In der letzten Dekade haben sich in der chirurgischen Behandlung von instabilen Verletzungen des hinteren Beckenrings einige Neuerungen etablieren können. Die Entwicklungen auf dem Gebiet der digitalen Bildgebung erlauben heutzutage die routinemäßige überlagerungsfreie oder auch 3‑dimensionale CT-Darstellung der Fraktursituation im Rahmen der präoperativen Planung. Aber auch im intraoperativen Setup haben moderne CT-basierte Techniken der Schnittbildgebung mittlerweile Einzug gehalten. Beflügelt durch die modernen PC-gestützten Möglichkeiten zur 3‑dimensionalen Darstellung des knöchernen Beckens konnten zudem zahlreiche wissenschaftliche Publikationen erheblich zum besseren chirurgischen Grundlagenverständnis beispielsweise der pelvinen Formenvariabilität beitragen und wichtige Erkenntnisse hinsichtlich Größe, Form und Häufigkeit sicherer Knochenkorridore für lange ilio-/transsakrale [1,2,3,4,5,6,7,8,9,10,11] oder iliakale [12] Schraubenimplantate erbringen.

Wahl von Zugang und Osteosynthese – Trend zu minimal-invasiven Techniken

Die genannten Aspekte führen dazu, dass in zunehmendem Maß perkutane Instrumentationen bzw. Versorgungen über limitierte Inzisionen am instabilen hinteren Beckenring mit hoher Präzision und Patientensicherheit vorgenommen werden (Abb. 1). Insbesondere die sakroiliakale (SI-)Verschraubung oder in ihrer Erweiterung die komplette transsakrale (TS-)Stabilisierung mit oder auch ohne Navigation gehören in Zentren der traumatologischen Maximalversorgung heutzutage zu Routineeingriffen. Zudem sind auf dem Markt zunehmend Fixateur-interne-Systeme erhältlich, die auch spinopelvine Instrumentationen in nahezu minimal-invasiver Technik ermöglichen (Abb. 2). Der Vorteil gedeckter Techniken liegt auf der Hand. Neben einem geringeren perioperativen Weichteiltrauma werden insbesondere die bei offenen dorsalen Stabilisierungen beschriebenen, teils inakzeptabel hohen infektbedingten Komplikationsraten von 9 % [13] bis zu 21 % [14] beim gedeckten Vorgehen nicht mehr gesehen [15].

Abb. 1
figure 1

Minimal-invasive Schraubenstabilisierung einer nicht dislozierten transiliakalen Luxationsfraktur (AO: 61-C1.2a1c1, „crescent fracture“). a 3-D-Rekonstruktion, b koronare und c axiale Schnittführung sowie d Röntgenübersichtsaufnahme

Abb. 2
figure 2

Minimal-invasive Stabilisierung einer nicht dislozierten bilateralen C‑Verletzung des hinteren Beckenringes mittels spinopelviner Stabilisierung von Lendenwirbelkörper(LWK)5 auf Ilium beidseits unter Kombination des USS MIS® Systems (LWK5) und des USS II iliosacral® (Ilium) der Firma Depuy-Synthes® (Umkirch, Deutschland) sowie zusätzlicher linksseitiger sakroiliakaler Verschraubung. a Bildwandleraufnahme, b klinischer Situs während und c nach Abschluss der Instrumentation

Nachteilig bleiben allerdings unverändert die nur eingeschränkten Möglichkeiten der geschlossenen Reposition [15]. Nichtsdestotrotz weist ein Großteil versorgungspflichtiger Instabilitäten vom Typ B (höhergradig) oder C primär entweder keine wesentliche Dislokation im Bereich des hinteren Beckenrings auf oder erlaubt über indirekte Repositionstechniken, z. B. über Traktion am Bein, Verwendung von Schanz-Pins als Joysticks oder gar mithilfe der einzubringenden Implantate eine anatomiegerechte Wiedereinrichtung und interne Fixation der Fragmente in minimal-invasiver Technik. Im klinikeigenen Vorgehen wird daher, wann immer möglich, ein perkutanes Vorgehen bevorzugt. In den letzten 5 Jahren wurden im eigenen Krankengut >80 % aller versorgungspflichtigen Instabilitäten minimal-invasiv versorgt. Lediglich bei geschlossen, nicht reponiblen Fehlstellungen oder frakturbedingtem neurologischem Defizit durch Verlegung des Sakralkanals oder Inkarzeration von Sakralwurzeln kommen klassische offene Zugänge zur Anwendung (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Schematische Übersichtsdarstellung minimal-invasiver und offener Osteosynthesen am hinteren Beckenring. IF „internal fixation“, CRIF „closed reduction internal fixation“, ORIF „open reduction internal fixation“

