Zeitdruck und Ressourcenknappheit führen in der hausärztlichen Versorgung dazu, dass Prävention nicht immer im wünschenswerten Maße betrieben werden kann. Eine Interviewstudie zeigt, dass Allgemeinmediziner Gesundheits-Apps beträchtliche Potenziale zusprechen, wenn es um die Gesundheitsförderung im hausärztlichen Setting geht. Damit diese Potenziale allerdings effektiv genutzt werden können, sind aus ihrer Sicht verschiedene Probleme anzugehen.

Gesundheits-Apps, die bei der Prävention, dem Monitoring oder der Therapie von Erkrankungen helfen sollen, werden inzwischen von jedem zweiten Smartphone- bzw. Tablet-Nutzer zumindest zeitweise verwendet [1, 3, 20]. Verbreitet werden Apps zur Aufzeichnung von Körper- oder Fitnessdaten genutzt, um Informationen über Gesundheitsthemen einzuholen oder auch für das Medikamentemanagement [6, 10]. Sie werden mit verschiedenen Positivpotenzialen in Verbindung gebracht, z. B. einem Empowerment und einer Motivation, sich gesundheitsbewusst zu verhalten [1, 19, 22, 23]. Ein weiterer Vorzug von Apps kann in einer Effektivierung der Arzt-Patient-Beziehung liegen (erhöhte Therapietreue, frühere Identifizierung von Krankheitsrisiken; [19]). Obwohl nur wenige Wirksamkeitsnachweise vorliegen, konstatiert die CHARISMA-Studie, dass diese mHealth-Tools besonders an der Schnittstelle zwischen Lifestyle-Produkt und Therapieprogramm erfolgreich sind (z. B. Begleitung von Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2; [1]).

Das enorme Angebot an Gesundheits-Apps im Feld der Prävention spricht nicht nur verschiedene Zielgruppen an, sondern untergliedert sich in Applikationen zur Primär‑, Sekundär- und Tertiärprävention. Die Förderung von Bewegung steht häufig im Mittelpunkt; darüber hinaus gibt es eine große Auswahl an Apps, die bei gesunder Ernährung oder Stressreduktion unterstützen. Die Kopplung mit sozialen Netzwerken bietet Nutzern die Möglichkeit, sich gegenseitig zu motivieren.

Die konkrete Zweckbestimmung von Gesundheits-Apps ist oft schwer zu ermessen, sodass die meisten Programme nicht unter die europäische Medizinprodukterichtlinie fallen [17]. Im November 2019 hat der Deutsche Bundestag ein Gesetz verabschiedet, das es langfristig erleichtern soll, Gesundheits-Apps nach eingehender Prüfung als erstattungsfähige Medizinprodukte einzustufen [9].

Gerade für die Hausarztmedizin könnten Apps als Präventions-Tools nützlich sein. Als Primärversorger sind Hausärzte mit einer großen Bandbreite von Symptomen und Krankheitsbildern konfrontiert; es besteht hoher Zeit- und Ressourcendruck. Infolgedessen können sie oft keine Präventionsmaßnahmen in größeren Stil leisten [18]. Apps bieten sich hier als Instrumente an, die Hausärzte als vertrauensvolle Ansprechpartner gezielt empfehlen bzw. im Versorgungsprozess nutzen und so längerfristig zur Gesundheitsförderung beitragen können [14]. So ist denkbar, dass der Arzt einem Patienten zur Verwendung einer App zur kardiovaskulären Risikoprävention rät und diesen dann im Nutzungsprozess begleitet. Der Patient kann mit der App interagieren und regelmäßig Vitaldaten an die Praxis übertragen, ohne die Sprechstunde aufsuchen zu müssen.

Nur wenige Studien beleuchten Anwendungspotenziale von Gesundheits-Apps speziell aus hausärztlicher Sicht [6, 17]. Befragungen von gemischten Facharztgruppen zeigen, dass zwischen 25 und 45 % der Ärzte mit ihren Patienten gelegentlich über Gesundheits-Apps sprechen [8, 20]. Zudem sehen zwischen 36 und 42 % eine Stärkung der Eigenverantwortung als Vorzug von Apps, gefolgt von einer besseren Aufklärung. In den USA durchgeführte Erhebungen deuten auf eine relative Zurückhaltung von Medizinern hin, wenn es darum geht, mit Patienten über digitale bzw. mobile Lösungen zum Gesundheitsmonitoring zu sprechen [12]. Zwar werden durchaus Chancen von Gesundheits-Apps gesehen [15], jedoch besteht Unsicherheit in Fragen der Zuverlässigkeit und Sicherheit sowie bei der systematischen Implementierung im Versorgungsalltag [21].

