Das Präventionsgesetz trat im Juli 2015 in Kraft. Es verpflichtet die Sozialversicherungsträger zur Zusammenarbeit und Strukturbildung, um die Lebenswelt Hochschule und ihre Statusgruppen mit Leistungen der nicht-medizinischen Prävention und Gesundheitsförderung zu unterstützen. Die Autorinnen- und Autorengruppe hat 2019 im Rahmen des Präventionsforums der Nationalen Präventionskonferenz für den Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen öffentlich Bilanz gezogen und dringenden Handlungsbedarf im Sinne des Präventionsgesetzes aufgezeigt. Das darauf basierende und aktualisierte Strategiepapier wird in diesem Artikel auszugsweise vorgestellt.

Einleitung

Das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsförderung und Prävention (Präventionsgesetz – PrävG; BGBl. I S. 1368, 1781) beinhaltet eine Reihe von Neuerungen, die für Hochschulen von Bedeutung sind [1]. Im Vergleich zu den seit dem Jahr 2000 definierten Leistungsbereichen nach § 20 des 5. Buches Sozialgesetzbuch (SGB V) sieht das PrävG höhere Investitionen in die Gesundheitsförderung und eine strukturelle Weiterentwicklung vor. Dies gilt v. a. für Leistungen zur Gesundheitsförderung in Lebenswelten (§ 20a SGB V) und in Betrieben (§ 20b SGB V).

Der bundesweite Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen (AGH) berät und vernetzt seit 25 Jahren zum Thema, organisiert Treffen und Tagungen und arbeitet seit 2005 auf der Grundlage der zehn Gütekriterien für gesundheitsfördernde Hochschulen [2]. Eine Arbeitsgruppe im AGH hat ein Strategiepapier zur Umsetzung des PrävG in der Organisation Hochschule verfasst. Die darauf basierenden Handlungsempfehlungen wurden unter dem Titel „Gesundheitsförderungsstrategie 2019–2022 für Hochschulen“ veröffentlicht [3] und auf dem Präventionsforum 2019 vorgestellt [4, S. 30–32]. Hierauf beziehen sich die folgenden Ausführungen mit der Schnittstelle zur Lebenswelt Hochschule sowie ihren Strukturen, Prozessen, Akteurinnen und Akteuren. Zum Abschluss werden die wichtigsten Handlungsempfehlungen des Strategiepapiers mit den jeweiligen Adressaten aufgezeigt und unter anderem in Bezug auf die Stellungnahme der Bundesregierung zum nationalen Präventionsbericht vom 7. Januar 2021 diskutiert [5].

Eckpunkte des Präventionsgesetzes

Die Umsetzung des Präventionsgesetzes erfolgt auf Bundesebene durch die Nationale Präventionskonferenz (NPK) mit einer Geschäftsstelle bei der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA; § 20e[1] SGB V). Die NPK hat u. a. die Aufgabe alle vier Jahre für die Leistungsausgaben des § 20a und § 20b SGB V einen nationalen Präventionsbericht – erstmals 1. Juli 2019 – im Rahmen der nationalen Präventionsstrategie (§ 20e[1] SGB V) vorzulegen [6]. Darauf aufbauend sind bundeseinheitliche, trägerübergreifende Rahmenempfehlungen für Deutschland abzuleiten (§ 20e[2] SGB V). Für die erste Periode hatte sich die NPK Anfang 2016 auf die Bundesrahmenempfehlungen (BRE; § 20d SGB V) verständigt [7].

Die Mitwirkung der Zivilgesellschaft und Fachöffentlichkeit soll durch das einmal jährlich stattfindende Präventionsforum ermöglicht werden. Es wird von der Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG) ausgerichtet (§ 20e[3] SGB V; [8]). Auf Landesebene sind auf Basis der BRE jeweils Landesrahmenvereinbarungen (LRV) abzuschließen. Gesetzlich vorgesehen ist die Beteiligung der Sozialversicherungsträger, der Länderministerien und -behörden, des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie die „Mitwirkung weiterer für die Gesundheitsförderung und Prävention relevanter Einrichtungen und Organisationen“ um landesspezifische, „wirksame und zielgerichtete Gesundheitsförderung und Prävention“ zu entwickeln und umzusetzen (§ 20f SGB V).

