Einleitung

Die Notfallversorgung in Österreich basiert im Wesentlichen auf zwei Säulen: das überwiegend aus ehrenamtlichen Mitarbeitern des nichtärztlichen Rettungsdienstes bestehende System der Rettungs- und Notfallsanitäter und dem – überwiegend krankenhausgestützten – Notarztsystem. Überschreitet der Schweregrad eines Notfallgeschehens den Kompetenzbereich des Rettungspersonals, wird als zweite Instanz ein Notarzt hinzugezogen. Während der von den Rettungsorganisationen gestellte Sanitätsdienst als durchaus stabiler Faktor angesehen werden kann, wird die flächendeckende Vorhaltung von Notärzten schwieriger, sodass mancherorts Notarztdienste bereits nicht mehr besetzt werden können. Diesen Notärztemangel nur mit den Erfordernissen des gemäß EU-Vorschrift verschärften Arbeitszeitgesetzes und einer eher unattraktiven Entlohnung zu begründen, trifft nur einen Teil des Problems. Ein wesentlicher Faktor ist das schwindende Interesse der Kollegen an der Notfallmedizin, verursacht durch ein unattraktives Arbeitsumfeld. Da auch andere Organisationsmodelle hier für die Zukunft mögliche Lösungsansätze bieten könnten, soll dieses Konzept einer abgestuften Notfallversorgung vorgestellt und diskutiert werden. Am Beispiel des Notarztsystems Graz wird gezeigt, dass durch eine Strukturanpassung im Rettungsdienst auch die Tätigkeit der Notärzte vor allem medizinisch attraktiver gestaltet werden kann.

Zur aktuellen Situation

Die Ausbildung der Rettungssanitäter (RS) umfasst in Österreich 260 h, bestehend aus 100 h theoretischem Unterricht und 160 h aktiver Diensttätigkeit im Rettungsdienst unter Supervision. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern (Tab. 1) ist dies relativ wenig, berücksichtigt aber den Umstand, dass etwa 90 % des Rettungsdienstes, insbesondere außerhalb der Bundeshauptstadt Wien, von ehrenamtlichem Personal bzw. Wehr- oder Zivildienstleistenden getragen wird. Eine Ausbildung im Krankenhaus ist aktuell für diese Helfer nicht vorgesehen; dies erfolgt erst in der Stufe der Notfallsanitäter. Die rechtlich zulässigen rettungstechnischen Fertigkeiten des RS bestehen im Wesentlichen in den Maßnahmen der „Erweiterten Ersten Hilfe“ und beinhalten die Bedienung eines (S)AED (semiautomatischer Defibrillators; [12]). Eine Ausbildung zum Sanitäter mit höheren Kompetenzen – wie im österreichischen Sanitätergesetz [12] grundsätzlich vorgesehen (Notfallsanitäter bzw. Notfallsanitäterin bis zur höchsten Notfallkompetenzstufe Intubation (NKI) und einem Umfang von etwa 1400 h) – werden zwar mancherorts absolviert, aber in der Praxis dann außerhalb des Dienstes am Notarztwagen kaum umgesetzt. In organisierter Form gibt es dies aktuell nur bei der Wiener Berufsrettung bzw. im Rettungs- und Notarztdienst Graz. Bei letzterem wird das Modell einer abgestuften Versorgung seit mehr als 30 Jahren praktiziert. Diese Notfallsanitäter (NKI) besetzen eigene Notfallrettungswägen („Jumbo’s“), welche als Zwischenstufe im Leitstellensystem geführt und auch nach eigenen Indikationslisten zum Notfallort entsandt werden. Der Einfluss eines derartigen 3‑stufigen Systems auf die notärztliche Einsatzaktivität soll im vorliegenden Beitrag anhand einer vergleichenden Darstellung der Einsatzstatistik zweier systemtypischer, bodengebundener Notarztsysteme – Graz und Wiener Neustadt – vorgestellt werden.

