Die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie hat ihren Namen geändert in Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin. Dies mit Bedacht und zu Recht. Vorbei sind die Zeiten, in denen sich der Gefäßchirurg vornehmlich dem „Strippen ziehen“ und dem „Auskratzen“ widmen musste und sich so auf den mechanischen Teil der Behandlung von Gefäßkranken beschränkt sah. Der Gefäßchirurg ist längst auch zum Langzeitversorger und Nachsorger geworden und zum permanenten Ansprechpartner für gefäßkranke Patienten.

Die Frage, ob es eine konservative Gefäßchirurgie überhaupt gibt, ist vielerorts umständehalber längst beantwortet. Auch die seit den 1980er Jahren in zunehmendem Maße auftretenden niedergelassenen Gefäßchirurgen haben sich zwangsläufig und nachfragebedingt dem gesamten Spektrum von Diagnostik und Therapie der Gefäßkrankheiten einschließlich der Vor- und Nachsorge widmen müssen. Historisch gesehen ist dies nicht verwunderlich, sondern eine konsequente Fortsetzung der Anfänge. Viele gefäßchirurgische Kliniken und Abteilungen mussten in den 1960er und 1970er Jahren eine eigene Gefäßsprechstunde einrichten, weil eine klinische Angiologie nur an wenigen Standorten existierte und darüber hinaus oft in kardiologischen Kliniken angesiedelt war. Die Primärdiagnostik und die Nachsorge, ebenso wie das konservative Element des Fachbereichs, ist aus dieser Entwicklung heraus den älteren Gefäßchirurgen nichts Neues, und so ist aus dieser Sicht der neue Name der Gesellschaft eine logische Konsequenz.

Es sei in diesem Zusammenhang daran erinnert, dass es mit Jörg Gruß ein Gefäßchirurg war, der Anfang der 1980er Jahre die nach wie vor einzige wirksame vasoaktive Substanz zur konservativen Therapie bei inoperabler kritischer Extremitätenischämie, das Alprostadil (Prostavasin®), nach Deutschland holte und die ersten Studien in Deutschland hierzu durchführte. Aus dieser historischen Dimension betrachtet, sind Gefäßchirurgie und konservative Therapie, Vor- und Nachsorge kein Widerspruch, sondern ein logischer und schlüssiger Zusammenhang.

Diese also nicht neue Erkenntnis, dass es mit der TEA, dem Bypass oder der PTA etc. allein nicht getan ist, sondern der Gefäßpatient auch nach der erfolgreichen Durchführung der Einzelmaßnahme Gefäßpatient und erst recht nach einer nicht erfolgreichen oder nicht möglichen invasiven Therapie ein Rat- und Hilfesuchender bleibt, hat folgerichtig zum Konzept der „umfassenden Versorgung des Gefäßpatienten aus einer Hand“ bzw. neudeutsch zum Konzept des „total vascular care“ (Torsello, 2008) geführt.

So sehen wir, die wir die Anfänge, als es noch kaum selbstständige Einheiten für Gefäßchirurgie in Deutschland gab, aus eigenem Erleben kennen, die Besinnung auf die Gefäßmedizin mehr als eine Rückkehr zu den Wurzeln denn als ein neues Konzept. Wir sehen darin erst recht keine Intention zur Separierung von den Nachbardisziplinen, sondern vielmehr ein Bekenntnis zu den gemeinsamen Grundlagen.

Der Name steht, aber was ist eigentlich Gefäßmedizin? Wenn man versucht eine Definition des Begriffes „Gefäßmedizin“ zu finden, so sucht man vergebens. Es scheint, dass alle genau wissen, was Gefäßmedizin ist. Ich habe trotzdem oder gerade deswegen einen Versuch gewagt, eine Gliederung des Bereichs Gefäßmedizin unter nosologischen Aspekten zu entwerfen und damit den Bereich sichtbar darzustellen, dem wir uns als Gefäßmediziner widmen müssen (Abb. 1).

Abb. 1
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Gliederung der Gefäßmedizin nach nosologischen Kriterien

Mit der Namensänderung allein kann es aber nicht getan sein. Wir sind uns sicher einig in der Überzeugung, liebe Kolleginnen und Kollegen: „Wo Gefäßmedizin draufsteht, muss auch Gefäßmedizin drin sein“, d. h., die Gefäßchirurgen werden nicht umhinkommen, sich mehr und intensiver mit den Aspekten der Gefäßmedizin abseits der klassischen gefäßchirurgischen Disziplin zu beschäftigen.

