Nicht unserer Vorväter wollen wir trachten, uns würdig zu zeigen – nein: unserer Enkelkinder! (Bertha von Suttner, erste weibliche Friedensnobelpreisträgerin, 1905)

Man hört es allerorts: Die größte Herausforderung unserer Zeit für das Gesundheitswesen und Zusammenleben in unserer Gesellschaft, die Ökonomie und den gesellschaftlichen Frieden sei der demografische Wandel! Demagogische Szenarien schüren Ängste und faszinieren die Medienwelt. Angesichts dieser Herausforderung im Gesundheits- und Pflegesektor scheinen Diskussionen um Schmerzen bei Kindern lächerlich und naiv. Das hat uns auch die vor einem Jahr in Kraft getretene Gesetzgebung um die rituelle Beschneidung männlicher Neugeborener vor Augen geführt. Der schon tot geglaubte Mythos, dass Neugeborene keine Schmerzen empfinden und, wenn doch, sie diese viel besser verarbeiten würden, weil sie sich ja nicht daran erinnern könnten, wurde wieder belebt. Politisch ist es in Deutschland aktuell erlaubt, dass Nichtärzte Operationen an Kindern vornehmen. Völlig naiv und ignorant wird gleichzeitig außerhalb einer medizinischen Einrichtung eine suffiziente Schmerztherapie verlangt, als könne man diese herbeizaubern wie ein Kaninchen aus dem Hut. Hierfür werden dann, wie zum Hohn, unwirksame Strategien der postoperativen Schmerztherapie offiziell empfohlen. Dieses Vorgehen kann nur als kinderfeindlich bezeichnet werden; und dies unabhängig davon, ob man sich für oder gegen die Erlaubnis zur Beschneidung ohne medizinische Indikation ausspricht.

Man mag dagegen halten, dass die deutsche Gesellschaft keineswegs kinderfeindlicher wird, weil doch alles unternommen werde, frühkindliche Förderung schon in Kindergärten zu etablieren, Kindertagesstätten auszubauen und Erzieher weiter zu qualifizieren; alles zum Wohle der Kinder. Ich halte dagegen, dass Kinder immer mehr zum Objekt von Erwartungen der Erwachsenenwelt degradiert werden. Die kindliche „Bildungsmasse“ wird ausgewrungen, um möglichst viele gut verdienende Ingenieure zu generieren, die dann unsere Renten finanzieren sollen. Das Kind als Subjekt verliert an Wert, wie sehr dann erst das behinderte oder kranke Kind, eines, das einer Operation und einer suffizienten Schmerztherapie bedarf?

In diesem für kranke Kinder feindlichen Klima haben die österreichischen Fachgesellschaften Empfehlungen zum perioperativen Schmerzmanagement vorgelegt, aus denen ersichtlich ist, wie sehr die Autoren dafür brennen, Kindern unnötige Schmerzen im Rahmen schmerzhafter Eingriffe zu ersparen. Das perioperative Schmerzmanagement ist eine anspruchsvolle interdisziplinäre Aufgabe, die nur im Zusammenwirken von Pflege, Anästhesie, Kinderchirurgie und Kinderheilkunde gelingen kann. So beinhalten die evidenzbasierten Empfehlungen eigene Abschnitte zu organisatorischen sowie nichtmedikamentösen, pflegerischen und psychologischen Maßnahmen. Das komplexe Zusammenspiel der Akteure setzt jedoch voraus, dass das kranke Kind und seine Eltern im Mittelpunkt der Bemühungen stehen und sowohl Klinikstrukturen als auch Mitarbeiter auf Kinder ausgerichtet sind. Im Klartext heißt das, dass Kinder in Kinderkliniken und kinderchirurgischen Abteilungen von Kinderkrankenpflegepersonal, Kinderchirurgen, Kinderanästhesisten und Kinderärzten versorgt werden sollten. Mehr als ein Drittel aller Kinder in Deutschland wird jedoch in Kliniken für Erwachsene behandelt und 40 % der Kinderkliniken verlegen Kinder für notwendige Operationen – in Ermangelung von Alternativen – in die Erwachsenenchirurgie [1]. Selbst wenn die Operateure dort einen guten Job machen, sind die Klinikstrukturen doch keinesfalls so auf Kinder ausgerichtet, dass beispielsweise die Empfehlungen der österreichischen oder britischen Fachgesellschaften zur Organisation des perioperativen Schmerzmanagements umgesetzt werden könnten [2]. Zudem werden die Anästhesisten in auf Erwachsene ausgerichteten Kliniken nicht über genug Erfahrung verfügen, um die so wichtigen regionalanästhesiologischen Verfahren risikoarm durchzuführen.