Angesichts fehlender Nachweise zur Wirksamkeit von Apps auf Präventions‑, Therapie- und Rekonvaleszenzprozesse kommt es entscheidend darauf an, welche Haltung Ärzte und Patienten gegenüber solchen Anwendungen einnehmen und welches Vertrauen sie in Gesundheits-Apps als denkbare Hilfsmittel der Versorgung setzen [4].

Methodik

Erkenntnisinteresse

Aufgrund des dürftigen Forschungsstands erschien eine explorierende Analyse hausärztlicher Sichtweisen in Bezug auf Gesundheits-Apps angemessen. Die Studie ermittelt Grundhaltungen, eigene Erfahrungen und Ansatzpunkte für eine Optimierung. Forschungsleitend waren die folgenden übergeordneten Fragestellungen:

  • Welche Einstellungen vertreten Hausärzte in Bezug auf Gesundheits-Apps? Inwiefern werden sie als Präventionsinstrumente für sinnvoll befunden?

  • Inwiefern werden Gesundheits-Apps in der Patientenversorgung (zu Präventionszwecken) eingesetzt? Wie stellen sich bisherige Erfahrungen dar?

  • Unter welchen Voraussetzungen wären Hausärzte bereit, Apps (stärker) zu nutzen?

Leitfaden und Rekrutierung

Entlang dieser Fragestellungen wurde ein kompakter Leitfaden erstellt, der entsprechend der drei Leitfragen in Blöcke gegliedert ist. Der Leitfaden wurde sowohl deduktiv (v. a. unter Berücksichtigung der CHARISMHA-Studie [1]) als auch induktiv im Zuge erster Gespräche abgeleitet.

Insgesamt wurden 49 Ärzte kontaktiert, wobei 35 Interviews geführt wurden. Die Rekrutierung erfolgte über im Vorfeld definierte Merkmale (Tab. 1), wodurch ein heterogenes Sample gewonnen werden sollte. Zudem wurden Ärzte mit unterschiedlichen Vorkenntnissen in Bezug auf Gesundheits-Apps rekrutiert.

Tab. 1 Soziodemografische Beschreibung des Samples (n = 35)

Durchführung und Sample

Im Vorfeld erhielten sämtliche Interviewten eine allgemeine Aufklärung über das Gesprächsthema sowie eine schriftliche Einverständniserklärung. Diese beinhaltete die Zusicherung einer strikten Pseudonymisierung sowie eine Löschung der Audioaufzeichnungen nach Beendigung der Auswertung.

Die Interviews fanden im Zeitraum zwischen Juli und Oktober 2019 statt und wurden überwiegend mündlich-persönlich, in 8 Fällen telefonisch durchgeführt. Die Gespräche wurden mithilfe eines Digitalrekorders aufgezeichnet. Die Dauer betrug zwischen 35 und 80 min.

Die theoretische Sättigung wurde erreicht, so dass auf weitere Interviews verzichtet werden konnte. Wie Tab. 1 zeigt, konnte ein durchmischtes Sample gewonnen werden.

Auswertung

Die im Anschluss an die Datenerhebung erstellten Transkripte wurden im Team unter Verwendung der Software MAXQDA ausgewertet. Die Datenanalyse erfolgte auf Basis einer Inhaltsanalyse nach Mayring [16]. Im Zuge dessen wurde ein Kategoriensystem erstellt, das wiederholt getestet und im Laufe des Auswertungsprozesses angepasst wurde. Im Mittelpunkt stand dabei, die unterschiedlichen Sichtweisen auf und Argumente für bzw. gegen Apps logisch zu kategorisieren (Herausarbeitung von Argumentations- und Problematisierungsmustern). Das erstellte Kategoriensystem orientiert sich weitgehend an den im Leitfaden gesetzten Schwerpunkten.