Neu ist, dass im PrävG die Lebenswelt „des Studierens“ mit angeführt wird. Damit ist die gesamte Organisation Hochschule über die betriebliche Gesundheitsförderung für die Beschäftigten hinaus explizit als förderungswürdig nach § 20a und § 20b SGB V anerkannt. Unter der Lebensphase „Gesund aufwachsen“ sind in den BRE für alle Heranwachsenden einschließlich der Auszubildenden und Studierenden die derzeitigen gemeinsam vereinbarten Handlungsfelder benannt [7] und werden im aktuellen GKV-Leitfaden Prävention noch erweitert [10] und in der Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Handlungsfelder der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) und gesetzlichen Unfallversicherungen (GUV) in Bezug auf Studierende in den Bundesrahmenempfehlungen [7, S. 18, 19, 43] und der GKV im Leitfaden Prävention [10, S. 51–52]

Die Ausführungsbestimmung zur Leistungserbringung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist der seit dem Jahr 2000 (vgl. [9, S. 19–20]) kontinuierlich weiterentwickelte „Leitfaden Prävention“ des GKV-Spitzenverbands [10]. Die jährlichen Leistungsausgaben nach § 20 SGB V werden im GKV-Präventionsbericht zuletzt für das Jahr 2019 dokumentiert [9]. Für Hochschulen gibt es seit Ende 2020 im GKV-Leitfaden Prävention ein eigenständiges Kapitel. Die Förderkriterien sollen „den Aufbau und die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen in den Hochschulen [..] unterstützen“ [10, S. 51–52]. Neben dem Abdruck der zehn Gütekriterien des AGH [2] als „Grundlage für die Durchführung von Gesundheitsprojekten an Hochschulen“ wird den Handlungsfeldern Priorität eingeräumt, die die Gesundheitskompetenz (Tab. 1) der Studierenden stärken sollen. Seit Anfang 2020 gibt es unter der Rubrik „Gesunde Lebenswelten“ auf der Internetpräsenz von www.gkv-buendnis.de [11] einen Wegweiser zum PrävG für Hochschulen. Vergleichbare Ausführungsbestimmungen und Förderkriterien liegen für die gesetzliche Unfallversicherung (GUV) nicht vor.

Lebenswelt Hochschule

Die Lebenswelt „Hochschule“ zeichnet sich durch das organisierte Miteinander dreier sehr unterschiedlicher und heterogener Statusgruppen aus: Studierende, wissenschaftsunterstützendes Personal (z. B. Verwaltung, Bibliothek, Technik) sowie das wissenschaftliche Personal. Hochschule ist der Oberbegriff für Einrichtungen des tertiären Bildungswesens, in deren Organisationseinheit Wissenschaft, Forschung, Praxistransfer, Lehre und Studium umgesetzt werden. Der rechtliche Gestaltungsspielraum der Hochschulen wird weitgehend durch das Grundgesetz und die 16 Landeshochschulgesetze, die sich vom Hochschulrahmengesetz ableiten, geregelt [12].

In Deutschland gibt es 424 (09/2020) Hochschulen in staatlicher (Bund, Land, Kommune) bzw. staatlich anerkannter privater und/oder konfessioneller Trägerschaft. Sie werden als Präsenz- oder Fernhochschulen betrieben. Es werden sechs Hochschularten unterschieden: 213 Fachhochschulen, 107 Universitäten, 52 Kunsthochschulen, 30 Verwaltungshochschulen, 16 Theologische Hochschulen und 6 Pädagogische Hochschulen. Mit Stand Januar 2020 sind darunter 117 private Hochschulen. Im Wintersemester 2020/21 sind 2.948.695 Studierende eingeschrieben [13]. In 2019 sind an den Hochschulen 737.762 Personen einschließlich der Universitätskliniken haupt- und nebenberuflich beschäftigt [14, 15, S. 10–14].

In Bezug auf die Studierenden und ihre Lebenswelt spielen die 57 Studenten‑/Studierendenwerke eine gewichtige Rolle, da sie auch außerhalb des Campus z. B. in der Versorgung mit Wohnraum tätig sind [16]. Darüber hinaus unterstützen sie gezielt Studierende mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen [17, 18]. Sie unterhalten 43 Psychologische Beratungsstellen, in denen im Jahr 2019 fast 35.000 Personen vorstellig wurden [19, S. 56]. Die Studierendenwerke sind eigenständige Organisationseinheiten und beschäftigen in Deutschland über 20.000 Personen. Die Rechtsgrundlagen über die Errichtung, Organisation und ihre Aufgaben finden sich in den Hochschul- oder Studierendenwerksgesetzen der Bundesländer. In 13 von ihnen sind dort Gesundheit bzw. Gesundheitsförderung als Aufgabenfeld der Studierendenwerke aufgeführt [20].

