Die tiefe Hirnstimulation (THS) ist ein Therapieverfahren, das zentrale neuronale Kreisläufe durch elektrische Stimulation moduliert und innerhalb des letzten Jahrzehnts die Behandlung einiger neurologischer Erkrankungen revolutioniert hat. Gegenwärtig wird die THS bei Bewegungsstörungen im Rahmen des Morbus Parkinson, bei essenziellem Tremor sowie bei Dystonien routinemäßig eingesetzt. Seit einigen Jahren wird die THS auch systematisch als potenzielles Behandlungsverfahren bei einigen therapieresistenten psychiatrischen Erkrankungen untersucht. Diese neuen psychiatrischen Anwendungsmöglichkeiten profitieren in Bezug auf ihre wissenschaftliche Entwicklung enorm von den Erfahrungen, die vorher bei neurologischen Indikationen gemacht wurden.

THS wird Teil des selbstverständlichen Behandlungsspektrums werden

Die Rationale der THS beruht auf der zunehmenden Erkenntnis, dass eine Reihe neurologischer oder psychiatrischer Symptombildungen auf Netzwerkstörungen der normalen Informationsübermittlung beruht, die durch eine Neuromodulation korrigiert werden können. Wegweisend war die Aufklärung der neuronalen Dysfunktionen der Basalganglien-Kortex-Schleife, die je nach Art der gestörten Nervenzellaktivität zu hypo- oder hyperkinetischen Bewegungsstörungen führen können. Weitere Beispiele für „Rhythmusstörungen“ des Gehirns, die ganz ohne morphologisch-strukturelle Veränderungen auftreten können, sind der essenzielle Tremor oder bestimmte Epilepsien. Obgleich die elektrochemische Natur der Informationsverarbeitung im Nervensystem lange bekannt ist, haben Elektrotherapien bislang eine Außenseiterrolle in den klinischen Neurowissenschaften gespielt. Auch die THS wird trotz ihrer unbestrittenen Erfolge bei der Parkinson-Krankheit, verschiedenen Tremorformen oder den Dystonien von vielen Neurologen noch als gefährlich und „letzter Ausweg“ bei terminalen Krankheitsstadien gesehen. Dabei ist die Studienevidenz für die THS bei der Parkinson-Krankheit heute derart umfassend, wie für kaum eine der medikamentösen Therapien. Die rasche Entwicklung im Bereich der klinischen Anwendung und Indikationsstellung, aber auch technische Fortentwicklungen auf dem Gebiet der THS haben uns veranlasst, das vorliegende interdisziplinäre Leitthemenheft zu initiieren.

Dabei wird der heutige Kenntnisstand zu Indikation, klinischer Bedeutung und Wirkung der THS bei Morbus Parkinson und hyperkinetischen Bewegungsstörungen zusammengefasst (Erasmi R et al. [1], Reich und Volkmann [2]) und die sich schnell entwickelnde Ergebnislage von ersten Studien zu psychiatrischen Erkrankungen diskutiert (Schläpfer [3], Bartsch und Kuhn [4]). Im Weiteren werden besondere neuroethische Implikationen der THS bei psychiatrischen Erkrankungen dargestellt (Bartsch und Kuhn [4]) sowie sich abzeichnende technische Innovationen im Bereich der THS und ihre mögliche zukünftige Bedeutung erörtert (Vesper und Slotty [5]).

Es ist bemerkenswert, dass mittlerweile selbst Vertreter der pharmazeutischen Industrie anerkennen, dass Netzwerkstörungen des Gehirns vermutlich gezielter durch „elektroceuticals“ behandelt werden können als durch klassische pharmakologische Ansätze. Hierzu verweisen wir auf das lesenswerte Editorial von Kristoffer Famm (GlaxoSmithKline) und Kollegen im Aprilheft von Nature [6]. Wir hoffen, dass unser Leitthemenheft dazu beitragen kann, unbegründete Ängste und Vorbehalte gegenüber der THS abzubauen. Auch wir sind der festen Meinung, dass in naher Zukunft der „Hirnschrittmacher“ für den Neurologen oder Psychiater so selbstverständlich zum Behandlungsspektrum gehören dürfte, wie der Herzschrittmacher für den Kardiologen.

Prof. Dr. Thomas Schläpfer

Prof. Dr. Jens Volkmann

Prof. Dr. Günther Deuschl