Tab. 1 Ausbildungsstunden für Sanitäter in den Ländern Deutschland, Österreich und der Schweiz

Notarztdienst

Das moderne Notarztwesen wurde in Österreich vor mehr als 30 Jahren schrittweise etabliert, um möglichst frühzeitig lebensrettende ärztliche Maßnahmen bereits vor Ort einleiten zu können. Im Sinne eines „vorverlagerten Schockraums“ wurden die meisten Systeme an Krankenhäuser angegliedert und mit Klinikärzten besetzt. Wie mit mehreren Studien belegbar [4, 9, 15], sind die Einsatzzahlen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Die Kernaufgabe, nämlich die Versorgung von kritisch erkrankten bzw. verletzten Patienten, macht mittlerweile nur mehr einen geringen Prozentsatz (<10 %) aller Anforderungen aus. In einer Vielzahl von Fällen wird der Notarzt als Ersatz für fehlende medizinische Strukturen (Hausarzt, kassenärztlicher Bereitschaftsdienst) herangezogen, aber auch Nachforderungen durch den (vermeintlich oder tatsächlich) überforderten Rettungsdienst haben deutlich zugenommen.

Diese Entwicklung ist mit Sicherheit auch ein wesentlicher Faktor, warum vor allem erfahrene Kollegen für den Notarztdienst nicht (mehr) zur Verfügung stehen wollen. Aus Sicht der Aufgabenstellung einer evidenzbasierten und effektiven Notfallmedizin braucht es jedoch qualifizierte Ärzte mit breitem Erfahrungsschatz, die auch unter den schwierigen Bedingungen des präklinischen Einsatzes rasch und richtig agieren können. Ein Mangel an derart erfahrenen Notärzten ist mittlerweile in Österreich jedoch offensichtlich.

Medizinercorps Graz

Schon im Jahre 1890 wurden in Graz infolge des Ärztemangels Medizinstudierende im Rettungsdienst eingesetzt [10]. Diese Tradition konnte bis zum heutigen Tag erhalten und konform zur medizinischen Entwicklung und den gesetzlichen Vorgaben adaptiert werden. Mit Einrichtung des Notarztwesens rückte das Medizinercorps etwas in den Hintergrund, unterstützte die Notärzte aber weiterhin als hochqualifizierte Helfer bzw. agierte als „Vorhut“ bei unklaren Notfallanforderungen. Mit der Einführung der Notfallkompetenz (s. oben Sanitätergesetz 2002) nach Verständigung eines Arztes/Notarztes wurden definierte notfallmedizinische Maßnahmen ermöglicht, die auf Einschätzung der Vitalfunktionen und der Applikation von freigegebenen Arzneimitteln fokussierten [12]. Daraus resultiert, dass viele Einsätze heute auch ohne Anwesenheit des Notarztes durch den sog. „Rettungsmediziner“, einem Notfallsanitäter mit Kompetenz Intubation (NKI) abgewickelt werden können. Die Ausbildung der Rettungsmediziner wurde 1983 strukturiert und konsekutiv an die laufenden Änderungen der Ausbildungs-Curricula (Studium Humanmedizin und auch Sanitäterausbildung) angepasst. Neben der Sanitätshilfe werden die im Laufe des Medizinstudiums erworbenen Kompetenzen angerechnet, womit sich eine Mindestausbildungsdauer von mehr als 3000 h ergibt (Tab. 2). Etwa die Hälfte der Ausbildung (1500 h) ist die praktische Tätigkeit als Anwärter unter Supervision am Notfallwagen. Dies bedingt, dass neben dem Fahrer und einem Rettungssanitäter immer ein zusätzlicher Helfer zur Verfügung steht (4 Personen). Der Notfallwagen ist ein voll ausgestatteter Rettungswagen nach der Norm DIN EN 1789 entsprechend einer MICU (Mobile Intensive Care Unit).

