Klin Monbl Augenheilkd 2002; 219(12): 851-857
DOI: 10.1055/s-2002-36951
Klinische Studie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Beeinflussen Prismen nach Hans-Joachim Haase die Augenprävalenz?

Do Prisms According to Hans-Joachim Haase Influence Ocular Prevalence?Miriam  Kromeier1 , Christina  Schmitt1 , Michael  Bach1 , Guntram  Kommerell1
  • 1Abteilung Neuroophthalmologie und Schielbehandlung (kommiss. ärztlicher Leiter: PD Dr. W. Lagrèze), Universitäts-Augenklinik Freiburg
Unterstützt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (KO 761/1-2). Für die Durchführung der Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase bei unseren 10 Versuchspersonen danken wir Herrn Volkhard Schroth, Augenoptikermeister in Freiburg
Further Information

Publication History

Eingegangen: 19. September 2002

Angenommen: 3. Dezember 2002

Publication Date:
27 January 2003 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund: Unter Augenprävalenz versteht man das Überwiegen eines Auges bei der Richtungswahrnehmung tiefenversetzter Objekte, die unter einer so großen Stereodisparität dargeboten werden, dass sie gerade noch nicht doppelt erscheinen. Ursache und praktische Bedeutung der Augenprävalenz sind umstritten. Hans-Joachim Haase nahm an, dass die ungleiche Gewichtung der beiden Augen auf einer kleinen Fehlstellung eines Auges beruhe, die er Fixationsdisparation nannte. Die „Fixationsdisparation” sei Folge einer latenten „Winkelfehlsichtigkeit”. Bei rechtzeitiger Prismenkorrektion der „Winkelfehlsichtigkeit” könne die Prävalenz in eine Isovalenz überführt werden. Wir prüften diese These. Methode: Wir untersuchten 10 nicht schielende Personen mit einer Sehschärfe beider Augen von ≥ 1,0. Bei der „Mess- und Korrektionsmethodik nach H.-J. Haase” (MKH) machten alle 10 Angaben entsprechend einer „Fixationsdisparation 2. Art”, die laut H.-J. Haase durch eine „disparate Korrespondenz” charakterisiert ist. Mit dem automatischen Freiburger Augenprävalenztest verglichen wir die spontane Augenprävalenz mit der unter Prismen, die mit der MKH bestimmt worden waren. Bei 5 der 10 Versuchspersonen prüften wir das Verhalten der Augenprävalenz unter Belastung mit Prismen Basis innen und außen. Bei allen 10 Versuchspersonen untersuchten wir das Verhältnis zwischen spontaner Augenprävalenz und Stereosehschärfe. Ergebnisse: Die spontane Augenprävalenz lag zwischen 1 und 69 % Rechtsprävalenz bzw. 7 und 20 % Linksprävalenz. Gemittelt über alle 10 Versuchspersonen änderte das MKH-Prisma die Augenprävalenz nicht signifikant. Bei Einzelauswertung ergab sich nur bei einer Versuchsperson eine signifikante Änderung, und zwar von 20 % Rechts- auf 6 % Linksprävalenz; bei Wiederholung war die Änderung von 20 % Rechts- auf 5 % Rechtsprävalenz allerdings nicht mehr signifikant. Bei den 5 Versuchspersonen, die mit Prismen belastet wurden, blieb die Augenprävalenz über einen Bereich zwischen 0 und 18 cm/m Basis außen unbeeinflusst. Der Stereogrenzwinkel aller 10 Versuchspersonen lag zwischen 1,5 und 14,5 Winkelsekunden und zeigte keinen Zusammenhang mit der spontanen Augenprävalenz (r = - 0,2, p = 0,5). Diskussion: Die vorgelegten Befunde sprechen dafür, dass die Augenprävalenz ein von Prismengläsern weitgehend unabhängiges Phänomen ist. Die gute Stereosehschärfe aller Versuchspersonen deutet darauf hin, dass Augenprävalenz aufgegeben wird, wenn sehr kleine Tiefenunterschiede erkannt werden sollen.

Abstract

Background: Ocular prevalence is defined as an unequal weighting of the eyes in the directional perception of stereo objects. Opinions differ as to the cause and relevance of ocular prevalence. Hans-Joachim Haase suggested that ocular prevalence is due to fixation disparity, brought about by incomplete compensation of heterophoria. He further suggested that prismatic spectacles determined by his „measuring and correcting methodology” (MKH) could restitute bicentral fixation and thus establish a perceptual balance between both eyes. Methods: We examined 10 non-strabismic subjects with a visual acuity of ≥ 1.0 in both eyes. It turned out that all 10 had a „fixation disparity type II”, characterised according to Haase by a „disparate retinal correspondence”. All subjects underwent the automatic Freiburg Ocular Prevalence Test, without and with MKH prisms. In addition we examined ocular prevalence under forced vergence and compared ocular prevalence with stereoacuity. Results: Spontaneous ocular prevalence ranged between 1 and 69 %. Averaged over all 10 subjects, ocular prevalence without and with the MKH prisms were not significantly different. Statistical evaluation of single subjects revealed only in one of the 10 a significant difference (Bonferroni-corrected p = 0.001). In the subgroup of 5 subjects who underwent forced vergence, ocular prevalence remained unaltered between 0 and 18Δ base out. The stereoscopic threshold of all 10 subjects ranged between 1.5 and 14.5 arcsec. There was no correlation between ocular prevalence and stereoscopic threshold (r = - 0.2, p = 0.5). Conclusion: Our results indicate that ocular prevalence is largely independent of phoria correction and vergence stress. The excellent stereoacuity of all subjects suggests that ocular prevalence is abandoned for the sake of optimal resolution when very small differences in depth have to be judged.

Literatur

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Dr. med. Miriam Kromeier

Abteilung Neuroophthalmologie und Schielbehandlung · Universitäts-Augenklinik Freiburg

Killianstraße 5

79106 Freiburg

Email: Kromeier@aug.ukl.uni-freiburg.de

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