Die Modelle von Gesundheitsförderung und von Evidenzbasierung könnten kaum gegensätzlicher sein: Während die Gesundheitsförderung auf der Basis facettenreicher, komplexer Wirkmodelle einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, ist das Konzept der Evidenzbasierung durch eine reduktionistische Repräsentation von Kausalbeziehungen geprägt. Vertreter(innen) der Gesundheitsförderung sehen hinter Forderungen nach stärkerer Evidenzbasierung unzulässige Tendenzen zur Vereinfachung komplexer, multikausaler Wirkzusammenhänge. Bei evidenzorientierten Wissenschaftler(inne)n wiederum lösen Strategien, die zur Verbesserung der Gesundheitslage auf umfassende soziale und politische Veränderungen abzielen, analytische Ratlosigkeit aus.

Die Autorinnen und Autoren in diesem Band haben sich mit unterschiedlichen Bereichen der Gesundheitsförderung und auch der Prävention auseinandergesetzt. Settingorientierte Ansätze sind eine Domäne der Gesundheitsförderung: T. Hering et al. untersuchen die Zusammenhänge zwischen Organisationsklima und Gesundheit bei Rettungskräften. Eine Aggregationsebene höher setzt der Beitrag von S. Milz et al. an, der gleich ein ganzes Netzwerk gesundheitsfördernder Hochschulen evaluiert. Den Bedarf an Gesundheitsförderung in einzelnen Hochschulen haben C. Groll et al. in einer Befragung von Studierenden und Mitarbeiter(inne)n der Fachhochschule Osnabrück ermittelt: Während die Mitarbeiter(innen) häufig von Nackenschmerzen betroffen waren, dominierten bei den Studierenden psychische Belastungen.

Um den Bedarf an individueller Gesundheitsförderung geht es hingegen in dem Beitrag von K. Kummer et al. Sie haben ein Assessmentinstrument zur Erfassung von Ressourcen und Risiken bei älteren pflegenden Angehörigen entwickelt. Aus den Ergebnissen lassen sich maßgeschneiderte gesundheitsförderliche Angebote ableiten.

A. Pieter et al. beschäftigen sich damit, dass gesundheitsförderliche Angebote oft unzureichend angenommen werden. Sie empfehlen „situierte Lernansätze“, die in Abgrenzung zur traditionellen Wissensaufnahme auf interaktive, kontextbezogene und reflektive Elemente setzen. Einen anderen Weg der Wissensaufnahme schlagen A. Zeyer und F. Odermatt vor: Um die Gesundheitskompetenz („health literacy“) zu verbessern, empfehlen sie, Gesundheitsbildung und naturwissenschaftlichen Unterricht zu verknüpfen. Davon profitierten beide Themenfelder: Der naturwissenschaftliche Unterricht gewinnt durch die Integration von Gesundheitsthemen an Attraktivität und vermittelt umgekehrt essentielle Grundlagen für die Gesundheitskompetenz.

Gut belegt ist der Zusammenhang zwischen sozialer Benachteiligung und einem schlechteren Gesundheitsstatus. Unglücklicherweise wird dieser Gradient durch die geringe Akzeptanz von gesundheitsfördernden und präventiven Angeboten durch sozial benachteiligte Gruppen weiter verschärft. T. Brand und T. Jungmann untersuchen, wie mit Hilfe von Multiplikatoren gegengesteuert werden kann. W. Maier und A. Mielck finden in einem systematischen Review eine erhöhte Belastung durch Luftverschmutzung und Lärm in den unteren sozialen Statusgruppen. Selbst im Binnenraum eines sozial benachteiligten Wohngebiets verzeichnen D. Koller et al. deutliche Unterschiede im Hinblick auf gesundheitsrelevantes Verhalten und der Zufriedenheit mit der Wohnsituation in Abhängigkeit vom Sozialstatus.

Die Evidenzlage für die gesundheitsfördernden Effekte von sportlicher Bewegung ist in den letzten Jahren zunehmend besser geworden. T. Draxler und H. Ostermann finden in einer Querschnittsuntersuchung bei Personen, die eine asiatische Kampfsportart ausüben, bessere Lebensqualitätswerte als in einer Vergleichspopulation. Zu Recht verweisen sie auf den explorativen Charakter ihrer Studie, deren Ergebnisse durch Längsschnittuntersuchungen bestätigt werden müssten. Nicht zu den gesundheitsfördernden Sportarten gehört das Glücksspiel in Kasinos – im Gegenteil: Um Menschen mit gesundheitsgefährdender Spielsucht rechtzeitig erkennen zu können, wurde in der Schweiz ein differenzierter Kriterienkatalog entwickelt. In einer Analyse der Daten von auffällig gewordenen Spielern weisen J. Häfeli und S. Lischer jedoch die limitierte Effektivität dieses Instruments nach und zeigen damit eine relevante Evidenzlücke auf.

Eindeutig ist die Evidenzlage, wenn es um die Gefahren des Rauchens geht. A. Rasch et al. motivierte dies dazu, die Krankenkassen in Deutschland zu Angeboten der Raucherentwöhnung zu befragen. Von den antwortenden Kassen bieten fast alle verhaltensbezogene Kurse zur Raucherentwöhnung an, obwohl die Evidenz zur Effektivität und Effizienz der Maßnahmen relativ dünn sei. Besser belegt ist der Nutzen für die ebenfalls von den Krankenkassen angebotenen Disease-Management-Programmen (DMP) zur Versorgung des Diabetes mellitus. In einer Längsschnittanalyse von Verordnungsdaten konnten J. Wang et al. eine verbesserte Arzneimittelversorgung im Rahmen der DMP zeigen.

Die Beiträge in dieser Ausgabe decken ein breites Themenspektrum ab. Jeder der Artikel trägt auf seine Art zu einer besseren Evidenzlage in Gesundheitsförderung und Prävention bei – und sei es durch das Aufdecken von relevanten Evidenzlücken.

A. Gerhardus