vgl. E.-M. Becker, Schreiben , 149ff.; dies., Letter Hermeneutics , 121ff. 17 Vgl. hierzu: E.-M. Becker, Schreiben ; dies., Letter Hermeneutics . 18 Zur kurzen Übersicht vgl. bei U. Schnelle, Einleitung , 45ff. 19 Der 1 Thess ist - als frühester Brief - ca. auf die Jahre 49/ 50 n. Chr. datiert; die letzten Briefe könnten der Phil und Phlm, geschrieben Anfang der 60er Jahre, vielleicht 60/ 61 n. Chr., sein. 3. Autobiographie und Biographie 103 sonderer Weise als historische Person und literarischer Autor aus. Paulus ist - neben dem Apokalyptiker Johannes (Apk 1,9-17) - der einzige ntl. Autor, der sich autobiographisch äußert und der sich als orthonymer Schreiber überhaupt autobiographisch äußern kann. Orthonymität, d. h. historische und literarische Autorschaft, und Autobiographie bedingen sich also gegenseitig. Der ‚Brief‘ erweist sich insofern als nicht ungeeignete Form autobiographischer Reflexion, als er - schon gemäß antiker Epistolographie 20 - als ‚Spiegel der Seele‘ des Absenders gilt 21 . 3. Autobiographie und Biographie - historische, literarische und anthropologische Aspekte 3.1. Der historische Wert der Autobiographie Unter historischer Fragestellung liegt die Bedeutung autobiographischer Texte in ihrem Aussagegehalt für die Biographie einer historischen Person. Hierbei lassen sich mindestens vier methodische Annäherungen vornehmen: (1.) Die gegenwärtigen Geschichtswissenschaften fassen unter Autobiographien im weiteren Sinne auch ‚Selbstzeugnisse‘, ‚Memoiren‘ oder sog. ‚Ego-Dokumente‘. 22 Auch wenn das geschichtswissenschaftliche Interesse an autobiographischen Texten auf eine verstärkte „Anthropologisierung der Geschichtswissenschaft“ zurückgeführt werden kann 23 , steht bei der Beschreibung und Auswertung von Autobiographien z. B. als Ego-Dokumenten der dokumentarische Wert autobiographischer Texte als geschichtlicher Quellen mit subjektiver Färbung im Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses. 24 Die historische Auswertung von Selbstzeugnissen und Ego-Dokumenten spiegelt vice versa das geschichtswissenschaftliche Interesse an individuell gestalteten literarischen 20 Vgl. dazu K. Thraede, Brieftopik , bes. 23: „Was von jedem anderen λόγος gilt, trifft erst recht für den Brief zu: daß man aus ihm die Sinnesart des Autors erkennen kann“. 21 Aus der Fülle der Literatur vgl.: W. Müller, „Brief“. 22 Vgl. zur Übersicht über die verschiedenen Formen der Autobiographie: W. Schulze, „Autobiographie“. Zur Definition der sog. Ego-Dokumente: „‚Ego-Dokumente‘ ist ein weitgefasster Begriff-… Es werden darunter einerseits jene Quellen verstanden, in denen ein Mensch freiwillig Auskunft über sich selbst gibt-… Andererseits versteht man darunter auch Aussagen ‚normaler‘ Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten über sich selbst, die durch besondere Umstände oder Zwang veranlasst wurden-…“, ders., a. a. O., 38. Vgl. z. B. auch die Beiträge in: W. Schulze (Hg.), Ego-Dokumente . Zur literaturwissenschaftlichen Kritik am Begriff der ‚Ego-Dokumente‘ vgl. z. B. Holdenried, Autobiographie , 23. 23 W. Schulze, „Autobiographie“, 37. 24 Vgl. zu dieser Fragestellung: V. Depkat, „Quellenwert“. 104 VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben Quellen wider und führt zu einer Ausweitung dessen, was als autobiographisch im weiteren Sinne bezeichnet werden kann. Dieser Umstand konvergiert mit einer für unsere Fragestellung geeigneten Definition autobiographischer Literatur durch Arnaldo Momigliano: „ any statement about oneself, whether in poetry or in prose, can be regarded as autobiographical “ 25 . (2.) Autobiographie und autobiographische Texte sind ein konstitutiver Gegenstand der historischen Anthropologie. Denn die „anthropologisch orientierte Geschichtsschreibung“ thematisiert „nicht nur objektive Lebenszusammenhänge wie die materiellen Sachgüter, die familiare Struktur-…“, sondern richtet sich ebenso „auf die soziale Praxis, auf die Wahrnehmungsweise, Gefühlswelt und Subjektivität der Menschen“ 26 . Historische Anthropologie basiert also auf der Erschließung von Subjektivität und Personalität. Autobiographische Texte leisten einen Beitrag zu dieser Fragestellung und tragen zur Deutung historischer Prozesse bei. 27 Dies gilt insbesondere für den an ‚Mentalitäten‘ orientierten Bereich der Geschichtswissenschaften. 28 (3.) Die Altertumswissenschaften differenzieren antike Formen der ‚Autobiographie‘ gattungs- und formspezifisch. Die dabei entstehenden unterschiedlichen Klassifizierungen 29 autobiographischer Formen rühren vom bereits zu Anfang benannten Definitionsproblem her: Autobiographien im modernen Sinne als umfassende Selbstreflexion und Selbstdarstellung bzw. „introspektive Selbsterfahrung“ in literarischer Form existieren in der Antike - zumindest vor Augustinus - nicht 30 , ebensowenig wie eine eigene Gattung ‚Autobiographie‘. Es finden sich aber autobiographisch gefärbte Texte, die - wie Herwig Görgemanns für die griechische Literatur vorschlägt - zunächst in verschiedenen literarischen Ursprungsbereichen (Rhetorik, Briefe, Memoiren, Autorenvorstellungen und sittliche Selbsterforschung) beheimatet sind, hieraus entstehen 31 und gleichsam das Phänomen der Autobiographik in der antiken Literatur und Kultur konstituieren. 32 25 A. Momigliano, Biography , 23 (im Original nicht kursiv). 26 R. van Dülmen, Anthropologie , 44. 27 R. van Dülmen, Anthropologie , bes. 44-47. 28 Vgl. hierzu: L. Raphael, Geschichtswissenschaft , 156ff. 29 Z.B. wird die Nähe autobiographischer Formen zur biographischen Literatur unterschiedlich bestimmt, und einzelne Literatur-Formen (z. B. Hypomnemata, Commentarii oder Memoiren) werden teilweise der autobiographischen Literatur zugerechnet, teilweise aber auch von ihr unterschieden. 30 K. Jansen-Winkeln/ H. Görgemanns/ W. Berschin, „Autobiographie“, 349. 31 K. Jansen-Winkeln/ H. Görgemanns/ W. Berschin, „Autobiographie“, 349f. 32 So ordnet auch bereits A. Sizoo, „Autobiographie“, 1050ff. aus der Erkenntnis heraus, „die Selbstdarstellungen gehören verschiedenen Literaturgattungen an. Man muß unterscheiden zwischen der eigentlichen A(utobiographie) u(nd) dem autobiographischen Element in der Literatur überhaupt“ (a. a. O., 1050), das ‚autobiographische Material‘ der christ- 3. Autobiographie und Biographie 105 Festzuhalten ist, daß autobiographische Aussagen und Texte zunächst in verschiedenen Bereichen der Literatur (z. B. Briefe, Rhetorik) begegnen und daß sie in gattungsspezifischer Hinsicht tendenziell mit biographischer Literatur verwandt sind 33 . Autobiographische Texte lassen sich historisch auswerten. Dies gilt insbesondere für die Hypomnemata- 34 , Memoiren- und Commentarii -Literatur, die seit dem Hellenismus, besonders aber in der Tradition der Aufzeichnungen Caesars in der frühen Kaiserzeit einen deutlichen Aufschwung erlebt und dem Feld der autobiographischen Literatur, hier im weiteren Umfeld der historiographischen Literatur 35 , zugerechnet werden kann. Ein prominentes Beispiel sind die Selbstdarstellungen des Augustus, die sich allerdings trotz ihrer erheblichen Bedeutung 36 nicht in der literarischen Form der Selbstbiographie ( de vita sua [Sueton, Aug 85,1]; griech.: ὑπομνήματα [z. B. Plutarch, Brut 27 und 41] - diese Schrift des Augustus dürfte den Titel: Imperatoris Caesaris Augusti de vita sua libri XIII gehabt haben 37 ), sondern als res gestae durch das Monumentum Ancyranum 38 erhalten haben. An die Tradition kaiserlicher Selbstdarstellung schließen lichen und nichtchristlichen Antike in: „Grabinschriften-…, Selbstzeugnisse der Schriftsteller-…, Apologien-…, Memoiren-…, Berichte über innere Erfahrungen-…, Bekehrungsgeschichten-…, Religiöse Seelengeschichte“. G. A. Benrath, „Autobiographie“, zeichnet auf der Basis dieser Ausweitung autobiographischer Formen explizit auch „die apologetisch motivierte kurze Rückschau des Apostels Paulus auf seinen Lebensgang“ in Gal- 1,11ff. (s.-dazu unten) in die Geschichte der christlichen Autobiographie ein, a. a. O., 773. 33 Vgl. zur Übersicht: K. Meister, „Autobiographische Literatur“; vgl. auch ders., Geschichtsschreibung , 187ff. Zur Sammlung autobiographischer Texte bei F. Jacoby, vgl.: FGrHist II C. A. Dihle, Literatur , 536, sieht die Funktion autobiographischer Texte darin, „rechtfertigende Berichte über das eigene Tun“ zu sein. 34 Aratos von Sikyon (ca. 271-213 v. Chr.) ist als einer der frühen Verfasser von Hypomnemata in hellenistischer Zeit bekannt (vgl. FGrHist 231), vgl. auch O. Lendle, Geschichtsschreibung ; J. Engels, „Hypomnemata-Schriften“. K. Meister, „Autobiographische Literatur“. 35 Die Memoiren- oder Hypomnemata -Literatur erwächst - z. B. bei Aratos - aus seiner politischen Tätigkeit und verfolgt - im Unterschied zu den etwa zeitgenössischen Historien des Phylarchos (FGrHist 81) - eine eminent historiographische Funktion, vgl. z. B. O. Lendle, Geschichtsschreibung , 192. 36 „Augustus’ autobiography is unique in the tradition since it is the only such work we know to have been written by a statesman before his retirement from public life“, M. Toher, „ Bios Kaisaros “, 135. 37 Vgl. F. Blumenthal, „Augustus“. Vgl. insgesamt auch ausführlich H. Hahn, Untersuchungen . 38 Vgl. F. Blumenthal, Untersuchungen , 103 und G. Dobesch, Nikolaos von Damaskus . Zugleich ein Beitrag zur Chronologie der Regierung Caesars: ders., Ausgewählte Schriften , 264. Vgl. neuerdings zum geistes- und religionsgeschichtlichen Kontext der res gestae und ihrer Funktion: B. Bosworth, „Augustus“: „What seems to me undeniable is that there are strong resonances of the Hellenistic doctrine of apotheosis through conquest and benefaction-…“, a. a. O., 1. Vgl. hierzu auch R. Gordon, „Roman Inscriptions“, 230: „… complex and many-layered as that document is, one of its tacit claims is that the combination of (world-)conquest and massive benefaction qualifies a human being for apotheosis“. 106 VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben sich die iulisch-claudischen Memoiren 39 und in programmatischer Weise auch die Memoiren Vespasians 40 , die den Aufstieg der Flavier dokumentieren, an. (4.) Die jüngste sog. ‚gender-orientierte‘ bzw. ‚gender-sensible‘ 41 Autobiographie-Forschung beleuchtet einen zentralen Aspekt, der auch für die Analyse autobiographischer Passagen bei Paulus von großer Bedeutung sein könnte. Die gender-orientierte Autobiographietheorie nämlich „muß-… vor allem fragen, inwieweit Geschlechtervorstellungen (mit)bestimmen, welche Kommunikationsbeziehungen eingegangen werden können, welche textuellen und paratextuellen Signale für deren Steuerung somit erfolgreich verwendbar sind, welche Chancen ein Text hat, in den Gattungskanon aufgenommen zu werden, und welcher Gattung Lesende einen bestimmten Text überhaupt zuordnen-… Geschlecht ist nach heutigem Verständnis ein soziokulturelles Konstrukt“ 42 . Analog zu diesem gender-orientierten Ansatz der jüngsten Autobiographie- Forschung müßten die autobiographischen Passagen bei Paulus konsequent religions-orientiert erfaßt und ausgewertet werden: Das Paradigma der Gender- Forschung lenkt das Augenmerk der Autobiographie-Forschung darauf, daß die von Männern und Frauen verfaßten autobiographischen Texte zwar nicht dichotomisch einander gegenübergestellt 43 , wohl aber geschichts- und literaturtheoretisch differenziert werden müssen. Analog dazu müßte das von der Paulus-Forschung vielfach betrachtete Paradigma der ‚Religion‘ des Paulus 44 die Wahrnehmung und Interpretation der autobiographischen Aussagen in den paulinischen Briefen schärfer in den Blick nehmen. 45 Die vier genannten geschichtswissenschaftlich orientierten Ansätze zeigen, in welcher Weise das Phänomen der ‚Autobiographie‘ historisch und insofern auch für die Frage nach der historischen Biographie und Person des Paulus relevant ist: - autobiographische Texte dokumentieren Zeit- und Ereignisgeschichte, - autobiographische Texte stellen eine wichtige Quelle für historische Anthropologie dar, 39 Vgl. dazu J. Wilkes, „Julio-Claudian Historians“, 181ff. 40 Vgl. dazu HRR 2,108. Zur Benutzung der vespasianischen commentarii durch Josephus vgl. Vita 342 und 358. Vgl. insgesamt zur frühen kaiserzeitlichen Autobiographie: R. G. Lewis, „Autobiography“. 41 Zu diesem Ausdruck vgl. I. Schabert, „Gender“. 42 Kormann, Ich , 11. 43 Gegen diese Dichotomie wehrt sich auch Kormann, Ich , 11. 44 Vgl. dazu etwa A. Wedderburn, „Paulusperspektive“; vgl. auch: O. Wischmeyer, „Religion“. 45 Diese Überlegungen berühren sich teilweise mit den von W. Sparn seitens der Systematischen Theologie an die Paulus-Forschung gerichteten Erwartungen der Konstruktion einer ‚religiösen Biographie‘, vgl. dazu W. Sparn, „Einführung“. 3. Autobiographie und Biographie 107 - verschiedene autobiographische Einzeltexte und -formen können, wenn auch nur in unspezifischer Weise, einer Makro-Gattung ‚autobiographischer Literatur‘ zugerechnet werden; sie lassen sich auf ihren historischen Aussagegehalt hin untersuchen, - autobiographische Texte weisen, wenn sie sozial- und religionsgeschichtlich differenziert betrachtet werden, spezifische Kommunikationsstrukturen auf, die Einblick in die Individualität der historischen Person geben und zugleich gattungstheoretisch bedeutsam sind. 3.2. Literarische Aspekte der Autobiographie Autobiographische Texte konstituieren eine eigene literarische Gattung, die sich von der antiken bis in die moderne Literatur- und Gattungsgeschichte verfolgen läßt. Verfasser autobiographischer Texte betätigen sich als literarisch zu würdigende Autoren. (1.) Dazu zunächst zwei sehr unterschiedliche Beispiele aus der Literatur des 1. Jhs. n. Chr. und der Literatur des 20. Jhs.: Flavius Josephus verfaßt vermutlich in den letzten Jahren des 1. Jhs. 46 eine autobiographische Schrift (Ἰωσήπου βίος). Diese Schrift ist in mehrfacher Weise bemerkenswert: Sie ist, obgleich der Form nach insgesamt durchaus als Autobiographie im engeren Sinne zu bezeichnen 47 , als Anhang zu den Antiquitates konzipiert 48 und hat besonders in der Auseinandersetzung mit Justus von Tiberias 49 über die Ereignisse in Tiberias während des jüdischen Aufstands gegen Rom eine apologetische Funktion 50 : „Josephus nützt die Gelegenheit einer Selbstdarstellung-…, um sein Renommee zu wahren, wenn nicht gar zu erhöhen“ 51 . Der Verfasser des Bellum Iudaicum und der Antiquitates läßt auf seine historiographischen Schriften eine autobiographische Schrift folgen, damit - wie er am Schluß selbst sagt ( Vita 430) - andere (ἕτεροι) seinen Charakter (τὸ ἦθος) beurteilen sollen. Damit rückt die autobiographische Selbstdarstellung literarisch und gattungsspezifisch - wie bereits angedeutet - 46 Zur Datierung vgl. F. Siegert et al., Josephus , 1: „ Terminus a quo und Fixpunkt der gesamten Datierung ist die Angabe A 20: 267, wonach Josephus sein Hauptwerk im 13. Jahr des Kaisers Domitian (93/ 94 n. Chr.) abschloss, um sich sogleich an die besagten Zusätze [ contr Ap; Vita ] zu machen. Diese können nicht mehr viele Jahre gebraucht haben“. 47 Dies gilt auch, wenn F. Siegert et al., Josephus , 3 lediglich die Anfangs- und Schlußabschnitte (1-29; 414ff.) als eigentlich autobiographisch bezeichnen. 48 Vgl. dazu H. S. J. Thackeray, Josephus , xiv. 49 Vgl. zu den historischen Ereignissen besonders Vita 390ff. 50 „The Life-… is not a complete biography. The bulk of it is the author’s defence of his conduct during the half-year of his command in Galilee before the siege of Jotapata“, H. S. J. Thackeray, Josephus , xiv. 51 F. Siegert et al., Josephus , 3f. 108 VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben in die Nähe biographischer Literatur. Denn auch Plutarch ( Alex 1 u. ö.) geht es bei seiner Darstellung von ‚Geschichte‘ in Form von βίος darum, den Charakter des Menschen (τὰ τῆς ψυχῆς σημεῖα), d. h. ἀρετή und κακία, darzustellen. Die Vita des Josephus ist kein singuläres Zeugnis autobiographischer Literatur im 1. Jh. n. Chr. Auch Nikolaos von Damaskus (*64 v. Chr.) z. B. berichtet in seiner nur in Fragmenten erhaltenen Autobiographie (Περὶ τοῦ ἰδίου βίου καὶ τῆς ἑαυτοῦ ἀγωγῆς vgl. FGrHist 90 T 1 und F 131-139) 52 über seinen Bildungsgang und seine philosophischen Grundüberzeugungen. Bemerkenswert aber ist, daß Josephus der vorläufig einzige Jude ist, der eine Autobiographie schreibt, und daß der Anlaß hierfür wohl in seiner Grenzüberschreitung jüdischer Tradition zugunsten römischer Politik, d. h. in einer ‚Brechung der Biographie‘, zu suchen ist. 53 Dies führt vor allem zu einem innerjüdischen Konflikt und fordert persönlich verantwortete Apologetik, d. h. literarisch gestaltete Selbstdarstellung heraus. Emily Carr (1871-1945), die bedeutendste kanadische Malerin des 20. Jhs., eröffnet ihre kurz vor ihrem Tode 1945 fertiggestellte Autobiographie „Growing Pains“ folgendermaßen: „My Baptism is an unpleasant memory. I was a little over four years of age. My brother was an infant. We were done together, and in our own home. Dr. Reid, a Presbyterian parson, baptized us. He was dining at our house“ 54 . An diesem Werk scheint - abgesehen von der gerade zitierten, überaus interessanten Werkeröffnung, in welcher Emily Carr ihre Taufe als Beginn ihrer Biographie definiert - vor allem etwas Grundsätzliches bedeutsam zu sein: Eine Malerin, die in der Form des Selbst-Portraits vielfache Möglichkeiten der Selbst-Reflexion und Selbst-Darstellung hat und diese auch nutzt 55 , wählt die literarische Form der Autobiographie, um gleichermaßen über ihre Biographie geschichtlich Auskunft zu geben 56 und diese Biographie intentional nach außen hin literarisch zu formen. Carr steht hiermit in einer - mindestens seit J.-J. Rous- 52 Vgl. zuletzt die Ausgabe: Nicolaus of Damascus, The Life of Augustus and The Autobiography. 53 Zum Verhältnis von orthonymer Autorschaft, Autobiographie und Personalität vgl. auch E.-M. Becker, „Biographie“ und unten 4.3. und 5.2. 54 E. Carr, Growing Pains , 3. 55 Vgl. z. B. ihr Selbst-Portrait aus dem Jahr 1938/ 1939 in der National Gallery of Canada in Ottawa. So wertet A. Newlands, Emily Carr , 4 das Selbst-Porträt eminent psychologisch aus: „In its simplicity and directness, the self-portrait is both a view of Carr’s exterior self and an expression of her inner beliefs“. 56 So wird u. a. die Autobiographie Carrs für die junge Geschichte der kanadischen Nation bzw. der Provinz British Columbia historisch ausgewertet, vgl. z. B. J. Barman, History , 352. 3. Autobiographie und Biographie 109 seau und J. W. von Goethe bestehenden und bis in die Gegenwart anhaltenden - Tradition autobiographisch schreibender Künstler. 57 (2.) Autobiographische Texte haben in literaturpragmatischer Hinsicht eine bekenntnishafte oder apologetische Funktion. Denn: „Autobiographie ist eine Textart, durch die ihr Autor in der Vergangenheit erfahrene innere und äußere Erlebnisse sowie selbst vollzogene Handlungen in einer das Ganze zusammenfassenden Schreibsituation sprachlich in narrativer Form so artikuliert, daß er sich handelnd in ein bestimmtes Verhältnis zur Umwelt setzt“ 58 . Diese zunächst rein kommunikative Struktur autobiographischer Texte realisiert sich - je nach Kommunikationssituation - intentional und in unterschiedlichem Ausmaß in bekenntnishafter oder apologetischer Sprache und Textpragmatik. In 2 Kor 10-13, dem vermutlich letzten Brief der korinthischen Korrespondenz, schlägt sich eine deutlich apologetische Tendenz autobiographischen Schreibens nieder, die auf die verschärfte Situation der paulinischen Kommunikation mit der korinthischen Gemeinde verweist 59 . (3.) Zu den literarischen Aspekten autobiographischer Formen gehört schließlich auch die Frage nach dem Verhältnis von Autobiographie und Autofiktion . Das Phänomen der Autofiktion, d. h. der fiktionale Entwurf von Personalität, begegnet zwar besonders in den autobiographischen Romanen der modernen Literatur. 60 Elemente von Autofiktion finden sich aber bereits generell in antiker Literatur 61 und speziell in den biographischen und autobiographischen Formen 62 . Denn der sich selbst darstellende Autor gestaltet sich als Charakter und Person, d. h. literarisch und z.T. fiktiv. 63 57 Dazu zählen auch bildende Künstler (vgl. z. B. W. von Kügelgen, Jugenderinnerungen ), deren Autobiographien sich dadurch als markantes Beispiel für die Eigenbedeutung autobiographischer Literaturformen etwa im Vergleich mit dem Selbst-Portrait erweisen. 58 J. Lehmann, Bekennen , 36. 59 Vgl. E.-M. Becker, Schreiben , bes. 235f. Vgl. allgemein zu den apologetischen Motiven antiker Autobiographik auch die Überlegungen bei M. Fuhrmann, „Rechtfertigung“. 60 Darauf weist auch M. Holdenried, Autobiographie , 20 hin. 61 Vgl. z. B. in Bezug auf die griechische Tragödie die Überlegungen bei: P. E. Easterling, „Constructing Character“. 62 Vgl. z. B. C. Pelling, „Childhood“. 63 Vgl. hierzu unten; zu den literarischen Funktionen von ‚Charakter‘ und ‚Person‘: C. Gill, „The Character-Personality Distinction“. 110 VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben 3.3. Anthropologische Aspekte von Autobiographie Autobiographische Texte sind individuelle Formen des Erinnerns und stellen ein Pendant zu öffentlichen, d. h. kollektiven und offiziellen, Formen der Erinnerung dar. Dieser thetisch formulierte Satz beinhaltet mindestens drei Aspekte, die die Funktion von Autobiographie - schon in der Antike und bis in die Gegenwart - in anthropologischer und soziologischer Hinsicht benennen. (1.) Autobiographische Texte setzen Individuierung voraus . Über sich selbst schreiben kann nur derjenige, der nicht nur kollektiv, d. h. gruppenbezogen, sondern auch individuierend, d. h. auf sich selbst bezogen, denkt. Das individuierende Denken entsteht im griechisch-römischen Kulturbereich. 64 Daher leitet auch Misch die Entstehung autobiographischer Literaturformen wesentlich aus der griechisch-römischen Antike her 65 . (2.) Literarische Gestaltung setzt in dreifacher Weise Individuierung frei . Dies gilt für die Ebene und das Thema der Darstellung sowie für die Entwicklung des Autors: In der antiken Dichtung werden Charaktere und Personen programmatisch konstruiert 66 . Dieser Vorgang wird in der Dichtungstheorie reflektiert: Aristoteles definiert in seiner Poetik ( poet , 15. Kap.) vier Merkmale, die den Charakteren der Darstellung zuzuweisen sind 67 . Horaz fordert die Identität der konstruierten Personen in der Darstellung des Gesamtwerks ( Ars poet 119ff.). 68 Der Aspekt darstellerischer Individuierung gilt aber in besonderem Maße für autobiographische Texte. In der selbsterzählten Biographie wird die Person des Autors zum Thema seiner Darstellung. Im Akt des Schreibens wirkt sich die Individuierung zudem auf die Entwicklung der Person des Autors aus. Denn die Autobiographie kann als Weg betrachtet werden, im Genus der literarischen Darstellung auch thematisch „seine eigene Identität zu konstruieren bzw. zu 64 Das individuierende Denken ist in der griechisch-römischen Philosophie beheimatet: Cicero (z. B. De fin 1,17) übersetzt bekanntlich ἄτομα, das bei Demokrit (2,79,15) die kleinsten, sinnlich nicht wahrnehmbaren Elemente bezeichnet, mit individua , vgl. T. Konusch, „Individuum“, 300. Das Konzept der Individualität im Kontext der Personalität hingegen ist Kennzeichen des modernen Denkens, vgl. dazu C. Gill/ E. Dürr, „Person“, 621. 65 Vgl. G. Misch, Geschichte 1.1. und 1.2 . Der politischen Biographie kann allerdings eine kollektivierende oder zumindest typologisierende Funktion innewohnen (z. B. altorientalische Königsinschriften [vgl. dazu K. Jansen-Winkeln, „Autobiographie“], Augustus [s. o.], W. Churchill). 66 Vgl. dazu noch einmal die Beiträge in: C. Pelling (Hg.), Characterization . 67 Vgl. dazu M. Fuhrmann, Dichtungstheorie , 46f. 68 siquid inexpertum scaenae conmittis et audes personam formare novam, servetur ad imum, qualis ab incepto processerit, et sibi constet : Ars poet 125ff., vgl. dazu Μ. Fuhrmann, Dichtungstheorie , 133ff. 4. Form und Funktion von Autobiographie bei Paulus 111 rekonstruieren, die eigene geistig-moralische Persönlichkeit aufzubauen“ 69 . So setzt autobiographisches Schreiben Individuierung frei und trägt zur Identitätsbildung bei. 70 (3.) Autobiographische Texte gestalten Biographie und deuten damit subjektiv erlebte Geschichte . Sie stehen dadurch kollektiven Formen der Erinnerung 71 gegenüber, auch wenn sie teilweise selbst kollektivierende Funktion haben, indem sie typologisch, d. h. identifikationsstiftend, wirken. 72 4. Form und Funktion von Autobiographie bei Paulus 4.1. Methodische Zwischenüberlegung Die bisher angestellten Überlegungen zu Paulus als Autor und zur Erforschung der Autobiographie in historischer, literarischer und anthropologischer Perspektive (vgl. 2. und 3.) führen zu einem methodisch verwertbaren Zwischenergebnis, das die theoretische Basis für die Durchsicht der Paulusbriefe auf autobiographische Aussagen darstellen kann: - autobiographische Texte haben historischen Wert, - autobiographische Texte sind von literarischer Bedeutung, - autobiographisch gefärbte Texte finden sich kulturübergreifend, - spezifisch als Autobiographien geformte Texte stammen aus dem griechischrömischen Bereich; sie erleben in der frühen Kaiserzeit eine gewisse Blütezeit, 69 J. Dalfen, „Autobiographie“, 198. 70 S. dazu unten 5.2. Zum literaturwissenschaftlichen Aspekt vgl. auch J.-K. Carron, Ecriture . Vgl. insgesamt zum Begriff der ‚Identität‘ auch: O. Marquard/ K. Stierle (Hg.), Identität . P. Bürger, Verschwinden , faßt diese Beobachtung in den Begriff des ‚Subjektes‘: „Um sich zu erzählen, d. h. um sagen zu können, wie es der oder die geworden ist, die es ist, muß das Ich wissen, was es im Augenblick des Schreibens ist. Mit anderen Worten: jede narrative Selbstdarstellung setzt den Abschluß der Entwicklung des Ich voraus“, a. a. O., 30. In der Antike - so bei Augustinus - geschieht diese Selbsterfahrung nach Bürger in der Hinwendung zu Gott. Das Ich „muß gleichsam den Hafen des Selbst erreicht haben, um von seiner Fahrt berichten zu können. Diese Stillstellung erfolgt bei Augustinus durch die Anrede Gottes. Sie ist die Formel der Konstitution des Ich, das ohne sie nicht von sich zu sprechen vermöchte. Erst die Hinwendung zum Du gibt dem Ich Konsistenz und Dauer“, a. a. O., 30f. 71 Hiermit kann z. B. besonders römische (vgl. J. Rüpke, „Geschichtsschreibung“) oder frühchristliche (vgl. W. Wischmeyer, „Wahrnehmungen“) Geschichtsschreibung in Listenform gemeint sein. 72 Vgl. hierzu die Überlegungen bei B. Aland, „Märtyrer“, bes. 51 Anm. 3: Auch der „christlichen Gemeinde ist von ihren Anfängen an die Identifikation mit Vorbildern vorgegeben. Paulus erinnert schon in seinem frühesten Brief an die Thessalonicher mahnend daran, daß sie seine Nachahmer (μιμηταί) und Nachahmer des Herrn seien-…“. 112 VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben - autobiographische Texte sind mit biographischen Texten gattungsverwandt, - Josephus vertritt den singulären Typus eines orthonym schreibenden jüdischen Autobiographen im hellenistisch-römischen Kontext, - die Autobiographie ist eine spezifische literarische Gattung der Selbstinterpretation und der Selbstdarstellung, - autobiographische Texte haben apologetische oder bekenntnishafte Funktion, - autobiographische Texte stehen in literarischer, thematischer und autorenpsychologischer Hinsicht mit dem anthropologisch relevanten Aspekt der Individuierung in Zusammenhang. 4.2. Autobiographische Aussagen und Texte bei Paulus - Eine Übersicht Paulus hat keine Autobiographie geschrieben, die mit der in etwa zeitgenössisch verfaßten vita des Josephus oder der autobiographischen Schrift des Nikolaos vergleichbar wäre. In den paulinischen Briefen sind jedoch autobiographische Aussagen und Passagen zu finden. 73 Die autobiographischen Texte in den paulinischen Briefen können - in Anknüpfung an die Herkunftsbestimmung griechischer Autobiographik durch H. Görgemanns (s. o.) - daher als ‚Ursprungsbereich‘ frühchristlicher Autobiographik bezeichnet werden . 74 Die autobiographischen Texte des Paulus lassen sich zum einen eher in Hinsicht auf ihren biographisch-historischen Wert und zum anderen eher in Hinsicht auf ihre literarische Gestaltung untersuchen 75 . Zur Untersuchung der autobiographischen Texte in den paulinischen Briefen ergibt sich daher folgende Heuristik 76 : 73 Vgl. hierzu auch E.-M. Becker, Schreiben , 232ff. sowie O. Wischmeyer, „Ich-Erzähler“ und L. Bormann, „Fiktionalität“. 74 Ähnlich auch G. A. Benrath, „Autobiographie“. 75 Während der biographisch-historische Aspekt zumeist - methodisch wenig reflektiert - in die Paulus-Darstellungen einfließt (vgl. hierzu z.B.: U. Schnelle, Paulus , 29ff.), spielt die literarische Gestaltung autobiographischer Texte besonders dann eine Rolle, wenn der Briefeschreiber Paulus als literarisch zu würdigender Autor (vgl. z. B. O. Wischmeyer, „Autor“) in den Blick genommen wird. 76 Diese Heuristik darf nicht im Sinne einer abschließenden Differenzierung historischer und literarischer Elemente in den autobiographischen Texten der Paulus-Briefe verstanden werden. Die Heuristik dient vielmehr einer methodisch geschärften Wahrnehmung historisch-biographischer Aspekte einerseits und literarischer Aspekte andererseits, die auch deswegen notwendig scheint (vgl. auch die Anm. vorher), weil sich die Bedeutung der paulinischen Briefe nur in einer Spannung von Situativität bzw. historischer Situation und intentionaler literarischer Gestaltung angemessen erschließen läßt. 4. Form und Funktion von Autobiographie bei Paulus 113 autobiographische Einzelaussagen - biographischhistorisch - literarisch autobiographische Passagen biographischhistorisch literarisch (1.) In folgenden autobiographischen Einzelaussagen macht Paulus historische bzw. biographische Angaben zu seiner Herkunft, seiner Missionstätigkeit etc.: biographisch-historische Einzelaussagen Belege Herkunft 2 Kor 11,22 Röm 1,1ff. Phil 3,5ff. Missionswirken/ Missionsgeschichte 1 Thess 1,2ff.; 3,1ff. 1 Kor 2,1ff.; 3,1ff. (Reise-)Pläne 1 Kor 16,5ff. Röm 15,22ff. Phil 2,19ff. Berufung und Apostolat 1 Kor 1,17; 4,9ff.; 15,3ff. Röm 15,15 Apostolische Lebensweise 1 Kor 9 2 Kor 11,7ff. Phil 3,12ff.; 4,11ff. Krankheit Gal 6,17 Verfolgung, Bedrängnisse, Peristasen, Gefangenschaft 1 Thess 2,2 1 Kor 15,32 2 Kor 1,8ff.; 11,23ff. Phil 1,7.13ff. Vorgeschichte des Briefeschreibens 2 Kor 2,1ff.; 7,5ff. Einige autobiographisch gestaltete Aussagen sind weniger in Hinsicht auf ihren historischen oder biographischen Wert, als vielmehr hinsichtlich ihrer literarischen Valenz von Bedeutung: Paulus gestaltet z. B. das erzählerische ‚Ich‘ über das autobiographische Moment hinaus teils topisch, teils fiktiv weiter aus. 77 77 Diese Sicht auf das schwer zu interpretierende ‚Ich‘ in Röm 7 (vgl. zur Übersicht: E. Lohse, Brief , 213ff.; R. Jewett, Romans , 441ff.) könnte sich als weiterführend erweisen: Sie vermeidet nämlich die bloße Identifizierung des Ich als biographisch-paulinisches (vgl. z. B. A. Deissmann, Paulus , 64f.: „Paulus denkt hier wohl zunächst an seine ersten Kinderjahre- …“, a. a. O., 64; dagegen: W. G. Kümmel, Römer 7 , 74ff.; vgl. auch G. Theißen, 114 VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben literarische Einzelaussagen Belege generisches/ autofiktionales ‚Ich‘ 1 Kor 13,1-3.8ff. Röm 7,7ff. Topos ‚Gefangener‘ Phlm 1.8ff.23 ‚Schwachheit‘ und Körper Gal 4,13f.; 6,17 (2.) In zwei zentralen autobiographischen Texten widmet sich Paulus autobiographischen Themen unter wiederum eher historisch-biographisch zu würdigender Perspektive (Gal 1-2), in welcher er über die Anfänge seines apostolischen Wirkens chronologisch berichtet. 2 Kor 12,1-10 ist hingegen programmatisch literarisch gestaltet: Paulus formuliert seine autobiographische narratio weitgehend in der 3. Person Singular und verleiht ihr dadurch narrativ-fiktive und dabei teilweise apokalyptische Züge 78 . biographisch-historischer Text Beleg Berufung und Missionswirken Gal 1,12-2,14 Literarischer Text Beleg Entrückungs-Erlebnis 2 Kor 12,1-10 Psychologische Aspekte , 181ff., der in Röm 7 „persönliche und typische Züge“ sieht, a. a. O., 204), als generalisierendes christliches (vgl. z. B. U. Wilckens, Brief , 76ff.: Dieser Abschnitt unterscheidet sich „von Phil 3,4-14, wo Paulus zwar auch generelle Aussagen über das Christwerden in der 1. Person Singular macht, dieser Ich-Stil aber zu Beginn [VV 4-6] deutlich biographischen Charakter hat“, a. a. O., 76; oder U. Schnelle, Einleitung , 146), als universal anthropologisches (vgl. in diese Richtung: J. A. Fitzmyer, Romans , 463ff.) oder als fiktives, das als rhetorisches Stilmittel fungiert (vgl. z. B. W. G. Kümmel, a. a. O., 121ff.). Die literarische Valenz dieses ‚Ich‘ erwächst vielmehr daraus, daß sich Paulus als Briefeschreiber persönlich und literarisch autobiographisch artikuliert und sich hieraus prozeßhaft auch autofiktionale Elemente entwickeln. In diesem Sinne könnte das ‚Ich‘ in Röm 7 vielleicht am sinnvollsten narrativ als autofiktionales Ich , das im Prozeß autobiographischen Schreibens formuliert wird, beschrieben werden. In eine ähnliche Richtung zielt auch O. Wischmeyer, „Paulus“, bes. 101: Das „generische oder ideale und das individuelle, autobiographische Ich“ fallen im Modus der Ich-Erzählung zusammen, denn „die adamitische Ideal-Biographie ist eben zugleich die Autobiographie des Menschen Paulus “. 78 Vgl. dazu O. Wischmeyer, „2. Korinther 12,1-10“; dies., „2 Korinther 12,7-8“. 4. Form und Funktion von Autobiographie bei Paulus 115 4.3. Autobiographie und Individuierung (1.) Die in seiner Biographie erfahrene Individuierung (κλητὸς ἀπόστολος ἀφωρισμένος- …, Röm 1,1) führt Paulus zum autobiographischen Schreiben. Dieser Zusammenhang von Individuierung und autobiographischem Schreiben wird in der Autobiographie-Forschung spätestens seit Wilhelm Dilthey deutlich gesehen und in den Prozeß geschichtlicher Entwicklung eingebettet. 79 Die gegenwärtigen Geschichtswissenschaften betonen eher die geschichts-konstruktive Tendenz autobiographischer Texte. 80 Beide Tendenzen - die Wirkung und die Konstruktion von (Lebens-)Geschichte auf und durch Autobiographik - lassen sich bei Paulus, besonders in Gal 1,10ff. beobachten: Paulus beschreibt sich selbst in seinem ‚früheren Leben‘ im Judentum als Verfolger und Zerstörer der Gemeinden Gottes (Gal 1,13). Dabei übertraf er (προέκοπτον- … ὑπὲρ πολλούς- … περισσοτέρως) viele seiner Altersgenossen (Gal 1,14). Zumindest im autobiographischen Rückblick skizziert Paulus Momente von Individuierung also bereits in seinem Leben im Kontext des pharisäischen Judentums. Zugleich finden sich in dieser autobiographischen Skizze auch Elemente konstruierter Lebensgeschichte (z. B. Gal 1,15f.). Der eigentliche Individuierungsprozeß beginnt freilich mit der ἀποκάλυψις Ἰησοῦ Χριστοῦ (Gal 1,12) 81 : Paulus versteht und beschreibt seine Berufung zum Apostel Jesu Christi als ‚Aussonderung‘ nämlich zur Evangelienpredigt unter den Heiden (ἀφορίζω: Gal 1,15; Röm 1,1). Es ist eine Berufung ad personam , die in dieser Weise nur ihm zuteil wird. Die notwendige Apologie dieser Evangeliums-Verkündigung (Gal 1,11) führt Paulus dazu, seinen individuellen Autoritätsanspruch als Apostel Jesu Christi vor dem Hintergrund seiner erfahrenen Individuierung darzulegen und autobiographisch zu gestalten. Individuierung führt also zu orthonymer Autorschaft und Autobiographie. 79 „Die Selbstbiographie ist nur die zu schriftstellerischem Ausdruck gebrachte Selbstbesinnung des Menschen über seinen Lebensverlauf“, W. Dilthey, Aufbau , 247. 80 Vgl. hierzu z.B.: V. Depkat, „Autobiographie“. 81 So sehen G. Misch, Geschichte 1.2 ., 540ff. und W. Dilthey, „Einleitung“, 254 in der ‚Bekehrung‘ des Paulus das Initium für seine Selbstdarstellung: Als „in einem Paulus in den Kämpfen des Gewissens das jüdische Gesetz, das heidnische Weltbewußtsein und der Christenglaube aneinanderstießen, als in seinem Erlebnis Gesetzesglaube und Christenglaube als zwei lebendige Erfahrungen in innerstem Verstehen aneinandergehalten wurden, und zwar von der Erfahrung des lebendigen Gottes aus: da waren in diesem Bewußtsein eine große geschichtliche Vergangenheit und eine große geschichtliche Gegenwart zusammen gegenwärtig, beide in ihrer tiefsten, der religiösen Grundlage erfaßt, ein innerer Übergang wurde erlebt, und so ging das volle Bewußtsein von einer geschichtlichen Entwicklung des ganzen Seelenlebens auf-…“. Das „Ringen der Religionen untereinander in dem von geschichtlicher Realität erfüllten christlichen Seelenleben hat das historische Bewußtsein einer Entwicklung des ganzen Seelenlebens hervorgebracht“, Dilthey, ebd. 116 VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben (2.) Dies gilt auch umgekehrt: Autobiographisches Schreiben führt zu Individuierung . Je mehr Paulus die mit seiner Bekehrung einhergehende Individuierung reflektiert, beschreibt und autobiographisch gestaltet, umso mehr individuiert er sich wiederum vor und gegenüber seinen Gemeinden (z. B. 2 Kor 10,1ff.) und möglichen judaisierenden Gegnern (z. B. 2 Kor 11,22): Im Präskript des Römerbriefes verknüpft Paulus seinen Apostolat und die Aussonderung dazu formalepistolographisch, d. h. nahezu stereotyp bzw. als Topos apostolischer Existenz. 5. Autobiographie bei Paulus: Rückblick und Ausblick 5.1. Biographie und Geschichte Der historische Wert autobiographischer Aussagen für die Rekonstruktion der paulinischen Biographie ist in der Paulus-Forschung zwar grundsätzlich kaum umstritten, bleibt aber meist in der historischen Rekonstruktion der Paulus-Vita verortet. Das geschichtswissenschaftliche Interesse an autobiographischen Texten als historischen Quellen macht aber deutlich, daß diese Perspektive zu eng gewählt ist. Die Erforschung von Geschichte, Biographien und Mentalitäten ist untrennbar miteinander verbunden: Autobiographische Aussagen des Paulus können also über eine aspekthafte Auswertung für die paulinische Biographie hinaus als Basistexte für frühchristliche Ereignis- und Mentalitätsgeschichte herangezogen werden. 5.2. Individuierung und Identitätsbildung Colin Morris beschreibt in einer Untersuchung zur Entdeckung der Individualität im europäischen Hochmittelalter einleitend die Wurzeln der Individualität wie folgt: „The hard core of this individualism lies in the psychological experience with which we began: the sense of a clear distinction between my being, and that of other people“ 82 . Individualität wird durch Abgrenzung entdeckt. Autobiographische Formen sind, wie Morris selbst konzediert - wenn auch freilich frühestens erst mit den Confessiones des Augustus beginnend - ein entscheidendes Vehikel der Selbst- Reflexion und -Artikulation. 83 Für Paulus sind hier seine ständige Reflexion über Israel und das Judentum einerseits und seine heftige Auseinandersetzung mit seinen Gemeinden und 82 C. Morris, Discovery , 3. 83 Vgl. C. Morris, Discovery , 79ff. 5. Autobiographie bei Paulus: Rückblick und Ausblick 117 seinen ‚Gegnern‘ andererseits heranzuziehen. Seine Personalität und Identität als Apostel formt sich in diesem von ihm als freundlich-feindlich erlebten Koordinatensystem. Die Wechselwirkungen von Autobiographie und Individuierung lassen sich also auch bei Paulus deutlich beobachten: Weder die religiösen oder sozialen Faktoren seiner Individuierung noch seine autobiographischen Texte als literarische Leistung lassen sich allein und voneinander unbeeinflußt untersuchen. Erst die wechselseitige Zusammenschau von Individuierung und Autobiographie erschließt Paulus als Apostel und als frühchristliche Person. 5.3. Literarizität Auch Autobiographie und Literarizität stehen in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis. Autobiographische Texte sind zum einen als literarische Leistung zu werten: Ein historisch greifbarer Autor schreibt über sich selbst. Zum anderen prägen autobiographische Texte Literatur weiter aus und schaffen dabei auch eigene literarische Topoi, Formen und Gattungen: Es wäre (s. o.) zu prüfen, ob die bei Paulus schwer verständlichen literarischen ‚Ich‘-Aussagen (z. B. Röm 7; 1 Kor 13) als ‚Autofiktion‘ interpretiert werden könnten, also als ‚Ich‘-Aussagen, die kaum biographisch gestaltet, aber autofiktional, d. h. literarisch stilisiert sind (s. dazu die Tabelle oben). 5.4. Theologie Der 2 Kor enthält umfassende Selbstaussagen des Paulus zu seinem Selbstverständnis als Apostel und Person, so z. B. auch zu seiner Krankheit. Die daraus abgeleitete ‚Schwachheitstheologie‘ in Hinsicht auf den Apostolat (2 Kor 11,30; 12,9) korrespondiert der in 1 Kor 1,18ff. formulierten ‚Kreuzestheologie‘. Paulus stellt also sein apostolisches Selbstverständnis in expliziten Bezug zur Christologie (vgl. 2 Kor 4,7ff.). Biographie und Theologie bzw. Autobiographie und apostolisches Selbstverständnis einerseits und Christologie andererseits bilden einen gemeinsamen Deutungshorizont. 84 84 Vgl. dazu auch: E.-M. Becker, „Person“. 118 VI Autobiographisches bei Paulus: Aspekte und Aufgaben 5.5. Charakter und Personalität Paul Ricœur formuliert in „Oneself as Another“ (1992) 85 die gleichermaßen literaturwissenschaftlich wie anthropologisch interessante Überlegung, das Wesen der Personalität werde im Zuge autobiographischen Schreibens gleichsam wie ein ‚Charakter‘ erschaffen: „A character is the one who performs the action in the narrative. The category of character is therefore a narrative category as well, and its role in the narrative involves the same narrative understanding as the plot itself-… characters, we will say, are themselves plots“ 86 . Nach Ricœur entsteht der Charakter also als plot im Zuge des autobiographischen Schaffens. Auch diese Beobachtung benennt m. E. eine genuine Aufgabe der Paulus- Forschung: Die Frage nach dem Charakter- und Personen-Begriff in der Antike ist höchst komplex. 87 Christopher Gill schlägt vor, ‚Charakter‘ zumindest in der Antike als moralisch bewertete und bewertbare Größe zu verstehen: „I have associated the term ‚character‘ with the process of making moral judgements-…“ 88 . Im Unterschied zum Charakter, der allgemeinen moralischen Normen und Normierungen unterliegt 89 , verbindet Gill erst mit ‚Person‘ und ‚Personalität‘ ein individuelles, reales oder authentisches Selbst: „I have connected [the term personality, Verf.in]-… with a response to people that is empathetic rather than moral: that is, with the desire to identify oneself with another person, to ‚get inside her skin‘, rather than to appraise her ‚from the outside‘“ 90 . Im Hinblick auf das Verhältnis von ‚Autobiographie‘ und ‚Personalität‘ bei Paulus könnten mögliche Fragestellungen der Paulus-Forschung daher lauten: Inwieweit ist die paulinische Selbst-Bezeichnung als ‚Apostel Jesu Christi‘ ein zunächst fiktives Moment paulinischer Selbst-Wahrnehmung und Selbst-Darstellung, d. h. ein zentraler Aspekt des von Paulus in seinen Briefen selbst geschaffenen und literarisch gestalteten Charakters? Wieweit unterliegt dieser Charakter im Kontext frühchristlicher Identitätsbildung moralischer oder ethischer Beurteilung? In welchem Verhältnis stehen die paulinische Apostolizität als literarischer Charakter und Paulus als möglicher Prototyp individueller christlicher Personalität? 85 Vgl. P. Ricœur, Oneself . 86 P. Ricœur, Oneself , 143. 87 Vgl. z. B. C. Gill/ E. Dürr „Person“; vgl. auch E. Lohse, „πρόσωπον“; M. Fuhrmann, „Persona“. 88 C. Gill, „Character“, 2. 89 Vgl. auch C. Gill, „Character OCD“. 90 C. Gill, „Character“, 2. 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Die antike ‚Charakter‘-Forschung betätigt sich im Sinne einer anthropologischen Typologisierung. Eine Darstellung der ‚ Person ‘ hingegen versucht, einerseits Wesensmerkmale, d. h. bleibende Charakteristika 2 , einer individuellen historischen Gestalt zu beschreiben und andererseits die Wechselwirkungen zwischen den einmaligen biographischen Ereignissen und den bleibenden Wesenszügen der historischen Gestalt zu erarbeiten. Adolf Deissmann etwa unternimmt Ähnliches, wenn er in seinem 1911 erschienenen Paulus-Buch 3 dem ‚Menschen‘ Paulus ein ganzes Kapitel widmet 4 und darin das z.T. mangelhafte Interesse, das die Paulus-Forschung des 19. Jhs. dem Menschen, d. h. der Person des Paulus entgegenbrachte, beklagt. Bei der Suche nach „dieses Menschen Umrissen“ kommt Deissmann zu folgender Beschreibung: „Ein anatolischer und ein antiker Paulus, ein homo novus, der aus der Masse der Vielen und Kleinen herauswächst und, von keinem Literaten der heidnischen Umwelt beachtet, zur welthistorischen Führerpersönlichkeit bestimmt ist, ein homo religiosus, der ein Klassiker der Mystik ist und der nüchternste Praktiker zugleich, ein Prophet und Grübler, der, in Christus der Welt gekreuzigt, als Weltbürger und Weltwanderer unsterblich ist und als Weltbildner wirkt bis auf den heutigen Tag-…“ 5 . Bei dieser vom Sozialpathos Deissmanns getragenen Beschreibung der Person des Paulus scheinen schon wesentliche Aspekte seiner Wirkungsgeschichte 1 Vgl. aber die Beiträge in: E.-M. Becker/ P. Pilhofer (Hg.), Biographie . B. J. Malina/ J. H. Neyrey, Portraits , sind hingegen als Beitrag zur sozial- und kulturgeschichtlichen Personen-Forschung zu verstehen. Vgl. zuletzt auch C. K. Rothschild/ T. W. Thompson (Hg.), Christian Body . - Neueste Fragen sind auf Paulus im Kontext des antiken selfhood -Diskurses bezogen, so z.B.: E.-M. Becker, „Paul’s Epistolary Self“. 2 So bezeichnet Friedrich Schiller etwa ‚Person‘ als „das Bestehende in der Veränderung“, F. Schiller, „Ästhetische Erziehung“, 608. 3 A. Deissmann, Paulus . Vgl. grundsätzlich ähnliche Überlegungen auch bei W. Wrede, Paulus , Vorwort, in dem Wrede deutlich macht, dass es ihm u. a. um die Darstellung der „Persönlichkeit“ des Paulus geht. 4 A. Deissmann, Paulus , 39-58. 5 A. Deissmann, Paulus , V. 126 VII Die Person des Paulus durch. Deissmann versteht Paulus als religions- und kulturgeschichtlich bedeutsame und höchst nachhaltig wirkende ‚Persönlichkeit‘. Er bewegt sich damit forschungsgeschichtlich im Kontext der religionsgeschichtlichen Schule. 6 Inzwischen muss aber zwischen der Beschreibung des Paulus als ‚Persönlichkeit‘, die eine kulturgeschichtliche Würdigung und Wertung impliziert, und der Beschreibung als ‚Person‘ terminologisch unterschieden werden. 7 1. Paulus als Person. Physiognomisches Die Frage nach der Person des Paulus beginnt mit Spekulationen über sein Äußeres 8 . Denn weder zeitgenössische Abbildungen noch Beschreibungen sind - vielleicht auch aus theologisch-eschatologischen 9 , jedenfalls aber aus kulturellen Gründen 10 - nicht erhalten. Wir wissen also nichts über sein Äußeres. Erstmals die Acta Pauli vom Ende des 2. Jhs. n. Chr. bieten eine in der Folgezeit berühmt gewordene literarische Beschreibung des paulinischen Aussehens: „Und ein Mann namens Onesiphorus, der gehört hatte, daß Paulus nach Iconium käme, ging mit seinen Kindern Simmias und Zeno und seinem Weibe Lektra dem Paulus entgegen, um ihn bei sich aufzunehmen. Titus hatte ihm nämlich erzählt, welches Aussehen Paulus hätte. Denn er hatte ihn (bisher) nicht im Fleisch gesehen, sondern nur im Geist. Und er ging an die königliche Straße, die nach Lystra führt, stellte sich dort auf, um ihn zu erwarten, und sah sich (alle), die vorbeikamen, auf die Beschreibung des Titus hin an. Er sah aber Paulus kommen, einen Mann klein von Gestalt, mit kahlem Kopf und krummen Beinen, in edler Haltung mit zusammengewachsenen Augenbrauen und ein klein wenig hervortretender Nase, voller Freundlichkeit; denn bald erschien er wie ein Mensch, bald hatte er eines Engels Angesicht“ ( Acta Pl 3,2-3) 11 . 6 Vgl. dazu O. Merk, „Persönlichkeit“, 29-45. 7 Vgl. dazu W. Sparn, „Einführung“, 9-28. 8 So auch A. Deissmann, Paulus , 39. Vgl. auch A. J. Malherbe, „Physical Description“, 170- 175; E. C. Evans, „Physiognomics“, 1-17. 9 So mutmaßt A. Deissmann, Paulus , 39: Wer „hätte in seiner Zeit daran denken sollen, seine Züge für die Nachwelt festzuhalten, da man doch nicht einmal das Antlitz des Meisters selbst verewigt hatte? -… die ganze Stimmung des urchristlichen Zeitalters war viel zu sehr von dem kommenden neuen Äon beherrscht, als daß man an das Interesse zukünftiger irdischer Generationen für die äußeren Züge des Heilands und seiner Apostel hätte denken können“. 10 Zum Aufkommen der christlichen Porträtkunst vgl. H. P. L’Orange, Apotheosis ; E. Dinkler, Petrusdarstellungen . 11 Übersetzung nach W. Schneemelcher, „Paulusakten“, hier 216. Vgl. auch R. M. Grant, „The Description of Paul“, 1-4; H. Omerzu, „The Portrayal of Paul’s Outer Appearance“, 252-279. 2. Paulus als Person. Eigenschaften 127 Die Apostelakten dienen insbesondere der Unterhaltung ihrer christlichen Leser und spiegeln daher wider, wofür in der christlichen Leserschaft ihrer Zeit Interesse bestand. Das Erscheinungsbild des Paulus gehört offenbar am Ende des 2. Jhs. elementar dazu. Die Ikonographie vermittelt einen lebhaften Eindruck davon, welche Paulus-‚Bilder‘ die bildende Kunst geprägt und gestaltet haben 12 : Die Gesichtszüge des Paulus sind bereits um 400 n. Chr. ausgeprägt, und zwar wohl in Anknüpfung an das Bild der Apostelakten: „Während alte u(nd) frühe Darst(ellungen) P(aulus) klein m(it) Glatze u(nd) langem Bart, stark hervortretender Stirne u(nd) gebogener Nase tradieren, bringen d(ie) Darst(ellungen) d(er) Neuzeit e(inen) kräftigen, hochgewachsenen Mann i(m) Ausdruck stärkster Körperkraft-… Dieses P(aulus)-Bild besitzt dann e(ine) Christus nicht unähnl(iche) Kopfform, gescheiteltes o(der) gerolltes Haar, längeren Bart m(it) 2 Strähnen u(nd) betagtere Geschichtszüge-… Der längere, spitz zulaufende Bart leitet sich her v(om) Bart d(er) Philosophen“ 13 . Zum zuletzt genannten ikonographischen Element findet sich auch in der literarischen Paulus-Rezeption eine Analogie: Der pseudepigraphe Briefwechsel des Paulus mit dem stoischen Philosophen Seneca, der vielleicht aus dem 4. Jh. n. Chr. stammt 14 , soll die philosophische Gelehrsamkeit und Bedeutung des Heidenapostels herausstellen. 15 Wir können die historische Person des Paulus also nicht ikonographisch, sondern ausschließlich literarisch erfassen. Dabei erweisen sich die im Neuen Testament versammelten Schriften, die mit Paulus in Zusammenhang stehen (authentische Paulusbriefe) oder gebracht werden (Apg; Deutero- und Tritopaulinen) als wichtigste Quellen. 2. Paulus als Person. Eigenschaften Die Apg stellt uns Paulus narrativ vor Augen. Lukas wählt für seine Prosopographie einen historiographischen Rahmen. In seinen Briefen ist Paulus selbst in Argumentation, Ermahnung und auch in Selbstaussagen präsent. Wie lässt er sich als Person , d. h. in seinen personalen Grundzügen, erfassen und definieren? 12 Vgl. hierzu M. Lechner, „Paulus“, 128-147. 13 M. Lechner, „Paulus“, 131. 14 Einleitung und Übersetzung bei: C. Römer, „Briefwechsel“, 44-50. Vgl. auch A. Fürst, Briefwechsel . 15 Der Bezug des Paulus zur philosophischen Tradition wird auch wieder in der jüngeren und jüngsten Rhetorik-Forschung gesucht, vgl. dazu etwa: H. D. Betz, Paulus . 128 VII Die Person des Paulus Die philosophische Anthropologie 16 nennt bestimmte menschliche Eigenschaften, die einen Menschen als ‚Person‘ konstituieren. Es geht dabei um die Abgrenzung der Person von der Außenwelt und um ein irgendwie geartetes Bewusstsein dieser Selbständigkeit. Die Person konstituiert sich also im Gegenüber zu anderen Personen und zur Welt. Wesentliche Kategorien, in denen sich Personalität fassen lässt, sind: ‚Bewusstsein‘, ‚Leidensfähigkeit‘ bzw. Krankheit, ‚Perspektivenannahme‘, ‚Gedächtnis‘ und ‚Willensfreiheit‘ bzw. Verantwortung sowie Ich-Bewusstsein. Zu diesen Konstituenten von ‚Personalität‘ gebe ich einige Beispiele aus seinen Briefen. - Bewusstsein : Paulus betätigt sich als Briefeschreiber, d. h. er agiert mit Bewusstsein. Er lässt seine Adressaten an seinen Erkenntnisprozessen (vgl. z. B. die Verwendung von γινώκειν: z. B. 1 Kor 13,12; 2 Kor 2,9; 5,16) und Lebensumständen (vgl. z. B. Phil 1,7ff.) teilhaben und reflektiert diese eigens (2 Kor 1,12-14). - Leidensfähigkeit/ Krankheit : Paulus thematisiert im Gal und 2 Kor seine Krankheit, vielleicht schwere Migräne: 17 In Gal 6,17 bezeichnet er sie als ‚Malzeichen Jesu‘ (στίγματα τοῦ Ἰησοῦ), in 2 Kor 12 als ‚Pfahl im Fleisch‘ (σκόλοψ τῇ σαρκί, V. 7), als Engel des Satans, der ihn mit Fäusten schlägt. Paulus gesteht sein Leiden und seine Leidensfähigkeit ein und problematisiert seine Körperlichkeit (1 Kor 15,8). Er weist darauf z. B. auch in den sog. Peristasenkatalogen (s. u.) hin. Darüber hinaus thematisiert er die Krankheit seiner Mitarbeiter (Phil 2,25ff.). - Perspektivenannahme : Paulus nimmt in seinen Briefen oftmals die Perspektiven seiner Gemeinden (z. B. 1 Kor 7,1; 15,12ff.; 2 Kor 7,5ff.) und dabei z.T. mehrerer Gemeinden gleichzeitig (z. B. 2 Kor 9,2) aktiv an. - Gedächtnis : Indem Paulus z. B. von seinen Missionsreisen berichtet (2 Kor 1,8ff.) oder seine Adressaten an sein früheres Wirken in der Gemeinde erinnert (1 Thess 1,5ff., 1 Kor 2,1ff.), beweist Paulus ‚Gedächtnis‘ und macht die kollektive Erinnerung zu einem festen Bestandteil der Geschichte von Gemeindegründung und -leitung. In Gal 1 und 2 gibt er eine Retrospektive in seine Berufung und die darauf folgenden Ereignisse. - Willensfreiheit/ Verantwortung : Paulus betont seine prinzipielle menschliche Freiheit (z. B. 1 Kor 9,1.19). Dies gilt grundsätzlich auch für seine Adressaten (1 Kor 7,37). Diese Freiheit ist aber relational begründet: Sie ist gleichermaßen eine Freiheit von etwas und eine Freiheit zu etwas . Die ‚Freiheit von‘ stellt Paulus z. B. in Relation zu Sünde und Gesetz (Röm 6,7: ἀπὸ τῆς ἁμαρτίας; 16 Vgl. hierzu: H.-P. Schütt, „Person II“, 1121-1123; G. Figal, „Mensch III“, 1054-1057. Vgl. zur antiken Philosophie P. Remes u. a. (Hg.), Ancient Philosophy . 17 Vgl. O. Wischmeyer, „2. Korinther 12,1-10“, 277-288. 2. Paulus als Person. Eigenschaften 129 7,6: ἀπὸ τοῦ νόμου). Die ‚Freiheit zu‘ ist in Relation zu den verschiedenen Aspekten christlicher Existenz, besonders zu Christus selbst (1 Kor 7,22; 9,1), gestellt. Vor allem im Apostel-Sein (1 Kor 9,1) äußert sich die ‚Freiheit zu‘ wiederum als Verantwortung gegenüber jemandem (Christus) und für etwas (z. B. den Aufbau der Gemeinden). - Ich-Bewusstsein : Paulus beweist in seiner brieflichen Argumentation ein ausgeprägtes Ich-Bewusstsein. Dies wird an der häufigen Verwendung der 1. Person Singular und besonders des Personalpronomens ἐγώ - besonders in 1 Kor 7; 2 Kor 11f.; Röm 7; Phil 1.3 - deutlich 18 . Paulus wählt dabei mitunter den Modus der introspektiven Selbsterforschung 19 . Den vermutlich letzten, äußerst scharf geschriebenen Brief der korinthischen Korrespondenz - 2 Kor 10-13 20 - leitet Paulus dementsprechend betont emphatisch mit αὐτὸς δὲ ἐγὼ Παῦλος παρακαλῶ ὑμᾶς ein (2 Kor 10,1). Hier wird die persönlich verantwortete Verteidigung des Paulus vor der korinthischen Gemeinde bereits sprachlich greifbar. Zu diesem Ich-Bewusstsein und der persönlichen Verantwortung des Paulus für die Evangeliumsverkündigung und die Leitung der Gemeinden tritt zugleich das Phänomen der Begrenzung der Ich-Identität (s. u. 7.). In Gal 2,20 hebt Paulus seine Ich-Identität zugunsten Christi nahezu auf: „Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus lebt in mir“. Dem geht in V. 19 die Einsicht voraus: „Denn ich bin durch’s Gesetz dem Gesetz gestorben, damit ich Gott lebe. Ich bin mit Christus gekreuzigt“. Die von Paulus angestrebte christusförmige Existenz fordert also geradezu die Auflösung der vom ‚Fleisch‘ (σάρξ) bestimmten personalen Identität: „Denn ich weiß, dass in mir, das heißt in meinem Fleisch, nichts Gutes wohnt“ (Röm 7,18) - das vorbesser: außerchristliche ‚Ich‘ beschreibt Paulus als sarkisches, d. h. als ein vom Bösen (τὸ κακόν, Röm 7,21) bestimmtes ‚Ich‘. 18 Das Personalpronomen ἐγώ begegnet 2-mal im 1 Thess, 20-mal im Röm, 32-mal im 1 Kor, 19-mal im 2 Kor, 10-mal im Gal, 6-mal im Phil und 4-mal im Phlm. 19 Vgl. E.-M. Becker, „Das introspektive Ich“. 20 Vgl. dazu E.-M. Becker, „2. Korintherbrief“. 130 VII Die Person des Paulus 3. Paulus als Autor und Autobiograph. Die Person über sich selbst Paulus tritt uns als Schreiber von insgesamt sieben erhaltenen Briefen entgegen. Damit ist Paulus der früheste christliche Autor. 21 Der literarische Charakter der paulinischen Briefe zeigt sich u. a. in ihrem autobiographischen Gehalt 22 : Paulus macht in unterschiedlicher Weise Aussagen über seinen Werdegang (Gal 1,10ff.), seine religiösen Erlebnisse, so z. B. über seine Entrückungs-Erfahrung (2 Kor 12), seine Leidenserfahrungen in den sog. Peristasenkatalogen (z. B. 1 Kor 4,10-13; 2 Kor 4,7-10; 11,23-25), seine apostolische Lebensweise (1 Kor 9), seine Gefängnishaft (Phil 1) oder seine Erfahrungen mit der korinthischen Gemeinde und der Gemeinde-Korrespondenz überhaupt (2 Kor 2.7). Nun hat das autobiographische Schreiben nicht nur literarische Aspekte, sondern hängt eng mit der Ausbildung der ‚Personalität‘ zusammen. Autobiographisches Schreiben setzt nämlich ‚Individuierung‘, d. h. die Erfahrung der eigenen Individualität, voraus und führt gleichzeitig zu Individuierung. Die Confessiones des Augustinus sind dafür ein klassisch gewordenes Beispiel: Ein sich als individuelle Person erfahrender Mensch gestaltet sich autobiographisch und tritt zugleich durch sein autobiographisches Schreiben als individuelle Person hervor. 23 Individuierung und Autobiographie bedingen sich gegenseitig und konstituieren wesentliche Momente der ‚Person‘ auch in Abgrenzung von anderen 24 . Hiermit ist zunächst ein allgemein-anthropologischer Aspekt des autobiographischen Schreibens benannt, der inzwischen auch erzähltheoretisch reflektiert wird: So lässt sich in autobiographischen bzw. autodiegetischen Texten eine Identität der Größen ‚Autor‘, ‚Erzähler‘ und ‚Person‘ feststellen 25 . Ein historischer bzw. literaturgeschichtlicher Aspekt kommt hinzu: Dadurch, dass sich der Mensch Paulus als Individuum erlebt und literarisch gestaltet, prägt er sich in besonderer Weise in seinem Kontext als antike Person aus. Denn das autobiographische Schreiben ist - mit einigen Ausnahmen (z. B. Cäsar, Augustus, Nikolaos von Damaskus, Flavius Josephus, später Augustinus) - in der Antike nicht grundsätzlich verbreitet. 26 Dies gilt in besonderer Weise für jüdische Autoren. 21 Vgl. dazu O. Wischmeyer, „2. Korinther 12,1-10“, 289-307. 22 Vgl. dazu zuletzt: L. Bormann, „Fiktionalität“, 106-124; O. Wischmeyer, „Paulus“, 88-105. 23 Vgl. dazu E.-M. Becker, „Autobiographisches“. B. Malina, „Personality“ unterstreicht hingegen die antike Personalität in ihren kollektiven Dimensionen. 24 Vgl. dazu etwa die erzähltheoretischen Überlegungen bei G. Genette, Fiktion , bes. 79ff. Vgl. E.-M. Becker, „Polemik“. 25 Vgl. G. Genette, Fiktion , 80-83 mit Verweis auf P. Lejeune, Pakt . 26 Vgl. K. Jansen-Winkeln/ H. Görgemanns/ W. Berschin, „Autobiographie“. 4. Paulus als Apostel. Die Person des Paulus und die anderen Personen 131 4. Paulus als Apostel. Die Person des Paulus und die anderen Personen Die Apostolizität des Paulus ist das entscheidende Wesensmerkmal paulinischer Personalität. Die ἀπόστολος -Bezeichnung (z. B. Röm 1,1; 1 Kor 1,1 u. ö.) ist bei Paulus selbst kaum als Titel, sondern als ‚Berufsbezeichnung‘ zu verstehen. 27 Sie geht mit einer Berufung einher (vgl. 4.1.), hat sich gegenüber Mit-Aposteln oder gegnerischen bzw. falschen Aposteln zu bewähren (vgl. 4.2.) und steht im Dienst des Gemeindeaufbaus und der Gemeindeleitung (vgl. 4.3.). 4.1. Paulus und Christus Die Apostolizität des Paulus geht auf eine Berufung (z.B κλητός: Röm 1,1; 1 Kor 1,1; ἀφωρισμένος: Röm 1,1; vgl. Gal 1,15) bzw. auf eine göttliche Offenbarung (ἀποκάλυψις) des Gottes-Sohnes Jesus Christus (Gal 1,12.15; vgl. 2 Kor 1,1) ad personam zurück. Fortan sieht sich Paulus in unmittelbarer Abhängigkeit von Jesus Christus - die Apostolos-Bezeichnung wird durch einen genitivus qualitatis (Ἰησοῦ Χριστοῦ) näher qualifiziert (1 Kor 1,1; 2 Kor 1,1). Diese ‚berufliche Qualifizierung‘, die Paulus von gegnerischen Missionaren und Aposteln unterscheidet (s. u.), ist mit der gesamten Person und Existenz des Paulus verknüpft: So bezeichnet sich Paulus geradezu als ‚Sklave Christi Jesu‘ (δοῦλος, Röm 1,1; Phil 1,1; Gal 1,10). Diese Unterordnung unter Christus geht bei Paulus aber zugleich mit einer Beiordnung zu Christus einher: Paulus stellt das mit seinem Apostolat verbundene Leiden (z. B. 2 Kor 4,7ff.) und seine persönliche Krankheit (Gal 6,17) in Analogie zum Leiden und Auferstehen Jesu Christi. Auch im Phil stellt Paulus sich selbst so wie Christus der Gemeinde als Paradigma vor Augen. Paulus versteht sich also im Hinblick auf die Person Jesu Christi in einem extremen Spannungsverhältnis. Auf der einen Seite lebt er in Abhängigkeit von Christus, in Unfreiheit, Niedrigkeit und Leiden vielfältiger Art (z. B. Gal 2,19; 2 Kor 1,5), auf der anderen Seite als Erwählter, in großer Freiheit und personaler Nähe zu Christus (2 Kor 5,20; 11,10; Gal 2,4; Phil 1.3). 