Grad der Instabilität – Klassifikationen

Für die korrekte Wahl einer Osteosynthese dienen Klassifikationssysteme als Grundlage für die Beurteilung von Frakturmorphologie und Grad der resultierenden Instabilität. Im eigenen Vorgehen haben sich in der klinischen Routine folgende Klassifikationen bewährt. Eine einfache, sehr illustrative Einteilung traumatischer Instabilitäten am hinteren Beckenring basiert auf der Beschreibung der Frakturlokalisation [16]. Hierbei werden am hinteren Beckenring transazetabuläre, transiliakale, transiliosakrale und transsakrale Instabilitäten beschrieben. Die AO/OTA(Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthese/Orthopaedic Trauma Association)-Klassifikation basiert auf der Einteilung von Pennal und Tile und beinhaltet in ihrer Typisierung nach A‑, B‑ und C‑Verletzungen das Ausmaß und die Dimension(en) der vorliegenden Instabilität des vorderen und hinteren Beckenrings. Zudem liefert sie eine effektive anatomische Beschreibung der Frakturmorphologie in einem alphanumerischen Code. Dieser Einteilung folgend, besteht bei höhergradigen, horizontal instabilen B‑Verletzungen eine (relative) Indikation zur operativen Stabilisierung des hinteren Beckenrings, wie z. B. bei weit klaffenden Open-book-Verletzungen. Eine absolute Operationsindikation liegt im Allgemeinen bei vertikal instabilen C‑Verletzungen vor. Für die Beschreibung von Sakrumfrakturen hat sich zudem die Einteilung nach Denis et al. [17] bewährt, wobei in Bezug auf Art und Ausmaß neurologischer Begleitverletzungen in einen transalaren (Zone Denis 1), einen transforaminalen (Denis 2) und einen zentralen Frakturverlauf (Denis 3) unterschieden wird. Isler und Ganz [18] wiesen auf die Bedeutung des Frakturverlaufes bei transsakralen Frakturen im Rahmen von C‑Verletzungen in Relation zum Facettgelenkfortsatz S1 hin. Aus einem Frakturverlauf durch den Gelenkfortsatz oder medial davon resultiert neben der Verletzung des hinteren Beckenrings zusätzlich eine rotatorische Instabilität im lumbosakralen Scharnier. Diese Erkenntnis sollte daher in der Wahl der Osteosynthese bei Versorgung instabiler hinterer Beckenringverletzungen im Sinne einer spinopelvinen Transfixation Berücksichtigung finden.

Aus der Vielzahl bekannter Stabilisierungsverfahren kann somit das richtige Osteosyntheseverfahren, basierend auf den 3 genannten Klassifikationen AO/OTA (Arbeitsgemeinschaft für Osteosynthese / Orthopaedic Trauma Association), Denis und Isler, unter Berücksichtigung des Grades der vorliegenden Instabilität sowie des Frakturverlaufes/-musters einfach festgelegt werden. Ob ein minimal-invasives Vorgehen in Betracht gezogen werden kann oder ob ein offener Zugang angezeigt ist, bleibt vom Ausmaß der Frakturdislokation und dem vorliegenden neurologisches Status des Patienten abhängig. So sind nicht oder nur gering dislozierte Verletzungen des hinteren Beckenringes zumeist einer perkutanen Technik zugänglich. Stärkere Dislokationen, die direkte Repositionsmanöver erfordern, oder das Vorliegen sensomotorischer Defizite machen in der Regel offene Zugänge bzw. eine Dekompression neuronaler Strukturen notwendig (Abb. 4). Die Tab. 1 gibt einen systematischen Überblick über das hauseigene operative Vorgehen bezüglich der Wahl der Osteosynthese und des Zuganges.