Ein weiterer relevanter Akteur ist der Allgemeine Deutsche Hochschulsportverband (adh), in dem 202 Mitgliedshochschulen vertreten sind [21]. Seit 1976 ist der Hochschulsport als Förderungsaufgabe der Hochschulen auf Bundes- und Landesebene fest verankert. Im Kontext des § 20 SGB V engagiert sich der adh seit 10 Jahren in der strategischen Weiterentwicklung der Gesundheitsförderung [22].

Strukturen gesundheitsfördernder Hochschulen

Gesundheitsfördernde Hochschulen entwickeln auf Basis der zehn Gütekriterien des AGH [2] integrierte Strukturen und Prozesse. Diese haben die gesundheitsförderliche Gestaltung von Arbeits- und Studienbedingungen der Organisation sowie des Verhaltens der Hochschulmitglieder zum Ziel. Entsprechend bedarf es eines eigenständigen Managementsystems. Es führt die Gesundheitsförderung auf der Leitungsebene, in allen Statusgruppen und in das Leitbild bzw. die Entwicklungsziele der Hochschule ein, um sie als Prozess der Organisationsentwicklung dauerhaft zu verankern [23, S. 17, 24]. Über die Einführung der betrieblichen Gesundheitsförderung für Beschäftigte an Hochschulen durch § 20 SGB V, hat sich in den letzten 20 Jahren mit Unterstützung der gesetzlichen Krankenkassen [25] ein betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) entwickelt. Hierzu gehören Personalstellen zur BGM-Koordination, die zu ca. 90 % in der Personal- und Organisationsentwicklung der Hochschulverwaltung angesiedelt sind [26]. Von hier aus werden die gesundheitsrelevanten Akteure bzw. Entscheiderinnen und Entscheider in einem Arbeitskreis Gesundheit einbezogen. Dieser kann je nach Hochschule auch abweichende Bezeichnungen tragen. In Abb. 1 sind die internen und externen Akteurinnen und Akteure aufgezeigt, die an den Prozessen zur Umsetzung einer gesundheitsfördernden Hochschule beteiligt sein können.

Abb. 1
figure 1

Übersicht zu den internen und externen Akteurinnen und Akteuren der gesundheitsfördernden Hochschulen nach Hartmann und Seidl [27, S. 10], Michel et al. [24, S. 13]. Sternchen kann sowohl interner als auch externer Akteur sein, Doppelsternchen z. B. Arbeits‑, Gesundheits‑, Sportwissenschaft, Medizin, Psychologie, Soziale Arbeit, BEM betriebliches Eingliederungsmanagement, BGM betriebliches Gesundheitsmanagement, SGM studentisches Gesundheitsmanagement

Hochschulen und Präventionsgesetz

Der Begriff bzw. die Organisation Hochschule ist im PrävG nicht direkt verankert. Aus Sicht der leistungsrechtlichen Vorgaben ist die Einteilung der Organisation Hochschule in eine sog. „nicht-betriebliche Lebenswelt“ (§ 20a SGB V) und in einen „Betrieb“ (§ 20b SGB V) zu unterscheiden. Zugleich wird der von der in der Ottawa-Charta [28] beschriebene Setting-Ansatz (auch Lebensweltansatz) im PrävG (§ 20a) als „… für die Gesundheit bedeutsame, abgrenzbare soziale Systeme insbesondere des Wohnens, des Lernens, des Studierens, …“ verstanden. Die Lebenswelt „des Studierens“ umfasst einerseits alle Aspekte von Hochschule, die für das Studieren relevant sind: den Studienauftakt, das jeweilige Curriculum und die Studienorganisation, die Prüfungen, das vorhandene Personal, das Gebäudemanagement, die Campusgestaltung, die Bereitstellung von Mensaessen, Hochschulsport, psychosozialer Beratung und Arbeitsplätzen für Studierende (als studentische bzw. wissenschaftliche Hilfskräfte oder in Servicebereichen) etc. Andererseits die durch das Studierendenwerk oder die Kommune bereitgestellten Möglichkeiten des Wohnens, der Infrastrukturen (z. B. für die Mobilität), der Kultur- und Beratungsangebote sowie die institutionalisierten Möglichkeiten, mit anderen in Kontakt zu kommen, und vieles mehr [29, S. 12–13].