28 27 Vgl. E.-M. Becker, Schreiben , 144ff. 28 Die psychologische Spannung, unter der Paulus steht, nehmen besonders M. Göttel-Leypold/ J. H. Demling, „Persönlichkeitsstruktur“, 125-148, in den Blick. 132 VII Die Person des Paulus 4.2. Paulus und die Apostel Die Apostolizität des Paulus geht zwar auf eine Berufung ad personam (vgl. auch 1 Kor 15,8f.) zurück, sie ist aber von Anfang an keine singuläre und konkurrenzlose Beauftragung 29 : Der auferstandene Christus ist vor Paulus von den anderen ‚Aposteln‘ gesehen worden (1 Kor 15,7). Und die Missionstätigkeit des Paulus in Korinth geschieht zunächst in Auseinandersetzung mit dem Wirken anderer Apostel (z. B. Apollos, 1 Kor 1,12ff.) und später im ernsten Konflikt mit gegnerischen bzw. konkurrierenden Missionaren, die Paulus als ‚Über-Apostel‘ (2 Kor 11,5; 12,11) oder sogar als ‚falsche Apostel‘ (ψευδαπόστολοι, 2 Kor 11,13), die sich als Apostel Christi ‚verstellen‘ (2 Kor 11,13), zu enttarnen bemüht ist. Im Kampf mit den gegnerischen Aposteln in Korinth argumentiert Paulus einzigartig mit seiner ganzen ‚Person‘: Er verweist auf seine Leiden und Leidensfähigkeit (2 Kor 11,23ff.), auf einen intimen Gebetsdialog mit Christus (2 Kor 12,8f.) und auf seine apostolischen Zeichenhandlungen in Korinth (2 Kor 12,12). Er macht seine von den Korinthern scharf kritisierte (2 Kor 10,10) persönliche ‚Schwäche‘ (ἀσθένεια) zur Basis und zum Charakteristikum seines Apostolats (z. B. 2 Kor 11,30). Denn nur in persönlicher Schwäche kann die ‚Kraft Christi‘ (δύναμις τοῦ Χριστοῦ, z. B. 2 Kor 12,9) in der apostolischen Existenz wirksam werden. 4.3. Paulus und die Gemeinden Die apostolische Existenz des Paulus bewegt sich in der Spannung von ‚ich‘ und ‚wir‘. Paulus ist individuell beauftragt (s. o.) und trägt persönlich Verantwortung für die Auferbauung und Leitung seiner Gemeinden (z. B. 2 Kor 10- 13; Phil 1,12ff.). So versteht sich Paulus als ‚geistlicher Vater‘ und ‚Erzieher‘ (παιδαγωγός) der korinthischen Gemeinde (1 Kor 4,15) und schreibt die Gemeinde als ‚liebe Kinder‘ (1 Kor 4,14; 2 Kor 6,13) an. Paulus will aber nicht ‚Herr‘ über den Glauben der Korinther sein, sondern ihr ‚Gehilfe‘ (συνεργός, 2 Kor 1,24). Zugleich bezeichnet Paulus auch einzelne seiner Mitarbeiter als ‚Sohn‘ (z. B. Timotheus, 1 Kor 4,17; Onesimus, Phlm 10). Darin, dass Paulus in seinen Briefen häufig auch in der 1. Person Plural schreibt, zeigt sich aber, dass er zum einen seine nächsten Mitarbeiter unmittelbar in sein Denken und Handeln miteinbezieht (z. B. 2 Kor 1,1; 1,8ff.; 6,1ff.; Phil 1,1), ja sogar an deren körperlichem Ergehen Anteil nimmt (z. B. Phil 2,25-30). Zum anderen beschreibt Paulus mit ‚wir‘ auch wieder seine unmittelbare Zusammengehörigkeit mit seinen Adressaten (z. B. 2 Kor 1,3ff.; Röm 6,1ff.). 29 Vgl. hierzu insgesamt: J. Frey, „Paulus“. 5. Paulus als Jude und ‚Christ‘. Der ‚Bruch‘ in der Person 133 Darüber hinaus können ‚ich‘ und ‚wir‘ aber auch allgemein-christlich verstanden werden (z. B. Röm 7,7ff.). Die Übergänge zwischen einem konkreten und einem allgemeinen Gebrauch der Personalpronomina in den paulinischen Briefen sind fließend. Dies macht deutlich, dass der paulinische Apostolat nicht nur in der Spannung von individueller Erfahrung bzw. persönlicher Verantwortung und über-individueller Gemeinschaft, sondern zugleich in der Spannung von exemplarischer bzw. konkreter Lebenserfahrung und allgemeiner christlicher Lebensdeutung und Lebensbewältigung steht. 5. Paulus als Jude und ‚Christ‘. Der ‚Bruch‘ in der Person Wir kennen den Christusbekenner Paulus. Zugleich berichtet Paulus mehrfach von seiner Herkunft aus dem Judentum. Paulus gehört von Geburt der Minderheit des ἔθνος τῶν Ἰουδαίων im Rahmen des Imperium Romanum , näherhin dem Diaspora-Judentum, an. 30 Paulus stammt aus dem pharisäischen Judentum (Phil 3,5; Apg 22,3) und bezeichnet sich nachträglich als eifernder ‚Verfolger‘ und ‚Zerstörer‘ der ἐκκλησία τοῦ θεοῦ (Gal 1,13.23; Phil 3,6; vgl. auch Apg 22,4ff.). So erzählt Lukas vom ‚Gefallen‘, den Paulus am Tod des frühesten christlichen Märtyrers Stephanus hatte (Apg 8,1). Durch die Berufung wird Paulus Anhänger und später führende Persönlichkeit einer neuen jüdischen αἵρεσις: der kleinen Gruppierung der Χριστιανοί (Apg 11,26 und 28,22). Damit ist er Angehöriger einer noch diffusen neuen religiösen Gruppierung, deren Dienst er sich vollständig widmet und an deren Ausbreitung er entscheidend mitwirkt. Er befindet sich - ethnisch weiterhin der Minderheit der Juden angehörend - zusätzlich in dem unsicheren und durch Juden wie römische Behörden gefährdeten Randstatus des Christen. Die Person des Paulus ist daher in besonderer Weise dadurch gekennzeichnet, dass sie in der Spannung von ‚Judentum‘ und ‚Christentum‘ steht. Die als göttliche Beauftragung (Gal 1,15) geschilderte ‚Bekehrung‘ des Paulus (vgl. Apg 9; 22; 26) führt zu einem ‚Bruch‘ in der paulinischen Biographie. 31 Aus jüdischer Sicht 30 Vgl. dazu J. Frey, „Judentum“. 31 Vgl. dazu O. Wischmeyer, „Religion“. Im Blick auf diesen biographischen Bruch lässt sich - im Kontext des antiken Judentums - eine interessante Parallelentwicklung bei dem frühjüdischen Geschichtsschreiber Flavius Josephus feststellen: Der Weggang des Josephus aus Palästina und die Hinwendung zum flavischen Kaiserhaus sind mit dem Umstand in Verbindung zu bringen, dass Josephus der Verfasser der einzigen antiken jüdischen Autobiographie ist. Vgl. dazu: F. Siegert u. a., Flavius Josephus . ‚Gebrochene Biographie‘ und autobiographisches Schaffen mit dem Ziel der Apologie stehen also bei Josephus - in Ansätzen auch bei Paulus - offenbar in engem Zusammenhang. Hier 134 VII Die Person des Paulus ist der christliche Paulus ein abgefallener Jude, ein sog. Renegat. Das zieht für ihn (und seine Gemeinden) selbstverständlich Ablehnung und unter Umständen Hass und Verfolgung (vgl. 1 Thess 2,13ff.; 2 Kor 11,24f.) seitens der Juden nach sich und führt letztlich zur Verhaftung des Paulus in Jerusalem (Apg 21,27ff.). Aus ‚heidnischer‘ Sicht dagegen stellt er zunächst so etwas wie einen schismatischen Juden dar. Seine religiöse Zugehörigkeit ist unklar und zwingt ihn dazu, sie ständig deutlich zu machen und sprachlich und argumentativ zu artikulieren. Paulus selbst deutet diesen biographischen Bruch mit ἀφορίζω als ‚Aussonderung‘ (Röm 1,1; Gal 1,15) und verlegt ihn bereits in seine pränatale Existenz (ἐκ κοιλίας μητρός μου, Gal 1,15) vor. Modern gesprochen hat er also einen ‚Bruch‘ in seiner Persönlichkeit durch einen Religionswechsel erlitten. Seine eigene Wahrnehmung dagegen ist eher die einer Neugeburt oder sogar einer vorgeburtlichen Vorherbestimmung, auch wenn er in Phil 3,7f. und in Gal 1,13f. die Offenbarung Jesu Christi durchaus in der Sprache schroffer Diskontinuität ausdrücken kann. So stellt auch der zum Apostel beauftragte Paulus seine jüdische Herkunft und seine Zugehörigkeit zum Judentum grundsätzlich nicht in Frage, auch wenn er sich - im Unterschied zu Petrus - zur Evangeliumsverkündigung unter den ‚Heiden‘ berufen sieht (Gal 2,7-10). Paulus nennt sich selbst: ‚Hebräer, Israelit, Abrahams Kind‘ (2 Kor 11,22; vgl. auch Röm 4,1), ein ‚am achten Tag Beschnittener, aus dem Volk Israel, vom Stamm Benjamin, ein Hebräer von Hebräern‘ (Phil 3,5) oder ein ‚Bruder der Israeliten nach dem Fleisch‘ (Röm 9,3f.). Die Beschneidung erweist sich für Paulus dabei als konstitutiv. Sie ist sein bleibendes körperliches Merkmal und zugleich ein zentrales Thema besonders im Röm und Gal (vgl. Röm 2-4; Gal 2,5). Doch während sich Paulus ‚fleischlich‘ dem Volk Israel bleibend zugehörig weiß (Phil 3,3ff.) und sagen kann: „Wir sind von Geburt (φύσει) Juden und nicht Sünder aus den Heiden“ (Gal 2,15), definiert er die christliche Existenz als ‚geistliche‘ Beschneidung, nämlich als Dienst Gottes und als Ruhm Jesu Christi (Phil 3,3ff.). Daher bleibt die Beschneidung im paulinischen Denken einerseits ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal zwischen Judenchristentum und Heidenchristentum. Und die ‚Heiden‘ werden verkürzt als ‚Unbeschnittene‘ und die Juden als ‚Beschnittene‘ bezeichnet (Gal 2,7: ἀκροβυστία - περιτομή). Andererseits zeigt Paulus die theologische Fragwürdigkeit bzw. Relevanz der Differenzierung in ‚beschnitten‘ und ‚unbeschnitten‘ auf: „Wenn nun der Unbeschnittene hält, was nach dem Gesetz recht ist, meinst du nicht, dass dann der Unbeschnittene vor Gott als Beschnittener kommt es in besonderer Weise zum Wechselspiel von Flexion und Reflexion. Außerhalb des antiken Judentums zeigt sich dieser Zusammenhang von biographischem ‚Bruch‘ und autobiographischem Schreiben besonders deutlich in den Confessiones Augustins. Vgl. dazu: Augustinus, Confessiones , bes. 8,8ff. 6. Paulus und sein Körper. Grenzen und Entgrenzung der Person I 135 gilt? “ (Röm 2,26). Nach paulinischer Auffassung definiert sich daher schon das Judesein eigentlich als „Beschneidung des Herzens, die im Geist und nicht im Buchstaben geschieht“ (περιτομὴ καρδίας ἐν πνεύματι οὐ γράμματι, Röm 2,29). So bewegt sich Paulus existentiell und persönlich zwischen Judentum und seinem früheren und seinem späteren Judenchristentum einerseits und dem Heidenchristentum andererseits und sprengt zugleich theologisch diese Definitionen, wenn er eine theologische Differenzierung zwischen der Zugehörigkeit zum Judentum und dem Bekenntnis zu Jesus Christus ausarbeitet (Röm 9-11). In Röm 7,7-25 treibt Paulus diese Differenzierung soweit voran, dass er schließlich einen Basistext christlicher Anthropologie jenseits der Alternative „Jude - Nichtjude“ formuliert (vgl. auch 1 Kor 9,19-23). 6. Paulus und sein Körper. Grenzen und Entgrenzung der Person I Das paulinische Denken befasst sich thematisch und metaphorisch gehäuft mit Begriffen aus dem Bereich von ‚Leib‘ und ‚Leibhaftigkeit‘ (σάρξ, σῶμα) 32 . Paulus kennt und nennt die Grenzen seiner persönlichen Leiblichkeit sowie der menschlichen Leiblichkeit insgesamt und entgrenzt sie gleichermaßen, indem er sie von Christus her neu definiert. Paulus sieht seine Leiblichkeit durch seine Krankheit (s. o., besonders: 2 Kor 12,1-10) und die in den Peristasen erlebten Leiden (2 Kor 11,23ff.) begrenzt. Er deutet diese Erfahrung körperlicher Leiden und Schwäche in dreifacher Weise: Erstens rühmt er sich bewusst und programmatisch seiner Schwachheit (ἀσθένεια, 2 Kor 11,30) und autorisiert diese Deutung von Christus her (2 Kor 12,9f.). Die in Korinth erhobenen Vorwürfe gegen sein persönlich schwaches Auftreten (2 Kor 10,10) jedoch weist Paulus unter Hinweis auf seine apostolische Vollmacht entschieden zurück (2 Kor 10,11). Die erfahrenen (körperlichen) Leiden stellt Paulus zweitens in Analogie zu Christus und versteht sie so als Teil der christusförmigen Existenz (2 Kor 1,5f.; Phil 3,20f.). Paulus geht sicherlich auch von seinen persönlichen Leidenserfahrungen aus, wenn er drittens die Begrenztheit aller physischen Existenz - der Schöpfung (Röm 8,18ff.) und der menschlichen Existenz insgesamt (2 Kor 5,1ff.) - reflektiert. Die mangelnde persönliche, d. h. leibhaftige Anwesenheit in Korinth sieht Paulus als Voraussetzung seines Briefeschreibens (2 Kor 10,1; 13,10): Der leib- 32 Vgl. dazu - schon klassisch geworden - den Ansatz der Paulus-Darstellung bei R. Bultmann, Theologie , bes. §17ff.; vgl. außerdem die Darstellung bei U. Schnelle, Anthropologie , bes. 66ff.; O. Wischmeyer, „Menschsein“, bes. 89ff. L. Scornaienchi, Sarx . 136 VII Die Person des Paulus lichen Abwesenheit stellt er die briefliche Nähe, nämlich eine Anwesenheit im Geist, gegenüber (1 Kor 5,3: ἐγὼ-… ἀπὼν τῷ σώματι παρὼν δὲ τῷ πνεύματι). Paulus teilt daher besonders im 2 Kor den Korinthern seine emotionale Befindlichkeit mit, d. h. er lässt sie an seiner physischen Existenz brieflich teilhaben: Er schreibt unter ‚vielen Tränen‘ (2 Kor 2,4) und zeigt den Korinthern sein ‚geweitetes Herz‘ (2 Kor 6,11). Paulus macht die Leiblichkeit schließlich zu einem theologischen Thema , indem er die ‚Leibes‘-Terminologie mit der Soteriologie und Ethik verknüpft und sie auf die Ekklesiologie überträgt. Für die außer-christliche und für die christliche Existenz gilt, dass eine fleischliche Gesinnung (κατὰ σάρκα) den Tod mit sich bringt, Feindschaft gegen Gott ist und einer Existenz κατὰ πνεῦμα zuwiderläuft (Röm 8,1ff.). Zwar verdammte die Sendung des Gottessohnes die Sünde im Fleisch und ermöglichte ein Leben im Geist Christi. So können auch die sterblichen Leiber durch den Geist dessen, „der Jesus von den Toten auferweckt hat“, lebendig gemacht werden (Röm 8,11). Doch bleibt auch für die christliche Existenz die Gefahr, den ‚Begierden‘ und ‚Werken‘ des Fleisches anheimzufallen (Gal 5,13ff.). Begrenzung und Entgrenzung der menschlichen Leibhaftigkeit sind daher ein zentrales Thema paulinischer Soteriologie und Ethik. In 1 Kor 12,12ff. überträgt Paulus die Metaphorik der Leiblichkeit auf die Ekklesiologie : Er bezeichnet die Gemeinde als σῶμα Χριστοῦ. Diese Metaphorik hat eine doppelte Funktion: Paulus macht Christus in der ἐκκλησία gleichsam ‚leibhaftig‘ präsent und verbindet die einzelnen Glieder der Gemeinde zu einer ‚somatischen‘ Einheit. Damit ist deutlich, dass die verschiedenen Gnadengaben der einzelnen Gemeindeglieder (χαρίσματα) gemeinsam auf die Gnade Christi zurückgeführt werden müssen (Röm 12,6: ἔχοντες δὲ χαρίσματα κατὰ τὴν χάριν-…). 7. Paulus und das Eschaton. Grenzen und Entgrenzung der Person II Die Erwartung der endzeitlichen Ereignisse hat für Paulus über-individuelle und individuelle bzw. persönliche Aspekte. Im Blick auf die eschatologischen Vorstellungen zeigt sich zudem eine gewisse ‚Entwicklung‘ im paulinischen Denken. Zunächst zu den über-individuellen Aspekten: In 1 Thess 4,13ff . äußert Paulus die Erwartung einer nahen Parusie des Herrn, die zu Lebzeiten des Paulus und seiner Adressaten geschieht und sich als ‚Entrückung‘ ereignen wird (ἁρπάζω, 1 Thess 4,17). Die Auferstehung der Toten und die Entrückung der noch Lebenden zielt auf das dauerhafte Zusammensein mit dem Kyrios. In 1 Kor 15,51ff . dagegen spricht Paulus von einer ‚Verwandlung‘ (ἀλλάσσω, 1 Kor 15,51) der 7. Paulus und das Eschaton. Grenzen und Entgrenzung der Person II 137 menschlichen Existenz, die nicht in direkten Zusammenhang mit der Parusie gebracht wird. Es geht hier vielmehr um die Überwindung des Todes. Denn das ‚Sterbliche‘ wird die ‚Unsterblichkeit‘ anziehen (1 Kor 15,54ff.). Der Gefangene Paulus (Phil 1,7.13f.) formuliert im Phil zwar auch einzelne eschatologische Erwartungen (Phil 3,20f.), bringt aber vor allem seine persönliche Todessehnsucht zum Ausdruck: Die Sehnsucht zu sterben, zielt darauf, bei Christus zu sein (Phil 1,21ff.). Die ausbleibende Parusie steht hier vielleicht in Zusammenhang mit dem individuellen Wunsch zu sterben. Zugleich findet dadurch der Übergang von den über-individuellen eschatologischen Vorstellungen zur Erwartung der Be grenzung und Ent grenzung der individuellen Person statt. Die Begrenzung und Entgrenzung seiner Person erfährt und beschreibt Paulus in vier Aspekten: (1.) Krankheit und Leiden (s. o.) führen zur Infragestellung der Person und der personalen Stärke. Das an Paulus ergangene Wort des Kyrios: „Dir genügt meine Gnade; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“ (2 Kor 12,9), versteht Paulus als grundlegende, durch Christus selbst autorisierte Deutung und Konstituierung seiner persönlichen Existenz. (2.) Paulus sieht die christliche Existenz in einer dauerhaften Spannung von Leben und Sterben . Diese Spannung, d. h. die prinzipielle Begrenzung der christlichen Existenz steht mit der Sterblichkeit des Menschen in Zusammenhang und dient der Offenbarung Jesu Christi: „Denn wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu offenbar werde an unserem sterblichen Fleisch“ (2 Kor 4,11). Diese Grundeinsicht in das Verhältnis von Sterblichkeit und Offenbarung kann Paulus aber auch umkehren: Kennzeichen der Dienerschaft Gottes ist es, als Sterbender dennoch zu leben (2 Kor 6,9). Denn der Sünde, deren ‚Sold‘ der Tod ist (Röm 6,23), zu sterben, heißt, Gott in Christus zu leben (Röm 6,11). (3.) Die Christusförmigkeit der paulinischen Existenz führt zu einer Auflösung der von der Sarx bestimmten personalen Struktur (s. o.). Paulus bringt dies mit der Formel: ‚Christus in mir‘ (ἐν ἐμοὶ Χριστός, Gal 2,20) pointiert zum Ausdruck. (4.) In 1 Kor 13 formuliert Paulus eschatologische Aussagen zur Begrenzung und Entgrenzung der Person. Diese Aussagen sind zunächst zwar allgemein-anthropologischer Art. Dahinter sind aber auch biographische Erfahrungen und Erwartungen erkennbar. Die eschatologischen Aussagen (1 Kor 13,8ff.) münden hier in Überlegungen zur Begrenzung und Entgrenzung der Person und ihres Erkenntnisvermögens: „Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin“ (1 Kor 13,12). So bleibt für Paulus das Erkennen überhaupt (2 Kor 1,13) so wie auch die endgültige Erkenntnis der Person ein eschatologisches Gut. 138 VII Die Person des Paulus Bibliographie Augustinus, Confessiones (hg. L. Verheijen; CCSL 27; Turnhout, 1990). E.-M. Becker, „2. Korintherbrief“, in: Paulus. Leben - Umwelt - Werk - Brief (hg. O. Wischmeyer; UTB 2767; Tübingen: Francke, 2012 2 ), 204-231. E.-M. Becker, „Autobiographisches bei Paulus. 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Paul: The humble letter-writer Within the epistolary correspondence between Seneca and Paul, from the 4th century CE, 1 the attributes of humbleness and humility play a major role. It seems to be significant, though, that humility as such is only applied to Paul: As Alfons Fürst has argued, it is Paul in particular who appears as a humble person in that he, in a formal sense, mentions the addressee before himself as the letter-writer: Annaeo Senecae Paulus salute . 2 The literary portrait of Paul, shaped by the anonymous writer, shall in general differ significantly from his fictitious partner of epistolary correspondence, Seneca. 3 “Seneca erscheint als Heide, der sich an die paganen Gepflogenheiten hält, Paulus als Christ, der aus Bescheidenheit und Demut seinen Namen erst hinter dem des Adressaten nennt.” 4 It is specifically in Letter X of the correspondence that the phenomenon of epistolary humility is even discussed explicitly by the fictitious letter-writer “Paul”: “Paul” expresses his wish of putting himself in an inferior position which would - as he sees it - match the requirements of his religion ( sectae meae ). Thus, in several ways, Paul is continuously molded as a humble person and letter-writer. Albrecht Dihle has described the ancient literary modes of showing (epistolary) courtesy and modesty. 5 In this context, Dihle points out, that the actual concept of Christian “humility” cannot be traced back to notions of modesty that exist in the Greco-Roman “Vulgärethik.” 6 The point of departure for the Christian concept of (epistolary) humility has to be found elsewhere: It is, as this contribution argues, to be traced back to Paul’s letter-writing, more particularly, to his letter to the Philippians, which is probably Paul’s latest writing. In this letter, addressed to the community in Philippi, Paul shows himself more than in any other writing as a homo humilis . In a comprehensive way Paul molds himself as a humble person who presents Christ-oriented humility (Phil 2: 1-18) to be the ultimate ethical guideline of community life. By imitating 1 Jerome’s notion of and reference to the epistolary correspondence ( Vir ill 12 ) is to be seen as the terminus ante quem , cf. A. Fürst, “Einführung,” 3-22. 2 Cf., e.g., Ep Paul Sen II . 3 Cf. A. Fürst, “Der apokryphe Briefwechsel,” 23-82. 4 A. Fürst, “Der apokryphe Briefwechsel,” 39. 5 Cf. A. Dihle, “Höflichkeit,” 1-14. 6 A. Dihle, “Höflichkeit,” 11. 142 VIII Paul as homo humilis Paul and practicing mimesis , the community will finally learn about humility example-wise. 7 Paul’s comprising conceptualization of “Christian humility” must have had a huge impact not only on Christian theology, but also on Christian literary history: If we move further on in the history of early Christianity and even beyond the field of epistolography, we can see that it was Paul as a literary author who stimulated a specific Christian writing culture, 8 particularly among monastic authors of the Byzantine era like Cyril of Scythopolis (ca. 525-560 CE). Those authors make use of an “image of Christian authorship” which is “attentive to the function of self-consciousness through which the ascetic imagined and formed himself anew-… In such a context-… claims of inadequacy are ascetic performances, expressions of piety achieved through rhetoric. Rather than a rhetoric of false modesty, it might be more accurate to speak of a rhetoric of longed-for humility.” 9 However, as Derek Krueger also points out, humility “posed the greatest problem for authors of texts” in the sense that the claim of humility actually contradicts the literary ambitions of an author, especially when he is acting as hagiographer. 10 “Paradoxically, the performance of humility demands the renunciation of agency in one’s own asceticism,” and the “denigration of style.” 11 How then did the image of a humble Christian author develop - how does it emerge, how does it work in Paul? Why did it inspire Christian theology as much as literary history for such a long time? Even Martin Luther, who in general criticizes the contemporary cultural and ecclesial attitude of humility, does not spare with expressing his humility when writing his letter to the emperor Charles V: In this letter, dating from April 1521, Luther uses many expressions of humility and humbleness in order to show his subservience to the monarch. So, where does the phenomenon of Christian (epistolary) humility originate? We have to go back to Paul’s letter to the Philippians, but we cannot only study how Paul as a letter-writer refers to his personal humility. Rather, in this letter we find Paul’s epistolary concept of humilitas presented in a most extensive sense: In Philippians we come across various rhetorical techniques, semantics, metaphorical language as well as argumentative strategies by which Paul makes humility to be the key concept not only to his ethical teaching (Phil 2: 3) but also 7 Cf. E.-M. Becker, “Mimetische Ethik,” 219-234. 8 In what follows, we will focus on the literary image, rather than on the theological and ethical implications of the Christian concept of humility - to the latter, cf., e.g.: J. J. Schuld, Foucault and Augustine ; D. Konstan, Before Forgiveness , 125-145. A classical contribution to biblical anthropology still is: L. Adler, The Biblical View of Man , 49-53. 9 D. Krueger, Writing , 98. 10 D. Krueger, Writing , 99. 11 D. Krueger, Writing , 103-104. 2. Paul’s epistolary concept of humility in Philippians 143 and rather more to his literary self-configuration, especially in chapters 1-3. In the first step we will thus depict how Paul in Philippians conceptualizes, interconnects and personally applies the various literary elements and strategies of humilitas ; in the second step we have to evaluate how and why Paul’s self-molding as a homo humilis in Philippians can be seen as a way in which Paul finally performs as a homo novus . 2. Paul’s epistolary concept of humility in Philippians In his letter to the Philippians, Paul conceptualizes humility as an epistolary strategy in - as far as I can see - seven dimensions: 12 first , the apostle presents ταπεινοφροσύνη as an ethical principle that has to be practiced by the community members; ταπεινοφροσύνη appears as a working tool of ecclesial or communitarian interaction that is, second , illustrated by four narrative examples (Phil 1-3), and that is third implemented by the apostle’s personal authority to impose ethical parenesis; fourth , Paul inscribes his own fortune as apostle likewise in terms of ταπείνωσις (Phil 3: 20-21), as he - fifth - already in the letter’s prescript chooses metaphorical language of subordination (δοῦλος) which is, again, already exemplified by Jesus’s paradigmatic practice of humility (δοῦλος: Phil 2: 7) and obedience (ὑπήκοος: Phil 2: 8), and which has consequently to be mirrored by how the Philippian community itself shall perform (ὑπακούειν: Phil 2: 12); sixth , in Phil 4: 10-20 Paul bases his humble way of life on a concrete waiver of material prosperity; 13 and seventh , in the overall letter-writing to the Philippians Paul uses - as is typical of his style of letter-writing - the genus humile which he only occasionally leaves for matters of textual significance (Phil 2: 6-11). In Philippians, thus, Paul’s language and literary style as much as the pragmatics and the propositional force of his letter-writing coincide: it is this kind of argumentative and literary consistency that makes Paul as a letter-writer to be the “ideal” representative of humilitas - in other words, he performs by means of letter-writing as a homo humilis . Let us now explore in more detail the seven dimensions mentioned of how Paul conceptualizes literary humility, and let us hereby also refer to the specific textual passages that are relevant. We have to start with Phil 2: 3 and Paul’s invention of the Greek term for “humilitas”: ταπεινοφροσύνη. 12 Cf. especially in regard to the exegetical analysis of Phil 2: 1-11: E.-M. Becker, Begriff . 13 Cf. on this: K. Wengst, “Begriff,” 428-439. 2.1. The ταπεινοφροσύνη as an ethical principle In Phil 2: 3 Paul admonishes his readers to practice humility: “make my joy complete: be of the same mind, having the same love, being in full accord and of one mind. Do nothing from selfish ambition or conceit, but in humility regard others as better than yourselves” (Phil 2: 2-3, NRSV). By suggesting ταπεινοφροσύνη as an ethical and an ecclesial principle to the Philippians, Paul introduces a substantive term which is not attested in Greek-Hellenistic literature and/ or epigraphy prior to him. Beyond a few instances in post-Pauline New Testament literature (Acts 20: 19; Col 2: 18, 23; 3: 12; 1 Pet 5: 9) - instances that are probably directly inspired by Phil 2: 3 - the term ταπεινοφροσύνη only occurs in Epictetus 14 and Josephus 15 as first century CE literary authors: here the connotations of ταπεινare continuously negative, and the semantic field is used in a pejorative sense. To Paul, in contrast, ταπεινοφροσύνη has to be understood as an attitude (“Gesinnung” as τοῦτο φρονεῖτε: Phil 2: 5) or as a communitarian, Christ-oriented mindset that can typologically be seen in close affiliation to how Aristotle has conceptualized the so-called dianoetic virtues such as φρόνησις: as guiding principles for right and righteous action within communitarian settings, 16 defined by socio-political needs of interaction. 17 2.2. Narrative examples In Philippians 1-3 Paul presents various narrative examples by which he illustrates how “humility” has to be practiced. We have to look at these textual passages more comprehensively, and we will begin with the Christexemplum in 2: 6-11, the most important of these narrative examples. 18 On the one hand , it exemplifies especially the attitude of a precursory waiver of rights (“Rechtsverzicht”) on behalf of communitarian unity and unanimity (cf. Phil 2: 1-2). On the other hand , the Christ-example visualizes to the reader how the practice of humility promises a reward: after exercising the ultimate form of kenosis and even shouldering crucifixion, and hereby taking the blame of the disenfranchised, Jesus has been exalted by God himself. Jesus thus can consequently claim divine kyriotes , that is, cosmic sovereignty (Phil 2: 11). Even though the Christexemplum is the 14 Epictetus, Diatr 3.24.56. 15 Josephus, BJ 4.494. 16 Aristotle, Eth nic. 17 Cf. E.-M. Becker, Begriff , 151ff. On humility as an intellectual virtue cf. in general also: R. C. Roberts/ W. J. Wood, “Humility,” 257-279. 18 On the examples used in Philippians, more in general, cf.: P.-B. Smit, Paradigms . 144 VIII Paul as homo humilis 2. Paul’s epistolary concept of humility in Philippians 145 most severe manner of practicing humility, it finally reveals itself to be a story of success: God not only provides compensation for Jesus’s practiced waiver of rights, but even exalts his status in a cosmic dimension. Philippians 2: 6-11 is framed by three more exemplary stories which productively highlight various other aspects of how ταπεινοφροσύνη is practiced by the apostle himself and his close co-workers: in Phil 2: 19-24 Timothy is presented as a personal example of unanimity (2: 20) and probation in regard to the proclamation of the gospel (2: 22) and the care for the Philippian community during Paul’s personal absence from Macedonia and Northern Greece (2: 20). Immediately afterwards - in Phil 2: 25-30 - Epaphroditus is characterized as ἀδελφός, συνεργός, συστρατιώτης, ἀπόστολος, λειτουργός (2: 25). Even though he came close to death because of his sickness (2: 27, 30), he has never balked at being engaged in Paul’s missionary activities; he has always supported the apostle, and in that sense he has assumed the Philippians’ role of providing help and (financial) support to Paul’s apostolic ministry (2: 30). The list of personal examples that are presented to the Philippian community is opened up and finalized again - not accidentally - by Paul’s own personal exemplum . In Phil 1: 21-26 Paul explains to his readers how his actual situation of imprisonment challenges him, and how he himself had to demonstrate moral probation herein: though he was wishing for his imminent death (1: 21) - perhaps because of age, sickness, and/ or the conditions of imprisonment (Paul does not really explain) - and though he was at the same time longing for his final communion with Christ (1: 23), he had to stay alive in order to continue his apostolic mission on behalf of his communities. He is in particular concerned with the successful progress of the Philippian community (1: 26). In Phil 3: 12-16 Paul, again and here for the last time, presents himself as a personal example to his audience. Once more, the micro-context of this argument is especially significant for interpreting the exemplary speech: After admonishing the Philippians (3: 1) and addressing in an invective polemics (3: 2-4a) the risk of splitting and conflict which will be caused by possible “enemies of the cross” (3: 18), Paul refers back to his own “apostolic career” (3: 4b-11), and in this frame also depicts his eschatological expectation of participating in the ἐξανάστασις ἐκ νεκρῶν (3: 10-11). In order to ultimately request of the Philippians to become “imitators” of him (3: 17: συμμιμηταί μου γίνεσθε), Paul has to show his present stage of aiming at conformity with Christ (3: 10: συμμορφιζόμενος): Paul’s paradigm exemplifies most clearly how the status of Christ-believers is characterized by aspiring after communion with Christ rather than already claiming the goal of perfection and completeness: Not that I have already obtained this or have reached the goal; but I press on to make it my own, because Christ Jesus has made me his own. Beloved, I do not consider that I have made it my own; but this one thing I do: forgetting what lies behind and straining forward to what lies ahead, I press on toward the goal for the prize of the heavenly call of God in Christ Jesus. Let those of us then who are mature be of the same mind; and if you think differently about anything, this too God will reveal to you. Only let us hold fast to what we have attained (3: 12-16, NRSV). According to Paul, the lack of perfection is primarily not to be seen as a temporary anthropological deficiency that could somehow be corrected by moral progress 19 - according to Paul it rather functions as a crucial element of an even deeper experience of humility because it corresponds to the eschatological implications of ταπεινοφροσύνη: since the future hope focuses on Christ “He will transform the body of our humiliation (τὸ σῶμα τῆς ταπεινώσεως) that it may be conformed to the body of his glory, by the power that also enables him to make all things subject to himself” (3: 21, NRSV), current completeness or perfection would only be a misleading contradiction. In narrative terms, then, Paul puts himself in a structural analogy to Christ: as Jesus - after having practiced humility in an ultimate sense (2: 6-8) - has been exalted (2: 9-11), Paul expects for himself a future transformation (μετασχηματίζειν) of his τὸ σῶμα τῆς ταπεινώσεως (3: 21) by which he himself will participate in Christ’s cosmological rulership (3: 21). 2.3. The apostle’s personal authority In Phil 2: 3 Paul implements ταπεινοφροσύνη in an exhortative setting. The community members are urged by Paul to “complete” his joy, not to do “something from selfishness,” and after that: “Let each of you look not to your own interests, but to the interests of others” (2: 4, NRSV). Paul uses the parenetical form here as he does in various other passages in Philippians (e.g., 1: 27-30; 2: 12-18; 4: 1ff.). The attitude of τὸ αὐτὸ φρονῆτε is expected of the Philippian community in order to perfect the apostle’s joy (χαρά). Paul’s parenesis thus is empowered by his insistence that the community’s ethical behavior will directly impact the apostle’s condition and mental state in his imprisonment. The parenesis in Phil 2 is personally authorized by Paul’s apostolic affiliation to Christ (e.g., 1: 13), which - in the letter to the Philippians - is outlined as a direct subordination to Christ (δοῦλος: 1: 1). 19 In that sense John T. Fitzgerald, for instance, misperceives Pauline ethics when he looks at it in close analogy to the idea of “moral progress” which we can find in Hellenistic-Roman philosophy, cf.: J. T. Fitzgerald, “Passions,” 1-25. 146 VIII Paul as homo humilis 2. Paul’s epistolary concept of humility in Philippians 147 2.4. Paul’s personal ταπείνωσις As mentioned already, Paul applies the ταπειν-semantic directly to his person and his self-understanding, and, thus, semantically molds his own personal fortune to the concept of humility. In Phil 3: 20-21 Paul picks up in an anaphoric sense the lexicon that he had used already in 1: 27-2: 3: In chapter 1 the exhortation to exercise “your citizenship in a manner worthy of the gospel of Christ” (ἀξίως-… πολιτεύεσθε: 1: 27) 20 was followed up by Paul’s admonition to practice ταπεινοφροσύνη (2: 3); in chapter 3 Paul finalizes the polemics against the “enemies of the cross” (3: 18-19) by deriving the unique socio-religious status of the Philippian community from its eschatological hope. In the argumentative frame of chapter 3, and similar to 1: 27ff., Paul makes πολίτευμα and ταπείνωσις to be an interacting lexicon: “But our citizenship is in heaven, and it is from there that we are expecting a Savior-… He will transform the body of our humiliation” (3: 20-21, NRSV). 2.5. Language of subordination In his study: “Epiktet und das Neue Testament” from 1911, Adolf Friedrich Bonhöffer already pointed out that in Greek-Hellenistic literature the ταπεινsemantic is frequently used synonymously to δειλός, δοῦλος, ἀγεν(ν)ής κτλ. 21 Accordingly, Paul’s concept of ταπεινοφροσύνη has to be seen in close affiliation to his language of subordination: it is not accidental then that Paul, already in the letter’s prescript, introduces himself - and his co-worker Timothy - as “slaves of Christ” (δοῦλοι Χριστοῦ: Phil 1: 1) to his audience. In his previous writing to the Christ-believing community in Rome, he had made use of this expression in a formal sense for the first time (Rom 1: 1; but cf.: Gal 1: 10). In Philippians, however, Paul explores more comprehensively what the role of a δοῦλος really implies: since Jesus himself had chosen the image of a slave when he shifted roles from one who was equal with God (Phil 2: 6) to one who waived his rights and was finally crucified (Phil 2: 7-8), the acceptance of the slave-model will consequently mean no less than an appropriate imitation of Christ, which holds an eschatological promise. It is typical of a slave to be obedient to his master: Even Jesus has practiced in an ultimate sense obedience and submission (γενόμενος ὑπήκοος: Phil 2: 8). As the highest paradigm of ταπεινοφροσύνη Jesus thus also exemplifies how obedience and the role of a slave correspond. In that Paul defines his ministry as a δοῦλος Χριστοῦ, he presupposes for himself the attitude of the ὑπακοή. He 20 Translation according to: J. Reumann, Philippians , 261. 21 Cf. A. Bonhöffer, Epiktet , 65. makes use of language of subordination when he admonishes the Philippians to practice ὑπακοή themselves. As Paul claims, he only demands of the Philippians what his own ministry per definitionem is about. In consequence, Paul fosters the Philippians’ communion with himself while being absent: When practicing obedience and the image of submission, the Philippians will also come to imitate Paul (Phil 3: 17). 2.6. A waiver of material prosperity The practice of humility can soon be transformed to rather concrete issues of daily life. In Phil 4: 10-20 - according to Hans Dieter Betz the “Beilage einer Quittung” (πιττάκιον, χειρόγραφον) 22 - Paul expresses his thanks for the financial support that he had received from the Philippians (cf. also similar remarks: 1: 5-7; 2: 25-30). 23 As Klaus Wengst has pointed out, Paul’s expression of thanks (Phil 4: 10-20) reflects the apostle’s freely chosen way of life: “Die Lebensweise als ταπεινός ist-… für Paulus-… nicht ihm von vornherein vorgegebener Zwang, sondern bewußte Wahl” (cf. also 2 Cor 11: 7). 24 At the same time, Paul’s reaction to the Philippians’ gift and care reflects a deeper and a more nuanced understanding of the nature of humility: Since Paul in general insists on rejecting any kind of wages that are paid by the communities to reward the apostle for his apostleship - here we meet one of the crucial principles of Paul’s self-understanding as apostle, which is even contrary to early Christian missionary practices (1 Cor 9: 14) - he has to show humbleness when receiving a gift since he has to give up his understanding of his apostolic ministry. The attitude of humility, implying a waiver of rights, forces Paul to accept wages from the community. In this case, humility does not consist in refraining from wages and possibly comfortable living-conditions, but rather in receiving financial support and donations. 2.7. Genus humile and genus medium In general, Paul’s letter-writing is stylistically performed as genus humile . 25 This applies also to his epistolary style of writing to the Philippians. Only Phil 2: 6-11 might be an exception: this passage functions as a narrative exemplum 22 H. D. Betz, Der Apostel Paulus , 16. 23 Cf. J. Reumann, Philippians , 676. 24 K. Wengst, “Begriff,” 431. 25 Cf., e.g.: Cicero, inv 1.15.20; Rhet Her 4.8.11. Cf. H. Lausberg, Elemente , 154: The genus humile “hat wenig ornatus , da es nur lehren ( docere ) und beweisen ( probare ) will. Seine virtutes sind so puritas und perspicuitas .” 148 VIII Paul as homo humilis 3. Results and perspectives 149 which is arranged in a specific literary style; by this exemplum Paul depicts ταπεινοφροσύνη as the materia of his argument. In Phil 2: 6-11 Paul thus shapes a condensed literary text by which he moves from the genus humile to the genus medium in order to reach the affect of ethos . 26 In his letter to the Philippians, Paul’s self-understanding for the most part coincides with his literary style of writing. Since Paul especially in this letter makes humility to become the key term of his apostolic ministry, Christology, and ecclesial ethics, it is particularly this letter in which Paul can exemplify or even identify himself as a homo humilis. 3. Results and perspectives In Philippians, Paul uses the self-chosen literary image of a homo humilis in order to mold himself in close conformity with Christ. On the one hand, Paul’s self-molding as a homo humilis functions as a literary strategy in that it enables the apostle to enforce obedience and a mimetic approach to ethics ( imitatio ) among his readers. It is evident to Paul how promising and demanding the practice of humility is (Phil 2: 6-11): he points out impressively how the installation of Christ as a cosmic ruler ensues from his practice of humility and obedience. At the same time, humility can only be practiced by people of high rank - like kings. 27 Humility - as presented by Paul - presupposes a king-like status, as John Chrysostom will later argue as well. 28 When Paul in his letter-writing to the Philippians makes humility to be the key principle of conformity with Christ, he does no less than prepare his audience in epistolary terms for the experience of a Christ-believing kingship. On the other hand, the homo humilis image finally reveals itself to be more than a crucial literary concept of Paul, the letter-writer, who performs as a “ homo novus ”: The homo humilis concept is - if we apply Adolf Deissmann’s terminology 29 and expand it further - a “self-made” image by which Paul wants no less than to strengthen the community among and with his reading audience: Paul wishes to prepare himself and his readers for conformity with Christ. The self-fashioning as a homo humilis is initially conceptualized as part of a rhetorical strategy, but it soon transforms into Paul’s narrative image, and from here it finally becomes - as a kind of an alter ego - a pattern of literary 26 Cf. H. Lausberg, Elemente , 154. 27 Cf. Solomon: 3 Kgs 3: 5-9LXX. 28 Hom Phil 7. John Chrysostom, Homilies , 120-121. 29 Cf. A. Deissmann, Paulus , v and 53. Cf. also E.-M. Becker/ J. Mortensen, “Introduction; ” O. Wischmeyer, “Paul; ” A. Mehl, “Homo Novus” and H. van der Blom, “Reception.” anthropology which is, as we could see earlier, applied and reused in various ways within the Seneca-Paul-correspondence. The more the apostle identifies himself with ταπεινοφροσύνη, the more Paul and his letter-writing function as concrete and even personalized examples of how to practice humility. In this multi-dimensional way of self-fashioning as homo humilis , then, Paul creates an innovative pattern of epistolary self-conceptualization, so that the apostle finally - as a homo humilis - appears to be a homo novus . In that sense, Deissmann has certainly pointed at something which is and will remain fundamental to our understanding of Paul’s place in literary and intellectual history: “es gibt keinen Einzigen aus den Tagen Neros, der in den Seelen der Menschen dauernd solche Spuren hinterlassen hat, wie der homo novus Paulus.” 30 Bibliography Adler, L., The Biblical View of Man (transl. by D. R. Schwartz; Jerusalem: Urim, 2015). 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Dihle, “Antike Höflichkeit und christliche Demut,” in: Studi Italiani di Filologia classica 26 (1952) 169-190; reissued in: Ausgewählte Kleine Schriften zu Antike und Christentum (ed. A. Dihle; JbAC 38; Münster: Aschendorff, 2013), 1-14. T. J. Fitzgerald, “The Passions and Moral Progress. An Introduction,” in: Passions and Moral Progress in Greco-Roman Thought (ed. J. T. Fitzgerald; London: Routledge, 2008), 1-25. A. Fürst, “Einführung,” in: Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus (ed. A. Fürst et al.; Sapere XI; Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 3-22. A. Fürst, “Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus,” in: Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus (ed. A. Fürst et al.; Sapere XI; Tübingen: Mohr Siebeck, 2006), 23-82. D. Konstan, Before Forgiveness. The Origins of a Moral Idea (Cambridge: Cambridge University Press, 2010). D. Krueger, Writing and Holiness. 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Zur literarischen Welt des Briefeschreibers Paulus IX Paulus als frühkaiserzeitlicher Briefeschreiber Paulus von Tarsus 1 ist eine derjenigen Personen in der Antike, über die wir vor allem deshalb viel wissen, weil Paulus über sich selbst schreibt, also autobiographisch tätig ist. Nur wenige antike Personen und Autoren lassen sich so wie Paulus über ihr autobiographisches Schreiben erfassen - dies gilt insbesondere für antike jüdische Autoren, die großenteils nicht unter ihrem eigenen Namen, also orthonym, schriftstellerisch tätig sind. Aber auch über das hellenistische Judentum hinaus ist Paulus als frühchristlicher Missionar und Briefeschreiber eine herausragende Gestalt, die von Religionshistorikern, Theologen und Philologen wie beispielsweise von Adolf Deissmann (1866-1937) gern auch als „homo novus“ bezeichnet wurde 2 . Was aber ist das neue und besondere an Paulus und an seinen Briefen? Es ist die Art, wie und aus welcher Situation Paulus seine Briefe schreibt, die ihn aus der Menge hellenistisch-römischer und frühjüdischer Briefeschreiber und Schriftsteller heraushebt. Paulus schreibt in seinen Briefen regelmäßig über sich selbst: Er berichtet über seine Herkunft und seinen Werdegang, über seine Krankheit und seine Todeserwartung. Er erzählt über seine Beauftragung zum Aposteldienst und seine Erfahrungen bei seiner missionarischen Tätigkeit - sei es auf Reisen oder in den Ortsgemeinden. Er teilt Freude und Hoffnung, aber auch Erfahrungen von Inhaftierungen, Todesgefahren, Leid und Schmerzen mit und verschweigt selbst seine „Tränen“ nicht, die er in persönlicher Abwesenheit von den Gemeinden weint, wenn er die Adressaten vermisst oder sich von ihnen unverstanden fühlt. Paulus gibt deutlich zu erkennen, wo seine Stärken und Möglichkeiten, aber auch wo seine Schwächen und Grenzen liegen. Er versteht sich als Apostel, der davon getrieben ist, das „Evangelium“ als Botschaft von der göttlichen Offenbarung in Jesus Christus weltweit um jeden Preis zu verkündigen. Aus seinen Briefen ergibt sich ein deutliches, wenn auch nicht vollständiges Bild von einer bedeutenden Person aus dem 1. Jahrhundert, die als Missionar und Gemeindegründer, Organisator, Lehrer und Briefeschreiber gewirkt hat und die am Ende vermutlich zu einem der ersten christlichen Märtyrer wurde. Die Briefe stellen 1 Zu grundlegenden Einführungen in Paulus, die antike Epistolographie und die Welt des frühesten Christentums: O. Wischmeyer (Hg.), Paulus ; F. W. Horn (Hg.), Paulus Handbuch ; H.-J. Klauck, Briefliteratur ; U. Schnelle, Jahre ; M. Öhler, Geschichte ; D.-A. Koch, Geschichte . 2 Vgl. O. Wischmeyer, „Paul: A Homo Novus? “, 55-70. 156 IX Paulus als frühkaiserzeitlicher Briefeschreiber den Schlüssel zur Person des Paulus dar 3 , so wie die Person des Paulus 4 ein wichtiger, vielleicht der wichtigste Schlüssel zur Entstehung und zur frühen Ausbreitung des Christentums ist. 1. Paulus von Tarsus und seine Zeitgenossen im 1. Jh. n.Chr. Paulus ist wie drei andere Männer, die die Kultur- und Religionsgeschichte des 1. Jahrhunderts nachhaltig geprägt haben, in der Regierungszeit des Kaisers Augustus (30 v.-14 n. Chr.) geboren: Jesus von Nazareth, Philo von Alexandria, Seneca d. J. und Paulus sind Zeitgenossen. Sie stammen aus verschiedenen Orten der damals bekannten Welt und sind - ohne einander je persönlich begegnet zu sein - in unterschiedlicher Weise in die politisch bewegte Geschichte des 1. Jahrhunderts n. Chr. eingebunden, in der Rom den Mittelmeerraum beherrschte und dabei auch in ernste Konflikte mit dem jüdischen Volk geriet (Erster jüdisch-römischer Krieg: 66-70 n. Chr.). Seneca d.J . 5 wurde im andalusischen Cordoba, dem südlichen Spanien, geboren - er stammt aus einer römischen Provinz im Westen des Imperium Romanum . Als Kind aus wohlhabendem Hause gelangte er schon früh nach Rom, wo er den größten Teil seines Lebens teils als Freund, teils als Feind des julisch-claudischen Kaiserhauses verbrachte. Seneca war Erzieher Neros und betätigte sich als stoischer Philosoph und Schriftsteller. Er wurde durch sein philosophisch-literarisches Briefeschreiben ( epistulae morales ) bekannt: Die Briefe sind fiktiv an seinen Freund Lucilius gerichtet und behandeln wichtige Fragen der Lebensdeutung und Ethik aus stoischer Perspektive. Auch Paulus stammte aus der Provinz, aber anders als Seneca aus dem geographisch im Osten gelegenen Teil des Imperium Romanum , nämlich aus Kilikien im südöstlichen Kleinasien. Erst gegen Ende seines Lebens kam Paulus nach Rom: In Jerusalem unter dem Vorwurf der Entweihung des Tempels verhaftet (Apg 21,28), wurde der frühchristliche Missionar, der wohl römischer Bürger (z. B. Apg 22,28) war, um 60 n. Chr. als ein Gefangener nach Rom überführt und erwartete dort den Fortgang seines Prozesses. Schon vor seiner Inhaftierung in Rom war Paulus als Briefeschreiber aktiv. Er wurde - noch stärker und umfassender als Seneca - durch sein Briefeschreiben weltbekannt. Anfänglich schrieb er an Gemeinden in Griechenland, die er zuvor gegründet hatte (1. Thessalonicherbrief). Noch in 3 Vgl. insgesamt: E.-M. Becker/ P. Pilhofer (Hg.), Biographie. 4 Vgl. E.-M. Becker „Person“. 5 Zur grundlegenden Einführung in Seneca: S. Bartsch/ A. Schiesaro (Hg.), Seneca . 1. Paulus von Tarsus und seine Zeitgenossen im 1. Jh. n.Chr. 157 seiner Gefangenschaft in Caesarea und Rom wendete er sich dann an seine Gemeinden wie an Freunde (Philipperbrief) - dabei den baldigen Tod vor Augen. Seneca und Paulus 6 reflektieren in ihren Briefen ethische Grundfragen des Lebens und bedenken dabei auch ihr eigenes Schicksal mehr oder weniger in autobiographischer Form. Immer wieder steht dabei die Frage im Mittelpunkt, wie der Mensch angesichts des Todes und der Kürze des Lebens ethisch gut und richtig leben könne. Beide Briefeschreiber, die sich in Rom wohl niemals persönlich begegnet sind, wurden zudem in hohem Alter zu Opfern der neronischen Despotie: Paulus starb vermutlich unter der neronischen Verfolgung Anfang der 60er Jahre (1 Clem 5; Tacitus, ann 15). Seneca wurde als Mittäter in der Pisonischen Verschwörung von Nero zum Selbstmord gezwungen (vgl. Tacitus). So sind Paulus und Seneca - nicht zufällig - Zeitgenossen in jenen aufregenden Jahren in Rom, in denen das julisch-claudische Kaiserhaus politisch an sein Ende kam. Ein anonymer Schriftsteller des späten 4. Jhs. n.Chr. 7 griff diese Zeitgenossenschaft in ganz eigener Weise literarisch produktiv auf: Er ließ Paulus und Seneca fiktiv miteinander brieflich kommunizieren und diskutieren. Allerdings ist dieser Briefwechsel mehr durch die Idee, dass Paulus und Seneca Briefe ausgetauscht haben könnten, als durch konkrete ethische, philosophische oder religiöse inhaltliche Fragen charakterisiert. Der späte Rom-Aufenthalt des Paulus Anfang der 60er Jahre war sicher eine entscheidende Phase in seinem Leben, wenngleich diese Phase in den literarischen Quellen nur schwach dokumentiert ist. Immerhin wissen wir, dass Paulus, wie er es gewünscht hatte, das caput mundi erreichte. Durch seine ausgiebige Reisetätigkeit in der Mittelmeerwelt und seine Ambition, die Grenzen der Welt, also Spanien, von Rom aus zu erreichen, erweist sich Paulus als ein antiker, genauer: ein antik-jüdischer Kosmopolit. Das verbindet ihn mit dem jüdischen Schriftsteller Philo von Alexandria, der mit einer Gesandtschaft alexandrinischer Juden 39/ 40 n. Chr. nach Jerusalem zu Kaiser Caligula reiste, um Wiedergutmachung für entstandene Schäden bei einem Judenpogrom in Alexandria zu verlangen (Philo, Legat ; Josephus, ant 18,8,1). Wie Philo ist Paulus ein Diasporajude: Er ist dem griechischsprachigen und damit dem westlich geprägten Teil der antiken jüdischen Diaspora zuzurechnen, die sich von Babylon bis nach Rom erstreckte 8 , und hat gerade daraus seinen missionarischen und literarischen Erfolg bezogen. Besonders antike Diasporajuden waren durch eine hohe Mobilität gekennzeichnet: Allein schon, um den Tempel in Jerusalem, das religiöse Zentrum des Judentums, zu besuchen, mussten sie durch die Mittelmeerwelt 6 Zu Seneca und Paulus zuletzt: J. R. Dodson/ D. E. Briones (Hg.), Paul and Seneca . 7 Vgl. A. Fürst, Briefwechsel , 10. 8 Vgl. D. Mendels/ A. Edrei, Diaspora . 158 IX Paulus als frühkaiserzeitlicher Briefeschreiber reisen. Anders als Philo, der politisch und kulturell fest in Alexandria beheimatet war und vielleicht nur einmal die Wallfahrt nach Jerusalem unternommen hat, war Paulus eng an Jerusalem gebunden: Hier hatte er seine pharisäische Ausbildung absolviert (Apg 22,3), und hierhin kehrte er auch später als ‚Heidenapostel‘ mehrmals zurück. Denn Jerusalem spielte als Ort der Hinrichtung Jesu von Nazareth, also als Memorialstätte, schon im frühesten Christentum eine besondere Rolle: Hier wurden seit etwa 33 n. Chr. die Passionsüberlieferungen gesammelt und gedeutet, weil sich auch hier die erste Gemeinde von Christus-Gläubigen ansiedelte (Apg 2,42-47), und hier fand das erste Apostelkonzil statt (ca. 48 n.Chr.: Apg 15,4-29; Gal 2). So folgt das Schicksal des Paulus dem Schicksal eines Zeitgenossen in besonderer Weise nach - die Rede ist von Jesus von Nazareth. Wie der prophetische Wanderprediger Jesus von Nazareth, der aus dem galiläischen Nazareth, also dem Norden Palästinas, etwa 100 km von Jerusalem entfernt, stammte, war und blieb Paulus, der zum Apostel berufene Pharisäer, Jude. Er blieb auch bei aller Kritik am Judentum seiner Zeit der jüdischen Religion eng verbunden. So sehr sich Jesus von Nazareth und Paulus nach Herkunft, Biographie und Wirkung auf die Nachwelt unterscheiden, so sehr verbindet beide, die sich historisch niemals face-to-face begegnet sind, ihr gewaltsamer Tod - wenngleich in unterschiedlichen Lebensaltern ( Jesus als jüngerer Mann: ca. 33 n. Chr. in Jerusalem, Paulus als ‚Greis‘, d. h. als älterer Mann vermutlich im Rahmen der neronischen Verfolgung). Daneben haben Jesus und Paulus - wie nur wenige Juden vor oder nach ihnen - die größte Wirkung auf die Entwicklung der antiken Religionen insgesamt entfaltet: Ihre Absicht, das Judentum zu restaurieren oder reformieren, hat im Ergebnis bewirkt, dass aus einer religiösen Bewegung zunächst eine religiöse Gruppierung wurde, die einer jüdischen ‚Sekte‘ ( hairesi s) vergleichbar war und die im Laufe der folgenden ca. 250 Jahre die Grundlagen dazu legte, eine Weltreligion zu werden: das Christentum. Schon der frühchristliche Schriftsteller, den wir Lukas nennen, hat um 90 n. Chr. die prägende Zeitgenossenschaft von Jesus und Paulus nicht nur erkannt, sondern auch literarisch gedeutet 9 . 9 Zur Frage der literarischen Parallelisierung im lukanischen Doppelwerk s. zuletzt dazu R. I. Pervo, Acts , 9ff. 2. Paulus von Tarsus aus der Sicht des Lukas 159 2. Paulus von Tarsus aus der Sicht des Lukas Neben den Paulusbriefen ist das literarische Werk des Lukas die wichtigste Quelle zum Leben und Wirken des Paulus. Auch wenn dieses Werk durchaus einen historiographischen Anspruch erhebt, so ist es doch nicht ohne Tendenz verfasst. Um Paulus als historische Person angemessen zu erfassen, müssen wir das lukanische Werk daher kritisch lesen und seine Tendenzen aufdecken und bewerten. Eine dieser Tendenzen besteht darin, dass der dritte Evangelist in seinen beiden Büchern, die er seinem Patron Theophilus widmete - dem Lukasevangelium und der Apostelgeschichte -, Jesus und Paulus eng auf einander bezogen hat: Im Evangelium berichtet Lukas über das Leben und Wirken Jesu von seiner Geburt bis zu seinen wunderhaften Erscheinungen an Ostern und seiner anschließenden Himmelfahrt (Lk 24). In der Apostelgeschichte setzt Lukas diese Erzählung so fort, dass der auferstandene Jesus nun vor seiner Entrückung in den Himmel seinen Jüngern und Schülern einen Missionsauftrag erteilt: Sie sollen seine Zeugen sein - von Jerusalem über Samaria bis zu den Enden der Welt (Apg 1,8). Lukas bleibt den historischen Fakten durchaus treu, denn er erzählt nichts darüber, dass Paulus schon bei diesem Kreis österlicher Zeugen dabei gewesen wäre. Paulus wird erst deutlich später als die anderen Jünger und Apostel beauftragt (Apg 9; vgl. auch 1 Kor 15,8). Und doch ist Paulus für Lukas derjenige Missionar, der den Verkündigungssauftrag Jesu offenbar besonders erfolgreich realisiert hat. So steht er von Kapitel 13 an im Zentrum der Erzählung der Apostelgeschichte: Nach der historiographischen Konzeption des Lukas unternimmt Paulus drei große Missionsreisen (Apg 13-20) und führt damit programmatisch fort, was Jesus mit seiner Wanderschaft von Galiläa nach Jerusalem begonnen hatte (Lk 9,51-19,27). So prägt die Zeitgenossenschaft von Jesus und Paulus die historiographische Komposition des lukanischen Doppelwerkes - der ältesten und wichtigsten literarischen Quelle zur Geschichte des frühen Christentums. Und doch bleiben in diesen parallel angelegten Erzählungen über die Anfänge und die frühe Verbreitung der Evangeliums-Verkündigung zwei wichtige Fakten unerwähnt: Obwohl wir erstens davon ausgehen können, dass Lukas über die gewaltsamen Todesumstände des Paulus in Rom informiert war (Apg 20,22, 21,11), berichtet er nicht darüber. Die Apostelgeschichte endet vielmehr mit dem Hinweis darauf, dass sich das paulinische Wirken in Rom trotz der Gefangenschaft des Apostels fortsetzt (Apg 28,30-31). Lukas geht es also offenbar darum, am Ende der Evangelienerzählung und am Ende der Apostelgeschichte über den erfolgreichen Fortgang der Verkündigung berichten zu können: Als Auferstandener konnte Jesus Paulus mit der Weiterführung seiner Mission beauftragen, und 160 IX Paulus als frühkaiserzeitlicher Briefeschreiber auch Paulus hält - trotz Gefangenschaft - an seinem Verkündigungsauftrag fest. So scheitert die paulinische Mission in Rom nicht. Frappierend ist zweitens , dass Lukas nicht darüber berichtet, dass Paulus - deutlich anders als Jesus - Schriftliches hinterlassen, ja mehr noch: auf seinen Reisen und in den Gemeinden verschiedene Briefe mit großer Sorgfalt und Überlegung geschrieben hat, die in den Gemeinden aufbewahrt wurden. Wir können sogar sagen, dass die paulinische Epistolographie - und nicht die Evangelienschreibung oder das lukanische Doppelwerk - die frühchristliche Literaturgeschichte überhaupt begründet hat. Denn indem Paulus mit seinen Briefen den Rahmen mündlicher Verkündigung und persönlicher Kommunikation verließ, hat er die Literarisierung im frühesten Christentum nicht nur initiiert, sondern auch entscheidend geprägt. Für Lukas indes ist Paulus zuerst ein Missionar und ein eindrucksvoller Rhetor, der die popularphilosophischen Debatten seiner Zeit kennt und vorantreibt (vgl. z. B. die Rede auf dem Areopag in Athen: Apg 17,22-34) 10 . Dass Paulus auch als Briefeschreiber begabt und erfolgreich war und hierin sogar dem Seneca vergleichbar ist, hat Lukas nicht erkannt oder nicht erkennen wollen. Jedenfalls spielen die Paulusbriefe in der Apostelgeschichte keine erkennbare Rolle. Es lässt sich nur vermuten, dass Lukas dann, wenn er dem Paulus, so wie es in antiken historiographischen Erzählungen üblich war, längere Reden in den Mund legt, durchaus auf die Paulusbriefe als Quellen zurückgreift (z. B. Abschiedsrede an die Ältesten in Ephesus: Apg 20,17-35). 11 Als literarischen, gar philosophischen Briefeschreiber, stilisiert Lukas den Paulus hingegen nicht. Dass die Paulusbriefe durchaus den antiken philosophischen Briefen vergleichbar sind, meint indes nicht nur der schon genannte Anonymus aus dem 4. Jh. Auch in der modernen Literaturgeschichtsschreibung wird die literarische Nähe der paulinischen Briefe zu den Philosophenbriefen zunehmend gesehen und gewürdigt 12 . Zudem wird gegenwärtig verstärkt die gedankliche Nähe des Paulus zur griechisch-römischen Philosophie, etwa der stoischen Philosophie, herausgestellt 13 . Und doch werden in epistolographischer Hinsicht die Form und Funktion der Paulusbriefe nur dann angemessen erkannt, wenn sie auch vor dem Hintergrund der Reise- und Missionstätigkeit ihres Verfassers gedeutet werden. 