Tab. 2 Ausbildung des Medizinercorps

3-Stufen-Modell Graz

Seit den frühen 1980er Jahren werden Stadtgebiet und Umland von Graz (~400.000 Einwohner im Versorgungsbereich) mit dem abgestuften Notfallsystem versorgt. Neben den beiden arztbesetzten Notarzteinsatzfahrzeugen (NEF) der öffentlichen Krankenhäuser (LKH Universitätsklinikum Graz bzw. UKH Graz/LKH Graz Südwest, Standort West) gibt es zwei sog. Notfallrettungswägen („Jumbo“) des Grazer Roten Kreuzes, die vom Medizinercorps betreut werden (s. oben) [10]. Die Rettungsmediziner (s. oben) werden bei nicht eindeutigem, jedoch möglicherweise kritischem Notfallgeschehen (z. B. Kollaps, fragliche Bewusstlosigkeit, Sturzgeschehen usw.) zum Notfallort entsendet und stellen damit nach den Rettungssanitätern die zweite Instanz in der Versorgungskette dar. Bei deutlicherem Hinweis auf Vorliegen einer Vitalgefährdung wird zeitgleich auch ein Notarztmittel zum Einsatzort beordert, sodass in diesen Fällen zusammen mit dem Notarzt 6 ausgebildete Notfallhelfer zur Verfügung stehen.

Methodik

Unter Zuhilfenahme von Daten des statistischen Zentralamts wurden die aktuelle Einwohnerzahl eines Bundeslandes mit der Tourismusintensität (Summe der Nächtigungen), heruntergebrochen auf den Tag, addiert und daraus der sog. „Einwohnergleichwert“ ermittelt. Die Zahlen über die Notarztmittel wurden durch persönliche Befragung der Notfallreferenten der Landesärztekammern sowie den zentralen Leitstellen erhoben. Zur Berechnung der Notarztverfügbarkeit in Bezug auf die Bevölkerungszahl wurden nur die bodengebundenen Notarztsysteme eingeschlossen, da die Notarzthubschrauber einerseits eingeschränkte Betriebszeiten haben bzw. andererseits teilweise – in den Tourismusregionen – nur für wenige Monate im Jahr zur Verfügung stehen, während die Notarztwagen ihren Versorgungsbereich 365 Tage und 24 h abdecken.

Zum Vergleich der notärztlichen Maßnahmen wurden die Daten des Notarztsystems von Wiener Neustadt (Niederösterreich) als Beispiel eines zweistufigen Versorgungssystems mit dem Modell Graz (Steiermark) als dreistufiges System verglichen. Diese Auswahl des zu vergleichenden Notarztsystems wurde aufgrund ähnlicher soziodemographischer Strukturen in einem gemischt städtisch-ländlichen Versorgungsbereich getroffen. Wichtig ist festzustellen, dass sich die Daten des Modell Graz nur auf den Einzugsbereich des Notarztwagens des Universitätsklinikums (~200.000 Einwohner, EW) beziehen.

Zur differenzierten Auswertung herangezogen wurden sowohl logistische Parameter des Einsatzablaufs (Storno, Belassung vor Ort, Todesfeststellung) als auch notfallmedizinische Maßnahmen, die eine hohe ärztliche Qualifikation erfordern (Intubation, Narkoseeinleitung, Reanimation) sowie auch jene Tätigkeiten, die auch von Sanitätern ausgeführt werden dürfen. Um den gesetzlichen Regelungen Genüge zu tun, muss in diesen Fällen zwar die Verständigung des Notarztes mit einer Situationsschilderung erfolgen, die physische Anwesenheit des Notarztes am Einsatzort ist aber nicht zwingend. Die Daten wurden unter Zuhilfenahme von Microsoft Excel 2010 und IBM SPSS Statistics 22 statistisch ausgewertet. Für den Vergleich der Frequenzen der Tätigkeiten zwischen den beiden Stützpunkten wurde die Odds Ratio berechnet und mittels χ2-Test auf Signifikanz überprüft. Es wurden keinerlei direkt patientenbezogene Daten bearbeitet, daher konnte auf ein Votum der Ethikkommission verzichtet werden.