Handlungsempfehlungen (Stand: Oktober 2020)

Der AGH sieht erheblichen Handlungsbedarf, um das Präventionsgesetz 5 Jahre nach Inkrafttreten in den Hochschulen noch konsequenter anzuwenden. Da es sich um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe handelt, bedarf es einer Strategie, die weitere bundes- und landesgesetzliche Regelungen zu Gesundheit und Sicherheit so integriert, dass alle Hochschulmitglieder – Studierende, wissenschaftsunterstützende und wissenschaftlich Beschäftigte – einbezogen werden. Um die Gesundheitsförderungsstrategie 2019–2022 und ihre Handlungsempfehlungen [3] umzusetzen, müssen eine Reihe von Eckpunkten erfüllt sein. In Tab. 2 sind die wichtigsten Adressaten und Ziele mit Erläuterungen aufgelistet. Die Handlungsempfehlungen richten sich an die Bundespolitik, die Bundesländer, die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger sowie die Hochschulen und Studierendenwerke.

Tab. 2 Auszug der Handlungsempfehlungen der Gesundheitsförderungsstrategie 2019–2022 für Hochschulen unterteilt nach Adressaten, Zielen und Erläuterungen [3]

Diskussion

Stand Umsetzung des Präventionsgesetzes

Im Jahr 2019 sind 631 Mio. € für Maßnahmen zur Gesundheitsförderung und Prävention nach § 20 SGB V ausgegeben worden [9]. Für den Lebensweltansatz (§ 20a) lag der Betrag bei ca. 166 Mio. €, wovon gut 20 % pauschal an die BZgA überwiesen wurden (§ 20a Abs. 3). Laut eines Berichts des Bundesrechnungshofs (BRH; [32]) werden sie bisher nur zu einem Bruchteil für die der BZgA gesetzlich übertragenen Aufgaben zur Qualitätssicherung und wissenschaftlichen Evaluation der Umsetzung des Lebensweltansatzes ausgegeben. Am 18.05.2021 hat das Bundessozialgericht nach 5 Jahren entschieden, dass der Bund nicht auf die Gelder der Sozialversicherungen zur Finanzierung seiner Behörden zugreifen darf (Az: B 1 A 2/20 R). Für 2020 sind durch das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung die Mindestausgabenwerte des PrävG ausgesetzt worden [9, S. 130]. Dies hat nach den vorläufigen Finanzergebnissen der GKV [33] in 2020 in allen drei Leistungsbereichen nach § 20 SGB V zu einem Rückgang der eingesetzten Finanzmittel von 29,5 % (183.574.955 €) im Vergleich zum Berichtsjahr 2019 geführt. Die nicht-betriebliche Gesundheitsförderung und Prävention (§ 20a SGB V) waren mit 33,7 % davon überproportional betroffen.

Nach 18 Monaten hat die Bundesregierung eine Stellungnahme zum nationalen Präventionsbericht veröffentlicht [5]. Eine Reihe von Aspekten, die bei der Umsetzung des PrävG in Zukunft verstärkt Berücksichtigung finden sollten, werden auch im Strategiepapier des AGH [3] benannt. Dazu gehören u. a. die bisher zu geringe Einbeziehung der Hochschulen, die Rolle der Bundesvereinigung für Prävention und Gesundheitsförderung (BVPG) sowie die mangelnde Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilgesellschaft auf Landesebene. Darüber hinaus fehlt es weiterhin an einer Präventionsberichterstattung auf Ebene der Bundesländer für die Lebenswelten [34].

