Zusammenfassung
Chronischer Schmerz ist ein Phänomen mit komplexer und heterogener Ätiologie und klinischer Erscheinungsform. Er hat seine biologische Warnfunktion im Wesentlichen verloren, geht mit hohem Leidensdruck einher und wird als eigenständige Krankheit betrachtet. Im Rahmen der Chronifizierung treten neurologische strukturelle Veränderungen ein, die zu einer peripheren und zentralen Sensibilisierung führen und die Schmerzwahrnehmung verändern. Das perioperative Management chronischer Schmerzpatienten ist komplex und individuell, sollte sich aber stets an der vorbestehenden Medikation orientieren. Die Anwendung lokaler oder regionaler Anästhesieverfahren und der sachgerechte Einsatz von Koanalgetika können das Risiko für das Auftreten chronischer Schmerzen und Phantomschmerzen reduzieren. Über das perioperative Management hinaus ist die multimodale Schmerztherapie effektiv in der Behandlung chronischer Schmerzen und der Verbesserung der Lebensqualität.
Abstract
Chronic pain is an entity with a complex and heterogeneous etiology and clinical appearance. It has essentially lost its biological warning function, is associated with a high degree of psychological strain and suffering for patients and is therefore considered a disease in itself. During the chronification of pain, structural neurological changes occur that lead to peripheral and central sensitization and alter the perception of pain. The perioperative management of patients with chronic pain is complex and individualized but should always be oriented to the preexisting pain medication. The use of local or regional anesthesia procedures and correct administration of analgesic drugs can reduce the risk of developing chronic pain or phantom limb pain. Beyond the perioperative management, multimodal pain therapy is effective in the treatment of chronic pain and improvement in the quality of life.
Literatur
Sittl R, Irnich D, Lang PM (2013) Update on preemptive analgesia: options and limits of preoperative pain therapy. Anaesthesist 62:789–796
Breivik H, Collett B, Ventafridda V et al (2006) Survey of chronic pain in Europe: prevalence, impact on daily life, and treatment. Eur J Pain 10:287–333
Dzau VJ, Pizzo PA (2014) Relieving pain in America: insights from an Institute of Medicine committee. JAMA 312:1507–1508
Blyth FM, March LM, Brnabic AJ et al (2001) Chronic pain in Australia: a prevalence study. Pain 89:127–134
Pruimboom L, Van Dam AC (2007) Chronic pain: a non-use disease. Med Hypotheses 68:506–511
Ferini-Strambi L (2011) Sleep disorders in multiple sclerosis. Handb Clin Neurol 99:1139–1146
Mcbeth J, Chiu YH, Silman AJ et al (2005) Hypothalamic-pituitary-adrenal stress axis function and the relationship with chronic widespread pain and its antecedents. Arthritis Res Ther 7:R992–R1000
Torrance N, Elliott AM, Lee AJ et al (2010) Severe chronic pain is associated with increased 10 year mortality. A cohort record linkage study. Eur J Pain 14:380–386
Merskey H, Bond MR et al (1994) Classification of chronic pain, 2. Aufl. IASP Press, Seattle
Treede RD, Rief W, Barke A et al (2015) A classification of chronic pain for ICD-11. Pain 156:1003–1007
Kehlet H, Jensen TS, Woolf CJ (2006) Persistent postsurgical pain: risk factors and prevention. Lancet 367:1618–1625
Ossipov MH, Morimura K, Porreca F (2014) Descending pain modulation and chronification of pain. Curr Opin Support Palliat Care 8:143–151
Sumpf E (2017) Opioid-Umrechnungstabelle. https://www.med-muenden.de/startseite/downloads/downloads-fuer-fachkreise/. Zugegriffen: 11.2.2017
Haroutiunian S, Nikolajsen L, Finnerup NB et al (2013) The neuropathic component in persistent postsurgical pain: a systematic literature review. Pain 154:95–102
Estebe JP, Comite Douleur-Anesthesie Locoregionale, Comite Des Referentiels De La S (2009) Incidence and risk factors of chronic postsurgical pain. Pain and Locoregional Anesthesia Committee and the Standards Committee of the French Society of Anesthesia and Intensive Care. Ann Fr Anesth Reanim 28:e71–e74