Ergebnisse

Im Jahr 2014 standen in Österreich 124 Notarztfahrzeuge und 26 Notarzthubschrauber zur Verfügung. Tab. 3 zeigt die Aufteilung der Notarztmittel sowohl boden- als auch luftgebunden, wobei je nach Saison (Stichwort Wintersportregion) 16 zusätzliche Hubschrauber zur Verfügung stehen; diese sind in der Tabelle in Klammern dargestellt (z. B. Tirol 8(8)). Im Durchschnitt steht somit in Österreich ein Notarzt (in den bodengebundenen Systemen) für etwa 71.700 EW zur Verfügung (Tab. 3). Die beiden größten Städte haben die im Verhältnis zur Einwohnerzahl geringste Notarztdichte. In Graz-Stadt gibt es für rund 400.000 EW „nur“ zwei Notarztsysteme, in Wien kommt auf 150.000 EW ein Notarztmittel. Österreichweit wurden bei einem Einwohnergleichwert von 8.548.000 im Jahr 2014 201.651 Notarzteinsätze (boden- und luftgebunden) durchgeführt, woraus sich ein Mittelwert von 23 Einsätzen pro 1000 EW ergibt. In Tab. 4 sind die Verteilung der Einsatzzahlen der einzelnen Bundesländer sowie die Ergebnisse des Notarztsystems Universitätsklinikum Graz und Wiener Neustadt für den speziellen Vergleich gezeigt. In Abb. 1 wird die Anzahl der Einsätze pro 1000 EW im Jahr 2014 gezeigt. Der österreichische Durchschnitt wird von Wien, Niederösterreich und Tirol überschritten, auffällig deutlich unter dem Durchschnitt liegen die Länder Salzburg und Steiermark.

Tab. 3 Notarztdichte in Österreich unter besonderer Hervorhebung von Graz und Wiener Neustadt (*Einwohnerkennzahl = Summe aus Einwohnerzahl und der durchschnittlichen Nächtigungen pro Tag)
Tab. 4 Auflistung der Notarzteinsätze der Bundesländer für das Jahr 2014 mit besonderer Hervorhebung der Notarztstützpunktes Graz-Klinikum und Wiener Neustadt
Abb. 1
figure 1

Zahl der Einsätze pro 1000 Einwohner und Jahr aufgeteilt auf die 9 Bundesländer. t tausend EW

Medizinische Maßnahmen

Von den Notarztstützpunkten Wiener Neustadt sowie dem Stützpunkt Universitätsklinikum Graz liegen genaue Daten hinsichtlich der notärztlichen Maßnahmen vor. Bereits die Analyse der logistischen Einsatzdaten zeigt große Unterschiede: In Wiener Neustadt wurden im Jahr 2014 2602 Notarzteinsätze bei einem Einzugsgebiet von etwa 80.000 EW absolviert, entsprechend 32,5 Einsätzen/1000 EW. Im Notarztsystem des Universitätsklinikums Graz wurden im selben Beobachtungszeitraum bei einem Versorgungsbereich von etwa 200.000 EW (Graz-Ost und Umgebung) nur 1747 Einsätze durchgeführt, woraus 8,7 Einsätze/1000 EW und Jahr resultieren.

Bezieht man sich auf die Einwohnerzahl wird deutlich, dass die Notärzte in Graz signifikant weniger Stornierungen und Todesfeststellungen absolvieren (Tab. 5). Ebenso sind isoliert durchgeführte notfallmedizinische Basismaßnahmen wie das Legen eines intravenösen Zugangs, Infusionstherapie und Analgosedierung deutlich seltener als in Wiener Neustadt. Andererseits sind notarztspezifische Maßnahmen wie Narkoseeinleitung, Katecholamin- und Antiarrhythmikatherapie in vergleichbarer Häufigkeit anzutreffen. Diese Unterschiede sind anschaulich in Abb. 2 dargestellt. Die Glucosegabe und die Applikation von Analgetika und Sedativa – Maßnahmen, die für Notfallsanitäter im Sinne des Sanitätergesetzes [12] freigegeben sind, machen einen Anteil von etwa 10 Fällen pro 1000 EW aus. Der wohl bedeutendste Unterschied zeigt sich bei jenen Patienten, die vom Notarzt lediglich eine Infusionstherapie ohne zusätzliche Medikation erhielten. Diese Maßnahme wird in Wiener Neustadt im Vergleich zu Graz 8‑mal häufiger gesetzt. Die Auflistung der notfallmedizinischen Maßnahmen ist natürlich nur beispielhaft zu sehen und für die Überarbeitung des Portfolios notärztlicher Tätigkeiten unvollständig.

