Seit Dezember 2012 prüfen das Wissenschaftliche Institut der Allgemeinen Ortskrankenkasse (AOK) (WIdO) und die von ihm berufenen urologischen Vertreter die bei der operativen Behandlung des BPS-Syndroms und des Prostatakarzinoms erhobenen Daten. Ziel war es, die Versorgungsqualität hinsichtlich auftretender Komplikationen in den Kliniken im Rahmen des Verfahrens „Qualitätssicherung mit Routinedaten“ (QSR) messbar sowohl für Krankenhäuser als auch für Patienten transparent zu machen.

Auch wenn in der Medizin Qualität insbesondere „allgemeine Versorgungsqualität“ schwierig messbar ist – wird vom WIdO seit mehreren Jahren – gemeinsam mit Experten unterschiedlicher Fachgebiete – daran gearbeitet, einzelne bei der Versorgung anfallenden Parameter zu einer Qualitätsbeurteilung heranzuziehen. Hierzu gehört auch die Urologie, nachdem dort die Bedeutung der Versorgungsforschung beschrieben (Der Urologe 2011, 50: 671–701) und betont wurde.

Nach der Veröffentlichung des Klinikvergleichs im AOK-Krankenhausnavigator wurde in einer Pressemitteilung vom 30.10.2015 nach dem Kongress der DGU ein solches Vorgehen scharf kritisiert. Obwohl allgemein alle Bemühungen um eine transparente Darstellung von Qualitätsparametern, die zu einer Verbesserung der Ergebnisqualität führen, begrüßt werden, ist die Kritik insgesamt recht umfassend und beinhaltet im Wesentlichen folgende Punkte:

  • fehlende Auswertung der Funktionsparameter Kontinenz und Potenz,

  • fehlende Unterscheidung zwischen minimal-invasiven und offenen Operationstechniken und es sei bekannt, dass ein nerverhaltendes Operieren (RPE) mit einem höheren Blutverlust einhergehe,

  • Unter bestimmten Bedingungen könne eine Reintervention notwendig werden, um größere Komplikationen zu verhindern.

  • Die Fallzahl sei kein Qualitätsindikator.

  • Routinedaten wie Abrechnungsdaten erlaubten keine Qualitätsmessung, da strukturelle Gegebenheiten, Unterschiede der Patientenkollektive und die Kodierqualität ungelöste Probleme seien. Letztlich dienten die Daten ausschließlich der Abrechnung.

Die vom WIdo in das Panel berufenen Urologen haben in einem 2‑jährigen, sehr aufwendigen Verfahren gemeinsam mit den Mitarbeitern des WIdO akribisch darauf geachtet, dass für die Auswertung nur intra- und postoperativer Komplikationen einbezogen wurden, die auch tatsächlich mit den Eingriffen in Verbindung standen. Bei Zweifeln, möglichen Verschlüsselungsfehlern oder unbekannter Genese einer Reintervention wurden diese von der Auswertung ausgeschlossen und nicht als Komplikation gewertet! Sämtliche Komorbiditäten der Patienten („Elixhauser Comorbidity Score“) werden in den Abrechnungsdaten erfasst und bei der statistischen Auswertung berücksichtigt. Dies ist dem Gremium wichtig zu erwähnen, um klar auszudrücken, dass die Aufgabe des Panels u. a. darin bestand, keine ungerechtfertigten, artifiziell hohen Komplikationsraten zu rapportieren.

Im Folgenden wird auf die einzelnen Kritikpunkte kurz eigegangen werden:

  • fehlende Auswertung der Funktionsparameter Kontinenz und Potenz.

Kontinenz und Potenz sind sicher wesentliche Aspekte der Qualität. Eine entsprechende Auswertung ist wünschenswert und mittelfristig auch geplant, anhand der unzureichenden Qualität v. a. der ambulanten Daten aber bisher nicht valide darstellbar. Das wird im AOK-Krankenhausnavigator und bei der Bewertung sehr deutlich kommuniziert. Hier besteht eine große Motivation zur Entwicklung valider, objektiver Messmethoden die, genau wie die onkologischen Daten, mit den QSR-Daten verknüpft werden können um diese wichtigen Indikatoren mit abbilden zu können.

Bei den AOK-Daten „werden ausschließlich Komplikationen der Operation bis zu einem Jahr abgebildet. Drei wesentliche Qualitätsmerkmale der Operation (Beseitigung des Tumors, Inkontinenz, Impotenz) können nicht ausgewertet werden“ (https://weisse-liste.krankenhaus.aok.de). Um die Wahrnehmung zu verbessern, soll die mehrfach kritisierte Darstellung der RPE-Klinikergebnisse im Internet verbessert und zukünftig auch graphisch anschaulich dargestellt werden, dass Komplikationen nur einen Teilaspekt der Qualität der RPE darstellen und nur diese hier betrachtet werden.

  • Fehlende Unterscheidung zwischen minimal-invasiven und offenen Operationstechniken und es sei bekannt, dass ein nerverhaltendes Operieren (RPE) mit einem höheren Blutverlust einhergehe.