Ergebnisse

Einstellungen und Einsatzpotenziale

Die Haltungen, die mit Blick auf Gesundheits-Apps vertreten werden, weichen stark voneinander ab. Rund ein Drittel des Samples (=12) begegnet solchen mHealth-Anwendungen skeptisch bis ablehnend. Neben einem unentschiedenen Teil (=13) zeigt sich eine Gruppe von Ärzten besonders aufgeschlossen und beurteilt Apps klar positiv (=12). Letztere entstammen v. a. urbanen Praxen.

Das ist nur neumodische Spielerei. (I-13-m)

Ich denke, diese Programme bieten die große Chance, unsere Arbeit ein Stück zu revolutionieren. (I-2-w)

Ihre Position begründend, führen skeptische aber auch unentschiedene Ärzte ein mangelndes Vertrauen in die Datensicherheit von Apps an. Ebenfalls wird die Gefahr von Fehlfunktionen gesehen, die zu inkorrekt ermittelten Daten, einer falschen Anwendung oder Fehl- bzw. Nebenwirkungen führen könnten. Einige Interviewte vermuten hinter Apps die Pharmaindustrie und haben „fragwürdige Symptom-Checker“ (I-22-m) vor Augen, die aus ihrer Sicht Patienten dazu verleiten, Selbstdiagnosen zu stellen. Auch rechtliche Unsicherheiten, wenn z. B. eine Therapie auf App-Daten aufgebaut wird, werden artikuliert. Befürchtet wird ferner, es könnte aufgrund der Nutzung von Apps in der Patientenversorgung zu einer Mehrbelastung von Ärzten kommen.

Gerade ältere Patienten sind damit doch völlig überfordert. Und was wird die Folge sein? Sie suchen noch häufiger meine Sprechstunde auf, weil ich die nahe liegende Ansprechpartnerin bin. (I-15-w)

Positiv eingestellte Befragte benennen eine Reihe von Gründen, weshalb Apps aus ihrer Sicht einen Mehrwert bieten, insbesondere mit Blick auf das Thema Prävention. So beziehen sie sich auf eine Steigerung der Patientenmotivation durch intelligent gestaltete Apps sowie eine Stärkung der Eigenverantwortung. Damit gehe im Idealfall eine bessere Aufklärung über Gesundheits- und Krankheitsthemen einher. Zum anderen wird argumentiert, dass Apps sich auf die Bedürfnisse und Vorlieben verschiedenster Zielgruppe ausrichten lassen, sodass neue Patientenklientele für das Thema Prävention gewonnen werden können.

Nehmen Sie mal die Jüngeren, die mit konventionellen Maßnahmen schwer erreichbar sind. Die kann man über Apps deutlich leichter ansprechen. […] Auch weil Sie dieses spielerische Element einbauen können. (I-2-w)

Der Aspekt der „gamification“ von Apps wird von unterschiedlichen Teilnehmern angesprochen und biete eine Möglichkeit, „Prävention aus dieser angestaubten Ecke herauszuholen, wo der Hausarzt dem Patienten oberlehrerhaft sagt, was er zu tun und zu lassen hat“ (I-25-m). Vielmehr werde der Patient aktiviert. Gleichzeitig gebe es unter den richtigen Voraussetzungen große Entlastungseffekte für die ärztliche Beratung und Betreuung.

Wenn Ärzte es geschickt anstellen, dann können sie in eine Art Supervisor-Rolle schlüpfen, die ihnen keine große Arbeit macht und trotzdem wirksam ist. In diese Rolle muss man sich erst einmal hineintasten. (I-17-m)

Mögliche Anwendungsfelder für Apps werden unterschiedlich bewertet. Auffällig ist, dass rund 80 % des Samples (=29) Apps zum Zweck der Primärprävention begrüßen und bei richtiger Anwendung positive Effekte für möglich halten. Genannt wird die Ermittlung von Gesundheitsdaten (gelaufene Schritte, Trinkmenge), aber auch genuine Ernährungs- und Bewegungsratgeber sowie die Animierung zu einem gesundheitsorientierten Alltagsverhalten und einer stärkeren Achtsamkeit. Auch die Tertiärprävention, die etwa durch Lebensstiländerung ein Fortschreiten von Erkrankungen verhindern soll, wird als Anwendungsfeld für Apps in großer Zahl bejaht (=26). Hierzu können über Apps nicht nur ein gesundheitsförderlicher Lebensstil „trainiert“, sondern auch regelmäßig Risikofaktoren (Gewicht, Blutdruck, Blutzucker) kontrolliert werden.

