Kasuistik

Anamnese und klinischer Befund

Wir berichten über ein 8-jähriges, bis dahin gesundes Mädchen mit seit 2 Monaten bestehender, subjektiv asymptomatischer, teigig-derber Schwellung der Oberlippe. Es bestand keine atopische Diathese. Die Schwellung entwickelte sich schubweise und zuletzt chronisch progredient (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Seit 2 Monaten bestehende Makrocheilie bei einem 8-jährigen Mädchen

Klinische Differenzialdiagnosen

Vom klinischen Aspekt her sind differenzialdiagnostisch ein hereditäres Angioödem bzw. Quincke-Ödem, ein chronisches Kontaktekzem, ein rezidivierender, persistierender Infekt mit Herpes simplex, eine Amyloidose, ein mitigiertes Erysipel, eine Cheilitis granulomatosa und ein ausgeprägtes orales Allergiesyndrom zu erwägen (Infobox 1).

Laboruntersuchungen

Sämtliche Laborparameter (u. a. Differenzialblutbild, C-reaktives Protein [CRP], C1-Esteraseinhibitor) waren unauffällig. Eine bereits zuvor durchgeführte probatorische systemische Antibiotikatherapie sowie die Anwendung topischer Steroide waren ohne Effekt geblieben.

Histologie und Immunhistochemie

Eine Gewebeprobe zeigte ein oberflächlich stärkeres, im mittleren und tiefen Korium schütteres, perivaskulär akzentuiertes, lymphohistiozytäres und partiell granulomatöses Infiltrat mit vereinzelt multinukleären Riesenzellen. Polarisationsoptisch kein Nachweis von Fremdkörpermaterial. In mehreren ektatisch erweiterten Lymphgefäßen Nachweis kompakt aggregierter epitheloider bzw. histiozytoider Zellaggregate mit einzelnen lymphozytären Zellen. Immunhistochemisch reagieren die intravaskulären Zellaggregate sowie die mehrkernigen histiozytären Zellen im Bindegewebe stark positiv für CD68 bei Negativität für S100 und CD1a (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Stanzbiopsie aus der Oberlippe, intravaskuläre Granulome. a HE-Färbung, 40-fache Vergrößerung. b HE-Färbung, 200-fache Vergrößerung, Detailausschnitt aus a. c CD68-Färbung des Detailausschnitts aus a

Diagnose nach klinisch-histologischer Korrelation

Nach klinisch-histologischer Korrelation wurde die Diagnose einer Cheilitis granulomatosa gestellt. Die Patientin zeigte keine weiteren Kriterien für ein Melkersson-Rosenthal-Syndrom (MRS), ebenso keine Hinweise für einen Morbus Crohn.

Verlauf

Die Therapie der Cheilitis granulomatosa gestaltet sich in der Regel schwierig. Da sich bei unserer Patientin nach einem systemischen Steroidstoß ein nur mäßiges Ansprechen mit lediglich vorübergehendem Abschwellen der Oberlippe und Rezidiv nach Absetzen zeigte, wurde eine Therapie mit Dapson 1–2 mg/kg/Tag initiiert. Hierunter kam es zu einem langsamen Rückgang der Schwellung mit bisher konstantem, befriedigendem klinischem Ergebnis.

Diskussion

Die Cheilitis granulomatosa kann isoliert oder als Teilaspekt des MRS als typische Trias zusammen mit peripherer Fazialisparese und Lingua plicata vorkommen (Tab. 1 und Abb. 3). Im Rahmen des MRS tritt sie in 75 % als erstes Symptom auf. Eine Fazialisparese wird bei in ca. 30 % der Patienten, eine Lingua plicata bei ca. 20–40 % beobachtet, wobei sich letztere auch bei 5 % der Normalbevölkerung findet [1].

Tab. 1 Symptome des Melkersson-Rosenthal-Syndroms. (Nach [1])
Abb. 3
figure 3

Orofaziale Granulomatose, Übersicht über die möglichen Symptome des Melkersson-Rosenthal-Syndroms. (Bild Lingua plicata: mit freundl. Genehmigung von dermis.net)

Klinisch präsentiert sich die Cheilitis granulomatosa als ödematös-weiche, initial reversible, jedoch rezidivfreudige Schwellung der Ober- und/oder Unterlippe, welche später persistiert und eine derbe, harte Konsistenz mit bräunlichem Kolorit annehmen kann. Da die Schwellung auch andere Mund- und Gesichtspartien (Wange, Stirn, Kinn) betreffen kann, wurde der Terminus der „orofazialen Granulomatose“ als Überbegriff eingeführt [1].

