Neu auftretende, zuvor unbekannte Erreger erwiesen sich in den letzten beiden Jahrzehnten immer wieder als Ursache von neuartigen Erkrankungen. Im Durchschnitt wurde nahezu jährlich ein neuer Erreger identifiziert. Diese neu erkannten Infektionskrankheiten führten teilweise zu zeitlich oder lokal begrenzten Ausbrüchen (z. B. Ebola-Virus), die Mehrzahl hat sich jedoch in der menschlichen Population mittlerweile etabliert. Sie treten in einzelnen Bereichen der Erde mit unterschiedlicher Häufigkeit auf. Hierzu gehören z. B. HIV, die Legionärskrankheit, Campylobacter, Helicobacter, Hepatitis C oder BSE bzw. die variante Creutzfeldt-Jakob-Erkrankung. Bei den meisten dieser Erkrankungen wird in absehbarer Zeit eine Elimination oder Eradikation der zugehörigen Erreger nicht erreicht werden können.

Mehrere Ausbrüche von Infektionskrankheiten (z. B. SARS, West-Nil-Virus, aviäre Influenza, Dengue-Fieber) waren in den letzten Monaten mit einem massiven Echo in den Medien und entsprechender Verunsicherung der Bevölkerung verbunden. Die Ausbrüche führten zu Erkrankungen und Todesfällen, aber auch zu z. T. enormen wirtschaftlichen Belastungen für die betroffenen Gebiete (z. B. Handelsausfälle bei aviärer Influenza, in der Tourismusindustrie bei SARS). Als schlimmste Infektionskrankheit für die Menschheit erwies sich die weltweite HIV-Epidemie.

Die Erfahrungen mit SARS zeigen, wie rasch sich ein neuer Erreger buchstäblich in Wochen weltweit ausbreiten kann.

Zu den Lehren aus SARS gehört auch die Bedeutung einer effektiven Surveillance und eines funktionierenden öffentlichen Gesundheitswesens. Die rasche Reaktionsfähigkeit in Deutschland beruhte nicht zuletzt auch auf den deutlich verbesserten Infrastrukturen und den schnelleren Kommunikationswegen, die im Verlauf der Umsetzung des Infektionsschutzgesetzes und der Bioterrorismusdebatte in Deutschland etabliert wurden. Angesichts der Konsequenzen im Gefolge dieser Infektionskrankheiten wird die Bedeutung einer angemessenen Erfüllung von infektionsepidemiologischen Aufgaben und entsprechender Labordiagnostik besonders deutlich. Versäumnisse in der Frühphase eines Ausbruchs können zu—zumindest teilweise—vermeidbaren Erkrankungen führen, einschließlich Todesfällen und finanziellen Belastungen (für SARS geschätzte indirekte Kosten ca. 15 Mrd. €).

Im Folgenden werden einige neuartige Erreger im Hinblick auf Deutschland exemplarisch dargestellt. Diese Bilanz zeigt die Verwundbarkeit der modernen Gesellschaft, wenn sich Infektionserreger als Folge demografischer Veränderungen, neuer technologischer Entwicklungen im Bereich der Lebensmittelindustrie oder internationaler Reisetätigkeit und Handel ausbreiten und verdeutlicht die Wichtigkeit geeigneter und belastbarer Systeme zur Erkennung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten.

HIV-Infektion

Epidemiologie

AIDS-Erkrankungen wurden 1981 erstmals in den USA beschrieben. Retrospektive Untersuchungen belegen jedoch, dass die der AIDS-Erkrankung zugrunde liegende HIV-Infektion sich bereits seit Anfang der 1960er Jahre zunächst unbemerkt weltweit ausgebreitet hat, wobei der internationale Reiseverkehr wohl eine wesentliche Rolle gespielt hat. Abbildung 1 zeigt die aktuelle weltweite Verteilung von HIV-Infektionen (Prävalenz), Abbildung 2 die Verteilung der Neuinfektionen mit HIV im Jahre 2003 (Inzidenz). Bei den von Deutschen im Ausland erworbenen HIV-Infektionen rangiert als Infektionsregion Südostasien vor Subsahara-Afrika, gefolgt von der Karibik/Lateinamerika, anderen Ländern in Westeuropa und Nordamerika sowie Osteuropa.