Dies ist für die radikale Prostatektomie (RPE) nicht zutreffend. Die Routinedaten lassen sehr wohl zwischen offener Prostataektomie, laparoskopischer oder DaVinci-Operation unterscheiden und die Komplikationen den verschiedenen Techniken zuordnen. Eine Adjustierung nach Lymphadenektomie und nerverhaltender Technik wird bei der RPE vorgenommen. Ein höherer Anteil der Nerverhaltung führt nicht zu einer nachteiligen Bewertung des Hauses, wenn daraus eine höhere Transfusionsrate resultiert. Anhand der erhobenen Daten konnte überraschenderweise sogar nachgewiesen werden, dass die Komplikationsrate insbesondere die Transfusionsrate bei der nervenerhaltender Operationstechnik geringer ist. Diese Daten sind wissenschaftlich so interessant und valide, dass sie zur Publikation in einem internationalen Peer-review-Journal akzeptiert wurden (Publikation World Journal of Urology).

Auch bei der operativen Therapie des BPS hat sich das Gremium auf eine gemeinsame Bewertung der verschiedenen Operationsverfahren verständigt, weil die Wahl der voraussichtlich komplikationsärmsten Operationstechnik dem Operateur obliegt und unabhängig von den Eigenschaften des Patienten verschiedene Verfahren zur Verfügung stehen.

  • Unter bestimmten Bedingungen könne eine Reintervention notwendig sein, um größere Komplikationen zu verhindern.

Es wurden bei unserer Auswertung nur unerwünschte Folgeereignisse betrachtet und somit als Komplikation gewertet. Des Weiteren bleibt für den Patienten eine Reintervention eine Reintervention, auch wenn damit eine vermeintlich größere Komplikation vermieden wird, sie muss auch als eine solche gewertet werden.

  • Die Fallzahl sei kein Qualitätsindikator.

Wir haben die Fallzahl einer Klinik nicht in die Qualitätsbewertung im QSR-Verfahren einfließen lassen. Trotzdem überrascht dieses Argument, weil Leitlinie und Zertifizierung Mindestmengen vorgeben und der Glaube, Menge führe zu Qualität auch in der Fachöffentlichkeit sehr verbreitet ist.

  • Abrechnungsdaten erlaubten keine Qualitätsmessung, da strukturelle Gegebenheiten, Unterschiede der Patientenkollektive und die Kodierqualität ungelöste Probleme seien. Letztlich dienten die Daten ausschließlich der Abrechnung.

In unsere Auswertung sind Alter und Komorbidität der Patienten eingeflossen („Elixhauser Comorbidity Score“). Komplikationen werden nur gewertet, wenn sie eine Reintervention erfordern. Schwerwiegende Diagnosen wie Schlaganfall, Herzinfarkt o. ä. sind berücksichtigt. Die Daten dienen zwar momentan hauptsächlich der Abrechnung, aber dennoch ist jeder Arzt verpflichtet, die Kodierung korrekt und nach den Richtlinien durchzuführen. Im Gegensatz zu z. B. anderen Qualitätsbögen ist ein vollständiges und korrektes Ausfüllen im Eigeninteresse (und es gibt mit dem MDK eine Kontrollinstanz), wobei dem Panel durchaus bewusst ist, dass es gewisse Spielbreiten beim Kodieren gibt oder vereinzelt Fehler auftreten können. Niemand wird jedoch vorsätzlich falsch verschlüsseln. Wie eingangs erwähnt bestand gerade die Aufgabe des Panels darin, diese Verschlüsselungsfehler zu analysieren und solche Kodierartefakte von der Auswertung auszuschließen.

Versorgungsforschung ist eine noch junge Disziplin – gewinnt jedoch gerade in einem angespannten sozioökonomischen Umfeld immer mehr an Bedeutung. Qualitätsmessungen der allgemeinen Versorgungsqualität in der Urologie sind rar und meist auf zertifizierte Zentren begrenzt. Wir sehen in unserer Arbeit einen wertvollen Beitrag zu einer verbesserten Information für Urologen und Patienten.

In unserem Gremium werden wir weitere Bemühungen unternehmen, um die stationären Daten mit ambulanten Daten zu verknüpfen, um Langzeitverläufe noch weiter zu eruieren. Ob auf Basis dessen möglicherweise ein internes Peer-review-Verfahren entwickelt werden kann, das Kliniken hilft, diese Aspekte Ihrer operativen Arbeit so genau als möglich zu analysieren, kann nur in enger Abstimmung mit der DGU erfolgen. Wir sähen es als folgerichtiges Ergebnis unserer Arbeit, wenn sich offizielle Gremien wie der Vorstand der DGU aktiv in diese vom größten deutschen Krankenversicherer initiierte und letztendlich patientenorientierte Arbeit mit einbezogen werden und wir gemeinsam über eine kritische Analyse unserer chirurgischen Arbeit zu einer weiteren Verbesserung der Versorgung unserer Patienten kommen. Insgesamt zeigen die Daten, dass die Versorgungsqualität in der Urologie schon heute gut ist.

Gegenüber dem früheren BQS-Verfahren hat das QSR-Verfahren den Vorteil, dass kein zusätzlicher Dokumentationsaufwand für die Klinik entsteht und die Qualitätssicherung sich nicht auf die Daten eines Aufenthalts beschränkt, also nicht zum Zeitpunkt der Entlassung nach der Operation bewertet wird.

Dr. C. Gilfrich

Priv.-Doz. G. Popken

Prof. J.-U. Stolzenburg

Prof. L. Weißbach

Dr. C. von Zastrow