Isolierte Verletzungen des vorderen Kreuzbandes (VKB) und komplexe Knieverletzungen sind die häufigsten Ursachen für Sportunfähigkeiten bei Spitzensportlern. Auch Amateure erleiden Bandverletzungen des Kniegelenkes häufig beim Sport. Eine Verletzung des VKB zählt für das behandelnde Ärzte- und Physiotherapeutenteam zu einer der schwierigsten Herausforderungen der orthopädischen Sportmedizin. Um eine Wiedereingliederung in die angestammten, sportlichen Aktivitäten nach der Verletzung zu erzielen, bedarf es einer exakten Diagnostik der Verletzung sowie einer individuell angepassten Therapie. Wie sind hierzu die aktuellen Empfehlungen in der Literatur [1].

Die vorliegende Arbeit greift genau diese Fragestellung auf und stellt neben den diagnostischen Methoden die verschiedenen operativen und konservativen Therapieoptionen dar.

Hintergrund

Die Inzidenz von VKB-Verletzungen in der sportlich aktiven Bevölkerung ist in einer Vielzahl von Quellen einschließlich der Daten über chirurgische Rekonstruktionen geschätzt worden [2]. Mithilfe skandinavischer Register kann die Inzidenz für VKB-Verletzungen abgeschätzt werden, auch wenn in den Registern nur die operativ versorgten Kreuzbandrupturen aufgelistet sind.

Norwegische Daten von insgesamt 57 Krankenhäusern zeigen innerhalb von 18 Monaten ungefähr 2800 registrierte primäre VKB-Operationen entsprechend einer Inzidenz von 34 Operationen pro 100.000 Bürger bzw. 85 pro 100.000 Bürger in der Risikoaltersgruppe von 16 bis 39 Jahren [3]. In den USA sind jährlich etwa 120.000 Athleten von Verletzungen der Kreuzbänder betroffen [4].

Hinsichtlich der prozentualen Anteile von VKB-Verletzungen an der Gesamtzahl aller Verletzungen dominieren weibliche Sportlerinnen die Auflistung in den Sportarten Fußball, Lacrosse, Turnen und Basketball. Bezogen auf die VKB-Verletzungsrate pro 1000 h Sport gilt Gymnastik für Frauen als gefährlichste Sportart, dicht gefolgt von American Football, weiblichem Fußball und Basketball [5].

Den Fußball betreffend, zeigen die Daten, dass weibliche Spielerinnen ein 6‑fach höheres VKB-Verletzungsrisiko im Vergleich zu den männlichen Spielern besitzen. Die berichtete Inzidenz für VKB-Verletzungen reicht von 0,06–3,7 pro 1000 h aktiver Spielzeit in Training und Wettkampf [5]. Nach einer Umfrage in Norwegen auf Grundlage chirurgischer Aufzeichnungen wird eine jährliche Häufigkeit von VKB-Verletzungen von 0,5–6,0 % bei weiblichen Spielerinnen und von 0,6–8,5 % bei männlichen Spielern berichtet [2]. Die verletzten Spielerinnen waren signifikant jünger (19 vs. 23 Jahre) als ihre männlichen Kollegen [6].

Diagnostik

Die Anamnese ist auch im Zeitalter hoch technisierter bildgebender Medizin Basis aller weitergehenden Diagnostik. Bereits die Anamneseerhebung kann wichtige Informationen liefern, die auf die Art und Schwere der Knieverletzung schließen lassen.

Die klinische Untersuchung gliedert sich in Inspektion, Palpation, Funktionsprüfung, Stabilitätsprüfung und spezifische Untersuchung auf Differenzialdiagnosen.

Aufgrund der besonderen Häufigkeit kommt der Funktionsprüfung des VKB eine besondere Bedeutung zu.

Zur Stabilitätstestung des VKB haben sich in der täglichen Praxis 3 Untersuchungsmethoden etabliert:

  • der Lachman-Test,

  • der Pivot-shift-Test und

  • der vordere Schubladentest.