Abb. 1
figure 1

Regionale Verteilung der aktuell lebenden HIV-Infizierten nach Schätzungen von WHO/UNAIDS, Stand Ende 2003

Abb. 2
figure 2

Regionale Aufteilung der HIV-Neuinfektionen im Jahre 2003 nach Schätzungen von WHO/UNAIDS

Im Vergleich zu Deutschland, wo ca. 80% der HIV-Infizierten Männer sind und der Altersgipfel in den Altersgruppen zwischen 25 und 40 Jahren erreicht wird, sind in Entwicklungsländern mit vorwiegend heterosexueller Übertragung von HIV mehr als die Hälfte der Infizierten Frauen, der Altersdurchschnitt liegt unter 25 Jahren.

Übertragungswege

Der bedeutsamste Übertragungsweg für HIV sind ungeschützte Sexualkontakte, je nach Region kann intravenöser Drogenkonsum mit Spritzentausch eine erhebliche Rolle spielen. In vielen ärmeren Ländern muss auch mit der Möglichkeit von HIV-Übertragungen durch Verwendung unzureichend sterilisierter Instrumente im medizinischen und paramedizinischen Bereich (z. B. beim Tätowieren) oder durch nicht auf HIV untersuchte Blutspenden gerechnet werden. Übertragungen von HIV durch kontaminiertes Wasser, Lebensmittel oder Vektoren wie Stechmücken sind nicht beschrieben.

Insbesondere im Bereich der Prostitution müssen in den meisten Ländern über dem Durchschnitt liegende HIV-Infektionsraten erwartet werden, zumal andere, zusätzlich vorliegende sexuell übertragbare Infektionen das Übertragungsrisiko für HIV weiter steigern. Von besonderer Bedeutung als HIV-Infektionsrisiko sind „Urlaubspartnerschaften“, da in diesen eher auf den Schutz durch Kondome verzichtet wird.

Klinisches Bild

Tage bis Wochen nach einem Infektionsereignis treten bei ca. 50–70% der Infizierten Symptome einer akuten Virusinfektion auf. Am häufigsten werden Fieber, Muskel- und Gliederschmerzen, Lymphknotenschwellungen, ein flüchtiges, meist stammbetontes Virusexanthem, Kopfschmerzen und Durchfälle berichtet. Auf Grund der unspezifischen Symptomatik ist bei entsprechenden Beschwerden eine Expositionsanamnese zu empfehlen, bei der vor allem nach sexuellen Risiken (ungeschützter Vaginal- oder Analverkehr) gefragt werden sollte.

Erregerdiagnostik

Ein Antikörpernachweis gelingt frühestens ca. 3 Wochen nach dem Infektionsereignis. Fällt bei Vorliegen der geschilderten klinischen Symptomatik und klarem anamnestischen Infektionsrisiko der Antikörpernachweis negativ aus, ist entweder eine Wiederholung der Untersuchung angezeigt oder es kann ein HIV-Nukleinsäurenachweis (PCR-Untersuchung) versucht werden, der im Rahmen einer frischen Infektion ca. 1–2 Wochen vor dem Antikörpernachweis positiv wird. Bei einem negativen Antikörpernachweis 3 Monate nach dem letzten möglichen Expositionsereignis kann eine HIV-Infektion in der Regel ausgeschlossen werden.

Prävention

Die wichtigste Präventionsmaßnahme für Reisende ist der Verzicht auf ungeschützte sexuelle Kontakte bzw. die konsequente Verwendung von Kondomen beim Geschlechtsverkehr.

HIV-Infektion und Reisen

Aus medizinischer Sicht stellt die HIV-Infektion keinen Hinderungsgrund für Reisen dar. Je nach Immunstatus, Reiseland und Reisemodalitäten kann jedoch ein erhöhtes Infektions- bzw. Erkrankungsrisiko für andere Erreger bestehen. Während Impfungen mit Totimpfstoffen unbedenklich sind (der Impferfolg kann bei bereits bestehendem Immundefekt beeinträchtigt sein), sollte die Entscheidung bei Lebendimpfstoffen von der Dringlichkeit der Impfung und vom Immunstatus abhängig gemacht werden.