Klinische Differenzialdiagnosen umfassen rezidivierende Infektionen (Herpes simplex, Streptokokken), die zu chronisch-persistierenden Schwellungen führen können. Auch das orale Allergiesyndrom sowie das hereditäte Angioödem sind abzugrenzen (Infobox 1). Eine sorgfältige Anamnese, Laboruntersuchungen sowie die Durchführung einer feingeweblichen Diagnostik sind unerlässlich.

Die histologische Differenzialdiagnose intravaskulärer/-lymphatischer Zellaggregate wird im Folgenden mit dem Fokus auf intravaskuläre histiozytäre Zellansammlungen bei reaktiv-entzündlichen Prozessen diskutiert. Abschließend wird der Nachweis intravaskulär lokalisierter histiozytoider/epitheloider Zellen auch bei malignen Erkrankungen sowie im Rahmen der kutanen, extramedullären Hämatopoese kurz erläutert.

Intralymphatische Histiozytose bei Cheilitis granulomatosa in Abgrenzung zur kutanen Sarkoidose und zum extraintestinalen Morbus Crohn

Histologisch zeigen sich bei der Cheilitis granulomatosa ein dermales Ödem mit perivaskulärem, aus Lymphozyten, Plasmazellen und Histiozyten (CD68+) bestehendes Infiltrat sowie ektatisch erweiterte Lymphgefäße [2]. Daneben treten meist im mittleren und tiefen Korium gelegene lymphohistiozytäre Granulome mit Langhans-Riesenzellen hinzu, welche mehrfach auch als Aggregate bzw. Granulome in ektatischen Lymphgefäßen beschrieben wurden [2]. Immunhistochemisch stellen sich bei der Cheilitis granulomatosa die intraluminalen Zellen positiv für CD68 dar, bei Negativität für Marker für Langerhans-Zellen S100 und CD1a (Abb. 1). Bei Bedarf können Endothelzellen mit vaskulären (CD31+, Faktor VIII+ [4]) oder lymphatischen Markern wie z. B. D2-40 [5, 9, 10] dargestellt werden.

Ähnliche histologische und immunhistochemische Eigenschaften finden sich auch bei der extraintestinalen Manifestation eines Morbus Crohn (Tab. 2) und bei der kutanen Sarkoidose. Vor allem eine Abgrenzung zum extraintestinalen Morbus Crohn ist histologisch allein kaum möglich, verlässliche histomorphologische und immunhistochemische Kriterien existieren nicht. Bei der Sarkoidose finden sich typischerweise oberflächlich bis tiefe, gelegentlich bis zur Subkutis reichende, epitheloidzellige, „nackte“ (sarkoidale) Granulome mit deutlich weniger perivaskulär akzentuiertem Entzündungsinfiltrat [2].

Tab. 2 Histologische Differenzialdiagnosen intralymphatischer Granulome

Ätiologie

Die Ätiologie der intralymphatischen Histiozytose ist nicht geklärt. Rieger et al. [7] spekulieren, dass verschiedene entzündliche Stimuli, z. B. Kryoproteine, zu einer thrombotischen Okklusion kleiner Gefäße führen, was wiederum eine Adhäsion mononukleärer Zellen bewirkt und durch Expression „histiozytärer“ Marker (CD68+, CD163+ Mac387+, CD1A−, S100−) zu reaktiven Veränderungen an der Basallamina mit Formation endothelialer Zellproliferate führt. Somit könnte es sich bei der „intravaskulären Histiozytose“ um ein Übergangsstadium im Abbauprozess inflammatorisch bedingter Mikrothromben handeln, welche prinzipiell bei den verschiedensten Erkrankungen auftreten können.

Es wird diskutiert, dass die intralymphatische Histiozytose eine Stenose oder Okklusion der lymphatischen Abflusswege mit konsekutivem Stauungsödem induzieren kann, klinisch der teigig-derben Schwellung entsprechend. In Analogie zum Erysipelas carcinomatosum, ausgelöst durch eine Lymphangiosis carcinomatosa, sollen Abflusswege blockiert werden mit konsekutiver Ektasie der Lymphgefäße, klinisch das Bild eines Erysipels imitierend. Die oben genannte Hypothese wird durch die klinische Beobachtung genährt, dass die Lippenschwellung der Cheilitis granulomatosa einen dynamischen Verlauf zeigt. Werden intralymphatische Granulome „weggespült/abgebaut“, soll sich die Stauungssituation entschärfen, klinisch korrelierend mit einem Rückgang der Schwellung.