Der Pivot-shift-Test besteht aus einer provozierten Subluxation des Schienbeins nach innen. Der Untersucher drückt den Unterschenkel mit der einen Hand beim liegenden Patienten in Richtung Knie und führt gleichzeitig eine Innenrotation aus. Mit der anderen Hand beugt er das Knie und setzt es unter Valgusstress. Der Test zeichnet sich durch eine hohe Spezifität und eine geringe Sensitivität aus [7].

Der Lachman-Test ist ein Schubladentest, bei dem das zu testende Knie in ca. 20–30° Beugung gehalten wird. Der Untersuchende umfasst den Unterschenkel mit beiden Händen so, dass die Zeigefinger in der Kniekehle liegen. Der Unterschenkel wird nach ventral gezogen. Der Lachman-Test ist ein valider Test zur Detektion von Kreuzbandverletzungen mit einer ausgezeichneten Sensitivität [8].

Beim Schubladentest wird das gebeugte Knie vom Untersucher mit beiden Händen so umfasst, dass die Zeigefinger beider Hände in der Kniekehle des Patienten liegen. Der Unterschenkel wird nun nach vorn gezogen oder nach hinten gedrückt. Beim vorderen Schubladentest wird der Unterschenkel gegen den Oberschenkel ventral und beim hinteren Schubladentest entsprechend dorsal verschoben. Das Ausmaß der dabei möglichen Parallelverschiebung – in Relation zum nicht betroffenen Knie – ist zusammen mit der Qualität des Endpunktes der Verschiebung wichtig für die Beurteilung [9]. Der Schubladentest zeigt in der Literatur die geringste Sensitivität der oben genannten Untersuchungsmethoden [10].

Das aktuell publizierte „lever sign“ soll die diagnostische Lücke der Partialrupturen schließen. Während die oben genannten Untersuchungen hier nur eine geringe Sensitivität aufwiesen, lag die Sensitivität für das „lever sign“ bei 100 % [9].

In der Primärdiagnostik nach Verletzungen des Kniegelenkes spielen nativradiologische Aufnahmen eine wichtige Rolle zum Ausschluss von Frakturen, zur Beurteilung der Gelenkstellung und zur Detektion von degenerativen Veränderungen. Auf Röntgenaufnahmen nach einer Kreuzbandoperation kann hingegen in den meisten Fällen verzichtet werden [11].

Eine Magnetresonanztomographie (MRT)-Untersuchung stellt das Diagnostikum der Wahl zur Evaluation von Bandverletzungen des Kniegelenkes dar. Die Sensitivität und Spezifität bei der Evaluation von Kreuzbandverletzungen liegt zwischen 86 und 95 % [12]. In Abb. 1 ist u. a eine frische Verletzung des vorderen und hinteren Kreuzbandes dargestellt.

Abb. 1
figure 1

MRT-Aufnahmen (T2-Wichtung) eines Kniegelenkes (9-jähriger Junge, Zustand nach Verdrehtrauma des Kniegelenkes auf einem Spielplatz). a Ruptur des medialen Kollateralbandes (grüner Pfeil). b Ruptur des vorderen (blauer Pfeil) sowie des hinteren (roter Pfeil) Kreuzbandes

Im Rahmen der Arthroskopie kann die Läsion des Kreuzbandes dargestellt werden (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Arthroskopisches Bild einer frischen, intraligamentären, vorderen Kreuzbandruptur

Therapieoptionen

Aufgrund fehlender wissenschaftlicher Level-I-Studien ist in den letzten Jahren eine Diskussion um die optimale Therapie bei Ruptur des VKB entbrannt. Diese Diskussion wurde zudem angeregt durch eine Untersuchung, deren 2‑Jahres-Resultate 2010 im New England Journal of Medicine [13] und deren 5‑Jahres-Resultate 2013 im British Journal of Medicine [14] publiziert wurden. Dabei wurden 121 Patienten zwischen 18 und 35 Jahren eingeschlossen. Die eingeschlossenen Patienten wurden in 2 Gruppen randomisiert:

  1. A.

    frühe VKB-Rekonstruktion innerhalb von 10 Wochen und Physiotherapie,

  2. B.

    konservative Therapie mit Physiotherapie und spätere VKB-Rekonstruktion bei Bedarf.