Eine Reihe von Ländern haben Einreisebeschränkungen für HIV-Infizierte eingeführt, jedoch meist nur für längere Aufenthalte. Wichtigste Ausnahme sind die USA. Dort wird zwar kein Nachweis eines negativen HIV-Testergebnisses bei der Einreise gefordert, allerdings kann z. B. die Entdeckung von HIV-Medikamenten im Reisegepäck zur Verweigerung der Einreise führen.

Die Verfügbarkeit antiretroviraler Medikamente in Entwicklungsländern ist sehr unterschiedlich und derzeit raschen Veränderungen unterworfen. Medizinisches Personal besitzt in den meisten Entwicklungsländern bislang wenig bis keine Erfahrung in der HIV-Behandlung. Mit Behandlungsverweigerungen durch Ärzte und Kliniken im Falle des Bekanntwerdens eines positiven HIV-Status muss leider in vielen Ländern gerechnet werden.

Schweres akutes respiratorisches Syndrom (SARS)

Epidemiologie

SARS trat erstmals im November 2002 in den südlichen Provinzen Chinas auf, wurde im Februar 2003 von dort zunächst nach Hongkong und anschließend über die gesamte Welt getragen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat für das Jahr 2003 weltweit 8098 wahrscheinliche Fälle aus 29 Ländern registriert, davon sind 774 verstorben [23]. In Deutschland wurden 9 wahrscheinliche Fälle bekannt, die sich alle in betroffenen Ländern infiziert hatten.

Übertragungswege

SARS wird im Wesentlichen durch Tröpfcheninfektion und/oder durch Schmierinfektion übertragen. Die Inkubationszeit beträgt 2–10 Tage. Das Erregerreservoir ist noch nicht eindeutig geklärt, ein tierisches Reservoir wird jedoch angenommen [5].

Der zentrale Ausgangspunkt für die weltweite Verbreitung von SARS war das Hotel Metropol in Hongkong. Dort hatte ein Arzt übernachtet, der sich zuvor in seiner Heimatprovinz Guangdong in China an einem SARS-Patienten infiziert hatte und später selbst erkrankte. Die Erkrankung dieses Arztes hatte sich auf andere Gäste des Hotels übertragen. Da die betroffenen Hotelgäste aus vielen Ländern kamen, bildeten sie die Grundlage für die Ausbrüche in Toronto, Hongkong, Vietnam und Singapur. Als Risikofaktoren für die Übertragung wurde die Unterkunft im selben Flur des Hotels sowie die Bestellung von Speisen im Rahmen des Zimmerservice ermittelt [23]. Wie es im Hotel zu den zahlreichen Übertragungen kam, ist jedoch nicht geklärt. Auch der erste in Deutschland bekannt gewordene Fall, der aus New York einreisende Arzt aus Singapur, der am 15. März 2003 in Frankfurt am Main zwischenlandete, hatte zuvor Patienten in Singapur behandelt, die wiederum Kontakt zu Gästen des Hotels Metropol gehabt hatten [18].

Insbesondere innerhalb von Krankenhäusern betroffener Regionen hat sich SARS sehr rasch sowohl auf Patienten als auch auf Personal übertragen. In Deutschland ist es dagegen weder innerhalb noch außerhalb der Krankenhäuser zu Übertragungen von SARS gekommen [20]. Nach gegenwärtiger Erkenntnis scheint dagegen das Risiko einer Übertragung von SARS zwischen Flugpassagieren während des Fluges gering zu sein [13, 21]. Seit Juli 2003 wurden 6 weitere SARS-Fälle bekannt: 2 Infektionen bei Laborwissenschaftlern (Singapur, Taiwan) und 4 Infektionen in Südchina, bei denen die Infektionsquelle unklar ist.

Klinisches Bild

Bei SARS handelt es sich um eine schwere, infektiöse Atemwegserkrankung, die sich klinisch und radiologisch entweder als atypische Pneumonie oder als akutes Atemnotsyndrom (engl. Adult respiratory distress syndrome, ARDS) manifestiert. Die klinische Symptomatik beginnt mit influenzaähnlichen Symptomen mit meist hohem Fieber, später kommen Husten und rasch zunehmende Atemnot sowie Durchfälle hinzu [15].