Tab. 5 Auflistung der Prozentsätze notfallmedizinischer Maßnahmen berechnet auf die Einwohnerzahl (Graz 200.000 vs. Wiener Neustadt 80.000)
Abb. 2
figure 2

Die notärztlichen Maßnahmen in Bezug auf 1000 Einwohner im Vergleich zwischen den Notarztstützpunkten Graz-Klinikum und Wiener Neustadt (***p < 0,000, **p < 0,01, n. s. nicht signifikant)

Diskussion

Die Aufarbeitung der Frequenz notfallmedizinischer Einsätze in Österreich zeigt ein sehr unterschiedliches Bild, welches sich vielerorts nur schwer erklären lässt. So ist die Anforderung eines Notarztes in Wien am häufigsten, gefolgt von Niederösterreich und Tirol. In diesem Land lässt sich die hohe Anforderungsrate evtl. mit der hohen Notarztdichte erklären. Es stehen hier nämlich nicht nur 20 Notarztfahrzeuge, sondern saisonal noch zusätzlich bis zu 16 Notarzthubschrauber zur Verfügung. Damit reduziert sich die Einwohnerzahl, für die ein Notarztmittel zur Verfügung steht von 42.500 auf (saisonal) für 23.600 Menschen, was neben dem hohen Tourismusanteil auch durch die besonderen geografischen Gegebenheiten des alpinen Raums begründbar ist. Sowohl in der Steiermark als auch in Salzburg scheinen die Rettungsleitstellen die Ressource Notarzt deutlich restriktiver einzusetzen. Deren niedrige Einsatzfrequenz wird lediglich durch das Modell der abgestuften Notfallversorgung des Grazer Modells unterboten.

Die Frage, ob Notärzte in der Steiermark und Salzburg zu wenig eingesetzt werden, lässt sich ohne Outcome-Analysen der Notfallpatienten nicht qualifiziert beantworten. Davon ausgehend, dass medizinische Maßnahmen nur bei entsprechender Indikation durchgeführt werden, ist jedoch schon ein Rückschluss auf deren Notwendigkeit möglich. Die Auswertung der notfallmedizinischen Maßnahmen bringt hier doch deutliche Hinweise: Das Ergebnis, dass der Anteil qualifizierter notärztlicher Interventionen (Intubation, Narkose-Einleitung usw.) bezogen auf die Einwohnerzahl gleich ist, obwohl die Einsatzfrequenz in Wiener Neustadt fast um das 4‑Fache höher ist, lässt die Interpretation zu, dass der Unterschied nicht die Erkrankungs- und Verletzungsschwere ist, sondern dass viele Maßnahmen im abgestuften Grazer System vom nichtärztlichen Rettungspersonal übernommen werden. Damit kann auch das Argument entkräftet werden, dass durch eine zurückhaltende Alarmierung Notfallpatienten „unterversorgt“ sein könnten. Ein abgestuftes System erlaubt im Gegenteil, die Rettungskräfte gemäß ihrer Qualifikationen besser einzusetzen und so letztlich auch eine bessere Verfügbarkeit bedürfnisadäquater Hilfe zu gewährleisten.

