Skip to main content
Log in

Reproduktionsmedizin in Deutschland

Rechtliche Situation und Regelungsbedarf

Reproductive medicine in Germany

Legal situation and need for regulation

  • Leitthema
  • Published:
Der Gynäkologe Aims and scope

Zusammenfassung

Rechtliche Grundlage der Reproduktionsmedizin ist das Embryonenschutzgesetz (ESchG). Danach darf eine künstliche Befruchtung ausnahmslos nur zur Herbeiführung einer Schwangerschaft bei der Frau, von der die Eizelle stammt, vorgenommen werden. Es dürfen in einem Zyklus nur so viele Embryonen entwickelt werden, wie der Frau übertragen werden sollen, höchstens aber drei (Dreier-Regel). Präimplantationsdiagnostik (PID) und Eizellspende sind unzulässig. Die Sicherheitsstandards im Umgang mit Keimzellen und Embryonen sind im Transplantationsgesetz geregelt. Das ESchG ist lückenhaft. Erforderlich ist ein Fortpflanzungsmedizingesetz, das die Technologie der medizinisch unterstützten Fortpflanzung und alle daraus folgenden Probleme umfassend regelt. Das ESchG berücksichtigt die Weiterentwicklung der Wissenschaft und Technik der Fortpflanzungsmedizin nur unzureichend. Der in anderen Staaten praktizierte eSET/eDET ist in Deutschland aufgrund der „Dreier-Regel“ nicht zulässig. Die Dreier-Regel wird allerdings zum Teil entgegen dem eindeutigen Wortlaut und Zweck der Regelung interpretiert und als rechtlich nicht mehr maßgeblich angesehen. Die Geltung der Dreier-Regel muss vom Gesetzgeber geklärt werden, ebenfalls der Regelung bedürfen die Aufbewahrung von Keimzellen, Vorkernen und Embryonen sowie die Voraussetzungen für ihre Vernichtung. Dies gilt vor allem, wenn der eSET/eDET oder vergleichbare Verfahren der morphologischen Beurteilung und Auswahl vor Übertragung praktiziert werden, da dann regelhaft überzählige Embryonen anfallen. Ein Fortpflanzungsmedizingesetz müsste die Modalitäten der Dokumentation der Herkunft einer Samenspende, das Auskunftsrecht des betroffenen Kindes zur Sicherstellung seines Rechts auf Kenntnis seiner Herkunft regeln und die Frage der Geltung der Dreier-Regel klarstellen.

Abstract

The legal basis of reproductive medicine is the Embryo Protection Act (EPA). According to this law, without exception, in vitro fertilization can only be performed to achieve pregnancy in the woman from whom the ovum was harvested. During the course of a single cycle only as many embryos may be developed as will be transferred to the woman up to a maximum of three (“rule of three”). Preimplantation genetic diagnosis and egg donation are prohibited. Safety standards for handling gametes and embryos are governed by the Transplantation Law. The EPA is incomplete. Enactment of a law on reproductive medicine is required which provides comprehensive regulation of the medical technology used for assisted fertilization and the subsequent problems involved. The EPA allows for advancements in scientific knowledge and techniques of reproductive medicine only to a limited extent. The so-called eSET/eDET as practiced in other countries is not permitted due to the“rule of three.” This rule, however, is in fact interpreted partly in opposition to the explicit wording and intended purpose of the regulation and from a legal standpoint is no longer considered definitive. The validity of the rule of three has to be elucidated by the legislature. Preservation of gametes, pronuclei, and embryos as well as the prerequisites for their destruction also need to be regulated, especially when eSET/eDET or comparable procedures of morphological evaluation and selection are applied before transfer since surplus embryos regularly accumulate. A law on reproductive medicine would have to define the modalities for documenting the source of the donated sperm, regulate the child’s right to access information on its biological heritage, and clarify the validity of the rule of three.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this article

Price excludes VAT (USA)
Tax calculation will be finalised during checkout.

Instant access to the full article PDF.

Notes

  1. Gesetz zum Schutz von Embryonen (Embryonenschutzgesetz – ESchG) vom 13. Dezember 1990, BGBl. 1990 I, Nr. 69, vom 19.12.1990, S. 2746.

  2. Die Gesundheitsministerkonferenz des Bundes und der Länder forderte nach Einführung der Bundeskompetenz den Bund mehrmals eindringlich auf, ein Fortpflanzungsmedizingesetz vorzulegen. Sie begründete dies mit der dringenden Notwendigkeit, alle Methoden der medizinisch unterstützten Fortpflanzung und der damit in Zusammenhang stehenden Fragen in einem Bundesgesetz umfassend zu regeln. Auch im Gesetzgebungsverfahren zum Gewebegesetz 2007 forderte der Bundesrat die Schaffung eines eigenständigen Fortpflanzungsmedizingesetzes, das alle Bereiche der Fortpflanzungsmedizin regelt.

