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Legalisierung der aktiven Sterbehilfe – Förderung oder Beeinträchtigung der individuellen Autonomie?

Does the legalisation of active euthanasia strengthen or impair individual autonomy?

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Ethik in der Medizin Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Für die Argumentation von Moralphilosophen, die die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe befürworten, spielt das Autonomieprinzip eine wichtige Rolle. Ihrer Auffassung nach verlangt der Respekt vor der Autonomie, die Entscheidung eines schwer kranken Menschen gegen die Fortsetzung des Lebens vorbehaltlos anzuerkennen. Dagegen haben verschiedene Theoretiker auf Gefahren hingewiesen, die die rechtliche Zulassung der Tötung auf Verlangen für die individuelle Autonomie mit sich bringt. Sobald der Kranke über die Möglichkeit der aktiven Sterbehilfe verfüge, falle ihm die Verantwortung für die Inanspruchnahme von Pflegeleistungen zu. In der Folge könne u. a. von Seiten der Familie die Forderung an ihn gestellt werden, den vom Gesetzgeber eröffneten Ausweg zu nutzen und sie von der Last seiner Pflege zu befreien. Die Bedenken erscheinen insofern berechtigt, als Formen sozialen Zwangs vorstellbar sind, die eine freie Entscheidung des Patienten verhindern. Allerdings vermag weder das Verbot noch die Zulassung der aktiven Sterbehilfe eine autonome Entscheidung aller Individuen zu gewährleisten. Die Abwägung der Risiken, mit denen beide Optionen behaftet sind, spricht im Ergebnis für die Legalisierung der Tötung auf Verlangen.

Abstract

Definition of the problem Theorists who support the legalisation of active euthanasia usually base their arguments on the principle of autonomy. In their view the wish of a severely ill person not to continue his or her life must be respected. However, some opponents of the legalisation of active euthanasia refer to the principle of autonomy as well. Arguments They are concerned that patients may be held responsible for burdening others with the provision of care. Thus family members, physicians or nurses may exert pressure on patients to opt for active euthanasia. In this article it is argued that these worries are justified; the occurrence of social coercion poses a real danger. Conclusion However, neither the prohibition nor the permission of active euthanasia enables each individual to make an autonomous choice. Comparing the risks involved in both options, legalisation seems to be preferable to maintaining the status quo.

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Notes

  1. Die Berufung auf die gesellschaftliche Praxis erscheint aber insofern problematisch, als das Autonomieprinzip auch in anderen Kontexten weitreichenden Einschränkungen unterliegt. In Deutschland ist z. B. die Leihmutterschaft generell untersagt und die Lebendspende von Organen nur Personen gestattet, die in einer besonderen Beziehung zueinander stehen.

  2. Gegen die vorstehend dargelegten Grundsätze wird zum Teil auch ein anderes Verständnis des Autonomiegedankens geltend gemacht; Onora O’Neill stützt z. B. ihre Kritik an der hier thematisierten „individual autonomy“ auf ein an Kant orientiertes Konzept der „principled autonomy“ ([13], S. 83ff.).

  3. Mill benennt in seiner Freiheitstheorie keine Kriterien, anhand derer das Vorliegen einer Schädigung festgestellt werden kann. Die „Verletzung religiöser Gefühle“ – soviel lässt sich aus den angeführten Beispielen erkennen – betrachtet er aber nicht als Schädigung.

  4. Eine weitere Möglichkeit, mit dem Konflikt umzugehen, besteht darin, der Verhinderung staatlicher Eingriffe in die individuelle Autonomie Priorität zu geben. Ausgehend vom Autonomieprinzip lässt sich aber nicht einsichtig machen, warum der Schutz vor staatlichem Zwang grundsätzlich Vorrang vor der Abwehr von sozialem Zwang verdient ([8], S. 181ff.).

  5. Die Vertreter der Hospizbewegung lehnen die aktive Sterbehilfe entschieden ab und dürften starke Vorbehalte gegen den Versuch der Legalisierungsbefürworter haben, sie für ihr Anliegen argumentativ zu vereinnahmen.

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Dietrich, F. Legalisierung der aktiven Sterbehilfe – Förderung oder Beeinträchtigung der individuellen Autonomie?. Ethik Med 21, 275–288 (2009). https://doi.org/10.1007/s00481-009-0028-5

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