Zur Diskussion steht im Notarztdienst auch immer die Frage, inwieweit Analgesie und Sedierung ärztliche Präsenz erfordert. Aufgrund der Datenlage könnte man ableiten, dass diese von Sanitätern selbstständig angewandt würden, was vor allem in Bezug auf die Opioide klar gesetzeswidrig wäre. Demgegenüber muss festgehalten, dass eine präklinische Schmerzbehandlung nicht zwangsläufig und immer medikamentös erfolgen muss, sondern auch durch kompetente sanitätshilfliche Maßnahmen wie Schienung, Lagerung und/oder Zuwendung durchgeführt werden kann. Eine Schmerzbehandlung mit S‑Ketamin in Kombination mit Midazolam ist auch in den Arzneimittellisten freigegeben, sodass in vielen Fällen ein Notarzt von der Therapie zwar gesetzeskonform verständigt, aber nicht als zusätzliches Rettungsmittel nachgeholt wird. Opioide werden von den Rettungsmedizinern nicht appliziert.

Vorliegende Arbeit soll weder die Bedeutung der Freiwilligkeit im Rettungsdienst noch den Stellenwert des Notarztwesens in Frage stellen. Erste-Hilfe-Projekte im Sinne der Nachbarschaftshilfe und eines am schnellsten verfügbaren „First-Responder“ sind nicht wegzudenkende Stützen der präklinischen Versorgung. Wie auch immer wiederkehrende Großschadensereignisse und Naturkatastrophen bzw. z. B. auch die Flüchtlingswelle im Jahr 2015 eindrucksvoll gezeigt haben, ist die große Zahl an freiwilligen Sanitätern in Österreich für eine funktionierende Erstversorgung elementar. Nichtsdestotrotz muss festgestellt werden, dass die Sanitäterausbildung in Österreich die im deutschsprachigen Raum mit Abstand geringste Stundenanzahl aufweist [1, 14, 16] und außerdem noch durch die Tatsache gekennzeichnet ist, dass die rechtlichen Rahmen bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Sanitätshilfe im „Expert Status“ wird kaum gelebt und es gibt de facto auch keine „notfallmedizinischen Versorgungen“ durch Sanitäter. Ebenso ist aber auch der Stellenwert von Notärzten als das höchst qualifizierte Glied in der Rettungskette unbestritten und dessen Sinnhaftigkeit mit hoher Evidenz hinterlegt [2, 3].

In der Diskussion von Strategien zur Optimierung der Notfallversorgung wird gerne das angloamerikanische Modell eines „Paramedics-System“ [6, 8] dem frankogermanischen „Notarztsystem“ kontradiktorisch gegenübergestellt [11, 13]. Sehr oft werden die beiden Modelle im gegenseitigen Ausschluss betrachtet und auch durchaus emotional diskutiert. Tendenziell zeichnet sich jedoch eine Annäherung der beiden Standpunkte ab: Ursprünglich rein „Paramedics-orientierte“ Emergency-Medical-Service(EMS)-Einrichtungen akzeptieren angesichts der aktuellen Datenlage medizinischen Wissens zunehmend den Stellenwert frühzeitiger notärztlicher Maßnahmen [2, 5, 7] und erweiterten die Notfallteams um qualifizierte Ärzte für ausgewählte Indikationen. Diese kommen entweder durch Einsatz von Notarzthubschraubern [5] oder auch bodengebunden mittels „Mobile Intensive Care Units“ [7] als Unterstützung für die Paramedics zum Einsatz. Als Beispiel sei hier London erwähnt, wo vor mehr als 40 Jahren die Paramedics erfunden wurden und nun seit rund 10 Jahren auch Notärzte nach strengem Indikationsprofil für hochspezifische notärztliche Maßnahmen eingesetzt werden. Demgegenüber erkennen jene Länder, welche seit Jahrzehnten über ein flächendeckendes Notarztsystem verfügen, dass die erreichte Quantität auch zu einem überbordenden Einsatzaufkommen führen kann [3, 4].