Abb. 4
figure 4

Fallbeispiel einer Sakrumausbruchfraktur („suicidal jumpers fracture“) mit Verlegung des Sakralkanals in a axialer, b koronarer und c sagittaler CT-Schnittgebung. d Klinisches Bild und e BV(Bildwandler)-Darstellung der durchgeführten offenen Dekompression und spinopelvinen Stabilisierung (rote Pfeile)

Tab. 1 Klinikeigene Auflistung der operativen Versorgungsalternativen in Abhängigkeit von Frakturmuster, -stellung und dem Neurostatus (ohne Anspruch auf Vollständigkeit!)

Wahl des Versorgungszeitpunktes – (Quasi‑)Primärversorgung beim mehrfachverletzten oder polytraumatisierten Patienten

Die definitive interne osteosynthetische Stabilisierung von höhergradigen Beckenverletzungen bei mehrfachverletzten oder polytraumatisierten Patienten ist nach den Regeln des Damage-Control-Konzeptes in der sog. Sekundärphase im Zeitfenster zwischen dem 5. und 14. Tag post Trauma angesiedelt. Die Primärphase sollte lebensrettenden chirurgischen Sofortmaßnahmen vorbehalten bleiben. Am Becken finden hierfür in der Regel externe Stabilisierungsverfahren wie der Fixateur externe oder die Beckenzwinge Anwendung. Unter gewissen Voraussetzungen kann bei ausreichend stabilen Kreislaufverhältnissen unter Anwendung oben genannter gedeckter Techniken in diesem Zeitfenster aber durchaus auch eine (quasi)definitive interne Versorgung erfolgen, ohne das Dogma des Damage-Control zu konterkarieren. Insbesondere bietet sich hierfür die gedeckte Implantation langer kanülierter Großfragmentschrauben im Verlauf sog. sicherer Knochenkorridore [1, 3,4,5,6, 10, 11] z. B. von SI- oder transsakralen Schrauben an, die bei einer überschaubaren, nicht dislozierten oder geschlossen reponiblen Fraktursituation schnell und risikoarm eingebracht werden können. Für die Einbringung solcher Schrauben im Rahmen der Primärphase der Polytraumaversorgung beginnt sich mittlerweile der Begriff der sog. „rescue screw“ zu etablieren. In versierter chirurgischer Hand ist der hierfür erforderliche Zeitaufwand vergleichbar mit der Anlage eines supraazetabulären Fixateurs oder einer Beckenzwinge. Abhängig vom Ausmaß der Instabilität kann dann (falls überhaupt erforderlich) über eine spätere sekundäre Komplettierung z. B. mit einer spinopelvinen Instrumentation entschieden werden. Ob der betreffende Patient bzw. die individuelle Situation für ein „Abweichen von der Regel“ geeignet ist, hängt von folgenden Einflussfaktoren ab:

  • Patientenspezifische unfallabhängige Parameter

    • Gesamtverletzungsmuster (Mono‑/Mehrfach- oder Polytrauma)

    • Aktuelle Kreislaufsituation

      • Pro: Patient stabil oder „transient responder“

      • Kontra: „non-responder“, Patient in extremis

    • Komplexität/Dislokationsgrad der Beckenverletzung

      • Pro: nicht dislozierte oder geschlossen reponible Frakturen

      • Kontra: komplexe Fraktursituationen mit grober Dislokation

  • Patientenspezifische unfallunabhängige Parameter

    • Patientenalter

    • Komorbidität

  • Perioperatives Setup in der Primärphase

    • Vorhandene Bildgebung (BV [Bildwandler]), ggf. 3-D-BV oder intraoperative CT (Computertomografie)

    • Chirurgische Performance

Ergibt sich aus einer günstigen Kombination der genannten Parameter eine Situation, in der bei einem ausreichend kreislaufstabilen Patienten eine zu stabilisierende, aber in ihrem Ausmaß sicher zu interpretierende hintere Beckenringverletzung vorliegt (nicht disloziert oder geschlossen reponibel), die einer perkutanen internen Fixation zugänglich ist, kann bei entsprechend vorhandener chirurgischer und technischer Performance die (quasi)definitive interne Stabilisierung in das Fenster der Primärversorgung vorverlegt werden (Abb. 5), ohne dass die Prinzipien des Damage-Control verletzt werden.

