Psychother Psychosom Med Psychol 2022; 72(08): 341-344
DOI: 10.1055/a-1840-7285
Editorial

Psychosoziale Aspekte der digitalisierten Medizin und deren Integration in die Lehre für Studierende der Humanmedizin

Psychosocial Aspects of Digitized Medicine and their Integration into Medical Education
Carlotta Julia Mayer
1   Institut für Medizinische Psychologie Universitätsklinikum Heidelberg, Ruprecht Karls-Universität Heidelberg Bergheimer Straße 20 69115 Heidelberg
,
Julia Mahal
1   Institut für Medizinische Psychologie Universitätsklinikum Heidelberg, Ruprecht Karls-Universität Heidelberg Bergheimer Straße 20 69115 Heidelberg
,
Katja Schmalenberger
1   Institut für Medizinische Psychologie Universitätsklinikum Heidelberg, Ruprecht Karls-Universität Heidelberg Bergheimer Straße 20 69115 Heidelberg
2   Department of Psychiatry University of Illinois at Chicago 1747 W. Roosevelt Rd. Chicago, IL 60612 USA
,
Magdalena Wekenborg
3   Abteilung für Biopsychologie TU Dresden Zellescher Weg 19 01069 Dresden
,
Anna Georg
4   Institut für Psychosoziale Prävention Universitätsklinikum Heidelberg Ruprecht Karls-Universität Heidelberg Bergheimer Straße 54 69115 Heidelberg
,
Beate Ditzen
1   Institut für Medizinische Psychologie Universitätsklinikum Heidelberg, Ruprecht Karls-Universität Heidelberg Bergheimer Straße 20 69115 Heidelberg
› Author Affiliations

Einführung

Die rapide Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ermöglicht es mittlerweile, Diagnostik und ärztliche Gespräche über räumliche Distanz und zeitliche Verzögerungen hinweg zu führen und kann damit Versorgungslücken schließen [1] [2]. Die fortschreitende Digitalisierung weiter Bereiche der Medizin hat damit neben den Effekten auf Diagnostik und Behandlung selbst aber auch einen deutlichen Einfluss auf die Interaktion zwischen Ärzt*innen und Patient*innen [3].

Verändert sind u. a. die Kommunikation über den Bildschirm oder per Chat, die Interaktion mit digital vorinformierten Patient*innen, die Nutzung von Apps sowie die Kommunikation über die Entfernung in einem für die Ärztin oder den Arzt weniger vorhersehbaren und nicht unmittelbar gestaltbaren Setting (z. B. bei den Patient*innen zu Hause, in einem anderen Land, in einer anderen Klinik) [4]. Die Kommunikation zwischen Ärzt*innen und Patient*innen, hier u. a. die Aufklärung der Patient*innen, die Übermittlung schlechter Nachrichten, die Risikokommunikation und die Begleitung medizinischer Entscheidungen in einem unsicheren Kontext, stellt einen zentralen Lehrbereich der psychosozialen Fächer im Medizinstudium vom vorklinischen Studienabschnitt bis in die Klinik dar [5]. Hiermit übereinstimmend berichten die Befragten in einer aktuellen deutschlandweiten Studie mit 350 klinisch-tätigen Ärzt*innen, dass konkrete Hinweise und Übungen zur Arzt-Patient-Kommunikation und spezifisch dem Vermitteln schlechter Nachrichten für ihre spätere Berufstätigkeit besonders wichtig waren [6]. Zudem stellt nicht nur für die Patient*innen eine schlechte Nachricht eine Belastung dar, sondern auch für die behandelnden Ärzt*innen. Sie selbst zeigen in einem schwierigen Gespräch ebenfalls erhöhte psychobiologische Stresslevel (u. a. Stress-sensitive Hormone, Herzrate, Blutdruck) und diese korrelieren mit ihrer wahrgenommenen Belastung [7].

Der Kontext, in dem die Interaktion zwischen Ärzt*innen und Patient*innen stattfindet, ändert sich durch die Digitalisierung in der Medizin. Dies hat auch Konsequenzen für die Kompetenzen, welche die Ärzt*innen im klinischen Alltag benötigen [3] und stellt zudem die Patient*innen vor besondere Herausforderungen. Diese berichteten beispielsweise, dass sie sich während eines digitalen Kontakts weniger einbezogen fühlten, Schwierigkeiten hatten im Gespräch Gelegenheiten zum Sprechen zu finden, und das Gefühl hatten, unter Zeitdruck zu stehen [8].

Abgesehen von technischen Aspekten liegt deshalb ein spezieller Fokus der neu gegründeten Arbeitsgruppe „Psychosoziale Aspekte der digitalen Medizin“ der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Psychologie (DGMP) u. a. auf der Frage, wie die über den Bildschirm vermittelte soziale Interaktion und der situative Kontext Diagnose, Indikationsstellung und Kommunikation beeinflussen. So haben per Video oder Chat Ärzt*innen z. B. beim Überbringen einer schlechten Nachricht oder der Diskussion eines kritischen Befundes nur eingeschränkte Möglichkeiten, um auf die Patient*innen über die Entfernung adäquat einzugehen und sicherzustellen, dass die überbrachten Informationen korrekt verstanden werden [3]. Wahrnehmung, Empathie- und Mentalisierungsfähigkeit, Adaptivität, Beziehungsgestaltung und der Einbezug des sozialen Umfeldes der Patient*innen sind für die ärztliche Kommunikation zentral; dies gilt für Interaktionen von Angesicht zu Angesicht wie für die Telemedizin [9]. Jedoch stehen Ärzt*innen weniger nonverbale Hinweise von Seiten der Patient*innen zur Verfügung [10]. Wie Patient*innen die Gesprächsinhalte verarbeiten, bestimmt aber wiederum den weiteren Behandlungserfolg. In zwei Publikationen im NEJM werden hier vor allem die Schwierigkeit, Vertrauen in die Behandelnden zu entwickeln, genannt, ebenso die Gefahr von ärztlichen Fehleinschätzungen bis hin zu Fehlmedikation und Überbehandlung [11] [12]. Diese Veröffentlichungen aus dem englischsprachigen Raum unterstreichen die Notwendigkeit von strukturierten Lehrangeboten zur Gestaltung der Beziehung zwischen Patient*innen und Ärzt*innen in der digitalen Medizin.



Publication History

Article published online:
22 August 2022

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  • Literatur

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  • 2 Szecsenyi J, Miksch A, Baudendistel I. et al. Praktisches Handbuch zur Qualitätsentwicklung in der Telemedizin Wie kann ein Telemedizinprojekt nachhaltig gelingen? Die wichtigsten Fragen und Antworten auf einen Blick. Ministerium für Wissenschaft und Kunst Baden-Württemberg. 2018
  • 3 Győrffy Z, Radó N, Mesko B. Digitally engaged physicians about the digital health transition. PLOS ONE 2020; 15: e0238658 DOI: 10.1371/journal.pone.0238658.
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  • 8 Gordon HS, Solanki P, Bokhour BG. et al. “I’m Not Feeling Like I’m Part of the Conversation” Patients’ Perspectives on Communicating in Clinical Video Telehealth Visits. Journal of General Internal Medicine 2020; 35: 1751-1758 DOI: 10.1007/s11606-020-05673-w.
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