Fortschr Neurol Psychiatr 2016; 84(09): 533
DOI: 10.1055/s-0042-116032
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Interessen und Interessenkonflikte

Interests and Conflicts of Interest
G. R. Fink
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Publication Date:
08 September 2016 (online)

Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie erwartet zu ihrem Kongress in Mannheim 6000 Teilnehmer, die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde hofft auf 9000 Teilnehmer für ihren Jahreskongress in Berlin. Beide Kongresse sind die europaweit größten Fachtagungen der jeweiligen Fachgebiete und Ausdruck der Bedeutung, die die Behandlung neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen hat.

Die Kehrseite ist, dass viele Akteure in die Versorgung von neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen sowie die Forschung eingebunden sind. Damit verbunden sind vielfältige Interessen, die berücksichtigt werden müssen und natürlich auch vertreten werden. In dieser komplexen Interessenlage sind Konflikte unvermeidbar.

Leitlinien kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Aufgabe zu: Leitlinien sind systematisch entwickelte Feststellungen, die Ärzte, Angehörige anderer Gesundheitsberufe und Patienten bei ihren Entscheidungen über die angemessene Gesundheitsversorgung unter spezifischen klinischen Umständen unterstützen. Seit 1995 koordiniert die AWMF auf Anregung des „Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen“ die Entwicklung von Leitlinien für Diagnostik und Therapie durch die einzelnen Fachgesellschaften.

Seit Jahren wird vor allem die Interaktion zwischen Ärzten und (Pharma-)Industrie kritisch begleitet – mit zunehmender Schärfe: Gerade erst wurden Zahlungen der Industrie an Ärzte mit großer Medienresonanz veröffentlicht. Die Wortwahl, beispielhaft sei nur die Schlagzeile „Pharmahonorar für Ärzte: Vielen Dank für die Millionen!“ genannt, ist selten justiziabel, die Tonlage aber eindeutig und der öffentliche Eindruck, der „hängen bleibt“, meist undifferenziert. Dabei zeigt ein schneller Blick in die öffentlichen Datenbanken, dass diese Daten unvollständig sind, in Bezug auf die aufgeführten Ärzte wie auch auf die Summen.

Transparenz ist wichtig. Dass es Korruption gibt, ist nicht zu bestreiten. Diese muss im Interesse der Nichtkorrumpierbaren bekämpft werden.

Allerdings dürfen wir „das Kind nicht mit dem Bade ausschütten“. Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten, Wissenschaftlern und Industrie ist politisch und damit – ja! – gesellschaftlich gewollt. Grundlagenforschung und translationale klinische Forschung und Prüfung gehören zusammen. Diese Zusammenarbeit wird staatlich gewünscht und gefördert. Wissenschaftler, Ärzte und Industrie verfolgen – mit jeweils eigenen Interessen – gemeinsam nicht nur Forschungsziele, sondern auch Fort- und Weiterbildung, Aufklärung etc., Sponsoring von Veranstaltungen bis hin zu großen Kongressen. Dies für sich bedingt keine Korruption – erfordert aber unsere Aufmerksamkeit, denn in der Tat: „There is no free lunch.“

Gleichwohl ist der Umkehrschluss falsch, dass jeder Kontakt mit der Industrie und jede finanzielle Zuwendung der Industrie – sei es an eine Einzelperson z. B. im Rahmen einer Beratung oder eines Vortrags, sei es an eine Institution z. B. im Rahmen einer Studie – potenziell zur Korruption führt. Es entsteht auch nicht notwendigerweise ein Interessenkonflikt, der dann Entscheidungen zugunsten des Industriepartners ausfallen lassen könnte, sei es bewusst oder unbewusst.

Wichtig ist vielmehr, potenzielle Interessenkonflikte zu erkennen, mit ihnen offen und transparent umzugehen und sie selbst zu bewerten, aber auch von Dritten bewerten zu lassen. Die DGN als eine Fachgesellschaft, die Vorreiter bei den Leitlinien ist und ca. ein Drittel aller Leitlinien deutscher Fachgesellschaften verantwortet, hat dazu ein Verfahren implementiert, das die öffentliche Kritik und Sensibilität, ob gerechtfertigt oder nicht, aufnimmt, für Transparenz sorgt und die Akzeptanz der Leitlinien auch in der Zukunft sichern soll. Dazu gehört auch, dass die fachliche Kompetenz der Leitlinienautoren sichergestellt bleibt und international anerkannte Forscher und Ärzte sich nicht aus der Leitliniengestaltung herausziehen, weil sie der öffentlichen Verdächtigungen überdrüssig sind. Dies ist in unser aller Interesse.

Es gibt viele Interessen im Gesundheitssystem: die der Patienten (z. B. Anspruchsverhalten), der Patientenverbände (z. B. Lobbyismus), die Interessen der Behandler in der Praxis (z. B. Budgetzwänge), der Behandler in der Klinik (z. B. DRG-System, Deckungsbeitragsrechnung), die Interessen von Krankenkassen, Industrie, Politik, um nur Schlüssel-Interessenvertreter zu erwähnen.

Dementsprechend ist das Feld der potenziellen Interessenkonflikte weit und geht eindeutig über das Verhältnis Ärzte/Pharmaindustrie hinaus. Es ist wichtig, dass zukünftig die Debatte dementsprechend differenzierter (und: auf einer besseren Datenbasis) geführt wird als bisher.

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Prof. Dr. G.R. Fink