Ein ähnlich hoher Anteil hält es für sinnvoll, wenn Apps beim Gesundheitsmanagement helfen (z. B. Erinnerung an Arzneimittel, Impf- und Vorsorgetermine). Hingegen ist lediglich eine Minderheit (=15) der Ansicht, dass das Monitoring oder die Therapie von (chronischen) Erkrankungen ein sinnvoller Einsatzbereich für Gesundheits-Apps ist.

Ich glaube, dass diese Apps aufgrund ihrer tagesregulierenden Funktionen so etwas wie Lebensstilumstellung gut unterstützen können. (I-25-m)

Entsprechend hält es nur ein kleinerer Teil (=13) für legitim, wenn man sich als Arzt bei der Therapieplanung auf vom Patienten mittels Gesundheits-Apps erfasste Daten (z. B. Vitalparameter, Blutdruck- oder Blutzuckertagebücher, Asthmatagebuch, Schlaganfallrisiko-Test etc.) verlässt.

Eigene Erfahrungen und Anwendungsbereitschaft

Rund 85 % der Interviewten (30) geben an, ihnen seien – insbesondere jüngere – Praxispatienten bekannt, die Gesundheits-Apps vorübergehend oder regelmäßig nutzen. Allerdings bekundet nur jeder Zweite (=17), bereits Erfahrungen mit Apps in der unmittelbaren Versorgung gemacht zu haben. Derartige Situationen haben sich nach Schilderung der meisten dieser Interviewten häufig eher zufällig ergeben, z. B. indem sich der Patient wegen einer möglichen App-Nutzung erkundigt hat. Vier Befragte geben an, eine App-Nutzung, etwa zum Zweck der Prävention, selbst ins Spiel gebracht oder eine konkrete Empfehlung ausgesprochen zu haben.

Bislang habe ich das mehr oder weniger dem einzelnen Patienten überlassen. Gibt es hier eine Bereitschaft, kann man über eine solche App-Anwendung sicher nachdenken. (I-12-m)

Gefragt nach denjenigen Patienten, die Apps in der Versorgung genutzt haben oder dies aktuell tun, bekunden mehr als 80 % (=14), Apps hätten einen sehr oder eher positiven Beitrag zur Gesundheitsvorsorge und/oder Genesung geleistet. Besonders positiv hervorgehoben werden Erfahrungen mit Ernährungs- und Bewegungsanwendungen, die etwa bei der Unterstützung von Lebensstiländerungen von Adipositaspatienten zum Einsatz kamen. Auch Programme speziell für ältere Patienten, die der Sturzrisikovermeidung, dem Muskelaufbau oder dem „Gehirnjogging“ dienen, werden gelobt. Ähnliches gilt für spezielle Programme, die infolge einer Hüft- oder Knieoperation bei der Rekonvaleszenz unterstützen sollen. An der Schnittstelle zwischen Lebensstil- und Therapieprogrammen werden positive Erfahrungen mit Medizin-Apps zur Typ-2-Diabetes-Therapie (MySugr, MyTherapy) sowie zur Vorbeugung und Behandlung von COPD (insbesondere TheraKey) geschildert.

Negative Effekte wurden nur in wenigen Fällen (=3) beobachtet. Hier wird kritisiert, dass die App-Anwendung gerade für ältere Menschen oftmals zu kompliziert war, was zu Verwirrungen, falscher Nutzung und erhöhtem Beratungsbedarf geführt hat. Ein Befragter berichtet, dass eine zur kardiologischen Prävention eingesetzte App zur Überbeanspruchung des entsprechenden Patienten geführt hat.

Problematiken und Optimierungspotenziale

Trotz gesundheitsförderlicher Effekte, die im Zusammenhang mit Apps bereits in der Patientenversorgung beobachtet wurden, ist nur ein kleinerer Teil der Hausärzte (=9) bereit, Apps breitflächig in der eigenen Patientenversorgung einzusetzen oder aktiv zu empfehlen. Im Zuge des weiteren Gesprächs kristallisierten sich verschiedene Problemfelder heraus, die einer solchen Einbeziehung von Apps ins hausärztliche Setting entgegenstehen.

Eine große Mehrheit (=29) räumt ein, nur einen unzureichenden Überblick über das bestehende App-Angebot zu haben und für einzelne Anwendungsfelder gute von schlechten Apps kaum unterscheiden zu können, sodass selbst bei patientenseitigen Nachfragen keine belastbaren Ratschläge ausgesprochen werden können. So wird betont, das Angebot an Apps sei „schlicht nicht zu überblicken“ und „ständigen Veränderungen unterworfen“ (I-33-m).

