Klin Monbl Augenheilkd 2005; 222(9): 687-688
DOI: 10.1055/s-2005-858596
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Chronisch-progressiv vernarbende Bindehauterkrankungen: Das Schleimhautpemphigoid

Chronic Progressive Cicatrizing Conjunctival Diseases: Benign Mucosal PemphigoidK. P. Steuhl
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Publication Date:
20 September 2005 (online)

Den vernarbenden Bindehauterkrankungen liegen Autoimmunreaktionen zugrunde, die durch chronische, entzündliche Prozesse zur Zerstörung der Mukosaoberfläche des Auges und durch fortschreitende Vernarbung zur funktionellen Beeinträchtigung des Patienten bis zur Erblindung führen können.

Zur Gruppe dieser Erkrankungen gehört das Schleimhautpemphigoid, eine seltene Erkrankung, deren Diagnose und Differentialdiagnose nicht einfach ist und die, da es sich um eine Systemerkrankung handelt, ein interdisziplinäres Vorgehen erfordert. Über den Pathomechanismus der Erkrankung liegen schon recht detaillierte Kenntnisse vor. Zur Diagnose der Erkrankung können zunächst die typisch klinischen Befunde, wie die Zeichen des trockenen Auges, der fortschreitende Vernarbungsprozess der Bindehaut (mit der Stadieneinteilung nach Foster gut dargestellt) sowie die typisch extraokulären Haut- und Schleimhautbeteiligungen herangezogen werden. Wichtig ist der Ausschluss eines Maskeradesyndroms wie zum Beispiel des Pseudopemphigoids (arzneimittelinduzierte, paraneoplastisch) oder einer konjunktivalen Neoplasie selbst. Hierzu sind eine eingehende Anamnese und die Entnahme einer Gewebeprobe unerlässlich. Die Argumente für einen Verzicht auf die Probenentnahme (mögliches Auslösen eines Aktivitätsschubs der Grunderkrankung, niedrige immunhistologische Nachweisrate (ca. 50 %) bei klinisch eindeutigem Befund) stehen dem Ausschluss einer konjunktivalen Neoplasie gegenüber. Letztlich ist die histologisch gesicherte Diagnose eine wesentliche Rechtfertigung für die sehr eingreifende systemische Immunsuppression. Die Autoren beschreiben die Entnahmetechnik und das methodische Vorgehen bei der Aufarbeitung des Materials sehr ausführlich und weisen richtigerweise auf die notwendige Erfahrung bei der Beurteilung der Proben hin. Wichtig ist auch der Hinweis auf das Glaukom-Screening im Rahmen der Grunderkrankung. Durch neueste wissenschaftliche Erkenntnisse wird die Bedeutung des episkleralen Gefäßsystems für die Regulation des Augeninnendrucks immer deutlicher und bekanntermaßen sind die episkleralen Abflusswege des Kammerwassers mit in den Entzündungsprozess einbezogen.

Wegen der zugrunde liegenden Systemerkrankung ist eine Lokaltherapie der Augenbeteiligung, abgesehen von der Anwendung konservierungsmittelfreier Tränenersatzmittel, in den allermeisten Fällen unzureichend. Die Indikationsstellung zur systemischen Immunsuppression fällt wegen des schwer abzuschätzenden Nutzen-Risiko-Verhältnisses nicht leicht. Es gibt keine sicheren Kriterien, die eine Aussage über den Spontanverlauf im individuellen Fall zulassen, die Erkrankung erfordert eine langjährige Behandlung und es gibt eine Vielzahl medikamentenspezifischer Kontraindikationen. Die Einleitung und Überwachung der Therapie hat deshalb, wie von den Autoren betont, interdisziplinär zu erfolgen. Aufgrund der guten Verträglichkeit bei Berücksichtigung der Kontraindikationen ist Dapsone das zumeist initial zusammen mit Prednison eingesetzte Immunsuppressivum.

Die größten Langzeiterfolge werden jedoch mit einer Kombinationstherapie aus Prednison und Cyclophosphamid erzielt, wobei der Therapieerfolg durch andere Immunsuppressiva wegen des Fehlens aussagekräftiger Studien nur schwer abgeschätzt werden kann.

Eine intravenöse Immunglobulintherapie scheint zukünftig eine Erfolg versprechende Therapiealternative darzustellen, die Anwendung dieses sehr teueren Medikaments ist aber wegen der fehlenden Langzeitbeobachtung zurzeit umstritten.

Chirurgische Verfahren sind nur bei Reizfreiheit indiziert und sollten das okuläre Oberflächenepithel möglichst aussparen. Eine bessere Prognose aller rekonstruktiven und visusverbessernden Maßnahmen lässt sich durch den präoperativen Einsatz der Amnionmembran zu Befundstabilisierung erzielen. Des Weiteren beschreiben die Autoren ausführlich allogene Verfahren zum Limbusstammzellersatz. Diese Verfahren, die zusätzlich entweder einzeitig oder zweizeitig mit einer Keratoplastik kombiniert werden können, werden wohl zukünftig eine Alternative zur Keratoprothese darstellen.

Des Weiteren erfordern sowohl die Kataraktchirurgie als auch die Glaukomchirurgie bei diesen Patienten spezielle Kenntisse und Fähigkeiten des Operateurs. Bei den filtrierenden Operationen hat die intraoperative Anwendung von Mitomycin C einen festen Stellenwert.

Es ist von den Autoren Heiligenhaus et al. sehr verdienstvoll, die Gesamtproblematik dieses seltenen, den Therapeuten aber immer herausfordernden Krankheitbildes darzustellen - die Publikation wird deshalb auch für viele Patienten von großem Nutzen sein.

Prof. Dr. med. Klaus Peter Steuhl

Universität Essen, Augenklinik

Hufelandstr. 55

45122 Essen

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