  3. Vgl. nur: Schlussbericht der Enquete-Kommission „Recht und Ethik der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestages vom 14.05.2002, Bt-Drs. 14/9020, Ziff. 1.2.7.1.1. Nationaler Ethikrat, Stellungnahme zur genetischen Diagnostik vor und während der Schwangerschaft 2003 und Stellungnahme zur Polkörperdiagnostik 2003.

  4. Gesetz über Qualität und Sicherheit von menschlichen Geweben und Zellen (Gewebegesetz) vom 20. Juli 2007, BGBl. 2007 I, Nr. 35, S. 1574, in Kraft seit dem 01.08.2007. Das Gewebegesetz ist ein Artikelgesetz, d. h. es ändert (in Art. 1) das Transplantationsgesetz (TPG) und (in Art. 2) das Arzneimittelgesetz (AMG), sodass sich die Qualitäts- und Sicherheitsstandards in der Fortpflanzungsmedizin (soweit dabei „Gewebe“ entnommen und verwendet wird) nunmehr aus dem TPG und AMG ergeben.

  5. Gewebe sind alle aus Zellen bestehenden Bestandteile des menschlichen Körpers, die keine Organe sind, einschließlich einzelner menschlicher Zellen (§ 1a Nr. 4 TPG neu).

  6. Gewebeeinrichtungen sind (§ 1a Nr. 8 TPG neu) Einrichtungen, die Gewebe zum Zwecke der Übertragung entnehmen, untersuchen, aufbereiten, be- oder verarbeiten, konservieren, kennzeichnen, verpacken, aufbewahren oder an andere abgeben. Einrichtungen, die zur Verwendung beim Menschen bestimmte Gewebe entnehmen (Entnahmeeinrichtungen) oder die für die Gewinnung erforderlichen Laboruntersuchungen durchführen, bedürfen einer behördlichen Erlaubnis (§§ 20b ff. AMG neu, § 8e TPG neu). Die Erlaubnis erteilen die Gesundheitsbehörden der Länder.

  7. Eine Gewebeeinrichtung darf (§ 8d TPG neu) nur betrieben werden, wenn sie einen Arzt bestellt hat, der die erforderliche Sachkunde nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft besitzt; sie ist verpflichtet, bei ihrer Tätigkeit die nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft und Technik erforderlichen Anforderungen einzuhalten, u. a. bei der Spenderidentifikation, im Entnahmeverfahren, bei der Spenderdokumentation und bei der Feststellung der medizinischen Eignung des Spenders. Jede Gewebeeinrichtung hat (§ 8d TPG neu) ihre Tätigkeiten umfassend zu dokumentieren (nach Art und Menge der entnommenen, untersuchten, aufbereiteten, be- oder verarbeiteten, konservierten, aufbewahrten, abgegebenen oder anderweitig verwendeten, eingeführten und ausgeführten Gewebe sowie des Ursprungs- und Bestimmungsortes der Gewebe...) und hat die Daten über ihre Tätigkeit an eine Bundesbehörde auf einem von dieser entwickelten Formblatt zu übermitteln.

  8. § 16a TPG und Verordnung über die Anforderungen an Qualität und Sicherheit der Entnahme von Geweben und deren Übertragung nach dem Transplantationsgesetz – TPG-Gewebeverordnung – TPG-GewV) Sie regelt in § 6 i.V.m. § 4 und Anlage 4 die Voraussetzungen für die Verwendung von Keimzellen im Rahmen von Maßnahmen der medizinisch unterstützten Befruchtung.

  9. § 16b TPG neu

  10. § 9 ESchG: „Nur ein Arzt darf vornehmen: 1. die künstliche Befruchtung, 2. die Übertragung eines menschlichen Embryos auf eine Frau, 3. die Konservierung eines menschlichen Embryos sowie einer menschlichen Eizelle, in die bereits eine menschliche Samenzelle eingedrungen oder künstlich eingebracht worden ist.“ § 11 ESchG: (1) “Wer, ohne Arzt zu sein, 1. entgegen § 9 Nr. 1 eine künstliche Befruchtung vornimmt oder 2. entgegen § 9 Nr. 2 einen menschlichen Embryo auf eine Frau überträgt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft....“ Das TPG (neu) regelt den Arztvorbehalt für die Entnahme von Geweben.