Das Medizinerkorps Graz stellt zweifellos eine spezifische Einrichtung dar, die sicherlich nicht ohne weiteres auf andere Städte und Versorgungsbereiche übertragbar ist. Jedoch zeigt das dreistufige Modell deutlich auf, dass durch breitere Streuung unterschiedlicher Qualifikationen, orientiert an bestehenden rechtlichen Rahmenbedingungen [12] eine bedarfsadaptierte Optimierung des Notfallrettungswesens möglich ist. Die vorliegende Arbeit will daher keinesfalls ein „Paramedic-System“ befürworten, sondern dem Notarztsystem den ihm zukommenden Stellenwert zurückzugeben: die Versorgung von Notfallpatienten, die kritisch erkrankt bzw. verletzt sind. Selbstredend müssen dazu aber zunächst die tatsächliche Ausbildung der Sanitäter verbessert und bereits vorhandene gesetzliche Möglichkeiten genutzt werden.

Limitationen

Angesichts der in Österreich noch immer fehlenden einheitlichen Notarzt- bzw. rettungsdienstlichen Dokumentation kann diese Arbeit nur ein Schlaglicht auf den Status quo und die Entwicklungsmöglichkeiten im Rettungsdienst geben. Einerseits sind Einsatzdaten von manchen Bundesländern nicht exakt verfügbar, die Duplizität von Einsätzen mit teils bodengebundenem Notarztsystem und Hubschraubern kann ebenfalls nicht explizit abgegrenzt werden, da vor allem auch die Randgebiete der Städte von der Flugrettung betreut werden, sodass die Zuordnung zum Einzugsgebiet nicht absolut exakt ist. Nicht zuletzt ändert sich je nach Tages- oder Jahreszeit auch die Bevölkerungszahl aufgrund von Berufsleben und Tourismus, weshalb genaue Versorgungsbereiche und die Umrechnung auf die Einwohnerzahl für ein Notarzteinsatzmittel schwer einzuschätzen sind. Dasselbe gilt auch für die Abgrenzung der Versorgungsbereiche des Notarztsystems Graz, wobei man jedoch davon ausgehen kann, dass der Anteil der „Ausreißer“ sich gegenseitig aufhebt. Für genaue Analysen der notärztlichen Tätigkeiten gibt es – von Ausnahmen abgesehen – in Österreich keine vergleichbaren qualifizierten Datenbanken, sodass man sich hier auf die verfügbaren Dokumentationen Graz und Wiener Neustadt fokussieren musste, was nicht zwingend dem österreichischen Durchschnitt entsprechen muss.

Fazit für die Praxis

  • Der Wirkungsbereich eines Notarztmittels in Österreich ist je nach Bundesland unterschiedlich und reicht von etwa 1:42.500 EW bis hinauf zu 1:150.000 bzw. im Raum Graz bei 1:200.000 EW.

  • Ebenso divergierend ist die Zahl der Notarztanforderungen, die in Österreich durchschnittlich bei 23/1000 liegt, aber von maximal 32 (Wiener Neustadt) bis auf minimal 9 (Graz) reicht.

  • Im Gegensatz zum österreichischen Standard verfügt das Notarztsystem Graz über das Medizinercorps. Dabei handelt es sich um Studierende der Humanmedizin ab dem 3. Ausbildungsjahr, die zudem als hochqualifizierte Rettungsmediziner auf Basis des NKI (Notfallsanitäter mit besonderer Notfallkompetenz Intubation) ausgebildet sind und die Notfallrettungswagen des Roten Kreuzes Graz Stadt betreuen. Die zusätzliche Qualifikationsstufe ermöglicht eine vergleichbar geringere Anforderungshäufigkeit der Ressource Notarzt, was nicht zuletzt eine bessere Fokussierung und damit auch deutliche Motivationssteigerung in der Ärzteschaft bewirkt.

  • Im Vergleich der Notarztsysteme Graz (3-stufig) und Wiener Neustadt (2-stufig) zeigt es sich, dass die hochspezifischen Maßnahmen (Intubation, Narkoseeinleitung usw.) von den Notärzten der beiden Systeme gleich oft vorgenommen werden, während die medizinischen Standardtätigkeiten wie i. v.-Zugang, Infusionstherapie usw. und auch die Fehleinsätze und Stornierungen im 3‑stufigen Modell Graz signifikant seltener vorkommen.