Um die Inhalte der österreichischen Empfehlungen für das perioperative Schmerzmanagement in Deutschland befolgen zu können, bedarf es einer Umsetzung der politischen Forderungen, die von den deutschen Fachgesellschaften und betroffenen Eltern 2013 anlässlich eines parlamentarischen Abends der Bundesarbeitsgemeinschaft Kind und Krankenhaus (http://bakuk.de/) formuliert wurden:

  • Einführung eines Sicherstellungszuschlags für Kinderkliniken und -abteilungen

  • Erhaltung der Schwerpunktbildung „Gesundheits- und Kinderkrankenpflege“ in der beruflichen Erstqualifikation

  • Kranke Kinder haben das Recht auf bestmögliche Behandlung durch spezialisierte Ärzte in Kinderkliniken und kinderchirurgischen Kliniken.

Die österreichischen Empfehlungen zum perioperativen Schmerzmanagement bei Kindern enthalten aber auch eine ganze Reihe bemerkenswerter, evidenzbasierter Einzelaussagen: So sei die generelle Ablehnung des kurzfristigen, perioperativen Einsatzes von Metamizol bei Kindern, basierend auf der aktuellen Studienlage, nicht begründbar. Zudem finden sich Einzelforderungen wie die, auf i.m.- und s.c.-Injektionen im Rahmen der perioperativen Schmerztherapie ganz zu verzichten.

Andererseits werden aber auch länderspezifische Empfehlungen ausgesprochen, die nicht ohne kritische Prüfung in Deutschland übernommen werden sollten: Beispielsweise werden Dosisempfehlungen für Mefenamin und Nalbuphin angegeben, obwohl die wissenschaftliche Evidenz, diese Substanzen überhaupt zur pädiatrischen Schmerztherapie anzuwenden, extrem schmal ist. Gleiches gilt für die Startdosis zur Titration starker Opioide, wie Morphin oder Piritramid. Die Dosis sollte, auf pharmakokinetischen und klinischen Studien basierend, auch jenseits des Neugeborenenalters außerhalb des Aufwachraums eher 20 µg/kgKG i.v. betragen als 100 µg/kgKG i.v., wie von den österreichischen Kollegen empfohlen. Gerade Abteilungen, die wenig Erfahrung mit Kindern haben, tun gut daran, starke Opioide wie Morphin und Piritramid langsam i.v. in Orientierung am Effekt zu titrieren.

Insgesamt betrachtet sind die „Österreichischen interdisziplinären Handlungsempfehlungen zum perioperativen Schmerzmanagement bei Kindern“ ein großartiges Werk außergewöhnlich engagierter Kollegen, allen voran Frau Dr. Brigitte Messerer, die mit viel Energie und charismatisch-diplomatischem Geschick nicht nur diese Empfehlungen vorangebracht, sondern die Universitätskinderklinik Graz umgestaltet hat – von einer der größten kinderchirurgischen Einrichtungen Europas hin zu einem „comfort place“ [3], an dem nicht nur viel und gut operiert, sondern zum Wohle der operierten Kinder auch hervorragend schmerztherapeutisch gearbeitet wird. Auch in Deutschland gibt es viele Menschen, die Kinder als Subjekte mit verbrieften Rechten, wie dem auf postoperative Schmerzarmut, betrachten und weniger als Objekte, die ausgebeutet werden können und dürfen, um die Herausforderungen des demografischen Wandels zu meistern. Gerade jetzt ist es wichtig, dass diese sich ein Beispiel an der österreichischen Arbeitsweise nehmen, näher zusammenrücken und gemeinsam für das Wohl der Kinder eintreten.

B. Zernikow