Als Arzt sieht man sich einer Angebotsflut gegenüber, die er auf die Schnelle überhaupt nicht einschätzen kann. Also lässt man lieber die Finger davon. (I-33-m)

Gefordert wird eine stärkere Hilfestellung durch das Gesundheitssystem in Form einer Evaluation von Apps und Erstellung eines qualifizierten Überblicks. Eine solche „App-Bewertungshilfe“ (I-2-w) sollte durch eine neutrale Stelle zur Verfügung gestellt werden, vorzugsweise durch die jeweiligen Fachgesellschaften. Auch sollte ein ausreichendes Schulungsangebot bereitgestellt werden, wie sich Apps sinnvoll in die Patientenversorgung integrieren lassen.

Ein zweiter Problematisierungskomplex betrifft die App-Hersteller. Die Befragten wünschen sich verbindliche Datenschutzstandards, die den Schutz von Nutzern gewährleisten sowie die Definition verbindlicher Qualitätskriterien, die die Vertrauenswürdigkeit einer Anwendung gewährleisten. Ausgestaltet werden könnte eine Art Qualitätszertifikat, um die Einhaltung von Gütekriterien sichtbar zu machen.

Ich habe keine Zeit, mir zu jeder App Unmengen von Seiten im Internet durchzulesen. Ich brauche auf einen Blick einen Nachweis dafür, wie verlässlich ein solches Programm ist. (I-27-m)

Ferner wird die Forderung erhoben, dass eine systematische Einbeziehung von Gesundheits-Apps in die Versorgung „juristisch eindeutig geklärt sein“ müsse (I-9-m). Es könne nicht sein, dass Hausärzte ein Haftungsrisiko zu tragen haben, wenn z. B. ein Behandlungsfehler aufgrund einer fehlerhaften Gesundheits-App entsteht.

Mehrere Ärzte werfen die Frage der Honorierung auf. Angesichts von Plänen der Bundesregierung, Gesundheits-Apps auf Rezept zu verordnen, sei absehbar, dass auf Hausärzte in Zukunft verstärkt Beratungsleistungen zukämen. Dies setze eine angemessene Vergütung voraus (Beratungsziffer z. B. für die Beurteilung und Bewertung von Daten, die der Patient elektronisch dokumentiert hat).

Ein großer Teil der Befragten bekundet, würden die genannten Problembereiche zufriedenstellend gelöst, wäre es für sie vorstellbar, Gesundheits-Apps (stärker) als bislang in ihrer Patientenversorgung zu berücksichtigen.

Diskussion

Zusammenfassung und Befunde anderer Studien

Die Interviewergebnisse zeigen, dass Hausärzte Gesundheits-Apps aus stark unterschiedlichen Blickwinkeln bewerten. Positiv eingestellte Ärzte argumentieren mit Motivations- und Compliance-Vorteilen, der Erreichbarkeit vieler Patientenzielgruppen und einem Gamification-Ansatz vieler Apps, während skeptische Ärzte ein Misstrauen in Bezug auf Datensicherheit, Funktionsfähigkeit und rechtliche Fragestellungen bei der Einbeziehung von Apps artikulieren. Erkennbar ist zudem eine Sorge vor einem erhöhten Beratungsbedarf von Patienten. Insgesamt besteht ein verbreitetes Gefühl, keinen ausreichenden Überblick über das weite und relativ ungeordnete Feld der Gesundheits-Apps zu besitzen und Patienten nicht kompetent beraten zu können.

Dennoch nehmen die meisten Interviewten einen konkreten Nutzen von Apps wahr, wenn es um Präventions‑, Erinnerungs- und lebensstilunterstützende Funktionen geht. Diejenigen Ärzte, bei denen Apps schon in der Patientenversorgung Verwendung fanden, haben in großer Mehrzahl positive Effekte beobachtet, etwa förderliche Auswirkungen von Ernährungs- und Bewegungsanwendungen, die Lebensstilumstellungen unterstützen sollen.