Fletcher D, Stamer UM, Pogatzki-Zahn E et al (2015) Chronic postsurgical pain in Europe: an observational study. Eur J Anaesthesiol 32:725–734
Simanski CJ, Althaus A, Hoederath S et al (2014) Incidence of chronic postsurgical pain (CPSP) after general surgery. Pain Med 15:1222–1229
Nikolajsen L, Jensen TS (2001) Phantom limb pain. Br J Anaesth 87:107–116
Gotoda Y, Kambara N, Sakai T et al (2001) The morbidity, time course and predictive factors for persistent post-thoracotomy pain. Eur J Pain 5:89–96
Dijkstra PU, Geertzen JH, Stewart R et al (2002) Phantom pain and risk factors: a multivariate analysis. J Pain Symptom Manage 24:578–585
Lasch KE (2000) Culture, pain, and culturally sensitive pain care. Pain Manag Nurs 1:16–22
Hanley MA, Jensen MP, Ehde DM et al (2004) Psychosocial predictors of long-term adjustment to lower-limb amputation and phantom limb pain. Disabil Rehabil 26:882–893
Karanikolas M, Aretha D, Tsolakis I et al (2011) Optimized perioperative analgesia reduces chronic phantom limb pain intensity, prevalence, and frequency: a prospective, randomized, clinical trial. Anesthesiology 114:1144–1154
Ypsilantis E, Tang TY (2010) Pre-emptive analgesia for chronic limb pain after amputation for peripheral vascular disease: a systematic review. Ann Vasc Surg 24:1139–1146
Philipsenburg C, Gutzeit O, Trierweiler-Hauke B, Hofer S (2017) Perioperative Akutschmerztherapie – „Muss das so weh tun?“. Gefäßchirurgie 22:55–71
Pogatzki-Zahn E (2011) Postoperative pain in chronic pain patients-treatment and prevention. Anaesth Intensivmed 52:388–404
Johnson M (2007) Transcutaneous electrical nerve stimulation: mechanisms, clinical application and evidence. Rev Pain 1:7–11
Ezendam D, Bongers RM, Jannink MJ (2009) Systematic review of the effectiveness of mirror therapy in upper extremity function. Disabil Rehabil 31:2135–2149
Kim SY, Kim YY (2012) Mirror therapy for phantom limb pain. Korean J Pain 25:272–274
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Ethics declarations
Interessenkonflikt
C. Philipsenburg, O. Gutzeit, J. Keßler, B. Trierweiler-Hauke und S. Hofer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
Additional information
Redaktion
D. Böckler, Heidelberg
J. Hoffmann, Essen
A. Oberhuber, Düsseldorf
CME-Fragebogen
CME-Fragebogen
Welche Aussage zu chronischem Schmerz trifft zu?
Chronischer Schmerz ist definiert als Schmerz, der seit mindestens 3 bis 6 Wochen besteht.
Starker chronischer Schmerz hat keinen Einfluss auf die Mortalität.
Chronischer Schmerz ist v. a. dadurch charakterisiert, dass er keine erkennbare Ursache hat.
Das Risiko für chronischen postoperativen Schmerz ist vom Operationstyp unabhängig.
Chronische Schmerzpatienten leiden überdurchschnittlich häufig an Depressionen und Schlafstörungen.
Welche Aussage trifft nicht zu? Die Multimodale Schmerztherapie …
umfasst in der Regel ein standardisiertes Programm von mehreren Tagen bis Wochen Dauer.
wird durch ein interdisziplinäres Team betreut.
kann Musiktherapie beinhalten.
ist erst mit der Schmerzfreiheit des Patienten erfolgreich abgeschlossen.
vermittelt dem Patienten ein besseres Krankheitsverständnis.
Welche Aussage zum Umgang mit chronischen Schmerzpatienten trifft zu?
Bei Aufnahme ins Krankenhaus sollte die bestehende Schmerzmedikation abgesetzt werden, wenn der Verdacht auf einen Abusus vorliegt.
Die genaue präoperative Schmerztherapie und die aktuelle Schmerzintensität sind bei Aufnahme gewissenhaft zu erfragen.
Aufgrund der Gewöhnung an Schmerzen ist mit einem verringerten postoperativen Schmerzmittelbedarf zu rechnen.
Eine bestehende Opiattherapie kann anhand von Äquivalenztabellen auf ein anderes Präparat umgestellt werden, wobei stets eine Dosiserhöhung erfolgen sollte.
Präoperative starke Schmerzen brauchen zunächst nicht behandelt zu werden, da die detaillierte Schmerztherapie erst postoperativ ausgearbeitet werden kann.
Welche Aussage zur Therapie chronischer Schmerzpatienten ist korrekt?
Eine vorbestehende Therapie mit Buprenorphin sollte weitergeführt und ggf. eskaliert werden, da Buprenorphin ein starkes Opioid ist.