10 Vgl. dazu insgesamt auch A. J. Malherbe, Paul . 11 Vgl. dazu E.-M. Becker, „‚Paul‘“. 12 Vgl. M. Hose, Literaturgeschichte , 213. 13 Vgl. T. Engberg-Pedersen, Cosmology . 3. Paulus von Tarsus, der reisende Briefeschreiber 161 3. Paulus von Tarsus, der reisende Briefeschreiber Während die literarischen Briefen Senecas in seinem bequemen Landhaus in der Nähe von Rom verfasst wurden, schrieb Paulus als reisender Apostel, der keinen festen Wohnsitz und kein eigenes Anwesen hatte. Wenn Paulus seine Briefe mit apostolischer Autorität schreibt, so heißt dies auch, dass er sich als ein von Gott beauftragter Missionar und Gemeindeleiter versteht, der ständig unterwegs ist und nicht immer bei seinen Gemeinden persönlich präsent sein kann. Die Briefe entstehen in der Situation persönlicher Abwesenheit und mit der Perspektive einer fortdauernden Missions- und Reisetätigkeit. Als ein solcher Missionar hat Paulus - wenngleich mit geographischer und kultureller Orientierung in den Westen - weite Teile des östlichen römischen Imperiums bereist 14 : den syrisch-arabischen, kleinasiatischen und ganz ausführlich den griechischen Raum. So ist das paulinische Briefeschreiben zuerst und grundsätzlich in den Zusammenhang seiner missionarischen und gemeindeleitenden Reiseaktivität einzuzeichnen. Folgen wir hier der lukanischen Darstellung in der Apostelgeschichte, so ist Paulus zwischen etwa 44 und 60 n. Chr. auf drei großen Missionsreisen und zuletzt als Gefangener auf einer Überfahrt nach Rom unterwegs gewesen. Vielfach wurde Paulus dabei von seinen Mitarbeitern begleitet. Wie aber sahen die Reiserouten des Paulus aus? Ein Blick in die Reiseberichte, die sog. Itinerarien, die sich in der Apostelgeschichte finden, verdeutlicht, wie aufregend und abenteuerlich, teils lebensgefährlich Paulus reiste. Dabei war er meist zu Fuß und nur ungern per Schiff unterwegs. Eine erste sog. Missionsreise führte Paulus und seine Mitarbeiter Barnabas und Johannes Markus von Seleucia, dem Hafen Antiochiens, nach Zypern. Paulus predigte in Salamis und Paphos. In Kleinasien bereiste er die Landschaften Pamphylien mit Perge, Pisidien mit dem pisidischen Antiochien und Ikonium sowie Lykaonien mit Lystra und Derbe. Der Rückweg führte ihn auf derselben Strecke nach Attalia und von dort zu Schiff zurück nach Antiochia. Paulus selbst hat diese Reise sehr knapp als Reise nach Syrien und Kilikien beschrieben (Gal 1,17ff.). Nach Darstellung der Apostelgeschichte schließt sich hier die Reise nach Jerusalem zum sog. Apostelkonvent an (Apg 15; Gal 2). Darauf folgen umfangreiche mehrjährige Reisen durch Kleinasien und Griechenland, die 48 oder 49 n. Chr. beginnen. Paulus zog von Antiochien am Orontes nach Syrien und Kilikien, von dort durch die kilikische Pforte über Derbe und Lystra nach Phrygien und Galatien. Eine genaue Lokalisierung der Orte ist teilweise schwierig (z. B. „Galatien“) - nicht zuletzt, weil die römischen Provinzgrenzen im 1. Jh. sich verändern und deshalb gerade für die Zeit des Paulus unsicher bleiben. 14 Vgl. dazu die unter Anm. 1 genannte Literatur. 162 IX Paulus als frühkaiserzeitlicher Briefeschreiber Im Anschluss wendete er sich nach Westen, nach Mysien, und erreichte bei Troas das Meer. Paulus kam allerdings weder nach Bithynien noch nach Asia. Stattdessen wurde er, wie Lukas erzählt, durch eine nächtliche Erscheinung nach Makedonien gerufen (Apg 16,9-10), d. h. nach Europa - wobei ihm der von Herodot stammende Begriff wohl nicht vertraut war. Um nach Makedonien zu gelangen, fuhr Paulus von Troas über Samothrake nach Neapolis (heute: Kavalla): Er vermied also die Überquerung des Hellespont bzw. den Umweg über Nikomedien und Byzantium. Über Philippi und Amphipolis zog er nach Thessaloniki, weiter über Beröa nach Athen und 50 n. Chr. nach Korinth, wo er anderthalb Jahre blieb, als Zeltmacher arbeitete (Apg 18,3) und für seinen Unterhalt selbst sorgte (1 Kor 9). Während dieser Zeit gründete er eine vitale Gemeinde, mit der er in der Folgezeit eine umfangreiche Korrespondenz hatte (vgl. 1 Kor 5,9; 7,1). Von Kenchrea aus fuhr er dann zu Schiff nach Ephesus, von dort aus später wieder nach Caesarea und Jerusalem und kehrte schließlich wieder nach Antiochia zurück. Eine neue große Reise führte Paulus 55/ 56 n. Chr. nach Galatien und Phrygien, wieder nach Ephesus, von dort durch ganz Griechenland bis an die illyrische Grenze, über Korinth, Thessaloniki, Philippi Troas, Assos, Mitylene, Samos nach Milet. Die Reise ging über Kos, Rhodos, Patara in Lykien, an Zypern vorbei nach Tyros und von dort nach Caesarea und zu Fuß nach Jerusalem. Hier geriet Paulus um 56 n. Chr. in Gefangenschaft, appellierte als römischer Bürger an den Kaiser und wurde nach langem juristischem Hin und Her im Jahre 58 auf die Reise nach Rom geschickt, allerdings als Gefangener. Die Romreise begann in Caesarea, führte über Sidon nach Myra in Südkleinasien, weiter auf die Höhe von Knidos, schließlich nach Kreta. In Kaloi Limenes wollte der Kapitän nicht bleiben und machte sich nach Phoenix auf, um dort den Winter abzuwarten und im Frühling weiter nach Puteoli zu segeln. Die kurze Strecke zwischen Kaloi Limenes und Phoenix wurde dem Schiff zum Verhängnis: Es geriet in einen schweren Herbststurm und wurde bis nach Malta abgetrieben. Nach den drei Wintermonaten fuhr die Gruppe mit einem alexandrinischen Schiff weiter nach Syrakus und Rhegion, schließlich landeten sie in Puteoli. Den Rest des Weges legte Paulus, wie schon erwähnt, zu Fuß zurück und gelangte im Frühjahr 59 in die Hauptstadt, die er nicht mehr verlassen sollte. Paulus hat diese Reisen unternommen, weil er, wie er selbst schreibt, seit seiner Beauftragung zum Missionar unter den „Heiden“ davon getrieben war, christus-gläubige Gemeinden zu gründen und zu leiten. Er hoffte, dass, wenn er bis an die Enden der damals bekannten Welt, nämlich bis nach Spanien, kommen und die Menschen zum Glauben an Christus bekehren könnte, auch die nicht Christus-gläubigen Juden ihre „Verstockung“ aufgeben würden (Röm 9-11). So war Paulus ein getriebener reisender Missionar, der zugleich in Kom- 3. Paulus von Tarsus, der reisende Briefeschreiber 163 munikation mit seinen Gemeinden bleiben wollte, wenn er persönlich nicht anwesend war. Paulus fürchtete nämlich, dass gegnerische Missionare in die Gemeinden eindringen und sich gegen ihn persönlich stellen (2 Kor 10-13) würden oder die Gemeinden von der paulinischen Lehre einer gesetzesfreien Mission (Galaterbrief) abbringen könnten. So kämpft Paulus in vielen Briefen sachlich wie persönlich für sein missionarisches Wirken und Lehren, bei dem er die Kategorien von Glaube, Hoffnung, Liebe oder Demut über die Befolgung kultischer oder ritueller Regeln stellt. In dieser Funktion als Missionar und Gemeindeleiter hat Paulus mindestens sieben, wahrscheinlich (weitaus) mehr Briefe verfasst - nicht alle Briefe sind uns überliefert worden. Die Briefe, die uns überliefert sind, stammen aus der zweiten Hälfte der paulinischen Wirksamkeit. Sie sind frühestens in die Zeit der zweiten Missionsreise zu datieren, d. h., sie sind in einer Zeitspanne von etwa 10-12 Jahren geschrieben worden (zwischen ca. 49 und 60/ 62 n. Chr.): 1. Thessalonicherbrief, 1. und 2. Korintherbrief, Galaterbrief, Römerbrief, Philipperbrief und Philemonbrief. Briefe aus der frühesten Phase der missionarischen Tätigkeit des Paulus, d. h. aus den ersten ca. 17 Jahren seiner Mission in der Arabia, Syrien, Kilikien oder speziell Antiochia (vgl. Gal 1,17-21), sind uns hingegen nicht bekannt. So scheint das paulinische Briefeschreiben in erster Linie durch die Notwendigkeit motiviert zu sein, die missionarische Aktivität unter den „Heiden“ im mittleren und westlichen Kleinasien sowie in Griechenland zu legitimieren und dabei auch möglichen gegnerischen Versuchen der Rücknahme des ‚gesetzesfreien Evangeliums‘, wie Paulus seine Botschaft umschreibt, in den Gemeinden entgegenzuwirken. Diese Vermutung wird auch durch die Briefe selbst gestützt, denn Paulus zeigt sich oftmals kämpferisch und apologetisch (2 Kor 10-13; Gal). Dabei spielt seine eigene Biographie eine durchgehend wichtige Rolle in der Argumentation (2 Kor 12; Gal 1-2; Phil 3). Paulus kann und will sich autobiographisch mitteilen und sich und seine Sache verteidigen, weil seine Briefe überwiegend an die von ihm besuchten und teils selbst von ihm gegründeten Gemeinden, d. h. an ihm bekannte Adressaten gerichtet sind. In seinen Briefen erzählt Paulus auch über konkrete Erfahrungen als Reisender, über Leiden und Entbehrungen - wir nennen solche Kurzberichte „Peristasenkataloge“: „Dreimal habe ich Schiffbruch erlitten, einen Tag und eine Nacht trieb ich auf hoher See, oft auf Reisen (Wegstrecke, Wanderung, Reise), in Gefahr durch Flüsse, in Gefahr durch Räuber, in Gefahr durch meine Landsleute, in Gefahr durch Heiden, in Gefahr im Stadtbereich, in Gefahr in der Wüste, in Gefahr auf See, in Gefahr durch falsche Brüder, in Mühe und Plage, oft in Nachtwachen, in Hunger und Durst, oft in Fasten, in Kälte und Blöße“ (2 Kor 11,25-27). 164 IX Paulus als frühkaiserzeitlicher Briefeschreiber In 2 Kor 12,1-10 findet sich eine autobiographische narratio . Paulus stellt hier den Korinthern seine esoterische Entrückungserfahrung als eine Himmelsreise dar. Zu reisen, Entbehrungen zu leiden und keinen festen Wohnort zu haben, ist also ein wichtiges Motiv im paulinischen Denken und Briefeschreiben. Daneben betätigt sich Paulus in seinen Briefen aber auch als Lehrer: Er ermahnt und tröstet seine Adressaten in persönlicher Abwesenheit ( parousia -Motiv) und versteht sich als Freund, als Vater oder als Erzieher der Gemeinden. So stellen die Paulusbriefe eine Seite einer durchaus lebendigen Kommunikation dar. Aus dieser Kommunikation entsteht vielfach dann eine gelehrte theologische Argumentation 15 . Dies lässt sich besonders an 1 und 2 Kor zeigen, wo aus der Kommunikation mit den Adressaten in Korinth über vielfältige konkrete religiöse und ethische Fragen wie Sexualität und Ehe, das Gemeindeleben oder die Auferstehung (1 Kor 5-7 und 12-15) umfassende theologische Gedankengänge entwickelt werden. Der Hymnus über die „Liebe“ ( agape ) in 1 Kor 13 - einer der wohl bekanntesten und bedeutendsten Texte der Weltliteratur - ist in einem solchen Zusammenhang entstanden. Nur der Römer- und der Philemonbrief bilden in verschiedener Hinsicht literarische Ausnahmen. Im Römerbrief schreibt Paulus an eine ihm noch nicht bekannte Gemeinde: Er möchte seinen bevorstehenden Besuch in Rom vorbereiten und hofft auf eine Unterstützung seiner Spanienmission. Beim Philemonbrief handelt es sich speziell um einen an eine kleine Hausgemeinde gerichteten Bittbrief mit konkreter textlicher Funktion: Paulus bittet um die freundliche Aufnahme eines entlaufenen Sklaven - man könnte hier sogar von „Gebrauchsliteratur“ sprechen, wie wir sie aus der hellenistischen Alltagskultur kennen. Was aber wissen wir sonst darüber, wie die Briefe entstanden sind und verbreitet wurden? Bei der Mehrzahl der auf uns gekommenen Paulusbriefe können wir mit Co-Senderschaft rechnen: Paulus nennt im Präskript Mitarbeiter als Mitverfasser der Briefe. Nur in Galater- und Römerbrief begegnet Paulus zunächst als alleiniger Absender. Allerdings weisen der selbst zu Wort kommende Sekretär in Röm 16,22 und die autographische Zufügung des Paulus am Schluss des Galaterbriefes (6,11) darauf hin, dass Paulus seine Briefe wohl kaum mit eigener Hand geschrieben, sondern diktiert hat. Die Briefe gehen aus dem mündlichen Diktat hervor und zielen wiederum auf Mündlichkeit, denn sie werden in den Gemeinden laut vorgetragen (1 Thess 5,27; Röm 16,16). Für die Paulusbriefe literarisch typisch ist es, dass immer auch die Person des Paulus involviert ist. Paulus ist - ähnlich wie der römische Rhetor und Schriftsteller Cicero im 1. Jh. v. Chr. und anders als der philosophische Briefeschreiber Seneca - zunächst als situativer Briefautor tätig, der in geschichtlichen und biographi- 15 Vgl. E.-M. Becker, Letter Hermeneutics . Bibliographie 165 schen Zusammenhängen situative Schreiben an konkrete Adressaten verfasst und dabei autobiographisch spricht (z. B. Gal 1-2). Die Verwendung rhetorischer Mittel unterstützt diese enge Verbindung von Situation, Person und theologischer Argumentation. So inszeniert Paulus als situativer Briefeschreiber sich letztlich selbst in seinen Briefen auch als eine ‚literarische Person‘ und schafft damit die Voraussetzungen dafür, dass seine Briefe bereits zeitlebens nicht nur kopiert und gesammelt, sondern auch imitiert werden. Etliche Briefe, die im Namen des „Paulus“ kursieren, stammen sicher nicht von Paulus. Die im neutestamentlichen Kanon versammelten pseudepigraphen Paulusbriefe (2 Thess, Kol, Eph, 1 und 2 Tim und Tit) bilden den zeitlichen Anfang der paulinischen Pseudepigraphie, während jener anonyme Verfasser des Paulus-Seneca-Briefwechsels nur ein später pseudepigrapher Nachhall auf den frühkaiserzeitlichen Briefeschreiber Paulus ist. Das aus insgesamt sieben authentischen Paulusbriefen bestehende Corpus Paulinum ist klein - verglichen mit der Fülle von Briefen, die von Cicero oder Seneca überliefert sind. Und doch hat das paulinische Briefcorpus in seiner Wirkung auf die Nachwelt alle anderen antiken (und nachantiken) Briefcorpora übertroffen. Dies liegt nicht nur an der frühen Verbreitung, Abschrift, Sammlung und Kanonisierung der Paulusbriefe - ein Papyrus-Codex von etwa 200 n. Chr. bietet bereits eine protokanonische Paulusbrief-Sammlung (P 46 ) und zeigt damit an, dass die Paulusbriefe im 2. Jh. aus literarischen wie aus liturgischen Gründen gelesen und vervielfältigt wurden. Und der gallische Bischof Irenaeus (2./ 3. Jh.) ist einer der ersten, der die Paulusbriefe wörtlich zitiert und theologisch gedeutet hat. Die große Wirkung der paulinischen Briefe liegt auch nicht nur daran, dass die Paulusbriefe frühzeitig pseudepigraph imitiert, also vermehrt, und zugleich als Grundform christlicher Literatur genutzt und weiterentwickelt wurden (siehe die Ignatiusbriefe im 2. Jh. oder die Briefe des Bischofs Athanasius im 4. Jh. n. Chr.). Vielmehr liegt die literarische wie theologische Wirkung der Briefe auch in ihnen selbst, denn hier begegnet eine antike Person, die in einzigartiger Weise die Grundfragen ihrer Existenz im Lichte religiöser Hoffnung beschreibt und deutet. Bibliographie S. Bartsch/ A. Schiesaro (Hg.), The Cambridge Companion to Seneca (Cambridge: Cambridge University Press, 2015). E.-M. Becker, Letter Hermeneutics in 2 Corinthians. Studies in ‚Literarkritik‘ and Communication Theory ( JSNT.SS 279; London/ New York: T & T Clark, 2004). 166 IX Paulus als frühkaiserzeitlicher Briefeschreiber E.-M. Becker, „Person des Paulus“, in: Paulus. Leben - Umwelt - Werk - Briefe (UTB 2767; hg. O. Wischmeyer; Tübingen/ Basel: Francke, 2012 2 ), 129-141 - in diesem Band Nr. VII. E.-M. Becker, „Paul and ‚Paul‘: Paul’s letter to the Philippians in light of Acts 20: 18ff.“ - in diesem Band Nr. I. E.-M. Becker/ P. Pilhofer (Hg.), Biographie und Persönlichkeit des Paulus (WUNT 187; Tübingen: Mohr Siebeck, 2005/ 2009). J. R. Dodson/ D. E. Briones (Hg.), Paul and Seneca in Dialogue (Ancient Philosophy & Religion 2; Leiden: Brill, 2017). T. Engberg-Pedersen, Cosmology and Self in the Apostle Paul. The Material Spirit (Oxford: Oxford University Press, 2010). A. Fürst (Hg.), Der apokryphe Briefwechsel zwischen Seneca und Paulus. Zusammen mit dem Brief des Mordechai an Alexander und dem Brief des Annaeus Seneca über Hochmut und Götterbilder (SAPERE XI; Tübingen: Mohr Siebeck, 2006). F. W. Horn (Hg.), Paulus Handbuch (Tübingen: Mohr Siebeck, 2013). M. Hose, Kleine griechische Literaturgeschichte. Von Homer bis zum Ende der Antike (München: Beck, 1999). H.-J. Klauck , Die antike Briefliteratur und das Neue Testament. Ein Lehr- und Arbeitsbuch (UTB 2022; Paderborn etc.: Schöningh, 1998). D.-A. Koch, Geschichte des Urchristentums. Ein Lehrbuch (Göttingen/ Bristol: Vandenhoeck & Ruprecht, 2013 [2014 2 ]). A. J. Malherbe, Paul and the Popular Philosophers (Minneapolis: Fortress, 1989). D. Mendels/ A. Edrei, Zweierlei Diaspora. Zur Spaltung der antiken jüdischen Welt (Toldot 8; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2010). M. Öhler, Geschichte des frühen Christentums (UTB 4737; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018). R. I. Pervo, Acts. A Commentary (Hermeneia; Minneapolis: Fortress, 2009). U. Schnelle, Die ersten 100 Jahre des Christentums. 30-130 n. Chr. Die Entstehungsgeschichte einer Weltreligion (UTB 4411; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2019 3 ). O. Wischmeyer, Paul: „A Homo Novus? Adolf Deissmann’s Interpretation of Paul Revisited“, in: Paul as Homo Novus: Authorial Strategies of Self-Fashioning in Light of a Ciceronian Term (hg. E.-M. Becker/ J. Mortensen; SANt 6; Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018), 55-70. O. Wischmeyer (Hg.), Paulus. Leben - Umwelt - Werk - Briefe (UTB 2767; Tübingen/ Basel: Francke, 2006 [2012 2 ]). Englische Übersetzung: O. Wischmeyer (ed.): Paul. Life - Setting - Work - Letters (London/ New York: T & T Clark, 2012). X How and why Paul deals with traditions 1. Paul and the gospel “tradition” Paul, the apostle, does not claim to be the founder of Christianity but maintains that he mediates, facilitates and transmits the gospel as εὐαγγέλιον. At the same time, he develops crucial elements of early Christ believing, thinking and communicating by, for instance, shaping moral discourse and transforming the Jesus story “into a metaphorical complex.” 1 Phil 2: 6-11 might be an important example of how Paul - in the context of ethical teaching (Phil 2: 1ff.) provided by epistolary means - (re)shapes kerygmatic traditions (see Phil 2: 11). 2 As an epistolary activist, Paul might be called the founder of early Christian literacy. The Corinthian correspondence impressively documents how the apostle as a missionary, founder and leader of communities, moral teacher, letter writer and theologian constantly reacts to gospel interpretation at a time when Christian discourse was nascent and “Christianity” was in the making. We will take 1 Corinthians 15 as a point of departure for exploring how, within the framework of various early Christian discourses and approaches, Paul applies and transforms traditions that had so far only been passed on to him. 2. 1 Corinthians 15: 1-11 and 11: 23-25 In 1 Corinthians 15, Paul takes an explicit stand on his mediating role as apostle. 1 Corinthians 15 is a central, if not the most important Pauline text, not only with regard to the topic of my essay: it shows us how Paul is literally “forced” to deal with traditions and how he addresses this task and appears to be the argumentative “climax” of the whole letter. 3 Especially in verses 1-11, the issue of pre-Pauline tradition is addressed. What does this passage reveal to us? 1 W. A. Meeks, Origins , 86. 2 On the provenience of that tradition cf. lately: P. A. Holloway, Philippians , 114ff. (“… a piece of elevated prose produced by Paul precisely for the exhortation of Phil 2: 1-16,” ibid., 114), and E.-M. Becker, “Paulus in Philippi.” On the debate about the provenience in research history see also: E.-M. Becker, “Der Philipperbrief,” 304ff. 3 W. Schrage, Brief , 72. 168 X How and why Paul deals with traditions a) In 1 Corinthians 15: 8-11 the apostle concedes that he is the last witness of the Easter epiphanies. Paul makes a confession here, but clearly intends to transform the obvious deficiency of his apostleship into a strength. In Paul’s words, “Last of all, as to one untimely born, he [Christ] appeared also to me. For I am the least of the apostles, unfit to be called an apostle, because I persecuted the church of God. But by the grace of God I am what I am, and his grace toward me has not been in vain […]” (vv. 8-10a). In what follows, Paul defends his apostleship, which his opponents in Corinth constantly treat with hostility. Thus, Paul claims in a competitive and self-confident manner: “[…] I worked harder than any of them [= the apostles]” (v. 10b). It is not only in this Pauline passage that personal confessions and competitive claims go hand in hand. Paul constantly wishes to reinforce the power of his apostolic ministry. b) As Paul portrays himself as the last of the apostles and as a mediator: even though he has founded the Corinthian congregation by preaching the gospel (v. 1), and thus in his later letter-writing only needs to remind his addressees “of the good news that I proclaimed to you” (v. 1), he himself has only proclaimed (παρέδωκα) to the Corinthians orally “what I in turn had received” (v. 3a: παρέλαβον). Paul acknowledges that he is aware of his role as mediator: he is among the last of the first generation Christians and thus confronted with the stigma of being the “least.” c) Between his reminder about the beginnings of the gospel proclamation in Corinth (vv. 1-3a) and confessing that he is the “last” or even “least” apostle (vv. 8-11), Paul refers to the paradosis of the gospel’s content: “what I in turn had received: that Christ died for our sins in accordance with the scriptures, and that he was buried, and that he was raised on the third day in accordance with the scriptures, and that he appeared to Cephas, then to the twelve” (vv. 3b-5). Whether at this point Paul accurately quotes the early Christian message (kerygma) as a formula, or rephrases or formulates ad hoc what the kerygma, which he had earlier preached in Corinth, actually is about, continues to be a matter of debate in Pauline studies. The question to be examined is whether Paul deals with a specific pre-Pauline tradition here and, if so, what that looks like. 4 On the basis of linguistics (tradition terminology), word order, structure and motifs in vv. 3-5, Catholic (e.g., J. A. Fitzmyer; D. Zeller) 4 Cf. the discussion in, C. Wolff, Brief , 355-361. 2. 1 Corinthians 15: 1-11 and 11: 23-25 169 and Protestant (e.g., C. Wolff; W. Schrage; already: J. Weiß) exegetes tend to see a tradition and, in particular, a paradosis (even though not necessarily the oldest version of the Easter kerygma viz. earliest Christian creeds, cf.: 1 Thess 4: 14; Rom 4: 25; 8: 34; 14: 9; 2 Cor 5: 14f.), 5 at least behind v. 3b-5a, which Paul himself might have received in his earlier career. At the time, he was travelling around the Syro-Palestinian area. Scholars assume that Paul probably came into contact with this formula/ kerygma as a tradition in the context of Jewish-Hellenistic communities located around Damascus, 6 in Jerusalem or Antioch. 7 It is a matter of scholarly debate how to define the so-called Sitz im Leben of this paradosis as, for instance, a creed, a homology, or a catechetic summary. 8 d) Let us go one step further and ask, What does Paul do with this tradition which, as far as we can see, at this point has only been mediated in his oral proclamation and letters? In chapter 15, Paul uses the paradosis within the argumentative frame of discussing the reality or facticity of the resurrection. In 1 Corinthians 15: 12 we read about the actual matter of controversy in Corinth. The question, “[…] how can some of you say there is no resurrection of the dead? ” (v. 12b), reflects one of the most urgent challenges that Paul has to deal with: the ἀνάστασις νεκρῶν might turn out to become the litmus test in Corinthian affairs. 9 Paul refutes those who doubt the reality of the resurrection by imagining, if “Christ has not been raised, then our proclamation has been in vain and your faith has been in vain” (v. 14). As a result, Paul broadens his argument by moving toward using the paradosis . The resurrection of Christ is now as much a matter of belief or disbelief as the Corinthians’ belief and his own apostolic preaching: Paul creates no less than a direct interdependence between (Christ’s) resurrection, belief and kerygma. In conclusion, Paul must insist on sharing, mediating and furthermore passing on that particular gospel tradition. In communitarian discourses, the facticity of resurrection directly relates to the proper mediation of the gospel paradosis and its apostolic carrier. 5 Cf. W. Schrage, Brief , 18f. 6 Cf. D. Zeller, Brief , 462; Cf. J. Weiß, Korintherbrief , 47: “[…] a piece of early Christian paradosis”; J. A. Fitzmyer, Corinthians , 541. 7 Cf. C. Wolff, Brief , 359. 8 Cf. W. Schrage, Brief , 18. 9 Cf. O. Wischmeyer, “1. Korinther 15,” 243-276, here 259. 170 X How and why Paul deals with traditions e) Once more, we have to go a step further. Paul does not only use the gospel tradition in order to authorize himself; nor does he reveal its legitimizing function for proving the truth of Christ’s resurrection. Something more is going on here. It is striking that Paul quotes the tradition in 1 Corinthians 15 with the same intention as he cites the Lord’s Supper paradosis in 1 Corinthians 11: 23-25. Here, he says: “For I received (παρέλαβον) from the Lord what I also handed (παρέδωκα) on to you […]” (v. 23). There are only minor differences behind the structure of 1 Corinthians 15: 3 and 11: 23: the sequence of παρέλαβον-παρέδωκα is turned around; in 1 Corinthians 11: 23 Paul also identifies the source of this paradosis as “from the Lord” (ἀπὸ τοῦ κυρίου) - a phrase which in terms of textual criticism is philologically debatable. 10 But why does Paul, in his letter-writing, more or less balance 1 Corinthians 11: 23-25, a tradition that dates back to a historical scene in Jesus’ life just before the passion, and 15: 3-5, a post-Easter kerygmatic tradition? Clearly, he intends to authorize his apostolic ministry. Even though or rather because he is the “last” and possibly “least” of all the apostles he needs to prove that he has had access to the kerygmatic as much as to the ritual origins of the belief in Christ. As a result, those Corinthians who might wish to count themselves among the “party of Peter” (1 Cor 1: 12) and thus claim a more privileged admission to Jesus, are unmasked as pure pretenders. But what is the theological consequence of Paul’s standardization of the different Jesus traditions? Within the framework of Paul’s letter-writing in 1 Corinthians 11-15, why are both traditions - although initially quite different (historical event/ Jesus tradition, 1 Cor 11; post-Easter kerygma, 1 Cor 15) - described in a similar manner? Within the basic structure of Paul’s letters both become part of an early Christian complex of traditions that Paul has to mediate. For him, both traditions have equal status. By combining and standardizing different traditions in his epistolary argumentation, Paul prepares for a merging of a post-Easter formula and a Jesus tradition: he thus combines kerygma and history. 11 10 Codex D as well as the Latin tradition and Ambrosiaster read: παρα κυριου; F, G, 365 and (probably) D read: απο (του) θεου. 11 On this, cf. E.-M. Becker, “Patterns,” 276-296. 3. Paul’s use of the Jesus traditions 171 3. Paul’s use of the Jesus traditions It is debatable whether in 1 Corinthians 11 and 15 Paul is forced to approach both traditions on equal terms because he himself only joined the group of Jesus’ followers post-Easter, or whether he takes his specific type of apostleship as an opportunity to combine kerygma and history. The question that remains is to what extent Paul can convincingly claim initially to be familiar with the so-called Jesus traditions? And to what extent is he willing to engage in the process of further transmitting and distributing the proclamation and teaching of (the historical) Jesus? The fact that besides 1 Corinthians 11: 23-25 there are only two further instances where Paul explicitly refers to Jesus traditions or λόγοι κυρίου has remained a riddle in New Testament studies. How do we best make sense of this? Not accidentally, since both instances are again to be found in 1 Corinthians (7: 10f. and 9: 14). 12 It seems that, especially in his first letters to the Corinthian community, Paul is continuously under pressure to prove his apostolic authority with regard to its genuine roots in the “inner circle” of Easter witnesses and/ or followers of Jesus. In 50 CE, Peter might have become a determined competitor of Paul in Achaia. Regarding Paul’s use of Jesus logia we have to distinguish more precisely between three types of references to the Jesus traditions: (i) explicit references to the “words of the Lord”; (ii) formulistic claims of Jesuanic authority (cf. 1 Cor 14: 37); or (iii) analogies to the synoptic Jesus traditions (1 Thess 2: 12; 5: 2, 15; Gal 5: 21; 1 Cor 13: 2; Rom 12: 14, 17, 20; 14: 14, 17) - the latter occurs frequently in 1 Corinthians (1 Cor 4: 20; 6: 9f.; 15: 24, 50). 13 In my view, the third group of more vague allusions to the Jesus traditions can even be expanded further: in 2 Corinthians 3, for instance, Paul’s interpretation of Christ as the one unveiling the faces of all believers cannot only be seen as a contrastive analysis of the story of Moses in Exodus 34 but, rather, as a fundamental critique of how Peter might have claimed an exclusive and thus more authoritative witnessing of Jesus’ transfiguration (cf. Mk 9: 2ff.). 14 However, even if we further develop the reconstruction of unspecific material of the Jesus traditions in the Pauline letters, we have to recognize how little attention Paul in general pays to Jesus and the transmission of the Jesus traditions. The most obvious reason for him must relate to his understanding of his apostolic ministry and the task of letter-writing: he sees himself to be “called to be 12 Cf. e.g., J. Schröter, “Zentrum,” 279-285, here 280-282. 13 Cf. J. Schröter, ibid., 283. 14 Cf. E.-M. Becker, “2 Corinthians 3: 14, 18,” 121-133. 172 X How and why Paul deals with traditions an apostle” (Rom 1: 1) in order “to bring about the obedience of faith for the sake of his name” (Rom 1: 5). This explains why, especially in his early career (cf. Gal 1-2), Paul hesitated to transmit the bulk of the Jesus traditions for their own sake and the way in which he approached the literary task of letter-writing, which he started around fifteen years later, and how his approach varies from Christian literary activity fifteen to twenty years later. Contrary to how between 70 and 90 CE the later gospel writers considered it to be their literary task to inform contemporary and later readers about the “beginning” (Ἀρχὴ: Mk 1: 1) or the “truth” (ἀσφάλεια: Lk 1: 4) as much as the content of the gospel story as proclaimed by Jesus, Paul, a first-generation literary activist, is particularly in charge of the ὑπακοὴ πίστεως (cf. also Rom 16: 26). This expression that is unique in the “entirety of ancient literature, […] was most likely coined by Paul.” 15 As Robert Jewett argues, “Paul speaks here of the special sort of obedience produced by the gospel,” which reflects both Jewish Christian and Gentile Christian concerns in Rome, since “obedience to the gospel leads to walking by the spirit and to the fulfillment of the law’s demands to love and care for the neighbour.” 16 In Paul’s view, all transmission of traditions has finally to be subordinated to the purpose of enforcing the ὑπακοὴ πίστεως. 4. Other types of “traditions” So far we have explored to what extent Pauline thinking and writing depends to a surprisingly small extent on post-Easter formulas and Jesus traditions. Paul refers only rarely to this latter group of traditions, which could illuminate Jesus’ life and mission. In contrast, Paul is primarily concerned with communitarian life and apostolic missionary duties - the pragmatism and style of his letter-writing has thus to be adjusted to the communitarian queries. At the same time, the apostle regularly indicates (especially in 1 Corinthians) that, whenever needed, he can well meet the standards of remembering, delivering and applying Jesus’ sayings to current debates. We could therefore argue that, for Paul, the hermeneutical criterion for delivering the Jesus traditions as well as the post-Easter formulas was their relevance for contemporary communitarian needs. There might be another reason why Paul does not pay complete attention to the pure transmission of the Jesus traditions (as the representatives of the Jeru- 15 R. Jewett, Romans , 110. 16 Ibid. R. Jewett rejects an objective, a subjective or an epexegetic understanding of the genitive pisteós as “adnominal” interpretations and instead sees the genitive in its limiting function of “the substantive on which it depends”; he reads the syntagm as “obedience produced by the gospel.” 4. Other types of “traditions” 173 salem community, Peter, James and John, the στῦλοι, did). Paul is inspired and influenced by other traditions, which are part of his religious and intellectual profile. In particular, we have to think of complexes of traditions such as the Septuagint, various Hellenistic-Jewish beliefs and traditions as much as common Hellenistic rhetorical and argumentative tools. When looking critically at how Paul approaches these sets of traditions we will find only little consistency. 1. Scholars tend to argue that Paul - influenced by diaspora Jewish thinking (cf. Acts 22: 3) as much as Palestinian pharisaic education (cf. Phil 3: 5; Acts 23: 6) - was closely affiliated to the language of the Psalms. 17 It is obvious that he was familiar with different techniques of contemporary Jewish scriptural interpretation (as was practiced by the Pharisees; cf. later rabbinic texts). 18 Jörg Frey identifies especially the “Seven Middot Hillels” (e.g., Rom 5: 9ff.; 11: 2, 24; Rom 4: 1-12), Midrash-like argumentations (Gal 3: 6-14), typological interpretation (1 Cor 10: 1-13; Rom 5: 12-14) and allegory (cf. Gal 4: 21-31) as techniques of scriptural interpretation practiced by Paul. 19 We can distinguish between “explicit” and “implicit” ways in which Paul refers to the LXX. 20 However, in neither is Paul concerned with scriptural interpretation as such. His task does not entail commentating Scripture(s). Paul basically approaches Scripture in order to reveal its meaning and evidence for proclaiming and interpreting the gospel message (e.g., 1 Cor 9: 10; 10: 11). 21 His usage of Scripture is therefore selective. The basic hermeneutical criteria are: (i) relevance for contemporary communitarian discourse; (ii) legitimizing evidence for the gospel proclamation (cf. 1 Cor 15: 3-5) and its messenger; and (iii) the exploration of Scripture’s manifold immanent hermeneutical potential. Paul does not only refer to Scripture in order to affirm the gospel message (affirmation), but also in terms of revealing its critical potential for disclosing pre-Christian and Christ-believing existence coram Deo (critique, e.g., 1 Cor 10: 12-13). 2. Paul’s letter-writing is influenced by the apocalyptic (e.g., parousia , resurrection, new creation) and sapiential (e.g., Christ as incarnation of God: 2 Cor 3: 17f.) traditions, possibly communicated to him by his pharisaic education. 22 Besides, Paul can also communicate in prophetic images (Gal 1) or as a per- 17 Cf. J. Frey, “Religiöse Prägung,” 59-66, here 62. 18 This grouping is frequently described as a “Torah-based movement for sanctification”: R. Deines, “Pharisees,” 1061-1063, here 1062. 19 Cf. J. Frey, “Religiöse Prägung,” 59-66, here 62; see J. L. Kugel, “Interpretation,” 121-141. 20 Cf. F. Wilk, “Schriftbezüge,” 479-490, here 482-487. 21 Cf. ibid., 490. 22 Cf. J. Frey, “Religiöse Prägung,” 64-66. 174 X How and why Paul deals with traditions son who prepares himself (in a mystical sense? ) for conformity with Christ (Phil 1-3). Why does Paul shift between different traditions and merge them? Is he willing to hand down and possibly evaluate the rich and manifold heritage of Jewish thinking and writing? To what extent does he actually intend to transform apocalyptic motifs into anthropological or existential thinking (R. Bultmann)? 23 It seems to me that Paul once more aligns his approach to traditional sources with his strategy of literary communication: in his epistolary teaching, exhortation, consolation, proclamation and various hermeneutical tasks he has to be inventive, flexible, critical, surprising. As a result of this mixture of motifs, traditions and argumentative claims the Pauline letters appear “weighty and strong” in the ears of his audience(s) (2 Cor 10: 10). 3. Paul’s literary strategy of selectively merging certain types of traditions can already be found in 1 Thessalonians. Already here, Paul begins “using rhetorical and philosophical traditions, in the process modifying them to suit his immediate purpose” (cf. 1 Thess 1: 5). 24 As soon as he leaves the Syro-Palestinian area and moves to Asia Minor, Macedonia and further west, he is increasingly confronted with Hellenistic-Roman moral discourse. In light of the popular ethical debates, Paul could only communicate his message properly if he could demonstrate his ability to master relevant rhetorical and philosophical traditions. In this light, Acts 17: 16ff. constitutes a proper, although much later, Lukan attempt to connect the Pauline heritage of arguing to the more general philosophical discourses of his time. 5. Brief conclusion The investigation of how and why Paul uses various types of traditions has revealed how selective and connective the apostle is as a letter writer. Whenever needed, he refers to post-Easter formulas as much as the Jesus traditions within the context of his letter-writing and authorial perspective. He quotes the Scripture viz. Septuagint in order to shape argumentative evidence of the truth of the gospel message and to express fundamental critique of (Christian) faith and life; he shows his familiarity with prophetic as well as sapiential and apocalyptic traditions in order to demonstrate the plurality of (religious) motifs by which intellectual discourse can develop beyond the simple game of raising and answering controversial questions (cf. περὶ δέ structure in 1 Corinthians). Furthermore, 23 Cf. R. Bultmann, Geschichte , 46-53. 24 A. J. Malherbe, Letters , 111. Bibliographie 175 he uses general Hellenistic rhetorical and philosophical traditions in order to address those readers who are at this stage of affiliation to the ἐκκλησίαι only tentatively sympathizing with observing early Christian missionary activities and the communitarian life. Paul’s selective and connective way of dealing with traditions can only partly be explained by the circumstances under which his letters were written. In many ways, Paul develops a literary strategy: the apostle does not commit himself to one particular stream of tradition but, rather, frees up space for innovatively shaping the individual profile of his, the Pauline, ministry. It is only at first sight then, that not to be part of the inner circle of the Jerusalem community (στῦλοι) causes authoritative problems. In Paul’s view, his status as a lateor newcomer allows for self-styled apostolic activities that he, nevertheless, has to trace back to his commissioning by God and the previous agreements on missionary politics reached with the “pillars” in Jerusalem (Gal 1-2). Paul’s argumentative technique is no less than the literary part of his missionary strategy: “I have become all things to all people, that I might by all means save some. I do it all for the sake of the gospel” (1 Cor 9: 22f.). As Paul does not “run aimlessly,” nor “box as though beating the air” (1 Cor 9: 26), his approach to and use of traditions is always intentional. Paul’s selective and connective use of different sets of traditions might result from his apostolic ambition as much as his hermeneutical pragmatism. We might today criticize Paul for not being more comprehensive, explicit, precise and distinctive when using and transforming traditional materials. As a result, Paul’s place in intellectual life in the first century CE is hard to define. However, Paul tried hard to transform the stigma of being the “least” into the attribute of being unique and running first (1 Cor 9: 24). In order to do so he accessed and arranged traditions in a highly selective and specifically connective manner. Bibliographie E.-M. Becker, “2 Corinthians 3: 14, 18 as Pauline Allusions to a Narrative Jesus-Tradition,” in: “What Does the Scripture Say? ” Studies in the Function of Scripture in Early Judaism and Christianity (ed. C. A. Evans/ H. D. Zacharias; LNTS 470; London/ New York: T & T Clark, 2012), 121-133. E.-M. Becker, “Patterns of Early Christian Thinking and Writing of History. Paul - Mark - Acts,” in: Thinking, Recording, and Writing History in the Ancient World (ed. K. A. Raaflaub; Malden: Wiley-Blackwell, 2014), 276-296. 176 X How and why Paul deals with traditions E.-M. Becker, “Paulus in Philippi: Ethik und Theologie,” in: ARG 15 (2014), 201-222 - in this volume nr. XI. E.-M. Becker, “Der Philipperbrief,” in: Der “Kritisch-exegetische Kommentar” in seiner Geschichte. H. A. W. Meyers KEK von seiner Gründung 1829 bis heute (ed. E.-M. Becker/ F. W Horn/ D.-A. Koch; KEK Sonderbd.; Göttingen/ Bristol: Vandenhoeck & Ruprecht, 2018), 287-308 - in this volume nr. V. R. Bultmann, Geschichte und Eschatologie (Tübingen: Mohr Siebeck, 1979), 46-53. R. Deines, “Pharisees,” in: The Eerdmans Dictionary of Early Judaism (ed. J. J. Collins/ D. C. Harlow; Grand Rapids/ Cambridge: Eerdmans, 2010), 1061-1063. J. A. Fitzmyer, First Corinthians. A New Translation with Introduction and Commentary (AncB 32; New Haven/ London: Yale University Press, 2008). J. Frey, “Die religiöse Prägung: Weisheit, Apokalyptik, Schriftauslegung,” in: Paulus Handbuch (ed. F. W. Horn; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 59-66. P. A. Holloway, Philippians. 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Dementsprechend ist er immer wieder gezwungen, seine Christusverkündigung bzw. seine Lehre (διδαχή: Apg 17,19) sowohl von der ‚Schrift‘ her zu begründen und zu legitimieren (z. B. 1 Kor 15,3b-5; Gal 3-4) als auch vor einem hellenistisch-römischen Publikum öffentlich plausibel zu machen und dabei zu verteidigen (Apg 17,19ff.; 24ff.). In diesem Zusammenhang setzt Paulus sich vereinzelt direkt mit der hellenistisch-römischen Götterwelt auseinander (vor allem: 1 Thess 1,9; 1 Kor 8,1ff.; 10,1ff.) 1 . Sie lag also im permanenten Blickfeld des Apostels. Paulus blieb auf seinen Reisen durch die kleinasiatische und griechische Welt nicht unberührt von der paganen Außenwelt. In Städten wie Ephesus, Philippi, Thessaloniki, Korinth und Athen war er vielmehr direkt und unmittelbar mit seiner paganen Umwelt, und das heißt auch, mit der griechisch-römischen Götterwelt konfrontiert. Umso bemerkenswerter ist der Umstand, dass Paulus in seinen Briefen weder pagane Götternamen nennt noch auf konkrete Kulte verweist, was besonders in Korinth angesichts der Diskussion über das Götzenopferfleisch (1 Kor 8) nahegelegen hätte 2 . Über 1 Thess 1 und 1 Kor 8.10 hinaus fehlt eine direkte Bezugnahme auf die ‚Götter der Anderen‘ sogar vollständig. Ist das allein mit dem Brief genre des Gemeindebriefes zu erklären? Nun stellt auch Lukas in den Acta Apostolorum am Ende des 1. Jhs. retrospektiv nur äußerst zurückhaltend dar, wie Paulus auf seine pagane Umwelt reagiert hat: Zwar wird Paulus - außerhalb seiner synagogalen Predigt- und Lehrtätigkeit (vgl. Thessaloniki 3 oder Athen: 1 Vgl. zur religionsgeschichtlichen Sicht auf Polytheismus und Monotheismus: J. Rüpke, „Polytheismus und Monotheismus“, 56-68. 2 Vgl. E.-M. Becker, „ΕΙΣ ΘΕΟΣ”, 65-99; G. Holtz, „Götzen“, 381-402. 3 Paulus redete an drei Sabbattagen mit ihnen (= Juden) von der Schrift und legte ihnen dar, „dass Christus leiden und von den Toten auferstehen musste und dass es dieser Christus Jesus ist, den [- so sagte er -] ich euch verkündige“ (Apg 17,2-3). Das hier eingefügte Summarium beinhaltet wohl keine originäre paulinische Verkündigung, sondern erinnert eher an frühchristliche Traditionsbildungen (vgl. Mk 8,31; 1 Kor 15,3b-5), auf die Lukas besonders dann mehrfach zurückgreift (vgl. Lk 24,26; Apg 3,18), wenn er auf judenchristliche Missionsaktivitäten hinweist, vgl. auch J. Roloff, Apostelgeschichte , 250. Das Summarium ist christologisch ausgerichtet. Im Blick auf das interpretative δεῖ und 178 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie Apg 17,16) 4 - direkt mit griechisch-römischen ‚Götterbildern‘ (… θεωροῦντος κατείδωλον-…) konfrontiert (Apg 17,16). Doch in seiner missionarischen Rede auf dem Areopag in Athen (Apg 17,34), die vielfach als hellenistischster „Teil des hellenistischsten Buches des NT“ bezeichnet wurde 5 , verweist er nur sehr allgemein auf die verschiedenen σεβάσματα der Athener. Und auch die Verkündigung des jüdischen Schöpfergottes, die ein Deutungsangebot für die pagane Suche nach dem einen , unbekannten Gott (ἄγνωστος θεός) zu formulieren sucht (Apg 17,23ff.), enthält nur am Rande Götterkritik (Apg 17,24b.25a.29), da sie letztlich, ja in erster Linie der Christus-Verkündigung dient 6 . Obwohl die sog. Areopagrede des Paulus (Apg 17,22ff.) einen narrativen Höhepunkt in den Acta markiert 7 und daher in der Forschung immer wieder betont wurde, dass die lukanische Darstellung des paulinischen Athen-Aufenthaltes insgesamt literarisch fiktiv wirkt 8 , macht auch Lukas hier erstaunlich wenig Gebrauch vom Topos der Götterkritik: Wohl gibt er zu erkennen, dass für Paulus weder der Konflikt mit der hellenistisch-römischen Götterwelt noch die Auseinandersetzung mit der hellenistischen Philosophie (Apg 17,18) unvermeidbar waren. Doch eine substantielle theologische Auseinandersetzung des Paulus mit den ‚Göttern der Anderen‘, die über die Schilderung vereinzelter administrativer oder ökonomischer Konflikte (s. u.; Apg 19,23ff.) hinausgeht, begegnet auch in den Acta nicht. Lukas also folgt Paulus durchaus in der Tendenz, auf εἴδωλα nur insofern Bezug zu nehmen, als damit das Bekenntnis zu dem ‚einen‘ und ‚wahren‘ Gott Israels umso deutlicher herausgestellt werden kann (1 Thess 1; 1 Kor 8.10). Zwar ist die Kritik „der zeitgenössischen Dekadenz im Bereich das Leidensmotiv (παθεῖν) orientiert es sich allerdings mehr an der synoptisch geprägten Überlieferung des frühchristlichen Kerygma (Mk 8,31) als an der Paradosis, die Paulus selbst verwendet (1 Kor 15,3b-5). Die traditionsgeschichtliche Nähe zur synoptischen Überlieferung deutet darauf hin, dass Lukas in Apg 17,2f. den Inhalt der paulinischen Synagogalpredigt letztlich topisch bestimmt. Nach lukanischer Darstellung ist die paulinische Syngagogalpredigt als innerjüdisches Problem zu deuten, nämlich als Frage nach der Schriftgemäßheit des Todes Jesu. 4 In dieser religiösen Infrastruktur begegnet er dann aber auch den sog. σεβόμενοι und φοβούμενοι (z. B. Apg 13,16; 16,14; 17,4; 18,7). Und auf dieser Basis, wo er mit Sympathisanten und Sympathisantinnen der jüdischen Religion kommuniziert, wird eine grundsätzliche Öffnung zu den ἔθνη hin möglich. 5 So P. W. van der Horst, „Areopagrede, 718-719, 718. 6 Speziell die Verkündigung der Auferstehung Jesu Christi von den Toten (Apg 17,31), die einerseits aus der jüdisch-pharisäischen Vorstellungswelt stammt und gleichzeitig den Grundgehalt des frühchristlichen Kerygmas ausmacht (1 Kor 15,4; Mk 8,31), wird dann aber für einen Teil der Zuhörer zur Provokation (Apg 17,32). 7 Die Verkündigung der Oster-Zeugen (Apg 1,8) hat nun nämlich Athen erreicht. 8 Vgl. zu dieser Diskussion, dass Lukas sein Wissen über Athen und die Mentalität der ‚Athener‘ eher aus literarischen Quellen als aus eigener Anschauung bezieht: R. I. Pervo, Acts , 426. 1. Paulus und die Götter der Anderen 179 von Religion-… und Moral“, die Paulus in anderen Zusammenhängen, so etwa in Röm 1 (V. 18-24.25-32) thematisiert, „von hellenistischer Philosophie“ stark beeinflusst, sie zielt letztlich aber auf die rechte Verehrung des jüdisch-christlichen Gottes 9 . Und auch eine Auseinandersetzung mit Engeln, Dämonen oder anderen ‚Mächten‘ ( Archonten ), findet bei Paulus nur äußerst begrenzt statt (z. B. Röm-8,38; 1 Kor 15,24; 1 Kor 10,20) 10 . Wie aber ist das paulinische Desinteresse an einer theologischen Auseinandersetzung mit den ‚Göttern der Anderen‘ zu erklären? Ist es gleichbedeutend mit einer Ignorierung der paganen Außenwelt? Ich möchte im Folgenden den Blick auf den Philipperbrief richten, weil gerade das paulinische Wirken in Makedonien 11 , besonders aber in Philippi in religionsgeschichtlicher Hinsicht markant ist. Denn „keine Stadt in Makedonien und Achaia [war] so römisch wie Philippi“ 12 . Wir dürften also erwarten, dass sich Paulus besonders in Philippi in Auseinandersetzung mit einer römisch bestimmten Außenwelt befindet. Doch wie ist diese Auseinandersetzung vorzustellen, wie hat Paulus agiert und auf seine pagane Außenwelt reagiert? Da wir auch hier zwei Quellen über ‚Paulus und Philippi‘ haben, geschieht die Untersuchung in zwei Schritten. Zunächst ist zu fragen: Wie stellt Lukas den paulinischen Aufenthalt in Philippi und die damit verbundene Wahrnehmung der hellenistisch-römischen Außenwelt dar? Danach wenden wir uns Paulus selbst zu: Was gibt Paulus in seinem Brief an die Philipper über seine Sicht auf die pagane Umwelt zu erkennen? 9 H. D. Betz, „θεός”, 346-352, 351. 10 Vgl. dazu auch A. T. Wright, „Angels”, 328-331, 330f. 11 Der Übertritt des Paulus nach Makedonien ereignet sich nach der lukanischen Chronologie am Beginn der sog. zweiten Missionsreise (Apg 15,36ff.), die sich nicht zufällig unmittelbar an das Apostelkonzil in Jerusalem (Apg 15,1ff.) mit seinen weitreichenden Entscheidungen und Bedingungen (Apg 15,23b-29 im Unterschied zu Gal 2,10) zur Aufteilung des Missionsgebietes unter den ἔθνη und unter den ‚Beschnittenen‘ (Gal 2,9) anschließt. So erweist sich der Übertritt des Paulus nach Makedonien sowohl in historischer als auch in geographischer, literarischer und theologischer Hinsicht als eine wichtige missionsgeschichtliche Zäsur, vgl. auch: H. Wojtkowiak, Christologie , 42 mit Hinweis auf D.-A. Kochs Referenz auf Herodot 3,96; 4,36ff.; 4,198: Nicht nur ist es der griechische Raum, in dem es in größerem Umfang als bisher (sonst nur Galatien) zu paulinischen Gemeindegründungen (Philippi, Thessaloniki, Korinth) kommen wird. Vielmehr verkündigt Paulus hier weitgehend in eigener Verantwortung und kommuniziert das jüdische Gottesbild nun auf deutlich hellenistisch-römisch geprägtem Terrain. In der makedonischen Missionstätigkeit dürfte daher die Wahrnehmung der paganen Außenwelt für Paulus besonders deutlich geworden sein. 12 D.-A. Koch, „Städte“, 142-159, 145. Das lässt sich etwa auch daran erkennen, dass Augustus und Livia bald nach ihrem Tod in Philippi kultisch verehrt wurden: Vgl. epigraphische Hinweise auf Priester des Divus Augustus und Priesterinnen der Diva Augusta : vgl. auch D.-A. Koch, „Städte“, 144. - Zur Stadtgeschichte Philippis vgl. zuletzt auch: J. R. Harrison/ L. L. Welborn (Hg.), First Urban Churches. 180 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie 2. Das paulinische Wirken in Philippi nach der Darstellung des Lukas Nach der Darstellung des Lukas befindet sich Paulus noch im kleinasiatischen Troas, als er in einer Epiphanie 13 den Auftrag zur Mission in Makedonien erhält (Apg 16,9f.). Über Samothrake und Neapolis kommt Paulus zunächst nach Philippi (Apg 16,11ff.) und dann über Amphipolis und Apollonia nach Thessaloniki (Apg 17,1ff.). Der sog. Gründungsaufenthalt der Gemeinden in Philippi und Thessaloniki, der dem Wirken in Südgriechenland, also in Athen und der Provinz Achaia, vorausgeht, ist etwa auf die Jahre 49/ 50 n. Chr. zu datieren. Was erfahren wir in Apg 16 über das missionarische Wirken des Paulus in Makedonien? Lukas bezeichnet Philippi als „Stadt des ersten Bezirks von Makedonien“ 14 und als κολωνία (Apg 16,12). Das beschreibt die Stellung der Stadt in der 148 v. Chr. gegründeten Provinz Macedonia wohl sachgemäß: Denn nach der Schlacht des Octavian und Antonius gegen Brutus und Cassius im Jahre 42 v. Chr. gründet Marcus Antonius wohl unter Ansiedlung von Veteranen die „erste röm(ische) Kolonie Colonia Victoria Philippensis “ 15 - eine Neugründung der Stadt mit einer weiteren Ansiedlung von römischen Veteranen und enteigneten Bauern nimmt dann im Jahre 31/ 30 v. Chr. Octavian selbst vor ( Colonia Iulia Augusta Philippensis ). Die Bevölkerung Philippis ist äußerst gemischt: „Neben den alt eingesessenen Thrakern, die den Raum seit vielen Jhh. bewohnen, finden wir Griechen und - seit der zweiten Hälfte des 1. Jhs. v. Chr. - neu angesiedelte Römer“ 16 . Dietrich-Alex Koch betont, dass sich die drei dominierenden ethnischen Gruppen in Philippi besonders in ihrer Kultpraxis treffen und harmonisieren lassen: So wird etwa die lateinisch-griechische Verehrung der Diana/ Artemis mit der Verehrung der thrakischen Jagdgöttin Bendis verbunden 17 . Auch baugeschichtlich nimmt die Stadt bereits in der Mitte des 1. Jhs. an Bedeutung zu, denn schon unter Claudius, also z. Zt. des paulinischen Aufenthaltes in Philippi, wird mit dem Bau des Forums an jetziger Stelle begonnen 18 . Die eigentliche bauliche 13 Sie ist in der Gestaltung einer auf Philippi bezogenen Epiphanie-Szene bei Plutarch ( Brut 36,3-4) überraschend ähnlich. 14 Nestle-Aland 28 weist die Lesart πρώτη[ς] μερίδος τῆς Μακεδονίας nicht mehr als Konjektur des Johannes Clericus aus, sondern stützt sich allein auf vg mss . 15 Vgl. P. Pilhofer, „Philippi“, 163-165, 163. 16 P. Pilhofer, „Philippi“, 163f. Pilhofers These jedoch, Lukas selbst stamme aus der Gemeinde in Philippi, können wir hier nicht diskutieren. 17 Vgl. D.-A. Koch, „Städte“, 145. 18 Vgl. G. G. Gounaris/ E. G. Gounari, Philippi , 47. Vgl. insgesamt auch die verschiedenen Beiträge in: C. Bakirtzis/ H. Koester (Hg.), Philippi ; C. Koukouli-Chrysantaki, „Colonia“, 5-35; C. Bakirtzis, „Paul“, 37-48; H. Koester, „Paul“, 49-65. 2. Das paulinische Wirken in Philippi nach der Darstellung des Lukas 181 Blüte wird die strategisch äußerst günstig an der via Egnatia gelegene Stadt allerdings erst im 2. Jh. unter Antoninus Pius erleben. Dass Philippi auch in der Geschichte des frühen Christentums, und zwar schon im 1. und 2. Jh., also lange bevor die christliche Architektur in frühbyzantinischer Zeit (4.-6. Jh.) 19 nachweisbar wird, eine nicht unwesentliche Rolle spielt, belegen neben der Darstellung des Lukas der erhaltene Brief des Paulus (Phil) sowie das Schreiben des Polykarp von Smyrna an die Philipper ( PolPhil ). Wieweit wir freilich im Sinne des mirror-reading aus dem Phil die soziale und religiöse Situation der Gemeinde zur Abfassungszeit des Briefes (Anfang der 60er Jahre) herauslesen können, muss zweifelhaft bleiben 20 . Aussichtsreicher ist es, nach Indizien für die paulinische Missionspraxis in Makedonien zu fragen: Was können wir dem retrospektiven lukanischen Bericht in den Acta entnehmen? Lukas berichtet von einem mehrtägigen Aufenthalt des Paulus und seiner Mitarbeiter in Philippi (Apg 16,12), der in vielfacher Hinsicht bemerkenswert ist: „Hier kommt es zur ersten Konfrontation des Paulus und seiner Begleiter mit Repräsentanten der römischen Macht, und zwar erscheinen diese dabei in einem sehr ungünstigen Licht“. Dies könnte, da Lukas generell eher positiv über die römische Staatsmacht schreibt, auf die „Authentizität des Berichteten“ hinweisen 21 . Pauli Aktivitäten sind zunächst auf den Besuch der jüdischen προσευχή konzentriert (Apg 16,13.16). Lukas erzählt hier, und zwar teilweise in Form eines Wir-Berichts, Folgendes: „Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir eine Gebetsstätte vermuteten, und wir setzten uns und sprachen mit den zusammenkommenden Frauen“ (Apg 16,13). Das Gespräch mit Paulus führt zur Taufe der aus dem kleinasiatischen Thyatira stammenden Purpurwollenhändlerin Lydia (Apg 16,15), die Paulus und seinen Begleitern daraufhin Gastrecht (Apg 16,15) und später nach der Freilassung aus einer Gefängnishaft auch einen Zufluchtsort (Apg 16,40) gewährt. Das Gastrecht bietet für Paulus und seine Mitarbeiter eine lokale Anbindung, die für die frühchristliche Organisation in Hausgemeinden typisch ist, und bedeutet für Lydia und ihr Haus eine vollständige religiöse Anerkennung 22 . 19 Vgl. besonders die „Basilica extra muros “, die zu den ältesten Kirchenbauten nicht nur in Philippi, sondern in Griechenland zählt (erste Hälfte des 4. Jhs.): G. G. Gounaris/ E. G. Gounari, Philippi , 101-104. 20 Es scheint mir höchst problematisch, dass von Ernst Lohmeyer bis Peter Oakes versucht worden ist, von der sog. Situation der Gemeinde, die faktisch aus dem Brief selbst rekonstruiert wird, auszugehen und so wiederum die Pragmatik und den literarischen Charakter des Briefes zu bestimmen. Zur kritischen Darstellung der Forschungsgeschichte vgl. auch H. Wojtkowiak, Christologie , 31ff.; zu methodischen Fragen vgl. zuletzt: N. K. Gupta, „Mirror-Reading“, 361-381. 21 J. Roloff, Apostelgeschichte , 243. 22 Vgl. R. I. Pervo, Acts , 404. 182 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie Die nun folgende Szene ist deutlich als narrativer Kontrast zur Konversion der Lydia zu lesen - setzt Lukas sich hier mit dem Phänomen der „popular religion“ auseinander? 23 Jedenfalls kommt Paulus mit einer dämonisch besessenen Frau, wohl einer Sklavin zusammen, und bringt deren θεὸς ὕψιστος-Proklamation 24 zum Verstummen - wir haben es speziell bei dem Hypsistos-Epitheton mit einem „Baustein in der polyvalenten Semantik kaiserzeitlicher religiöser Sprache“ zu tun 25 (vgl. auch Apg 7,48). Die Betätigung als Exorzist führt zum Konflikt: Es kommt zu Stockschlägen und einem eintägigen (s. Apg 16,25.35) Gefängnisaufenthalt in Philippi (Apg 16,16-39). Zuvor werden Paulus und Silas auf die Agora geschleppt (V. 19) und den στρατηγοί vorgeführt (V. 20f.) - hierbei muss es sich um römische Kolonisten handeln, da nur sie „Mitwirkungsrechte in der politischen Selbstverwaltung“ hatten 26 . Die gegen Paulus und Silas vorgebrachten Vorwürfe sind zwar nur vordergründig und verschleiern die ökonomischen Interessen derer, die mit der dämonisch besessenen Frau Geld verdienen wollten 27 - möglich, dass hierin der Grund dafür liegt, dass Paulus „aufgebracht war“ (V. 18: διαπονηθείς, sonst nur Apg 4,2) 28 . Solche Scharlatanerei war übrigens auch den Griechen und Römern ein Greuel 29 . Und doch spiegeln die vom mob vorgebrachten Vorwürfe wider, was im 1. Jh. als legitimer Anklagepunkt in Hinsicht auf die Erregung öffentlichen Aufruhrs betrachtet worden sein könnte: Paulus und Silas werden des Aufruhrs (… ἐκταράσσουσιν) angeklagt, weil sie als Juden ἔθη verkünden, die die anklagenden (ἡμῖν) Römer weder annehmen noch tun dürfen (παραδέχεσθαι οὐδὲ ποιεῖν, Apg 16,20f.). So wendet sich auch der ὄχλος bald gegen die Angeklagten (V. 22). Dadurch spitzt sich die Gefahr eines sich ausbreitenden öffentlichen Aufruhrs noch einmal zu. Historisch gesehen liegen in Konflikten wie diesen die Ursachen dafür, dass die Christus-Gläubigen von römischer Seite der superstitio bzw. δε[ι]σιδαιμονία bezichtigt und angeklagt wurden 30 . 23 Vgl. zur Schwierigkeit der Definition und der ‚variety of phenomena‘: L. L. Grabbe, „Popular Religion“, 1090-1091. 24 Diese Proklamation stammt wohl aus paganem Umfeld: R. I. Pervo, Acts , 405, während Lukas mit ὕψιστος den Gott Israels bezeichnet: Lk 1,32.35.76; 6,35; Apg 7,48. Vgl. aber zur komplexen Frage nach den ggf. auch gegenseitigen religionsgeschichtlichen Beeinflussungen zwischen der paganen und der jüdischen Welt weiterhin die Literaturhinweise: O. Wischmeyer, „Gottesglaube“, 9-40, bes. 14f. Anm. 32. Besonders zum inschriftlichen Befund vgl. W. Wischmeyer, „ΘΕΟΣ”, 149-168. 25 W. Wischmeyer, „ΘΕΟΣ”, 168. 26 D.-A. Koch, „Städte“, 144. 27 Vgl. ein ähnliches Motiv beim Aufstand der Silberschmiede in Ephesus (Apg 19,23ff.). 28 Vgl. B. J. Malina/ J. P. Pilch, Acts , 118 29 Vgl. B. J. Malina/ J. P. Pilch, Acts , 118 mit Hinweis auf Apuleius, Met 8,26-30. 