Abb. 5
figure 5

Randbedingungen der Verlegung der (quasi)definitiven internen Stabilisierung des hinteren Beckenringes aus der Sekundär- und die Primärphase der Traumaversorgung unter Berücksichtigung patientenspezifischer unfallabhängiger und -unabhängiger Einflussvariablen. CRIF „closed reduction internal fixation“, ORIF „open reduction internal fixation“

Folgende Fallbeispiele demonstrieren das beschriebene Vorgehen.

Fallbeispiel 1

Eine 29-jährige Patientin wurde als Fußgängerin von einem PKW mit ca. 80 km/h erfasst. Nach primärer Schutzintubation und Anlage eines Beckengurtes durch den Notarzt bei klinisch instabilem Becken erfolgte der luftgebundene Transport in unsere Klinik. Bei Übernahme im Schockraum zeigten sich unter Volumengabe und begleitender niedrig dosierter Katecholamintherapie kreislaufstabile Verhältnisse. Die Polytrauma-Spiral-CT ergab als führende Verletzung eine mäßig dislozierte transforaminale Sakrumfraktur links mit begleitendem Lendenwirbelkörper(LWK)5-Querfortsatzabriss sowie ipsilateraler oberer und unterer Schambeinastfraktur (AO: 61-C1.3a2c1, Denis Zone 2, Isler A; Abb. 6). Zudem fanden sich eine Kalottenfraktur, eine nicht dislozierte rechtsseitige Facettfraktur Halswirbelkörper(HWK)7, ein bilaterales stumpfes Thoraxtrauma, eine kleinvolumige Leberlazeration im Segment VI (Moore 2), eine Klavikulaschaftfraktur und Skapulablattfraktur links sowie eine distale Unterschenkelschaftfraktur links. Der Injury Severity Score (ISS) betrug 43. Es erfolgte die umgehende Verbringung der Patientin in den Operationssaal. Unter BV-Kontrolle konnte durch Längszug am linken Oberschenkel eine gute Frakturstellung des vorderen und hinteren Beckenrings erreicht werden. Der beckenchirurgisch versierte Unfallchirurg entschied sich daher zur primären transversalen SI-Verschraubung auf Segmenthöhe S2 bei Sakrumdysplasie unter Verwendung einer Vollgewindeschraube, um eine Kompression der transforaminalen Sakrumfraktur (Denis 2) zu vermeiden (Abb. 7). Zudem erfolgte die Stabilisierung der Unterschenkelfraktur im Fixateur externe. Der gesamte Eingriff nahm lediglich 35 min in Anspruch. Hiernach konnte die supportive Katecholamingabe zügig beendet werden; 24 h später konnte die Patientin problemlos extubiert werden. Am 5. Tag nach Trauma erfolgten die perkutane Komplettierung der Stabilisierung der linksseitigen pelvinen C‑Verletzung mittels Fixateur interne von LWK5 auf das Ilium im Sinne der triangulären Fixation (Abb. 8) sowie die Marknagelung des linken Unterschenkels.

Abb. 6
figure 6

Ausgewählte Schichten der Polytrauma-Spiral-CT in a koronarer und b axialer Rekonstruktion zeigen eine gering dislozierte transforaminale Sakrumfraktur sowie eine Avulsion des Lendenwirbelkörper(LWK)5-Querfortsatzes (rote Pfeile)

Abb. 7
figure 7

Primärversorgung am Unfalltag mittels sakroiliakaler Verschraubung links Segmenthöhe S2 bei dysplastischem Sakrum („rescue screw“) mit intraoperativen BV(Bildwandler)-Aufnahmen in a Inlet und b Outlet-Projektion sowie c postoperativer Röntgenübersichtsdarstellung

Abb. 8
figure 8

Sekundäre Komplettierung zur triangulären Stabilisierung mittels Fixateur interne von Lendenwirbelkörper(LWK)5 auf Ilium links in a koronarer und b axialer Schnittgebung sowie 3‑D-Rekonstruktion in c Outlet- und d Inlet-Ansicht