Es scheint also weniger so zu sein, dass Hausärzte den potenziellen Mehrwert von Apps grundsätzlich anzweifeln, sondern vielmehr Unsicherheiten und Bedenken bezüglich der Zuverlässigkeit und Anwendungsfreundlichkeit solcher Applikationen zum Ausdruck bringen. Infolgedessen ist die Bereitschaft, bestimmte Applikationen zu empfehlen oder über Apps gesammelte Daten unmittelbar in die eigene Therapieplanung einzubeziehen, bislang begrenzt.

Eine Mehrheit der befragten Allgemeinmediziner wünscht sich Tools, die einen besseren Überblick sowie eine Einordnung verfügbarer Gesundheits-Apps ermöglichen, um so gute, seriöse Applikationen ohne großen Aufwand auswählen zu können. Gewünscht werden weiter verbindliche Datenschutz- und Qualitätsstandards sowie eine klare Rechtslage in Bezug auf die Anwendung von Apps zu Präventions- oder Behandlungszwecken. Unter diesen Voraussetzungen wäre für die Interviewten vorstellbar, Gesundheits-Apps stärker als bislang in der eigenen Patientenversorgung zu nutzen.

Die Interviews liefern Hinweise darauf, dass die Potenziale von Gesundheits-Apps für die hausärztliche Versorgung derzeit noch nicht ausgeschöpft werden. Damit fügen sich die Ergebnisse ins Bild der Studienlage zum Thema [3]. Auch andere Untersuchungen weisen darauf hin, dass Aspekte wie mangelnde Übersicht und Transparenz dazu führen, dass Ärzte Gesundheits-Apps trotz Wahrnehmung von Chancen bislang eher meiden [6, 8, 12, 15, 20, 21]. In Anbetracht des ungeordneten „Wildwuchses“ fortlaufend neuer Produkteinführungen sind nicht nur Bürger, sondern auch Mediziner „schlicht überfordert, zwischen guten und schlechten Angeboten zu unterscheiden“ [7].

Stärken und Schwächen

Die explorative Studie diente der Erstellung eines breiten Meinungsbildes. Im Zuge der Rekrutierung ist es gelungen, eine heterogene Stichprobe zu gewinnen, die in die Breite der Hausärzteschaft hineinreicht. Dennoch kann die Studie keinen repräsentativen Anspruch erheben (begrenzte Fallzahl, regionaler Rekrutierungsschwerpunkt). Bei der Rekrutierung gab es eine vergleichsweise große Zahl an Hausärzten, die bekundeten, mit dem Thema nichts anfangen bzw. hierzu nichts sagen zu können. Daran ist ersichtlich, dass, trotz der Bemühungen um eine durchmischte Stichprobe, Ärzte mit thematischem Interesse im stärkeren Maße ins Sample gelangt sind. Die Daten sind insofern mit Bedacht zu interpretieren.

Den Autoren ist bewusst, dass diese generelle Exploration angesichts der Breite und Differenziertheit des Themas „Gesundheits-Apps“ lediglich ein erster Schritt sein kann und sich Studien im Kontext einer spezifischen Versorgungssituation (definiert durch Patientenmerkmale, Erkrankung, Krankheitsphase, Therapieziel etc.) anschließen müssen. Nur so wird es möglich sein, das Nutzungspotenzial und die (haus)ärztliche Akzeptanz von Gesundheits-Apps in bestimmten Anwendungsbereichen handfest empirisch zu ermitteln.

Schlussfolgerungen

Die Nutzung von Gesundheits-Apps durch eine wachsende Zahl von Verbrauchern eröffnet der hausärztlichen Versorgung im Bereich der Prävention und Gesundheitsförderung neue Möglichkeiten [5,6,7, 10, 11]. Allgemeinmediziner sind sich der Potenziale von Apps bewusst, haben aktuell jedoch eine Reihe kritischer Vorbehalte. Es wird entscheidend sein, diese Bedenken zu adressieren, damit Gesundheits-Apps in positiver Weise und systematisch für die (haus)ärztliche Versorgung nutzbar gemacht werden können. Vier Dimensionen erscheinen dabei zentral.

  • Qualitätsstandards und Datenschutz: Apps werden i. d. R. nicht nach allgemein gültigen Qualitätsstandards entwickelt, sondern nach den Vorstellungen der jeweiligen Entwickler. Solange keine Vorgaben existieren, die den Schutz persönlicher Daten konsequent gewährleisten, bleibt die Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit vieler Apps fraglich. Im Zuge der CHARISMHA-Studie wird angeregt, dass App-Hersteller sich stärker an Qualitätskriterien (z. B. ISO, DIN) orientieren, regulatorische Maßnahmen zur Sicherstellung einer wirksamen Qualitätskontrolle ergriffen werden und eine Definition tragfähiger Kriterien zur Zweckbestimmung erfolgt [2, 3].