30 Plinius klagt die Christen in Hinsicht auf superstitio ( ep 10,96,9) bzw. daraufhin an, Mitglieder in einer hetaeria ( ep 10,96,7) zu sein. Die Anklage der superstitio ist kaum spe- 2. Das paulinische Wirken in Philippi nach der Darstellung des Lukas 183 Vorläufig sind dem lukanischen Bericht über die Geschichte des paulinischen Wirkens in Philippi die folgenden sechs Elemente zu entnehmen, die historisch gesehen durchaus Anhalt an der Missions-Historie haben könnten: Erstens : Paulus und seine Mitarbeiter besuchen den jüdischen Gebetsplatz - eine Synagoge erwähnt Lukas anders als im Bericht über den Gründungsaufenthalt in Thessaloniki (Apg 17,1ff.) nicht. Die lukanische Differenzierung hinsichtlich der jüdischen Infrastruktur in Philippi und Thessaloniki könnte historisch plausibel sein, da die Existenz einer Synagoge in Philippi inschriftlich tatsächlich erst für weit spätere Zeit belegt (3./ 4. Jh.) ist 31 , während sie im Falle von Thessaloniki bereits für frühere Zeit vermutet werden darf 32 . Wir müssen daher auch - anders als im Falle von Thessaloniki (s. u.) - mit einer Minderzahl an Juden in Philippi rechnen 33 . An der προσευχή also treffen Paulus und seine Mitarbeiter auf eine Gruppe, die sich in doppelter Hinsicht als Randgruppe in Philippi erweist: Sie begegnen jüdischen oder vielleicht eher mit dem Judentum sympathisierenden Frauen mit kleinasiatischer Herkunft, die Handel treiben. Zweitens : Anders als er es in Thessaloniki (Apg 17,1-3) und später auch in Athen (s. o.) tun wird, hält Paulus in diesem Rahmen keine Lehr- oder Missionspredigten, sondern ‚spricht‘ mit den Frauen in Philippi, d. h., er wählt die Form des missionierenden lehrhaften Gesprächs. Über dessen Inhalt äußert sich Lukas nicht. Nur Lydia selbst bezeichnet sich später als kyrios-gläubig (Apg 16,15). Bei der Missionierung des Gefängniswärters, die mit der Erzählung von einem Türöffnungswunder verknüpft ist, wird etwas genauer vom πίστευσον ἐπὶ τὸν κύριον Ἰησοῦν (V. 31) gesprochen. Die Kyrios-Würde ist hier also auf zifisch, sondern eher topisch. Sie begegnet bei verschiedenen römischen Autoren der Zeit, wie z. B. Suetonius ( Nero 16) und Tacitus ( ann 15,44,3). Sie richtet sich - griechisch in den Begriff der δε[ι]σιδαιμονία gefasst - auch gegen Juden, wie Josephus ( contr Ap 1,205-211 und ant 12,5-6) sowie Strabo, Quintilian oder Suetonius zeigen ( geogr 16,2/ 37; inst or 3,7,21; Tiber 36; vgl. auch Plutarch, de superst 8; Fronto, ep (ad M. Caesarem et Invicem) 2,9; Apuleius, Flor 6). Vgl. insgesamt: Greek and Latin Authors . - In ähnlicher Weise bezeichnet Tacitus die jüdische Religion als superstitio ( hist 5,8; 13,1; ann 2,85,4). Beide Gruppierungen - Juden und Christus-Gläubige - sind somit der superstitio beschuldigt. Die Unterscheidung zwischen ‚Juden‘ und ‚Christus-Gläubigen‘ ist den Autoren dabei nicht immer deutlich (vgl. etwa Suetonius, Claud 25,4). Die Beschuldigung der superstitio erscheint also als literarischer Topos und polemisches Stereotyp und ist vielfach in einem politischen Sinn gegen solche religiösen Gruppierungen gerichtet, die sich nicht in das religiöse Milieu der griechisch-römischen Welt einfügen. Nach Apg 17,22 lässt sich diese Perspektive sogar umkehren: Hier beschuldigt Paulus die ‚Männer von Athen‘ wie folgt: κατὰ πάντα ὡς δεισιδαιμονεστέρους ὑμᾶς. 31 http: / / edh-www.adw.uni-heidelberg.de/ edh/ inschrift/ HD045719http: / / edh-www.adw. uni-heidelberg.de/ edh/ inschrift/ HD045719. 32 Vgl. V. Allamani-Souri, „Social Composition“, 92-97, 93f. 33 Noch drastischer D.-A. Koch, „Städte“, 145: Das Judentum war hier „überhaupt nicht vertreten“. 184 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie Jesus übertragen 34 . Mehr aber erfahren wir über den Inhalt der paulinischen Verkündigung in Philippi auch hier nicht. In beiden Szenen ist drittens der Taufakt ein wichtiges Element bei der Missionierung (V. 15.33) 35 . Er bezieht die Familien der Konvertiten mit ein. So wird auch hierdurch noch einmal das Haus zur Basis der Mission. Viertens : Paulus betätigt sich als Exorzist, d. h. er agiert als Wundertäter und tut Zeichen, die öffentliche Wirkung entfalten: Damit nimmt Lukas ein leitendes narratives Element der synoptischen Tradition auf, das im Kontext der sog. „Second Temple Period“ herausragt 36 . Darauf folgt fünftens der ausführlich geschilderte Konflikt zwischen Paulus und den Römern, der schließlich zu seiner Inhaftierung führt. Seitens der wohl römischen Ankläger wird dieser Konflikt auf divergierende ἔθη zurückgeführt: Hierbei muss es sich, soweit ἔθος nicht eine religiöse Gewohnheit (so in Lk 22,39), sondern „die ganze auf Mose zurückgeführte kultische Gesetzlichkeit“ bezeichnet 37 , um einen topischen Vorwurf handeln: Denn das Lehren oder Halten der kultischen Gesetzlichkeit wird im Kontext nicht problematisiert. Entscheidend wird vielmehr, dass, wie und mit welchem Ausgang Lukas hier eine durch die Römer geschaffene Konfrontation zwischen der jüdischen Identität des Paulus und der römischen Identität einer dominierenden Gruppe von Bürgern in Philippi skizziert. Diese Konfrontation wird nämlich gleichzeitig dadurch in subtiler Weise ironisiert 38 , dass Paulus als römischem Bürger (Apg 16,37) schließlich umfassend zu seinem Recht verholfen werden muss. Sechstens : Bei der Schilderung der möglichen Befreiung des Paulus und Silas aus der Haft bedient sich Lukas des besonders für die frühjüdische Historiographie typischen Motivs eines Türöffnungswunders (Apg 16,26ff.) 39 - auffällig ist hierbei, dass Paulus von der Möglichkeit der Flucht, die sich durch die wundersame Öffnung der Gefängnis-Türen ergäbe, nicht Gebrauch macht 40 . Letztlich ist es der bürgerrechtliche Status des Paulus und die damit einhergehende Überwindung der Diskrepanz von römischer, jüdischer und apostolischer Identität, die Paulus in die Freiheit entlässt. Für Lukas also ist das römische Reich ein not- 34 S. dazu unten zur Analyse von Phil 2,11. 35 Vgl. dazu zuletzt die verschiedenen Beiträge in: D. Hellholm et al. (Hg.), Ablution . 36 E. Eshel/ D. C. Harlow, „Demons”, 531-533, betonen: „The most extensive narrative material concerning demons and exorcism in the Second Temple period is provided by the Synoptic Gospels and Acts“ (533). 37 H. Preisker, „ἔθος”, 370-371, 371 mit Hinweis auf Apg 6,14; 15,1; 21,21; 26,3; 28,17. 38 Vgl. R. I. Pervo, Acts , 407. 39 Vgl. Belege in: E.-M. Becker, Markus-Evangelium , 182ff. 40 Lukas konstruiert vielmehr ein paulinisches Gefangenschafts-Ethos, das er vermutlich der Lektüre der Paulusbriefe selbst entnommen haben dürfte (besonders Phil 1,19ff.). 3. Das paulinische Wirken in Makedonien aus der Sicht des Paulus 185 wendiger und vertrauenswürdiger Garant rechtlicher und politischer Stabilität, wenn auch administrative Konflikte nicht vermeidbar sind. Wichtiger noch aber scheint, dass Paulus in Philippi frühzeitig mit einem starken „römischen Identitätsbewusstsein“ konfrontiert wird 41 , mit dem er sich in der Folge auch theologisch auseinanderzusetzen hat 42 . Dabei stehen - wie gesehen - ethische und administrative Aspekte im Vordergrund. Einen möglichen Konflikt hinsichtlich von Gottes- oder Göttervorstellungen hingegen stellt Lukas in Philippi nicht dar 43 . Die Konfrontation mit den Römern wird vielmehr ‚ethisch‘ begründet und in administrativer Hinsicht entfaltet. Hiermit folgt Lukas durchaus der Tendenz, die Paulus selbst im Phil vorgibt. 3. Das paulinische Wirken in Makedonien aus der Sicht des Paulus Insgesamt lässt die Konfrontation mit den Römern den Aufenthalt des Paulus in Philippi historisch gesehen nur als bedingt erfolgreich erscheinen. Auch findet sich in 1 Kor 16,5 nur eine merkwürdig kurze Erwähnung Makedoniens. Welche Sicht auf seine makedonische Tätigkeit also vermittelt Paulus selbst? Im 1 Thess, den Paulus wohl kurz nach seinem makedonischen Missionsaufenthalt in Korinth abgefasst hat (ca. 49/ 50 n. Chr.), weist er auf Leiden und Misshandlungen hin, die er und seine Mitarbeiter („wir“) in Philippi erlebt hatten, bevor sie nach Thessaloniki kamen (1 Thess 2,2). Die Verursacher dieser Misshandlungen werden nicht näher benannt. Dass Paulus in der Folge dennoch in Philippi einen gewissen Missionserfolg hatte, zeigt sich zum einen in der engagierten Mitwirkung der Makedonier an der Kollektenmission (vgl. 2 Kor 8). Zum anderen stellt sich offenbar bald ein intensives, ja inniges Verhältnis des Paulus zu den Philippern ein, das den Schreibstil des Apostels im Phil maßgeblich bestimmen wird. 41 D.-A. Koch, „Städte“, 145. 42 Hier könnten interessante, an den paulinischen Texten selbst Anhalt findende Ansätze für den Diskurs über die paulinische Identität im politischen Kontext seiner Zeit liegen, vgl. etwa zum Stand der Diskussion: E. W. Stegemann, „Coexistence“, 243-266 (mit weiteren Literaturhinweisen). 43 „Für Lukas spielt das pagane Pantheon also keine Rolle. Er nimmt das religiöse Leben seiner Zeit eher von den paganen Götterbildern sowie vor allem von der antiken Mantik und der religiösen Kommunikation her wahr. Lukas verkündigt auch nicht einen monotheistischen Gott in einer polytheistischen Welt. Er verkündigt einer teils polytheistisch, teils henotheistisch, jedenfalls aber in vielfältigen religiösen Formen lebenden Welt den einen wirkenden Gott, der Pantheon und religiöse Praxis der Heiden gleichsam aufrollt“, O. Wischmeyer, „Gottesglaube“, 32. Auch Lukas, nicht nur Paulus, lässt sich auf das heidnische Pantheon nicht wirklich ein, sondern betrachtet das ‚Heidentum‘ als Zauberei etc. 186 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie Wie aber reflektiert Paulus seine Missionsverkündigung in Makedonien? Gibt er selbst Hinweise auf die Wahrnehmung der paganen Außenwelt? In 1 Thess 1,9f. verweist Paulus in Form eines missionsgeschichtlichen Rückblicks auf den Inhalt seiner Missionspredigt in Thessaloniki 44 . Paulus resümiert - wenn wir Karl P. Donfried folgen, auf der Basis der „missionary proclamation of Hellenistic Christianity“ 45 - wie folgt: „… wie ihr euch bekehrt habt von den Götzen zu Gott (… ἐπεστρέψατε πρὸς τὸν θεὸν ἀπὸ τῶν εἰδώλων), und zwar um dem lebendigen und wahrhaftigen Gott zu dienen und seinen Sohn, den er auferweckt hat, vom Himmel zu erwarten - Jesus, der uns aus dem kommenden Zorn befreit“. Hinter diesen Worten, die freilich in deutlichem Maße auch von jüdischer Theologie geprägt sind, verbirgt sich in der Tat Missionssprache 46 , die in Anknüpfung an LXX-Sprache (ἐπιστρέφω) durchaus ethisch-moralische Konnotationen hat 47 . Nach Apg 17,1ff. (s. o.) und 1 Thess 1,9f. können wir also - wenn auch nur in Umrissen - rekonstruieren, wie Paulus in Thessaloniki mit Ausgangspunkt in einer jüdischen Infrastruktur und unter kritischem Verweis auf die pagane Außenwelt missioniert hat. Was aber lässt sich dem anderen nach Makedonien gerichteten Brief, dem Phil, entnehmen? Zwar verzichtet Paulus hier auf einen expliziten missionsgeschichtlichen Rückblick. Doch auch Phil 2,5/ 6-11 48 enthält Hinweise darauf, wie Paulus im Umfeld einer aufstrebenden römischen Kolonie agiert hat. Denn auch hinter diesem Text scheint missionierende Sprache durch: John Reumann hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die paulinische Semantik in Phil 2,9 Anleihen an Missionspredigten hat (vgl. Apg 2,33; 5,31) 49 . In sprachlich wie theologisch verdichteter Prosa-Form 50 legt Paulus hier die Kyriotes Jesu dar, erklärt also, wie es zur Übertragung der göttlichen Kyrios-Würde auf Jesus kommt 51 . Anders 44 Vgl. dazu E.-M. Becker, „Patterns“, 276-296. 45 K. P. Donfried, Paul , 79. 46 Martin Dibelius hält die Wendung daher für „auf unliterarischem Wege fixiert“ und deutet sie in Analogie zu prägnanten Formulierungen der philosophischen Wanderlehrer des Hellenismus: M. Dibelius, Thessalonicher , 6 mit Hinweis auf G. Phönix von Kolophon (1909). 47 Vgl. S. Légasse, „ἐπιστρέφω κτλ.“, 99-102, 100f. 48 Ich werde den Text hier allerdings nicht im Blick auf seine mögliche prä-paulinische (z. B. E. Lohmeyer) oder para-paulinische (= Komposition der Philipper, s.: J. Reumann, Philippians , 365 u. ö.) analysieren. 49 J. Reumann, Philippians , 354. 50 Dadurch ergibt sich tendenziell eine formale Nähe zum Enkomion, Epainos, Bekenntnistext oder Propagandatext. Zur Form- und Gattungsdiskussion vgl. auch S. Vollenweider, „Hymnus“ , 208-231. Vollenweider selbst schlägt bei der Formbestimmung ein ‚hymnisches Christuslob‘ vor (225). 51 Der Begriff ‚Kyriotes‘ hat sich seit den einflussreichen Arbeiten von W. Bousset, Kyrios , und E. Lohmeyer, Kyrios , als terminus technicus der Paulus-Forschung etabliert. 3. Das paulinische Wirken in Makedonien aus der Sicht des Paulus 187 als etwa in 1 Kor 8,6; 12,3 oder Röm 10,9, wo Paulus die Kyriotes Jesu lediglich titular oder akklamatorisch benennt, entfaltet er sie in Phil 2,6-11 narrativ 52 : Wir erfahren gewissermaßen, warum Jesus in seinem Verhältnis zu Gott dem Vater (Phil 2,11) 53 schließlich als κύριος zu bekennen ist (vgl. διό in V. 9). Wie aber ist die paulinische Rede von der Kyriotes Jesu motiviert? Ist Phil 2,5/ 6-11, das gemeinhin als religionsgeschichtliches Kernstück der paulinischen Briefe gilt 54 , als Reflex auf die Wahrnehmung der paganen Außenwelt zu deuten? In der Forschung werden vor allem zwei Tendenzen vertreten: eine politische (a) und eine religiös-mythische (b) Deutung des Textes. (a) In der jüngsten Paulus-Forschung ist wiederholt vorgeschlagen worden, den Phil insgesamt, speziell aber Phil 2,5/ 6-11 als politischen Text zu lesen 55 . Demnach hätte Paulus so auf die römische Außenwelt, wie sie ihm in Philippi vor Augen stand, reagiert, dass er in Ansätzen ein anti-imperiales Denken übernahm 56 oder formulierte und damit wesentliche Kritik am römischen Imperium 52 1 Kor 8,6: -… und einen Kyrios Jesus Christus-…; 1 Kor 12,3: -… und niemand kann sagen: Kyrios Jesus, wenn nicht im heiligen Geist; Röm 10,9: denn wenn du (den) Kyrios Jesus mit deinem Mund bekennst-…; Phil 2,6-11 (zitiert nach der rev. Luther-Übersetzung, 1984): „ 6 Er, der in göttlicher Gestalt war, hielt es nicht für einen Raub, Gott gleich zu sein, 7 sondern entäußerte sich selbst und nahm Knechtsgestalt an, ward den Menschen gleich und der Erscheinung nach als Mensch erkannt. 8 Er erniedrigte sich selbst und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9 Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm den Namen gegeben, der über alle Namen ist, 10 daß in dem Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind, 11 und alle Zungen bekennen sollen, daß Jesus Christus der Herr ist, zur Ehre Gottes, des Vaters“. 53 E. Lohmeyer, Kyrios , 64 schlägt vor, die Vater-Rolle Gottes nicht primär in Relation zu Christus zu sehen, sondern kosmisch zu verstehen: „‚Vater der Welt‘“ (vgl. Eph 3,15). 54 Die religionsgeschichtliche Bedeutung besteht vor allem darin, dass Paulus nur hier die Kyriotes Jesu narrativ entfaltet - s. die vorhergehenden Anm. Paradigmatisch war: E. Käsemann, „Kritische Analyse“, 51-95. 55 Vgl. etwa S. Vollenweider, „‚Raub‘“, 413-433, z. B. 431: In Phil 2,6-11 wird Christus „als Gegenbild zum Typ des sich selbst erhöhenden Herrschers dargestellt“. Ich stimme Vollenweider zwar darin zu, dass der Phil im Blick auf die Abfassungssituation und wichtige Lexematik (πολίτευμα, πολιτεύεσθε) „vielleicht der am meisten politische Brief des Apostels“ ist (430) - das politische Denken des Paulus jedoch bezieht sich auf die Organisation der Gemeinde und ist an einer Stellungnahme zu den Machtverhältnissen im Imperium Romanum nicht oder allenfalls nur am Rande interessiert. - Vgl. zu der Diskussion über die politische Deutung des Paulus insgesamt auch: A. Standhartinger, „Theologie“, 364-382; J. R. Harrison, „Paul“, 71-96. - Zuletzt wird zudem versucht, bei Lukas anti-imperiale Züge nachzuweisen: S. Schreiber, Weihnachtspolitik . - Kritisch im Blick auf politische Deutungen und speziell die politischen Implikationen des Begriffs εὐαγγέλιον ist hingegen A. Lindemann, „Evangelium“. 56 Vgl. H. Wojtkowiak, Christologie , 83ff., der Phil 2,6-11 als „Traditionsstück“ mit herrscherkritischer Tendenz liest. 188 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie und seinen Repräsentanten, also Herrscherkritik, übte 57 . Die Kyriotes Jesu betrachtete Paulus in Kontrast zu den Machtansprüchen des Imperium Romanum . Die universale Proskynese in Phil 2,10f. hätte dann politische Implikationen. Setzt Paulus sich also in Phil 2,5/ 6-11 - wenn schon nicht mit der polytheistischen Götterwelt - so doch zumindest direkt oder indirekt mit römischer Machtpolitik auseinander? Ohne Zweifel stellt die Einsicht in die durch die römische Herrschaft bestimmten geo-politischen Bedingtheiten der Mittelmeerwelt, die sich besonders im 1. Jh. verstärkt horizontal ausprägen 58 , eine grundlegende Herausforderung für frühchristliche Autoren dar. Doch bemühen sich Lukas wie Paulus deutlich um Konfliktvermeidung 59 . Und in den Paulusbriefen selbst finden sich wenige direkte Reflexionen römischer Machtpolitik: Selbst wenn Paulus direkt auf den römischen Staat verweist (Röm 13,1ff.), so ermahnt er gezielt zur Konfliktvermeidung. Ebenso wenig enthält der Phil, obwohl offenbar in direkter Nähe zu Einrichtungen römischer Administration verfasst (Prätorium: 1,13), negative Hinweise oder Anspielungen auf Rom oder die Vertreter des Imperium . (b) Seit der religionsgeschichtlichen Schule wird eine mythisch-religiöse Deutung von Phil 2,6-11 versucht, die zum einen darauf zielt, die Entäußerung Jesu (Motiv der Kenosis : Phil 2,7) 60 , also den Verzicht auf den gott-ähnlichen Status, vor dem Hintergrund des ‚Höllenfahrtsmythos‘ zu deuten 61 . Zum anderen soll die Kyriotes Jesu dem Herrschaftsanspruch Gottes zugeordnet werden: Wie lässt sich verstehen, dass Gott offenbar Jesus den Kyrios-Namen verleiht (Phil 2,9)? Sollten wir hierbei - wie Wilhelm Bousset vorgeschlagen hat - hellenistische Mysterienkulte als Analogie bemühen, so dass in der Folge ‚mehrere Kyrioi‘ vorstellbar werden? 62 Geht die Verleihung der Kyrios-Würde mit einer Deifizierung Jesu einher? 57 Schon Adolf Deissmann meinte, im frühesten Christentum einen „polemischen Parallelismus“ „zwischen Kaiserkult und Christuskult“ feststellen zu können: So z. B. A. Deissmann, Licht , 257. In neuerer Zeit: L. Bormann, Philippi . - Weitaus zurückhaltender im Blick darauf, die Christus-Verehrung als bewussten Gegensatz zum „Regentenkult“ zu verstehen, war W. Bousset, Kyrios , 94. 58 Vgl. G. Alföldy, Sozialgeschichte , bes. 118f. 59 Die Verteidigungsreden des Paulus in den Acta „sollen zeigen, daß christlicher Glaube und römischer Staat einander nicht bedrohen, sondern ohne weiteres nebeneinander existieren können“, H. Conzelmann/ A. Lindemann, Arbeitsbuch , 358 - so eine klassische Darstellung in der Einleitungswissenschaft. 60 Zum Motivfeld vgl. A. Oepke, „κενόω κτλ.“, 659-662. - Hierher leitet sich theologiegeschichtlich die sog. „Kenotische Christologie“, vgl. J. Webster, „Kenotische Christologie“, 929-931. 61 So M. Dibelius, Philipper , 63. 62 Vgl. W. Bousset, Kyrios , 91ff. und 134ff. - kritisch dazu etwa U. B. Müller, Brief , 111f. 3. Das paulinische Wirken in Makedonien aus der Sicht des Paulus 189 Auffällig ist, dass Paulus die Zuordnung der Kyriotes Jesu, auf die er sonst - so wie auch Lukas das tun kann (Apg 16,31; s. o.) - mehrfach nur stereotyp verweist (z. B. 1 Kor 12,3; Röm 10,9) 63 , in Phil 2 nicht stringent entfaltet. Damit ordnet er sie ebenso wenig dem Herrschaftsanspruch Gottes explizit zu: Vielmehr ist der Gott Israels handelndes Subjekt bei der Erhöhung und der Inthronisation Jesu und wird als ‚Gott Vater‘ zuletzt auch Zielpunkt der Akklamation Jesu (V. 11c): So dient auch die Kyrios-Akklamation Jesu letztlich der Proklamierung Gottes. Auch die Annahme, dass Christus durch die Verleihung der Kyrios-Würde de facto deifiziert werde, erweist sich als nicht tragfähig: Hier gilt es einerseits zu bedenken, dass die frühjüdische Verwendung von κύριος weit gefächert war (vgl. z. B. Philo, Flacc 49; Leg 1,53) und bei Übertragung auf eine menschliche Person nicht per se mit Deifikation einherging 64 . Für Paulus stellt sich das Problem der Deifikation Jesu in Phil 2 andererseits auch insofern nicht, als er im Phil und anders als in anderen Briefen (1 Thess, 1 Kor, 2 Kor und Röm) 65 den Kyrios-Titel gerade nicht zur Bezeichnung des Gottes Israels verwendet. Es kann hier also keinen Konflikt hinsichtlich der Inanspruchnahme der Kyrios-Würde geben. Paulus entwickelt in Phil 2,6-11 vielmehr in narrativer Form, wie es zur Konstituierung der Kyriotes Jesu als desjenigen kommt, der sich selbst bedingungslos erniedrigt hat. Dabei ist ein innerer Zusammenhang von Selbsterniedrigung und Erhöhung immer vorausgesetzt: Denn im Schema von Erniedrigung und Erhöhung (vgl. z. B. auch Q 14,11), das im frühen Judentum teils sozial, teils aber auch religiös oder ethisch gedacht ist 66 , geschieht Selbsterniedrigung durchaus in Hinsicht auf eine Erhöhung durch Gott. Im Kontext von Phil 2 erschließt sich diese Erzählung dann als Beispiel, also als exemplum , für die Ausübung von ‚Demut‘ als einer Niedrig-Gesinnung und Statusverzicht (s. u.). Weder die politische noch die religiös-mythische Deutung von Phil 2,6-11 können daher überzeugen. Das aber bedeutet einen weiteren Negativ-Befund bei der Bearbeitung der Frage, wie Paulus auf die pagane Außenwelt reagiert hat: Paulus hat nicht nur auf eine theologisch substantielle Götterkritik verzichtet, sondern sich auch an anti-imperialem Denken oder an der Konstruktion eines polemisch motivierten Christuskultes eher desinteressiert gezeigt. Vielmehr denkt und argumentiert Paulus in Phil 2 von einem exklusiven jüdischen Gottesbild her und lässt speziell die Christologie zum exemplum für Gemeinde-Ethik werden. In Phil 2,6-11 nimmt Paulus daher in einem ethischen Diskurs 63 Umfassende Hinweise bei: J. A. Fitzmyer, „κύριος κτλ.“, 817f. 64 Darauf weist P. W. van der Horst, Philo’s Flaccus , 147 im Blick auf Flacc 49 hin. 65 Umfassende Hinweise bei: J. A. Fitzmyer, „κύριος κτλ.“, 811-820, 815f., z. B. 1 Thess 4,15; 5,2, 1 Kor 5,5. 66 Vgl. H.-P. Mathys, „Demut“, 654-655. 190 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie auf die römische Außenwelt Bezug 67 : Er verwendet die exemplarische Erzählung von der Kyriotes Jesu zur Begründung eines an Christus orientierten ethos . Es geht um das ethos des Statusverzichts 68 . Die nun folgenden exegetischen Beobachtungen sollen diese These bestätigen. 4. Phil 2,6-11 und das ethos des Statusverzichts Wie ich an anderer Stelle ausführlicher zeige 69 , ist Phil 2,6-11 - ein Text, der in der Forschung gerne als Christus-Hymnus oder Christus-Lied gelesen und wahlweise dem hellenistischen Christus-Kultus oder der palästinischen Eucharistie zugeschrieben wurde 70 -, in erster Linie als eine Beispielerzählung, d. h. ein narrativ gestaltetes exemplum zu lesen. Dieses exemplum ist im epistolographischen Kontext paränetisch gerahmt (Phil 2,2-4) und soll in rhetorischer Hinsicht die materia der ταπεινοφροσύνη explizieren 71 . Paulus kommuniziert damit in der Sache ein eher jüdisch geprägtes ethos . In der griechisch-römischen 67 Anders aber als z. B. J. A. Hellerman, Honor , der im Diskurs über ‚Ehre‘ ( honor ) innerhalb des cursus honorum den eigentlichen Hintergrund von Phil 2,6-8 sieht, meine ich, dass Paulus hier Motivik aufnimmt, mit Hilfe derer er in literarischer Form die alttestamentlich-jüdisch basierte Vorstellung ταπεινοφροσύνη zu einem an Christus orientierten ekklesialen ethos konstruiert. 68 Vgl. zum Begriff allgemein: G. Guttenberger Ortwein, Status ; G. Theissen, „Nächstenliebe“, 119-142. 69 Vgl. besonders: E.-M. Becker, „Mimetische Ethik“, 219-234. 70 Fasst Paulus hier - wie Bousset meint - „die kultische gottesdienstliche Würdestellung Jesu“ zusammen? Vgl. W. Bousset, Kyrios , 89. „Der heilige Kultname des alttestamentlichen Jahve, der über dem Kult in Jerusalem waltet, erscheint hier übertragen auf den neuen Kyrios, das feierliche Bekenntnis des Deuterojesaia (45,23) zu dem allmächtigen Gott ist an Jesus gerichtet“. Geht es in diesem Text also um eine im „Christuskult“ beheimatete Zuschreibung von Kyriotes, die aus der hellenistischen Gemeinde stammt und darauf zielt, Jesus zu einem „Kultheros“ zu machen (a. a. O., 90: „Kyriosname und Christuskult gehören unmittelbar zusammen“. „Wir haben es hier mit einer aus der Unmittelbarkeit des religiösen Gefühls stammenden Überzeugung“ zu tun, ebd.)? In andere, nämlich nicht-hellenistische Richtung weist Lohmeyer: Vgl. E. Lohmeyer, Kyrios , 74. Er meint, dass uns hier ein „judenchristlicher Psalm“ vorliegt, der von einem Dichter, „dessen Muttersprache semitisch war“, auf Griechisch verfasst wurde (a. a. O., 9). Der Psalm repräsentiert „ein Stück ältester eucharistischer Liturgie-… Auch dadurch scheint seine palästinensische Herkunft deutlich bestätigt“ (a. a. O., 66). 71 Mit der materialen Seite sind die stofflichen oder propositionalen Inhalte der Argumentation bezeichnet - in der Rhetorik wird hier von materia oder thema gesprochen, H. Lausberg, Elemente , § 29-38. 4. Phil 2,6-11 und das ethos des Statusverzichts 191 Welt - so auch bei Josephus (z. B. B J 4,319; 4,365 u. ö.) - dagegen ist das Wortfeld ταπεινtendenziell negativ konnotiert 72 . Die ταπεινοφροσύνη realisiert sich als Statusverzicht Christi, der theologisch und christologisch entfaltet wird 73 . Paulus formuliert hier wichtige Aussagen über Gott als Handelnden 74 . Zugleich gilt der Textabschnitt als „locus classicus paulinischer Christologie“ 75 : Paulus nämlich begründet die Kyriotes Jesu in ihrem Verhältnis zu Gott narrativ und stilisiert sie zugleich im Blick auf den Statusverzicht als exemplum für die Gemeinde. Der Verweis auf Christus als ethisches Vorbild wird zwar erst durch den paränetisch konnotierten Kontext in Phil 2 gerahmt und aktualisiert - Paulus bewegt sich hierbei „im Rahmen antiker sowohl paganer als auch jüdischer Paraklese“ (vgl. z. B. Seneca, ep mor 94,40; Plutarch, mor 780B; Velleius Paterculus, 2,126,5) 76 . Doch bereits Phil 2,6-11 hat einen proto-biographischen Charakter, der durch den Kontext 77 paränetisch eingebettet wird. Ein solches exemplum illustriert hellenistisch-römischen Lesern in plausibler Form die Kyriotes Jesu: Ihnen wird ein ethisches Vorbild vor Augen gestellt, das ein daran orientiertes Verhalten der Gemeinde einfordern kann 78 : Das Gesinnt-Sein (V. 6: ἡγήσατο), das Verhalten und das Handeln Jesu sind hinsichtlich der bedingungslosen Ausübung von ταπεινοφροσύνη (V. 8) ethisch vorbildhaft für die Haltung (ἡγούμενοι, V. 3), ja die φρόνησις der Gemeinde (Phil 2,3.5). So wird im Gesamtabschnitt die Christologie Jesu theologisch reflektiert und ethisch adaptiert 79 . 72 Vgl. L-S-J, 1757 mit Hinweis auf: Josephus, B J 4,9,2; Arrianus/ Epiktet, Diss 3,24,56. Hinweise auch bei W. Grundmann, „ταπεινός κτλ.“, 1-27, 5 und 14f. 73 Sicher nicht zufällig ist Phil 2,5/ 6-11 daher der einzige paulinische Abschnitt, in dem der Begriff des Kyrios die sachliche Mitte eines „streng durchgeführten Gedankengangs bildet“, E. Lohmeyer, Kyrios , 4. 74 S. Vollenweider, „Hymnus “ , 230 versucht diesen theologischen Gehalt als eine Form von Theozentrik zu beschreiben, die sich der „Kategorie des christologischen Monotheismus“ zuweisen lässt (teils im Original kursiv). 75 E. Lohmeyer, Kyrios , 4. 76 H. Wojtkowiak, Christologie , 140 - Textbelege: 140f. 77 Anders S. Vollenweider, „Hymnus “ , 225: „In seinem Kontext stellt er (= der Text) eine Digression dar, die den Philippern ein verheissungsvolles exemplum christlicher Selbsterniedrigung präsentiert“. Die Diskussion, wieweit Phil 2,6-11 ein vor-paulinisches Traditionsstück sei, kann ich in diesem Zusammenhang nicht führen (s. o.) - sie erweist sich für die endtextbasierte Interpretation des Textes in seinem Kontext als weniger relevant, als gemeinhin in der Forschung suggeriert wird. 78 Vgl. zur exemplum -Kultur z.B.: M. B. Roller, Exemplarity , 1-56. 79 Der christologische Gehalt der Kyriotes Jesu wird in erster Linie weder - wie in 1 Thess 1,9f. - eschatologisch, also endzeitlich (anders U. B. Müller, Brief , 109: „Der umfassende, alle Wesen umgreifende Charakter der Handlung spricht für ein Ereignis, das noch der Zukunft angehört“), noch - wie in 1 Kor 15,3b-5 - soteriologisch, also heilsgeschichtlich, qualifiziert, sondern weist eine sonst für Paulus eher untypische theologische und 192 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie Der kausale Zusammenhang, der zur göttlichen Zuschreibung der Kyriotes Jesu führt, wird wie folgt hergestellt: Es geht - und das ist in der Forschung weitgehend unbestritten - um den umfassenden Statusverzicht dessen, der ἐν μορφῇ θεοῦ 80 war. Aus ethischer Sicht werden hier Fragen des moral progress berührt, die Paulus teils in Nähe, teils in deutlicher Distanz zur zeitgenössischen Philosophie entwickelt hat (vgl. etwa Seneca, ep mor 31) 81 . Weniger deutlich ist, wofür ἁρπαγμός steht: Im Einklang mit der paulinischen Semantik andernorts (2 Kor 12,2; 1 Thess 4,17) liegt hier - wie ich meine - die Vorstellung vom Akt eines gewaltsamen apokalyptischen Raubes bzw. einer Entrückung (ἁρπαγμός) 82 vor. Demnach wurde Jesus in einem apokalyptischen Geschehen Gott an die Seite, ja sogar gleichgestellt, so dass er einen ultimativen Status bei Gott innehatte. An diesem ihm zustehenden ἁρπαγμός aber hat Christus nicht festgehalten - sein Gesinnt-Sein war nicht auf die Bewahrung oder Ausnutzung ethische Prägung auf, die besonders im Kontext von Phil 2 paränetisch gewendet ist. Dass die Christus-Verehrung freilich auch soteriologische (Röm 10,9f.), kosmische, universale und zuletzt auch eschatologische Dimensionen hat (V. 10-11), steht dazu nicht in Widerspruch. Primär aber spricht Paulus in Phil 2 nicht über Christi eschatologische Inanspruchnahme seiner Doxa (V. 11c), sondern über die ethische Begründung der Doxa Christi, die falscher κενοδοξία (V. 3) gegenübergestellt wird. 80 Für J. Gnilka, Philipperbrief , 146f. liegt hier „sehr wahrscheinlich-… die älteste ntl. Aussage von der Präexistenz“ vor - zurückhaltender U. B. Müller, Brief , 98: „Der Gedanke der Präexistenz ist-… implizit vorhanden, wenn auch nicht betont entfaltet“. Wichtig ist, dass die ἴσα θεῷ-Wendung hier nicht „‚to be equal with God‘, but ‚existence in the way of equality with God‘“ bedeutet: So M. R. Vincent, Epistles , 59. 81 Wie bei Seneca ( ep mor 31) ist Paulus in Phil 2 mit Fragen von Status und Statusverzicht befasst. Beide Autoren diskutieren in diesem Zusammenhang die Möglichkeiten des moral progress . Für Seneca ist die Gleichheit mit Gott durch Einsicht ( scientia ), die die Natur als Gabe vermittelt hat, zu erreichen ( ep mor 31,8-10). Der Geist ( animus ) ist der im menschlichen Körper zu Gast weilende Gott ( ep mor 31,11). Paulus hingegen schreibt die Gleichheit mit Gott allein Christus zu (Phil 2,6) - der moral progress der ἐκκλησία bemisst sich daher an der προκοπὴ τοῦ εὐαγγελίου (Phil 1,12) und realisiert sich in einer am vorbildhaften Handeln Christi orientierten Gesinnung (Phil 2,1-5): Vgl. z. B. J. Ware, „Moral progress“, 267-283, bes. 275; T. Engberg-Pedersen, „The logic“, 238-266. 82 Ich kann hier nicht umfassend auf diese crux interpretum eingehen: Die einzige profangriechische Verwendung des Begriffs begegnet bei Plutarch, Lib Ed 15/ 12 A - Reinach schlägt daher die Konjektur ουκ απραγμον vor (nicht mehr ausgewiesen in Nestle-Aland 28 ). Die gegenwärtige exegetische Diskussion steht faktisch immer noch unter Einwirkung von W. Jaeger, Philipperbrief , 537-553. Zu W. Jaeger vgl. zuletzt: W. M. Calder, „Jaeger“, 617-621. - Hier nur so viel: Vgl. zur apokalyptischen Vorstellung des Raubens generell: 2 Kor 12,2; 1 Thess 4,17. Zur Entrückung Christi: Apk 12,5. Ansätze zur Deutung von ἁρπαγμός als Entrücktwerden finden sich bei L. L. Hammerich, Misunderstanding ; L. Abramowski, Untersuchungen . Unklar bleibt mir, warum S. Vollenweider, „‚Raub‘“, 418 ohne weitere Begründung oder Diskussion die apokalyptische Deutung apodiktisch ablehnt („… nichts austrägt-…“): Vielmehr zeigt sich, dass die Semantik paulinisch ist. 4. Phil 2,6-11 und das ethos des Statusverzichts 193 dieses letztlich enthusiastisch qualifizierten Status 83 , sondern auf die Ausübung von ταπεινοφροσύνη ausgerichtet: Im Blick auf Gewaltsamkeit und Humilität bilden ἁρπαγμός und ταπεινalso semantische Oppositionen 84 . Die Konstruktion dieser semantischen Oppositionen geht auf Paulus selbst zurück - eine Beobachtung, die für die Frage nach der traditionsgeschichtlichen Herleitung von Phil 2,6-11 wichtig werden könnte. Der Statusverzicht Christi reicht von der Annahme menschlicher Gestalt bis zur Selbsterniedrigung (V. 8a) und dem Gehorsam, am Kreuz zu sterben (V. 8b.c). Hier liegt die Voraussetzung zur Erhöhung und Inthronisation Jesu und schließlich auch zur Proskynese (V. 10). Phil 2,6-8 resümieren also die Konditionen der Erhöhung, V. 9 benennt den Akt der Erhöhung und Inthronisation als göttliche Legitimierung des Verhaltens Jesu, und V. 10 (ἵνα) beschreibt den ebenso doppelt gefassten Zweck der Erhöhung 85 : Proskynese und Akklamation 86 . Syntaktisch gesehen ergibt sich somit eine Dreiteilung des Textes: (1) V. 5/ 6-8 Das paradigmatische Verhalten Jesu (2) V. 9 Erhöhung und Inthronisation als göttliche Legitimierung (3) V. 10-11 Funktion der Inthronisation: Proskynese und Akklamation Woher aber stammt die Motivik, die Paulus hier verwendet? Nimmt Paulus mit der Wahl seiner Motivik ausschließlich jüdische Traditionen auf, oder nimmt er auch Bezug auf seine hellenistisch-römisch geprägte Umgebung? Der erste Teil (V. 5/ 6-8) des Textes enthält Semantik und strukturelle Motivik, die alttestamentlich herzuleiten sind 87 , aber auch sog. paganen, etwa römischen Lesergruppen zur Deutung offenstehen 88 . Besonders aber die sprachliche Form der hier gewählten ex-negativo -Darstellung in Phil 2,6 bietet Anklänge an römische Biographik. In diesem Zusammenhang möchte ich auf einen Text hinweisen, der 83 In ähnliche Richtung weist auch die patristische Exegese, vgl. M. Dibelius, Thessalonicher, 61. - Auch in Phil 3,2ff. wendet sich Paulus gegen mögliche enthusiastische frühchristliche Tendenzen: H. Wojtkowiak, Christologie , 35. 84 Vgl. auch L-S-J, 1757 zum weiten Bedeutungsspektrum. 85 Darauf weist J. Reumann, Philippians , 372 hin. 86 Vgl. M. R. Vincent, Epistles , 62. 87 Die Semantik macht Anleihen an die deutero-jesajanischen Gottesknechtslieder: Hier ist besonders an die individuellen Gottesknechtslieder zu denken: Jes 42,1-4; 49,1-6; 50,4-9; 52,13-53. Vgl. auch K. Baltzer, „Gottesknecht“, 1224-1226. In V. 7b wird die μορφὴ θεοῦ zugunsten einer μορφὴ δούλου eingetauscht, was an Jes 53,11 erinnert. Zugleich aber erschöpft sich Phil 2,5/ 6-11 nicht in der Aufnahme (früh‐)jüdischer Traditionen, vgl. auch die knappen Belege in Strack-Billerbeck: III,620. 88 Vgl. etwa das Motiv der Entrückung, das sich mit der Ganymed-Figur (Catamitus) assoziieren lässt oder wenn die Vorstellung der μορφὴ δούλου (V. 7b) sich im Kreuzigungsmotiv (V. 8c) konkretisiert: Die Kreuzigung ist im römischen Recht in erster Linie eine Strafe für Sklaven: Vgl. G. R. Watson/ A. W. Lintott, „crucifixion“, 411. 194 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie - soweit ich sehe - bisher nicht bei der Analyse von Phil 2 angeführt wurde 89 : In seiner vita über den Zeitgenossen und Freund Atticus, die uns als Teil des „Liber De Historicis Latinis“ überliefert ist, schafft Cornelius Nepos einen eindrucksvollen proto-biographischen Text mit encomium -ähnlichen literarischen Elementen 90 , der sich signifikant davon unterscheidet, wie Nepos sonst über Politiker und Generäle schreibt: In 25,6,1-5 präsentiert er Atticus’ öffentliches Leben ( in re publica ) nämlich so, dass er dessen Tugenden und Werte gleichsam in einer ex-negativo -Aufzählung benennt, um so Atticus‘ hohe öffentliche Stellung umso deutlicher hervorzuheben (… optimarum partium -…, 25,6,1) 91 . Ähnlich Phil 2 wird bei Nepos ein ‚Statusverzicht‘ konstruiert 92 , der der umfassenden Anerkennung der Person vorausgeht, ja sogar als deren Voraussetzung gedeutet wird. Das Motiv des Statusverzichts, das Paulus in Phil 2 - einem myth-historischen, und d. h. in Ansätzen proto-biographischen Text 93 - entwickelt, dürfte also auch einem römischen Lesepublikum nicht fremd sein. Proto-biographische Motivik, die die Tradition des Machterwerbs von Herrschern problematisiert (vgl. z. B. Nikolaos von Damaskus, FGrHist 90 F 130,97/ 117: ἴσα καὶ θεὸν τιμώμενον) 94 , klingt zudem bereits in V. 6c, nämlich in der ἴσα θεῷ- Wendung an, die sich kaum von der jüdischen Vorstellungswelt herleiten lässt 95 . Das Christusexemplum hat also deutlich erkennbare proto-biographische Züge, 89 Das gilt auch für R. Brucker, ‚Christushymnen‘ , der ja in Phil 2 ein encomium sieht. 90 Literarische Elemente des encomium: Prooimion, genesis, physis, anastrophe, epitedeumata, praxeis, synkrisis, epilogos , s. auch: Isocrates, Euagoras : Vgl. E. Alexiou, Isokrates . Xenophon, Ag ; Suetonius, Calig 1-7 (Lob des Germanicus). 91 „… He did not seek offices-… He accused no one either in his own name or in partnership with another. He never went to law about his own property, he never acted as judge-… In so acting he had an eye, not only to his dignity, but to his peace of mind as well, since he thus avoided even the suspicion of wrong-doing. The result was that his attentions were more highly value by all, since they saw that they were inspired by a desire to be of service and not by fear or hope-…“ (25,6,2-5): Übersetzung nach: LCL 467 ( J. C. Rolfe) , 297- 299. C. Nepos „was not skilled in the art of composition-… His vocabulary is limited, and he expresses himself ordinarily in short sentences“, so J. C. Rolfe, „Introduction“, xii. Hier liegt sicher ein Unterschied dazu vor, wie Tacitus die Biographie über seinen Schwiegervater Agricola konzipiert (vgl. A. R. Birley, „Agricola“: „belated funerary encomium“, 49). 92 Gleichwohl haben wir es hier mit verschiedenen Typen von ‚Status‘ zu tun: In Phil 2 wird ein religiöser Status konstruiert, bei Nepos ist ein rechtlicher oder sozialer Status-Begriff vorauszusetzen: Vgl. P. A. Cartledge/ B. W. Frier, „Status”, 1440-1442. 93 Wir haben es hier nicht im eigentlichen Sinne mit einer „Ideendichtung in Form eines Mythos“ zu tun, so E. Lohmeyer, Kyrios , 63, auch wenn freilich zutreffend ist, dass Paulus in seiner Beispielerzählung nicht in erster Linie an der historischen Person Jesu interessiert ist - das unterstreicht W. Bousset, Kyrios , 105. 94 Vgl. dazu die Übersicht über die Motivik bei J. Reumann, Philippians , 344. 95 Vgl. J. Reumann, Philippians , 345, der darauf hinweist, dass in der jüdischen Tradition der Gedanke der Gottgleichheit abgelehnt wird, so z.B.: 2 Makk 9,12; Philo, Leg All 1,49; Or Sib 5,34. 4. Phil 2,6-11 und das ethos des Statusverzichts 195 die sich als solche in der hellenistisch-römischen Welt kontextualisieren lassen 96 . Die Verknüpfung der proto-biographischen Form mit der Semantik der ταπεινοφροσύνη schafft dann jedoch eine ‚kognitive Dissonanz‘ - in einem proto-biographischen Textstück entfaltet Paulus ein tendenziell jüdisch geprägtes Ethos narrativ. Der zweite und dritte Teil des Textes (V. 9 und V. 10f.) wird durch einen Subjektwechsel eingeleitet - nun wird Gott selbst zum Handelnden, und zwar in doppelter Weise: Gott hat Jesus erhöht 97 und ihm einen über allen anderen Namen stehenden Titel gegeben. V. 9 bildet also in syntaktischer Hinsicht eine Zäsur und stellt einen Wendepunkt in einem bisher (V. 6-8) eher christologisch geprägten Text dar. Auch semantisch fungiert V. 9 als Scharnier sowohl zu V. 10f. (insgesamt: dreimaliges ὄνομα und dreimaliges πᾶς) als auch zum näheren Briefkontext in Phil 1-2 (vgl. χαρίζειν: Phil 1,29 und 2,9). Motivgeschichtlich steht die Namensgebung Jesu im Vordergrund - sie kommt insofern einer Inthronisation gleich, als Gott, der Vater, Jesus eine Kyrios-Würde zuteilwerden lässt. Erhöhung und Inthronisation gehen der Proskynese und der Akklamation Jesu als dem Kyrios Christos voraus (V. 10f.). Da Namensgebung und Inthronisation einander entsprechen, erlangt der Name eine pars-pro-toto -Funktion: Namen repräsentieren die nicht anwesende Person vollständig 98 . Die generelle Bedeutung des Gottesnamens, die hier im Hintergrund stehen dürfte, lässt sich von der (früh‐)jüdischen Vorstellungswelt her deuten: Der Name Gottes 99 ist Ausdruck seines umfassenden Herrschaftsanspruchs (z. B. Ps 99,3; Dtn 28,58; 2 Makk 8,15). Die Proskynese als folgerichtige Reaktion der universalen Anerkennung dieser Herrschaft nimmt ebenfalls - wie vielfach gezeigt wurde - LXX-Sprache auf ( Jes 45,23LXX) 100 . Für römische Leser indes bietet die göttliche Namensgebung Jesu noch weitere Anklänge an die ihnen eigene onomastische Tradition: Zur römischen Praxis gehört es, dass ein adoptierter Sohn den vollen Namen seines Vaters annimmt 101 . 96 Vgl. auch Sappho, 31 (φαίνεταί μοι κῆνος ἴσος θέοισιν) bzw. Catull Nr. 51. 97 U. B. Müller, Brief , 108 weist hierbei auf die Nähe zur synoptischen Tradition hin: Lk 14,11; 18,14; Mt 23,12. Im Herrenwort kommt es „zu dem gleichen Subjektwechsel“. 98 H. G. Kippenberg, „Name“, 103-124. 99 Der Name Gottes konnte seit dem 2. Jh. v. Chr. von griechischsprechenden Juden wohl als κύριος wiedergegeben werden: Vgl. J. A. Fitzmyer, „κύριος κτλ.“, 816 - mit Verweis auf: Josephus, ant 20,90; 13,68; TestLevi 18,2; grHen 10,9. Gleichwohl diente κύριος nicht der konkordanten Übersetzung des Tetragramms. 100 Vgl. z. B. U. B. Müller, Brief , 110. 101 Vgl. H. Solin, „Names“, 1024-1026, 1025. - Vgl. zuletzt auch: H. Solin, „Name“, 729-795, bes. 744ff.: „Siegerbeinamen, Vererbung der Namen, Adoptionsnamen“. 196 XI Paulus in Philippi: Ethik und Theologie 5. Kurzer Ausblick: Ethos und Theologie in Philippi Den Philippern gegenüber hat Paulus offenbar nicht die Abkehr von Göttern und die Hinwendung zu dem ‚lebendigen und wahrhaftigen Gott‘ proklamiert (so 1 Thess 1,9). Eine explizite Wahrnehmung und Reflexion der ‚Götter der Anderen‘ wird im Phil also ebenso wenig greifbar wie ein anti-imperiales Denken oder die polemische Konstruktion eines Christus-Kultes. Der Phil lässt vielmehr erkennen, wie Paulus in Philippi sich eines myth-historischen exemplum bedient, um damit auch auf sein paganes Umfeld mit einer ethischen Belehrung im Stil der gemeindlichen Paränese Bezug zu nehmen. So erweist sich die paulinische Christus-Verkündigung in Philippi als Proklamation eines an Christus orientierten Ethos. Paulus geht es dabei nicht um die Feststellung der soteriologischen Qualität des Handelns Christi (ὑπὲρ ἡμῶν) oder um die Offenlegung der Schriftgemäßheit des Handelns und Leidens Christi (κατὰ τὰς γραφάς). Er stellt vielmehr Christus als exemplum dafür vor, wie sich dann auch im Rahmen der Gemeinschaft untereinander (Phil 2,1-4) und mit Christus selbst (κοινωνία: Phil 1,5; 2,1; 3,10) die Achtung dessen, was dem Anderen dient (τὰ ἑτέρων), am besten in Ausübung von ταπεινοφροσύνη ereignen kann. Die Wahrnehmung ‚des Anderen‘ ist bei Paulus also gleichbedeutend mit der Wahrnehmung des Bruders/ der Schwester in der ἐκκλησία - sie führt letztlich in den Bereich der Konstituierung und Festigung einer Gemeinschaft, die an Christus orientiert ist. Und so ist die Wahrnehmung der ‚Götter der Anderen‘ sowie der politischen und administrativen Strukturen der hellenistisch-römischen Welt, die Paulus umgeben, nur soweit und solange für den Heidenapostel relevant, als sie dieser Konstituierung einer frühchristlichen Gemeinschaft im Wege stehen. Die polytheistische Götterwelt so wie die römischen Herrschaftsstrukturen an sich hingegen sind weder Gegenstand seiner Missionierungsstrategie und Theologie noch Ziel seiner persönlichen Apologetik 102 . Phil 2,5/ 6-11 gibt einen wichtigen Einblick in die paulinische Verknüpfung von Theologie und Ethos im makedonischen Philippi - und zwar im Rahmen von Mission und gemeindlicher Paränese. Die Akklamation Jesu als Kyrios bedeutet eine Zustimmung zu dem Ethos, das im Christusexemplum beschrieben wird. So dient der Statusverzicht in der Konsequenz der Durchsetzung der Doxa Gottes. Die ‚missionarische Strategie‘ des Paulus in Philippi dürfte demnach wesentlich auf der Proklamation eines ‚christlichen Ethos‘ basiert haben, das zuletzt dem Lobe Gottes dient (z. B. Phil 1,18) und im Zusammenhang gemeind- 102 Die Selbstverteidigung des Paulus z. B. in 2 Kor 10-13 ist immer gegen konkurrierende Apostel und nicht gegen die pagane Außenwelt gerichtet. Bibliographie 197 licher Paränese einheitsstiftend wirkt (Phil 2,1-4). An die Stelle einer direkten Auseinandersetzung mit und Bezugnahme auf die hellenistisch-römische Götterwelt, wie sie auch in 1 Thess 1 nur kurz begegnet und in Apg 17 eher wenig spezifisch durchscheint, ist in Phil 2 noch deutlicher die theologisch bzw. christologisch vertiefte Vermittlung eines frühchristlichen Gemeindeethos in exemplum -Form getreten. So findet die paulinische ‚Theologie‘ als Rede von Gott in paganem Umfeld letztlich in der Ethik ihren eigentlichen Fluchtpunkt. Bibliographie L. 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Sie wählt mit Aristoteles einen Autor, der bei der Frage, wieweit die literarische Gestaltung eines Textes (im jeweiligen literarischen genre und innerhalb des genres ) und der philosophische Gehalt miteinander verbunden sind, bisher eher ausgeblendet wurde 3 . Frede unterscheidet drei verschiedene Autorrollen in der Nikomachischen Ethik: Aristoteles wird hier als systematischer Philosoph, als Forscher und Pädagoge greifbar. An jede Autorrolle ist eine spezifische Thematik und Sprechabsicht geknüpft 4 . Aristoteles gibt zumeist nicht explizit zu erkennen 5 , mit welchem Rollenmodell er jeweils operiert. Vielmehr erschließt sich das aristotelische Rollenkonzept darin, mit welchen literarischen Formen der Autor seine Argumente präsentiert und welche Methoden der Untersuchung und Darstellung er dabei nutzt 6 . Die Analyse der many voices des Aristoteles kann, wie 1 Der vorliegende Beitrag führt dabei zugleich einige Beobachtungen zur paulinischen Semantik der „Demut“ im Philipperbrief aus, die ich im Blick auf die Begriffs- und Motivgeschichte der ταπεινοφροσύνη in Phil 2,3 gesondert dargestellt habe: E.-M. Becker, Demut . 2 D. Frede, „Form“, 215-237. 3 Vgl. auch C. Rapp, „Sprachliche Gestaltung“, 283. 4 „There is Aristotle the systematic philosopher, who determines the subject matter, its principles, and the appropriate method(s). Then there is Aristotle, the researcher working out the substantive details by applying those method(s). And finally, there is Aristotle the pedagogue, the teacher of the subject-matter, trying to convince his audience of the appropriateness of his investigation and its results”, D. Frede, „Form“, 216. 5 Ausnahmen könnten die direkten Anreden an die audience sein, z.B.: Eth Nic 1,3,1095a2ff. 6 So dient die „endoxic method“ der Präsentation als Philosoph: Die endoxische Methode ist von der induktiven Methode („‚what is [better] known to us‘“) zu unterscheiden: „The 206 XII Paulus als doulos in Röm 1,1 und Phil 1,1 ich im Folgenden in weiterführender Übertragung auf Paulus zeigen werde, auch für die Analyse des Philipperbriefes methodisch anregend und fruchtbar sein. Im Unterschied zu Aristoteles legt Paulus jedoch, wie wir sehen werden, vielfach die von ihm gewählten Autorrollen offensiv offen. 2. Die Funktion der Autorrollen bei Paulus Paulus wählt in seinen Briefen verschiedene Sprecher- oder Autorrollen, die er zumeist explizit macht. Diese Autorrollen erfüllen im Blick auf die Wirkabsicht seiner brieflichen Schreiben insgesamt drei Funktion: Sie dienen erstens der Autorisierung der Sprechabsicht, zweitens der Unterstützung oder Formulierung eines Arguments und drittens dem self-fashioning der Person (Stephen Greenblatt), das letztlich über die konkrete Briefsituation hinausweist. 7 Diese drei Funktionen lassen sich jedoch nur in einem ersten Schritt gesondert betrachten, denn sie wirken zum Zwecke der Konfigurierung des sachlichen Arguments letztlich zusammen. Die Selbstbezeichnung des Paulus als doulos in Röm 1,1 und Phil 1,1 bringt dieses Zusammenwirken von Autorrolle und Argument pointiert zum Ausdruck. Im Einzelnen: Die explizite Verwendung der Autorrollen ermöglicht es Paulus erstens , die jeweilige Sprechabsicht darzulegen und diese mit dem Ziel der Autorisierung seiner Rede zum Einsatz zu bringen. So spricht Paulus in unterschiedlichen brieflichen Zusammenhängen als berufener Apostel (Röm 1), Gemeindegründer (1 Kor 1ff.), Schriftausleger (Röm 9-11), Kontrahent (Gal; 2 Kor 10-13), Apokalyptiker (1 Kor 15; 2 Kor 12), Ratgeber (1 Kor 7), Gefangener (Phil 1), Briefeschreiber (2 Kor 2f.7), intimer Freund (Phlm) - um nur einige der many voices , die Paulus selbst wählt, offenlegt und gestaltet, zu nennen. Diese Rollen sind situativ bedingt (historischer Kontext des Briefeschreibers und der Adressaten) und sachlich-thematisch (Fragen- und Problemstellungen) sowie pragmatisch (Wirkabsicht bei den Adressaten) definiert und funktionalisiert. Doch auch innerhalb eines Briefes oder Briefteiles kann es zu einem Rollenwechsel kommen. Wir werden das gleich in Phil 1-2 sehen . Meine These ist, dass die Rollenwechsel, die speziell im Philipperbrief zu beobachten sind, dazu dienen, Form und Argument so zu konfigurieren, dass eine bestimmte Sprecherrolle selbst zum Argument wird, das zugleich auf die literarische und religiöse Selbstdarstellung des Paulus als doulos zurückwirkt. endoxic method is-… a procedure that uses ‚reputable‘ or ‚common opinions‘ as its starting point“, D. Frede, „Form“, 223. 7 Vgl. allgemein zum Begriff und Konzept: S. Greenblatt, Self-Fashioning . 2. Die Funktion der Autorrollen bei Paulus 207 Denn in Phil 1-2 wird zweitens die Rolle des doulos zu einem theologischen und ethischen Argument des Textes: Es dient der näheren Darstellung und Exemplifizierung dessen, was Paulus mit ‚Niedrig-Gesinnung‘ bzw. Demut (ταπεινοφροσύνη) in Phil 2,3 auf einen konzisen (ethischen) Terminus bringt. Der Begriff doulos ist zugleich ein verkürzender Ausdruck für die narrative Identität, die Paulus sich in seinem Briefeschreiben verschiedentlich gibt (vgl. Gal 1-2; 1 Kor 15). So rufen die Bezeichnungen als „Apostel“ (ἀπόστολος) oder eben als „Sklave“ (δοῦλος), die besonders in den brieflichen superscriptiones begegnen, wahlweise die spezielle narrative Identität des Gesandten oder des Untergeordneten auf, die Paulus in seinem Briefeschreiben an anderen Stellen ausführlicher narrativ ausgestaltet 8 . Umgekehrt führen die Verwendung des Begriffs doulos in Phil 1-2 und seine dortige kontextuelle Prägung dazu, dass das Lexem neue semantische Merkmale hinzugewinnt: So wirken die ταπεινοφροσύνη sowie die historische Situation, unter deren Eindruck Paulus Phil 1-2 schreibt, und die pragmatische Funktion des gegenwärtigen Schreibens ihrerseits semantisch auf die Wortbedeutung von doulos zurück. Semantik, Form und Argument korrelieren. Paulus nutzt die Selbststilisierung als doulos (Phil 1,1) drittens zum aktiven Zwecke des self-fashioning . Paulus erstrebt die unmittelbare Konformität mit dem Kyrios Christus (Phil 2,6-11) und ordnet diesem Streben die brieflich-literarische Beschreibung seiner apostolischen (und persönlichen) Existenz (Phil 3,10f. 21) zu. Paulus schreibt sich sukzessive in die Konformität mit Christus hinein 9 . So bringt die literarische wie religiöse ‚Selbststilisierung‘ des Paulus als doulos in grundlegender Weise das Selbstverständnis des Apostels, der nach Christus-Konformität sucht, zum Ausdruck. Die Selbstbezeichnung als doulos wird sogar zu einem Personenmerkmal 10 , das zugleich für die sachlich-theologische Deutung wichtiger Paulusbriefe (Philipper- und Römerbrief, aber auch die korinthische Korrespondenz und Galaterbrief) konstitutiv ist. Umso erstaunlicher ist, dass gegenwärtige Paulus-Darstellungen diesem grundlegenden literarischen Motiv der paulinischen Selbststilisierung, anders als dem ἀπόστολος- Titel 11 , zumeist wenig oder gar keine gesonderte Aufmerksamkeit schenken 12 8 Die ἀπόστολος-Rolle wird z. B. in 1 Kor 9.15 oder auch in Gal 1-2 extensiv entfaltet; wie die δοῦλος-Rolle der Argumentation des Römer- und Philipperbriefes unterliegt, skizziere ich in dem folgenden Beitrag (s. u.). 9 Vgl. dazu auch E.-M. Becker, Demut , 137. 10 Hierbei auch weiter auszuarbeiten, vgl.: E.-M. Becker, „Person des Paulus“. 11 Vgl. dazu etwa: D. Frey, „Paulus und die Apostel“. 12 In gegenwärtigen Paulus-Darstellungen wird das doulos -Motiv - besonders im Blick auf das Selbstverständnis ( self-understanding ) des Paulus - nicht weiter problematisiert, vgl. z. B. dazu: M. Wolter, Paulus ; U. Schnelle, Paulus , 158ff.; N. T. Wright, Paul . Eine mangelnde motivische und sozialhistorische Ausleuchtung des Ausdrucks begegnet auch etwa in: 208 XII Paulus als doulos in Röm 1,1 und Phil 1,1 oder es vorschnell einer verkürzenden Deutung unterziehen. So wird das doulos -Motiv etwa als religiöser Ausdruck der „Erkenntnis des Auferstandenen als des Kyrios“ 13 , als allgemeine Replik auf das Selbstverständnis der Propheten als ‚Knechte Gottes‘ 14 oder als eine spezielle Form der Rezeption von (Deutero-) Jesaja verstanden, die mit der Identifikation des Paulus mit dem Gottesknecht (bes. Jes 49,1ff.) in Zusammenhang gebracht wird 15 . Elias J. Bickerman versteht die doulos -Bezeichnung vor dem Hintergrund der altorientalischen Bedeutung von ebed als „title of honor“. 16 Oder: „Paulus stellt seine Position als Mittler nach dem Modell jener Menschen dar, die Gott in den Dienst nimmt, um durch sie an seinem Volk zu handeln“. 17 Gerhard Sass (1941) hatte der Untersuchung des Begriffes δοῦλος indes seinerzeit gesonderte Aufmerksamkeit geschenkt. Er schlug vor, die Verwendung von doulos in Phil 1,1, Röm 1,1 und Gal 1,10 als „Amtsbegriff“ zu verstehen, der sich nur in Teilen aus der hebräischen Vorstellungswelt herleiten lässt 18 . Auch Robert Jewett (2007) spricht im Anschluss an Michael J. Brown (2001) 19 dem Syntagma δοῦλος Χριστοῦ Ἰησοῦ zuletzt eine eigenständige epistolographische Funktion zu. Er schlägt bei der Analyse der paulinischen Selbststilisierung in Röm 1,1 vor, diese als Auseinandersetzung des J. Byron, Slavery Metaphors , der die Analyse von Phil 1,1 äußerst kurz hält (z. B. 10f.). Er analysiert das δοῦλος-Motiv traditionshistorisch und deutet die paulinische Verwendung dann wie folgt als theologisches Konzept: „… When Paul used the expression to refer to himself or to others, he was declaring his association with the figure of Christ, his release from sin through the Christ event, his enslavement to God and his obedience to God through the imitation of the paradigmatic slave of God, Christ“, 263. Vgl. zur paulinischen Sklaven-Metaphorik auch J. Byron, Paul and Slavery . 13 W. Kraus, „Anfänge der Mission“, 233 - mit Hinweis auf J. Blank, Paulus und Jesus , 203ff. und D. Zeller, 1 Kor , 301. 14 So etwa E. Lohse, Paulus , 121f. 15 Vgl. W. Kraus, „Anfänge der Mission“, 233f. - mit Hinweis auf F. Wilk, Jesajabuch , z. B. 367ff., aber auch 287ff. Nach Wilk reflektiert das Jesajabuch in paradigmatischer Weise das „Ereignis seiner (= der paulinischen) Berufung “; ferner „gibt das Jesajabuch Auskunft über das Wesen der paulinischen Verkündigung “; „Einsatzpunkt der Anwendung von Jesajaworten auf die eigene Person ist für Paulus die Offenbarung Jesu Christi “ (367f.). Die Frage nach der konkreten Identifizierung des sog. Gottesknechtes in Jes 42ff. bei Paulus lässt Wilk jedoch offen; wieweit Phil 1,1 und Röm 1,1 durch implizite Jesaja-Motivik inspiriert sein können, wird ebenfalls nicht weiter untersucht. Wilk sieht allerdings grundsätzlich im Philipperbrief Jesaja-Rezeption vorliegen, so z. B. hinter Phil 2,15f. Jes 49,4 durchscheinen (301f.). 16 E. J. Bickerman, Studies , 148. - Ich verdanke diesen speziellen Literaturhinweis Albert I. Baumgarten (Bar-Ilan University). 17 M. Wolter, Brief an die Römer , 80. 18 G. Sass, „δοῦλος“, 32. 19 Vgl. M. J. Brown, „DOULOS XRISTOU IHSOU”, 737: Das Syntagma „is a technical term alluding to the Familia Caesaris “. 3. Rollenwechsel in Phil 1-2 209 Paulus mit der römischen Machtpolitik zu verstehen 20 . Allerdings lässt Jewett bei seiner Deutung Phil 1,1 weitgehend außer Acht. Um der genannten komplexen Funktionalität der Autorrollen und speziell der Stilisierung des Paulus als doulos genauer auf die Spur zu kommen, betrachten wir zunächst die Rollenwechsel, die Paulus in Phil 1-2 vollzieht (3.), und gehen dann der Frage nach, welche literarische und religiöse Funktion speziell der paulinischen Selbststilisierung als doulos im Philipperbrief (und darüber hinaus) angesichts der antiken Wortbedeutung als sozialer und/ oder religiöser Begriff (4.) zukommen kann (5.). Ich meine, in der doulos- Rolle letztlich einen übergeordneten Aspekt des paulinischen Selbstverständnisses erkennen zu können, dem Paulus nicht zufällig im Philipperbrief die deutlichsten Konturen verleiht. 3. Rollenwechsel in Phil 1-2 Im Präskript des Philipperbriefes bezeichnen Paulus und sein Mitarbeiter Timotheus sich als δοῦλοι Χριστοῦ (Phil 1,1). Die Sender des Briefes verwenden eine Selbstbezeichnung, die Teil eines größeren semantischen Feldes ist, das im Brief mehrfach begegnet 21 : In Phil 2,22 wird Timotheus als jemand bezeichnet, der im Dienst für das Evangelium steht (ἐδούλευσεν-…). Im Blick auf seine eigene Situation in Gefängnishaft (1,12ff.) und den missionarischen Einsatz seines Mitarbeiters Epaphroditus (1,30) entfaltet Paulus darüber hinaus narrativ, was δουλεύειν sachlich bedeutet. Insgesamt haben wir es bei doulos mit einem auf einen Begriff gebrachten self-fashioning des Paulus zu tun, das die Argumentation des Philipperbriefes leitet. Die Rolle des Paulus als doulos wird zum textübergreifenden Argument hinter den wechselnden Autorrollen, die der Apostel besonders in den beiden ersten Kapiteln des Philipperbriefes wählt. In 1,3-11, literarisch-formal gesprochen: der Danksagung des Briefes, stellt sich Paulus, der nun in der ersten Person Singular schreibt, als Beter in Gefangenschaft dar, der um das Wohl der Gemeinschaft besorgt ist. Paulus befindet sich in der religiösen Rolle des Beters vor Gott. In 1,12-26 lässt Paulus die Adressaten am Status seiner Gefangenschaft, das heißt besonders an den äußeren und inneren Bedingungen seiner Haft teilhaben. Er stellt die Ungewissheit seiner 20 „Paul is-… introducing his ‘persona‘ with proper credentials as an agent of Christ Jesus, using the technical term for a ‘king’s official’ or an imperial bureaucrat-… The proximity between ‘slave of Caesar’ and ‘slave of Jesus Christ’ sets an agenda pursued throughout the letter concerning whose power is ultimate, whose gospel is efficacious, and whose program for global pacification and unification is finally viable“: R. Jewett, Romans , 100f. - unter Hinweis auf: J. D. Hester, „Rhetoric“, 85ff. 21 Vgl. zum Folgenden auch: E.-M. Becker, Demut , 120ff. 210 XII Paulus als doulos in Röm 1,1 und Phil 1,1 persönlichen Situation und den offenen Ausgang des Prozesses in den Vordergrund seiner Darstellung. Paulus spricht als Gefangener , der ein Prozessurteil zu erwarten hat. Bei der Beschreibung seiner äußeren und inneren Situation spielt Paulus auf die Niedrigkeit seines gegenwärtigen Aufenthaltsortes an. Von 1,27 an - vielleicht bis 2,18 - präsentiert sich Paulus dann als ethischer Lehrer der ekklesialen Gemeinschaft, der das rechte πολιθεύεσθαι der Adressaten zum Thema macht und, um die einheitliche Gesinnung der Gemeinde zu stärken, für das Ethos der ‚Niedrig-Gesinnung‘ wirbt, das er an der Beispiel-Erzählung über den freiwilligen Statusverzicht Jesu exemplifiziert (2,6-11). Gerade das Verhalten des Paulus unter den Bedingungen der Haft soll vorbildhaft erscheinen, weil der Apostel eine von ihm selbst gewählte Haltung der Niedrig-Gesinnung übt. Er ist bereit, seine Fürsorge für die Philipper permanent in den Vordergrund seiner Lebenshaltung zu stellen und seine eigenen persönlichen Wünsche diesem Vorhaben unterzuordnen (1,22ff.) 22 . Die verschiedenen Sprecherperspektiven konvergieren sachlich in der im Präskript schon programmatisch eingeführten Rolle des Paulus als doulos . Paulus zeigt mit dieser Rollenbeschreibung an, dass er sich dem göttlichen Handeln unterordnet. In Phil 1-2 legt er im Einzelnen dar, wie er diese Unterordnung konkret leistet. Er ist äußerlich unfrei, sorgt für die Gemeinde und bringt in eindrücklicher Weise die Niedrigkeit seiner Lebensumstände zum Ausdruck. Im Lichte des Christusexemplum (2,6-11) betrachtet, bringt die äußere Situation Paulus allerdings nur noch nachdrücklicher auf den von ihm selbst gewünschten Weg der Christus-Konformität (3,10f.). Wie Paulus diese Rolle als doulos im Sinne metaphorischer Sprache deutet und sie letztlich sogar zum leitenden sachlichen und literarischen Argument seines Schreibens macht, soll gleich umfassend und über Phil 1-2 hinaus erläutert werden. Zuvor wollen wir das „Sozialmorphem“ 23 δοῦλος Χριστοῦ noch sozialhistorisch und motivgeschichtlich betrachten, um seine semantischen Konnotationen, die dem metaphorischen Sprachgebrauch zugrunde liegen, beschreiben zu können. 