Studierende als Zielgruppe

Die Gruppe der Studierenden, die ca. 80 % der Hochschulmitglieder umfasst, stand zu Beginn kaum im Fokus einer gesundheitsfördernden Hochschule. Das gilt analog auch für den Arbeits- und Gesundheitsschutz. Bis zum Inkrafttreten des PrävG 2015 war die Förderpolitik der gesetzlichen Krankenkassen nach § 20a SGB V auf die betriebliche Gesundheitsförderung für die Hochschulbeschäftigten – und hier insbesondere der Verwaltung – ausgerichtet. Seit 2015 konnten mit fachwissenschaftlicher Begleitung vielfältige Projekte im studentischen Gesundheitsmanagement (SGM) angeschoben und mit den Handlungsempfehlungen in Theorie und Praxis dokumentiert und ausgewertet werden [29]. Perspektivisch sollten alle Statusgruppen in ein universitäres Gesundheitsmanagement (UGM) beziehungsweise hochschulbezogenes Gesundheitsmanagement (HGM) zusammengeführt werden [26]. Dazu bedarf es der Schaffung entsprechender Strukturen: Die Unterstützung der Hochschulleitung durch Gesundheitskoordinatorinnen und Gesundheitskoordinatoren und die Einrichtung einer Steuerungsgruppe [35, S. 399] mit allen relevanten internen und externen Akteurinnen und Akteuren (vgl. Abb. 1).

Hochschulen als Orte sozialer Ungleichheiten

Das PrävG verlangt „die Verminderung sozial bedingter sowie geschlechtsbezogener Ungleichheit von Gesundheitschancen“ (§ 20 Abs. 1). Der Zugang zur akademischen Bildung und das erfolgreiche Absolvieren eines Studiums ist in Deutschland im hohen Maße – vergleichbar anderer Bildungseinrichtungen – von der sozialen Herkunft abhängig [36]. Informationen zur sozialen Ungleichheit sind bereits seit 1951 in den Sozialerhebungen über die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland dokumentiert. In der aktuellen 21. Sozialerhebung für das Berichtsjahr 2016 findet sich eine Fülle an Ergebnissen, die im Sinne des Auftrags des PrävG Handlungsbedarfe aufzeigen [37]. Eine aktuelle Studie von Diehl et al. [38] weist zudem auf gesundheitliche Ungleichheiten in der Gruppe der Studierenden hin, die das Bild der vermeintlich gesellschaftlich privilegierten (und gesunden) Studierenden korrigiert. Neben („vertikalen“) sozio-ökonomisch bedingten Ungleichheiten bei Studierenden und Beschäftigten (sowie teilweise des wissenschaftlichen Personals), gilt es ebenso („horizontale“) Ungleichheiten zu identifizieren und zu vermindern (Tab. 2). Diese bestehen auf Grund des Geschlechts [39], Migrationshintergrund, Mehrfachbeeinträchtigungen (Intersektionalität), First Generation und weiterer vulnerabler Gruppen im Hochschulbereich. Durch die COVID-19-Pandemie („coronavirus disease 2019“) hat sich diese Situation nach ersten Erkenntnissen bei der ökonomischen Situation, dem Gesundheitszustand und den Bildungschancen verschärft [40, 41]. Besonders zu berücksichtigende Gruppen sind Studierende mit mangelnder technischer Ausstattung, Mehrfachbelastung sowie Studierende mit chronischer Erkrankung bzw. Behinderung.

Zusammenarbeit der Sozialversicherungsträger

Im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförderung wurde mit der Initiative Gesundheit und Arbeit (iga; [42]) ein gemeinsames Dach für Präventions- und Gesundheitsförderungsaktivitäten zwischen der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) und drei Krankenkassenverbänden auf Bundesebene gefunden. Die gesetzliche Unfallversicherung (GUV) ist der zentrale Sozialversicherungsträger für die Gesundheit, Prävention und Sicherheit von Studierenden an Hochschulen. Die Zusammenarbeit aller Sozialversicherungsträger könnte von einer gesundheitswissenschaftlich orientierten Präventionsberichterstattung profitieren. Diese könnte z. B. über das Unfallgeschehen von Studierenden auf Bundes- und Landesebene mitteilen, die dem Handlungsfeld „Unfallprävention“ (Tab. 1) entsprechende Grundlagen liefern würde. Zudem sollten die Unfallkassen auf Landesebene die Aufnahme der Lebenswelt Hochschule in die Landesrahmenvereinbarungen in allen Bundesländern unterstützen. Dazu gehört, alle Hochschulen zumindest auf Landesebene fördernd zu vernetzen. Beispielgebend ist dies für einen Teil der Hochschulen Nordrhein-Westfalens mit der Anwendung des sog. Bielefelder Fragebogens zu den Beschäftigungsbedingungen erfolgt [43]. Betreffend der Studienverhältnisse wird der Fragebogen zur Zeit weiterentwickelt. Alternativ kann die GUV die Hochschulen in einem strukturierten Organisationsentwicklungsprozess bei der Berücksichtigung psychischer Belastungen in der Gefährdungsbeurteilung unterstützen. Unter anderem je Organisationseinheit durch Fokusgruppen, Workshops, Austauschtreffen mit Maßnahmenerstellung, Review- und Feedbacktreffen. Obwohl durch das Management von Sicherheit und Gesundheit geboten, ist vom Vorliegen psychischer Gefährdungsbeurteilungen für Studierende seitens der Hochschulen derzeit nicht auszugehen. Diese gesetzlich vorgegebenen Aktivitäten können mit dem Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz [44] synergetisch verbunden werden.