Innerhalb der ersten 2 Jahre unterzogen sich 23 von 59 Patienten (39 %) der Gruppe B einer verzögerten VKB-Rekonstruktion, nach 5 Jahren sogar 30 Patienten (51 %). Die Autoren der Studie folgern daraus, dass die beiden Therapiegruppen äquivalent sind, und ermuntern dazu, vermehrt eine konservative Therapie anzustreben mit optionaler späterer VKB-Rekonstruktion. Man kann jedoch auch folgern, dass die nichtoperative Therapie eine Versagensrate von 51 % aufweist. In vielen Fällen ist unter einer initial konservativen Therapie eine VKB-Rekonstruktion notwendig geworden. Hieraus ergibt sich, dass sich die Gesamtrehabilitationszeit bei initial konservativer Therapie mit verzögerter VKB-Rekonstruktion entsprechend verlängert, was für Sportler eine lange Zeit von Sportunfähigkeit bedeutet.

Die Mehrzahl der sportlich aktiven Patienten mit einer VKB-Verletzung entscheidet sich somit für eine frühzeitige VKB-Rekonstruktion. Die Abb. 3 zeigt das arthroskopische Bild einer durchgeführten VKB-Ersatzplastik. Die Gründe dafür konnten Swirtun et al. [15] in einer prospektiven Studie mit einem Verlaufszeitraum von 2 Jahren an 73 Patienten mit frischer VKB-Ruptur, die sich hinsichtlich der Behandlungsform (konservativ/operativ) noch unschlüssig waren, herausarbeiten. Ein Grund für eine frühzeitige Entscheidung zu einer VKB-Rekonstruktion war bei 75 % dieser Patienten, dass generell das Auftreten von Gelenkproblemen erwartet wurde, obwohl diese nicht bestanden. Eine späte Entscheidung zur Rekonstruktion wurde von 88 % dieser Patientengruppe durch bisherige negative Erfahrungen mit ihrer Kniefunktion begründet.

Abb. 3
figure 3

Arthroskopisches Bild nach vorderer Kreuzbandersatzplastik mit einem 4‑fach gelegten Semitendinosustransplantat

Wünschenswert wäre deshalb, wenn man beim initialen Therapieassessment die Faktoren kennen würde, ob eine konservative Therapie erfolgreich sein wird oder nicht. Dass eine konservative Therapie erfolgreich sein kann, schildert der Fallbericht eines Fußballprofis aus der englischen Premier League, der 8 Wochen nach VKB-Ruptur wieder in den Sport zurückkehrte und bei der Nachuntersuchung nach 18 Monaten vollständig beschwerdefrei war [16]. In einer aktuellen Untersuchung an 2304 Fällen von VKB-Ruptur wurden etwa drei Viertel der Fälle erfolgreich konservativ therapiert. Eine VKB-Rekonstruktion war lediglich bei 22,6 % der Fälle erforderlich. Bei der Analyse zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit einer erforderlichen Operation bei jungen Männern mit hohem sportlichem Anspruch und gehobenem sozioökonomischem Status besonders hoch war [17].

„Return to play“

Weniger als die Hälfte der Athleten können innerhalb des ersten Jahres nach VKB-Ersatzplastik in den Sport zurückkehren. In einer aktuellen Untersuchung zeigt sich, dass nach Rückkehr der Athleten in den Sport ein Viertel eine erneute Kreuzbandverletzung erleiden wird (Abb. 4; [18]). Die Ergebnisse nach Revisionskreuzbandchirurgie sind erwartungsgemäß schlechter als nach Erstoperation [19, 20].