22 Vgl. dazu: E.-M. Becker, „Person als Paradigma“. 23 K. Baltzer, „Gottesknecht“, 1224. 4. Doulos sozialhistorisch und motivgeschichtlich betrachtet 211 4. Doulos sozialhistorisch und motivgeschichtlich betrachtet Der Begriff δοῦλος wird in der griechisch-römischen Welt in erster Linie sozio-kulturell verwendet, begegnet aber auch als literarischer Topos 24 . Doulos ruft zunächst gemein-antike Assoziationen von dem unfreien, tendenziell niedrigen sozialen Status der Sklaven auf (vgl. auch 1 Kor 12,13; Gal 3,28) 25 . Der Begriff wird nicht religiös verwendet, sondern dient primär der Abgrenzung „des griechischen Selbstbewußtseins gegenüber allem-…, was unter den Begriff δουλεύειν fällt“ 26 . Das gilt für die griechisch-hellenistische wie auch für die römische Sprach- und Denkwelt (vgl. Stoiker), sogar für die des Philo 27 . Warum und wie aber macht sich Paulus die Bezeichnung als doulos bei seinem self-fashioning in Phil 1 zu Eigen? Wir haben mit einer synthetisierenden Adaption verschiedener Motivbereiche zu rechnen, die sozialhistorisch (griechisch-römische und frühjüdische Welt) und traditionsgeschichtlich (vor allem Septuaginta-Rezeption) determiniert sind. (a) Grundsätzlich findet sich im paulinischen Sprachgebrauch eine eigentliche Verwendung des Begriffs, die mit dem griechisch-römischen Sprachgebrauch vertraut ist und auch in der hellenistisch-jüdischen Welt begegnet 28 . Die eigentliche Verwendung des Begriffes wird gerade im Philipperbrief verschiedentlich konkretisiert. Im brieflichen Proömium (1,3ff.) schildert Paulus seine gegenwärtige Situation „in Fesseln“ (1,7; vgl. auch 1,13f.17). Mit dieser Situationsbeschreibung stellt Paulus den ihn in seinem selbständigen Handeln einschränkenden Freiheitsentzug und den allgemein bekannten (vgl. Epiktet, Diss 2,6,25ff.) negativen Status des Ortes heraus, an dem der Apostel „zur Apologie des Evangeliums liegt “ (1,16) 29 . Die hierbei aufgerufenen Vorstellungen von der Rolle des Sklaven entsprechen auch über die aktuelle Situation der Gefängnishaft hinaus, in der sich Paulus befindet, der konkreten Lebenswirklichkeit des Apostels in der sozio-kulturellen Welt der frühen Kaiserzeit. 24 Vgl. M. T. Dinter, „Slavery“, 177-193. - Zur frühchristlichen Bedeutung (besonders bei Paulus) vgl. D. B. Martin, Slavery ; ders., Slave of Christ ; J. Byron, Slavery Metaphors ; G. Turner, „Christian Life“. 25 Vgl. G. Alföldy, Römische Sozialgeschichte , 179ff.; E. Ebel, „Epitket Diatribe“, 80ff. 26 K. H. Rengstorf, „δοῦλος“, 264. 27 Vgl. z. B. Spec 2,69: ἄνθρωπος γὰρ ἐκ φύσεως δοῦλος οὐδείς. 28 Vgl. dazu C. Hezser, Jewish Slavery . 29 κεῖμαι unterstreicht die von Paulus selbst empfundene Niedrig-Stellung, die sein Aufenthaltsort mit sich bringt. Wieweit die Beschreibung des inneren Empfindens den äußeren Umständen der Haft historisch tatsächlich entspricht, ist in diesem Zusammenhang von untergeordneter Bedeutung. 212 XII Paulus als doulos in Röm 1,1 und Phil 1,1 Eben dieser Aspekt des paulinischen Sprachgebrauchs von doulos wird in der gegenwärtigen Paulus-Forschung durchaus gerne als Beitrag zur sozialhistorischen Rekonstruktion der paulinischen Gemeinden in den Vordergrund gestellt 30 , dabei aber äußerst unterschiedlich gedeutet und bewertet 31 , gerade auch, was die Frage der Freilassung von Sklaven betrifft. 32 Unumstritten ist: Sklaven zählten vielfach zu den Mitgliedern der paulinischen Gemeinden. 33 In verschiedenen Briefen kommt Paulus auf sie zu sprechen. So nimmt er auf die soziale Stellung der Sklaven Bezug (z. B. 1 Kor 7,21; zu Phlm s. u.) und greift die Sklaverei als ein zeitgeschichtliches Phänomen auf. Dabei werden unterschiedliche paulinische Haltungen erkennbar. Einerseits deutet der Apostel die Rolle der Sklaven im Rahmen seiner ekklesialen Lehre und Ermahnung neu. Denn selbst derjenige, der Sklave ist, wird in der Gemeinschaft mit Christus frei (1 Kor 7,22; Gal 3,28). 34 Soziale und religiöse Rollen interagieren so als Paradoxon. Rollenwechsel und Rollenstabilität werden gleichzeitig vollzogen und gefordert. Gerade wegen ihrer deutlichen Anlehnung an die konkrete soziale Wirklichkeit antiken Sklavendienstes lässt sich die paulinische Sklaven-Metaphorik nicht als möglicher Ausdruck eines schon umgedeuteten Konzeptes von Macht oder frühchristlicher leadership verstehen. 35 Das scheint der Beobachtung zu entsprechen, dass andererseits die paulinische Haltung zum Sklavendienst als überaus konventionell erscheint - jedenfalls auf den ersten Blick. Den entlaufenen Sklaven Onesimus hat Paulus offenbar schon ermahnt, zu seinem ‚Herrn‘ zurückzukehren (Phlm 13ff.). Die häusliche Ordnung soll somit gewahrt bleiben. Gleichzeitig wird Philemon dazu angehalten, Onesimus mit Respekt und Freundschaft, ja als „geliebten Bruder“ 30 Vgl. P. Lampe, „1 Kor“, bes. 179f.; G. Theissen, „Social Setting“, 253ff.; ders., „Theoretische Probleme“, bes. 68ff. bereits kritisch über die forschungsgeschichtlichen - teils marxistisch geprägten - Interessen, die im Hintergrund der sozialgeschichtlichen Erforschung des „Urchristentums“ standen. Vgl. zur Sklaverei als klassischer Fragestellung griechisch-römischer Wirtschafts- und Sozialgeschichte: E. M. Štaerman, „Klassenkampf“, 307-335; G. Alföldy, „Freilassung von Sklaven“, 336-371. - S. Vollenweider, „Toren“, 10ff.; N. T. Wright, Paul , 12. 31 Vgl. etwa J. A. Marchial, „Usefulness“, 749-770, der die möglichen sexual-historischen Kontexte, in denen sich der Philemonbrief bewegt, in den Vordergrund stellt. 32 Vgl. J. A. Harrill, Manumission . 33 Vgl. D.-A. Koch, Geschichte des Urchristentums , 267: „Haus- oder auch Gemeindesklaven, Sklaven aus Bergwerken oder Latifundien dagegen nicht-…“. 34 P. Lampe, „1 Kor“, 180: „Sklavenemanzipatorisch sind Paulus‘ Texte (nur) im Blick auf den sozialen Raum der Gemeinde“. - Auf die hier zu beobachtende Vergleichbarkeit der paulinischen Vorstellungen von Emanzipation mit denen Epiktets hat bereits T. Zahn, Epiktet , 18 und 25 (unter Verweis auf z. B. Epiktet, Diss 1,19,8; 2,16,41; 4,7,17) aufmerksam gemacht. 35 Vgl. dazu D. B. Martin, Slavery . - Zur Kritik an Martin vgl. auch J. Byron, „Slave of Christ“, 180ff. 4. Doulos sozialhistorisch und motivgeschichtlich betrachtet 213 (Phlm 16) wieder in sein Haus aufzunehmen (Phlm 8ff.). Die diesen Weisungen unterliegende ethische Argumentationsstruktur des Paulus ist nicht ungewöhnlich. Denn ähnlich wie in anderen Feldern ethischen Diskurses - etwa in der Diskussion über Ehe, Scheidung oder Unverheiratetsein (z. B. 1 Kor 7) - geht es Paulus auch im Falle des entlaufenen Sklaven Onesimus wohl in erster Linie um die Aufrechterhaltung und -sicherung von bereits etablierten Lebensformen. Gleichwohl werden diese unter den Bedingungen kommunitären Lebens in der geschwisterlichen Agape neu beschrieben (z. B. Phlm 16ff.), bewertet und begründet. In Phlm 8ff. bedient sich Paulus dabei sogar in eindrücklicher Weise emotionaler Sprache. 36 Es lässt sich also durchaus diskutieren, wieweit das Ersuchen des Paulus gegenüber Philemon im Ergebnis nicht sogar radikaler ist, als es eine mögliche Bitte um Freilassung des Sklaven wäre. 37 Wieweit aber können wir die bis hierhin skizzierte sozialhistorische Betrachtung des δοῦλος- Begriffes im Zusammenhang mit ihrer motivgeschichtlichen Prägung durch die LXX-Sprache sehen? Wie stellt sich das δοῦλος-Konzept des Paulus im Lichte der Motiv- und Traditionsgeschichte dar? (b) In der Septuaginta-Sprache ist der Wortgebrauch von δοῦλος vielfältig und weit gefächert 38 . Der Begriff wird zumeist nicht absolut gebraucht, sondern relational konstruiert, er bezeichnet im Allgemeinen das nationale Verhältnis Israels zu Gott. Das Volk Israel wird als Knecht (דֶ בֶ ע) verstanden, das seinem Herrn zu dienen hat (z. B. Jes 48,20; 48,20; 49,3ff.). Vielfältige intertextuelle Verbindungen etwa zu den Königserzählungen (1 Kön 3,9/ 3 Kg 3,9LXX) 39 oder auch der Exodus-Geschichte 40 lassen sich herstellen. Eine besondere Bedeutung für die Geschichte des δοῦλος-Konzeptes haben die sog. Gottesknechtslieder in 36 Vgl. dazu ausführlich: O. Wischmeyer, Liebe als Agape , bes. 145f. Phlm 8-17 sind zugleich vielleicht sogar „die persönlichsten Sätze des Paulus zur ἀγάπη. Die Wendung ‚auf ewig‘ und ‚Bruder im Fleisch‘ gehören zu jener Sprache der Liebe als großer Emotion, die in den neutestamentlichen Schriften sehr selten ist. Paulus verbindet mit einzelnen Gemeindegliedern nicht nur eine ethische und geistliche, sondern auch eine tiefe persönliche Beziehung-…“. 37 Vgl. dazu: C. de Vos, „Slave”, 104: „What he (= Paul) expected effectively undermined the collectivist, authoritarian and patriarchal values of Graeco-Roman society“. 38 K. H. Rengstorf, „δοῦλος“, 268ff. unterscheidet im Sprachgebrauch der LXX: 1. den sozialen Wortgebrauch („Bezeichnung des Sklaven und seines Standes und der Beschreibung seiner Lage“), 2. den politischen Wortgebrauch („Form zur Bestimmung des Verhältnisses der Untertanen zum König in der despotischen Monarchie des vorderen Orients“), 3. den ‚zeremoniellen‘ Wortgebrauch - es geht darum, „das Abhängigkeits- und Dienstverhältnis zu beschreiben, in dem der Mensch zu Gott steht“ und 4. den gottesdienstlichen Gebrauch - in diesem Zusammenhang ist auch die Kyrios -Akklamation zu sehen. 39 Vgl. E.-M. Becker, Demut , 100. 40 Vgl. dazu M. Zetterholm, „Slave and Free“. 214 XII Paulus als doulos in Röm 1,1 und Phil 1,1 Deutero-Jesaja. 41 Schon im zweiten Gottesknechtslied ( Jes 49,1-6*) begegnen in Form der Ich-Rede intensivierende Züge von Individuierung 42 : Die nationale Bedeutung des Gottesknechtes wird von einer einzelnen, gleichwohl schwer zu identifizierenden, selbstsprechenden Person her (zum Beispiel Mose, dem König oder dem wie Jeremia leidenden Propheten 43 ) bestimmt und abgeleitet. Die im Gottesknechtslied sprechende Einzelperson steht pars pro toto für Israel, denn sie hat die Aufgabe, ganz Israel in die Gottesknechtschaft zu führen - eine Aufgabe, die schon seit der Zeit des Perserkönigs Kyros an universaler politischer und religiöser Bedeutung gewonnen hatte. Der Gottesknecht agiert als eine ‚individuelle‘ Größe, auch wenn es bei dem Einzelnen nicht um die Person als solche, sondern „um ihr Amt, um ihren Dienst, um ihr Knecht-Sein“ geht. 44 Die deutero-jesajanischen Gottesknechtsvorstellungen sind allgemein im frühen Judentum 45 , so auch Paulus bekannt und vertraut - in einigen Teilen des Römer- und Philipperbriefes lassen sie sich wiederfinden und nachweisen 46 . Im Fokus der Paulusexegese steht gemeinhin das sogenannte vierte Gottesknechtslied ( Jes 52,13-53,12) 47 , das „Leben, Tod und Erhöhung“ des Gottesknechts thematisiert 48 . Ist speziell dieser Text im Hintergrund von Phil 2,6-11 zu vermuten, wie in der Exegese verschiedentlich vorgeschlagen wurde? 49 Paulus bezieht in der Tat den Begriff des doulos auch in konzeptioneller Hinsicht in seine christologische Deutung des Lebens und Sterbens Jesu mit ein. In Phil 2,7b wird Christus 41 Jes 42,1-9; 48,16-49,12; 50,2-51,16; 52,13-53,12. K. Baltzer, „Gottesknecht“, 1226 weist allerdings darauf hin, dass der ‚Gottesknecht‘ in den sog. Gottesknechtsliedern in der LXX nicht mit δοῦλος, sondern mit παῖς übersetzt wird - das trifft allerdings für Jes 49,1ff. nicht zu. Die LXX-Übersetzung ist also nicht konkordant. 42 Vgl. dazu auch C. Westermann, Jesaja , 171. 43 Vgl. dazu die literarkritisch geleitete Analyse von R. P. Merendino, „Gottesknechtlied“. H.-J. Hermissson, Deuterojesaja , 331f., sieht in Jes 49,1-6 in erster Linie „Formanalogien“ zum Danklied des Einzelnen, zu prophetischen Berufungsberichten ( Jer 1,6; Ex 4,10) und zu Ps 2, d. h. zur Proklamation des Königs als Weltherrscher. 44 C. Westermann, Jesaja , 171. 45 Vgl. z. B. S. H. T. Page, „Suffering Servant“, 481-497; M. Hengel, „Wirkungsgeschichte Jes 53“, 49-91. 46 Vgl. noch einmal generell zur Verwendung des Jesajabuches bei Paulus: F. Wilk, Jesajabuch , 444 (tabellarische Übersicht über Anklänge an Jes 42-53). In den „Loci citati vel allegati“ (Nestle-Aland 28 , 859f.) werden folgende Stellen als mögliche Zitate oder Anspielungen in den authentischen Paulusbriefen ausgewiesen: Jes 49,1 (Gal 1,15); 49,3 (Gal 1,24); 49,4 (Phil 2,16); 49,8 (2 Kor 6,2); 50,8 (Röm 8,33); 51,1 (Röm 9,31); 51,5.8 (Röm 1,17; 3,21); 52,15 (Röm 15,21; 1 Kor 2,9); 53,1 (Röm 10,16); 53,3 (Phil 2,7); 53,5.8 (1 Kor 15,3); 53,11 (Röm 5,15.19; Phil 2,7); 53,12 (Röm 4,25; 1 Kor 15,3). 47 Vgl. etwa O. Hofius, „Viertes Gottesknechtlied“, 414-437; B. Janowski/ P. Stuhlmacher (Hg.), Gottesknecht . 48 K. Baltzer, „Gottesknecht“, 1225. 49 Vgl. z. B. C. H. Talbert, „Pre-Existence“, 153; O. Hofius, „Viertes Gottesknechtlied“, 426. 4. Doulos sozialhistorisch und motivgeschichtlich betrachtet 215 als jemand bezeichnet, der die Rolle eines δοῦλος freiwillig angenommen hat, indem er seinen gott-gleichen Status aufgegeben und die Haltung des ταπεινός gezeigt hat 50 . Auch darüber hinaus wird einzelne Motivik aus Deutero-Jesaja in Phil 2 erkennbar: Phil 2,10f. gilt als Rezeption von Jes 45,23 51 . Allerdings: Eine direkte motivische oder literarische Anlehnung von Phil 2,6-11 speziell an das vierte Gottesknechtslied ist nicht nachweisbar 52 . So sachlich, motivisch und literarisch vielfältig Deutero-Jesaja als Buch und die darin enthaltenen verschiedenen Vorstellungen von Verkündigung, Rechtsverzicht oder Leiden innerhalb und außerhalb der Gottesknechtslieder sind, ist auch die Aufnahme, Deutung und Weiterbearbeitung dieses Traditions- und Motivbereichs bei Paulus äußerst uneindeutig und komplex. Für unsere Fragestellung ist also besonders die Beobachtung relevant, dass Paulus keine kohärente sachliche Beschreibung des doulos in möglicher direkter motivischer Anlehnung an die Gottesknechtslieder vornimmt. Hiermit jedoch schließt der Apostel in einem konzeptionellen Sinne genau an die oszillierende Beschreibung des „Gottesknechts“ in Jes 42-53 an, die dessen genaue Identifikation vor dem Hintergrund des Jesaja-Buches so schwierig macht, wie schon Bernhard Duhm konstatiert hatte 53 . Hat vielleicht sogar erst die mangelnde Kohärenz des Vorstellungsbereiches die breite Rezeption des (Deutero-) Jesaja-Buches im antiken Judentum ermöglicht? Im Lichte der vielgestaltigen Knechts-Motivik, die Deutero-Jesaja innerhalb und außerhalb der sog. Gottesknechtslieder bietet, wird jedenfalls das paulinische Verständnis der doulos -Rolle gerade in seiner semantischen Polyvalenz plausibel. Es ist nämlich gleichermaßen durch den auszuübenden prophetischen Verkündigungsauftrag, die damit verbundene Mittlerschaft „von Recht und Heil“ sowie Lehre, Leiden und Tod bestimmt 54 . So stellt sich (Deutero-)Jesaja für Paulus als vielgestaltiger und gerade deswegen äußerst produktiver, bestens geeigneter Intertext dar. Der vielgestaltige Rückbezug auf Deutero-Jesaja als Intertext bei den paulinischen doulos -Vorstellungen wirft ein wichtiges Licht auf die textlichen Zusammenhänge in Phil 1-2. So treten Phil 1,1 und 2,6-11 als an einander gebundene Texte zu Tage - sie werden zu gegenseitigen Intertexten. Denn das eingangs qualifizierte Selbstverständnis des Paulus als doulos wird besonders durch die Beschreibung des Schicksals Jesu determiniert. Umgekehrt erfährt die im exemplum erzählte Geschichte vom Statusverzicht Jesu in Phil 2,6-11 in 50 Tugendähnliche Haltungen zeichnen sich besonders dadurch aus, dass sie in Freiwilligkeit geübt werden. 51 Vgl. F. Wilk, Jesajabuch , 322ff. 52 Vgl. dazu E.-M. Becker, Demut , 100ff. 53 Vgl. die entsprechenden Hinweise auf B. Duhm bei K. Baltzer, „Gottesknecht“, 1225. 54 So die inhaltliche Beschreibung der Gottesknechtslieder bei: ebd., 1225f. 216 XII Paulus als doulos in Röm 1,1 und Phil 1,1 der Selbstbezeichnung des Paulus als doulos an personaler Aktualisierung. Dass Paulus (und sein Mitarbeiter Timotheus) ein δοῦλος Χριστοῦ ist, lässt ihn als jemanden erscheinen, der am Schicksal Jesu partizipiert. In der Logik des Briefeschreibers Paulus bedeutet diese an Christus orientierte Rolle keine Schande, sondern ermöglicht Autorisierung und Verifizierung auf dem erstrebten Weg der Christus-Konformität. Indem sich Paulus fortlaufend nicht als „Knecht Gottes“, sondern als „Knecht Christi“ bezeichnet (beide Titel begegnen nebeneinander in Jak 1,1), macht er zudem deutlich, dass er seine Unterordnung als eine religiöse Unterordnung unter den Kyrios Christos (Phil 2,11) und so auch als Möglichkeit der Teilhabe am eschatologischen Geschick des Gottessohnes versteht. In die Selbststilisierung des Paulus als doulos fließen also gleichermaßen die verschiedenen sozialgeschichtlichen Implikationen und die vielgestaltigen, gerade auch durch Deutero-Jesaja produktiv entwickelten motivgeschichtlichen Prägungen des Begriffs ein, die bis hierher angedeutet wurden. 5. Die Autorrolle als Argument: δοῦλος und ταπεινοφροσύνη Welche Funktion beim literarischen self-fashioning des Paulus kommt nun der epistolaren Stilisierung als doulos zu? Bis hierher sahen wir: In Phil 1,1 wie auch in Röm 1,1 (vgl. ähnlich, aber nicht im Präskript: Gal 1,10) bezeichnet sich Paulus in der superscriptio als ein δοῦλος Χριστοῦ und beschreibt so in metaphorischer Form seine Unterordnung unter den Kyrios . An den Status als doulos sind hohe eschatologische Erwartungen geknüpft. Denn Christus selbst wurde erst in seiner Kyriotes akklamativ bestätigt, nachdem er zuvor die Rolle eines Sklaven frei gewählt hatte (Phil 2,7b) 55 . Es handelt sich bei der paulinischen Bezeichnung als δοῦλος Χριστοῦ um eine religiöse Selbststilisierung beziehungsweise ein religiöses self-fashioning , 56 das an christologische Sprache anschließt, und nun in den Rahmen autobiographischer Rede tritt. Paulus bringt damit sein ‚ öffentliches Selbstbewusstsein‘ als Apostel zum Ausdruck 57 . 55 Auch in der nachpaulinischen Literatur werden Selbsterniedrigung und Erhöhung in einem Wirkzusammenhang gesehen vgl. etwa 1 Petr 5,6. 56 Vgl. dazu auch O. Wischmeyer, „Romans 1: 17 and Mark 1: 1-3“, 136. In Phlm, wo Paulus das soziale Geschick des Sklaven Onesimus thematisiert (V. 16), bezeichnet sich Paulus selbst gerade nicht als δοῦλος. 57 Vgl. dazu ausführlich - auch für das weitere: E.-M. Becker, Demut , 130ff. 5. Die Autorrolle als Argument: δοῦλος und ταπεινοφροσύνη 217 So wie sich die religiöse Selbststilisierung als δοῦλος im Philipperbrief dem weiteren semantischen Feld der ‚Niedrigkeit‘ zuordnen lässt (A. Bonhöffer) 58 , ist sie vom Präskript an Teil eines umfassenden ethischen Konzepts, das Paulus als Person in seiner Gefängnishaft exemplifiziert und verifiziert. Paulus präsentiert und beweist sich als Vorbild an ‚Niedrigkeit‘ und kann so auch von den Philippern eine religiöse, am Vorbild Christi und Pauli orientierte und somit ethisch aktualisierte und erweiterte Haltung und Übung der Demut fordern. Die Selbstbezeichnung als „Sklave“ in Phil 1,1 ist also weit mehr als eine rein formale beziehungsweise epistolare Selbststilisierung im Präskript. Vielmehr exemplifiziert Paulus besonders gerade mit Hilfe der Rollenwechsel, die er in Phil 1-2 vollzieht, wie er selbst sich in verschiedenen Haltungen ‚Niedrig-Gesinnung‘ einübt, die das Konzept der ταπεινοφροσύνη (Phil 2,3) impliziert. So erhält das paulinische Vorbild für die Philipper eine paradigmatische Funktion. Die Orientierung an Paulus aktualisiert und erweitert die Orientierung an Christus. Zugleich wird die von den Philippern praktizierte Niedrig-Gesinnung das Beispiel des Paulus wiederum verifizieren und seinen Status als doulos Christi so bestätigen. Die briefliche Selbstinszenierung des Paulus als Sklave sagt demnach Wesentliches über den literarischen und theologischen Charakter des Philipperbriefes aus. Das wird besonders im Vergleich mit den vorhergehenden paulinischen Briefen deutlich: In der korinthischen Korrespondenz begegnet (noch) keine Selbstbezeichnung als δοῦλος im Präskript, während Paulus im Römerbrief bereits einleitend mit der „Sklaven“-Rolle befasst ist. Haben wir es hier mit unterschiedlichen brieflich-formalen Nuancierungen zu tun, oder lassen die variierenden Formen der Selbstbezeichnung auf unterschiedliche Diskurse zurückschließen, in denen Paulus jeweils als Briefeschreiber agiert? Wie ich an anderer Stelle ausführlich gezeigt habe, deutet Paulus in der korinthischen Korrespondenz seine Arbeit als Apostel und Gemeindeleiter „in einer stetigen Paradoxie von Freiheit und Knechtschaft“ (z. B. 1 Kor 9,1.19: ἐλεύθερος, ἐδούλωσα) 59 . Anders stellt sich die Situation offenbar im Römerbrief dar, wo sich Paulus schon im Präskript die δοῦλος-Rolle zuweist (1,1). Sowohl im weiteren Verlauf des Präskriptes (bes. 1,5-7) als auch in Röm 6 und 12-14 setzt sich Paulus offensiv mit der rechten Haltung des δουλεύειν auseinander. Er wirbt für den Dienst in der Gerechtigkeit (6,19) und ermahnt zu einer Gemeinschaft, die sich am Dienst für den Kyrios orientiert (12,11) und sich dabei Christus selbst zum Vorbild nimmt (15,1ff.). Die daraus erwachsende Gemeindeethik und -paränese 58 Vgl. A. Bonhöffer, Epiktet , 65; E.-M. Becker, Demut , 120ff. 59 E.-M. Becker, Demut , 133. - Zur Funktion paradoxer Rede und zum rhetorischen Umgang mit geschwächter Glaubwürdigkeit: H. Lausberg, Rhetorik , § 37. 218 XII Paulus als doulos in Röm 1,1 und Phil 1,1 nimmt konkrete Züge an: „Nicht nämlich ist das Reich Gottes (ἡ βασιλεία τοῦ θεοῦ) Essen und Trinken, sondern Gerechtigkeit und Friede und Freude im Heiligen Geist. Derjenige nämlich, der darin Christus dient (δουλεύων τῷ Χριστῷ), ist Gott wohlgefällig (εὐάρεστος) und geschätzt (δόκιμος) bei den Menschen“ (14,17f.) 60 . Obgleich sich Röm 12-15 und Phil 1-2 hinsichtlich der narrativen Form und der textlichen Pragmatik deutlich unterscheiden - Paulus bereitet hier seinen Besuch in der caput mundi vor und erläutert in diesem Zusammenhang sein Missionsverständnis und -programm, während er dort, in Phil 1-2, persönliche und ethische ultima verba aus seiner Gefangenschaft formuliert -, stehen sich beide Brief(teil)e erstaunlich nahe. In beiden Texten nämlich entwickelt Paulus „den motivischen Zusammenhang von Unterordnung unter Christus, der Übung von Niedrig-Gesinnung , die jeweils am Vorbild expliziert wird, und dem Bemühen um die ekklesiale Gerechtigkeit “ 61 . Lässt sich womöglich gerade im oben skizzierten programmatischen Umgang des Paulus mit dem semantischen Feld der Niedrigkeit (δουλ-, ταπειν-) eine ‚Entwicklung im paulinischen Denken‘ erkennen, die von der korinthischen Korrespondenz zum Römer- und Philipperbrief führt? Wir können diese Frage hier nicht weiter vertiefen, wohl aber konstatieren, dass die Selbstbezeichnung des Paulus als δοῦλος Χριστοῦ in den Präskripten des Römer- und Philipperbriefes im Unterschied zur korinthischen Korrespondenz, wo sich Paulus ja gerade nicht mit Hilfe dieses Syntagmas stilisiert 62 , der übrigen Konzeption von Sklavendient und Niedrig-Gesinnung in beiden Briefen korrespondiert. Die Selbststilisierung des Paulus als doulos im brieflichen Präskript ist also nicht zufällig, sondern intentional gewählt. Mit dieser Selbstbeschreibung fasst Paulus sein apostolisches Selbstverständnis, das sein Briefeschreiben nach Rom und Philippi leitet, programmatisch zusammen. Er schreibt sich so eine durch Sklavendienst und Niedrigkeit bestimmte Autorrolle zu, die er in den Dienst der Verkündigung und Gemeindeleitung, der mitunter leidvollen Arbeit am Evangelium stellt. Die teils implizite (Wechsel von Autorrollen), teils explizite (besonders Phil 2,6-11 als Intertext zu Phil 1,1) theologische und ethische Entfaltung des doulos -Konzeptes in weiten Teilen des Philipper-, aber auch des Römerbriefes autorisiert die eingangs gewählte Selbstbezeichnung, so wie diese 60 Vgl. hierzu noch einmal: E.-M. Becker, Demut , bes. 134-136. 61 Ebd., 136. 62 In den von W. Kraus, „Anfänge der Mission“, 233 genannten Stellen - 2 Kor 4,5 und 1 Kor 9,19 - verwendet Paulus ja gerade nicht das Syntagma δοῦλος Χριστοῦ. - Kritisch im Blick auf die Zuordnung dieser Belege zum semantischen Feld δοῦλος Χριστοῦ ist auch J. Byron, „Slave of Christ“, 195. Er sieht die genannten Belege im Lichte des philosophischen Diskurses über die „obligation of obedience“. Bibliographie 219 umgekehrt auf die folgenden Abschnitte des Briefeschreibens sachlich bereits vorverweist und einwirkt. Die in Phil 1,1 und Röm 1,1 gewählte epistolare Selbststilisierung des Paulus bietet daher nichts weniger als eine vorweggenommene oder komprimierte Zusammenfassung paulinischer Argumentation. Die von Paulus angenommene Autorrolle korrespondiert einem wichtigen brieflichen Argument: dem rechten δουλεύειν. Der Autor wählt mit der entsprechenden Selbstbezeichnung als doulos für sich eine Rolle, die er sachlich an das Handeln Christi rückbindet und den Gemeinden theologisch und ethisch als dauerhaft nötigen Maßstab ihres Denkens und Handelns vor Augen stellt. So wird die gewählte Autorrolle zum brieflichen Argument, und Paulus selbst, nicht Christus allein, wird zum rechten, literarisch konfigurierten und so generationenüberschreitenden Vorbild für die Einübung in die frei gewählte ταπεινοφροσύνη. Bibliographie G. Alföldy, Römische Sozialgeschichte (Stuttgart: Steiner, 2011 2 ). G. Alföldy, „Die Freilassung von Sklaven und die Struktur der Sklaverei in der römischen Kaiserzeit“, in: Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der römischen Kaiserzeit (hg. H. Schneider; WdF 552; Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1981), 336-371. K. Baltzer, „Gottesknecht“, in: RGG 4 3 (2008), 1224-1226. E.-M. Becker, Der Begriff der Demut bei Paulus (Tübingen: Mohr Siebeck, 2015). E.-M. 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Denn die Spielräume politischer Entscheidung lassen sich nicht nur außerhalb der individuellen Person schaffen und begrenzen, sondern finden sich auch in der Person selbst. 1 In der Nutzung und Gestaltung dieser individuellen Entscheidungsspielräume wird politisch-ethisches Handeln greifbar, das die abendländische Geistes- und Kulturgeschichte nachhaltig geprägt hat. So wissen wir von zwei prominenten antiken Personen, die, obwohl sie im Alter in Haft, d. h. äußerlich unfrei, waren, sich dennoch Entscheidungsspielräume verschafft haben, in denen sie in paradigmatischer Weise politisch-ethisch handeln konnten: Der eine - Sokrates - war die letzten Tage vor seiner Hinrichtung im Jahre 399 v. Chr. im Kerker in Athen und widerstand der Versuchung, aus der Haft zu fliehen. Der andere - Paulus - brachte die letzten Jahre seines Lebens in Untersuchungshaft in Caesarea und in Rom zu und entschied sich dafür, nicht seiner religiös begründeten Todessehnsucht nachzugeben. Sokrates und Paulus teilen nicht nur das Schicksal, als ältere Männer ungerechterweise in Haft und in mehr oder weniger großer Ungewissheit über den nahenden Zeitpunkt ihrer Hinrichtung zu sein. Vielmehr geraten beide in dieser Haftsituation in einen persönlichen Konflikt, den sie als politisch-ethisch handelnde Personen lösen. Der Ausarbeitung dieser Perspektive gilt der folgende Beitrag, der von einer vergleichenden Deutung von Platons „Kriton“ und Phil 1 seinen Ausgang nimmt. 1 Die in der empirisch-deskriptiv arbeitenden Politologie diskutierte sog. Entscheidungstheorie ( decision-making ) nimmt dagegen zunächst „das Zustandekommen von komplexen kollektiven Entscheidungen“ in den Blick: U. Klötli, „Entscheidungstheorie“, 192-195, 193. 224 XIII Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns 1. Sokrates zwischen Kerker und Flucht: „Davonlaufen? “ (Kriton 50a) Als Sokrates in jenem Jahr 399 v. Chr. früh am Morgen, ein oder zwei Tage vor seinem Tod, im Staatsgefängnis in Athen (Platon, Phaid 59d) Besuch von seinem Freund Kriton erhält ( Krit 43aff.), wäre noch Zeit, aus der Haft zu fliehen, denn noch steht Sokrates sein Tod nicht unmittelbar bevor: Erst wenn das Schiff von den Apollon-Feierlichkeiten auf der Insel Delos zurückgekehrt ist (vgl. auch Phaid 58af.), wird der Alltag in Athen seinen üblichen Gang nehmen, und d. h. auch, erst dann werden Urteile vollstreckt und die Inhaftierten, die auf ihren Tod warten, sterben müssen (vgl. auch Xenophon, Mem 4,8,2). Kriton 2 und seine Freunde sind bereit, ihr Geld zusammenzulegen, um die Gefängnis-Wärter zu bestechen. Sokrates könnte dem Schicksal seines bevorstehenden Todes also entgehen, er könnte fliehen und Athen verlassen. Soll er „davonlaufen“ (Platon, Krit 50a) - so sagt er selbst - und dem Drängen seines Freundes Kriton nachgeben? Im gleichnamigen Dialog „Kriton“, der zusammen mit dem „Eutyphron“, der „Apologie“ und dem „Phaidon“ zu jener ersten Tetralogie von platonischen Schriften zählt, die mit dem Prozess, der Inhaftierung und dem Tod des Sokrates befasst sind, 3 stellt Platon die Dramatik der persönlichen und ethischen Entscheidungssituation dar, vor die Sokrates in seiner Gefängnishaft gestellt ist. Was geht hier vor sich? Rein äußerlich betrachtet, wirkt Sokrates im Gefängnis „leicht und gelassen“ (43b; vgl. auch Xenophon, Mem 4,8,2) auf seinen Freund Kriton. 4 Dieser Eindruck wird in der späteren Wirkungsgeschichte wiederholt formuliert und dabei sogar gesteigert: Für den römischen Philosophen Seneca ist Sokrates das exemplum schlechthin für einen Menschen, der trotz der Veränderlichkeit seines Schicksals selbst unverändert bleibt (… aequalis fuit in tanta inaequalitate fortunae, ep mor 104,28). Und der um 220 n. Chr. tätige 5 Biograph Diogenes Laertius konkretisiert diese Gelassenheit noch einmal, indem er berichtet, Sokrates habe als Gefangener einen Paian gedichtet und eine 2 Nach Diogenes Laertius 3,36 ist es Aischines, der Sokrates zur Flucht zu überreden sucht - Platon habe aber aus Eifersucht auf ihn diese Worte dem Kriton in den Mund gelegt. 3 Vgl. dazu auch R. Guardini, Der Tod des Sokrates . 4 D. Bonhoeffer formuliert - sicher nicht zufällig - in seiner Haft eine ähnliche Wendung im Gedicht: „Wer bin ich? “ und schreibt: „Wer bin ich? Sie sagen mir oft / / ich träte aus meiner Zelle / / gelassen und heiter und fest, / / wie ein Gutsherr aus seinem Schloß-…“: D. Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung , 513. - E. Lohmeyer, Brief , 116, sieht sogar auch „Leichtigkeit“ bei Paulus in seiner Haft, wenn er etwa - wie in Phil 2,20 - Wortspiele schafft. 5 Zur Datierung vgl. H. Dörrie, „Diogenes Laertios“, 45-46. 1. Sokrates zwischen Kerker und Flucht: „Davonlaufen? “ ( Kriton 50a) 225 Äsopische Fabel verfasst (2,42; vgl. auch bei Platon, Phaid 60cf.). 6 Für Sokrates selbst rührt seine Gelassenheit daher, dass er es als „frevelhaft“ (πλεμμελές) betrachten müsste, sollte er angesichts seines hohen Alters Unwillen über das Sterben empfinden (Platon, Krit 43b; vgl. auch Xenophon, Mem 4,8,1). 7 Trotz dieser weisen Einsicht in seine reale Situation gerät Sokrates doch in einen schwierigen ethischen und persönlichen Konflikt, sobald ihm die Flucht in Aussicht gestellt ist: Denn hinter der Frage, ob er dem ungerechten Tod, der auf ihn wartet, tatenlos entgegengehen, oder ob er die Möglichkeit der letztlich rechtswidrigen Rettung aus der Haft ergreifen solle, 8 tritt Sokrates als Mensch und als individuelle Person hervor, der den existenziellen Konflikt mit Hilfe politisch-ethischer Kriterien zu lösen sucht. Der Dialog zwischen Sokrates und Kriton, der diesen sokratischen Konflikt thematisiert, setzt bei der Einsicht ein: Nicht das Leben an sich, sondern das ‚gut leben‘ (τὸ εὖ ζῆν, 48b) ist am höchsten zu achten. So belehrt Sokrates den Kriton, dass es nicht gerecht wäre, sich den gerechten Gesetzen der Stadt zu entziehen, selbst wenn diese - wie in seinem Fall - von den Menschen falsch ausgelegt werden, denn der Bürger habe den Gesetzen der Stadt gleichsam ein Versprechen gegeben (τὰς ὁμολογίας-… πολιτεύεσθαι, 52d), das zu halten sei. Und was überhaupt wäre durch die Flucht aus Athen zu gewinnen? Sollte Sokrates in eine der nächstgelegenen Städte - nach Theben etwa oder Megara (53b) - oder aber nach Thessalien (53d) zu entfliehen suchen, so würden ihn die Menschen dort wohl kaum mit Freude oder in Freundschaft aufnehmen: Sie würden ihn belächeln, wie er aus dem Gefängnis „in irgend ein Stück Zeug eingehüllt“ entlaufen ist. Auch würden sie ihn für einen alten Mann halten, „dem wahrscheinlich nur noch wenig Lebenszeit übrig ist“ und der „mit solcher Gier nach dem Leben“ die „Übertretung jedes heiligsten Gesetzes“ erkauft habe (53d-e), 9 wie Schleiermacher hier übersetzt hat. Um seinen Freund Kriton endgültig von der Unmöglichkeit einer Flucht zu überzeugen, lässt Sokrates schließlich die Gesetze der Stadt Athen, die für ihn „Erzeuger“ und „Erzieher“ sind (51e), 10 in einer fiktiven Rede selbst zu Wort kommen (50aff.): 11 „Also Sokrates“, so sagen die Ge- 6 „Heil euch, Apollon und Artemis! Heil den berühmten Geschwistern! “ bzw.: „Zu den Bewohnern Korinths sprach einmal Äsop diese Worte: Niemals die Tugend meßt an der Masse Verstand“: Übersetzung nach: Diogenes Laertios, 109. 7 Übersetzung hier und im Folgenden nach: Kriton, in: Platon, 263-299, 267. 8 Vgl. zu diesem gut belegten Motiv der Sokrates-Überlieferung auch: Platon, Phaid 98e-99a; Xenophon, Apol 23; Plutarch, Kol 32; Diogenes Laertius 2,24; 3,36; Seneca, ep mor 3,24,4; Epiktet, Diss 3,163. 9 Übersetzung nach F. Schleiermacher, Platon, 297. 10 … ὅτι τε γεννηταῖς οὗσιν ἡμῖν οὐ πείθεται καὶ ὅτι τροφεῦσι-… 11 Hier liegt eine für Platon typische literarische Technik, nämlich ein ‚Monolog einer personifizierten Figur‘, vor. Vgl. T. A. Szlezák, Platon lesen , 137-139. - Zur Personifikation 226 XIII Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns setze, „gehorche uns -… und achte weder die Kinder noch das Leben noch irgend etwas anderes höher als das Recht, damit wenn du in die Unterwelt kommst du dies alles zu deiner Verteidigung anführen kannst den dortigen Herrschern“ (54b). 12 Denn es ist besser, so könnte man diesen gewissermaßen ‚eschatologischen‘ Ausblick zusammenfassen, als jemand, der Unrecht erlitten hat, denn als jemand, der Unrecht tat , in die Unterwelt zu kommen. Ähnliches lässt auch der Sokrates-Schüler Xenophon seinen Lehrer in den Memorabilia sagen (4,8,9). 13 Der Entschluss, in Treue zu den Gesetzen der Stadt Athen zu handeln, ist also gefällt. Sokrates wird nicht fliehen, sondern in Haft bleiben. So endet der Dialog „Kriton“ nicht in einer für die platonischen Dialoge sonst typischen Aporie, sondern mit einer konzisen Entscheidung des Sokrates. 14 Kriton wird den Lauf der Dinge nicht ändern können, sondern schon bald einer derjenigen Freunde des Sokrates sein, die bei seinem Tod zugegen sind, wie Platon im „Phaidon“ berichtet ( Phaid 59bf.). Die Entscheidung des Sokrates hat Folgen, die weit über seine Biographie und die Situation der Gefängnishaft hinausreichen: Durch die Art nämlich, wie sich Sokrates seinem Tod nicht entzieht, sondern sich in diesem existenziellen Konflikt in seiner Haft bewährt und später den Schierlingsbecher trinkt, wird er „der Typus des wahren Philosophen für alle Zeiten“, wie der Philologe Wilhelm Nestle einmal formuliert hat. 15 Und das gilt, obgleich Sokrates selbst nichts Schriftliches hinterlassen hat, womit er auf die Nachwelt hätte einwirken können: Es ist vielmehr seine ‚einzigartige Person‘, die sich trotz oder gerade aufgrund von Haft und Todesurteil ethisch bewährt und paradigmatisch wirkt. Nicht zuletzt durch sein Verhalten in der Haft erweist sich Sokrates als wegweisender philosophischer Lehrer, der nicht zufällig dem literarischen genre des philosophischen Dialoges sowie der darin erprobten mäeutischen Methode den Weg geebnet hat. 16 des Gesetzes im frühen Judentum und bei Paulus (bes. Röm 3,19f.; 5,20; 7,1ff.) vgl. J. R. Dodson, The ‚Powers‘ of Personification , bes. 140ff. 12 Übersetzung nach F. Schleiermacher, Platon, 299 (Kursivierung durch E.-M.B.). 13 „Doch wenn ich freilich ungerechterweise den Tod erleiden muß, so dürfte dies schlimm sein für die, welche zu Unrecht meinen Tod veranlaßten-… Wie kann es aber schlimm für mich sein, wenn andere nicht imstande sind, über mich gerecht zu urteilen und an mir entsprechend zu handeln? “ Übersetzung nach: Xenophon, Erinnerungen an Sokrates, 323. 14 Vgl. dazu auch G. Martin, Sokrates , 133. 15 W. Nestle, Geschichte der griechischen Literatur I , 131. Keine Philosophiegeschichte kann den Sokrates übergehen, „da die gesamte weitere Entwicklung der griechischen Philosophie durch sein Denken-… bestimmt ist“, ebd., 129. - So auch zuletzt T. Paulsen, Geschichte der griechischen Literatur , 240. 16 Vgl. V. Hösle, Philosophischer Dialog , 83. „Der philosophische Dialog ist-… zu definieren als ein literarisches Genre, das eine Unterredung über philosophische Fragen darstellt“, 2. Paulus zwischen Fesseln und Christus: „Aus der Welt scheiden? “ (Phil 1,23f.) 227 2. Paulus zwischen Fesseln und Christus: „Aus der Welt scheiden? “ (Phil 1,23f.) Anders als im Falle des „Kriton“ liegt uns mit dem Philipperbrief ein Text vor, in dem ein Gefangener selbst über seine Haft schreibt. Die Deutung des paulinischen Handelns wirft also zunächst exegetische Fragen auf. In Phil 1,12-26 finden wir einen entscheidenden, äußerst persönlich gehaltenen Textabschnitt. 17 Paulus schreibt in Phil 1 mehrfach, in Fesseln zu sein (ἐν τοῖς δεσμοῖς, Phil 1,7.13.14.17). 18 Auch im Philemonbrief (Phlm 10.13) bezeichnet er seine Haft als „Fesseln“. Dieser Begriff erweckt unsere besondere Aufmerksamkeit: Ist Paulus angekettet (vgl. Apg 21,33) und damit in einer physisch und psychisch besonders schlimmen Situation, oder verwendet er „Fesseln“ als möglichst starke, ja drastische pars pro toto -Metapher für den Status der Untersuchungshaft (Metonymie), die immerhin mit einem grundsätzlichen Freiheitsverlust einhergeht? Wie ist der Begriff δεσμός zu verstehen? Wenn δεσμός in den neutestamentlichen Schriften im Zusammenhang von ‚Gefangenschaft‘ begegnet (anders: Mk 7,35; Lk 13,16; Jud 6), bezeichnet der Begriff entweder die realen Fesseln, die der Gefangene trägt (Apg 16,26; 26,29; Hebr 11,36; anders Lk 8,29: Besessener), oder δεσμός steht als reine pars pro toto -Metapher für Gefangenschaft (Apg 20,23; 23,29; 26,31). 19 So lassen sich generell eine wörtliche und eine metaphorische Bedeutung von δεσμός unterscheiden. Welche Bedeutung von δεσμός in Phil 1 vorliegt, d. h., ob Paulus tatsächlich in Ketten liegt oder ob er metaphorisch über seine Form der Gefangenschaft schreibt, ist für die Interpretation des Philipperbriefes nicht unerheblich. Sollten die „Fesseln“ wörtlich zu verstehen sein (Sokrates: vgl. Platon, Phaid 60c), so hätte es Paulus mit Demütigung, Schmerzen und Folter zu tun. 20 Meine Interpretation geht in eine andere Richtung: Ich verstehe die „Fesseln“ in Phil 1 als ebd., 54. 17 „Paul primarily writes about himself in order to give an example of the way he wants the Philippians to live“, P. Oakes, Philippians , 103. Die andere autobiographische Passage findet sich in Phil 3,4-16. 18 Zur Semantik: δεσμός begegnet viermal in Phil 1 (s. o.) sowie in Phlm 10.13; in Phlm 1 bezeichnet sich Paulus als δέσμιος (vgl. dazu: P. Arzt-Grabner, Philemon , 70-76). Nur in 2 Kor 6,5; 11,23 verwendet Paulus den Ausdruck φυλακή. 19 Vgl. zur Verwendung in der Apostelgeschichte auch: H. Omerzu, Prozeß des Paulus , 364. Der Begriff wird als ein solches metaphorisches Stereotyp weiter verwendet (Kol 4,18; 2 Tim 2,9) und ausgeprägt (Cyprian; Eusebius). Darüber hinaus begegnet der Begriff auch in den Schriften der sog. Apostolischen Väter (vgl. Polykarp, Phil 1,1; Ignatius, Eph 11,2). Bei Cyprian und Eusebius werden die „Fesseln“ dann rein metaphorisch als ‚geistliche Perlen‘ gedeutet (vgl. z. B. Eusebius, hist eccl 5,1,35; Cyprian, ep 76,2). Vgl. dazu H. Paulsen, Briefe des Ignatius , 37. 20 Vgl. dazu C. S. Wansink, Chained in Christ , 46-55. 228 XIII Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns eine starke Metapher, die für die Haft des Paulus steht und darüber hinaus zum Ausdruck für die innere Gefangenschaft des Paulus in dieser Haft wird. 21 Es ist nämlich auffällig, dass Paulus sonst nur wenig konkrete Angaben über die situativen Hintergründe und über die äußeren Bedingungen seiner Haft macht - er spricht in 1,16 lediglich davon, dass er zur „Verteidigung des Evangeliums bestimmt“ sei (εἰς ἀπολογίαν τοῦ εὐαγγελίου κεῖμαι, vgl. auch 1,7). 22 Obwohl aus der Situation der Haft geschrieben, problematisiert Paulus die Haft selbst aber nicht. Die Wendung ἐν Χριστῷ in Phil 1,13 ist nur als genereller Hinweis auf die Ursache der Haft zu lesen. Es geht Paulus offenbar in erster Linie darum, den Adressaten des Briefes in Philippi seine innere Situation des Inhaftiert-Seins vor Augen zu führen. 23 Indem Paulus seine persönliche Situation schildert, tritt er uns in Phil 1 in eindringlicher Weise als Mensch und als individuelle Person gegenüber, wie schon Ferdinand Christian Baur erkannt hat. 24 Paulus gibt uns hier fast ungeschützt Einblick in seine innere Verfasstheit, so dass Hans Windisch sogar meinte, Paulus habe diesen Brief tatsächlich unter Tränen geschrieben. 25 Ähnlich ist - wie gesehen - der eingangs erwähnte Dialog „Kriton“ eine der Schriften Platons, die am „eingehendsten“ von der Person des Sokrates und seinem menschlichen Schicksal getragen sind. 26 Beide Protagonisten - Paulus und Sokrates - schweben zwischen Leben und Tod. Doch während Sokrates - 21 Die These von R. Reitzenstein, Hellenistische Mysterienreligionen , 196 und 214 mit Verweis auf Apuleius, Met 9,15; Hippolyt, Elench 2,9, wonach der Begriff δέσμιος Χριστοῦ Ἰησοῦ in Phlm 1 von den antiken Mysterienreligionen her zu verstehen sei, spielt in der Forschung (vgl. auch G. Kittel, „δεσμός, δέσμιος”, 42) immer noch eine Rolle (vgl. auch P. Arzt-Grabner, Philemon , 71), wird aber zumeist zurückgewiesen. Und doch sehen wir uns beim Motiv der „Fesseln“ für Christus an ein bekanntes Motiv erinnert, das in der platonischen und in der stoischen Philosophie begegnet: Cicero etwa spricht metaphorisch von den ‚Fesseln der Körper‘, denen man ‚wie aus einem Kerker‘ entfliehen müsse: - … hi vivunt qui e corporum vinculis tamquam e carcere evolaverunt-… , Cicero, Somn Scip , 14f. 22 Zur Bedeutung von κεῖμαι als „eingesetzt, bestimmt sein“ (vgl. auch Lk 2,34; 1 Thess 3,3): W. Bauer/ K. Aland/ B. Aland, Griechisch-deutsches Wörterbuch , 867f. s.v. κεῖμαι. 23 Ihnen gegenüber sieht sich Paulus als Vorbild, wie er in Phil 3,17 sagt (συμμιμηταί μου γίνεσθε- … ἔχετε τύπον ἡμᾶς). Oakes vermutet, dass sich die Adressaten in Philippi in einer ähnlich bedrängten Situation wie Paulus befunden haben (vgl. Phil 1,30) und dass sich von hierher der autobiographische Stil erklären lässt, der Phil 1 und 3 prägt. „Paul presents himself as a model for the Philippians- … Paul’s aim in offering himself as a model is to respond to the situation of suffering among the Philippians“, P. Oakes, Philippians , 121. Vgl. auch z. B. C. S. Wansink, Chained in Christ , 211: Die paulinische Inhaftierung wurde zu einem Vorbild in der Verfolgungszeit. - Vgl. zum Weiterwirken dieses Motivs auch: 2 Tim 1,16; Ignatius, Sm 10,2; Polykarp, Phil 12,2. 24 F. C. Baur, Paulus , 50-88, bes. 70. 25 Vgl. H. Windisch, Der zweite Korintherbrief , 82. Zuletzt: E.-M. Becker, „Paulus als weinender Briefeschreiber“, 11-26. 26 M. Hose, Kleine griechische Literaturgeschichte , 130. 2. Paulus zwischen Fesseln und Christus: „Aus der Welt scheiden? “ (Phil 1,23f.) 229 zumindest in der Rückschau des Platon - nicht nur sein Todesurteil, sondern auch seinen Todeszeitpunkt genau kennt, weil er ihn im Traum erfahren hat ( Krit 44a-b; vgl. auch 43d), lebt Paulus über beides ganz in Ungewissheit (Phil 1,20-22). Es ist diese Existenz zwischen Leben und Tod, die Paulus in Phil 1,23- 24 als einen Streit zwischen seiner Sehnsucht zu sterben einerseits und der Verpflichtung am Leben zu bleiben und seinen apostolischen Dienst für die Gemeinden fortzuführen andererseits, beschreibt: „(23) Ich werde aber gequält von zwei (Seiten), indem ich die Sehnsucht habe, aufzubrechen und mit Christus zu sein - wieviel besser (wäre) das [nämlich]; (24) das Dableiben im Fleisch aber ist nötiger um euretwillen“. Wie kommt Paulus zu diesen Überlegungen? Nach V. 22b weiß er nicht, was er wählen soll (τί αἱρήσομαι οὐ γνωρίζω). 27 Er deutet damit an, dass er sich in einer Entscheidungssituation befinde. „Aber kann denn ein Gefangener sein Geschick wählen-…“, so hat schon Ernst Lohmeyer gefragt 28 und damit eine crux interpretum in Phil 1 benannt. 29 Die Frage ist: Wie konnte Paulus den Tod oder das Leben ‚wählen‘? Hätte er in Phil 1 reale Suizid-Gedanken - dann könnte er seinen Tod ‚wählen‘. 30 Wenn αἱρεῖσθαι 31 hingegen uneigentlich zu verstehen ist, so spräche Paulus lediglich von seiner Präferenz, von dem, was er ‚bevorzugen‘ würde, wenn er die Wahl hätte. 32 Ausschließen lässt sich eine dritte Deutung, nämlich der Bezug auf ein schon ergangenes Todesurteil. Denn davon ist im Brief nicht die Rede. Vielmehr ist Paulus seine derzeitige Lage unklar, wie der weitere Kontext andeutet (Phil 2,23f.). In dieser Situation wäre es freilich denkbar, dass Paulus selbst im Zweifel darüber ist, wie er sich in der weitergehenden Untersuchung verhalten soll, d. h. ob er sich schuldig erklärt oder Widerspruch gegen ein mögliches Todesurteil einlegt. 27 Zur Textkritik: Mit Nestle-Aland 27/ 28 ist die Futur-Medium Form (bezeugt durch die Mehrheit der ständigen Zeugen erster Ordnung, wie z.B.: Sinaiticus, A, D, 33) dem Konjunktiv Aorist αἱρῆσωμαι (allerdings bezeugt durch: P46, B, Minuskel 2464) vorzuziehen. 28 E. Lohmeyer, Brief , 61. 29 Vgl. C. S. Wansink, Chained in Christ , bes. 97ff. - S. Vollenweider, „Waagschalen“, 93-115, 96 versteht Phil 1,21ff. als eine „kleine Synkrisis von Leben und Tod “ und das Wahlmotiv als „topisch“, ebd., 106. 30 So A. J. Droge, „Mori Lucrum“, 263-286, bes. 279: „I take this to mean what it says, that the question of life or death is a matter of Paul’s own volition, not something to be imposed on him from the outside. And if it is a matter of Paul’s own choosing, then it appears that he is reflecting on the possibility of suicide.“ 31 αἱρεῖν begegnet bei Paulus in 1 Kor 5,2; 6,15 (vgl. auch Eph 4,31; Kol 2,14), αἱρεῖσθαι nur in Phil 1,22 (vgl. auch 2 Thess 2,13; Hebr 11,25). 32 So z. B. U. B. Müller, Brief , 62, versteht αἱρεῖν uneigentlich: „Es geht Paulus um die Frage, was er vor sich und vor seinem Gewissen vorziehen soll.“ 230 XIII Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns Ich meine, dass αἱρεῖσθαι wörtlich als ‚wählen‘ und nicht uneigentlich zu verstehen ist. Doch geht die ‚Wahl‘, auf die Paulus hier anspielt, nicht als Entscheidung gegen den Suizid aus, wie Craig S. Wansink vorgeschlagen hat. 33 Vielmehr trifft Paulus in der Situation der Untersuchungshaft eine Entscheidung in einem inneren , in einem religiösen Konflikt: Paulus möchte der Haft entfliehen und zu Christus aufbrechen oder - wie die Luther-Übersetzung hier ἀναλῦσαι wiedergibt 34 - „aus der Welt scheiden“, weil ihn die Christus-Sehnsucht treibt. Diese Christus-Sehnsucht als Sehnsucht nach einer Erlösung aus der irdischen Existenz - und weniger als Erwartung eines Martyriums 35 - ist seine innere, seine religiöse Sehnsucht. Von dieser Sehnsucht getrieben, sieht Paulus die „Fesseln“ als das, was ihn daran hindert, „aufzubrechen“, d. h. zu sterben, und mit Christus zu sein. Δεσμός (V. 7-17) und ἀναλύειν (V. 23) bilden die eigentliche semantische Opposition in Phil 1. 36 Paulus ist offenbar des Lebens müde - ob wegen seines Alters, körperlicher Schwäche oder seiner Gefangenschaft, können wir nicht wissen. Jedenfalls verstärkt seine unfreie Situation seine Christus-Sehnsucht. In dieser äußeren und inneren Gefangenschaft verschafft sich Paulus nun einen Entscheidungsspielraum, indem er sich gegen seine religiöse Sehnsucht und für die Verantwortung für die Gemeinde in Philippi entscheidet. Bei der Lösung dieses inneren Konflikts geht Paulus ähnlich wie Sokrates vor: 37 Paulus sieht den Zwang, da zu sein 33 Gegen die abschließende Tendenz eines „voluntary death“ bei C. S. Wansink, Chained in Christ , 124f., der als Parallele Cicero, ep Quint fr 1,3 anführt und im Blick auf die Gattung des Philipperbriefes Loveday Alexanders These eines „family letter“ bzw. eines „Verbindungsbriefs“ folgt (vgl. L. Alexander, „Hellenistic Letter-Forms“, 87-101). 34 ἀναλύειν sonst nur in Lk 12,36. 35 In der Forschung wurde und wird die Todessehnsucht des Paulus häufig als ein Ausblick auf ein Martyrium verstanden - vgl. z. B. E. Lohmeyer, Brief , z. B. 64; U. B. Müller, Brief, 66-71 im Blick auf Phil 1,23 mit Verweis auf die frühjüdischen Märtyrervorstellungen (z. B. 4 Makk 17,17-19; 18,3 etc.). Doch zunächst muss der Märtyrer-Begriff definiert werden: Paulus ist, soweit unsere literarischen Quellen reichen (Phil; Apg) offenbar - anders als die Makkabäer - in einen rechtlichen Prozess involviert. Damit ist er ebenso wenig in der Märtyrer-Situation, die die späteren christlichen Autoren (Apk 2,13; 6,9; Mart Pol; Märtyrerakten) bezeugen (zur Kritik an der Märtyrer-Theorie vgl. auch S. Schreiber, „Paulus im ‚Zwischenzustand‘“, 336-359, bes. 350): Paulus macht gerade nicht einen gewaltsamen Tod zur Voraussetzung seines ‚Mit-Christus-Seins‘. 36 Zum semantischen Zusammenhang von δεσμός und -λύειν vgl. z. B. Josephus, B J 4,628; ant 2,65; 2,73; 10,154. 37 S. Vollenweider, „Waagschalen“, 114f. stellt m. E. zu Unrecht an diesem Punkt eine Differenz zwischen Paulus und Sokrates fest: Denn im Zentrum der sokratischen Entscheidung im „Kriton“ steht nicht die Frage nach dem „Bleiben um der Seinen willen“ (ebd., 114 mit Verweis auf den „Phaidon“), sondern nach dem Sterben um des Gemeinwohls willen - ähnlich wie Paulus das Gemeinwohl zum Kriterium seiner ‚inneren‘ Entscheidung macht. 3. Individuelle Entscheidungsspielräume: Ethische Kriterien und politische Dimensionen 231 und am Leben zu bleiben, weil die Gemeinde seine Anwesenheit braucht (Phil 1,25-26). Zwar wäre das Sterben für ihn persönlich ein Gewinn: τὸ ἀποθανεῖν κέρδος (Phil 1,21) - ein Gedanke, den schon Sokrates in der „Apologie“ wörtlich gleich formuliert hat: κέρδος-… ὁ θάνατος (Platon, Apol 40df.). 38 Und doch wird Paulus als Lebender und dann, wenn er nicht der Haft entflieht, mehr Frucht schaffen können (Phil 1,22). Wenn Paulus den „Fesseln“ schon nicht, wie er eigentlich möchte, durch seinen Tod entkommen und zu Christus aufbrechen kann, 39 so hofft er wenigstens, bei der Gemeinde in Philippi zu bleiben (Phil 1,25f.), und rechnet sogar in 1,27 damit, die Gemeinde wieder zu sehen. So entscheidet Paulus in seinem inneren Konflikt von seiner Verantwortung für die Gemeinschaft her: Er wehrt seiner starken Sehnsucht auf Weltflucht, so wie Sokrates jeder Todesfurcht und Lebenssehnsucht wehrt und in seinem existenziellen Konflikt die Entscheidung trifft, wegen des Gemeinwohls nicht zu fliehen und andernorts weiterzuleben. 40 3. Individuelle Entscheidungsspielräume: Ethische Kriterien und politische Dimensionen Im „Kriton“ und im Philipperbrief begegnen wir Sokrates und Paulus als Gefangenen: Sie sind äußerlich unfrei und erwarten - mehr oder weniger zeitnah und mit größerer oder geringerer Gewissheit - ihren Tod. Innerlich sind sie von persönlichen Wünschen und religiösen Sehnsüchten getrieben: Sokrates , der den Tod nicht herbeisehnt, könnte aus der Haft davonlaufen und dem über ihn verhängten Todesurteil entfliehen. Paulus möchte gerne seiner ungewissen Situation entkommen und aus der Welt scheiden, um bei Christus zu sein. Er sehnt seinen Tod herbei. Es sind in erster Linie nicht die äußeren Umstände der Haft, die ihn bekümmern, sondern er leidet unter der Trennung von Christus. 41 So sind die „Fesseln“, von denen Paulus schreibt, letztlich eine pars pro 38 Auf diese Parallele weist auch U. B. Müller, Brief , 61 hin. 39 In Phil 1,23-26 wird das Hin- und Hergerissensein des Paulus sprachlich-syntaktisch gut durch die Präpositionen εἰς und ἐν zum Ausdruck gebracht: Während εἰς in V. 23 für den Wunsch, wegzugehen, steht, spiegelt ἐν die reale Lebenssituation. V. 25f. bilden die Lösung ab: εἰς lässt sich nur als Bewegung hin zur Gemeinde realisieren, und die ἐν- Existenz wird als ἐν Χριστῷ-Existenz gedeutet. 40 Mit diesen Entscheidungen geben sich Paulus und Sokrates als starke Personen zu erkennen: Denn sie sind bereit, ihre persönlichen Interessen und Sehnsüchte dem Ethos der Gemeinschaft, für die sie Verantwortung tragen, bedingungslos unterzuordnen. 41 Im antiken Roman ist das Gefängnis eine „der Stationen, die die gewaltsam getrennten Liebenden durchlaufen“, S. Arbandt/ W. Macheiner/ C. Colpe, „Gefangenschaft“, 318-345, 340. 232 XIII Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns toto -Metapher, 42 die nicht nur für die Haftsituation, sondern auch für die innere Gefangenschaft des Paulus steht, nämlich für die Unfreiheit der Person, die noch nicht bei Christus sein kann. In dieser Weise trennen die „Fesseln“ Paulus von Christus und trennen den Apostel von seiner Gemeinde in Philippi, die er gerne besuchen würde (Phil 1,26b-27). Wie löst Paulus den inneren Konflikt, der darin besteht, noch in Fesseln und noch nicht bei Christus zu sein, und wie bewertet er seine Situation? Ähnlich wie Sokrates sich entschließt, in Haft zu bleiben und den Gesetzen der Stadt bei Verlust seines Lebens treu zu sein, weiß Paulus um seine Verantwortung für die Gemeinden. Daher leitet Paulus gegen sein tiefes religiöses Empfinden seine Verpflichtung ab, unverdrossen und voller Hoffnung in der Haft zu bleiben und sich über den Lauf des Evangeliums zu freuen (Phil 1,18). So wird er nicht ‚zuschanden‘ und bleibt seiner Berufung als Apostel treu (Röm 1). Sokrates und Paulus bewähren sich in ihrer Haft also darin, dass sie in einer existenziellen Entscheidungssituation das Wohl der Gemeinschaft über die Sorge um sich selbst stellen. Sie definieren die Sorge um ihr Selbst also durch ihre Sorge um das Gemeinwohl. Die Sorge für das Gemeinwohl aber ist ein wesentliches Kennzeichen von Personalität, d. h. ein Merkmal einer Person, die um sich selbst qua ihrer unbedingten Verantwortung für die Gemeinschaft weiß. Für Ernst Lohmeyer ist es sogar „einer der großen Züge urchristlichen Denkens, den Wert einer Persönlichkeit allein auf die Reinheit der Gesinnung zu gründen“ 43 . Doch auch wenn wir Sokrates und Paulus zusammen betrachten, so zeigt sich, dass existenzielle Bewährung, persönlicher Mut (παρρησία) und die Sorge um das Gemeinwohl Hand in Hand gehen. In seinen letzten Vorlesungen am Collège de France hat Michel Foucault seinerzeit gezeigt, wie und in welcher Weise bei Sokrates existenzielle Bewährung und die Sorge um das Gemeinwohl verknüpft sind: In der „Apologie“ bestimmte Sokrates „seine parrhesia , sein mutiges Wahrsprechen als ein Wahrsprechen-…, dessen endgültiges Ziel und dessen ständige Beschäftigung darin bestand, die Menschen zu lehren, sich um sich selbst zu kümmern. Sokrates- … will sich um sie [= die Menschen] kümmern, damit sie lernen, sich um sich selbst zu kümmern. Der ganzen Apologie liegt also dieses Thema der epimeleia und der Sorge zugrunde.“ 44 Auch im „Kriton“ agiert Sokrates nicht eigentlich als Politiker, wohl aber als politisch-ethisch Handelnder. Dabei erweist sich der Begriff der παρρησία als besonders bedeutsam: Denn der Tod des Sokrates „begründet 42 Doch ist nicht die Haft selbst als eine reine Metapher zu verstehen. Vgl. zu dieser Diskussion in Hinsicht auf Röm 16,7; Kol 4,10; Phlm 23: J.-M. Salamito, „ΣΥΝΑΙΧΜΑΛΩΤΟΙ”, 191-210, bes. 199ff. 43 E. Lohmeyer, Brief , 116 - hier zur Deutung von Phil 2,20. 44 M. Foucault, Mut , 151. 3. Individuelle Entscheidungsspielräume: Ethische Kriterien und politische Dimensionen 233 in der Wirklichkeit des griechischen Denkens-… die Philosophie als eine Form der Veridiktion“ 45 . Der „Parrhesiast“ nämlich ist derjenige, „der mutig die Wahrheit ausspricht, wobei er sein eigenes Leben und seine Beziehung zum anderen riskiert“ 46 . In Phil 1 begegnet eine ähnlich dichte Verknüpfung von individueller Bewährung, der Sorge um die Gemeinde und der apostolischen παρρησία (Phil 1,20). 47 Die παρρησία bringt den „Öffentlichkeitscharakter“ des apostolischen Dienstes zum Ausdruck, 48 sagt aber auch etwas über Paulus selbst aus: Als „Parrhesiast“ - im Sinne Foucaults - steht Paulus für persönliche Integrität und Bewährung. Auch Foucault bemerkt in seiner letzten Vorlesung (28.3.1984), dass die „apostolische Tugend der parrhesia -… der griechischen (Tugend) ziemlich“ nahesteht. 49 Insofern bietet sich für Phil 1 kaum eine rhetorische Deutung an, wie Paul A. Holloway vorschlägt. 50 Vielmehr hat Foucault eindringlich gezeigt, dass παρρησία und Rhetorik einander eher ausschließen: „In der Rhetorik wird die Verbindung zwischen dem Sprechenden und dem, was er sagt, aufgelöst-… Die parrhesia stellt-… zwischen dem Sprechenden und dem, was er sagt, eine feste, notwendige, konstitutive Verbindung her-… Wir können also sehr schematisch sagen, daß der Rhetor ein wirkungsvoller Lügner ist, der die anderen zwingt-… Der Parrhesiast ist im Gegensatz dazu derjenige, der mutig die Wahrheit ausspricht, wobei er sein eigenes Leben und seine Beziehung zum anderen riskiert.“ 51 Paulus ist wie Sokrates ein „Parrhesiast“, insofern er seinen Dienst der Verkündigung mutig und mit hohem Risiko versieht und zugleich die Sorge um das Wohl der ihm Anvertrauten über die Sorge um sich selbst stellt. Gleichwohl spricht Paulus im Phil nicht wie Sokrates von ἐπιμελεῖσθαι, sondern von φρονεῖν, d. h. von einer einmütigen Gesinnung innerhalb der Gemeinde (Phil 1,7; 2,2.5). Auch darüber hinaus unterscheiden sich Sokrates und Paulus in ihrem Verhalten. Dies zeigt sich zum einen darin, wie sie ihre Entscheidung, das Wohl der anderen über ihr eigenes Wohl zu stellen, begründen und wie sie die Gewissheit ihrer Person um sich selbst herleiten. Anders als Sokrates, der seine Ethik auf seiner Selbsterkenntnis gründet, 52 ist der Entschluss des Pau- 45 Ebd., Mut , 155. 46 Ebd., Mut , 30. 47 Zum Begriff vgl. H. Schlier, „παρρησία, παρρεσιάζομαι”, 869-884. - Speziell bei Paulus: D. E. Fredrickson, „ΠΑΡΡΗΣΙΑ“, 163-183. 48 J. Gnilka, Philipperbrief , 68. So auch J. S. Vos, Kunst , 148. 49 M. Foucault, Mut , 424. 50 Vgl. P. A. Holloway, Consolation . 51 M. Foucault, Mut , 30. 52 „Wohl denn, Kriton! so laß uns auf diese Art handeln, da uns hierin der Gott leitet“ (Platon, Krit 54d). Mit diesen religiös anmutenden Worten, die am Ende des „Kriton“ stehen, 234 XIII Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns lus, für die Gemeinde am Leben zu bleiben, von seiner christlichen Hoffnung getragen (Phil 1,18bff.). 53 Es ist Gott selbst, der über das Geschick des Paulus entscheidet. Und so hat Georg Heinrici 54 zu Recht die Person des Paulus in der Spannung von „Pflichtbewußtsein-…, Selbstgefühl und-… Demut“ gezeichnet. 