Pandemiebewältigung und hochschulisches Gesundheitsmanagement

Die COVID-19-Pandemie hat erhebliche Auswirkungen auch auf Hochschulen. Aktuell gibt es Hinweise, dass die Möglichkeiten ein vorhandenes BGM oder SGM zur Unterstützung in Pandemiezeiten einzubeziehen, in diesen deutlich stärker genutzt werden könnte. Dies trifft sowohl deren häufig nicht gesehenen Kompetenzfelder im BGM. Zudem gibt es zu wenige Hochschulen mit einem implementierten SGM. In Bezug auf den hohen Bedarf der Studierenden an psychosozialer Unterstützung im mittlerweile dritten Online-Semester (vgl. [41]), kann von Seiten der Hochschulen im Sinne des PrävG bislang kaum etwas entgegengesetzt werden. Das Kompetenzzentrum Gesundheitsfördernde Hochschulen (KGH, vgl. [45]) führte zu Beginn der COVID-19-Pandemie eine Abfrage zu den Auswirkungen auf die Arbeit der BGM- oder SGM-Koordinatorinnen und -Koordinatoren durch [46]. Es zeigte sich, dass das Gesundheitsmanagement bei der Krisenbewältigung nur begrenzt beteiligt wurde. Deren übergeordnete Rolle und fachliche Expertise blieb häufig ungenutzt. So hat es die Vertretung einer sozialpsychologischen Perspektive schwerer in den Krisenstäben neben den Themen Sicherheit, medizinische und hygienische Gesichtspunkte wahrgenommen zu werden. Positive Beispiele zeigen sinnvolle Möglichkeiten des Einbezugs des Gesundheitsmanagements in die Krisenstäbe. Gesundheitsfördernde Strukturen an Hochschulen tun gut daran, sich – besonders in Hinblick auf ein universitäres oder hochschulisches Gesundheitsmanagement – breiter aufzustellen und mehr Kompetenzen einzufordern. Unter welchen Rahmenbedingungen und auf welche Weise dies gelingen kann, dazu werden zurzeit weitere Interviews des KGH geführt.

Fazit für die Praxis

  • Seit 25 Jahren vernetzt und unterstützt der bundesweite Arbeitskreis Gesundheitsfördernde Hochschulen im Sinne der Ottawa-Charta von 1986 die Hochschulen bei der Umsetzung der Gesundheitsförderung durch politische Arbeit, Gremienmitarbeit, Wissenstransfer, inhaltliche und strukturelle Weiterentwicklungen. So konnte auf Bundesebene 2018 durch Unterstützung der Techniker Krankenkasse das Kompetenzzentrum Gesundheitsfördernde Hochschulen mit aufgebaut werden.

  • In sieben Bundesländern haben sich die gesundheitsfördernden Hochschulen zu regionalen Netzwerken zusammengeschlossen. Um diese strukturelle Entwicklung zu verstetigen und die Umsetzung der zehn Gütekriterien des bundesweiten Arbeitskreises Gesundheitsfördernde Hochschulen an allen Hochschulen in seiner ganzen Anwendungsbreite zu ermöglichen, bedarf es weiterer regionaler Netzwerkgründungen, wie sie in Berlin-Brandenburg und Norddeutschland in Planung sind. Dies könnte die Umsetzung des Präventionsgesetzes (PrävG) auf Ebene der Bundesländer befördern und damit auch den Vorstellungen der Bundesregierung zur Weiterentwicklung des PrävG entsprechen.