  11. Die (Muster-) Richtlinie der BÄK zur assistierten Reproduktion – (Muster-) Richtlinie der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistierten Reproduktion vom 19. 5. 2006 (Novellierung), Deutsches Ärzteblatt 203, Heft 20 vom 19.05.2006 S. A1392–A1402 – regelt in Ziff. 2. die medizinischen Voraussetzungen für die assistierte Reproduktion. Die TPG-GewV (s. oben) regelt in § 6 Abs. 1: „Für die Verwendung von Keimzellen im Rahmen von Maßnahmen einer medizinisch unterstützten Befruchtung ist es erforderlich, dass nach ärztlicher Beurteilung die Verwendung medizinisch indiziert und der gesundheitliche Schutz der Empfängerin und des Kindes gewährleistet sind...“

  12. Die (Muster-) Richtlinie der BÄK zur assistierten Reproduktion regelt in Ziff. 3.2. die Inhalte der Aufklärung und Beratung als Voraussetzung der Einwilligung. Die Regelungen des TPG (neu) über die Aufklärung und Beratung vor einer Gewebeentnahme sind nicht auf die speziellen Ziele und Folgen der Unfruchtbarkeitsbehanldung zugeschnitten.

  13. Vorkerne sind imprägnierte Eizellen, in die bereits eine Samenzelle eingedrungen ist, bei denen der Befruchtungsvorgang aber noch nicht abgeschlossen ist und die deshalb noch keine Embryonen im Sinne des § 8 ESchG sind.

  14. § 9 Nr. 3 ESchG regelt lediglich, dass nur ein Arzt die Konservierung eines menschlichen Embryos oder einer Eizelle, in die bereits eine Samenzelle eingedrungen oder künstlich eingebracht worden ist, vornehmen darf.

  15. Verwendung von heterologem Samen, der nicht von dem Mann stammt, mit dem die Frau verheiratet ist oder mit dem sie in festgefügter Partnerschaft lebt

  16. BVerfGE 79, 256 = NJW 1989, 891; BVerfGE 96, 56 = NJW 1997, 1769

  17. Siehe zur Kontroverse Neidert (mit weiteren Nachweisen): „Entwicklungsfähigkeit“ als Schutzkriterium und Begrenzung des Embryonenschutzgesetzes, in: MedR 2007, 279–286

  18. Siehe S. A1400 zu Ziff. 3.1.2 der Richtlinie der BÄK

  19. Günther/Taupitz/Kaiser, Kommentar zum ESchG, 2008, S. 175

  20. Begründungen haben keine Rechtskraft, erst recht nicht, wenn sie dem Wortlaut des Gesetzes widersprechen.

  21. S. Frommel a.a.O. und die Diskussionsbeiträge im Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie in den Jahren 2004 und 2005

  22. Günther/Taupitz/Kaier S. 177

  23. Im Schreiben des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung an den DVR vom 20.07.2005 (abgedruckt in: Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie [JRE] 3/2005, S. 203 ff.) heißt es: „Bei dem von Ihnen angeregten Vorgehen [gemeint ist der eSET/eDET] würden mehr Eizellen befruchtet als der Frau in einem Zyklus übertragen werden sollen, um sodann in einem zweiten Schritt anhand morphologischer Untersuchungsmethoden diejenigen Embryonen zu identifizieren, die als nicht hinreichend entwicklungsfähig angesehen werden. Das Gesetz differenziert in § 8 Abs. 1 ESchG aber nicht hinsichtlich des Maßes an Entwicklungsfähigkeit, sondern nennt als Schutzgut schlechthin die befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede einem Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich bei Vorliegen der dafür erforderlichen Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu entwickeln vermag. Vorausgesetzt wird somit allein, dass die befruchtete menschliche Eizelle entwicklungsfähig ist.... [Eine] Auswahl der Embryonen, die eine Identifikation eines entwicklungsfähigen Embryos mit gutem bis hervorragendem Implantationspotenzial und die Verwerfung der übrigen entwicklungsfähigen Embryonen erlaubt, wäre hingegen nicht mit § 2 Abs. 1 ESchG zu vereinbaren.... Das geltende ESchG ist nicht darauf angelegt, entwicklungsfähige Embryonen im Hinblick auf ihr Implantationspotenzial zu unterscheiden...“.

  24. Die Embryonenadoption, die nach dem ESchG als letzte Möglichkeit der Erhaltung eines überzähligen Embryos zulässig ist, scheidet als allgemeine Lösung für den Verbleib von überzähligen Embryonen, die beim SET/DET in erheblicher Zahl anfallen, aus. Sie ist allenfalls eine Lösung für Einzelfälle. Mit einer Regelung der Embryonenadoption als Regelfall für den Verbleib überzähliger Embryonen würde auch das System des Familienrechts gesprengt, abgesehen davon, dass nicht anzunehmen ist, dass sich genügend „Adoptiveltern“ finden würden.

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to U. Riedel Rechtsanwältin.

Rights and permissions

Reprints and permissions

About this article

Cite this article

Riedel, U. Reproduktionsmedizin in Deutschland. Gynäkologe 42, 495–501 (2009). https://doi.org/10.1007/s00129-009-2338-6

Download citation

  • Published:

  • Issue Date:

  • DOI: https://doi.org/10.1007/s00129-009-2338-6

Schlüsselwörter

Keywords

Navigation