55 Daher ermahnt Paulus auch seine Adressaten, die ταπεινοφροσύνη zum Maßstab des gemeindlichen Zusammenlebens zu machen (Phil 2,3). Zum anderen unterscheiden sich Sokrates und Paulus in Hinsicht darauf, für welche Form von Gemeinschaft sie Verantwortung tragen. Sokrates zeigt sich im „Kriton“ um die Gültigkeit der Gesetze in der πόλις besorgt. Er hat ein auf die innerweltliche Sphäre begrenztes politisches Gemeinwesen, nämlich die πόλις in Athen, vor Augen. Diese πόλις ist durch Gesetze (οἱ νόμοι: z. B. 50a) legitimiert und geordnet. Paulus ist im Philipperbrief um das Wohlergehen der ἐκκλησία bzw. der ἅγιοι (Phil 1,1) bemüht, die er auch als ἀγαπητοί μου (Phil 2,12) ansprechen kann. Damit sorgt er sich um das rechte Gesinntsein (φρονεῖν, vgl. auch Phil 3,15.19; 4,10) und das richtige Wandeln (περιπατεῖν, Phil 3,17f.) der Gemeinde. Der Dienst des Paulus und die Anwendung der παρρησία haben macht Sokrates seinen Beschluss, in Haft und den Gesetzen treu zu bleiben, noch einmal unwiderruflich deutlich. Doch selbst wenn das sokratische Denken immer auch religiöse oder theologische, zumindest transzendierende Züge hat (vgl. G. Figal, „Sokrates“, 1423- 1424, 1424; vgl. auch N. D. Smith/ P. B. Woodruff [Hg.], Reason ), so ist die Gotteserkenntnis des Sokrates letztlich Folge seiner Selbsterkenntnis, wie schon Wilhelm Weischedel - u. a. mit Verweis auf den „Kriton“ - betont hatte („nicht mehr aus der Betrachtung der welthaften Wirklichkeit [Phaid 99d], sondern aus der innersten Gewißheit des Selbst erwächst ihm [= Sokrates] das Wissen um den Weltgott“, W. Weischedel, Gott der Philosophen , 48). - Mit diesen Worten widerlegt Sokrates - wie schon in der „Apologie“ - seine Ankläger: Er erweist sich dezidiert als ein nach Gott Suchender und gerade nicht als ein Atheist. Als ‚Dienst für den Gott‘ (… διὰ τὴν τοῦ θεοῦ λατρείαν, Apol 23c) hatte Sokrates schon in seiner Verteidigungsrede seine Aufgabe bezeichnet. 53 Vgl. zur Markierung der Differenz zwischen Sokrates und Paulus auch E. A. Judge, „St Paul and Socrates“, 683: „The cultivation and study of oneself, the fostering of the creative imagination, the critical approach to knowledge, the belief that criticism is the method of attaining knowledge if it is attainable at all - here is the heritage of Socrates and of the Greek philosophers. On the other hand the subjection of oneself to the others as a principle of order in society and in personal relations, and this in response to a radical assessment of human weakness and need, this is the model for life projected through the Fathers and the later tradition by St Paul.“ 54 Vgl. D. C. F. G. Heinrici, Probleme , 25ff. Heinrici hat hier „des Paulus Person und Eigenart“ zu einem wichtigen Gebiet der Paulus-Deutung erklärt und darauf hingewiesen, dass sich bei Paulus die Person und die Theologie gegenseitig erschließen. 55 D. C. F. G. Heinrici, Probleme , 30. Das „Pflichtbewußtsein des Apostels (ist) durchdrungen von Selbstgefühl und von Demut“. „Die echte Demut“, so Heinrici, „erwächst aus der Gottesgewißheit. Sie wirft sich nicht weg, sondern dankt Gott für ihr Sein und Werden und Wirken. Und eben aus ihr erwächst das Selbstgefühl“, ebd., 31. 3. Individuelle Entscheidungsspielräume: Ethische Kriterien und politische Dimensionen 235 also durchaus eine sozio-politische Dimension. 56 Doch während der Verantwortungsbereich, in dem Sokrates sozio-politisch wirkt, verfassungsrechtlich definiert ist, ist die ἐκκλησία personenorientiert - sie konstituiert sich durch die Gemeinschaft ihrer Glieder und deren Orientierung an Christus (Phil 2,5). Daher ist das sozio-politische Handeln des Paulus immer an Paränese gebunden (z. B. Phil 2,12-18). Sokrates und Paulus sind zwar kaum Politiker im eigentlichen Sinne, wohl aber politisch-ethisch Handelnde. Beide Protagonisten sehen - sicher nicht zufällig - ihre Aufgabe mit dem πολιτεύεσθαι verknüpft: Im „Kriton“ sind es die Gesetze der Stadt Athen, die Sokrates in einem fiktiven Monolog daran erinnern, dass dieser sich nach Verträgen und Versprechungen (52d: παρὰ τὰς συνθήκας τε καὶ τὰς ὁμολογίας-…) verpflichtet hat, als Bürger in der Stadt zu leben. Damit hat er sich dem durch die Gesetze geordneten Gemeinwesen unterstellt. In Phil 1,27 erläutert Paulus gleichsam die Rahmenordnung, unter der die ἐκκλησία lebt: Es ist das εὐαγγέλιον τοῦ Χριστοῦ, dessen sich die Gemeindeglieder würdig erweisen sollen. Einzig hier bezeichnet Paulus den Vorgang des gemeindlichen Zusammenlebens unter dem Evangelium als πολιτεύεσθαι. 57 Paulus schafft in Phil 1,27 also gewissermaßen eine kognitive Dissonanz , mit der er nicht nur die besondere Stellung des Evangeliums gegenüber der Stadt oder dem politischen Gemeinwohl zum Ausdruck bringt, sondern ein weiteres Mal die ekklesiale Gemeinschaft in die politische Denk- und Sprachwelt seiner Zeit einzeichnet. 58 Nun ist die Sorge für die Gemeinschaft in Philippi zwar geographisch bestimmt, sie hat aber zugleich eine transzendente Qualität: Denn die Gemeinschaft der κλητοί ist durch eine „Berufung von oben her“ (ἄνω κλῆσις) be- 56 Auch J. S. Vos, Kunst , 148 sieht diese politische Dimension, deutet sie aber in erster Linie eschatologisch: „Wenn Christus ἐν πάσῃ παρρησίᾳ groß werden wird, dann bedeutet das, daß das himmlische πολίτευμα auf Erden sichtbar wird.“ Zur Kritik an dieser eschatologischen Deutung vgl. auch: J. Reumann, Philippians , 246. 57 Der Begriff ist inhaltlich zwar synonym zu περιπατεῖν (Phil 3,17f.) zu lesen (vgl. P. Pilhofer, Philippi , 136), d. h., er ist ethisch konnotiert. Im Zusammenhang mit der Wendung: ἀξίως τοῦ εὐαγγελίου τοῦ Χριστοῦ klingt hier zugleich aber etwas Spezifisches an, das sich für die Gemeinde in Philippi lokalgeschichtlich erschließt: Paulus scheint hier nämlich - wie Peter Pilhofer herausgestellt hat - auf eine im Raum Philippi epigraphisch vielfach bezeugte und variierte Wendung mit ἀξίως-… anzuspielen: ἀξίως τοῦ δῆμου (z. B. IG II 2,672, Z.9), ἀξίως τοῦ θεοῦ (z. B. IG II 2,775, Z.19), ἀξίως τῆς (ἡμετέρας) πόλεως (z. B. IG IV 7,387, Z.6) (vgl. P. Pilhofer, Philippi , 137). 58 Dabei könnte Paulus - wie Mikael Tellbe meint - bewusst auf einen Konflikt der örtlichen Gemeinde mit der zivilen Ordnung in Philippi Bezug nehmen wollen (vgl. M. Tellbe, Paul , 239-243. - Zur sozialgeschichtlichen Stellung der Gemeinde in Philippi vor dem Hintergrund des antiken Vereinswesens vgl. R. Ascough, Paul’s Macedonian Associations , 110-161). 236 XIII Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns gründet, 59 wie es in Phil 3,14 heißt. So bringt die Wendung vom πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς (Phil 3,20) 60 die Erwartung zum Ausdruck, dass die ἐκκλησία ihre Heimat und ihren rechtlich legitimierten Status, ihr Bürgerrecht, 61 nicht in der irdischen, sondern letztlich in der transzendenten Welt Gottes und Jesu Christi finden werde. 4. Ein Ausblick: Literarische, theologische und kulturgeschichtliche Wirkungen paradigmatischen Handelns Paradigmatisch Handelnde üben eine große Wirkung auf die Nachwelt aus. Das gilt für Sokrates 62 und für Paulus gleichermaßen. In beiden Fällen spielt die Haftsituation, in der Sokrates wie Paulus Verzicht üben, eine besondere Rolle. Sokrates verzichtet darauf, weiterzuleben. Paulus verzichtet auf seine tiefe innere Sehnsucht, in die himmlische Welt einzutreten: Er sieht, dass seine apostolische Aufgabe noch nicht abgeschlossen ist. So bleibt ihm, für die ἐκκλησία weiterzuleben, die, wie er selbst, eigentlich doch dem „Siegespreis der Berufung von oben nachjagt“ (Phil 3,14). 63 Augustinus hat diesen Aspekt der paulinischen Fürsorge-Ethik erkannt, wenn er schreibt: „Und auch der Apostel 59 Vgl. D. Schinkel, Bürgerschaft , 82ff. 60 Vgl. zur Interpretation immer noch grundlegend: W. Ruppel, Politeuma , 268-277 und 433- 454. Vgl. zuletzt auch Schinkel, Bürgerschaft , bes. 100ff. - Zum Fortwirken des Motivs im sog. Diognetbrief (5,9) und Polykarp, Phil 5,2 (vgl. auch 3,2; 11,3): C. E. Hill, Polycarp , bes. 138. 61 Nach P. Pilhofer, Philippi , bes. 130 ist mit dem πολίτευμα am ehesten das „Bürgerrecht“ gemeint. Daraus ergibt sich eine Parallelstruktur zwischen der tribus Voltinia und dem πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς: „Wie in der politischen Sphäre nicht nur die cives Romani aus Philippi in der tribus Voltinia eingeschrieben sind, sondern auch die cives Romani aus Aquae Sextiae, aus Nemausus und vielen anderen Städten, so verhält es sich-… auch bei den Christen: Nicht nur die Christen aus Philippi besitzen das himmlische Bürgerrecht, sondern auch die Christen in Thessaloniki und in Korinth und in vielen anderen Städten“, 130. Doch während die Wahrnehmung der Bürgerrechte in der tribus Voltinia im 1. Jh. nahezu bloß fiktiv geworden sind, „wird sich die Wahrnehmung der bürgerlichen Rechte eines Christen dagegen in kurzer Zeit ermöglichen lassen“ (vgl. Phil 4,5), 131. - Zur sozio-politischen Prägung des Begriffs und zum institutionellen Konzept des politeuma vgl. zuletzt auch: S. Honigman, „ Politeumata “; H. Förster/ P. Sänger, „Heimat“; P. Sänger, Organisationsform . 62 Für Diogenes Laertius ist Sokrates letztlich „unabhängig und charakterstark“ (2,42). Zum Vorbild-Charakter des Sokrates in der Antike vgl. auch: Seneca, ep mor 6,6 (… Platon et Aristoteles et omnis in diversum itura sapientium turba plus ex moribus quam ex verbis Socratis traxit ); ep mor 71,7; 104,27. 63 Zur Kampf- und Sportmetaphorik vgl. zuletzt: M. Brändl, Agon . 4. Ein Ausblick: Wirkungen paradigmatischen Handelns 237 Paulus sorgte sich nicht um sein vergängliches Leben, sondern um die Kirche Gottes-…“ ( ep 185,7,26). 64 Am Beispiel der Flucht aus der Haft sehen wir zugleich, wie historische Realitäten zum Gegenstand literarischer Inszenierung, ja sogar von Ethik und Existenzdeutung werden: Denn sowohl in der Sokratesals auch in der frühen Paulus-Überlieferung wird das Motiv der Flucht aus der Haft interessanterweise vom Aspekt des Verzichts her betrachtet und damit ethisch bewertet. 65 Der Stoiker Epiktet (ca. 50-130 n. Chr.) etwa deutet in einer freien Paraphrase des „Kriton“ 66 den sokratischen Verzicht auf die Flucht aus dem Gefängnis individual-ethisch , indem er herausstellt, wie Lehre und Leben bei Sokrates eine Einheit bilden. 67 Und Seneca versteht und deutet in seinem Alterswerk, in den sog. epistulae morales , mehrfach das sokratische Verhalten existentiell ( ep mor 3,24,4): „Im Kerker führte Sokrates seine philosophischen Gespräche und wollte ihn, obwohl es Leute gab, die ihm eine Gelegenheit zur Flucht in Aussicht stellten, nicht verlassen, sondern blieb, um den Menschen die Angst vor zwei höchst bedrückenden Dingen zu nehmen: vor dem Tod und vor dem Kerker.“ 68 Paulus formuliert einen zu Seneca analogen Gedanken (Phil 1,14), wenn er die ermutigende Wirkung seiner Gefangenschaft auf die anderen ‚Brüder‘ feststellt. In ep mor 70,9 diskutiert Seneca, warum Sokrates nicht die Flucht aus dem Leben als Möglichkeit, der Haft zu entkommen, gewählt hat 69 - mit dieser Deutung 64 … neque enim et apostolus paulus uitae suae transitoriae consulebat sed ecclesiae dei- … , Augustinus, Epistulae 185-270: ep 185, par. 7, pag. 26, lin. 21. 65 S.u. - In 2 Kor 11,32f. betont Paulus, dass er einer Festnahme in Damaskus durch Flucht entkommen sei, zu der ihm offenbar Freunde verholfen haben. 66 Vgl. Epiktet, Diss 3,1,163 und Platon, Krit 47d bzw. Diss 4,1,166 und Krit 54a. 67 Sokrates, der Gespräche über Tugend und moralische Exzellenz hielt (Epiktet, Diss 4,1,164: - … ὁ τοιαῦτα περὶ ἀρετῆς καὶ καλοκἀγαθίας διαλογέμενος), sei gerade durch seinen Tod, nicht durch seine mögliche Flucht gerettet worden (ἀποθνῄσκων σῴζεται, οὐ φεύγων, 4,1,165). - Vgl. zur Deutung dieser Stelle im Vergleich mit Phil 1,21 auch: R. Bultmann, Predigt , bes. 108. Bultmann sucht hier - unter Verweis auf die von Georg Heinrici (D. C. F. G. Heinrici, Charakter . - Vgl. Bultmann, Predigt , 1, Anm. 1. - Zum Verhältnis von Heinrici und Bultmann vgl. zuletzt auch K. Hammann, Bultmann , bes. 47 und 57) aufgeworfene Frage nach dem „literarischen Charakter der Paulusbriefe“ - in erster Linie nach einer literarischen und stilistischen „Analogie“ für die Paulusbriefe, R.-Bultmann, Predigt , 4. Er findet, dass „die paulinischen Briefe Verwandtschaft mit einer bestimmten literarischen Gattung“, nämlich mit der kynisch-stoischen Diatribe zeigen, die ihrem Wesen nach „Volkspredigt“ ist, a. a. O., 2f. 68 In carcere Socrates disputavit et exire, cum essent qui promitterent fugam, noluit remansitque, ut duarum rerum gravissimarum hominibus metum demeret, mortis et carceris. - Übersetzung nach: L. Annaeus Seneca, Epistulae morales , 19. Der Unterschied zu der Interpretation bei Platon ist hier überdeutlich. Seneca interpretiert Sokrates ethisch . 69 „Sokrates hätte durch Hungerstreik sein Leben beenden und an Hunger eher sterben können als durch Gift: dreißig Tage jedoch hat er im Gefängnis und mit dem Warten auf den Tod verbracht, nicht in der Meinung, als könne alles geschehen, als verspreche 238 XIII Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns ist Seneca übrigens durchaus nahe bei dem paulinischen Verzicht, den Tod zu wünschen und der Christus-Sehnsucht nachzugeben. Doch unabhängig davon, ob die mögliche Flucht aus der Haft als Flucht eines Lebenden oder als Todessehnsucht, d. h. als Weltflucht vorgestellt ist, wird sie vom Aspekt des Verzichts her kommentiert. Der römische Schriftsteller Apuleius kehrt (2. Jh. n. Chr.) indes das Motiv eines Verzichts auf Flucht in seinen Metamorphosen in provokativer Weise um. Er schildert in einer fiktiven Szene, wie es Sokrates als Geflohenem ergangen wäre: So trifft ein Thessalier namens Aristomnes den Sokrates am Boden sitzend, „mit einem zerrissenen Mantel halb bekleidet, fast nicht wiederzuerkennen vor Blässe, bis zu jämmerlicher Magerkeit entstellt-…“ ( Met 1,5f.). 70 Alle genannten literarischen Texte 71 sind letztlich von der Vorstellung geprägt, dass eine Flucht des Sokrates aus der Haft moralisch verwerflich gewesen wäre. Ähnlich argumentiert Lukas in der Apostelgeschichte in seiner Erzählung über den in Philippi inhaftierten Paulus. Obwohl Lukas den literarischen Typus des sog. Türöffnungs- oder Befreiungswunders, das in der griechisch-römischen und in der frühjüdischen Literatur verbreitet ist, 72 durchaus kennt und selbst über Petrus und andere Apostel Rettungswunder aus Gefängnishaft erzählt (Apg 5,19; 12,7ff.), stellt er in Apg 16 dar, wie Paulus und Silas die ihnen eröffnete Möglichkeit zur Flucht gerade nicht ergreifen. Weil der Gefängniswärter (δεσμοφύλαξ, Apg 16,23.27.36) wegen des Erdbebens und des offenen Gefängnistores in Panik gerät und sich selbst zu töten droht, entfliehen Paulus und Silas nicht, sondern bleiben im Gefängnis. Sie bekehren den Wärter zum Glauben „an den Herrn Jesus“ (V. 31ff.) 73 und bestehen später auf der Wiederherstellung ihrer viele Hoffnungen eine so lange Frist, sondern um sich den Gesetzen zu stellen, um seinen Freunden den Umgang mit einem Sokrates an der Schwelle des Todes zu schenken- …“ (Seneca, ep mor 70,9). Übersetzung nach: L. Anneaus Seneca, Philosophische Schriften , 7. 70 … humi sedebat scissili palliastro semiamictus, paene alius lurore, ad miseram maciem deformatus-… Übersetzung nach: Apuleius, Metamorphosen , 47. - Vgl. zu dieser Persiflage auch: C. Bertrand-Dagenbach, „La Prison“, 211-219, 217. - Vgl. zur Inhaftierung wegen Magie oder Astrologie: J.-U. Krause, Gefängnisse , 121f. - Vgl. auch die Schrift De Deo Socratis , 21-24 und 167-178, wo Apuleius die Vorbildfunktion des Sokrates herausstellt, vgl. dazu zuletzt: Apuleius, De Deo Socratis ; darin: M.-L. Lakmann, „Einführung“, 13-44, 41f. 71 Gemeint ist hier die antike Literatur außerhalb der juristischen Fach-Literatur, wie z. B. Ulpian (ca. 170-224 n. Chr.), De officio proconsulis - vgl. dazu A. Nogrady, Römisches Strafrecht , 18ff. 72 Vgl. z. B. Euripides, Bacch 443ff.; 576-614; Ovid, Met 3,692-700; Philostrat, Vit Apol 7,38; 8,30. Vgl. Artapanos nach: Eusebius ( P E 9,27,23-25) und der Parallelüberlieferung bei Clemens ( strom 1,23,154,2-3). Vgl. insgesamt dazu E.-M. Becker, Markus-Evangelium , 182ff. 73 Ein solcher Verzicht auf Flucht begegnet auch in Lukians Schrift „Über die Freundschaft“ (Τόξαρις ἤ φιλία, 27-34). - Vgl. dazu auch H. D. Betz, Lukian , 170f. δεσμοφύλαξ begegnet in Apg 16,23.27.36 und in Tox 30 (Τόξαρις ἤ φιλία), ebd., 171. 4. Ein Ausblick: Wirkungen paradigmatischen Handelns 239 Ehre als römische Bürger (V. 37ff.). Es lässt sich nicht ausschließen, dass Apg 16,23ff. als Reflex auf Phil 1 und den hier diskutierten Wunsch des Sterbens als Möglichkeit zur Flucht aus der Haft zu lesen ist. So schildert Lukas gerade nicht , dass Paulus befreit worden und geflohen sei, sondern betont - wie auch die Sokrates-Überlieferung - den Verzicht auf Flucht. Ebenso wenig stellt Lukas am Ende der Apostelgeschichte dar, wie Paulus zum ‚Märtyrer‘ geworden und wie seine Christus-Sehnsucht damit in Erfüllung gegangen wäre (s. u., trotz Apg 20,23f.; 21,10; Röm 15,31). Stattdessen legt er - wie Paulus selbst in Phil 1 - Wert darauf, den Apostel in seiner Haft als weiter Wirkenden und Lehrenden zu zeichnen, der in παρρησία und für andere tätig ist. Nach Apg 28,31 hält Paulus sich in seiner stadtrömischen Haft in einer von ihm selbst angemieteten Herberge auf, 74 wo er erneut frei Besuch erhalten und sogar frei lehren (διδάσκων μετά πάσης παρρησίας ἀκωλύτως, Apg vgl. auch Phil 1,20) kann. 75 Er befindet sich unter Aufsicht eines Soldaten (Apg 28,16: τῷ φυλάσσοντι αὐτὸν στρατιώτῃ), wohl eines Prätorianers, 76 unter Hausarrest bzw. einer libera custodia . 77 Lukas stellt die Bedingungen der Untersuchungshaft also als milde dar. Und schon in seiner Untersuchungshaft in Caesarea gewährt Felix dem Paulus eine erleichterte Haft (ἄνεσις) und befiehlt dem Hauptmann (ἑκατόνταρχος), der Paulus bewacht, dass „niemand von den Seinen daran gehindert wird, ihm zu dienen“ (Apg 24,23). 78 Was Lukas in der Apostelgeschichte schildert, widerspricht trotz redaktioneller Färbung nicht der im Philipperbrief vorausgesetzten Situation: 79 Auch Paulus deutet ja nicht an, dass er separiert oder an seiner Lehrtätigkeit gehindert worden wäre. Nach Phil 1,13 kann er seine Haft für Christus „im ganzen Prätorium“ offenbar, d. h. öffentlich machen. 80 So liegt das Augenmerk sowohl in Phil 1 als auch in der Darstellung der Apg nicht darauf, dass Paulus äußerlich an den Um- 74 Einige Minuskeln (614; 2147) fügen in Apg 28,16 ἔξω τῆς παρεμβολῆς ein und betonen damit den besonderen Wohnstatus des Paulus außerhalb der Prätorianerkaserne. 75 Vgl. J.-U. Krause, Gefängnisse , 250. 76 Vgl. noch einmal J.-U. Krause, Gefängnisse , 250: „Vermutlich kam Paulus in Rom in die Obhut der Prätorianer. Er wurde aber wohl kaum direkt dem Prätorianerpräfekten Burrus übergeben; der in Act. 28,16 genannte Stratopedarch war wohl eher der princeps castrorum , der Chef des officium der Prätorianer.“ - Anders G. Lüdemann, Christentum , 275. 77 Vgl. dazu J.-U. Krause, Gefängnisse , 187. 78 Vgl. ebd., 289. 79 Insgesamt wirken Apg 20ff. vielfach wie eine narrative Entfaltung des Philipperbriefes: Vgl. nur z. B. Apg 20,24 und Phil 3,12ff.; Apg 28,31 und Phil 1,20. 80 Zu den Möglichkeiten der Deutung des Begriffs ‚Prätorium‘ und der letztlich unklaren Evidenz im Blick auf die Lokalisierung des Phil vgl. zuletzt: E.-M. Becker, „Polemik“, 233- 254, 240f., Anm. 33. 240 XIII Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns ständen seiner Haft gelitten hätte. 81 Vielmehr stehen die Bewährung des Paulus in seiner Haft und sein fortdauernder Einsatz für die Verkündigung im Mittelpunkt der autobiographischen wie der prosopographischen Darstellung. 82 Hierin konvergieren Paulus und Lukas. Vor diesem Hintergrund ist dann auch zu diskutieren, warum und wie die pseudepigraphen Paulusbriefe (Kol, Eph, 2 Tim) die Situation der Gefangenschaft des Paulus nicht nur fortschreiben, 83 sondern geradezu als Mittel literarischer Inszenierung wählen und dabei der Situation der paulinischen Gefangenschaft nahezu eine soteriologische Dimension verleihen (vgl. Eph 3,1). 84 So gibt uns der Vergleich von Sokrates und Paulus in erster Linie nicht Aufschluss darüber, in welchem möglichen popular-philosophischen Milieu Paulus zu verorten sei. 85 Sokrates und Paulus bleiben als Personen, als philosophische Lehrer und Apostel, in vielem nicht vergleichbar. Allerdings begegnen beide nicht zufällig als Parrhesiasten, die politisch-ethisch integer handeln. Hieran wird deutlich, worin die enorme Wirkung beider Personen auf ihre Nachwelt begründet liegt. Es ist die Paradigmatik der individuellen Bewährung und des persönlichen Verzichts zugunsten des Gemeinwohls, die Sokrates wie Paulus dauerhaft zu Vorbildern politisch-ethischen Handelns macht. Bibliographie Antike Werke Apuleius, De Deo Socratis. Über den Gott des Sokrates (Eingeleitet, übersetzt und mit interpretierenden Essays versehen von M. Baltes u. a.; SAPERE 7; Darmstadt 2004). Apuleius, Metamorphosen oder Der Goldene Esel . Lateinisch und Deutsch (R. 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Sellin folgt der längeren, qualitativ besser bezeugten Lesart (u. a. P46, A, B). 85 Zu dieser Thematik, vgl. z. B. bereits: H. D. Betz, Sokratische Tradition ; K. O. Sandnes, „Paul and Socrates“, 13-26; dazu zuletzt auch: R. I. Pervo, Acts , 424-442. Bibliographie 241 L. Annaeus Seneca, Epistulae morales ad Lucilium Liber III. Lateinisch/ Deutsch (übersetzt und hg. F. Loretto; RUB 2134; Stuttgart 1985). L. Anneaus Seneca, Philosophische Schriften. Lateinisch und Deutsch (Sonderausgabe Vierter Band; hg. M. Rosenbach; Darmstadt 2011 2 ). Platon, Sämtliche Werke in zehn Bänden. Griechisch und Deutsch (nach der Übersetzung F. Schleiermachers, ergänzt durch Übersetzungen von F. Susemihl u. a.; hg. K. Hülser; Sämtliche Werke I; Frankfurt/ Leipzig 1991). Xenophon, Erinnerungen an Sokrates. Griechisch-deutsch (hg. P. Jaerisch, München/ Zürich 1987 4 ). Übrige Literatur L. Alexander, „Hellenistic Letter-Forms and the Structure of Philippians“, in: JSNT 37 (1989), 87-101. S. Arbandt/ W. 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Die Form der Erzählung ist hierfür besonders geeignet. Damit stehen die paränetisch formulierte Aufforderung zur μίμησις oder imitatio einerseits und das erzählte exemplum andererseits in einem konstitutiven Wirkzusammenhang. Ein solcher begegnet auch im Philipperbrief (Phil). In diesem Beitrag versuche ich zu zeigen, wie Paulus in seinem wohl letzten Schreiben an seine ,Lieblingsgemeinde‘ die Aufforderung zur Nachahmung mit exemplarischer Rede verknüpft und damit in vielschichtiger Form mimetische Ethik konstruiert - dabei steht das Christusexemplum in Phil 2 im Zentrum meiner Überlegungen. Bevor wir den Wirkzusammenhang von Mimetik und exemplum bei Paulus besonders in literarischer Hinsicht 1 näher betrachten, sollten einige grundlegende Überlegungen dazu vorangestellt werden, wie wir uns mit diesem Problemfeld auch in theoretischer Hinsicht am Schnittpunkt antiker Philosophie und Ethik, Literaturtheorie und Rhetorik bewegen. In der antiken Welt begegnen die Phänomene der Mimetik und der exemplarischen Rede zunächst in literarischer und - hierbei besonders - in narrativer Form 2 . Sie weisen eine philosophische und eine ethische Dimension auf. Die enge Verknüpfung von Philosophie, Ethik und Literaturtheorie zeigt sich auch im frühen Christentum (z. B. Tatian). 3 Sie wird aber bereits besonders deutlich bei Platon und Aristoteles reflektiert - darauf komme ich gleich zurück. Doch 1 Dieser Beitrag greift das Phänomen der Mimesis vorwiegend in literaturgeschichtlicher Hinsicht auf - anders, als etwa Hans Dieter Betz sich seinerzeit zwar der Mimesis auch philosophisch genähert, dabei aber seinen Ausgangspunkt in der religionswissenschaftlichen Vorstellungswelt gewählt hatte: Vgl. H. D. Betz, Nachfolge . Zu religionsgeschichtlichen Überlegungen zu Phil 2 im Kontext vgl. zuletzt auch E.-M. Becker, „Paulus in Philippi“. 2 Vgl. insgesamt grundlegend: H. R. Jauss (Hg.), Nachahmung . Vgl. auch verschiedene Beiträge in: B. Aland/ J. Hahn/ C. Ronning (Hg.), Identifikationsfiguren. 3 In der oratio ad Graecos ist von μίμησις sowohl im Bereich von Literatur und Philosophie als auch von Theologie und Ethik die Rede (1,2; 3,5; 5,6; 7,1; 25,2) - vgl. dazu die Ausgabe von J. Treleberg, Oratio ad Graecos. 246 XIV Mimetische Ethik im Philipperbrief: Zu Form und Funktion paulinischer exempla auch im römischen Diskurs, wo eine zunehmende Fokussierung auf Literaturtheorie und Rhetorik zu beobachten ist, spielen philosophische und ethische Fragen eine Rolle. 4 Gian Biagio Conte zeigt auf, wie Mimetik oder vielmehr imitatio vor allem durch ihre Verwendung in der Rhetorik bestimmt sind und dann als Elemente des literarischen Wettstreitens in der Literaturgeschichte eine Eigendynamik entwickeln: „Although Plato ( Resp . 10 ) and Aristotle ( Poet .) often apply μίμησις philosophically to the semantic relation by which language or art represent their objects, the more widespread ancient usage of the term is rhetorical, to designate a later writer’s relation of acknowledged dependence upon an earlier one“. 5 Es scheint allerdings, dass diese spezifische kompetitive Bedeutung der Mimetik mit einer latenten Bedeutungsverschiebung in Zusammenhang steht, die sich begriffs- und kulturgeschichtlich bei der Übertragung von μίμησις zu imitatio ergibt. Sie weist auf die insgesamt stark literaturgeschichtlich geprägte römische Rezeption dieses Vorstellungsbereichs hin: imitatio dient im weitesten Sinne der aemulatio (Arno Reiff). 6 Und in der Tat sehen sich die Römer ja besonders im literarisch-imitierenden Wettstreit mit der griechisch-hellenistischen Vorgänger-Kultur (z. B. Quintilian; vgl. aber auch Plutarch), die sich in einem vielfältigen Schulbetrieb spiegelt und auf die griechische Kultur und Intellektualität zurückwirkt (vgl. dazu Ciceros mögliche Wirkung auf Dionysius von Halicarnass) 7 : „[…] the cultural interaction of Greeks and Romans was probably not a one-way track“. 8 Günter Figal hält indes daran fest, die Mimetik in ihrem engen Zusammenhang von philosophischem und literarischem Diskurs, wie er seit Platon im Begriff der μίμησις impliziert ist, zu betrachten: In Politeia 3 werden „zwei Möglichkeiten dichterischen Sprechens unterschieden: Entweder spricht der Dichter selbst und will auch nicht den Eindruck erwecken, es spräche jemand anders; das wird ‚einfache Erzählung‘ genannt. Oder der Dichter versucht, sich jemandem gleichzumachen, um den Eindruck zu erwecken, dieser selbst sei in der Rede anwesend; das ist M(imesis), so dass diese als Darstellung durch Nachahmung bestimmt werden kann“. 9 4 Vgl. z.B.: R. Langlands, „Roman Exempla“, 100-122; M. B. Roller, „Exemplarity“, 1-56. 5 G. B. Conte/ G. W. Most, „imitatio/ μίμησις“, 749. 6 Vgl. A. Reiff, interpretatio, imitatio, aemulatio . 7 Vgl. T. Hidber, „Impacts of Writing“, 115-123, 19ff. 8 T. A. Schmitz/ N. Wiater, „Introduction“, 15-45, 28. 9 G. Figal, „Mimesis“, 1240-1242, 1240f. 1. Mimetik, imitatio und exemplum 247 In rep 393ff. allerdings wird diese Bestimmung im Blick auf die Präsentation von Drama oder Epos so erweitert, dass sich das Verhältnis von Nachahmung und Darstellung geradezu umkehrt: „Der Schauspieler und der Vortragende gleichen sich der Darstellung an, um sie ihrerseits darzustellen“. 10 Diese Überlegungen Platons dienen letztlich im weitesten Sinne der Diskussion, wie weit die Philosophie in angemessener Form mit sprachlichen Mitteln die zu erkennende Sache erfassen kann - so gesehen wird dann „die Philos(ophie) M(imesis)“. 11 Nachahmung also wird mit sprachlichen bzw. literarischen Mitteln erzeugt - sie hat nicht zuletzt aber eine philosophische und ethische Funktion und erschöpft sich damit nicht in Mitteln literarischer Darstellung. 12 Für die Frage nach der Konstruktion mimetischer Ethik bleibt wichtig, dass von Platon bis Quintilian das Verhältnis von Vorbild und Nachahmung wesentliche literaturtheoretische und rhetorische Aspekte mit einbezieht, darin aber nicht aufgeht. Der Blick auf Paulus und den Phil wird diese Annahme bestätigen (s. 2.). Zuvor aber werde ich das Augenmerk noch kurz auf einen Bereich antiker Literatur lenken, in dem der Wirkzusammenhang von Mimetik und exemplarischer Sprache besonders deutlich hervortritt: die Historiographie. Gerade die antike Geschichtsschreibung bietet nämlich eine Fülle von Beispielen für die polyfunktionale Verwendung und Bedeutung von exempla . 13 In der Historiographie werden exempla sowohl rhetorisch als auch narrativ zum Einsatz gebracht: So werden exemplarische Formen in den Reden der Geschichtsschreibung im Sinne von Rhetorik adaptiert und weiterentwickelt, 14 10 G. Figal, „Mimesis“, 1241. 11 G. Figal, „Mimesis“, 1241. 12 Zum Zusammenhang von ‚Erzählen‘ und ‚Behaupten‘ vgl. zuletzt auch: M. Hampe, Lehren , bes. 11-28. 13 Zu den Wurzeln der „Roman exemplarity“: E. O’Gorman, „Repetition“, 264-279, 271ff.: „one of the most frequently cited cultural practices which encourages exemplarity for the ancient Romans is the funeral procession-…“ (271). Die Verwendung exemplarischer Formen in der Historiographie reicht bis zu Ammianus Marcellinus, vgl. G. Kelly, Ammianus Marcellinus , 256-295. 14 Exempla oder παραδείγματα begegnen bereits in den ältesten Werken griechischer Literatur und Geschichtsschreibung in Prosa-Form - hier gerne im Redenzusammenhang (z. B. Homer, Il 9,529-605; 24,602-620; Herodot, 1,30-31; 1,207; 5,92-93); Referenzen, in: J. Marincola, „Rhetoric“, 259-289, 266. Sie bleiben fortan ein literarisches Mittel bei der Gestaltung von Geschichtsschreibung, wie Livius bereits zu Beginn seines Werkes programmatisch deutlich macht ( praef 10), vgl. dazu J. D. Chaplin, History , 1ff. John Marincola hat zuletzt gezeigt, dass das „historical exemplum “ letztlich in der Rhetorik (vor allem: epideiktisch und deliberativ) beheimatet ist (vgl. auch Quintilian, inst or 3,8,66), a. a. O., 267. Speziell im historiographischen Zusammenhang ist das exemplum weniger an seiner historischen Genauigkeit zu bemessen, es hat vielmehr eine konstruktive hermeneutische Funktion: „when a speaker brings forward an exemplum, he is, in a very important sense, interpreting a historical event as meaning something“, Marincola, a. a. O., 267, mit 248 XIV Mimetische Ethik im Philipperbrief: Zu Form und Funktion paulinischer exempla zugleich präsentiert und produziert die Geschichtsschreibung eine Fülle von exempla im narrativen Zusammenhang. 15 Im Ergebnis kommt es insgesamt zu einer exemplarischen Form der Geschichtsbetrachtung, die weitreichende ethische, aber auch ‚philosophische‘ Implikationen hat. Der Historiograph inszeniert und definiert ‚Vorbilder‘, die bestimmte ethische Werte repräsentieren und als Repräsentanten ebendieser Werte zugleich auch narrative Autorisierung erfahren: 16 „Knowledge of history consists of knowledge of exempla , and successful characters imitate the good and avoid the bad. Wickedness or ineffectiveness is associated with ignorance of the exempla adduced by the narrator“. 17 Das Konzept einer ‚exemplary history‘ hat daher eine erkennbare didaktische Funktion (vgl. z. B. Livius, praef 9-10). 18 Zugleich führt die exemplarische Form der Geschichtsbetrachtung zu einer spezifischen Wahrnehmung von Zeit und Geschichte: Der exemplarische Zugriff auf Geschichte bringt zum einen eine Fragmentierung von Zeit und Geschichte mit sich, 19 zum anderen kann exemplarische Erzählung dazu verhelfen, angesichts der menschlichen Erfahrung von geschichtlicher Kontingenz Stabilität und Kontinuität zu vermitteln. 20 Exemplarische Sprache und Erzählung Kritik an verschiedenen Arbeiten zum exemplum , wie: S. Perlman, „Historical Example“, 150-166; F. Pownall, Lessons . 15 Vgl. zuletzt z.B.: A. Mehl, „How the Romans Remembered“, 256-275, 263ff. 16 Zu Personen als exempla in der Konstruktion römischer memoria vgl.: U. Walter, Memoria und res publica , 51ff. und 374ff. Historische exempla sind gerade außerhalb des philosophischen Diskurses „narrative Explikationen gesamtgesellschaftlich verbindlicher moralischer Normen und Wertvorstellungen, oder […]: in der Zeit verwirklichte und in einer bestimmten Form tradierte Modelle idealen Verhaltens“ (51). Exempla -Handlungen sind nahezu mit der Norm identisch, „weil sich etwa pietas oder fortitudo nicht anders als in konkreten frommen bzw. tapferen Handlungen bestimmen ließen“ (51). Exempla sind zugleich „Traditionsmedium geschichtlichen ‚Wissens‘ und Methode geschichtlicher Sinnbildung“ (53). 17 G. Kelly, Ammianus Marcellinus , 294f. 18 Vgl. K. Raaflaub, „Ulterior Motives”, 189-210, 203f. 19 Vgl. D. Mendels, „Antiquity, 131-151: Ein exemplum trägt zur Fragmentierung der Geschichte bei, 142f. 20 The „different attitudes to exempla alert us to different temporalities in the first Greek historians and modern historiography. Exempla and traditions have not disappeared, but the modern master narratives, first of progress, then of development, undermine notions of regularity and continuity. In classical Greece, on the other hand, developmental schemes were not unknown, but exemplary and traditional approaches to the past were more influential. […] In ancient Greece, chances or forces beyond man’s control are very prominent. Various genres […] emphasise the fragility of human life. The arbitrariness of chance impedes the construction of developments. At the same time, exempla and traditions are the attempt to create the stability that is necessary for action by balancing chance through regularity and continuity“, J. Grethlein, „Historia magistra vitae”, 247-263, 262; vgl. auch ders., The Greeks . 2. Strukturen mimetischer Ethik im Philipperbrief 249 sind damit ein wichtiges Element von antiker Zeit- und Weltdeutung. Hierbei übersteigt die Form des exemplum letztlich den direkten Wirkzusammenhang der mimetischen Ethik. 2. Strukturen mimetischer Ethik im Philipperbrief Auch die Konstruktion mimetischer Ethik im Phil geschieht mit Hilfe von sprachlichen und literarisch-rhetorischen Mitteln, lässt sich aber nicht allein auf der sprachlich-literarischen Ebene, sondern erst dann recht erfassen, wenn wir sehen, wie sie zuletzt theologische und ethische Propositionalgehalte generiert. In Abwandlung von Figals Diktum über die Philosophie als Mimesis bei Platon ließe sich also sagen: im Phil wird schließlich die paulinische Theologie und Ethik Mimesis . Dass im Medium des paulinischen Briefeschreibens sprachliche, literarische und rhetorische Mittel nicht allein ihrer selbst wegen zum Einsatz kommen, sondern immer wieder zu theologischer und ethischer Argumentation mutieren, wird zuletzt auch literaturgeschichtlich relevant: dann nämlich, wenn wir die paulinische Epistolographie als solche am besten in ihrer Nähe zu den Philosophenbriefen sehen und verstehen. 21 Wie aber konstruiert Paulus im Phil das, was ich als ‚mimetische Ethik‘ bezeichnen möchte? Ich meine, dass wir gleichsam drei ineinandergreifende Ebenen unterscheiden können, die zu einer solchen Konstruktion von mimetischer Ethik beitragen: (a) die semantisch-lexematische Ebene, auf der Nachahmung begrifflich explizit gemacht und paränetisch eingefordert wird; (b) die Ebene der literarisch-rhetorischen Komposition ( comparabilia ), auf der den Adressaten des brieflichen Schreibens eine bestimmte Auswahl an nachzuahmenden Vorbildern vorgestellt werden; (c) die Ebene der Anreicherung der briefeschreibenden Argumentation mit theologischem Propositionalgehalt, der die paränetische Sprache der Nachahmung von Vorbildern letztlich zu theologisch reflektierter Ethik transformiert. Im Einzelnen: (a) Im Phil begegnet - so wie in einigen anderen Paulusbriefen - der Stamm μιμin einem konkreten paränetischen Zusammenhang: συμμιμηταί μου Phil 3,17 (ein Hapaxlegomenon im NT - seinerseits ,imitiert‘ in Eph 5,1 [γίνεσθε οὖν μιμηταὶ τοῦ θεοῦ], s. aber: 1 Kor 4,16; 11,1; 1 Thess 1,6; 2,14). 22 Damit ist bereits semantisch dokumentiert, dass wir im zeitlich wohl letzten Brief 21 Vgl. M. Hose, Literaturgeschichte , bes. 212f. 22 Vgl. zur Exegese des Verses bereits H. D. Betz, Nachfolge , 151f.: „Die Aufforderung in V. 17 […] richtet sich in erster Linie an die πολλοί von V. 18ff.: sie sollen ihren Wandel nach den οὕτως περιπατοῦντες ausrichten und mit ihnen zusammen die μιμηταί des Paulus bilden“. 250 XIV Mimetische Ethik im Philipperbrief: Zu Form und Funktion paulinischer exempla des Paulus durchaus explizite Elemente von mimetischer Paränese und Ethik finden können. So formuliert Paulus in Phil 3,17 so wie auch in 4,9 und ähnlich in 1,30 die deutliche Aufforderung zur mimetischen Orientierung der Gemeinde an seiner Person. Paulus selbst generiert sich so als nachzuahmendes exemplum . (b) Zugleich aber komponiert Paulus seine briefliche Argumentation mit Hilfe von verschiedenen literarisch-rhetorischen Figuren ( figurae sententiae , vgl.: Heinrich Lausberg, § 363) 23 wie Personifikation ( prosopopoeia ) und paradigmatischer Sprache ( exemplum ) und sucht im Ergebnis, mit dem Phil rhetorisch wie epistolographisch eine conformatio ( Rhet ad Her 4,66) zu erreichen: „Eine Verkörperung liegt vor, wenn eine nicht anwesende Person vorgespielt wird, als sei sie anwesend-…“ (… conformatio est, cum aliqua, quae non adest, persona confingitur, quasi adsit: Rhet ad Her 4,66). 24 Freilich stellen sich hier die Fragen: Wer soll ‚verkörpert‘ werden? Und welcher exempla bedient sich Paulus hierbei? Paulus zielt faktisch im Phil auf eine conformatio seiner selbst: Er verweist mehrfach (s. auch Phil 4,9) explizit auf sich selbst als Vorbild (τύπος), das die Philipper nachahmen sollen (s. o.). Die Verkörperung seiner selbst ist nötig, da Paulus nicht nur nicht in Philippi anwesend sein kann, sondern sich in Gefangenschaft befindet (vermutlich Caesarea oder Rom; vgl. 1,7.13 u. ö.) und damit in grundsätzlicher Weise an einer Reise nach Philippi gehindert ist. In dieser Situation als gefangener Apostel, die mit einer starken Christusbzw. Todessehnsucht einhergeht, treibt ihn zugleich in besonderer Weise die Fürsorge für seine Gemeinde in Nordgriechenland um (s. Phil 1,12ff.). 25 Die conformatio seiner selbst dient der paulinischen Repräsentation der Person in Philippi. Sie hat eine ethische Zielsetzung: In Abgrenzung von möglichen Feinden und Gegnern und im Blick auf das Vorbild des Paulus erschließt sich in der Verkörperung des Paulus ‚rechtes‘ und ‚falschesʻ περιπατεῖν (Phil 3,17f.). Die mimetische Orientierung an Paulus dient also zuletzt der ethischen Gestaltung des Lebenswandels der in Philippi in Christus Jesus versammelten ,Heiligen‘ (Phil 1,1). Die mimetische Ethik im Phil ist dabei an die epistolographisch vermittelte und rhetorisch gestaltete conformatio der paulinischen Person gebunden. Mimetische Ethik wird demnach einerseits durch die Aufforderung zur Nachahmung konstruiert, andererseits durch die Schaffung von Vorbildern , exempla oder Typen, durch welche letztlich bestimmte virtutes personifiziert greifbar 23 Vgl. H. Lausberg, Elemente . 24 Übersetzung nach T. Nüsslein, Rhetorica , 311. 25 Vgl. dazu zuletzt: E.-M. Becker, „Person“, 129-148. 3. Phil 2,6-11 als exemplum 251 werden, zur Nachahmung vorgeschlagen. Die Repräsentation der eigenen Person des Paulus in Philippi ( conformatio ) dient der Durchsetzung der mimetischen Ethik: Unter Hinweis auf die Präsenz seiner eigenen Person versucht Paulus, die vorgestellten exempla und die paränetische Aufforderung zur Nachahmung der in diesen exempla personifizierten Wertvorstellungen autoritativ zu verknüpfen. (c) Welcher exempla aber bedient Paulus sich, um eine solche conformatio literarisch fiktiv zu inszenieren? Und wie reichert Paulus die Abschnitte exemplarischer Argumentation mit theologischem Propositionalgehalt an? Paulus konstruiert - über die literarische Inszenierung seiner eigenen Person hinaus (Phil 1,3-26; 3,3-17; 4,8-9; 4,10-20), die besonders in Phil 1 erläutern soll, wie die προκοπή des Evangeliums und des Glaubens (Phil 1,12.25) vorzustellen ist - insgesamt drei Typen von personalen exempla : Christus (2,6-11), Timotheus und Epaphroditus (Phil 2,19-24; 2,25-30). Speziell mit Hilfe dieser exempla legt Paulus dar, was er zu sagen beabsichtigt ( Rhet ad Her 4,3,5: exemplo demonstratur id, quod dicimus, cuismodi sit […]): das Christusexemplum expliziert ταπεινοφροσύνη (Phil 2,3; s. u.); Timotheus verkörpert Bewährung und Fürsorgekraft (Phil 2,20.22); Epaphroditus die Sehnsucht nach den Philippern und den grenzenlosen Einsatz für Christus (Phil 2,26.30). Die beiden letztgenannten Personen sind wiederum zugleich ein exemplum für Paulus selbst (τὰ περὶ ὑμῶν, das V. 19 und 20 verknüpft) - sie sollen nämlich als Gesandte des Paulus (2,19.25) seine mangelnde Präsenz in Philippi kompensieren. In allen genannten Zusammenhängen begegnet theologische Sprache, die den exempla einen theologisch-reflektierenden Propositionalgehalt verleiht: Phil 2,21f.; 2,27. Mit der Wahl der theologisch gedeuteten und so autorisierten exempla im Phil trägt Paulus dazu bei, dass Personen selbst - und eben nicht nur res gestae - zu exempla virtutis werden können. Ich werde diese Überlegungen zur dreidimensional gestalteten paulinischen Konstruktion mimetischer Ethik nun durch die Analyse des sog. Christusexemplum in Phil 2 vertiefen. 3. Phil 2,6-11 als exemplum Phil 2,6-11 fungiert als narrativ gestaltetes exemplum , das die materia der ταπεινοφροσύνη expliziert. Zugleich liegt hier ein sprachlich verdichteter Text vor, mit Hilfe dessen Paulus vom genus humile zum genus medium wechselt, um im stärkeren Maße den Affekt des ethos zu erreichen. 26 Irene Oppermann 26 Vgl. H. Lausberg, Elemente , 154. 252 XIV Mimetische Ethik im Philipperbrief: Zu Form und Funktion paulinischer exempla betont in ähnlicher Weise, dass die Gestaltung der brieflichen exempla , wie sie sich in den Briefen des Cicero finden, in Hinsicht auf Ausführlichkeit und Ausschmückung vor allem von deren Funktion im brieflichen Kontext abhängig ist: „Es lässt sich die Tendenz ablesen, dass ein exemplum desto ausführlicher dargeboten und desto mehr ausgeschmückt wird, je mehr Überzeugungsarbeit mit ihm geleistet werden soll“. 27 Grundlegend definiert Oppermann ein exemplum wie folgt: „Als exemplum soll […] die Erwähnung von realen oder als real betrachteten Personen oder Ereignissen angesehen werden, die deutlich nicht selbst Gegenstand der Erörterung, sondern von außen neben das Thema gestellt sind, und für die gilt: Sie müssen für die primären Kommunikationspartner eindeutig identifizierbar sein, über ein gewisses Maß an Bedeutung (auctoritas, casus) verfügen und die mit ihnen (explizit oder implizit durch die Nennung der Personen) zum Vergleich herangezogenen konkreten Vorgänge müssen mindestens bereits abgeschlossen sein“. 28 Die Definition Oppermanns lässt sich sinnvoll auf Phil 2,6-11 übertragen: Mit Jesus Christus nimmt Paulus Bezug auf eine reale Person, die nicht selbst Gegenstand der Argumentation ist, die den Kommunikationspartnern bekannt ist und auctoritas genießt und deren exemplarisch benanntes Handeln in der Vergangenheit liegt. Oppermann bietet zudem eine Differenzierung hinsichtlich des genauen epistolographischen Gebrauchs der exempla in den Cicero-Briefen: Sie unterscheidet hier im Wesentlichen zwischen der Funktion der Illustration, des Beweises und der „Hilfe bei der Bewältigung der Zukunft“. 29 Aus Gründen des Trostes habe Cicero keine historischen exempla verwendet. 30 Folgen wir dieser Differenzierung, so könnte das Christusexemplum in Phil 2 in der Tat dem Bereich der Illustration zugewiesen werden: Es dient hier teils der „Aufdeckung des wahren Charakters“ Christi, teils aber auch der „Ermahnung“. 31 27 Vgl. I. Oppermann, Funktion , 295. 28 I. Oppermann, Funktion , 19. 29 I. Oppermann, Funktion , 32ff. (Zitat: 170). Bei der „Illustration“ (32ff.) lässt sich ferner zwischen der „Beschreibung literarischer Werke und Personen“ (32ff.), der „Aufdeckung des wahren Charakters einer Handlungsweise oder Funktion“ (38ff.), der „Bewertung“ (Lob und Kritik, 46ff.) und der „Charakterisierung“ (Scherz, Spott, Ironie, 70ff.), die sich besonders in freundschaftlichen Briefen findet (vgl. 294), unterscheiden. Dienen exempla der „Bewältigung der Zukunft“ (170ff.), so kann dies in Form von „Prognose“ (171ff.), „Bekräftigung einer Entscheidung“ (192ff.) oder „Ermahnung“ (203ff.) geschehen. 30 Vgl. I. Oppermann, Funktion , 293. - Falls diese Beobachtung auf die Paulusbriefe, so auch auf den Phil, übertragen werden könnte, müsste die These, der Phil diene der consolatio (P. A. Holloway, Consolation ), kritisch diskutiert werden. 31 Beispiele in der ciceronischen Korrespondenz hierfür wären: Fam I,9; ep Quint fratr 1,1, vgl. I. Oppermann, Funktion , 38f. und 203f. - Zum paränetischen Charakter von Phil 2 vgl. zuletzt auch: H. Wojtkowiak, Christologie . 3. Phil 2,6-11 als exemplum 253 Bevor wir auf weitere Aspekte zur Funktion der exempla zurückkommen, zunächst noch einige Beobachtungen zur Textanalyse. 32 Der gedanklich leitende Imperativ ( propositio ? ) begegnet in Phil 2,2, nämlich die Aufforderung zum τὸ αὐτὸ φρονῆτε etc. In semantischer Hinsicht werden in 2,1-4 Formen vom Stamm φρονleitend (φρονεῖν, ταπεινοφροσύνη, schon: 1,7). Sie bilden den rahmenden Propositionalgehalt der Argumentation in 2,1-11 und treten an die Stelle der προκοπή des Evangeliums und des Glaubens, die weithin die materia der Argumentation in Kap. 1 semantisch bestimmt hatte. In propositionaler Hinsicht legt Paulus in 2,6-11 also dar, was mit φρονεῖτε […] ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ (V. 5) faktisch gemeint ist, nämlich die Bestimmung eines sozialen Verhaltens, das auf der Konzentration auf die personale Verantwortung für ταπεινοφροσύνη beruht. Phil 2,5 leitet von der Mahnung des τὸ αὐτὸ φρονῆτε (2,2) nun zum Christus-Paradigma (2,6-11) über. Die Paradigmatik Christi liegt de facto im Statusverzicht, d.h.: im Gott-gleich-Sein (V. 6) und in der gleichzeitigen Selbstverleugnung und Erniedrigung Christi (V. 7-8). Christus werden κύριος-Würde und Ehre zuteil, weil (kausaler Zusammenhang, διό: V. 9) Christus auf seinen Status verzichtete, sich selbst erniedrigte und bis zum Kreuzestod Gehorsam übte (V. 8). Phil 2,6-11 exemplifiziert und konkretisiert also die in V. 5 formulierte Forderung nach personaler Eigenverantwortlichkeit der Philipper, deren Bemessungsgrad Paulus mit dem ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ soziativ und räumlich benennt. 33 V. 5 schlägt semantisch eine Brücke zu 1,26 (ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ), so dass sich zwischen dem Christus-Paradigma und der vorhergehenden autobiographischen Selbstinszenierung des Paulus in Kap. 1 erkennbar eine Parallelstruktur herleiten lässt. Wir können in Phil 2,6ff. also - und das ist mein Vorschlag zur formalen Textanalyse, mit dem ich von der weithin seit Klaus Berger geläufigen Deutung des Textes als encomium abweiche 34 - von einem exemplum sprechen. Auf die 32 Vgl. dazu bereits ausführlicher: E.-M. Becker, „Paulus in Philippi“, 211ff. 33 Die Dativ-Konstruktionen in V. 5 haben demnach nicht nur eine soziative, sondern auch eine lokative Komponente: Paulus beschreibt hier also gleichsam die gemeindlichen Gesinnungs- und Handlungs-Räume, die sich am ἐν Χριστῷ zu orientieren haben. 34 In der Forschung wird Phil 2,6-11 weithin gerne als Enkomium ( encomion ) gedeutet, so z. B. J. Reumann, Philippians , 333, 339, 361f. und 364. Zur Diskussion vgl. auch: S. Vollenweider, „Hymnus“, 208-231. Wie schon angedeutet, wurde und wird dieser Textabschnitt von einer Mehrzahl von Exegeten seit Klaus Berger gerne als encomion , also als Loblied auf die Taten einer menschlichen Person, verstanden, vgl. K. Berger, „Hellenistische Gattungen“, 1031-1432. Ralph Brucker schlägt leicht modifiziert die Bezeichnung ἔπαινος als epideiktische Redeform vor, bei der „die Größe der ἀρετή, nicht die Summe der ἔργα“ im Mittelpunkt steht: R. Brucker, Christushymnen , 319 - mit Hinweis auf z. B. Aristoteles, rhet 1,9,33f. Das encomion lässt sich damit faktisch von seinem Kontext abgrenzen und isoliert betrachten. Es unterscheidet sich in seinem Bezug auf menschliche Personen vom Hymnus, so etwa U. Schnelle, Paulus , 148. Zugleich steht es - wie wir schon bei Polybius 254 XIV Mimetische Ethik im Philipperbrief: Zu Form und Funktion paulinischer exempla literarischen und hermeneutischen Implikationen dieser Textform werde ich nachher noch einmal kurz zu sprechen kommen. Zuvor aber frage ich: Fungiert der verdichtete Text in 2,6-11 eher als exemplum oder als typus ? Heinrich Lausberg bietet nämlich folgende Definition des exemplum (vgl. § 404-406) an, die es durchaus in eine kontrastive Nähe zum typus stellt: „Das exemplum (παράδειγμα) […] besteht in einer historisch (oder mythologisch oder literarisch) fixierten Tatsache, die mit dem eigentlichen Gedanken in Vergleich gesetzt wird. Wird das exemplum nicht nur als Mittel der Beweisführung oder des ornatus benutzt […], sondern als historisch bedeutsamer Bezug zweier historischer Realitäten ernstgenommen, so wird es zum typus […]“. 35 Lesen wir indes Phil 2,6-11 als „Mittel der Beweisführung“, 36 das der eigentlichen Gedankenführung unterstützend zugeordnet ist und in seiner Bedeutung nicht über die Beweisführung hinausgeht, so fungiert der Text als exemplum . Meine Deutung des Textes, die diesen fest in seinem Kontext verankert und der ethischen Argumentation (φρον-) untergeordnet sieht, geht in diese Richtung. Die ταπεινοφροσύνη Christi hat für das φρονεῖν der Gemeinde eine exemplarische Funktion - sie gewinnt aber keinen typologischen Status. 4. Zwischenfazit Insgesamt begegnen uns im Phil verschiedene Formen paradigmatischer bzw. exemplarischer Rede: (1) In Phil 2,1-11 demonstriert Paulus mit Hilfe des Christusexemplum , woran die rechte Haltung (φρον-) der Gemeinde in Philippi auszurichten und zu bemessen sei: Christus exemplifiziert bzw. personifiziert hier die ταπεινοφροσύνη. (2) In Phil 2,19-30 stehen Timotheus und Epaphroditus paradigmatisch für stellvertretende persönliche Bewährung, Fürsorge (V. 20) und Lebenseinsatz - darin sind sie wiederum ein exemplum für Paulus selbst (s.: τὰ περὶ ὑμῶν, das V. 19 und 20 verknüpft). Sie sollen und können deswegen seine mangelnde Präsenz sehen können (10,21,8) - in der Nähe zur biographischen Literatur (ἐγκωμιαστικός): Ein Enkomion verlangt „a summary and somewhat exaggerated account“ of the individual‘s achievements: Übersetzung nach Polybius, Histories , 15. 35 H. Lausberg, Elemente , 134. - Ähnlich auch H. F. Plett, Einführung , 71f.: „[…] ein historisches oder mythologisches Faktum, welches das Thema in beweisender, energetischer oder schmückender Absicht amplifiziert. Unterliegt das Exempel einer festen Auslegung, so gewinnt es topischen Charakter, wie die zahllosen Beispielsammlungen seit der Antike bezeugen. Infolge seiner thematischen Repräsentanz gehört das Exempel zu den Grundkonstanten der abendländischen Literatur“. 36 H. Lausberg, Elemente , 134. 4. Zwischenfazit 255 in Philippi kompensieren. Paulus nimmt hierbei Bezug auf zwei Mitarbeiter und stellt deren Handlung und Haltung den Philippern als vorbildhaft vor. Sie können als exempla fungieren, wenn wir davon ausgehen, dass der von Paulus in beiden exempla angedeutete Vergleichspunkt den Philippern bekannt ist: im Falle des Timotheus seine Bewährung (V. 22: γινώσκετε […]) und Fürsorgekraft (V. 20b), im Falle des Epaphroditus das Wissen um seine Sehnsucht nach den Philippern während seiner Krankheit (V. 26f.) und sein grenzenloser Einsatz für Christus (V. 30). Folgen wir der oben genannten Klassifizierung Oppermanns so könnten wir von exempla im Sinne der Ermahnung sprechen, sofern sie bei der Bewältigung der Zukunft helfen sollen. 37 Da das Schicksal beider Mitarbeiter mit dem des Paulus und der Philipper untrennbar verbunden ist, besteht die Funktion beider Textabschnitte offensichtlich darin, paradigmatisch das Verhältnis des Paulus zu den Philippern während persönlicher Abwesenheit zu versinnbildlichen. Die exempla der Mitarbeiter stehen nicht für sich selbst, sondern werden dem paulinischen Vorbild zu- oder besser: untergeordnet. (3) Denn im Phil findet sich ein weiteres Paradigma, das eine leitende Funktion hat: Besonders in Kap. 1 wird Paulus selbst - in Auseinandersetzung mit Konkurrenten - zur paradigmatischen Figur im Blick auf sein ethisches Handeln (Konflikt), 38 das sich an der προκοπή des Evangeliums und des Glaubens orientiert. Zunächst ist es also Paulus in seiner Haft (Kap. 1), dann sind es Christus, Timotheus und Epaphroditus, die paradigmatische Funktion haben. Paulus zielt letztlich auf eine brieflich vermittelte Isophronie (Paulus, Philipper, Christus, Timotheus). John Reumann diskutiert, ob die Modellhaftigkeit dieser exempla - Christus, Epaphroditus und Timotheus -, die das briefliche Zentrum von Phil ausmacht, kompilationsbedingt ist, d. h. erst eine Folge der redaktionellen Zusammenstellung der einzelnen Briefteile ist (Brief B umfasst: 1,1/ 1,3-2,30/ 3,1), 39 oder ob sie ursprünglich vom Autor selbst intendiert war. In jedem Fall lässt sich beobachten, dass und wie Paulus im Phil in Paradigmen, also in exempla spricht. Inwieweit dienen diese aber - so werde ich abschließend fragen - der Konstruktion einer ‚mimetischen Ethik‘? 37 Vgl. I. Oppermann, Funktion , 203ff. 38 Vgl. dazu noch einmal: E.-M. Becker, „Person“. 39 Vgl. J. Reumann, Philippians , 449f. und 17. 256 XIV Mimetische Ethik im Philipperbrief: Zu Form und Funktion paulinischer exempla 5. Theoretische und theologische Perspektivierungen Kehren wir abschließend noch einmal zu Phil 2,6-11 zurück: Welche Funktion kommt dem exemplum in der Argumentation als Mittel der Prosopopoiie zu? Und wie kommt es dabei zur Konstruktion mimetischer Ethik? Ich beginne mit kurzen Überlegungen zur Begriffsgeschichte: Hildegard Kornhardt (1936) 40 hat in Anknüpfung an Karl Alewell (1913) 41 in einer wichtigen Untersuchung zur Bedeutungsgeschichte des exemplum die semantische Weite des Lexems („Warenprobe, Kostprobe“ etc.) in der lateinischen Sprachtradition aufgezeigt und dargelegt, wie - davon abgeleitet - der Begriff später auch auf Handlungen und Charaktere (so auch: exempla virtutis ) übertragen wurde: Demnach können „Taten und Leistungen […] als Proben betrachtet werden, die Aufschluss über die Wesensart einer bestimmten Persönlichkeit geben“; sie „können aber auch Belege und Zeugnisse sein für das Vorkommen von gewissen Tugenden und Untugenden als solchen“. 42 Die exempla virtutis lassen sich personifizieren, so dass schließlich Menschen Beispiele für eine Eigenschaft sind - dann steht freilich deren „Handlungsweise“ oder ein „Charakterzug“ und weniger deren Individualität als solche im Vordergrund. 43 Unter Einfluss der römischen Übersetzung von παράδειγμα mit exemplum kann der Begriff auch deswegen umfängliche Verwendung in der lateinischen Rhetorik finden, 44 weil sich sein Bedeutungsspektrum in der römischen Welt bereits weitgehend entsprechend dem des griechischen Terminus entwickelt hatte. 45 Wilhelm Geerlings (1978) führt uns mit seiner Untersuchung zur Christologie bei Augustinus, in welcher sich ein Kapitel zur Geschichte des exemplum -Begriffs und zu dessen Rolle in der augustinischen Geschichtstheologie findet, 46 nun speziell zur rhetorisch-topischen Verwendung von exempla . Diese sei weitgehend durch Quintilian definiert (dort: exemplum , παράδειγμα, similitudo ) und solle von erziehungstheoretischen Konzeptionen der Antike unterschieden werden 47 . Nach Quintilian kann das exemplum in dreifacher Weise 40 Vgl. H. Kornhardt, Exemplum . - Zur Übersicht über die Erforschung der Bedeutungsgeschichte vgl. auch H. van der Blom, Role Models , bes. 4 (Anm. 10-15); J. D. Chaplin, History , 5-11. 41 Vgl. K. Alewell, Paradeigma 42 H. Kornhardt, Exemplum , 13. 43 H. Kornhardt, Exemplum , 25. 44 Die frühesten Beispiele sind Plautus, most 87ff. und Terenz, Eun 1025ff. - so H. Kornhardt, Exemplum , 63. 45 Vgl. H. Kornhardt, Exemplum , 64. 46 Vgl. W. Geerlings, Christus , 146-168 und 228-234. 47 Vgl. dazu auch H. Kornhardt, Exemplum , 26ff. 5. Theoretische und theologische Perspektivierungen 257 eingesetzt werden: „[…] als ein Mittel, um die Aufmerksamkeit des Hörers zu fesseln, sodann um der Rede einen gewissen Schmuck zu verleihen, und zuletzt dient ein exemplum als Beweismittel“. 48 Autorisierung gewinnt das exemplum durch die Bedeutung der Persönlichkeit ( inst or 8,5,7f.) 49 oder, wenn es Teil eines „Traditionsbeweises“ ( inst or 12,4,2) ist. 50 Auch wenn wir speziell die ornatus -Funktion für Phil 2,6-11 nicht gänzlich ausschließen können, scheint der Textabschnitt primär in seinem Kontext als ein argumentatives Beweismittel zu fungieren. Der Verweis auf Quintilian lässt die rhetorisch stilisierte, argumentative Funktion des exemplum deutlich hervortreten (5,11,1-2; vgl. auch: Rhet ad Her 4,62) 51 und führt weitgehend zu dessen Abgrenzung von pädagogischen Verwendungsformen. Zuletzt hat Henriette van der Blom (2010) die Verwendung von exempla bei Cicero umfänglich untersucht, und zwar besonders im Blick auf die dahinter liegende „political strategy as a homo novus “. 52 Van der Blom schlägt folgende Definition eines ‚historischen exemplum ‘ vor, das vor dem Hintergrund der römischen mos - und maiores -Tradition zu verstehen ist: 53 „By a historical exemplum, I mean a specific reference to an individual, a group of individuals, or an event in the past which is intended to serve as a moral-didactic guide to conduct“. 54 „By arguing that some historical individuals can be adopted by all Romans as model of behavior […], Cicero implies that it is possible to adopt an ancestor outside the family“. 55 Worin also liegt genau der Vergleichspunkt, gleichermaßen die argumentative Funktion des Christusexemplum in Phil 2 innerhalb der comparabilia (z. B. Cicero, inv 1,49)? Der paradigmatische Charakter des Christusexemplum liegt - wie schon angedeutet - im Statusverzicht. Das Paradigmatische in der Entäußerung des Gottgleichen besteht nicht darin, dass das Schicksal oder Handeln Christi selbst als Vorbild für die Philipper vorgestellt würde - hierin unterscheidet 48 W. Geerlings, Christus , 150 mit Hinweis auf inst or 2,3ff.; 5,11,5; 5,11,6. 49 […] magis enim decet eos, in quibus est auctoritates, ut rei pondus etiam persona confirmet […]. 50 W. Geerlings, Christus , 151 mit entsprechenden Hinweisen. 51 „Darum hat exemplum […] eigentlich nur eine demonstrierende Funktion und ist nicht weit von den ersten beiden Funktionen des Aufmerken-Lassens oder des Schmucks entfernt“, W. Gerlings, a. a. O., 150. 52 H. van der Blom, Role Models , 6. Hinweise zur Forschungsgeschichte zu den exempla bei Cicero: a. a. O., 4ff., bes. 5 Anm. 18-20. 53 Vgl. H. van der Blom, Role Models , 18-34: „The memory of exemplary men had a certain authority in Roman society“ (22). 54 H. van der Blom, Role Models , 68. 55 H. van der Blom, Role Models , 166. 258 XIV Mimetische Ethik im Philipperbrief: Zu Form und Funktion paulinischer exempla sich das exemplum Christi von der Paradigmatik des Paulus, die dieser zuvor mit Hinweis auf sein eigenes Geschick den Adressaten des Briefes vor Augen gestellt hatte (1,30; 3,17; 4,8-9). 56 Die Philipper sollen zwar Paulus nachahmen, sie werden aber nicht aufgefordert, wie Christus zu leiden, sondern für ihn bzw. seinetwegen Leiden auf sich zu nehmen (1,29: […] τὸ ὑπὲρ αὐτοῦ πάσχειν). Entsprechend ist der Vergleichspunkt beim Christusexemplum in Kap. 2 nicht eine mögliche imitatio Christi im Blick auf Leiden oder Entäußerung. Vielmehr liegt der Vergleichspunkt in der Gestaltung der ,inneren Haltung oder Ausrichtung‘ (φρονεῖν) der Philipper - er wird bereits in Phil 2,5 benannt: Die Philipper sollen so aufeinander ausgerichtet sein (τοῦτο φρονεῖτε ἐν ὑμῖν […]) oder voneinander denken, wie es ([…] ὃ καὶ […]) ihrer Ausrichtung auf Christus ([…] [φρονεῖτε] ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ) entspricht. Doch welche Art der Gesinnung bzw. der inneren Ausrichtung ist hier gemeint? In Phil 2,1-4 hatte Paulus die innere Ausrichtung der Gemeindeglieder wie folgt eingefordert und damit näher bestimmt: Die Philipper sollen auf dasselbe ausgerichtet sein (2,2: […] τὸ αὐτὸ φρονῆτε) - eine Wendung, die in Phil 4,2-3 in personalisierter Form wiederbegegnet. 