Ist durch die Operation die Behebung der Schmerzursache zu erwarten, kann eine Opioiddauertherapie unverzüglich beendet werden.
Transdermales Fentanyl entfaltet seine Wirkung erst nach etwa 12 h.
Eine Therapie mit Tilidin kann postoperativ problemlos parallel zu einem starken Opiat weitergeführt werden, da aufgrund seiner schwachen Wirkung keine Addition der Nebenwirkungen zu befürchten ist.
Die Umstellung von einem Opioid auf ein anderes kann nach exakten Umrechnungstabellen erfolgen.
Welche Aussage zu Esketamin trifft zu?
Esketamin ist ein Standardkoanalgetikum in der postoperativen Schmerztherapie.
Esketamin verfügt über eine hohe analgetische Potenz.
Esketamin kann eine zentrale Sensibilisierung abschwächen.
Esketamin kann eine periphere Sensibilisierung verhindern.
Esketamin wirkt über einen Agonismus am TRPV1-Rezeptor.
Welche Aussage zur Koanalgetikatherapie trifft zu?
Clonidin kann Entzugserscheinungen reduzieren.
Koanalgetika sollten erst verabreicht werden, wenn die Opioidtherapie voll ausgereizt ist.
Antikonvulsiva und Antidepressiva können zur Therapie von viszeralen Schmerzen eingesetzt werden.
Psychovegetative Schmerzkomponenten lassen sich am besten mit einer regelmäßigen Gabe von Esketamin behandeln.
Lassen sich neuropathische Schmerzen nicht erfolgreich mit Pregabalin behandeln, ist ein Ansprechen auf andere Antikonvulsiva höchst unwahrscheinlich.
Was ist kein Risikofaktor für die Entwicklung eines postoperativen chronischen Schmerzes?
Männliches Geschlecht des Patienten
Präoperativ vorbestehende starke Schmerzen
Ausgedehnte Operationen mit Resektion eines Nervenplexus
Überaus große Anteilnahme des sozialen Umfelds an den Schmerzen
Amputation einer Extremität
Welche Aussage zum analgetischen Management chronischer Schmerzpatienten trifft nicht zu?
Wenn möglich, sollte ein regionales Anästhesieverfahren allein oder zusätzlich zur Narkose durchgeführt werden.
Die Opioidtoleranz kann deutlich heraufgesetzt sein.
Das Therapieziel muss immer die Schmerzfreiheit sein.
Eine bestehende Schmerztherapie mit Opioiden oder Antikonvulsiva sollte nach Möglichkeit beibehalten werden, um Entzugserscheinungen zu vermeiden.
Selbst ein unkomplizierter postoperativer Verlauf kann mit einer komplexen Schmerztherapie einhergehen.
Welche Aussage trifft zu?
TENS-Behandlungen können nur im Krankenhaus durchgeführt werden.
Mit Imaginationstherapie können Phantomschmerzen behandelt werden.
Neurochirurgische Schmerztherapieverfahren zielen vorrangig darauf ab, durch das gezielte Durchtrennen betroffener Nervenstränge die Schmerzweiterleitung zu verhindern.
Capsaicin ist durch seine topische Wirkung v. a. für die Anwendung in Wundgebieten geeignet.
Die multimodale Schmerztherapie kommt erst dann zum Einsatz, wenn alle medikamentösen Mittel ausgeschöpft sind.
Welche Aussage zur präemptiven Analgesie trifft nicht zu?
Die präemptive Analgesie soll die zentrale und periphere Sensibilisierung abschwächen.
Das Risiko für chronische Schmerzen nach einer Amputation kann durch die präoperative Anlage eines Periduralkatheters (PDK) verringert werden.
Die medikamentöse präemptive Analgesie hat einen gesicherten Einfluss auf die Entwicklung chronischer Schmerzen.
Eine präemptive Analgesie hat einen positiven Effekt auf die postoperative Akutschmerztherapie.
Zur präemptiven Analgesie kommen unter anderem Cyclooxygenasehemmer in Frage.
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Philipsenburg, C., Gutzeit, O., Keßler, J. et al. Chronische Schmerzen. Gefässchirurgie 22, 205–217 (2017). https://doi.org/10.1007/s00772-017-0271-x
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s00772-017-0271-x
Schlüsselwörter
- Chronischer postoperativer Schmerz
- Perioperativ
- Koanalgetika
- Präemptive Analgesie
- Multimodale Schmerztherapie