Laryngorhinootologie 2004; 83(11): 759-760
DOI: 10.1055/s-2004-825949
Hauptvortrag
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erste Erfahrungen mit dem G-DRG-Fallpauschalensystem

First Experiences With the G-DRG-SystemJ.  Alberty1
  • 1Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkrankheiten, Universitätsklinikum Münster (Direktor: Univ.-Prof. Dr. W. Stoll)
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Publication Date:
11 November 2004 (online)

Das Gesundheitssystem in Deutschland ist im Umbruch. Treibende Kraft ist nicht der medizinische Fortschritt, sondern vielmehr der politische Wille, die volkswirtschaftlichen Aufwendungen für medizinische Leistungen zu begrenzen. Vor allem für die Krankenhausbehandlung wird ein erhebliches Einsparungspotenzial postuliert. Um dieses auszuschöpfen, wurde mit der Gesundheitsreform 2000 die Einführung eines Fallpauschalensystems beschlossen, welches seit Anfang 2003 optional und seit Anfang des laufenden Jahres verpflichtend für die Vergütung stationärer Behandlungen im Krankenhaus eingesetzt werden soll.

In erster Linie sind die Vertragspartner der Selbstverwaltung (gesetzliche und private Krankenversicherer sowie die Deutsche Krankenhausgesellschaft) mit der Umsetzung des G-DRG-Systems betraut und haben dafür das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK - „DRG-Institut”) gegründet. Dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziales als Rechtsaufsicht ist das Deutsche Institut für Medizinische Dokumentation und Information zugeordnet. Die ärztlichen Standesorganisationen, so auch die HNO-Fachgesellschaft und der Berufsverband, haben lediglich eine beratende Funktion und können nur im Rahmen eines Vorschlagsverfahrens die DRG-Systematik beeinflussen.

Die Interessen der Selbstverwaltungspartner sind naturgemäß gegensätzlich. So konnte man sich auch 2003 nicht einigen und musste das Bundesministerium um die gesetzliche Regelung im Rahmen einer Krankenhausfallpauschalenverordnung bitten. Das so neu vorgelegte DRG-System zeichnet sich gegenüber seinem Vorgänger vor allem durch eine Weiterentwicklung des Fallpauschalenkatalogs aus. Dieser enthält jetzt 824 DRGs, davon ⅓ neu und ⅓ überarbeitet. Zudem wurden die Relativgewichte angepasst. Weitere Regelungen betreffen die Wiederaufnahme und Verlegung sowie erste Öffnungsklauseln für spezielle Leistungen. Diese erste Weiterentwicklung beruht, verglichen mit der nur über 4 Monate kalkulierten Vorgängerversion, auf einer größeren Datenmenge. Zudem war es 2003 erstmals möglich, im Rahmen eines strukturierten Dialogs gezielte Änderungsvorschläge in die Kalkulation einzubringen, die - bezogen auf die HNO-Vorschläge - auch großenteils umgesetzt wurden.

Derzeit läuft die Weiterentwicklung für das Jahr 2005. Bereits jetzt ist absehbar, dass die jetzt aus dem Jahr 2003 stammende Datengrundlage eine weitere Ausdifferenzierung des Systems ermöglicht. Andererseits bleibt kritisch festzuhalten, dass Änderungen im klinischen Fallspektrum - sofern sie überhaupt in die Kostenkalkulation eingehen - systembedingt frühestens im übernächsten Jahr zu einer Anpassung des Katalogs führen können und dies eine grundlegende Schwäche des „lernenden Systems” darstellt.

2003 hatte die eilige Übertragung des australischen Systems in Verbindung mit einer mangelhaften Kostenkalkulation sowohl zu einer Zusammenführung sehr unterschiedlicher Fälle in einer DRG als auch zu einer Kompression der Relativgewichte geführt. Es resultierte eine relative Überbewertung einfacher Fallkonstellationen bei Unterbewertung der komplexen Fälle. Im gegenwärtigen System für 2004 sind die Relativgewichte weiter gespreizt, was als Schritt in die richtige Richtung zu werten ist. Zudem hat die Anzahl der HNO-DRGs zugenommen. Dennoch wird trotz der gewachsenen Anzahl der Fallpauschalen das Leistungsspektrum nur ungenügend abgebildet. Weiterhin besteht innerhalb einzelner DRGs eine große Heterogenität der ökonomischen und medizinischen Fallschweren, so dass Kliniken mit einem hohen Anteil komplexer Fälle innerhalb dieser Fallpauschalengruppen systematisch benachteiligt werden.