57 In Phil 2 wird indes eine solche Form einer inneren Haltung der Philipper gefordert, bei der diese zugleich auch auf Eines hin ausgerichtet sein sollen (2,2: […] τὸ ἓν φρονοῦντες). Die Haltung dabei soll der ταπεινοφροσύνη (2,3) entsprechen. V. 5 nimmt diesen Gedanken insofern anaphorisch auf, als deutlich wird, dass sich die innere Ausrichtung auf- und untereinander an der Ausrichtung auf Christus zu bemessen hat: Das ‚ Eines -Sinnes-Seins‘ (V. 2) hat daher einen personalen Bezugs- oder Bemessungsgrund, nämlich Christus (V. 5). V. 5 geht aber nicht in einer anaphorischen Funktion auf, sondern leitet kataphorisch das ein, was Paulus in 2,6-11 exemplifiziert 58 - Paulus erläutert die Legitimität des personalen Bezugsgrundes ‚Christus‘. Dabei führt er mit dem 56 In diese Richtung weist Ernst Lohmeyer mit seiner Martyriums-Deutung des Phil, vgl. z. B. E. Lohmeyer, Brief , z. B. 64. Auch darüber hinaus wurde und wird in der Forschung etwa die Todessehnsucht des Paulus (vgl. Phil 1,23) häufig als ein Ausblick auf ein Martyrium verstanden, vgl. auch: U. B. Müller, Brief , 66-71, unter Verweis auf frühjüdische Märtyrervorstellungen (z. B. 4 Makk 17,17-19; 18,3 etc.). 57 Hier wird sie konkret im Blick auf Evodia und Syntyche hin ausgesprochen. Die paulinische Ermahnung an die Frauen in 4,2f. ist übrigens singulär: In keinem anderen authentischen Paulusbrief werden Paränese oder Paraklese so wie hier personalisiert, also mit konkreten Personen und Namen in Zusammenhang gebracht. 58 Ich werde an dieser Stelle nicht diskutieren können, ob wir es bei dem sog. Christus-Hymnus, besser: dem Christusexemplum mit einem Traditionsstück oder mit einer paulinischen Eigenkomposition zu tun haben. Zu dieser Diskussion vgl. z. B. J. Reumann, Philippians , 361-365: Reumann selbst hält Phil 2,6-11 für ein „encomium the Philippians had worked out to use in mission proclamation about Christ and God in their Greco- Roman world“ (333). Bibliographie 259 Christusexemplum narrativ aus, was mit ταπεινοφροσύνη (V. 3) gemeint ist. Die ταπεινοφροσύνη also ist das nachzuahmende „Christusprinzip“, 59 welches als Kompass bei der ethischen, auf Einheit zielenden Gesinnung der Gemeinde vorgestellt wird. Ein Spezifikum des Phil besteht also darin, dass hier personale exempla für bestimmte (ethische) Haltungen und Handlungen stehen - sie dienen der sozio-politischen Ordnung der Gemeinde: Mimetische Ethik wird dabei als Orientierung an personalen Vorbildern konfiguriert und wirkt eben darin einheitsstiftend. Zuletzt freilich ist es der Apostel selbst, der die Paränese und die Wahl der exempla als epistolar anwesend gedachte Person verknüpft und autorisiert: So gesehen ist das συμμιμηταί μου faktisch die grundlegende Kurzformel paulinischer Ethik im Phil. Perspektivisch generiert Paulus Theologie und Ethik als Mimesis. So sehr die exemplarische Sprache dabei Zeit und Geschichte fragmentiert, so sehr hilft sie - angesichts einer ungewissen Zukunft - Verlässlichkeit und Kontinuität zur Person des Paulus herzustellen. 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Phil 3,2-4a im Kontext des Philipperbriefes In Phil 3,2-4a findet sich eine der schärfsten Formen paulinischer Polemik: „ 2 Schaut auf die Hunde, schaut auf die schlechten Arbeiter, schaut auf die Zerstückelung. 3 Wir nämlich sind die Beschneidung - die wir im Geist Gottes dienen und uns in Christus Jesus rühmen und nicht auf unser Fleisch vertrauen, 4a obgleich ich auch auf das Fleisch Vertrauen haben könnte.“ Die paulinische Polemik besteht hier darin, Widersacher als mögliche Gegner oder Konkurrenten zu bezeichnen, von denen Paulus sich selbst und seine Adressaten abzugrenzen sucht. Er belegt diese Personengruppen mit negativer, teils aggressiver Semantik (,Hunde […], schlechte Arbeiter […], Zerstückelung [statt Beschneidung]‘). Die ungewöhnliche Schärfe dieser Polemik verlangt nach einer Deutung, die nicht nur die Sprache, sondern auch die Stellung des Textes im Kontext des Philipperbriefes in den Blick nimmt. Der folgende Beitrag wird die polemische Passage in erster Linie im Zusammenhang mit dem autobiographisch geprägten Mikrokontext (Phil 3,4bff.) betrachten und von daher die Funktion der Polemik im Argumentationsgang in Phil 3 bestimmen. Dabei ist auch die Makrostruktur des Gesamtbriefes zu betrachten. Die Forschung hat nämlich immer wieder gezeigt, dass die Deutung von Phil 3,2-4a eng mit der Interpretation des Philipperbriefes als Gesamtbrief in Zusammenhang steht, ja sogar eine zentrale Rolle für seine einleitungswissenschaftliche Erschließung spielt. Phil 3,2-4a gehört so gesehen gemeinhin zu den Schaltstellen oder Schlüsseltexten des Philipperbriefes. 264 XV Polemik und Autobiographie: Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4a 1.1. Phil 3,2-4a und die Frage der literarischen Einheitlichkeit des Philipperbriefes Im Übergang von Phil 3,1 zu 3,2 1 wird vielfach ein ,Stimmungsumschwung‘ erkannt, der literarkritische Fragen aufwirft 2 . Da sich der Mikrokontext in 3,1 vor allem in semantischer Hinsicht (χαίρετε […] οὐκ ὀκνηρόν […] ἀσφαλές) inkohäsiv zu 3,2 (z.B.: βλέπετε τοὺς κακοὺς ἐργάτας) zu verhalten scheint 3 , ist zu fragen, ob sich Phil 3,2-4a hier an originärer Stelle befindet oder ob wir bei dem uns vorliegenden kanonischen Philipperbrief mit einer Brief-Kompilation zu rechnen haben. Demnach hätte ein späterer Abschreiber oder Redaktor 4 den Abschnitt zufällig oder intentional an der vorliegenden Stelle im Gesamtbrief platziert. Während Ernst Lohmeyer und Ulrich B. Müller von der literarischen Einheitlichkeit des Briefes ausgehen und den Stimmungsumschwung in Phil 3,2 z. B. mit Hilfe der Annahme einer „Diktatpause“ deuten 5 , ordnen Wolfgang Schenk und ähnlich Nikolaus Walter, Lukas Bormann oder zuletzt auch John Reumann Phil 3,2-21 oder 3,2-4,3.8f. dem sog. ,Warnbrief C‘ zu, der mit der Abwehr jüdischer Agitatoren befasst sei 6 . Joachim Gnilka geht nur von einer Zweiteilung des Philipperbriefes aus und rechnet Kap. 3 dann einem sog. ,Kampfbrief B‘ zu 7 . Bei diesen oder ähnlichen Teilungsmodellen wird die Polemik in Phil 3 als eine konkrete Gegner-Polemik und damit als ein gewichtiges und eigenständiges Brief-Thema gewertet 8 , das sogar zur Rekonstruktion eines ursprünglich selbständigen Briefes bzw. Briefteiles führt: Das Auftreten von Gegnern in Philippi habe Paulus dazu veranlasst, mit ebendieser situativen Polemik zu reagieren und einen solchen ,Warnbrief‘ 9 zu schreiben. Walter erklärt den in der uns vor- 1 Zur Frage der Zusammengehörigkeit von Phil 3,1 und 3,2 s. auch unter 2.1. 2 Vgl. zur Übersicht: J. Gnilka, Philipperbrief , besonders: 7f. Zuletzt z. B. J. Reumann, Philippians , 8-13; L. Bormann, Philipperbrief , 226-227. 3 S. aber unten unter 2.1. 4 Zwischen den Funktionen des Abschreibens und der redaktionellen Bearbeitung von Paulus-Briefen ist zu unterscheiden: Vgl. E.-M. Becker, Schreiben , besonders: 78ff. - Zur Übersicht über die traditionellen Redaktionstheorien vgl. J. Reumann, Philippians , 15. 5 E. Lohmeyer, Briefe , 8; U. B. Müller, Brief , besonders: 12. 6 Vgl. W. Schenk, Philipperbriefe , 291ff.; N. Walter, Brief , 9-101, 20; L. Bormann, Philippi , 87-118; ders., Philipperbrief , 227; J. Reumann, Philippians , z. B. 3 und 17. - Zur Übersicht über die Kompilationstheorien vgl. auch U. B. Müller, Brief , 8. 7 Vgl. J. Gnilka, Philipperbrief , 10. Dieser Brief beinhaltet Phil 3,1b-4,1.8f. 8 Anders z. B. R. Brucker, ,Christushymnen‘ , 297f., der ausgehend von einer rhetorischen Gliederung des Philipperbriefes den Abschnitt in 3,1-21 als Wiederaufnahme der propositio in 1,27-30 versteht: „Dabei stellt v. 1 eine Überleitung dar, die zum eigentlichen Gegenstand zurücklenkt (ἄφοδος/ transitio ), während 3,2-4a als Proömium des neuen Abschnitts erneut die Aufmerksamkeit der Adressaten zu wecken sucht“, a. a. O., 297. 9 Zur Frage, ob hier überhaupt eine Warnung vorliege, s. u. 1.2. 1. Phil 3,2-4a im Kontext des Philipperbriefes 265 liegenden Brief-Kompilation immer noch erkennbaren ,Stimmungsumschwung‘ zwischen Phil 3,1 und 3,2 dann damit, dass hier „ein Stück einleitender Text weggefallen“ sein muss 10 . Die literarkritische Diskussion über die Einheitlichkeit oder die Kompilation des Philipperbriefes soll an dieser Stelle nicht vertieft werden. Für die Deutung von Phil 3,2-4a indes ist zweierlei wichtig: Zunächst ist allgemein unbestritten, dass weder diese drei Verse selbst noch die sich hieran anschließende autobiographische Rede zwei unterschiedlichen Briefteilen zuzurechnen sind: 3,2-16 befinden sich vielmehr in jedem Fall in einem Briefzusammenhang. Damit werden literarkritische Fragen für die Deutung von Phil 3,2-4a und 3,4bff. selbst zweitrangig. Eine exegetische Analyse von Phil 3,2-4a im Mikro- und Makrokontext des Briefes wird dann aber zu prüfen haben, wie sich der Textabschnitt in seinen Mikrokontext (Phil 3,1.4b) einfügt, wie er sich zur Polemik in 3,18f. verhält und ob sich die polemischen Passagen in Phil 3 sinnvoll in den übergeordneten Argumentationszusammenhang des Gesamtbriefes (Kap. 1-4) einbinden lassen. Sollte speziell die paulinische Polemik in 3,2-4a ein solch eigenständiges thematisches Gewicht haben, dass sie sich dem Makrokontext des Briefes nicht zuweisen lässt, so könnte in der Tat die Annahme eines selbständigen, in Phil 3,2 oder 3,1 beginnenden Briefteiles literarkritisch notwendig werden. 11 1.2. Phil 3,2-4a und die Frage nach den Gegnern in Philippi Eng im Zusammenhang mit der literarkritischen Diskussion steht die Frage, ob Paulus mit seiner Polemik in Phil 3,2-4a auf eine aktuelle Situation in Philippi reagiert und ob er sich dabei mit einer Gegnerschaft auseinandersetzt, die sich genauer identifizieren lässt 12 . Speziell die oben genannten Kompilationstheorien setzen ja voraus, dass die Abfassung des Briefes C durch das konkrete Auf- 10 N. Walter, Brief , 74. 11 Ich möchte mich an dieser Stelle nicht auf die eine oder andere Beurteilung festlegen, sondern verstehe diese Frage zunächst als Problemanzeige. - Grundsätzlich aber gilt im Blick auf diese und andere umstrittene Fragen, was E. Lohmeyer, Briefe , 8 speziell zur Würdigung von Thesen zur Bestreitung der Echtheit des Philipperbriefes (F. C. Baur, Paulus , 58-94) oder auch zur Würdigung von Kompilationsmodellen (seinerzeit z. B. C. Clemen, Einheitlichkeit , 133ff.; J. Weiß, Urchristentum , 296f.) so formuliert hatte: Ihr „unleugbarer Wert“ besteht darin, „dort Fragen gestellt zu haben und zu stellen, wo man gewöhnt war, keine Fragen mehr zu sehen“. 12 Grundlegend für diese Diskussion war W. Schmithals, Irrlehrer . - H. Omerzu, Spurensuche , 320-322 will zuletzt die Polemik in Phil 3 weniger von der Situation in Philippi als vielmehr von den Ereignissen her deuten, die mit der ephesinischen Gefangenschaft des Paulus verbunden waren. Zur Frage der Datierung des Philipperbriefes s. u. bes. Anm. 32- 33. - Zu neuesten Diskussionen über die Gegnerpolemik vgl. auch: E.-M. Becker, „Philip Melanchthon’s reading“. 266 XV Polemik und Autobiographie: Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4a treten von Gegnern motiviert sei. Doch auch die Annahme einer literarischen Einheitlichkeit des Briefes, die mit einer Diktatpause zwischen Phil 3,1 und 3,2 begründet wird, geht letztlich von einer Änderung der Situation in Philippi aus: Paulus erhält neue „Nachrichten über die Irrlehrer“ 13 und fährt daraufhin mit seinem Briefeschreiben fort. Im Blick auf die Identifizierung dieser Gegner ist in der jüngeren Forschung - wie schon in der patristischen Exegese 14 - eine zunehmende Tendenz zu erkennen, in den hier polemisch angegriffenen Widersachern des Paulus, ähnlich wie im Galaterbrief, judaisierende Agitatoren erkennen zu wollen 15 : Paulus warne vor „Propagandisten, die in die Gemeinde eindringen“ 16 bzw. sei in der Weise mit „judaistischen Gegnern“ konfrontiert, wie er sich schon offenbar kurz zuvor im Galaterbrief „mit entsprechenden Häretikern in Galatien“ auseinander zu setzen hatte 17 . Besonders der Hinweis auf die περιτομή in Phil 3,3 scheint eine solche Deutung nahezulegen. Allerdings ist ebendiese Deutung nicht so eindeutig und unumstritten, wie sie auf den ersten Blick scheinen könnte. Denn schon Bernhard Weiß hat sie in seinem wichtigen, vielfach auch übersehenen Kommentar zum Philipperbrief (1859) mit guter Begründung und in doppelter Hinsicht in Frage gestellt. Weiß möchte nämlich zum einen zwischen den drei in V. 2 genannten Gruppen differenzieren: Paulus warnt die Philipper ja zunächst vor den ,Hunden‘, dann vor den ,schlechten Arbeitern‘ und zuletzt vor der ,Zerstückelung‘. Hat Paulus demnach auch drei verschiedene Gruppen von Gegnern oder Konkurrenten im Blick? 18 Auszuschließen ist diese Annahme jedenfalls nicht. Zum anderen sieht Weiß bei allen drei möglichen Gruppen keine hinreichenden Hinweise speziell auf judaisierende Kreise, die die Gemeinde in Philippi akut und direkt bedrängt hätten 19 : Weiß will hingegen die ,Hunde‘ als Warnung vor dem ,unreinen heidnischen Wesen‘ verstehen (vgl. Phil 1,15-17) und deutet die κακοὶ ἐργάται mehr als Ausdruck für die „schlechte Beschaffenheit der Arbeiter“ denn als Hinweise auf deren spezifische religiöse oder ethnische 13 U. B. Müller, Brief , 12. 14 Vgl. dazu ausführlich J. Weiß, Philipper-Brief , bes. 222ff. 15 Vgl. z. B. E. Lohmeyer, Briefe , 126: „So führen denn alle Ausdrücke darauf, in den Gegnern jüdische Agitatoren oder vielleicht nur Angehörige der jüdischen Gemeinde zu Philippi zu sehen“. Vgl. zuletzt auch J. Reumann, Philippians , 469f. 16 So J. Gnilka, Philipperbrief 184. 17 U. B. Müller, Brief , 25. 18 Vgl. B. Weiß, Philipper-Brief , 220-224. 19 B. Weiß , Philipper-Brief , 223: „Warum […] der Apostel gegen Leute, die noch gar nicht gefährlich geworden, vielleicht gar nicht anwesend waren, auf einmal […] die heftigste Polemik eröffnet haben soll, ist in der That schwer abzusehen“. 1. Phil 3,2-4a im Kontext des Philipperbriefes 267 Identität (vgl. Phil 3,18f.; anders 2 Kor 11,13) 20 . Die κατατομή schließlich bezieht Weiß ebenso wenig auf ,judenchristliche Irrlehrer‘ 21 , sondern auf „ungläubige Juden […], die […] in den fleischlichen Vorzügen ihres Volkes ihre Freude und ihren Ruhm suchen“ (vgl. Phil 3,3-11) 22 . So deutet Weiß die paulinische Polemik in Phil 3 in erster Linie topisch und stellt sie dabei in eine direkte Beziehung zu jenen Teilen des Philipperbriefes (1,15-17; 3,3-11; 3,18-19), in denen Paulus in ähnlicher Weise um Abgrenzung von anderen Personengruppen - also konkurrierenden Predigern (Phil 1,15), (pharisäischen) Juden (Phil 3,3ff.) und ‚Feinden des Kreuzes‘ (Phil 3,18) - sowie um die Bestimmung und Wahrung der Identität seiner eigenen Person und die seiner Adressaten in Philippi bemüht ist. In diesem Zusammenhang wäre daneben auch auf die topische paulinische Warnung vor den ,Widersachern‘ in Phil 1,28 hinzuweisen (vgl. auch z. B. 1 Kor 16,9), die hier als eine Gefahr für die Einmütigkeit in der Gemeinde dargestellt werden. Im Ergebnis kann Weiß keine konkreten Bezüge zu einem zurückliegenden oder gegenwärtigen Auftreten von judaisierenden Gegnern oder Irrlehrern in Philippi erkennen. Er grenzt damit auch den Philipperbrief von der Situation, die hinter dem 2. Korinther- und dem Galaterbrief zu vermuten ist, sachlich und zeitlich deutlich ab: „Was mich zu dieser von der gewöhnlichen so ganz abweichenden Auffassung veranlaßt, ist-…, daß ich im Folgenden keinerlei Polemik gegen judaistische Irrlehrer finden kann […]“ 23 . Unabhängig von der Frage, ob Weiß in der Tendenz seiner Textwahrnehmung oder gar im Blick auf seine einzelnen Textbeobachtungen zuzustimmen ist, macht seine detaillierte Analyse des Textes deutlich, dass die in der Kommentar-Literatur gerne wiederkehrende Rede von ,judaisierenden Agitatoren‘ in Philippi zumindest einer erneuten kritischen Prüfung unterzogen werden muss. 24 In diesem Zusammenhang muss auch das weit verbreitete Urteil überprüft werden, mit dem dreimaligen βλέπετε werde eine direkte Warnung vor diesen Gegnern zum Ausdruck gebracht 25 . Vielmehr ist βλέπετε in Phil 3,2 ähnlich wie in 1 Kor 1,26; 10,18 als Imperativ mit anschließendem Akkusativ konstruiert. Bei dieser Konstruktion ist βλέπετε im Sinne von: ,betrachten‘, ,in den Blick 20 B. Weiß, Philipper-Brief , 221; 222. 21 B. Weiß, Philipper-Brief , 223: „So wenig Paulus je die judenchristlichen Irrlehrer als die περιτομή schlechthin bezeichnet, so wenig kann hier κατατομή auf dieselben gehen“. 22 B. Weiß, Philipper-Brief , 223: „So muß es denn in der That immer zweifelhafter werden, ob Paulus hier wirklich an judenchristliche Irrlehrer denkt“. Demnach wäre im Vergleich mit 1,15-17 an solche Arbeiter zu denken, „die nicht an der Sache des Evangeliums, für die sie zu wirken vorgaben, sondern an ihrem eigensüchtigen Treiben und dem Verfechten ihrer persönlichen Interessen ihre Freude finden“, a. a. O., 224. 23 B. Weiß, Philipper-Brief , 224. 24 S.o. Anm. 11. 25 Kritisch schon B. Weiß, Philipper-Brief , 220f. 268 XV Polemik und Autobiographie: Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4a nehmen‘ zu verstehen. Das ,Sehen‘ hat also eine ,geistige Funktion‘ 26 (anders das paränetisch verwendete σκοπεῖτε in 3,17). Wenn dagegen βλέπετε im Sinne einer Warnung fungiert, so wird es bei Paulus mit einer nachfolgenden Konstruktion verknüpft, die durch μή, πῶς oder ἵνα eingeleitet wird (vgl. 1 Kor 3,10; 8,9; 10,12; 16,10; Gal 5,15) 27 . Demnach ist das dreimalige βλέπετε in Phil 3,2 kaum als eine solche Warnung vor konkreten Gegnern 28 , sondern eher als Aufforderung des Paulus an die Gemeinde in Philippi zu lesen, andere - reale oder fiktive - Gruppen als mögliche Gegner zu enttarnen und mit Distanz zu betrachten, um sich von ihnen abgrenzen zu können, so wie Paulus dies tut. 1.3. Phil 3,2-4a und die Frage der Datierung des Philipperbriefes Schließlich dient die paulinische Polemik in Phil 3 indirekt oder auch direkt der Datierung des Philipperbriefes. Wenn wir Weiß folgen und eine tendenziell topische Deutung der Polemik vorschlagen - eine Deutung, mit Hilfe derer Ferdinand Christian Baur im Unterschied zu Weiß wesentlich die Annahme der Unechtheit des Philipperbriefes begründete -, dann ist die polemische Passage in Phil 3 jedenfalls nicht notwendig an eine bestimmte Situation oder Lebensphase des Paulus gebunden 29 . Auch befindet sich Phil dann nicht zwangsläufig in zeitlicher Nähe zum Gal. Weiß’ Beurteilung trägt also gleichsam e silentio , und d. h. indirekt zur Datierung des Briefes bei. Ulrich B. Müller hingegen zieht die polemische Passage direkt zur Datierung heran, ja er begründet diese wesentlich von der Polemik in Phil 3 her: Denn Müller versteht die paulinische Polemik als eine Gegner-Polemik, die sich in zeitlicher Nähe zu 2 Kor und Gal befindet. Er datiert den Philipperbrief damit in die Mitte der 50er Jahre, genauer: in die Zeit der ephesinischen Gefangenschaft, und vertritt damit eine Tendenz, die in der jüngsten Forschung verstärkt zu be- 26 So W. Bauer, Griechisch-Deutsches Wörterbuch , 285. 27 Vgl. auch A. Schmoller, Handkonkordanz , 85f., der die Bedeutung von βλέπειν zu recht mit (1) oculis cernere, intueri, spectare und (2) providere, cavere, curare erfasst und Phil 3,2 der Gruppe (1) zuweist. 28 An dieser Bedeutung halten dennoch U. B. Müller, Brief , 144 besonders: Anm. 23 und zuletzt J. Reumann, Philippians , 460 und 470 fest. 29 Vgl. F. C. Baur, Paulus , bes. 59f.: „… Zwar wird gegen jüdische Gegner polemisirt, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, es geschehe diess nur deswegen, weil es einmal zum stehenden Character der paulinischen Briefe zu gehören schien. Es fehlt dieser Polemik durchaus an Frische und Natürlichkeit, an der Objectivität der gegebenen Verhältnisse-…“. - B. Weiß, Philipper-Brief , 27 selbst lokalisiert den Philipperbrief in Rom und datiert ihn damit auf das Ende der paulinischen Wirksamkeit. Zur ausführlichen Diskussion der älteren Forschung, vgl. a. a. O., 7ff. 1. Phil 3,2-4a im Kontext des Philipperbriefes 269 obachten ist 30 . Zudem versucht Müller, die paulinische Auseinandersetzung mit den mutmaßlich judaisierenden Gegnern und damit mit bestimmten Themen des Judentums (bes. Gesetz und Beschneidung) konzise in die biographische Entwicklung des Paulus einzuzeichnen: „In Röm 7 gelingt es Paulus schließlich in subtiler Reflexion beides zusammenzudenken, das göttliche Wesen der Tora und ihre völlige Ohnmacht, Leben zu schaffen; in Phil. 3 scheint sie noch der völligen Negativität verfallen zu sein - eine zugespitzte Position, die sich zum großen Teil der polemischen Kampfsituation des Paulus verdankt (ähnlich wie im Gal.)“ 31 . Demnach könne der Philipperbrief zeitlich nicht nach, sondern nur vor dem Römerbrief geschrieben worden sein. Ich stimme Müller darin zu, dass die Frage der Datierung des Philipperbriefes die biographische Entwicklung des Paulus berücksichtigen und daher eine Deutung von Phil 3 miteinbeziehen kann oder sogar muss. Denn die Datierung und damit eng verbunden die Lokalisierung 32 des Philipperbriefes können nicht allein - vielleicht noch nicht einmal in erster Linie - auf den Hinweisen zum Aufenthaltsort des Paulus, die sich in Phil 1 und 4 finden, basieren: Die Erwähnung des πραιτώριον in Phil 1,13 sowie der Verweis auf ,das Haus des Kaisers‘ in 4,22 spielen zwar als mögliche historische Referenzen eine besondere Rolle bei der Datierung und Lokalisierung des Briefes. Im Ergebnis zeigt die Forschungsdiskussion allerdings, dass diese Ortsangaben wenig spezifisch und aussagekräftig sind und sich weder mit Ephesus noch mit Caesarea oder Rom eindeutig in Zusammenhang bringen lassen 33 . Wichtiger für die Datierung des 30 Vgl. U. B. Müller, Brief , 24. Vgl. auch J. Reumann, „Philipperbrief“, 1272 sowie unten Anm. 32; ders., Philippians , 13-15. 31 U. B. Müller, Brief , 22f. 32 Zur Übersicht über die neuere Forschung vgl. z.B.: J. P. Ware, Mission , 171f. Anm. 24. Folgende Vorschläge zur Lokalisierung werden zuletzt gemacht: (a) Ephesus = Anfang/ Mitte der 50er Jahre: 52-55 n.Chr.: z. B. C. B. Cousar, Philippians , 11; ( b) Korinth = 56/ 57, z. B. J. Gnilka, Philipperbrief , 25; (c) Caesarea = Ende der 50er Jahre, z. B. E. Lohmeyer, Briefe , 3; (d) Rom = frühe 60er Jahre: z. B. M. Bockmuehl, Philippians , 32 (nach 62 n.Chr.? ); J. P. Ware, Mission , 171 (61-62 n. Chr.); (e) zwischen 54/ 55 (Ephesus) und 63 (Rom): R. P. Martin, Philippians , 37. 33 Der Begriff Prätorium ( praetorium ) begegnet als Lehnwort in der zeitgenössischen griechischen Literatur (z. B. Philo; Josephus) außerhalb des Neuen Testaments (vgl. auch Mk 15,16; Mt 27,27; Joh 18,28.33; 19,9; Apg 23,35) noch nicht, erst in der patristischen Rezeption besonders der Passionsgeschichte. - Paulus könnte mit ,Prätorium‘ hier wohl entweder den Sitz des Statthalters in Caesarea (zu den praetoria in der Provinz Judaea in Jerusalem und Caesarea vgl. R. Egger, Praetorium , 17-22) bezeichnen. Oder er bezieht sich mit einem pars pro toto -Begriff auf die Prätorianergarde in Rom (s. u.). Für Ephesus als Provinzstadt scheint zu sprechen, dass Cicero ( in Verr 4,65; 5,92) mit praetorium den Sitz eines Statthalters in Syrakus/ Sizilien bezeichnete (so auch z. B. U. B. Müller, Brief , 54) und dass eine in Mainz gefundene Terra-Nigra-Schüssel die Verwendung des Begriffs in römischer Provinz zu Beginn des 2. Jhs. belegt. Plausibler sind allerdings Caesarea oder 270 XV Polemik und Autobiographie: Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4a Philipperbriefes könnte daher in der Tat die Deutung einzelner Textabschnitte im Philipperbrief sein, die zur Rekonstruktion der biographischen Entwicklung bzw. der aktuellen Lebenssituation des Paulus beitragen 34 . Und doch ist Müllers methodischer Zugang zur Deutung von Phil 3,2-4a und die daraus resultierende Rekonstruktion der biographischen Entwicklung des Paulus in Frage zu stellen. Zunächst ist der historische Wert polemischer Passagen zu hinterfragen: Sind polemische Texte zwangsläufig mit historischen Ereignissen oder Situationen verbunden oder darauf bezogen, und tragen sie - wie Müller vermutet- sogar zur Rekonstruktion einer realen historischen Situation, also z. B. zur Identifizierung von bestimmten Gegnergruppen in der Mitte des 1. Jhs. n. Chr. in Makedonien bei? Oder ist der historische Wert von polemischen Texten grundsätzlich zu bezweifeln, weil Polemik zunächst ein literarisches Phänomen ist, das sich weder präzise ereignisgeschichtlich einordnen noch lebensgeschichtlich eingrenzen lässt? Ich meine, dass eine solche Skepsis gegenüber dem historischen Wert polemischer Passagen und gegenüber deren Zuordnung zur biographischen Entwicklung einer Person notwendig ist. Weder muss Polemik historisch veranlasst oder begründet sein, noch entwickelt sich literarische Polemik parallel und kontinuierlich zum Denken und Handeln einer Person. So findet sich ja auch in dem vermeintlichen Alterswerk des Paulus, dem Römerbrief, der laut Müller gerade wegen der ausgewogenen Auseinandersetzung mit dem Gesetz in Kap. 7 zeitlich nach dem Philipperbrief verfasst worden sein Rom: Für Caesarea spricht, dass das Prätorium hier Amtssitz des römischen Statthalters wäre (vgl. auch Apg 23,35): „Zu den glanzvollen Bauten des Herrschers zählt seine Residenz in der Oberstadt, das βασίλειον mit zwei besonders schönen Sälen, die καισαρεῖον und Ἀγριππεῖον hießen […]“ (Ρ. Egger, Praetorium , 17 mit Hinweis auf Josephus, B J 1,21,1/ 1,402). Für Rom sprechen folgende Belege: Bei Tacitus und Sueton finden sich Belege dafür, dass das Prätorium auch für Prätorianer ( ann 2,11,3: […] veterani e praetorio […]) oder für kaiserliche Gebäude ( Calig 37,2: […] in extructionibus praetoriorum atque uillorum […]) stehen konnte. - Vgl. dazu insgesamt auch die DNP-Artikel „Praetorianer“ und „Praetorium“ ( J. B. Campbell, 262-264 und 264); A. R. Neumann, „Prätorium“, 1117. Zu der unter Seianus 23 errichteten castra praetoria (Tacitus, ann 4,2; Sueton, Tib 37) vgl.: M. Durry, „Praetoria cohortes“, 1611. Zum breiten Bedeutungsspektrum vgl. auch F. Lammert, „Praetorium“, 2535-2537. - Auch die Erwähnung des ,Hauses des Kaisers‘ in Phil 4,22 deutet nicht zwangsläufig auf Rom hin: Vgl. etwa E. Lohmeyer, Briefe , 191 bes. Anm. 1 (mit Hinweis auf Caesarea); U. B. Müller, Brief , 212 und J. Reumann, Philippians , 739f. (mit Hinweis auf Ephesus), ebenso J. Gnilka, Philipperbrief , 182, der Phil 4,22 ja Brief A zurechnet. Zur auslegungsgeschichtlichen Diskussion: B. Weiß, Philipper-Brief , 353f. 34 U. Poplutz, Athlet , 221 hat z. B. eine „persönliche Entwicklung“ bei der „Verwendung des Agonmotivs entsprechend der jeweiligen konkreten Lebenssituation des Apostels“ nachzuzeichnen versucht. - Allerdings bleibt grundsätzlich zu diskutieren, ob wir beim Denken und Handeln des Paulus überhaupt mit einer kontinuierlichen biographischen Entwicklung rechnen können. 1. Phil 3,2-4a im Kontext des Philipperbriefes 271 muss, durchaus eine anti-jüdische Polemik (Kap. 2,17ff.) 35 : Kap. 2 und 7 stehen sich hier in einer deutlich erkennbaren Spannung gegenüber. Die paulinische Polemik ist also offenbar gerade nicht ein Phänomen, das auf eine bestimmte Lebensphase des Paulus beschränkt werden könnte. Vielmehr ist die Polemik ein Teil der paulinischen Biographie (vgl. z. B. Apg 23,3). Und so durchziehen polemische Elemente (fast) alle Briefe des Paulus 36 . Polemik ist ein konstitutiver Teil des paulinischen Schreibstils 37 . Insofern kann eine relative Chronologie der paulinischen Briefe kaum auf der bloßen Wahrnehmung und der lebensbzw. ereignisgeschichtlichen Zuordnung von Polemik basieren. So sehr Müllers Vorschlag, biographische Elemente verstärkt in Datierungsfragen einzubeziehen, zu begrüßen ist, so sehr ist zu bezweifeln, ob polemische Passagen direkt und unmittelbar für die historische Rekonstruktion einer Biographie herangezogen werden können. Vielmehr meine ich, zeigen zu können, dass die paulinische Polemik in Phil 3 im Wesentlichen der rhetorischen und literarischen Begründung autobiographischer Rede (3,4bff.) dient und uns deswegen nur mittelbar an die historische Situation des Briefes heranführen kann, weil hier die Selbstinszenierung der Person des Briefeschreibers im Vordergrund steht . Dass die Person des Paulus im Mittelpunkt der topisch verwendeten Polemik im Philipperbrief steht, hatte übrigens schon Baur konstatiert, wenn auch mit der Absicht, dem Brief die paulinische Verfasserschaft abzusprechen 38 . Dieser Beitrag indes zielt darauf, anders als Müller einerseits oder Baur andererseits insinuieren, aufzudecken, dass die polemische Passage in Phil 3,2-4a weder konkret ereignisgeschichtlich motiviert noch bloß pseudepigraph stilisiert ist, sondern dass sie dadurch literarisch spezifisch wirkt, dass sie ihren Fluchtpunkt außerhalb ihrer selbst, nämlich in der anschließenden autobiographischen Passage in Phil 3,4bff. hat (2.1.): Paulus schreibt hier über sich selbst. An diese Beobachtung anschließend, wird über Phil 3 hinaus zu diskutieren sein, welche Bedeutung der autobiographischen Rede des Paulus im Phil zukommt (2.2.). Unter 2.3. wird der Ertrag dieser Textbeobachtungen kurz resümiert. 35 Vgl. O. Wischmeyer, „Röm 2.1-24“. 36 Eine Ausnahme stellt höchstens der Philemonbrief dar. 37 Vgl. dazu auch die übrigen Beiträge in: O. Wischmeyer/ L. Scornaienchi (Hg.), Polemik . 38 F. C. Baur, Paulus , 60: „… Und dieser so eigene unnatürliche Gegensatz [zwischen der κατατομή/ περιτομή, Verf.in] wird nicht gemacht, um etwas die Sache selbst Betreffendes zu sagen, sondern nur-… in der Absicht, um dem Apostel, indem er die περιτομή von sich selbst aussagt, dadurch Gelegenheit zu geben, von seiner eigenen Person zu reden, woran den Verfassern der pseudoapostolischen Briefe- … im Bewusstsein der Duplicität ihrer Person immer gar viel gelegen ist“. 272 XV Polemik und Autobiographie: Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4a 2. Zur autobiographischen Funktion der Polemik in Phil 3,2-4a Die exegetische Analyse und Deutung der paulinischen Polemik in Phil 3,2-4a setzt mit der Frage ein: Wie konstruiert Paulus syntaktisch und semantisch diesen polemischen Text, wie ist dieser Text in seinen Mikrokontext eingebunden, und welche Funktion kommt der Polemik in diesem Kontext zu? 2.1. Der autobiographische Fluchtpunkt in Phil 3,4a In den neueren Kommentaren wird in Phil 3,2 gerne ein Einschnitt markiert, so dass 3,2-4a als kleine literarische Einheit gilt, die sich innerhalb von 3,2-21 oder 3,2-4,1/ 3 befindet 39 . Der Einschnitt zwischen Phil 3,1 und 3,2 scheint sich aufgrund der oben genannten Inkohäsionsmerkmale nahezulegen. Allerdings lässt sich diese Untergliederung auch in Frage stellen. Deutlich ist nämlich, dass bereits Phil 3,1 einen Einschnitt markiert: Denn Paulus setzt hier zwar die Rede in der 2. Person Plural von 2,25ff. fort, spricht aber mit τὸ λοιπόν, ἀδελφοί μου seine Adressaten nun direkt an und geht nach einer speziellen Empfehlung für Epaphroditus (2,25-30) jetzt zu einer generalisierenden oder resümierenden Rede über (τὸ λοιπόν […] χαίρετε […]). Wenn dann nach 3,1 ein weiterer Einschnitt markiert wird, stünde dieser Vers unverbunden zwischen 2,30 und 3,2. So bietet sich eher eine Verknüpfung von 3,1 mit 3,2 an, zumal sich in beiden Versen entsprechende Kohäsionsmerkmale finden lassen. Denn Phil 3,2 nimmt mit dem dreimaligen Imperativ βλέπετε direkt die imperativische Rede in 3,1 auf. Dass zwischen 3,1 und 3,2 ein Einschnitt bzw. ,Stimmungsumschwung‘ erkennbar sei, ist also nicht eindeutig 40 . Vielmehr lassen sich auch Phil 3,1ff. als eine literarische Einheit betrachten. Noch künstlicher wirkt indes der Einschnitt, der nach 3,4a gewählt wird: Denn 3,4b setzt die durch ἐγώ emphatisch betonte Rede in der 1. Person Singular fort, die Paulus in 3,4a bereits begonnen hatte. Zudem begibt sich Paulus in 3,4b in eine direkte Konfrontation mit einem möglichen Kontrahenten (εἴ τις […] ἐγὼ μᾶλλον), die zugleich als Überleitung zwischen der negativen Qualifizierung seiner mutmaßlichen Kontrahenten in 3,2-4a und der autobiographischen Rede (3,5ff.) fungiert. Wenn 3,2-4a im vorliegenden Beitrag also als ein zusammenhängender Abschnitt untersucht wird, so soll diese Abgrenzung keinen vorschnellen Vorschlag zur Gliederung des Philipperbriefes abbilden. Vielmehr dient die so ge- 39 Vgl. z. B. W. Schenk, Philipperbriefe , 250ff.; N. Walter, Brief , 73ff. (Walter fasst allerdings 3,2-11 zusammen); U. B. Müller, Brief , 144ff.; L. Bormann, Philipperbrief , 219; J. Reumann, Philippians , 460ff. 40 Vgl. hierzu auch B. Weiß, Philipper-Brief , 214ff., der Phil 3,1-3 als Einheit betrachtet. 2. Zur autobiographischen Funktion der Polemik in Phil 3,2-4a 273 wählte Textabgrenzung einer konzentrierten Sicht auf die scharfe paulinische Polemik in diesem Abschnitt. Nun zu dem Abschnitt selbst: Das gewählte Textsegment in 3,2-4a besteht textlinguistisch betrachtet aus insgesamt acht Sätzen 41 . In V. 2 finden sich drei kurze Imperativ-Sätze. Hier fällt die dreimalige Nennung von βλέπετε auf, die als eine vehemens anaphora fungiert 42 und damit durchaus auch ein ,rhetorischer Trick‘ ist, mit dem Paulus die Aufmerksamkeit seiner Leser erweckt 43 . In V. 3 finden sich insgesamt vier Sätze, nämlich ein Hauptsatz sowie ein Relativsatz, der als Apposition zu ἡμεῖς fungiert und aus drei Teilsätzen besteht. So wird in V. 3b die Dreiteilung von V. 2 wieder aufgenommen 44 . V. 4 ist konzessiv und antithetisch an V. 3 angeschlossen 45 . Es ergibt sich folgende Struktur 46 : V. 2 S 1 mit P (a) S 2 mit P (b) S 3 mit P (c) V. 3 S 4 = HS S 5 mit P (a‘) S 6 mit P (b‘) S 7 mit P (c‘) V. 4a S 8 (konzessiv/ antithetisch zu S 7) Die dreigliedrige Aufforderung zur Distanz gegenüber gegnerischen oder konkurrierenden Gruppen und Personenkreisen in V. 2 besteht aus zwei Propositionen, die Paulus sonst nicht verwendet: dem Hinweis auf ,Hunde‘ (a) und dem Begriff der ,Zerstückelung‘ (c). Während der letzte Ausdruck eine Metonymie ist und sich als ein Wortspiel (κατατομή/ περιτομή) erklären lässt 47 , mit Hilfe dessen Paulus die Verknüpfung von V. 2 zu V. 3 herstellt, bleibt die Deutung von κύων umstritten. Formal betrachtet handelt es sich hierbei um eine Metapher mit pejorativer Konnotation. Sachlich gesehen ist indes unklar, ob Paulus sich 41 Zur Differenzierung von Segment und Satz in der Textlinguistik vgl. K. Brinker, Linguistische Textanalyse , 21-27. 42 Vgl. B. Weiß, Philipper-Brief , 221. 43 Gegen J. Reumann, Philippians , 470, der die Polemik als eine reale versteht. 44 Ähnlich J. Gnilka, Philipperbrief , 184f. - Diese Struktur verkennen indes W. Schenk, Philipperbriefe , 253f. und zuletzt J. Reumann, Philippians , 468f. 45 Vgl. E. G. Hoffmann/ H. von Siebenthal, Griechische Grammatik , § 231 g. 46 S = Satz; P = Proposition. 47 Vgl. F. Blass/ A. Debrunner/ F. Rehkopf, Grammatik , § 4884. 274 XV Polemik und Autobiographie: Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4a hier - wie Weiß meint - gegen das ,heidnische Wesen‘ wendet 48 oder ob er „die jüdische Waffe gegen ihre eigenen Träger“ anwendet 49 . Aufschluss über die mit ,Hund‘ bezeichneten Kontrahenten könnte der antithetische Parallelismus in V. 3 (S 5 mit Pa‘) geben: Demnach fungieren die ,Hunde‘ als semantische Opposition und stehen pauschalisierend für diejenigen, die nicht im ,Geist Gottes dienen‘ (s. u.) 50 . In der Mitte der dreigliedrigen Aufforderung in V. 2 (= P [b]) findet sich das Element der ,schlechten Arbeiter‘ (κακοὶ ἐργάται), das ähnlich bereits aus 2 Kor 11,13 (ἐργάται δόλιοι) bekannt ist. Mit dieser Proposition disqualifiziert Paulus seine (möglichen) Gegner und Konkurrenten. Sowohl in Hinsicht auf ihre Dreigliedrigkeit als auch im Blick auf die aggressive, begrifflich-verkürzende Semantik, wirkt die gesamte Aufforderung in V. 2 in ihren drei Teilsätzen (S 1-3) literarisch konstruiert und stilisiert. Dieser Eindruck wird durch die Beobachtung gestützt, dass das Schema der Dreigliedrigkeit von V. 2 in den aus Partizipien konstruierten Teilsätzen des Relativsatzes in V. 3 (= S 5-7) wiederaufgenommen wird: Diese Sätze, die einige für Paulus typische Propositionen enthalten 51 , fungieren zugleich als parallel angeordnete, semantische Opposition zu der dreigliedrigen Aufforderung, d. h., sie erläutern ex positivo , was den Personen, von denen Paulus sich und die Gemeinde in V. 2 abgrenzt, mangelt. Es ergibt sich also folgende Struktur in V. 2 und 3: 48 Vgl. B. Weiß, Philipper-Brief , 221. Vgl. auch H. L. Strack/ P. Billerbeck, Kommentar III , 621f.: „Als Hunde werden bezeichnet die Unwissenden, die Gottlosen u. die Nichtisraeliten“. 49 So fragt O. Michel, „κύων, κυνάριον“, 1102. Noch schärfer S. Pedersen, „κύων, κυνός“, 823: Die drei Prädikate in „Phil 3,2 […] bestätigen, daß κ. im NT eine Ketzerbezeichnung ist“. - Vgl. zur neuesten Diskussion auch J. Reumann, Philippians , bes. 460f. und 469f. 50 Vgl. dazu auch ähnlich die topische Warnung vor den ,Hunden‘ in Ignatius, Eph 7,1: Denen, die Gott unwürdige Dinge tun, muss man ausweichen wie wilden Tieren, sie sind nämlich tolle Hunde (… κύνες λυσσῶντες). - Dass mit den ,Hunden‘ ggf. nicht jüdische Gegner bezeichnet sind, z. B. Personen, die sich in anderen Kultzusammenhängen bewegen, legt sich von der Wortverwendung bei Philo ( Legat 139; Somn 2,267 [vgl. Ex 11,7]; Decal 79) und Josephus ( contr Ap 2,85) her nahe: Beide Autoren beziehen sich hier auf ägyptische Bräuche oder Kulte. - Vgl. neben einem eher neutralen Hinweis auf ,Hunde‘ (Philo, Abr 266) auch die generelle Negativbewertung von ,Hunden‘ (Philo, Decal 114f.), den Exkurs zur Homonymie des ,Hundes‘ (Philo, Plant 151), die Negativbezeichnung von Menschen im Vergleich mit ,Hunden‘(z. B. Prob 90), so z. B. auch: ἡδοναί¸ als ,Hunde‘ (Philo, Gigant 35), Menschen, die sich bei Symposien wie Hunde verhalten (Philo, Vit contemp 40). - Zur Bedeutung des ,Hundes‘ in der Antike vgl. auch: W. Richter, „Hund“; J. K. Anderson, „dogs“. 51 Zu (a) vgl. Röm 1,9; zu (b) vgl. z. B. Röm 5,11; 15,17; 1 Kor 1,31; 2 Kor 10,17; Gal 6,14; zu (c) vgl. ähnliche Konstruktionen z. B. in Gal 3,3; 6,12; Phil 3,4. 2. Zur autobiographischen Funktion der Polemik in Phil 3,2-4a 275 S1 […] τοὺς κύνας S5 πνεύματι (θεοῦ) λατρεύοντες S2 […] τοὺς κακοὺς ἐργάτας S6 καυχώμενοι ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ S3 […] τὴν κατατομήν S7 οὐκ ἐν σαρκὶ πεποιθότες So stehen die ,Hunde‘ denen, die ,im Geist Gottes dienen‘ gegenüber. Die ,schlechten Arbeiter‘ sind als Gegensatz zu denen bezeichnet, die sich ,in Christus Jesus rühmen‘ - hier nimmt Paulus deutlich erkennbar eine wichtige Thematik des 2. Korintherbriefes auf 52 . Und die Metonymie der ,Zerschneidung‘ bezieht sich auf diejenige Gruppe von Personen, die von denen zu unterscheiden ist, die ,nicht auf das Fleisch vertrauen‘. Neben der Semantik ist das Textsegment in 3,2-4a auch grammatisch zu untersuchen, denn es ist durch auffällig häufigen Personenwechsel bestimmt: In den drei imperativischen Sätzen sind die Adressaten in der 2. Person Plural angesprochen. V. 3 wechselt zur 1. Person Plural, die eine inklusivische Funktion hat: Hier ist nicht die plurale Absendergruppe (Phil 1,1) im Blick, vielmehr nimmt Paulus eine Inklusion der Absender in die Gruppe der Adressaten vor 53 . So schafft Paulus schließlich den Übergang zur Rede in der 1. Person Singular in V. 4a, die er in V. 4bff. fortsetzt. Der Personenwechsel in Phil 3,2-4a ist also durchaus als eine Klimax zu lesen: Der Fluchtpunkt der Polemik liegt in der autobiographischen Rede des Paulus (3,4bff.). 54 Zusammenfassend lassen sich folgende Textbeobachtungen festhalten: Phil 3,2-4a ist syntaktisch, grammatisch und semantisch stilisiert, d. h., es handelt sich um ein literarisch sorgfältig gestaltetes Textsegment. Die möglichen Kontrahenten des Paulus werden - anders als in 2 Kor 10-13, wo sich Paulus ausführlicher mit seinen Gegnern in Korinth auseinandersetzt - pejorativ etikettiert und sachlich disqualifiziert. Es gibt aber keinen deutlichen Hinweis darauf, dass Paulus in Phil 3 reale Gegner oder Konkurrenten oder konkrete Konflikte im Blick hätte. Vielmehr fordert er seine Adressaten in Philippi mit dem dreimaligen βλέπετε dazu auf, gegnerische oder konkurrierende Personengruppen als solche gleichsam intellektuell zu enttarnen, d. h. zu identifizieren. Der Fluchtpunkt der polemischen Passage liegt in der autobiographischen Rede in der 1. Person Singular. So fungiert die polemische Passage insgesamt als eine litera- 52 Vgl. z. B. J. Zmijewski, „καυχάομαι κτλ.“, 688ff. 53 Vgl. ähnlich die inter-kommunikative Funktion der Co-Sender im 2 Kor, vgl. E.-M. Becker, Schreiben , 149ff. 54 Im Blick auf die Untergliederung ist J. Reumann ( Philippians , 468) zuzustimmen, der Phil 3,2-3 als exordium und 3,4 als „transition to autobiography“ bezeichnet. 276 XV Polemik und Autobiographie: Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4a risch-stilisierte Eröffnung für die autobiographische Rede des Paulus (3,4bff.), d. h. als ein Negativkontrast zu dem, wie sich Paulus (in seiner Haft) selbst inszeniert . 55 2.2. Autobiographische Passagen in Phil 1,12ff. und 3,4bff. Wir müssen Phil 3,2-4a daher im Zusammenhang mit der autobiographischen Passage in 3,4bff. deuten und verstehen. Wie Peter Oakes gezeigt hat, ist der Philipperbrief insgesamt durch autobiographische Passagen, die sich über 3,4b-16 hinaus auch in 1,12ff. finden, geprägt. Diese autobiographischen Passagen sind für die Auslegung des Philipperbriefes nicht zuletzt deswegen von erheblicher Bedeutung 56 , weil sie wichtige Aspekte der Biographie und der Person des Paulus zu erkennen geben und damit auch Licht auf die Entstehungsgeschichte des Phil werfen 57 . In Phil 1,12-26 schreibt Paulus in erster Linie über seine Situation in der Haft. Der Abschnitt ist äußerst persönlich gehalten und gibt uns vor allem einen Einblick in die innere Situation des Paulus: Paulus ist ,in Fesseln‘ (Phil 1,12 u. ö.) und gerät in einen inneren Konflikt, weil ihn einerseits die Sehnsucht treibt, der Haft durch Flucht zu entkommen: Er möchte ,aufbrechen und mit Christus sein‘ (Phil 1,23). Andererseits weiß Paulus aber um seine Verantwortung für die Gemeinden und entscheidet daher (αἰρήσομαι, V. 22b), seiner Christus-Sehnsucht nicht nachzugeben, sondern ,im Fleisch‘ zu bleiben (Phil 1,24) 58 . Die starke Christus-Sehnsucht in Phil 1,21ff. könnte darauf hindeuten, dass Paulus hier als älterer oder sogar als alter Mann schreibt, der nicht nur an seiner Haft, sondern möglicherweise auch an einer Krankheit oder an seinem Alter leidet 59 . 55 Damit soll freilich nicht ausgeschlossen werden, dass es entsprechende Gegnerschaften in Philippi gegeben hat. Die These dieses Beitrags zielt indes darauf zu zeigen, dass die paulinische Polemik in Phil 3 in erster Linie autobiographisch motiviert ist: Sie muss also literarisch, d. h. im Blick auf ihre Stilisierung und ihre textuelle Funktion, und dann auch biographisch, d. h. im Blick auf die gegenwärtige Lebenssituation des Paulus in seiner Haft, erschlossen werden. 56 „Paul primarily writes about himself in order to give an example of the way he wants the Philippians to live“, P. Oakes, Philippians , 103. 57 Allerdings haben autobiographische Passagen gleichermaßen eine historische und eine literarische Dimension: Denn sie haben einen ,Aussagegehalt für die Biographie einer historischen Person‘ (vgl. auch die sog. Ego -Dokumente) und ,konstituieren eine eigene literarische Gattung‘, in der die Lebensgeschichte und -situation einer Person zum Thema wird. Wir werden daher die autobiographischen Texte in Phil 1 und 3 gleichermaßen als historische und als literarische Texte zu lesen und zu verstehen haben: Vgl. dazu: E.-M. Becker, „Person“ (2006), 107-119; dies., „Person“ (2011), 129-141; vgl. dies., „Autobiographisches“, besonders: 71ff. Vgl. auch O. Wischmeyer, „Paulus“. 58 Vgl. dazu E.-M. Becker, „Person als Paradigma“. 59 Vgl. ähnlich auch C. F. G. Heinrici, Paulinische Probleme , 33: „In seinem Alter schrieb Paulus den Philipperbrief und den Philemonbrief“. 2. Zur autobiographischen Funktion der Polemik in Phil 3,2-4a 277 So gibt uns die autobiographische Passage in Phil 1 zunächst Einblick in die aktuelle Lebenssituation des Paulus: Wir gewinnen den Eindruck, dass Paulus den Philipperbrief in seiner letzten Lebensphase schreibt. Er befindet sich also vermutlich bei der Abfassung des Briefes in Caesarea oder Rom. Die Hinweise in Phil 1 auf das Alter und die innerlich zerrissene Situation des Paulus in seiner Haft sind historisch umso bedeutender, als Paulus sonst im Philipperbrief keine eindeutigen Anhaltspunkte für seine Haftumstände oder seinen Aufenthaltsort gibt. Zugleich aber hat die autobiographische Passage in Phil 1 eine literarische Dimension: Denn Paulus inszeniert sich hier als ,Gefangener‘ und schafft damit einen literarischen Topos, der in den pseudepigraphen Gefangenschaftsbriefen aufgegriffen und programmatisch weiter ausgebaut wird 60 . Paulus nimmt diese Inszenierung offenbar auch deswegen vor, weil seine Gefangenschaft die ,Brüder‘ vorbildhaft darin bestärkt hat, nun selbst ,das Wort furchtlos‘ zu verkündigen (Phil 1,14). Es sind also nicht erst die pseudepigraphen Gefangenschaftsbriefe, sondern es ist bereits Paulus selbst, der sich in seiner Gefangenschaft als ein Vorbild für andere darstellt. In Phil 1 ist er Vorbild für ihm nacheifernde Prediger. Zugleich übt er den Philippern gegenüber an ebendiesen Predigern Kritik. Im Unterschied zu Phil 3 jedoch artet diese Kritik nicht in Polemik aus. Vielmehr blickt Paulus in Phil 1 mit expliziter Gelassenheit auf die ihn nachahmenden, teils mit ihm konkurrierenden Prediger und Missionare: Auch wenn es einige (τινές) gibt, die aus Neid, Streitsucht und Eigennutz verkündigen (Phil 1,15-17), so freut sich Paulus und wird sich weiter freuen (Phil 1,18). Wie ist diese Nachsicht zu erklären? In Phil 1 überwiegen offenbar die Auseinandersetzung mit der eigenen, innerlich zerrissenen Situation und die Frage nach der Vorbildfunktion für andere gegenüber einer etwaigen scharfen oder polemischen Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von konkurrierenden Predigern. So wirkt auch der Hinweis auf die ,Widersacher‘ in Phil 1,28 letztlich topisch und stereotyp. Auch in Phil 3 reflektiert Paulus - ähnlich wie in Phil 1 - seine Vorbildfunktion (τύπος, bes. 3,17ff.). Es geht ihm nun aber - anders als in Kapitel 1, wo er die Wirkung seiner Gefangenschaft auf die Verkündigung des Evangeliums thematisiert hatte - darum, sein biographisches Vorbild für die Adressaten des Briefes in Philippi, die, wie etwa Oakes meint, in einer ähnlich bedrängten Situation 60 Gerade der Begriff δεσμός wird als ein metaphorisches Stereotyp weiter verwendet (Kol 4,18; 2 Tim 2,9) und ausgeprägt (Cyprian; Eusebius). Darüber hinaus begegnet der Begriff auch in den Schriften der sog. Apostolischen Väter (vgl. Polykarp, Phil 1,1; Ignatius, Eph 11,2). Bei Cyprian und Eusebius werden die „Fesseln“ dann rein metaphorisch als ,geistliche Perlen‘ gedeutet (vgl. z. B. Eusebius, hist eccl 5,1,35; Cyprianus, ep 76,2). Vgl. dazu H. Paulsen, Briefe , 37. 278 XV Polemik und Autobiographie: Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4a wie Paulus sind 61 und der Ermutigung und Selbstvergewisserung bedürfen, in Kontrast zu möglichen Kontrahenten darzustellen. In diesem Zusammenhang verweist Paulus auf seine eigene Biographie (3,5-11) und deren Bestimmung. Angesichts der überwältigenden Christus-Erkenntnis betrachtet er sein früheres Leben im Rückblick als ,Schaden‘ (3,7f.). So hat die Biographie des Paulus, die seit jeher von der Suche nach der δικαιοσύνη bestimmt war (3,6), in der Christus-Erkenntnis (γνῶσις Χριστοῦ Ἰησοῦ τοῦ κυρίου μου) ihr eigentliches Ziel gefunden. Diese Christus-Erkenntnis bedeutet ,Gerechtigkeit aus Glauben‘ (3,9) und geht mit dem Wunsch einher, Gemeinschaft mit Christus in Leiden, Sterben und Auferstehung zu haben (3,10f.). So finden sich in Phil 3,10f. durchaus semantische und thematische Anklänge an die paulinische Auseinandersetzung mit dem Sterben, wie sie bereits in Phil 1,21ff. formuliert sind. Phil 1 und 3 stehen nicht unverbunden nebeneinander, auch wenn die Richtung der Argumentation variiert: In Phil 1 gewährt Paulus den Philippern Einsicht in seine aktuelle innere Situation in seiner Haft und diskutiert seine Vorbildfunktion für andere Prediger. In Phil 3 entwickelt Paulus seine Vorbildfunktion für die Philipper offensiv, und d. h. in polemischer Abgrenzung von Anderen. Diese Abgrenzung erfolgt in doppelter Weise: Sowie die Philipper die Distanz zwischen Paulus und seinen möglichen Kontrahenten erkennen sollen (3,2-4a), so sollen sie sich selbst von den ,Feinden des Kreuzes‘ abgrenzen (3,18f.) 62 . Der Argumentationsgang in Phil 3 wird also erkennbar mit Polemik eröffnet und mit Polemik abgeschlossen. Er ist gleichsam durch polemische Passagen gerahmt (3,2-4a; 18f.) 63 . Mit dieser Polemik fordert Paulus letztlich zu einer Identifizierung von gegnerischen Gruppen und zugleich zur Identitätsfindung der Gemeinde in Philippi auf: Wohl wissend, dass die ἄνω κλῆσις noch nicht vollständig errungen ist (3,12-14), ermahnt Paulus die Philipper zur rechten Gesinnung und dazu, συμμιμηταί μου zu werden (3,17). Das aber heißt auch, sich 61 In Phil 3,17 beschreibt Paulus diese Vorbildfunktion mit: συμμιμηταί μου γίνεσθε […] ἔχετε τύπον ἡμᾶς. „Paul presents himself as a model for the Philippians […] Paul’s aim in offering himself as a model is to respond to the situation of suffering among the Philippians“, P. Oakes, Philippians , 121. Vgl. auch z. B. C. S. Wansink, Chained in Christ , 211: Die paulinische Inhaftierung wurde zu einem Vorbild in der Verfolgungszeit. - Vgl. zum Weiterwirken dieses Motivs auch: 2 Tim 1,16; Ignatius, Smyr 10,2; Polykarp, Phil 12,2. 62 Zur Frage, ob es sich in 3,2-4a und 3,18f. um dieselbe ,Gegnerfront‘ handelt, vgl. z. B. Β. Weiß, Philipper-Brief , 275-277, W. Schenk, Philipperbriefe , 258f.; U. B. Müller, Brief , 176f.; J. Reumann, Philipppians , 589, die dies bejahen. Anders N. Walter, Brief , 84f. - J. Gnilka, Philipperbrief , 204f. legt sich nicht fest. E. Lohmeyer, Briefe , 153 hält die in 3,18 bezeichneten ,Feinde‘ für lapsi . 63 Interessant ist hier die Textbeobachtung von W. Schenk, Philipperbriefe , 258f.: Weil P46 in 3,18 das βλέπετε von 3,2 einträgt, trägt die Papyrushandschrift zu einer - wenn auch sekundären, aber sachlich zutreffenden - „kommunikativ äquivalenten Textrezeption“ bei, a. a. O., 259. Vgl. auch J. Gnilka, Philipperbrief , 204. 2. Zur autobiographischen Funktion der Polemik in Phil 3,2-4a 279 von den ,Feinden des Kreuzes Christi‘ abzugrenzen (3,18): Während die ἐχθροὶ τοῦ σταυροῦ irdisch gesinnt sind (3,19), leben die Philipper doch wie Paulus in der eschatologischen Erwartung des himmlischen πολίτευμα (3,20f.). Phil 3,17ff. ist daher als ein paränetischer Text zu lesen 64 . Beide polemischen Passagen in Phil 3,2-4a und 3,18f. sind untrennbar auf ihren Mikrokontext bezogen: In Phil 3,2-4a ist die Polemik als Negativkontrast zur Biographie des Paulus gestaltet - die polemische Passage bereitet die autobiographische Passage vor. In Phil 3,18f. gestaltet Paulus die Polemik als einen Negativkontrast zu dem, wie die Philipper gesinnt sein sollen - hier befindet sich die polemische Passage in einem paränetischen Zusammenhang. So ist die paulinische Polemik in Phil 3 teils der autobiographischen, teils der paränetischen Rede des Paulus zu- oder besser: untergeordnet . 2.3. Autobiographie und Polemik Der vorliegende Beitrag hat gezeigt, dass die paulinische Polemik in Phil 3,2- 4a literarisch stilisiert ist und der Einleitung in die autobiographische Rede in 3,4bff. dient. So ist die Polemik kaum gegen reale Gegner oder akut auftretende Agitatoren in Philippi gerichtet. Sie ist aber ebenso wenig durch einen pseudepigraphen Briefeschreiber stilisiert. Sie hat vielmehr eine rhetorisch-appellative und literarisch-rahmende Funktion im Argumentationsgang von Kap. 3. Der Argumentationsgang mündet in eine Paränese (3,17-21), die wiederum mit einer Polemik verknüpft ist (3,18f.). Der paränetische Abschnitt legt - wie schon 3,2 - die Pragmatik dieser Argumentation offen: Paulus fordert die Philipper auf, sich ihn zum Vorbild zu nehmen (3,17). Um sich den Philippern gegenüber als ein solches Vorbild inszenieren zu können, grenzt sich Paulus von möglichen Widersachern ab (3,2-4a): Sie sind der Negativkontrast zu seiner eigenen Biographie (3,4bff.). So dient die Polemik in Phil 3 einerseits der autobiographischen Selbstvergewisserung des Paulus 65 und andererseits der Identitätsfindung und -wahrung der Gemeinde in Philippi. Wenn der vorliegende Beitrag auf den engen Bezug der Polemik in 3,2-4a auf die autobiographische Rede in 3,4b-16 hingewiesen hat, so ist damit auch angedeutet, dass Phil 1 und 3 thematisch und literarisch miteinander verbunden sind: Nicht nur werden in Phil 3 bestimmte Motive aus Phil 1 wieder aufgenommen (vgl. 3,10f. und 1,21ff.). Vielmehr sind beide Kapitel durch autobiographische 64 Vgl. dazu auch die Grammatik (Imperativformen) und Semantik in V. 17f. (σκοπεῖτε, περιπατοῦντας) mit nachfolgender Gerichtsankündigung in V. 19. 65 Vgl. ähnlich J. Reumann, Philippians , 470, auch wenn seine These, dass sich Paulus ähnlich wie im Gal - mit „an aggressive Jewish-Christian missionary group“ auseinandersetzt, hier nicht geteilt wird. 280 XV Polemik und Autobiographie: Ein Vorschlag zur Deutung von Phil 3,2-4a Passagen geprägt, in denen es Paulus nicht nur um sich selbst, sondern immer auch um sein Verhältnis zu den Adressaten sowie zu einer dritten Größe von Rivalen oder Kontrahenten geht. In dieser Auseinandersetzung reflektiert und inszeniert Paulus seine Vorbildfunktion für andere. Und doch weicht die autobiographische Rede des Paulus in Phil 3 insofern von der in Kap. 1 ab, als sie mit einer scharfen Polemik verbunden wird (3,2-4a): Diese Polemik ist als eine offensive Selbstinszenierung, ja als ein überzeichneter Negativkontrast zur autobiographischen Rede des Paulus zu lesen. In Phil 1 hingegen kommt Paulus explizit nachsichtig auf die ihm nacheifernden Prediger oder stereotyp auf die ,Widersacher‘ (1,28) zu sprechen, weil hier offenbar seine eigene, innerlich zerrissene Situation im Vordergrund steht und thematisiert werden soll (1,12). Wie lässt sich diese Veränderung hinsichtlich der autobiographischen Selbstinszenierung des Paulus in Phil 1 und 3, d. h. der Wechsel von defensiver zu offensiver Rede, erklären? Wird die Annahme einer Diktatpause zwischen Kap. 1 und 3 oder gar einer Brief-Kompilation notwendig? Unabhängig davon, ob wir annehmen, Paulus habe den Philipperbrief in einem Zug oder mit einer zeitlichen Unterbrechung verfasst, oder aber es seien die Philipper gewesen, die verschiedene Paulusbriefe zu dem uns vorliegenden Gesamtbrief kompiliert hätten, gilt: Paulus tendiert dazu, den Philippern autobiographisch zu schreiben und setzt in diesem Zusammenhang die Polemik als Mittel offensiver Rede literarisch flexibel ein. So ist es weniger die Polemik in 3,2-4a als vielmehr die Autobiographie, die die Kap. 1 und 3 prägt, welche uns den literarischen Charakter und den historischen Ort des Philipperbriefes und seiner Teilabschnitte erschließt: Der gefangene Paulus schreibt den Philippern über sich und ermahnt so die Gemeinde. Bibliographie J. K. Anderson, „dogs“, in: OCD (2003 3 ), 490. W. Bauer, Griechisch-Deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur (Berlin/ New York: de Gruyter, 1971 5 ). F. C. 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S. du Toit; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 129-148 - in diesem Band Nr. XIII. E.-M. Becker, „Person des Paulus“, in: Paulus Handbuch (hg. F.-W. Horn; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 128-134. E.-M. Becker, „Philip Melanchthon’s reading of Paul’s letter to the Philippians and contemporary exegesis” - in diesem Band Nr. II. F. Blass/ A. Debrunner/ F. Rehkopf, Grammatik des neutestamentlichen Griechisch (Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1990 17 / 2001 18 ). M. Bockmuehl, The Epistle to the Philippians (Black’s New Testament Commentaries 11; London: Continuum, 1998). L. Bormann, „Philipperbrief“, in: Paulus. Leben - Umwelt - Werk - Briefe (hg. O. Wischmeyer; UTB 2767; Tübingen/ Basel: Francke, 2006), 217-232. L. Bormann, Philippi - Stadt und Christengemeinde zur Zeit des Paulus (NT.S 78; Leiden etc: Brill, 1995). K. Brinker, Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden (Grundlagen der Germanistik 29; Berlin: Schmidt, 2005 6 ). R. 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Die Deutung der Tränen und ihrer Wirkung auf Andere gehört dabei zu dem jeweils kulturgeschichtlich definierten Diskurs über gender oder Anthropologie 2 . Tolstajas Sicht auf die Tränen ist die einer emanzipierten europäischen Frau am Ende des 19. Jhs., die an der Seite ihres ungleich berühmteren Ehemannes Tolstoj gleichwohl von den patriarchalen Strukturen im späten zaristischen Russland bestimmt ist. Wir können uns im 21. Jh. diese Sicht auf die Tränen wohl nicht mehr ohne weiteres zu Eigen machen. Die Tränen-Kultur ist also nicht konstant, sondern variiert in Raum und Zeit. So führen uns die Tränen des Paulus in die mediterrane Welt des 1. Jhs. n. Chr., in welcher das Weinen eine nicht unbedeutende, weil nicht unumstrittene Rolle spielt, wie Plinius d.J. (61/ 62nach 113 n. Chr.) exemplarisch zeigt ( ep 8,16,4f) 3 : „Denn es gehört zum Menschen, Schmerz zu empfinden, Gefühle zu haben, dennoch sich zu fassen, Trost anzunehmen, nicht aber, keiner Tröstungen zu bedürfen-… Es gibt-… auch eine Lust am Schmerz zumal, wenn man sich an der Brust eines Freundes ausweinen kann, bei dem Du für Deine Tränen Lob oder Nachsicht finden kannst“. 1. Die Texte (2 Kor 2,4; Phil 3,18; Apg 20,19.31) und Fragen In Phil 3,18 schreibt Paulus aus seiner Gefangenschaft in Caesarea oder Rom an die Gemeinde in Philippi: 1 S. Tolstaja, Lieder , 158. 2 Vgl. zum gender-bezogenen Tränen-Diskurs in der Antike z.B.: A. Suter, „Tears“; S. Föllinger, „Tränen“. 3 Übersetzung nach: H. Philips, Plinius , 587. 284 XVI Die Tränen des Paulus (2 Kor 2,4; Phil 3,18): Emotion oder Topos? „Viele nämlich haben einen (solchen) Lebenswandel, (dass) ich diese bei euch (schon) vielfach - nun aber rede ich sogar weinend - als Feinde des Kreuzes Christi bezeichnet habe“. Hans Windisch (1924) hat wie viele andere Exegeten vor und nach ihm die Parenthese νῦν δὲ καὶ κλαίων λέγω wörtlich verstanden und meinte, dass Paulus diesen Teil des Philipperbriefes wirklich weinend geschrieben habe: Paulus ist der „Mann, der Phil 3,18 unter Tränen schrieb“ 4 . Teilt Paulus uns hier - so wäre im Anschluss an Windisch zu fragen - etwas über seine psychische Verfasstheit, über seine Emotionen, und d. h. letztlich auch etwas über seine Person mit? 5 Oder ist der Verweis auf die Tränen ein rhetorischer Topos, ein Kunstgriff gar, mit dem Paulus seinem Briefeschreiben und speziell seiner Sorge für die Gemeinde und deren Abgrenzung von möglichen Kontrahenten Nachdruck zu verleihen sucht? 6 Was bedeutet dieser reale oder rhetorische Verweis auf Emotionalität für die Inszenierung und Wahrnehmung einer antiken Person in der Mitte des 1. Jhs. - steht er für die Schwäche oder für die Stärke der Person? Und wie ist der Briefschreiber Paulus überhaupt in der antiken Tränen-Kultur zu verorten, die - wie der kürzlich erschienene Sammelband: „Tears in the Graeco-Roman World“ (2009) zeigt - literarisch weit verbreitet und gut dokumentiert ist? 7 Im Blick auf diese und ähnliche Fragen macht uns die gegenwärtige Emotionen-Forschung 8 zunächst darauf aufmerksam, dass antike und moderne Emotionen weder als Affekte noch in ihrer Deutung kompatibel sind: Emotionalität lässt sich nicht trans-historisch, sondern nur geschichtlich und kulturspezifisch erfassen 9 , wie ja schon die eingangs erwähnten Beispiele der Gräfin Tolstaja und des Briefschreibers Plinius gezeigt haben. Wir müssen uns also auch dem Phänomen der Tränen kulturgeschichtlich nähern. So hatte bereits der Schweizer Altphilologe Karl Meuli in seiner wichtigen Studie: „Das Weinen als Sitte“ festgehalten, dass „die Bewertung des Weinens-… nach Zeit und Ort sehr verschieden und wechselnd“ 10 ist. 4 H. Windisch, 2 Kor , 82. 5 Zum Verhältnis von Emotionen und Personalität z. B. T. J. Reiss, Mirages sowie die Hinweise bei D. Konstan, „Gefühle“, 45f. Auch die Person des Paulus erschließt sich zumindest teilweise über ihre Emotionalität. 6 Zur Polemik in Phil 3 vgl. E.