Fallbeispiel 2

Eine 17-jährige Frau wurde als Sozia eines Kleinwagens durch einen auf das Stauende ungebremst auffahrenden 40-Tonner in der deformierten Fahrgastzelle eingeklemmt. Die Bergung der wachen, hypotonen, aber kreislaufstabilen Patientin nahm ca. 60 min in Anspruch. Vom Notarzt wurde ein regelrechter peripher-neurologischer Status dokumentiert. Nach Schutzintubation erfolgte der luftgebundene Transport in unsere Klinik mit anschließender Verbringung in den Schockraum. Die Polytrauma-Spiral-CT ergab als führende Verletzung eine komplexe Beckenverletzung (OTA: 61-C2.3b2.2c6) mit dislozierter transforaminaler Sakrumfraktur links (Denis 2), einer Zerreißung der rechten SI-Fuge bei anteriorer Kompressionsfraktur des Sakrumflügels und einer verhakten Symphysenruptur (Abb. 9a, b) mit begleitendem Vaginaleinriss. Zudem fanden sich eine Thoraxkontusion rechts und eine nicht dislozierte Tibiakopffraktur (B-Verletzung) mit begleitendem knöchernem Ausriss des hinteren Kreuzbandes rechts. Der Injury Severity Score betrug 21 Punkte. Unter adäquater Volumensubstitution waren die Kreislaufverhältnisse unverändert stabil. Die Patientin wurde zur Versorgung der instabilen Beckenverletzung in den Operationssaal verbracht. Zunächst erfolgte die Montage eines supraazetabulären Fixateur externe. Zuvor wurde die verhakte Symphyse unter Verwendung der platzierten Schanzschrauben als Joystick eingerichtet und die kranialisierte linke Beckenhälfte durch Längszug am Bein reponiert. Mit der hierdurch erreichten Reposition des hinteren Beckenrings bot sich die beidseitige SI-Verschraubung auf Segmenthöhe S1 als Alternative gegenüber einer zusätzlichen Beckenzwinge an, insbesondere da bei Letzterer durch den schwer kontrollierbaren Kompressionseffekt eine Kompromittierung der linkseitigen Sakralwurzeln im Bereich der transforaminalen Trümmerfraktur zu befürchten gewesen wäre. Der komplette Schluss der rechten SI-Fuge gelang aufgrund eines inkarzerierten Fragments nicht komplett. Ansonsten war die Ringkonfiguration nahezu anatomisch wiederhergestellt (Abb. 9c–e). Die operative Versorgung beanspruchte inklusive der chirurgischen Versorgung des Vaginaleinrisses 85 min.

Abb. 9
figure 9

CT-Darstellungen der Beckenverletzung mit primär a verhakter Symphyse und b dislozierter transforaminaler Sakrumfraktur links sowie der gesprengten linken sakroiliakalen (SI) Fuge mit anteriorer Kompressionsfraktur des Sakrumflügels. Nach Erstversorgung erreichte c Ringkonfiguration mittels Fixateur-externe-Anlage und de bilateraler SI-Verschraubung (rot – noch klaffende SI-Fuge durch inkarzeriertes Fragment)

Am 5. Tag nach Unfall erfolgte die sekundäre Komplettierung der Beckenstabilisierung durch die offene Reposition der klaffenden SI-Fuge über einen dorsalen Zugang nach Matta. Die primär eingebrachten SI-Schrauben wurden durch eine lange transsakrale Schraube ersetzt. Zudem erfolgte die Transfixation mittels einer spinopelvinen Abstützung von LWK5 auf beide Darmbeinflügel und die Verplattung des vorderen Beckenrings über einen modifizierten Stoppa-Zugang. Die Patientin konnte nach 33 Tagen in die stationäre Anschlussheilbehandlung verlegt werden (Abb. 10).

Abb. 10
figure 10

Sekundäre Komplettierung der Instrumentation mit Wechsel auf eine transsakrale Verschraubung, zusätzlicher spinopelviner Abstützung mit a BV(Bildwandler)-Darstellung der offenen Reposition und b entsprechendem klinischem Situs sowie c postoperativem Röntgen und c Verplattung des vorderen Beckenrings. d Mobilisation nach 4 Wochen unter Aufhebung der Körperlast