Abb. 4
figure 4

MRT-Aufnahmen (T1-Wichtung) eines Kniegelenkes. Das Bild zeigt eine Re-Ruptur nach Rekonstruktion des vorderen Kreuzbandes (grüner Pfeil) nach erneutem Knieverdrehtrauma. Der rote Pfeil zeigt auf den tibialen Bohrkanal

Rodriguez-Roiz et al. [21] berichten, dass von 99 Patienten nach VKB-Rekonstruktion 91,9 % wieder Sport treiben konnten, wobei in 75 % der Fälle dies innerhalb des ersten postoperativen Jahres möglich war. Interessanterweise konnten jedoch nur 51 Patienten (51,5 %) wieder auf dem angestammten Niveau Sport ausüben, und 24 Patienten mussten die Sportart wechseln.

Ardern et al. [22] zeigten in einer Metaanalyse, dass in 81 % der Fälle nach VKB-Rekonstruktion sportliche Aktivitäten wieder aufgenommen werden konnten. Allerdings konnten nur 65 % auf das vor dem Unfall bestehende Leistungsniveau zurückkehren, und nur 55 % konnten auf Wettkampfniveau Sport treiben. Die Autoren vermuten, dass Athleten trotz regelhaftem Heilverlauf nach Kreuzbandverletzung sportliche Prioritäten anders gesetzt haben könnten und bei subjektiver Zufriedenheit auf einem niedrigeren Niveau Sport treiben. Für eine erfolgreiche Wiederaufnahme des Sports sprechen ein jüngeres Lebensalter, das männliche Geschlecht sowie sportliche Aktivitäten auf Leistungsniveau vor dem Unfall [22]. Als weitere Faktoren für ein erfolgreiches „return-to-play“ werden eine adäquate Kraft der Quadrizepsmuskulatur, ein geringer Reizzustand des Kniegelenkes, stabile Bandverhältnisse und ein hoher Grad an Motivation diskutiert [23]. Angst vor einer erneuten Verletzung, einer erneuten Rehabilitationsphase, aber auch vor einem Einkommensverlust im Beruf waren wesentliche Faktoren, nicht wieder auf angestammtem Niveau Sport zu treiben [24].

Bei einer Befragung im American Football gaben die verantwortlichen Teamärzte an, dass Sport 6 Monate (55,8 %) bzw. 9 Monate (12,3 %) nach VKB-Rekonstruktion wieder möglich sei [25]. In keinem Fall wurde empfohlen, länger als 12 Monate zu warten. Diese Angaben decken sich mit einer aktuellen Befragung von 123 Sportärzten, von denen 87 % sportliche Aktivitäten 6 Monate nach Kreuzbandoperation erlauben [26]. Die Freigabe für Kontaktsportarten erteilen zu diesem Zeitpunkt allerdings nur 53 %.

Ob eine VKB-Rekonstruktion einer Degeneration des Kniegelenkes vorbeugen kann, bleibt unklar. Gesichert ist, dass bei Verletzung des VKB Begleitpathologien wie u. a. Meniskusrisse, „bone bruise“ des angrenzenden Knochens sowie ein persistierender Gelenkerguss mit der Entstehung von degenerativen Veränderungen assoziiert sind [27]. Ob anterior cruciate ligament(ACL)-Verletzungen konservativ oder operativ behandelt werden, scheint hingegen keinen Einfluss auf die Entstehung einer Gonarthrose zu haben. So zeigte sich in einer aktuellen Untersuchung 10 Jahre nach VKB-Ruptur, dass die Entstehung einer Gonarthrose durch die operative Versorgung mittels Hamstring-Sehnentransplantat im Vergleich zur konservativen Therapie nicht verhindert werden kann [28].

Fazit für die Praxis

  • Die Struktur des VKB ist komplex.

  • Deshalb scheint es gerade in diesem Zusammenhang wichtig, die betroffenen Athleten, Trainer und das Athletenumfeld darüber aufzuklären, dass durch eine VKB-Rekonstruktion die ursprüngliche Kniefunktion häufig nicht identisch wiederhergestellt werden kann.