-M. Becker, „Polemik“. 7 Vgl. T. Fögen (Hg.), Tears ; vgl. auch: T. Fögen, „Tränen“. 8 Vgl. z. B. A. Corbeil, Nature ; D. Konstan, Emotions ; M. Graver, Stoicism ; A. Suter (Hg.), Lament ; D. Bormann/ F. Wittchow (Hg.), Emotionalität ; M. Harbsmeier/ S. Möckel (Hg.), Pathos ; T. Fögen (Hg.), Tears . - Zur Bearbeitung in der atl. Exegese vgl. A. Wagner. Emotionen . 9 So auch T. Fögen, „Tears and Crying“, bes. 5f. Vgl. zu dieser Diskussion auch: M. Harbsmeier/ S. Möckel, „Gefühle“; D. Constan, „Gefühle“, 27. 10 K. Meuli, „Weinen“, 357. 1. Die Texte (2 Kor 2,4; Phil 3,18; Apg 20,19.31) und Fragen 285 Ein Blick auf Philo von Alexandria, der wie kein anderer hellenistischjüdischer Zeitgenosse des Paulus um eine Synthese des Judentums mit der hellenistischen Welt bemüht ist, bestätigt diesen Eindruck. Denn Philo zeigt beispielhaft, wie ambivalent, ja widersprüchlich man dem Phänomen der Tränen im 1. Jh. begegnet ist: Wenn er in seiner Schrift In Flaccum mit dem „Strom der Tränen“ die Erregung seines Protagonisten Flaccus angesichts des Todes des Tiberius beschreibt (§ 9: -… τῶν δακρύων φορᾶς, ἃ καθάπερ ἀπὸ πηγῆς-…), so will er ihn damit gewissermaßen als Person desavouieren. Denn er zeigt dessen Mangel an der griechisch-römischen Tugend der enkrateia auf 11 . Philo deutet damit an, wie das Weinen als Gefühlsäußerung - anders als in der Welt der Patriarchen Israels 12 - mit Zurückhaltung gesehen und mit negativer Kritik belegt wird. Weinen geschieht am besten im Verborgenen (so auch: Ios 175; 200). Und doch spricht Philo dann positiv vom „Exkrement“ ( Opif 123; Leg All -1,13) der „Tränen“, wenn er sich auf das atl. Konzept der Reue beruft ( Deus -138 mit Zitat aus 3 Kön 17,18 LXX). Zudem kennt er wie Homer ( Il 6,484) die Tränen der Freude 13 . Wenn er daraufhin die „Tränen“ des Psalmisten (z. B. Ps 79/ 80,6; 51/ 52,4) - ein Motiv, das in den Psalmen vielfach begegnet (z. B. Ps 6,7 LXX: -… ἐκ δάκρυσίν μου-…) - als ebensolche Freudentränen ( Migr 157) 14 deutet, so knüpft Philo, wie Margaret Graver (2009) herausgearbeitet hat 15 , speziell mit dem Konzept der εὐπαθειῶν ἀρίστη χαρά an den stoischen Emotionen-Diskurs an, der besonders bei Seneca ( ep mor 99,18f.) ausgearbeitet wird (s. u. 3.). Philo nimmt also Teil an einem globalen mediterranen Tränen-Diskurs, in den hinein auch Paulus zu stellen ist. So verlangt das Motiv des weinenden Briefschreibers bei Paulus und - wie wir noch sehen - über Paulus hinaus (s. u. 2. und 3.) eine komplexe Betrachtung. Zunächst weiter zu Paulus selbst: Neben Phil 3,18 steht 2 Kor 2,4, der vermeintliche Hinweis auf den sog. „Tränenbrief“, der in der Forschung Anlass zu vielfältigen literarkritischen Hypothesen gibt, die auf die mögliche Identifizierung oder Rekonstruktion eines solchen Tränenbriefes zielen 16 . Dabei wird allerdings das Tränen-Motiv selbst nicht eigens als rhetorischer Topos oder als 11 So P. W. van der Horst, Philo’s Flaccus , 100, mit Verweis auf M. Niehoff, Philo , 134f. Vgl. auch Flacc § 157. 12 Bei den Auslegungen der Patriarchen-Erzählung beschreibt Philo mit den Tränen eher neutral die Gefühlsäußerungen der Handelnden: Abr 174; los 23; 175; 200; 238. 13 Zum Zusammenhang von Weinen und Lachen vgl. auch L. Rademacher, Weinen . 14 Hier werden die Tränen sogar als eine τροφὴ διανοίας bezeichnet. 15 Vgl. M. Graver, „Weeping Wise“, 247f.: „So it is reasonable to suppose that Philo's explanation for tears of joy is one he remembered from reading in Chrysippus or in some compilation or doxography that gave evidence of his views“. - Vgl. zu dieser Philo-Deutung auch D. Konstan, „Meleager’s Sweet Tears“, 314; M. Graver, „Philo“. 16 Zur Frage der Literarkritik vgl. die Übersicht bei E.-M. Becker, „Korintherbrief“. 286 XVI Die Tränen des Paulus (2 Kor 2,4; Phil 3,18): Emotion oder Topos? Hinweis auf die persönliche Verfasstheit des Paulus analysiert 17 . Was aber ist in 2 Kor 2,4 zu lesen, und wie ist das Tränen-Motiv zu deuten? Der Apostel erklärt, dass er, nachdem er in Korinth Beleidigungen erfahren hat, den Korinthern nun unter Tränen (… διὰ πολλῶν δακρύων) schreibt, damit sie seine Liebe zu ihnen erkennen mögen 18 : „Aus viel Anfechtung und Herzensangst nämlich schreibe ich euch unter vielen Tränen, nicht damit ihr betrübt sein sollt, sondern damit ihr die Liebe erkennt, die ich besonders zu euch habe.“ Das Motiv des unter Tränen schreibenden Apostels dient in 2 Kor 2 wie in Phil-3 im weitesten Sinne der Meta-Kommunikation : Paulus kommentiert in beiden Briefen seine gegenwärtige briefliche Kommunikation. Jedoch ist die Kommunikationssituation durchaus verschieden: In 2 Kor 2,4 stehen die Tränen des Paulus für seine „Anfechtung und Herzensangst“ (… ἐκ γάρ πολλῆς θλίψεως καὶ συνοχῆς καρδίας-…) - die Tränen bedeuten also Trauer und Angst. In Phil-3,18 ist das semantische Inventar durch Polemik bestimmt (… τοὺς ἐχθροὺς τοῦ σταυροῦ τοῦ Χριστοῦ) - Paulus weint hier aus Wut und Sorge 19 . Das Motiv des weinenden Briefschreibers (vgl. die Lexeme κλαίειν und δάκρυ, δάκρυον) 20 könnte also für verschiedene Emotionen des Paulus stehen und ist schon von daher keineswegs randständig. Es verdient vielmehr eine eigene Beachtung, weil es uns an die Person des Paulus heranführt. Die Forschung jedoch hat dem Tränen-Motiv offenbar bislang 21 diese Beachtung verwehrt, weil sie ihm keine „theologische“, höchstens eine literarkritische Bedeutung beigemessen hat 22 . 17 Vgl. etwa M. E. Thrall, Epistle , 170. 18 Es hängt in 2 Kor 2,4 wesentlich von der Interpretation des Aorists (ἔγραψα) ab, ob Paulus den gerade in Abfassung befindlichen Brief, also 2 Kor 2 (= epistolographischer Aorist), oder aber einen früheren Brief an die Gemeinde in Korinth vor Augen hat, vgl. dazu E.-M. Becker, Schreiben , 169ff. Ich meine, Paulus reflektiert sein gegenwärtiges Briefeschreiben an die Korinther und gibt den Adressaten damit Einblick in den aktuellen Prozess seines Briefeschreibens. 19 Weinen im Zusammenhang mit Demut wie in Jak 4,9f. begegnet nicht bei Paulus selbst (so angedeutet bei B. Müller, Weg , l00f.), sondern höchstens in der lukanischen Darstellung des Paulus in Apg 20,19, s.u. 20 Das Lexem πενθεῖν hingegen steht für Traurigkeit und Trauern (so auch 1 Kor 5,2; 2 Kor 12,21), was nicht notwendig mit „Weinen“ oder „Tränen“ verbunden ist. Πενθεῖν ist also von λυπεῖσθαι „kaum zu unterscheiden“, so R. Bultmann, Πένθος, 41. 21 Im ThWNT fehlt ein Artikel zu δάκρυον; die EWNT-Artikel zu δάκρυον und δακρύω sind nur knapp. Auch K. Berger, Psychologie ,158-60, stellt die Affekte des Paulus zwar dar, kommt aber nicht eigens auf die „Tränen“ zu sprechen. - Auch J. Reumann, Philippians , 566-568 kommentiert das Motiv des „Weinens“ nicht weiter. 22 So K. H. Rengstorf, „κλαίω“, 721. 1. Die Texte (2 Kor 2,4; Phil 3,18; Apg 20,19.31) und Fragen 287 Dabei erschließt uns das Tränen-Motiv nicht zuletzt deswegen wichtige Aspekte der Biographie und der Theologie des Paulus, als es über die Paulusbrief-Literatur hinaus auch in den Acta begegnet (vgl. Apg 20,19.31). Und hier ist das Tränen-Motiv weit mehr als ein bloßes Erzählelement. Denn während der auctor ad Theophilum in Lk 19,41 über den weinenden Jesus erzählt, ist es in Apg 20 Paulus selbst, der über seine Tränen spricht: Bei seiner Abschiedsrede an die Ältesten von Ephesus in Apg 20,17-38 weiß Paulus bereits, dass ihm in Jerusalem „Fesseln und Bedrängnis“ drohen (Apg 20,22). So berichtet er in einem autobiographischen Rückblick über seinen früheren Einsatz in der Provinz Asien (Apg 20,19): Schon hier hatte er mit Tränen und Versuchungen zu kämpfen (… δουλεύων τῷ κυρίῳ μετὰ πάσης ταπεινοφροσύνης καὶ δακρύων καὶ πειρασμῶν-…): „Ich habe dem Herrn gedient mit aller Demut und mit Tränen und Versuchungen, die über mich gekommen sind durch die Anschläge der Juden-…“ Einige Verse später, in Apg 20,31, kommt Paulus erneut auf seine im apostolischen Dienst vergossenen Tränen zu sprechen - nun aber weniger im Zusammenhang eines autobiographischen Rückblicks als vielmehr mit paränetischer Absicht (… μετὰ δακρύων νουθετῶν ἕνα ἕκαστον): „Darum wacht und erinnert euch (daran), dass ich drei Jahre Tag und Nacht nicht aufgehört habe, einen jeden Einzelnen mit Tränen zu ermahnen.“ Lukas verwendet das Tränen-Motiv also nicht narrativ, sondern im Zusammenhang mit seiner Reden-Komposition: Er legt es Paulus selbst in den Mund. Obwohl wir nicht wissen können, ob Lukas die Paulusbriefe gekannt und seiner Paulusdarstellung zugrunde gelegt hat, deutet die Inszenierung des Tränen-Motivs im Zusammenhang des Reden-Konzepts doch darauf hin, dass Lukas einzelne biographische Aspekte, die aus den Paulusbriefen bekannt sind, literarisch aufgegriffen und selbständig verarbeitet hat. Festzuhalten bleibt, dass das Tränen-Motiv in Verbindung mit Paulus in zwei literarischen genres , nämlich im Brief und in der Geschichtsschreibung, begegnet: In den Paulusbriefen dient es der brieflichen Meta-Kommunikation. Im historiographischen Zusammenhang der lukanischen Paulusdarstellung dient es der biographischen Konturierung der Person des Paulus, d. h. der Prosopographie 23 . So wird über „Tränen“ in unterschiedlichen literarischen genres mit verschiedener Intention gesprochen. Darüber hinaus stellt sich die Inszenierung des Tränen-Motivs auch innerhalb eines genres , so nämlich in den Werken der 23 Zur Frage der Gattung der Apostelgeschichte und ihrer biographischen Funktion vgl. zuletzt z. B. D. Dormeyer, „Gattung“, bes. 461-470. 288 XVI Die Tränen des Paulus (2 Kor 2,4; Phil 3,18): Emotion oder Topos? griechisch-römischen Historiographie besonders vielfältig dar: Donald Lateiner und Loretana de Libero (2009) etwa decken auf, wie die literarische Inszenierung des Weinens sogar an den jeweiligen Typus der Geschichtsschreibung gebunden ist 24 So muss die antike Tränen-Kultur nicht nur kultur-, sondern auch literaturgeschichtlich differenziert erschlossen werden. Da dieser Beitrag in erster Linie auf die Deutung von 2 Kor 2,4 und Phil 3,18, d. h. auf die epistolographische Verwendung des Tränen-Motivs, zielt, werde ich im Folgenden in den Blick nehmen, wie das Phänomen der Tränen in der antiken Brief-Literatur begegnet und wie es hier bewertet wird 25 . 2. „Unter Tränen schreiben“ - Cicero, Fam XIV; Quint fratr I; Att IX-XV als Beispiele Dass Briefe in der antiken Alltagskultur unter Tränen verfasst worden sind, ist durch verschiedene Papyrusbelege dokumentiert, die vom 3. Jh. v. bis zum 2. Jh. n. Chr. reichen 26 . Ein prominentes Beispiel ist jener Papyrusbrief, der wohl im Jahre 14-13 v. Chr. in Alexandria abgefasst wurde (BGU IV,1141) 27 : Hierin wendet sich ein nicht genannter Freigelassener an seinen Patron und beklagt sich über schlechte Behandlung, die ihm widerfahren ist. Der Absender würde dem Adressaten gerne „mit Tränen schreiben“ (Z. 27f.: -… ἠ ἦν δάκρυα σοὶ γράφειν γεγραφήκειν ἂν ἀπὸ τῶν δακρύων- …) 28 . Er deutet zudem an, dass dem Brief schon frühere Briefe - ebenso im Affekt geschrieben (Z. 11: - … ἐπὶ θυμῶι- …) - vorausgegangen sind. Peter Arzt-Grabner und Ruth E. Kritzer meinen, dass das Tränen-Motiv hier demjenigen in 2 Kor 2,4 insofern vergleichbar sei, als „der Betroffene in einer äußerst misslichen, bedrängten oder bedrückten Lage steckt“ 29 . Die Tränen sind also als realer Hinweis auf die äußere oder innere Situation des Absenders zu lesen. Diese und andere Belege aus dem Bereich der antiken Alltagskultur dokumentieren, dass Briefschreiber ihren Lesern selbstverständlich ihre Emotionen mitgeteilt oder auf die emotionale Situation der Adressaten Bezug genommen 24 Vgl. T. Lateiner, „Tears“, und L. de Libero, „Precibus“. 25 Hierbei sind besonders die Beiträge von T. Fögen, „Tears in Propertius“, und M. Graver, „Weeping Wise“, von Bedeutung. 26 P. Arzt-Grabner/ R. E. Kritzer, Korinther , weisen auf folgende Papyri hin: P. Petr. II,l (3. Jh. v. Chr.); BGU IV,1141 (ca.14-13 v. Chr., s. u.); P. Mil. Yogi. I,24,20-21 (117 n. Chr.). - Ich danke Peter Arzt-Grabner (Salzburg) dafür, dass er mir vorab die Belege zur Kommentierung von 2 Kor 2,4 für PKNT zur Verfügung gestellt hat. 27 Vgl. dazu auch B. Olsson, Papyrusbriefe , 44ff.: Nr. 9. 28 Übersetzung nach: P. Arzt-Grabner/ R. E. Kritzer, Korinther. 29 P. Arzt-Grabner/ R. E. Kritzer, Korinther. 2. „Unter Tränen schreiben“ - Cicero, Fam XIV; Quint fratr I ; Att IX-XV als Beispiele 289 haben. Dabei findet das Tränen-Motiv vielfältige Verwendung 30 . Wie aber wird das Tränen-Motiv in jenen Briefen verwendet, die der literarischen Brief-Kultur zuzuweisen sind, weil sie - anders als die genannten Papyrusbriefe - entweder rhetorisch stärker ausgestaltet und/ oder editorisch bearbeitet, d. h. kopiert, gesammelt und publiziert wurden? Um diese Frage zu bearbeiten, bietet sich ein Blick auf die ciceronische Korrespondenz an. Denn die Briefe Ciceros stellen nicht nur eine der umfangreichsten antiken Briefsammlungen überhaupt dar, sondern sie sind auch mit einer derjenigen antiken Personen verbunden, die uns am besten bekannt sind 31 . Da Cicero aber - anders als Plinius d.J. ( ep 1,1) - die Veröffentlichung seiner Briefe nicht selbst plant 32 , können wir in seinen Briefen vergleichsweise gut lesen, wann und wo der Briefschreiber ungeschützt persönliche Emotionen mitteilt, d. h. sich seinen Adressaten tatsächlich als Person zu erkennen gibt. Und tatsächlich weist die Untersuchung des Tränen-Motivs in der ciceronischen Korrespondenz kaum Unterschiede dazu auf, wie die „Tränen“ in der durch die Papyrusbriefe dokumentierten epistolographischen Alltagskultur inszeniert sind, weil auch die Briefe Ciceros wirkliche, keine fiktiven Briefe sind. So begegnet das Tränen-Motiv hier in zahlreichen Zusammenhängen - gemessen an der Anzahl der uns erhaltenen Briefe übrigens häufiger als in den Plinius-Briefen, aber nicht deutlich häufiger als in den Paulusbriefen. Besonders oft spricht Cicero von seinen Tränen im 14. Buch seiner Epistulae ad familiares , d. h. in jenen Briefen, die aus seiner Zeit im Exil (58/ 57 v. Chr.) an seine Frau Terentia und an seine Familie gerichtet sind. Was ist hier zu lesen? Cicero beklagt, dass er Weiteres nicht mehr schreiben kann - so groß sei die Gewalt seiner Tränen, und er möchte die Adressatin ja nicht zu bitterem Weinen verleiten (XIV,1,5: Non queo reliqua scribere tanta vis lacrimarum est, neque te in eundem filtum adducam ). Sogar innerhalb eines Briefes sieht sich Cicero so von seiner Trauer überwältigt, dass er nicht mehr weiter schreiben kann (XIV,4,3: Non queo plura iam scribere; impedit maeror ). Im zweiten Brief der Sammlung gesteht er ein, dass er an seine Frau und an seine Tochter Tullia nicht ohne viele Tränen schreiben könne (XIV,2,1: Ad te vero et ad nostram Tulliolam non queo sine plurimis lacrimis scribere ). Denn die briefliche Kommunikation führt Absender und Adressat so eng zusammen, dass 30 Kreinecker weist in ihrem Beitrag „Emotions“ des Weiteren auf folgende Papyri hin, in denen das Tränen-Motiv begegnet: P. Mich. VIII,465 (108 n.Chr.? ); SB XIV,11646 (1./ 2.Jh. n. Chr.); P. Oxy. I,115 (2. Jh. n. Chr.). 31 So schon E. Norden, Literatur , 39: „Cicero ist uns von allen Menschen des Altertums am genauesten bekannt-…“. 32 Zur Frage nach dem Vorgang der Veröffentlichung der Cicero-Briefe vgl. schon H. Peter, Brief , 35f.50f.78ff. 290 XVI Die Tränen des Paulus (2 Kor 2,4; Phil 3,18): Emotion oder Topos? sie die Sehnsucht nach der anderen Person umso deutlicher hervortreten lässt: „Leb wohl meine Terentia, weil ich (dich) zu sehen scheine, daher werde ich durch Tränen entmutigt“ (XIV,3,5: Vale, mea Terentia, quam ego videre videor, itaque debelitor lacrimis ). Hier begegnet das sog. παρουσία-Motiv, für das Cicero, wie Klaus Thraede (1968) betont hat, in der Geschichte der antiken Briefliteratur der „älteste Zeuge“ ist: Dieses Motiv wird entweder als ein ὡς παρών/ quasi adesse oder - wie in dem gerade genannten Beispiel - „als (fiktives) wirkliches Sehen“ gefasst 33 . Auch beim Empfang und bei der Lektüre von Briefen Anderer hat Cicero Tränen vergossen (XIV,3,1: Accepi ab Aristocrito tres epistulas, quas ego lacrimis prope delevi ). Er beschreibt, wie elendig sein Leben ist, so dass er - egal ob er einen Brief von seiner Familie liest oder an seine Familie schreibt - so sehr durch Tränen niedergeschlagen ist, dass er es nicht ertragen kann (XIV,4,1: - … quod cum omnia mihi tempora sunt misera, tum vero, cum aut scribo ad vos aut vestras lego, conficior lacrimis sic, ut ferre non possim ). In diesen epistulae ad familiares verleiht Cicero also in erster Linie seiner Trauer über die räumliche Distanz zu seiner Familie Ausdruck. Die Tränen sind ein sichtbares Zeichen dieser Trauer und der ihr zugrundeliegenden Sehnsucht. Indem Cicero das Tränen-Motiv verwendet, teilt er seinen Schmerz mit den Adressaten des Briefes. Noch persönlicher sind jene Briefe, die Cicero während seines Exils an seinen Bruder Quintus geschrieben hat (I,3f.): Cicero erklärt sein Versäumnis, seine Boten mit einem Brief an seinen Bruder geschickt zu haben, mit einer „unbegrenzten Gewalt an Tränen und Schmerzen“ (I,3,2: -… infinita vis lacrimarum et dolorum ). Auch beim Schreiben dieser Zeilen - so fährt er fort - muss er weinen, wissend, dass auch sein Bruder beim Lesen des Briefes weinen wird (I,3,3: Haec ipsa me quo fletu putas scripsisse? Eodem quo te legere certe scio ). Denn, so gesteht Cicero ein, es sei ihm weder möglich, nicht an den Bruder zu denken, noch, ohne Tränen an ihn zu denken (I,3,3: An ego possum aut non cogitare aliquando de te aut umquam sine lacrimis cogitare ). Am Ende desselben Briefes schließt Cicero mit den emphatischen Worten: „So sehr die Tränen nicht erlauben, dass ich Übriges mehr schreibe - so mögen mir Rettung und Möglichkeit gegeben werden, im Vaterland zu sterben! “ (I,3,10: Reliqua ita mihi salus aliqua detur potestasque in patria moriendi ut me lacrimae non sinunt scribere ). Im folgenden Brief deutet Cicero sogar an, dass es die Tränen seiner Angehörigen und Freunde waren, die ihn vom Selbstmord - dem besten Mittel, seine Ehre zu retten und sich Schmerzen zu ersparen - abgehalten hätten (I,4,4: lac- 33 Vgl. K. Thraede, Einheit , 16f. (Zitat S. 17). Welche Rolle dabei speziell dem Tränen-Motiv als Ausdruck von Emotionalität zukommt, bleibt indes in Thraedes einflussreicher Studie weithin unberücksichtigt. 2. „Unter Tränen schreiben“ - Cicero, Fam XIV; Quint fratr I ; Att IX-XV als Beispiele 291 rimae meorum me ad mortem ire prohibuerunt, quod certe et ad honestatem tuendam et ad effugiendos intolerabilis dolores fuit aptissimum ). Ein ähnliches Motiv klingt übrigens in Phil 1,22-24 an, wenn Paulus den Verzicht, in seiner Haft zu sterben und seiner Christus-Sehnsucht nachzugeben, mit seiner Verantwortung für die Gemeinde in Philippi begründet. Das ciceronische Tränen-Motiv ist also in den Briefen, die zeitnah und allesamt im Exil geschrieben wurden, keineswegs konsistent. Teils hindern den Cicero die Tränen am Briefeschreiben, teils leiten sie ihn. Teils will er Tränen bei der Lektüre der Briefe verhindern, teils wird der Austausch von Tränen überlebenswichtig, weil er Trost spendet und räumliche Distanz überwindet. Allerdings findet sich das Tränen-Motiv nicht allein in den genannten Exilsbriefen, sondern auch in einigen der etwa zehn Jahre später an den Freund Atticus (49-44 v. Chr.) adressierten Briefe. Diesen Briefen kommt insofern eine besondere Bedeutung bei, als schon Hermann Peter (1901) in ihnen den wahrsten und unmittelbarsten Ausdruck der „Individualität“ des Cicero erkennen wollte 34 . Cicero schreibt hier von äußeren Ereignissen, aufgrund derer er weder denken noch schreiben kann (IX,12: Non medius fidius prae lacrimis possum reliqua nec cogitare nec scribere), oder von Unrecht ( iniuriae ), das ihm widerfuhr und über das zu schreiben, ihm wegen Schmerz und Tränen nicht möglich ist (XI,2: -… de quibus ad te dolore et lacrimis scribere prohibeor ). Auch in diesen Briefen sind die Tränen mit Freundschaft, Nähe und Abschied verknüpft: So löst die Lektüre von freundschaftlich geschriebenen Briefen bei Cicero Tränen aus (XII,13: Bruti litterae scriptae et prudenter et amice multas mihi tamen lacrimas attulerunt ). Schließlich stimmt es Cicero traurig, dass der Freund Atticus beim Abschied geweint hat (XV,27: Te, ut a me discesseris, lacrimasse moleste ferebam ). Auch in den epistulae ad Atticum stehen die Tränen für durchaus verschiedene Emotionen 35 : teils für Wut, Enttäuschung und Zorn, teils für Abschiedsschmerz und Sehnsucht. Ein qualitativer Unterschied zur Verwendung des Tränen-Motivs in den vorher genannten Briefsammlungen Ciceros wird nicht erkennbar. Das Tränen-Motiv erweist sich also geradezu als ein Grundelement ciceronischer Epistolographie, das in großer Variation begegnet. Es steht für vielfältige Emotionen des Briefschreibers, die er seinen Adressaten mitzuteilen sucht. Mit dem Tränen-Motiv wird gleichsam die emotionale Verfasstheit des Briefschreibers visualisiert. So steht das Tränen-Motiv für die emotionale Authentizität des Verfassers, der sich seinen Adressaten ungeschützt öffnet. Plinius d.J. hingegen ist zwar durch das ciceronische Briefeschreiben geprägt, bleibt aber offenbar deswegen weitaus zurückhaltender im Blick auf die Mitteilung seiner emotio- 34 H. Peter, Brief , 7. 35 Vgl. dazu insgesamt auch D. Konstan, „Concept“. 292 XVI Die Tränen des Paulus (2 Kor 2,4; Phil 3,18): Emotion oder Topos? nalen Verfasstheit, weil er selbst seine Briefsammlung zur späteren Publikation vorsieht ( ep 1,1). In 5,21,6 und 8,23,8 verwendet Plinius zwar das den Cicero-Briefen ähnliche Tränen-Motiv, drückt hier aber vor allem konkrete Trauer angesichts von Todesnachrichten aus und gibt darüber hinaus kaum Einblick in seine Emotionalität 36 . Der Briefschreiber Cicero hingegen nutzt mit dem Tränen-Motiv in produktiver Weise ein epistolographisches Wesensmerkmal 37 : Der Brief ersetzt den mündlichen Dialog (Cicero, Fam XIl,30,1) und mach den Freund präsent (z. B. Cicero, Fam Il,4,1; Seneca, ep mor 75,1). Als Hälfte eines Dialogs (Demetrius, Eloc 223) spiegelt der Brief die Person des Absenders wider 38 : So formuliert Cicero, wie er beim Lesen eines Briefes die Person des Absenders gleichsam als Ganze gesehen hat: Te totum in litteris vidi ( Fam XVl,16,2). Die Funktion des Briefes liegt also wesentlich in der Repräsentation der Person. Gleichzeitig gewinnt die Form des Briefes „mit dem steigenden Interesse für das Persönliche“ an Bedeutung 39 . Das Tränen-Motiv dient dieser epistolographischen Grundfunktion in doppelter Hinsicht: Erstens offenbart bzw. vergegenwärtigt es den Charakter bzw. das ἦθος 40 einer Person beim Leser des Briefes. Diese Vergegenwärtigung dient der brieflichen παρουσία. So vermitteln Ciceros private Briefe „kein ideologisch verklärtes Bild ihres Verfassers, sondern lassen den Leser Freud und Leid des Schreibers unmittelbar mitempfinden“ 41 . Zweitens : Auch bei der brieflichen Kommunikation ist speziell der Ton der Rede in seiner Wirkung auf die Adressaten darauf zu richten, dass ein wirkliches Bild vom Charakter des Sprechenden entstehen kann (vgl. Cicero, De or 2,184: -… ut quasi mores oratoris effingat oratio ). Hier wirken Brieftheorie und Rhetorik zusammen 42 . Die Artikulation von Gefühlen wie Schmerz, Trauer und Wut fungiert also auch als πάθος (vgl. Aristoteles, rhet 2,1378aff.) 43 , das beim Adressaten entsprechende Affekte wie z. B. Mitleid entstehen lässt (so schon Aristoteles, rhet 2,1385b; vgl. aber auch Plinius, ep 2,11,3; 5,13,3) 44 . Mitleid empfindet man am ehesten mit Personen, die 36 V,21,6: Finem epistulae faciam, ut facere passim etiam lacrimis quas epistula expressit . VIIl,23,8: Accedit lacrimis meis, quod absens et impendentis mali nescius-… Zum Zusammenhang von Tränen und Trauer vgl. auch III,16,5f. 37 Vgl. insgesamt: A. J. Malherbe, Theorists . 38 Zu diesen Belegen vgl. noch einmal A. J. Malherbe, Theorists , bes. 12f. 39 M. von Albrecht, Geschichte , 409. 40 Zum ἦθος in der Rhetorik vgl. R. D. Anderson, Glossary , 61-63. 41 M. von Albrecht, Geschichte , 412. 42 Vgl. dazu auch M. M. Mitchell, „Rhetorik“. 43 Zum πάθος in der Rhetorik vgl. noch einmal R. D. Anderson, Glossary , 61-63. 44 Zum aristotelischen Begriff des „Mitleids“ vgl. U. Rombach/ P. Seiler, „Eleos“, 253. Vgl. dazu auch R. Bultmann, „ἔλεος“, 474: „ἔλεος ist im Griechischen ein πάθος, nämlich der Affekt der Rührung-…“. 2. „Unter Tränen schreiben“ - Cicero, Fam XIV; Quint fratr I ; Att IX-XV als Beispiele 293 in Bezug auf „Alter, Herkunft, Ansehen, Charakter oder seelische Verfassung ähnlich sind“ 45 . In De oratore lehrt Cicero geradezu, wie beim Reden Zorn und Schmerz gefühlt und wie geweint werden soll, so dass beim Zuhörer seinerseits Gefühle wie Mitleid evoziert werden ( De or 2,196: - … ut in dicendo irasci, ut dolere, ut flere possitis ; vgl. auch 2,190.193) 46 . Auch Philo demonstriert, wie Tränen und die Emotionalität eines Redners bei den Zuhörern entsprechende Reaktionen hervorrufen ( Legat 243). Im Kontext des Briefeschreibens hat die Erzeugung von Mitleid durch die Artikulation von Emotionen aber nicht allein eine rhetorische Funktion 47 . Ebenso wenig hilft uns ein rhetorischer Blick allein auf das Tränen-Motiv, seine epistolographische Funktion zu erschließen. Denn in der Rhetorik „wird die Verbindung zwischen dem Sprechenden und dem, was er sagt, aufgelöst, aber die Rhetorik stellt eine zwingende Verbindung zwischen dem Gesagten und dem oder denen her, an die sich das Gesagte richtet“ 48 . Eine solche rhetorische Betrachtung des Tränen-Motivs greift deswegen zu kurz, weil sie es auf seine Wirkung auf den Adressaten reduziert und nicht seine konstitutive Verbindung zum Briefschreiber berücksichtigt. Epistolographie aber ist mehr als Rhetorik: Epistolographisch betrachtet, dient die Artikulation von Emotionen nämlich dazu, die gefühlte Nähe zwischen Absender und Adressat zu maximieren und Parousie herzustellen. Die Tränen visualisieren gleichsam den Absender beim Briefadressaten, so wie auch z. B. ein Autograph eine visualisierende Funktion hat (vgl. z. B. Gal 6,11). Beim Tränen-Motiv wirken Emotionalität und Rhetorik zusammen. Zwar stehen die Tränen für verschiedene Gefühle, sie sind aber zugleich die einzig sichtbare, nach außen gerichtete Visualisierung von Emotionalität, die entsprechende Affekte beim Zuhörer oder Briefrezipienten bewirken kann. Sie haben damit eine zentrale epistolographische Funktion. Die Artikulation und Visualisierung von Emotionalität ist indes nur in Privatbriefen ( litterae priva- 45 U. Rombach/ P. Seiler, „Eleos“, 253. 46 Augustinus nimmt den ciceronischen Mitleids-Begriff positiv auf ( Civ 9,5) und grenzt damit Cicero von der Stoa und deren Rigorismus ab: Vgl. dazu U. Rombach/ P. Seiler, „Eleos“, 258f. Bei Thomas von Aquin wird das Mitleid dann sogar zu einer Tugend, U. Rombach/ P. Seiler, „Eleos“, 264. Zur stoischen Apathie vgl. auch H. Landweer/ C. Newmark, „Seelenruhe“, 8385. Zur Kritik an der stoischen Apathie vgl. z. B. auch Plutarch, Virt mor 449a - dazu M. Graver, „Weeping Wise“, 241f. 47 D. Konstan, „Gefühle“, 32, betont, dass Aristoteles zwei Kriterien kennt, anhand derer er eine Emotion definiert: „(1) Es beeinflußt oder verändert das Urteil bzw. die Urteilsgabe der betreffenden Person, und (2) es ist von Schmerz und Freude begleitet“. Emotionalität kann also nicht auf ihren rhetorischen Aspekt beschränkt werden. 48 So zutreffend M. Foucault, Mut , 30. 294 XVI Die Tränen des Paulus (2 Kor 2,4; Phil 3,18): Emotion oder Topos? tae ) 49 nicht in offiziellen Briefen möglich, die Cicero ja als litterae publicae bezeichnet ( Flac 37). Cicero selbst spricht auch vom Typus des Briefes, der auf Gefühle eingeht, und unterscheidet dabei das genus familiare et iocosum und das genus severum et grave 50 . Folgen wir der weitaus differenzierteren epistolographischen Typenlehre des Ps.-Demetrius, so könnte das Tränen-Motiv nicht nur im Freundschaftsbrief (φιλικός), sondern auch im Trostbrief (παραμυθητικός) sowie im anklagenden (κατηγορικός) oder im ironischen (εἰρωνικός) Brief Verwendung finden 51 . Zusammenfassend können wir in den drei genannten ciceronischen Briefsammlungen beobachten, wie das Tränen-Motiv ein visualisierter Ausdruck von Emotionen ist und, sofern es Affekte beim Leser auszulösen sucht, als ein rhetorisches Element eingesetzt wird. Es ist diese Synergie von Emotionalität und Rhetorik, die letztlich dazu führt, dass der „unermüdliche Briefschreiber“ 52 Cicero mit dem Tränen-Motiv gleichsam ein literarisches Motiv generiert. Spätestens Francesco Petrarca erkennt das Tränen-Motiv als ein solches literarisches Motiv, wenn er es in den an Cicero gerichteten Epistolae familiares stilgerecht wiedergibt (XXIV,4,16; XXIV,3,1) 53 . Wenn Cicero indes das Tränen-Motiv als literarisches Motiv generiert, so findet diese Generierung nicht intentional, sondern eher zufällig statt: Sie geschieht dann, wenn es ihm bei seinem Briefeschreiben darum geht, seine Person möglichst wirkungs- und eindrucksvoll offenzulegen und damit seine Gegenwart bei den Adressaten des Briefes gleichsam sichtbar und spürbar werden zu lassen. Wenn der Brieftheoretiker Demetrius, Eloc behauptet, ein jeder schreibe den Brief als „Abbild seiner eigenen Seele“ (227: -σχεδὸν γὰρ εἰκόνα ἕκαστος τῆς ἑαυτοῦ ψυχῆς γράφει τὴν ἐπιστολὴν), so ist diese Behauptung besonders im Blick auf Cicero zutreffend, der in seinen Briefen ja den Zauber seiner Persönlichkeit ebenso gegenwärtig werden lässt „wie ihre arglos enthüllten Schwächen“ 54 . 49 In den zur Publikation vorgesehenen Privatbriefen des Plinius ( ep 1-9) ist die Artikulation von Emotionalität allerdings nur eingeschränkt möglich. 50 Vgl. M. von Albrecht, Geschichte , 412, mit Hinweis auf Fam II,4,1f.; IV,13,1; VI,10,4. 51 Text mit engl. Übersetzung bei: A. J. Malherbe, Theorists , 30-41. 52 So K. Büchner, „Cicero“, 1185. 53 XXIV,3,1: -… non sine lacimis (sic! ) fundit ; XXIV,4,16: -… excident tibi lacrime-… Vgl. F. Petrarca, Epistolae , 52 und 68. 54 C. Becker, „Cicero“, 88. 3. Die Tränen des Paulus - Zur Synergie von Emotionalität und Rhetorik 295 3. Die Tränen des Paulus - Zur Synergie von Emotionalität und Rhetorik Mit den sog . Epistulae morales des Seneca, auf die unser Blick abschließend kurz gerichtet sein soll, liegt uns eine weitere bedeutende Briefsammlung der Antike vor, die zum Tränen-Diskurs beiträgt und damit das paulinische Tränen-Motiv beleuchtet. Es handelt sich bei den Briefen Senecas aber im Unterschied zu den ciceronischen Briefen um fiktive Briefe. Und im Unterschied zu anderen literarisch-fiktiven Briefformen, die Teil des antiken Tränen-Diskurses sind - so etwa den der Elegie verwandten Briefen des Alciphron (2. Jh. n. Chr.) 55 - spiegeln die Briefe Senecas die philosophische, besser die stoische Sicht auf die antike Tränen-Kultur wider, wie sie zwischenzeitlich auch bei Philo angeklungen war (s. o. 1.). In diesen Briefen übt Seneca mehrfach Kritik an Tränen und dem Ausdruck von Schmerz: Gefühle sind zu beherrschen und Tränen herunterzuschlucken ( ep mor 49,1; 63,1). Denn in Wahrheit rühren Klagen und Weinen daher, dass wir durch die Tränen Beweise suchen für unsere Sehnsucht: Wir prahlen mit der Trauer und zeigen sie ( ep mor 63,2). Der Weise hingegen gebietet seinen Tränen Einhalt ( ep mor 116,4). Besonders im 99. Brief der Sammlung, der gegen den Epikureer Metrodorus gerichtet (vgl. schon ep mor 98,9) 56 und eine Art consolatio im Blick auf den Tod eines Kindes ist, erläutert Seneca, wie die Philosophie lehrt, die Trauer mit „tapferer Haltung“ (99,14: animo forti ) zu üben (vgl. auch 98,17). Seneca kritisiert hier besonders die (öffentliche) Zurschaustellung des Schmerzes (99,16: -… ostentatio doloris ), wohl wissend, dass Tränen der Trauer auch gegen den eigenen Willen herausgestoßen werden können (99,19: Hae lacrimae per elisionem cadunt nolentibus nobis ). Seneca kann sogar auch von der „Schönheit des Schmerzes“ sprechen (99,21: -… dolendi decor-… ) und kennt die Lehre von den Propatheiai, d. h. den emotionalen Bewegungen, „die unwillkürlich mit Wahrnehmungen einhergehen“ 57 . Es ist indes anzustreben, dass Tränen in solcher Mäßigung fließen, dass sie weder Menschlichkeit noch Würde vermissen lassen und so dem Ansehen des Weisen nicht schaden (99,20: -… saepe salva sapientis auctoritate fluxerunt tanto temperamento ut illis nec humanitas nec dignitas deesset ). Auch Cicero gesteht außerhalb seiner Briefe kaum Tränen und Schmerz ein, sondern äußert sich über das „Wesen des Kummers“ kritisch: Unter Verweis auf die stoische Lehre typologisiert er den „Kummer“ nicht nur, sondern sieht es 55 Vgl. dazu P. A. Rosenmeyer, Fictions . Vgl. dazu auch T. Fögen, „Crying“, bes. 198ff. 56 M. Graver, „Weeping Wise“, 248ff. 57 H. Landweer/ C. Newmark, „Seelenruhe“, 85. 296 XVI Die Tränen des Paulus (2 Kor 2,4; Phil 3,18): Emotion oder Topos? geradezu als Aufgabe der Philosophie an, die „Wurzelfasern des Kummers auszureißen“ ( fibrae stirpium aegritudinis , Tusc 3,83f.). So besteht in Hinsicht auf die Bewertung von Tränen eine Diskrepanz zwischen dem Briefschreiber Cicero, der ähnlich der in den Papyrusbriefen dokumentierten Alltagskultur seine Emotionalität thematisiert, und dem Philosophen Cicero, der in deutlicher Nähe zur Stoa um eine philosophische Überwindung von Trauer und Kummer bemüht ist. Die Wahrnehmung dieser Diskrepanz erschließt uns Wesen und Funktion des antiken Briefeschreibens umso deutlicher. Der Brief ermöglicht wie sonst kein anderes literarisches Medium der Antike die Artikulation von Emotionalität, und d. h. die Offenbarung der Person des Absenders bei seinen Adressaten. Diese Einsicht in das Wesen des antiken Briefes führt uns schließlich wieder an unsere Ausgangfrage heran: Ist das paulinische Tränen-Motiv Ausdruck einer Emotion oder ein rhetorischer Topos? Wenn Paulus in 2 Kor 2 und Phil 3 das Tränen-Motiv aufgreift, so steht er - wohl unbewusst - in der Tradition ciceronischen Briefeschreibens. Und hier synergieren Emotionalität und Rhetorik im Dienste der epistolographischen Parousie. Paulus schreibt zwar keine litterae privatae , und doch betrachtet er seine Adressaten in beiden Briefen offenbar auch als Freunde, bei denen er anwesend sein möchte: Er sucht, räumliche Distanz zu überwinden, um die Adressaten als Anwesender entweder angesichts von Betrübnis zu trösten (2 Kor 2) oder auch zu ermahnen (Phil 3). Man könnte hier - in Anlehnung an die „mentale Simulationstheorie“ in der Psychiatrie - von einer „epistolographischen Empathie“ des Paulus sprechen. 58 Denn mit dem Tränen-Motiv bringt Paulus zum einen seine Emotionalität zum Ausdruck und offenbart sich dadurch bei seinen Lesern als Person : In 2 Kor 2 artikuliert er Trauer und Schmerz, in Phil 3 dagegen Wut und Schmerz. Vor diesem Hintergrund muss auch noch einmal neu diskutiert werden, ob 2 Kor 2,4 tatsächlich als Hinweis auf einen sog. Tränenbrief zu lesen ist oder ob hier schlicht ein Tränen-Motiv vorliegt, mit dem Paulus - ähnlich Cicero - im Zuge des Briefeschreibens Emotionalität artikuliert. Zum anderen setzt Paulus das Tränen-Motiv als rhetorisches Mittel ein: Die Tränen des Paulus sollen bei seinen Adressaten entsprechende Emotionen evozieren, damit diese seine apostolische Parousie gleichsam emotional spüren und nachempfinden können. Gerade im Tränen-Motiv zeigt sich, dass der Brief - wie sonst kein schriftliches Werk - das ἦθος des Schreibers evident werden lässt (… ἰδεῖν τὸ ἦθος τοῦ γράφοντος-…), wie der Brieftheoretiker Demetrius festgestellt hat ( Eloc 227). Emotionalität und Rhetorik sind also keine einander ausschließende Gegensätze, sondern vielmehr die synergierenden Modi, durch die sich der Briefschreiber Paulus bei seinen Adressaten als Person artikulieren 58 Vgl. dazu W. Aichhorn/ H. Kronberger, „Nature“. Bibliographie 297 und visualisieren kann. So gesehen werden die Emotionen zu einem Teil der brieflichen Schreibstrategie. Oder - um mit Hans Blumenberg zu sprechen: „… Die Emotion ist die energetische Seite der Intentionalität, so wie-… das Gefühl die Handlung über alle ihre Zwischenstufen hinwegführt-…“ 59 . Bibliographie W. Aichhorn/ H. Kronberger, „The Nature of Emotions“, in: Emotions from Ben Sira to Paul (hg. R. Egger-Wenzel/ J. Corley; DCLY 2011; Berlin/ New York: de Gruyter, 2012), 515-526. 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Die epistolare Selbstbezeichnung als Argument“, in: Autoren in religiösen literarischen Texten der späthelle- 60 Allen hier genannten Verlagen sei herzlich für die freundliche Erteilung der Wiederabdruckgenehmigungen gedankt. 302 Verzeichnis der ursprünglichen Titel und Orte der Erstveröffentlichungen nistischen und der frühkaiserzeitlichen Welt. Zwölf Fallstudien (hg. E.-M. Becker/ J. Rüpke; CRPG 3; Tübingen: Mohr Siebeck, 2018), 105-120. XIII. „Die Person als Paradigma politisch-ethischen Handelns: Kriton 50a und Phil 1,23f. im Vergleich“, in: Paulus - Werk und Wirkung. FS A. Lindemann (hg. P.-G. Klumbies et al.; Tübingen: Mohr Siebeck, 2013), 129-148. XIV. „Mimetische Ethik im Philipperbrief. Zu Form und Funktion paulinischer exempla “, in: Metapher - Narratio - Mimesis. Begründungsformen frühchristlicher und antiker Ethik (hg. F. W. Horn et al.; WUNT 356; Tübingen: Mohr Siebeck, 2016), 219-234. 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Indices Stellen (in Auswahl) a) AT/ LXX und verwandte Texte Gen 27,1ff. 27 39 51 49 27 Ex3,5 50 4,10 214 5,9 55 11,7 274 Dtn28,58 195 1 Kön 3,9 213 Prov 17,12 55 Ps2 214 6,7 285 12,3 55 37,19 55 39,18 55 51/ 52,4 285 54,23 55 79/ 80,6 285 99,3 195 126,2 55 Jes42-53 214, 215 42ff. 208 42,1-4 193 42,1-9 214 45,23 195, 215 48,16-49,12 214 48,20 213 49,1 208, 214 49,1-6 193, 214, 221 49,1ff. 208, 214 49,3 214 49,3ff. 213 49,4 208, 214 49,8 214 50,2-51,16 214 50,4-9 193 50,8 214 51,1 214 51,5 214 51,8 214 52,13-53 193 52,13-53,12 214 52,15 214 53 193, 214, 220 53,11 193 Jer1,6 214 2 Makk 8,15 195 9,12 194 4 Makk 17,17-19 230, 258 18,3 230, 258 b) Neues Testament Mt11,2 51 23,12 195 27,27 269 Mk1,1 172 1,14 51 7,35 227 8,31 177, 178 9,2ff. 171 306 Stellen (in Auswahl) 14,43ff. 51 15,1 51, 269 15,16 269 Lk1,1-4 22 1,4 172 1,32 182 1,35 182 1,76 182 2,34 228 6,35 182 8,29 227 9,23ff. 24 9,51-19,27 159 12,23 24 12,36 230 13,16 227 14,11 195 14,26 24 17,33 24 18,14 195 19,41 287 21,20ff. 28 22,39 184 24 159, 177 24,26 177 Joh14-17 27 18,28 269 18,29 51 18,33 269 19,9 269 Apg 1,8 28, 32, 159, 178 2,8 22 2,42-47 158 3,18 177 4,2 182 5,18 51 5,19 238 6,1 27 6,14 28, 184 6,48 182 8,1 133 8,1-3 28 9 133, 159 9,1-25 22 9,7 24 9,15-16 32 11,26 133 12,3ff. 51 12,7ff. 238 13-20 159 13-28 22 13,16 178 15 158, 161, 179 15,1 184 15,1ff. 179 15,4-29 158 15,23 24, 30 15,23-29 179 15,36ff. 179 16 51, 162, 180, 181, 182, 183, 184, 189, 227, 238 16,9-10 162 16,10 24 16,10-17 28 16,11ff 180 16,12 180, 181 16,13 181 16,14 178 16,15 181, 183 16,16 181 16,16-39 182 16,20f. 182 16,23 51, 238 16,23ff. 51, 239 16,25 182 16,26 184, 227 16,26ff. 184 16,31 189 16,36 182 16,37 184 16,40 181 17 160, 177, 178, 180, 182, 183, 186, 197 Stellen (in Auswahl) 307 17,1-3 183 17,1ff. 180, 183, 186 17,2-3 177 17,2f. 177 17,4 178 17,16 178 17,16ff. 174 17,18 178 17,19 177 17,19ff. 177 17,22-34 160 17,22f. 178 17,23ff. 178 17,31 178 17,32 178 17,34 178 18,3 162 18,7 178 19,23ff. 178, 182 20 14, 21, 23, 24, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 144, 159, 160, 166, 227, 239, 283, 286, 287, 301 20,1 21, 26, 27, 28, 29, 31, 32, 144, 166, 301 20,3 26 20,4-15 28 20,17-35 160 20,17-38 287 20,18-36 21 20,18ff. 14, 21, 23, 24, 26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 166, 301 20,19 23, 144, 283, 286, 287 20,22 159, 287 20,22f. 24 20,23f. 239 20,24 24, 239 20,28 24 20,31 283, 287 20,33f. 24 20,35 24, 26 20,36 24 20,37f. 24 20ff. 239 21,1-18 28 21,10 239 21,11 159 21,21 184 21,28 28, 156 21,33 227 21,40 22 21,27 134 22 27, 28, 133, 173 22,1 28 22,2 22, 28 22,3 133, 158, 173 22,4ff. 133 22,7f. 28 22,20 28 22,28 50, 156 23-26 51 23,3 269, 271 23,6 173 23,11 32 23,25 24 23,33 24 23,35 269 24,17 26 24,23 239 26 28, 133 26,3 184 26,14 22 26,29 227 27,1-28,16 28 28 51, 159, 239 28,16 239 28,17 184 28,30-31 159 28,30f. 28 28,31 29, 239 Röm 1 115, 131, 134, 136, 164, 179, 187, 188, 189, 191, 205, 206, 208, 214, 216, 218, 219, 222, 232, 239, 274, 301 1-8 222 1,1 115, 131, 134, 205, 206, 208, 214, 216, 219, 301 308 Stellen (in Auswahl) 1,5 172 1,9 274 1,17 214 2-4 134 2,26 135 2,29 135 3,19f. 225 3,21 214 4,1 134 4,1-12 173 4,25 169, 214 5,9ff. 173 5,11 274 5,12-14 173 5,15 214 5,19 214 5,20 225 6 123, 128, 132, 137, 217 6-11 123 6,1 132, 137 6,11 137 6,23 137 7 113, 117, 129, 133, 135, 269 7,1ff. 225 7,7-25 135 7,7ff. 133 7,18 129 7,21 129 8,1 136 8,11 136 8,18ff. 135 8,33 214 8,34 169 8,38 179 9,3f. 134 9-11 135, 162, 206 9,31 214 10,9 187, 189, 191 10,9f. 191 10,16 214 11,2 173 11,24 173 12-15 218 12,6 136 12,14 171 12,17 171 12,20 171 13,1ff. 188 14,9 169 14,14 171 14,17 171 15,21 214 15,31 239 16,7 232 16,16 164 16,22 164 16,26 172 1 Kor 1-2 50 1,12 170 1,18ff. 117 1,26 267 1,31 274 1ff. 206 2,1ff. 128 2,9 214 3,10 268 4,16 249 4,20 171 5,2 229, 286 5,5 189 6,9 61, 62, 67 6,9f. 171 6,12-11,16 67 6,15 229 7 36, 55, 58, 60, 62, 63, 64, 66, 128, 129, 206, 212, 213 7,1 63, 128 7,5 66 7,8 36 7,10f. 171 7,21 212 7,22 129, 212 7,32 60, 63 7,32ff. 60 8 177, 178, 187, 197, 199 Stellen (in Auswahl) 309 8,1ff. 177 8,6 187 8,9 268 8,12 24 9 24, 60, 128, 130, 135, 148, 162, 173, 175, 207, 217, 218 9,1 128, 135, 217, 218 9,10 173 9,12ff. 24 9,14 148, 171 9,19 128, 135, 217, 218 9,22f. 175 9,24 175 9,26 175 10 177, 178 10,12 268 10,12-13 173 10,18 267 10,20 179 11 170, 171 11,23 170 11,23-25 167, 170 12 58, 59 12,3 187, 189 12,9 117 12,13 211 12,24f. 59 13 117, 128, 137, 164 13,2 171 13,12 128, 137 14,37 171 15 99, 102, 128, 132, 136, 159, 167, 168, 169, 170, 173, 177, 178, 179, 191, 206, 207, 214 15,1-11 167 15,3 170, 177, 191, 214 15,3-5 170,173, 177, 191 15,4 178 15,8 99, 102, 128, 132, 159 15,8ff. 102 15,12 169 15,12ff. 128 15,23-25 170 15,24 171, 179 15,50 171 16 26 16,5 185 16,9 267 16,10 268 2 Kor 1,1 52, 128, 131, 132, 137 1,3-11 51 1,3ff. 132 1,5 131, 135 1,5f. 135 1,8ff. 128 1,12-14 52, 128 1,13 137 1,24 132 2 102, 128, 130, 136, 206, 241, 283, 285, 286, 288, 296 2f. 206 2,4 136, 241, 283, 285, 286, 288, 296, 302 2,9 128 3,12 29 3,17f. 173 3,18 50 4,5 218 4,7-10 130 4,7ff. 117, 131 4,11 137 5,14f. 169 5,20 131 6,2 214 6,5 227 6,9 137 6,11 136 6,13 132 7 102, 130, 206 7,5ff. 128 8 185 8,8f. 24 8-9 26, 59 9,2 128 310 Stellen (in Auswahl) 10-13 58, 59, 109, 129, 132, 163, 196, 206, 275 10,1 102, 116, 129, 132, 135, 274 10,1ff. 116 10,10 102, 132, 135, 174 10,11 135 10,17 274 11 58, 148 11f. 129 11,5 132 11,7 148 11,10 131 11,13 132, 267, 274 11,22 116, 134 11,23ff. 51, 132, 135 11,24f. 134, 177 11,25-27 163 11,28 58 11,30 117, 132, 135 11,32f. 237 12 114, 128, 130, 132, 135, 137, 163, 164, 192, 206, 286 12,1-10 114, 135, 164 12,2 192, 286 12,8f. 132 12,9 132, 135, 137 12,9f. 135 12,12 132 12,21 286 Gal 1 99, 104, 114, 115, 128, 130, 131, 133, 134, 147, 161, 163, 165, 172, 173, 175, 207, 208, 214, 216 1-2 114, 163, 165, 172, 175, 207 1,10 115, 130, 131, 147, 208, 216 1,11 99, 104, 115 1,11ff. 99, 104, 115, 130 1,12 115, 131 1,13 115, 133, 134 1,13f. 134 1,14 115 1,15 115, 131, 133, 134, 214 1,15f. 115 1,17-21 163 1,17ff. 161 1,23 133 1,24 214 2 128 2,4 131 2,5 134 2,7 134 2,7-10 134 2,9 179 2,10 59, 179 2,15 134 2,19 131 2,20 129, 137 3,3 274 3-4 177 3,6-14 173 3,28 211, 212 4,21-31 173 5,13ff. 136 5,15 268 5,21 171 6,11 101, 293 6,11ff. 101 6,12 274 6,14 274 6,17 128, 131 Eph 3,1 187, 240 3,15 187 4,31 229 5,1 249 Phil s. jeweils die einzelnen Beiträge - Hinweise auf S. 11 Kol 2,14 229 2,18 144 2,23 144 3,12 144 4,10 232 4,18 227, 277 1 Thess Stellen (in Auswahl) 311 1 128, 174, 177, 178, 186, 191, 196, 197, 249 1,5 128 1,6 249 1,9 177, 186, 191, 196 1,9f. 186, 191 2,2 185 2,12 171 2,13ff. 134 2,14 249 3,3 228 4 61, 62, 136, 169, 189, 192 4,13ff. 136 4,14 169 4,15 189 4,17 136, 192 5,2 171, 189 5,15 171 2 Thess 2,2 52 1 Tim 1,10 67 6,5 89 2 Tim 1,8 52 1,16 228, 278 2,9 227 4 27, 52 4,6-8 52 4,11 52 4,21 52 Phlm 1 212, 227, 228 8-17 213 8ff. 213 9 13, 52 10 132, 227 13 227 13ff. 212 16 213 16ff. 213 23 52, 232 23f. 52 1 Petr 5,6 216 5,9 144 2 Petr 3,15f. 52 Hebr 11,25 229 11,36 227 Jud6 227 c) Griechisch-römische, frühjüdische und frühchristliche Autoren und Textkorpora Apuleius Flor 6 182 Met 8,26-30 182 9,15 228 Aristoteles Eth Nic 1,3,1095a2ff. 205 poet 15. Kap. 110 pol 1,2 64 9,1280b 61 rhet 1,9,33f. 253 2,1378aff. 292 2,1385b 292 Augustinus Civ 9,5 293 Conf 116, 130, 133, 138 8,8ff. 133 ep185,7,26 237 Augustus Res gestae 99, 105, 251 Catull Nr. 51 195 312 Stellen (in Auswahl) Cicero De or 2,184 292 2,196 293 ep Quint fr 1,1 252 1,3 230 Fam I,9 252 Il,4,1 292 XIl,30,1 292 XIV 288 XVl,16,2 292 Flac 37 294 inv 1,15,20 148 1,49 257 Somn Scip 14f. 228 Tusc 3,7 62 3,23f. 62 3,83f. 296 4,11 62 Clemens strom 1,23,154,2-3 238 3,448B 36 Cyprian ep76,2 227 Demetrius Eloc 223 292 227 296 Diogenes Laertius 2,24 225 3,36 224, 225 Epiktet Diss 1,19,8 212 2,6,25ff. 211 2,16,41 212 3,1,163 237 3,24,56 191 3,163 225 4,1,164 237 4,1,166 237 4,7,17 212 Euripides Bacch 443ff. 238 576-614 238 Eusebius hist eccl 5,1,35 227, 277 P E IX,27,23-25 51, 238 FGrHist 81 105 90 F 130,97/ 117 194 90 F 131-139 108 90 T 1 108 231 105 709 99 Fronto ep2,9 182 Herodot/ Herodotus 1,30-31 247 1,207 247 3,96 179 4,36ff. 179 4,198 179 5,92-93 247 Hieronymus vir ill 12 141 Hippolyt Elench 2,9 228 Homer Il 6,484 285 9,529-605 247 Stellen (in Auswahl) 313 Horaz Ars poet 119ff. 110 125ff. 110 HRR 2,108 106 Hyginus fab166f. 55 220 15, 55 Irenaeus adv haer 4,18,4 76 Johannes Chrysostomus hom 149, 150 Josephus ant 2,65 230 2,73 230 10,154 230 12,5-6 182 13,68 195 18,8,1 157 20,90 195 B J 1,21,1/ 1,402 269 4,9,2 191 4,319 191 4,365 191 4,628 230 contr Ap 107, 182, 274 1,205-211 182 2,85 274 Vita 342 106 358 106 390ff. 107 430 107 Livius praef 9-10 248 10 247 Lukian Tox 30 238 Oracula Sibyllina 2,316 55 2,326 55 3,89 55 5,34 194 5,440 55 Ovid Met 1,5f. 238 3,692-700 238 Philo Abr 174 285 266 274 Decal 79 274 Deus 138 285 Flacc 49 189 157 285 Gigant 35 274 Ios 175 285 200 285 Leg All 1,13 285 1,49 194 Legat 139 274 243 293 Migr 157 285 Opif 123 285 Plant 151 274 Prob 90 274 314 Stellen (in Auswahl) Somn 2,267 274 Spec 2,69 211 Vit contemp 40 274 Philostrat Vit Apol 7,38 238 8,30 238 Platon Apol 23 225, 233 40df. 231 Krit 43aff. 224 43b 225 43d 229 44a-b 229 47d 237 50a 224 54a 237 54d 233 Phaid 58af. 224 59bf 226 59d 224 60c 225, 227 60cf. 225 98e-99a 225 99d 233 Plinius ep1-9 294 1,1 292 2,11,3 292 5,13,3 292 5,21,6 292 8,23,8 292 10,96,9 182 Plutarch Brut 27 105 36,3-4 180 41 105 304ff. 99 de superst 8 182 mor 780B 191 Virt mor 449a 293 Quintilian inst or 3,7,21 182 3,8,66 247 5,11,1-2 257 8,5,7f. 257 12,4,2 257 Rhet ad Her 4,3,5 251 4,62 257 4,66 250 Sappho 31 195 Seneca ep mor 3,24,4 225, 237 6,6 236 27 29 31 192 31,8-10 192 31,11 192 49,1 295 63,1 295 63,2 295 70 29, 237 70,5 29 70,9 237 70,19ff. 29 70,27 29 71,7 236 75,1 292 84,5 29 94,40 191 98,9 295 Stellen (in Auswahl) 315 99,18f. 285 104,27 236 104,28 224 116,4 295 Strabo geogr 16,2/ 37 182 Sueton Aug 34 64 85,1 105 Calig 1-7 194 37,2 269 Nero 16 182 Tiber 36 182 Tacitus ann 2,85,4 182 4,2 269 12-15 24, 25 12,8,2 25 13-16 25 14,2,1 25 14,11 30 15 25, 26, 27, 28, 29, 157, 182 15,45,3 25 15,57 29 15,60,2 25, 28 15,60-64 25, 27 15,61f. 29 15,61,3 25 15,62 27 15,63 27 15,63,3 29 15,65,1 28 15,74 26 hist 5,8 182 13,1 182 Tatian oratio ad Graecos 245 Tertullian adv Marc 5,19 76 de resurrect 23 76 Thukydides/ Thucydides 1,22 21, 23, 260 Velleius Paterculus, 2,126,5 191 Xenophon Ag 194 Mem 4,8,1 225 4,8,2 224 d) Apostolische Väter, neutestamentliche Apokrypen und übrige frühchristliche Schriften 1 Clem 5 50, 157 5,3ff. 50 Acta Pl 3,2-3 126 Diognet 5,9 236 Herm 19,3 55 Ignatius Eph 7,1 274 11,2 227, 277 Smyr 10,2 228, 278 Polykarp 76, 77, 181, 227, 228, 236, 277, 278 Seneca-Paulus-Briefwechsel 127, 138, 139, 141, 150, 151, 157, 165, 166 Begriffe, Sachen und Orte (in Auswahl) Abschiedsrede(n) 14, 26, 27, 30, 31, 32, 33, 160, 287 anxiety 55 Athen 160, 162, 177, 178, 180, 182, 183, 223, 224, 225, 234, 235 Autobiographie, autobiographisch 16, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 112, 113, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 130, 133, 138, 139, 140, 155, 163, 165, 241, 263, 276, 279, 280, 297, 302 Bassus-Sarkophag 50 Caesarea 13, 51, 57, 75, 83, 85, 157, 162, 223, 239, 250, 269, 277, 283 Christushymnus 93 Christus-Konformität 16, 17, 207, 210, 216 Christuslied 86, 90, 91, 93 conformatio 250, 251 cura 56 custodia libera 239 Damaskus/ Damascus 108, 122, 169 Decision-making 60, 63, 64, 65 Demut 11, 17, 23, 28, 32, 87, 91, 92, 141, 150, 151, 163, 189, 199, 205, 207, 209, 213, 215, 216, 217, 218, 219, 234, 286, 287 Emotion(s) 283 Ephesus 13, 14, 26, 32, 51, 66, 75, 160, 162, 177, 182, 269, 287 exemplum 17, 38, 43, 144, 145, 148, 189, 190, 191, 194, 196, 210, 215, 224, 245, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 256, 257, 258, 259 farewell 26 Gefangener, Gefangenschaft 16, 51, 52, 75, 156, 159, 161, 162, 206, 209, 218, 224, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 237, 240, 241, 243, 250, 265, 268, 277, 282, 283 Gefangenschaftsbrief(e) 51, 52, 69, 75, 82, 83, 84, 93, 240, 243, 277 Gefängnis 15, 47, 48, 49, 51, 52, 53, 54, 184, 224, 225, 231, 237, 238 Gefühl(e) 40, 63, 73, 104, 190, 283, 284, 292, 293, 295, 297, 298, 300 Gegner (des Paulus) 17, 263, 264, 266, 268, 274, 275, 279 Gerechtigkeit 217, 218, 278 humilitas 142, 143, 144, 149, 151 humility 141 imitatio 149, 245, 246, 258, 261 Jerusalem 24, 28, 37, 59, 134, 150, 156, 157, 158, 159, 161, 162, 169, 173, 175, 179, 190, 198, 269, 287 Kenosis 14, 72, 87, 88, 89, 90, 91, 92, 188 Konformität (mit Christus) 207 Korinth/ Corinth 13, 75, 102, 132, 135, 162, 164, 168, 169, 177, 179, 185, 236, 269, 275, 286 Kyriotes ( Jesu) 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 216 laudatio funebris 41 leadership 212 libera custodia 239 Literarkritik, literarkritisch 119, 165, 214, 264, 265, 285, 286 Lutheran reading 35, 39 Makedonien/ Macedonia 13, 26, 32, 145, 162, 174, 179, 180, 181, 185, 186, 270 Martyrium, Märtyrer, martyrologisch 86, 91, 111, 119, 155, 230, 239, 258 Milet(us) 14, 26, 32, 162 Mimesis 16, 44, 145, 150, 197, 245, 246, 247, 249, 259, 302 moral progress 146, 192, 198 318 Begriffe, Sachen und Orte (in Auswahl) New Perspective 35, 39 paradosis 168, 169, 170 par(a)enesis 62 Paränese 62, 143, 146, 196, 235, 250, 258, 259, 279 Parrhesiast 233 Person, persona 13, 16, 17, 47, 48, 53, 54, 71, 88, 92, 95, 103, 106, 107, 109, 110, 113, 114, 117, 118, 119, 120, 123, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 135, 136, 137, 138, 140, 155, 156, 159, 164, 165, 166, 189, 194, 195, 199, 206, 207, 208, 209, 210, 214, 217, 219, 223, 225, 226, 228, 231, 232, 233, 234, 240, 248, 250, 251, 252, 253, 255, 257, 258, 259, 267, 270, 271, 272, 274, 275, 276, 281, 282, 284, 285, 286, 287, 289, 290, 292, 293, 294, 296, 301, 302 Philippi 13, 16, 43, 51, 75, 81, 92, 95, 102, 141, 162, 167, 176, 177, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 187, 188, 196, 197, 198, 199, 200, 218, 228, 230, 232, 235, 236, 238, 243, 245, 250, 251, 253, 254, 255, 259, 264, 265, 266, 267, 268, 275, 276, 277, 278, 279, 281, 283, 291, 301 Polemik 17, 73, 130, 138, 239, 241, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 270, 271, 272, 273, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 282, 284, 286, 297 Prätorianergarde 269 Prätorium, praetorium 13, 188, 239, 269, 282 Prosopopoiie, prosopopoeia 250, 256 Pseudepigraphie, pseudepigraph 12, 51, 52, 102, 127, 165, 240, 271, 277, 279 Radical New Perspective 35 Rechtfertigung 15, 36, 109, 120 Reden 21, 160, 247, 260, 287, 293 Rom 13, 38, 51, 64, 66, 75, 81, 83, 102, 107, 147, 150, 156, 157, 159, 161, 162, 164, 169, 171, 172, 173, 188, 218, 223, 239, 250, 261, 268, 269, 277, 283 Selbst, self, selfhood 15, 16, 17, 22, 24, 26, 27, 28, 30, 31, 32, 35, 38, 39, 40, 43, 56, 59, 60, 62, 63, 65, 91, 108, 109, 111, 116, 118, 125, 142, 143, 147, 148, 149, 150, 168, 175, 188, 206, 207, 209, 211, 216, 218, 232, 233, 242, 298 self-fashioning 17, 138, 150, 151, 166, 206, 216, 220, 301 Sklave, Sklaverei 212 Sorge 15, 55, 56, 57, 59, 60, 65, 66, 232, 233, 235, 284, 286, 301 speeches 21 superstitio 182 tear(s) 23 Thessaloniki/ Thessalonica 102, 162, 177, 179, 180, 183, 185, 186, 198, 236 Träne(n) 23, 27, 136, 155, 228, 283, 284, 285, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 296, 298, 299, 302 Tränen-Motiv 285, 286, 287, 288, 289, 290, 291, 292, 294, 295, 296 ultima verba 27, 33 Weinen 283 αἵρεσις 133 ἀναλύειν 230 ἄνω κλῆσις 17, 235, 278 ἀπολογία, apologia 28, 31 ἀρετή 42, 108 ἁρπαγμός, ἁρπάζω 87, 89, 90, 91, 136 δε[ι]σιδαιμονία 182 δεσμός, δέσμιος 227 δοῦλος, doulos 16, 17, 131, 143, 146, 147, 164, 193, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 301 ἐν Χριστῷ 228, 231, 253, 258 ἐπιμελεῖσθαι 233 εὐαγγέλιον 167, 187, 235 κέρδος 231 κοινωνία 196 μέριμνα, μεριμνάω 15, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 63, 64, 65 μορφή 57, 87 Begriffe, Sachen und Orte (in Auswahl) 319 παράδειγμα 254, 256 παρρησία 232, 233, 234, 239, 244 περιπατεῖν 234, 235, 250 πολιτεύεσθαι 225, 235, 236 πολίτευμα ἐν οὐρανοῖς 236 συμμιμηταί μου 145 σῶμα 135, 136, 146 ταπεινοφροσύνη, ταπείνωσις, ταπειν- 89, 143, 147, 190, 191, 193, 195, 196, 234, 251, 253, 254, 258, 259 τύπος 250, 277 φρονεῖν, φρόνησις 59, 191, 233, 234, 253, 254, 258 χαρά 146, 285 Χριστιανοί 133 Autoren und Personen (antike und moderne - in Auswahl) Alewell, Karl 256, 259 Artapanus 51 Arzt-Grabner, Peter 227, 228, 241, 288, 297 Atticus 194, 291 Augustus 41, 99, 105, 108, 110, 116, 119, 120, 121, 122, 130, 156, 179 Barth, Karl 84, 86, 92 Bartsch, Shadi 60, 65, 156, 165 Baur, Ferdinand Christian 12, 15, 71, 72, 73, 74, 76, 77, 83, 86, 87, 92, 93, 228, 241, 265, 268, 271, 280 Berger, Klaus 99, 119, 253, 259, 286, 297 Betz, Hans Dieter 55, 62, 65, 87, 92, 127, 138, 148, 150, 179, 197, 238, 240, 241, 242, 245, 249, 259 Blom, Henriette van der 149, 150, 256, 257 Bloom, Harold 65, 261 Blumenberg, Hans 297 Bonhoeffer, Dietrich 224, 242 Bonhöffer, Adolf 147, 150, 217, 219 Bormann, Lukas 75, 76, 92, 112, 119, 130, 138, 188, 197, 264, 272, 281, 284, 297 Bousset, Wilhelm 40, 44, 45, 186, 188, 190, 194, 197 Bultmann, Rudolf 40, 44, 54, 55, 66, 135, 138, 174, 176, 237, 242, 286, 292, 297 Carr, Emily 108, 119, 121 Conte, Gian Biagio 246, 259 Cousinéry, Esprit Marie 75, 92 Deissmann, Adolf 75, 90, 92, 113, 119, 125, 126, 138, 149, 150, 151, 155, 166, 188, 198 Dibelius, Martin 21, 86, 90, 92, 186, 188, 193, 198 Dickson, William P. 79, 80, 94 Dihle, Albrecht 105, 120, 141, 151 Dilthey, Wilhelm 115, 120 Dodds, E. R. 55, 59, 66 Donfried, Karl P. 186, 198 Dwight, Timothy 80, 94 Ebeling, Gerhard 36, 44 Epaphroditus 145, 209, 251, 254, 255, 272 Epiktet/ Epictetus 57, 67, 144, 147, 150, 191, 211, 212, 217, 219, 220, 222, 225, 237 Figal, Günter 128, 138, 233, 242, 246, 247, 249, 259 Flaccus 189, 200, 285, 298 Foucault, Michel 15, 56, 66, 142, 151, 232, 233, 242, 293, 298 Franke, August H. 15, 69, 71, 81, 82, 83, 85, 89, 91, 93 Fürst, Alfons 127, 138, 141, 151, 157, 166 Geerlings, Wilhelm 256, 257, 260 Gill, Christopher 109, 110, 118, 120 Gnilka, Joachim 192, 198, 233, 242, 264, 266, 269, 273, 278, 281 Gombrich, Ernst H. 47, 53, 54 Graver, Margaret 284, 285, 288, 293, 295, 298 Greenblatt, Stephen 206, 220 Haupt, Erich 15, 69, 70, 75, 81, 82, 83, 84, 85, 89, 93 Heidegger, Martin 15, 55, 56, 58, 59, 66 Heinrichs, Johann H. 76, 93 Heinrici, Georg 234, 237, 242, 276, 281 Hengel, Wessel A. van 71, 77, 95, 214, 220 Holloway, Paul A. 35, 44, 167, 176, 233, 242, 252, 260 Josephus 106, 107, 108, 112, 122, 130, 133, 139, 144, 157, 182, 191, 195, 230, 269, 274 322 Autoren und Personen (antike und moderne - in Auswahl) Judge, E. A. 65, 66, 234, 243 Koch, Dietrich-Alex 84, 92, 93, 155, 166, 176, 179, 180, 182, 183, 185, 199, 212, 220, 241, 301 Kornhardt, Hildegard 256, 260 Kriton 16, 219, 223, 224, 225, 227, 228, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 237, 242, 259, 281, 302 Lausberg, Heinrich 148, 149, 151, 190, 199, 217, 221, 250, 251, 254, 260 Lisco, Heinrich 75, 83, 93 Lohmeyer, Ernst 11, 15, 56, 57, 67, 69, 70, 71, 78, 81, 82, 84, 85, 86, 87, 89, 90, 91, 92, 93, 95, 181, 186, 187, 190, 191, 194, 199, 224, 229, 230, 232, 243, 258, 260, 264, 265, 266, 269, 278, 281 Löhr, Hermut 13, 17, 61, 67 Lünemann, Gottlieb 72, 73, 80, 93 Luther, Martin 15, 17, 36, 37, 38, 40, 41, 42, 43, 44, 142, 187, 230 Lydia 181, 182, 183 Marincola, John 247, 260 Matthies, Conrad S. 71, 77, 81, 87, 94 Melanchthon, Philip(p) 14, 15, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 265, 281, 301 Metrodorus 295 Meuli, Karl 284, 299 Meyer, Heinrich A. W. 15, 69, 70, 71, 72, 76, 77, 79, 80, 81, 87, 88, 92, 93, 94, 176, 301 Michaelis, Wilhelm 75, 86, 91, 94, 240, 243 Misch, Georg 99, 100, 110, 115, 121 Morris, Colin 116, 121 Müller, Ulrich B. 56, 67, 188, 191, 192, 195, 199, 229, 230, 231, 240, 243, 258, 260, 264, 266, 268, 269, 272, 278, 282 Nikolaos von Damaskus 105, 108, 112, 120, 130, 194 Norden, Eduard 100, 101, 122, 289, 299 Oppermann, Irene 251, 252, 255, 261 Paulus, Heinrich E. G. 75, 76, 83, 95 Peter, Hermann 289, 291, 299 Petrarca, Francesco 294, 299 Philo 156, 157, 189, 194, 200, 211, 247, 269, 274, 285, 293, 295, 298, 299 Pilhofer, Peter 75, 95, 119, 122, 123, 125, 138, 139, 140, 156, 166, 180, 200, 220, 235, 236, 243, 280, 282, 301 Plinius d.J. 182, 283, 284, 289, 291, 292, 294, 299 Quintus 290 Reiff, Arno 246, 261 Rembrandt van Rijn 14, 15, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 301 Reumann, John 31, 56, 59, 67, 77, 95, 147, 148, 151, 186, 193, 194, 200, 235, 244, 253, 255, 258, 261, 264, 266, 268, 269, 272, 273, 274, 275, 278, 279, 282, 286, 299 Ricœur, Paul 118, 122 Schenk, Wolfgang 264, 272, 273, 278, 282 Schmauch, Werner 69, 93, 95 Schwegler, Albert 71, 76, 94, 95 Skylax von Karyanda 99 Sokrates 16, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243 Standhartinger, Angela 187, 200 Stendahl, Krister 40 Terentia 289, 290 Theißen, Gerd 59, 67, 113, 122 Thraede, Klaus 103, 122, 290, 300 Thrall, Margaret E. 55, 58, 59, 67, 286, 300 Tiberius 285 Timotheus/ Timothy 13, 52, 54, 57, 58, 80, 132, 145, 147, 209, 216, 251, 254, 255 Titus 126 Tolstaja, Sofja 283, 284, 300 Vincent, Marvin R. 78, 95, 192, 193, 200 Vollenweider, Samuel 186, 187, 191, 192, 200, 212, 220, 221, 229, 230, 244, 253, 261 Walter, Nikolaus 264, 265, 272, 278, 282 Autoren und Personen (antike und moderne - in Auswahl) 323 Weiß, Bernhard 36, 71, 72, 77, 266, 267, 268, 269, 272, 273, 274, 282 Weiß, Johannes 169, 176, 265, 266, 282 Wette, Wilhelm M. L. de 71, 73, 74, 75, 76, 77, 87, 88, 95 Wilamowitz-Moellendorff, Ulrich von 100, 101, 123 Windisch, Hans 228, 244, 284, 300 Wischmeyer, Oda 14, 18, 33, 41, 45, 54, 92, 101, 102, 106, 111, 112, 113, 114, 119, 123, 128, 130, 133, 135, 138, 140, 149, 151, 155, 166, 169, 176, 182, 185, 199, 201, 213, 216, 221, 222, 241, 271, 276, 281, 282, 297, 299, 301, 302 Zeller, Dieter 55, 64, 67, 168, 169, 176, 208, 222 Zeller, Eduard 73, 92 ISBN 978-3-7720-8688-5 www.narr.de Im vorliegenden Band sind Eve-Marie Beckers Arbeiten zur Person des Paulus und zu seiner literarischen Tätigkeit zusammengestellt. Besonderes Interesse gilt dabei dem Philipperbrief und seiner Rezeptions- und Wirkungsgeschichte bis zu Ernst Lohmeyer. Die Beiträge stehen im Zusammenhang der Kommentierung des Briefes für die Serie: „Meyers Kritisch-Exegetischer Kommentar (KEK)“. Der Kommentar soll die wirkmächtige Auslegung von Ernst Lohmeyer (1928/ 1930) ersetzen. Vier der insgesamt sechzehn Aufsätze, die im vorliegenden Band zusammengestellt sind, wurden bisher nicht oder nicht auf Deutsch oder Englisch veröffentlicht, die übrigen zwölf Aufsätze sind zwischen 2005 und 2018 erschienen. 29 Herausgegeben von Eve-Marie Becker, Jens Herzer, Friedrich W. Horn, Oda Wischmeyer und Hanna Zapp Der Philipperbrief des Paulus Eve-Marie Becker 29 Der Philipperbrief des Paulus Vorarbeiten zu einem Kommentar Eve-Marie Becker 29 38688_Umschlag.indd 1,3 38688_Umschlag.indd 1,3 08.01.2020 12: 07: 50 08.01.2020 12: 07: 50