Zusammenfassung
Gewaltenteilung und Demokratie sind als Kernkonzepte der Politikwissenschaft eng aufeinander bezogen, denn repräsentative Demokratien, die demokratischen Standards genügen, müssen auf einem gewaltenteiligen System beruhen. Dieser Anspruch ist in den meisten repräsentativen Demokratien in die formal-institutionelle Trennung von Legislative, Exekutive und Judikative übersetzt worden, die gegenseitige Kontrolle, Ausgleich und Mäßigung der Herrschaftsmacht erlaubt. Jedoch ist diese Verbindung von Gewaltenteilung und repräsentativer Demokratie seit mehreren Jahrzehnten Wandlungsprozessen unterzogen. Ein zentraler Faktor für Veränderung ist dabei die Europäische Integration, die in den EU-Mitgliedstaaten und besonders in ihren politischen Systemen vielfältige Anpassungsprozesse auslöst. Der einführende Artikel diskutiert kurz die Begriffe der Demokratie und Gewaltenteilung und führt drei zentrale Charakterisierungen von Gewaltenteilung in repräsentativen Demokratien ein. Auf dieser Basis wird der Zusammenhang von Demokratie und Gewaltenteilung in drei Dimensionen des EU-Mehrebenensystems konzeptionalisiert: interne Aufsplittung einer Organgewalt, sowie horizontale und vertikale Teilung. Abschließend erfolgt ein Überblick über Struktur und Beiträge des Sonderheftes.
Abstract
Balance of powers and democracy are key concepts in political science, and as such, they are closely related normatively and empirically: representative democracies that fulfil democratic standards must be based on a political system that is marked by a balance of powers. In most representative democracies this normative standard has been translated empirically into a separation of legislative, executive and judicative powers, which allows for their mutual control and balancing. But this relationship of balance of powers and democracy has seen substantial changes over the last decades. One central challenge emanates from the European integration process, which is responsible for numerous changes in its member states and particularly in their political systems. This introductory article briefly discusses the concepts of democracy and balance of powers, before introducing three core features characterizing balance of powers in representative democracies. Based on this sketch, we turn to the specific relationship between balance of powers and democracy in the EU multilevel system and conceptualize this relationship along three dimensions: the internal split within one power, as well as horizontal and vertical balances of powers. The article closes with an overview on the contributions in the special issue.
Notes
Hier können mehrere Phasen unterschieden werden: bis 2010 ist vor allem von einer Finanzmarktkrise zu sprechen, ab 2010 dann von einer Wirtschaftskrise, die in einigen EU-Staaten mit einer Staatsschuldenkrise einherging bzw. in diese mündete.
Auch wenn in der „ordinary legislative procedure“ nunmehr Rat und Parlament formal gleichberechtigt sind, erstreckt diese sich nicht auf alle Politikbereiche, und auch wenn das Parlament die Kommission zu Gesetzesentwürfen auffordern kann, kann es diese doch nicht direkt beschließen (Tiilikainen und Wiesner im Erscheinen).
Die Tatsache, dass die Entscheidungen meist in Richtung einer weiteren Vertiefung der Integration gefällt werden, wird dabei vielfach als Indiz für eine eingeschränkte Unabhängigkeit der Judikative gewertet.
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Der Sonderband entstand in Kooperation der DVPW-Sektion Vergleichende Politikwissenschaft und des DVPW-Arbeitskreises Integration. In dem Workshop „Gewaltenteilung und Demokratie im Mehrebenensystem der EU“ im Oktober 2014 wurden die einzelnen Beiträge vorgestellt und diskutiert. Wir danken allen Teilnehmern sowie den externen Gutachtern Michael Kaeding, Michèle Knodt, Susanne Pickel, Oliver Schwarz und Carina Sprungk für hilfreiche Kritik und Kommentare. Ohne die finanzielle Unterstützung der Thyssen Stiftung hätten wir das Vorhaben nicht realisieren können. Wir danken Michael Burkhardt und Lilian Lamadieu für ihre Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts.
Prof. Dr. Miriam Hartlapp hat den Lehrstuhl für Multilevel Governance des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Leipzig inne.
PD. Dr. Claudia Wiesner ist docent (associate professor) für Politikwissenschaft an der Universität Jyväskylä und Senior Guest Researcher an der TU Darmstadt
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Hartlapp, M., Wiesner, C. Gewaltenteilung und Demokratie im EU-Mehrebenensystem. Z Politikwiss 26 (Suppl 1), 3–16 (2016). https://doi.org/10.1007/s41358-015-0002-3
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