Es ist auch bereits einiges geschehen. So wurde auf der 25. Jahrestagung der DGG in München 2009 eine Sitzung zur Lymphologie angeboten und auch ein Kurs zur Kompressionstherapie wurde abgehalten. Diese und ähnliche Aktivitäten müssen weiter entwickelt werden.

Ich möchte heute Ihre Aufmerksamkeit auf die Phlebologie in der Gefäßchirurgie lenken. In den letzten Jahren konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Zahl der Gefäßchirurgen, die über die Zusatzbezeichnung „Phlebologie“ verfügen, immer geringer wird. In einem der größten KV- und Kammerbezirke in Deutschland, in Nordrhein, habe ich die Zahlen unter der Fragestellung analysiert, wer verfügt über die Zusatzbezeichnung Phlebologie und wer ist zur Weiterbildung ermächtigt. Das Ergebnis ist ernüchternd (Tab. 1). Nur 18% der klinisch tätigen Gefäßchirurgen verfügen über die Zusatzbezeichnung Phlebologie und nur 8 der 46 Weiterbildungsbefugten für Gefäßchirurgie verfügen über die Weiterbildungsbefugnis für die Phlebologie. Vorbehaltlich des Fehlers, der durch die Nichterfassung der Kliniker ohne Weiterbildungsbefugnis bzw. KV-Ermächtigung möglich ist, kann man jedoch festhalten, dass diese Zahlen nicht befriedigend sind.

Tab. 1 Phlebologie in der Gefäßchirurgie: Ergebnisse aus Nordrhein

Betrachtet man alle Phlebologen in Nordrhein, so finden sich hierunter nur 13% Gefäßchirurgen (Tab. 2).

Tab. 2 Phlebologen KVNo – Fachgruppenzugehörigkeit

Unter dem Gesichtspunkt und dem Anspruch „Gefäßmedizin“ muss sich dies ändern. In der Vergangenheit gibt es eine Reihe von Beispielen, wie Zuständigkeiten und Kompetenzen innerhalb der Fächer sich verschieben können, wenn die Präsenz im Fach nicht ausreichend ist. Es sollte daher aus diesem Grunde ebenso wie aus der Perspektive „Gefäßmedizin“ für jeden Gefäßchirurgen selbstverständlich sein, die Zusatzbezeichnung Phlebologie zu erwerben. Dazu müssen allerdings auch die Voraussetzungen geschaffen sein, die hierzu notwendige Weiterbildung an einer gefäßchirurgischen Klinik ableisten zu können. Dies ist zumindest in Nordrhein zurzeit nicht flächendeckend gewährleistet. Man kann mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dies auch in anderen KV- bzw. Kammerbezirken so oder ähnlich aussieht.

Die DGG wird nach dem Willen des Vorstandes in Zukunft der Phlebologie mehr Aufmerksamkeit widmen. Wir werden daher im Rahmen der Akademie der DGG bei der nächsten Jahrestagung in Berlin einen zweitägigen „Intensivkurs Phlebologie“ anbieten, der bei den teilnehmenden Gefäßchirurgen Motivation schaffen und eine Grundlage legen soll für eine stärkere Beschäftigung mit der Phlebologie. Der Kurs wendet sich an alle Gefäßchirurgen oder solche Kolleginnen und Kollegen, die es werden wollen und die sich für diese Thematik interessieren oder ihr mehr Aufmerksamkeit schenken wollen. Anfänger und Arrivierte sind gleichermaßen willkommen. Wir hoffen darauf, dass auch dieser Kurs eine gute und anhaltende Aufnahme unter den Mitgliedern der DGG finden wird, wie sie z. B. der vor vielen Jahren als einer der ersten Kursveranstaltungen gegründete Ultraschallkurs schon so lange genießt.

Dieses Angebot der Akademie kann jedoch nur ein Anschub sein. „Die Wahrheit ist auf dem Platz“ lautet eine alte Fußballerweisheit.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, werden Sie Phlebologe.

Mit den besten Grüßen

Ihr

H. Nüllen