Besonders hinzuweisen ist auf die Neueinführung von zwei so genannten Ein-Tages-DRGs. Es handelt sich dabei um Fallkonstellationen mit einer HNO-Hauptdiagnose, die in alleiniger Abhängigkeit von der Liegezeit „ein Belegungstag” entweder einer operativen oder konservativen Ein-Tages-DRG zugeordnet werden.

Trotz der festzustellenden Verbesserungen des G-DRG-Systems 2004 sind wir derzeit also von einem anwendbaren Preissystem noch weit entfernt. Defizite in der Differenzierung des Leistungskataloges betreffen vor allem die Abbildung von komplexen Fällen z. B. der HNO-Onkologie. Darüber hinaus besteht aber auch die Notwendigkeit einer kostengerechten Differenzierung häufiger Eingriffe z.B. der Mittelohrchirurgie, der NNH-Chirurgie und der konservativen Therapieverfahren. Die Besonderheiten von sog. Langliegern müssen ebenso berücksichtigt werden wie die Finanzierung von Ausbildungsleistungen und von Strukturbesonderheiten. Der neue Fallpauschalenkatalog für 2005 soll Mitte August vom InEK den Selbstverwaltungspartnern vorgelegt werden. Bereits jetzt wurde klargestellt, dass für 2005 weitere erhebliche Veränderungen des G-DRG-Systems zu erwarten sind.

Im Gegensatz zu den aus HNO-Sicht im Großen und Ganzen ermutigenden Erfahrungen mit dem Fallpauschalenkatalog gestaltet sich der Umstieg auf die tatsächliche Abrechnung nach DRGs offenbar schwieriger als erwartet. So waren bis Ende 2003 trotz massiver politischer Anreize nur etwa 1000 der über 1800 deutschen Krankenhäuser auf eine Abrechnung nach DRGs umgestiegen. Seit Anfang 2004 stagnieren die Umstiege. Ursache ist, dass bisher kaum ein Krankenhaus Einigung über sein Gesamtbudget für das laufende Jahr erzielt hat und somit bisher kaum ein endgültiger krankenhausindividueller Basisfallwert für 2004 ausgewiesen werden konnte. Dies bedeutet, dass trotz der verbindlichen Einführung des DRG-Systems bis heute die Mehrzahl der Krankenhäuser vorläufig nach den Basisfallwerten des Optionsjahrs oder sogar weiterhin nach tagesgleichen Pflegesätzen abrechnen muss.

Die Verteilung der 2004 bisher angewendeten Basisfallwerte streut um einen Mittelwert von etwa 2500 €. Dennoch gibt es eine erkleckliche Zahl von Krankenhäusern, darunter zahlreiche Universitätsklinika und Spezialkliniken, die 1000 € und mehr von diesem Mittelwert abweichen. Sollte dies auch auf Basis des aktuellen DRG-Systems bzw. seiner nächsten Anpassungsstufe so bleiben, ist die wirtschaftliche Existenz dieser Krankenhäuser mit Beginn der Freischaltung des Systems stark gefährdet. Die Mehrzahl der Krankenhäuser mit HNO-Hauptabteilungen gehört zu den Maximalversorgern und dürfte daher künftig mit sinkenden Basisfallwerten bzw. Krankenhausbudgets konfrontiert werden.