Diskussion und Schlussfolgerung

In der letzten Dekade hat in der chirurgischen Behandlung von instabilen Verletzungen des hinteren Beckenringes ein deutlicher Trend hin zu minimal-invasiven Stabilisierungstechniken eingesetzt. Primär infrage kommen hierfür instabile, nicht dislozierte B‑ oder C‑Verletzungen des hinteren Beckenrings. Aber auch Verletzungen mit mäßiger Dislokation, die durch geschlossene Repositionstechniken oder über limitierte Zugänge in anatomische Stellung überführbar sind, können so adressiert werden. Die damit verbundene Reduktion des iatrogenen perioperativen Weichteiltraumas bietet sowohl beim zumeist mehrfachverletzten bzw. polytraumatisierten Patienten mit einer pelvinen Rasanzverletzung als auch dem geriatrischen Patienten bei osteoporosebedingten Beckenverletzung entscheidende Vorteile. Für perkutane Instrumentierungen bieten sich neben dem Besatz sicherer Knochenkorridore mit langen Schraubenimplantaten auch über limitierte Inzisionen eingebrachte Fixateur-interne-Systeme im Sinne einer spinopelvinen Stabilisierung an. Während kanülierte Großfragmentschrauben in zahlreichen Varianten vonseiten der Industrie angeboten werden, muss die technische Entwicklung in Sachen adäquater Implantate z. B. für spinopelvine als auch für transsakrale Instrumentationen dem Trend zu minima-linvasiven Techniken erst noch Rechnung tragen.

Die Wahl des korrekten Zeitpunktes für eine definitive interne Osteosynthese ist insbesondere bei polytraumatisierten Patienten von entscheidender Bedeutung. Gemäß dem Damage-Control-Konzept wird das für sekundäre Definitivversorgungen infrage kommende „chirurgische Fenster“ zwischen dem 5. und 14. Tag nach Trauma angegeben. Allerdings finden sich in der Literatur Hinweise, dass betroffene Patienten mitunter von einem zeitlich vorverlegten Versorgungszeitpunkt im Gesamt-Outcome ihrer Verletzungen profitieren können. So beschrieben Böhme et al. 2013 den Vorteil einer frühen Definitivversorgung von Beckenverletzungen bei Polytraumapatienten mit begleitendem schwerem Thoraxtrauma [19]. Eine (quasi)definitive Stabilisierung des hinteren Beckenringes in der Primärphase des Polytraumas mittels sog. „rescue screws“ erscheint im selben Kontext gewinnbringend, da auf temporäre externe Stabilisationen (Beckenzwinge, Fixateur externe) verzichtet und im weiteren Behandlungsverlauf ggf. ein sekundärer Eingriff vermieden oder deutlich kleiner gehalten werden kann. Unabdingbare Voraussetzung bleibt jedoch, dass dieses Vorgehen mit der Gesamtsituation des Patienten und der vorhandenen chirurgischen Performance vereinbar ist. Bei fehlender Studienlage steht der Beweis für den klinischen Vorteil einer primären (Quasi‑)Definitivversorgung des hinteren Beckenringes aktuell jedoch noch aus. Gemäß dem hippokratischen Grundsatz „Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare!“ ist und bleibt eine gedeckte primäre interne Osteosynthese instabiler Beckenverletzungen beim Polytraumapatienten letztlich eine Individualentscheidung des behandelnden Traumatologen.

Fazit für die Praxis

  • Die Möglichkeiten der modernen Bildgebung forcieren einen klaren Trend zu minimal-invasiven Versorgungen am hinteren Beckenring.

  • Nicht oder nur gering dislozierte, geschlossen reponible Verletzungen des hinteren Beckenringes sind zumeist einer perkutanen Technik zugänglich.

  • Bei nichtreponiblen Fehlstellungen, starker Dislokation oder frakturbedingtem neurologischem Defizit kommen weiterhin klassische offene Zugänge zur Anwendung.

  • Beim Polytrauma kann unter ausreichend stabilen Kreislaufverhältnissen die perkutane Versorgung nicht dislozierter oder geschlossen reponibler Verletzungen ggf. in die Primärphase vorverlegt werden, ohne dass die Prinzipien des Damage-Control verletzt werden.

  • Dabei können lange kanülierte Großfragmentschrauben im Verlauf sicherer Knochenkorridore minimal-invasiv implantiert werden (sog. „rescue screws“).

  • Diese (quasi)definitive Stabilisierung des Beckens in der Primärphase des Polytraumas erscheint gewinnbringend, da auf temporäre externe Stabilisationen verzichtet und ein sekundärer Eingriff vermieden oder kleiner gehalten werden kann.

  • Die primäre Osteosynthese instabiler Beckenverletzungen beim Polytraumapatienten bleibt jedoch eine Individualentscheidung des behandelnden Traumatologen.