Intralymphatische Histiozytose bei rheumatoider Arthrits, Rosai-Dorfmann-Erkrankung und orthopädischen Metallimplantaten

Rheumatoide Arthritis

Klinisch imponieren z. T. flüchtige, lividrötliche Maculae bis Plaques über den betroffenen Gelenken. Ätiologisch werden die intralymphatischen histiozytären Aggregate entweder als Resultat einer „zellulären Drainage“ des entzündlichen Prozesses der Synovia über die Lymphbahnen interpretiert [3] oder im Rahmen der vaskulären Histiozytose als frühe Form einer reaktiven Angioendotheliomatose [7].

Rosai-Dorfman-Erkrankung

Die Rosai-Dorfman-Erkrankung, auch „Sinushistiozytose mit massiver Lymphadenopathie“ genannt, beschreibt eine systemische Proliferation von Zellen, welche den Sinushistiozyten der Lymphknoten ähneln. Kutane Läsionen stellen die häufigste extranodale Manifestation dar. Sie weisen ein breites Spektrum von stecknadelkopfgroßen Papeln über psoriasisforme Schuppung bis hin zur exfoliativen Dermatitis auf. Im Gegensatz zu den anderen Ursachen intralymphatischer Granulome reagieren die Histiozyten positiv für S100 (Tab. 2), was eine Abgrenzung von anderen nicht Langerhans-Zell-Histiozytosen erlaubt [6].

Orthopädische Metallimplantate

Neben den bekannten Komplikationen von Metallimplantaten an der Haut wie Ekzem oder Urtikaria wurde in Einzelfallberichten auch eine intralymphatische Granulombildung beschrieben. Klinisch präsentierten sich diese Fälle als gelenknahe, oft im Narbenbereich angesiedelte, asymptomatische, unscharf begrenzte, erythematöse, bräunlich bis livide Papeln oder indurierte Plaques. Es wird diskutiert, dass es sich um eine nichtallergische Folge eines chronischen Lymphödems nach Trauma oder Chirurgie handelt [5].

Intravaskuläre Zellaggregate bei malignen Neoplasien

Vorrangig ist hier neben einer Lymphangiosis carcinomatosa das intravaskuläre großzellige B-Zell-Lymphom zu nennen. Die Histomorphologie ist richtungsweisend, hierauf basierende ergänzende immunhistochemische Reaktionen sind unerlässlich [2].

Intravaskuläre Zellaggregate bei kutaner extramedullärer Hämatopoese

Diese sehr seltene Differenzialdiagnose wurde im Rahmen myeloproliferativer Erkrankungen, wie z. B. der primären Myelofibrose, Polycytemia vera und der essenziellen Thrombozytose beschrieben [11].

Zusammenfassend ist die Cheilitis granulomatosa eine Entität, die häufig einen Teilaspekt des MRS darstellt. Die feingewebliche Untersuchung ist sehr hilfreich, auch wenn andere granulomatöse Erkrankungen wie der extraintestinale Morbus Crohn und die Sarkoidose rein histologisch nicht immer verlässlich abgegrenzt werden können.

Intravaskuläre/-lymphatische Aggregate sind bei benignen und malignen Prozessen nachweisbar. Eine sorgfältige histomorphologische und immunhistochemische Untersuchung muss durch Anamnese und Klinik ergänzt werden. Die pathophysiologische Hypothese bleibt zu bestätigen, nach der die intralymphatischen Granulome bei der Cheilitis granulomatosa als obstruktives Ereignis eine lymphatische Abflussstörung induzieren und damit als klinisches Korrelat eine persitistierende Schwellung der betroffenen Hautpartie verursachen sollen.

Fazit für die Praxis

  • Bei unklaren orofazialen Schwellungen immer an granulomatöse Erkrankungen wie das Melkersson-Rosenthal-Syndrom, eine extraintestinale Manifestation eines Morbus Crohn oder eine Sarkoidose denken!

  • Kutane intralymphatische/-vaskuläre Infiltrate können sowohl bei malignen Tumoren als auch bei verschiedenen benignen Grunderkrankungen vorkommen!

  • Der Nachweis einer intravaskulären/-lymphatischen Histiozytose ist nicht spezifisch für eine Entität, kann jedoch ein wertvoller Hinweis für die Cheilitis granulomatosa sein!