Folgerichtig ist derzeit in der Selbstverwaltung ein Streit über die Konvergenzphase entbrannt. Einigkeit besteht darin, Anfang 2005 mit der Konvergenzphase zu beginnen. Unter Hinweis auf die noch nicht ausgeräumten Schwächen des Systems fordert die DKG allerdings eine Streckung der Konvergenzphase auf 5 Jahre und einen deutlich flacheren „Einstiegswinkel” der Basisfallwert-Anpassung. Dies wird derzeit von den Kostenträgern vehement abgelehnt, während das Ministerium Gesprächsbereitschaft signalisiert hat.

Vor diesem Hintergrund muss derzeit davor gewarnt werden, ausschließlich am aktuellen Katalog orientierte Veränderungen des Patientenmanagements vorzunehmen oder unkritisch anhand jetziger Erlöse das Fallspektrum zu verändern. Ebenso zu warnen ist vor einer systematischen, erlösoptimierenden Fehlkodierung, da dies sowohl die Systemanpassung unterläuft als auch - wenn aufgedeckt - zu hohen Regressansprüchen seitens der Kostenträger führen wird.

Vielmehr sollte gegenwärtig die Verbesserung von Organisation und Effizienz innerhalb einer Klinik und an ihren Schnittstellen nach außen verbessert werden. Solche Schnittstellen sind beispielsweise die Ambulanz, Konsilleistungen oder die Aufnahme und Entlassung von Patienten. Das betrifft auch die Optimierung häufiger Abläufe bzw. Leistungsketten. Vor dem Hintergrund sinkender Mittel sind alle Kosten kritisch zu hinterfragen und die nicht notwendigen Kosten zu vermeiden. Kodierqualität und Kodierinstrumente sollten ebenso kontinuierlich verbessert werden wie das DRG-Know-how der Mitarbeiter.

Ein politisch intendierter Effekt der Gesundheitsreform ist die engere Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung. Bisher waren wir aus Sicht der HNO-Kliniken und Hauptabteilungen eine relativ klare Abgrenzung von ambulanter und stationärer Versorgung gewohnt, die sich nicht zuletzt auch in völlig unterschiedlichen Vergütungsformen niederschlug. Bereits durch die Verknüpfung der prä- und poststationären Behandlung mit dem DRG-System resultiert eine engere Verzahnung, die durch den zu erwartenden Ausbau ambulanter Behandlungen, insbesondere des ambulanten Operierens nach § 115b noch forciert werden dürfte.

Insgesamt ist also die Neuordnung der Refinanzierung stationär behandelter Patienten durch die DRGs nur ein Teilaspekt der anstehenden Veränderungen. Tatsächlich haben wir es mit einer Bandbreite von Vergütungs(re)formen zu tun, die massiv auf eine erhebliche Verkürzung der stationären Verweildauern und die Verlagerung der klinischen HNO-Heilkunde in den ambulanten Sektor ausgerichtet sind. Mit dieser bevorstehenden Entwicklung müssen wir uns auseinander setzen.

In dieser Situation ist auch die Fachgesellschaft gefordert, aktiv an der Gestaltung des G-DRG-Systems teilzunehmen. Im Rahmen des seit März 2004 laufenden DRG-Evaluationsprojektes wurden bereits für 2005 zahlreiche Änderungsvorschläge zum Fallpauschalenkatalog erarbeitet. Darüber hinaus gilt es, die medizinischen Klassifikation weiterzuentwickeln und dem tatsächlichen Stand der HNO-Heilkunde anzupassen. In diesem Zusammenhang wird auch die Erstellung und Herausgabe eines Kodierleitfadens vorangetrieben. Neben der Gestaltung des DRG-Systems hat die Fachgesellschaft aber auch die Aufgabe, im Sinne einer normativen Funktion medizinisch unsinnigen oder nicht verantwortbaren Entwicklungen entgegenzutreten. Dies umfasst die Herausgabe von Leitlinien, die Definition von medizinischen Standards, die Entwicklung von praktikablen Maßnahmen zur Qualitätssicherung und vieles mehr.

PD Dr. Jürgen Alberty

Klinik und Poliklinik für HNO-Krankheiten, UKM

Kardinal-von-Galen-Ring 10 · 48129 Münster, Germany

Email: alberty.hno@uni-muenster.de

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