  • Orientierung und Anwendungskompetenz: In Anbetracht der großen Zahl von Apps, die nicht als Medizinprodukte eingestuft sind, bedarf es für Ärzte einer orientierungsstiftenden Instanz, die Informationen über aktuelle Entwicklungen auf dem App-Markt liefert und bei der Einschätzung hilft, welche App für welches Anwendungsgebiet sinnvoll und vertrauenswürdig ist. Unter Zuhilfenahme eines solchen Überblicks wären viele Hausärzte bereit, eine Verwendung von Apps im Versorgungsgeschehen ins Auge zu fassen. Zwar gibt es bereits kommerzielle Portale wie HealthOn, die im Dickicht digitaler Gesundheitsanwendungen über Qualität, Risiken und Nutzen von Gesundheits-Apps informieren. Hausärzte würden es allerdings bevorzugen, würde diese Orientierungshilfe von einem neutralen Akteur aus dem Gesundheitssystem zur Verfügung gestellt. Parallel hierzu erscheinen Schulungen und Überblicksveranstaltungen ratsam, die gezielt Chancen von Apps z. B. zur Prävention herausstellen und Know-how vermitteln.

  • Rechts- und Honorierungsfragen: Ein ungeklärtes Feld betrifft Fragen der rechtlichen Absicherung im Zusammenhang mit dem Einbezug von Apps in die Versorgung. Solange nicht abschließend geklärt ist, inwiefern der Arzt zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn es aufgrund von via App gesammelten Daten zu einem Behandlungsfehler kommt, werden viele Hausärzte Unsicherheit verspüren. Ähnliches gilt für Fragen der Honorierung im Zusammenhang mit Beratungs- und Unterstützungsleistungen zu Apps.

  • Förderung von Nutzerakzeptanz und -erwartungen: Verstärkt sollte das Augenmerk auf die Frage gerichtet werden, wie Rahmenbedingungen für Apps so verbessert und diese Programme so ins primärärztliche Setting implementiert werden können, dass dadurch sowohl aufseiten von Patienten als auch Ärzten die Nutzerakzeptanz und (positive) Nutzenerwartungen steigen. Hierzu sind systematische Überblicksarbeiten wie jene von Harst, Lantzsch und Scheibe vorgelegt worden [13].

Ohne Zweifel würde auch die Schaffung einer größeren Evidenzbasis helfen, Ärzte anhand konkreter Studien über Nutzen und Limitationen von Gesundheits-Apps aufzuklären und damit mehr Anwendungssicherheit zu schaffen [2, 3]. Erst wenn Ärzte den Eindruck gewinnen, dass Apps Qualitätskriterien gerecht werden, die sie als vertrauenswürdig, transparent und wirksam ausweisen, werden die Voraussetzungen gegeben sein, damit Gesundheits-Apps innerhalb des Versorgungssystems ihren Nutzen als Instrumente der Prävention entfallen können.

Fazit für die Praxis

  • Im hausärztlichen Setting bieten Gesundheits-Apps die Chance, unterschiedliche Patientenzielgruppen bedürfnis- und interessenorientiert für Aktivitäten der Prävention und Gesundheitsförderung zu motivieren.

  • Hausärzte nehmen ein beträchtliches Potenzial von Gesundheits-Apps wahr, wenn es um Präventions‑, Erinnerungs- und lebensstilunterstützende Funktionen geht.

  • Damit die allgemeinmedizinische Versorgung stärker von Gesundheits-Apps profitieren kann, bedarf es geeigneter Voraussetzungen. Hierzu zählen Tools, die einen besseren Überblick sowie eine Einordnung verfügbarer Apps ermöglichen, aber auch Datenschutz- und Qualitätsstandards sowie eine klare Rechtslage in Bezug auf die Anwendung von Apps zu Präventions- oder Behandlungszwecken.

  • Auch über entsprechende Schulungen für Hausärzte zur Integration von Apps in die Versorgung sowie die Honorierung von App-assoziierten Beratungs- und Betreuungsleistungen sollte nachgedacht werden.