Erregerdiagnostik

Als Erreger wurde im März 2003 das SARS-Coronavirus (SARS-CoV) identifiziert [2]. Für die frühe Diagnostik steht die Polymerasenkettenreaktion (PCR) zum Nachweis von SARS-CoV in respiratorischen Sekreten, im Stuhl und anderen Sekreten zur Verfügung. Dabei muss allerdings beachtet werden, dass ein negativer Befund auch in der akuten Erkrankungsphase eine Infektion mit SARS-CoV nicht ausschließt. Ein indirekter Immunfluoreszenztest zum serologischen Nachweis von IgM- und IgG-Antikörpern gegen SARS-CoV und ein ELISA bieten sich insbesondere für epidemiologische Fragestellungen an, da entsprechende Nachweise erst mehrere Wochen nach Infektion zu erwarten sind.

Prävention

Die Bekämpfung und Eindämmung einer derartigen Epidemie ist Aufgabe des öffentlichen Gesundheitsdienstes. Hier ist zum einen eine lückenlose Surveillance und eine frühzeitige Verfügbarkeit umfassender Informationen und Empfehlungen erforderlich [10]. Für die Gesundheitsämter stellt eine derartige Epidemie eine Herausforderung dar, da sie sehr umfangreiche Schutzmaßnahmen umsetzen müssen [19]. Diese bestehen zum einen in der frühzeitigen Identifizierung von Kontaktpersonen und gegebenenfalls in der Absonderung von Personen nach einem festgelegten Schema. Dies erfordert auch eine enge Zusammenarbeit mit Krankenhäusern, niedergelassenen Ärzten und Krankentransportdiensten [11]. Eine Impfung wird mittelfristig nicht zur Verfügung stehen.

Aviäre Influenza (Geflügelpest, Vogelgrippe)

Die aviäre Influenza wurde zum ersten Mal im Jahr 1878 in Italien beschrieben [16]. Aviäre Influenza wird durch die Subtypen H5 und H7 des Influenza-A-Virus verursacht. Das Reservoir dieser Erreger stellen Wildvögel (insbesondere Wasservögel) dar, deren Infektion in der Regel asymptomatisch verläuft. Mutationen im Hämagglutinin sind jedoch die Ursache dafür, dass immer wieder H5- bzw. H7-Viren auftreten, die für Vögel hochpathogen sind.

Zwischen 1959 und 2003 wurden insgesamt 21 Ausbrüche bei Geflügel registriert [24]. Schwere respiratorische Erkrankungen durch ein rein aviäres Virus nach Übertragung direkt von erkranktem Geflügel auf den Menschen wurden erstmals bei dem Ausbruch 1997 in Hongkong beobachtet. Bis zu diesem Zeitpunkt war eine direkte Übertragung von aviären Influenza-A-Viren auf den Menschen nicht belegt worden. Seit 1997 wurde in 6 Situationen eine Übertragung von hochpathogenen aviären Influenzaviren (HPAI) auf den Menschen nachgewiesen (Tabelle 1).

Tabelle 1 Ausbrüche von aviärer Influenza mit nachgewiesenen Erkrankungen beim Menschen seit 1997

Davor war man davon ausgegangen, dass für eine Übertragung auf den Menschen eine genetische Neukombination („genetic shift“) von aviären und humanen Influenza-A-Viren erforderlich ist. Als Hauptvehikel für die genetische Neukombination, das sog. Reassortment, des segmentierten Genoms der Influenza-A-Viren gilt das Hausschwein, da es auf seinen Zellen sowohl Rezeptoren für aviäre als auch humane Influenza-A-Viren besitzt. Ein Reassortment konnte als Entstehungsweg der pandemischen Influenzaviren der „Asiatischen Grippe“ 1957/58 (H2) und der „Hongkong-Grippe“ 1968–70 (H3) nachgewiesen werden.

Influenza A/H7N7 in den Niederlanden

Im Frühjahr 2003 trat ein großer Ausbruch mit H7-Viren in den Niederlanden auf und breitete sich nach Belgien und auf einen Betrieb in Deutschland aus. Mehr als 1000 Betriebe waren betroffen, mehr als 30 Mio. Vögel wurden daraufhin getötet [9].

Bei diesem Ausbruch wurden bis Ende April 266 Fälle von Konjunktivitis diagnostiziert. Fast alle Erkrankte hatten engen Kontakt mit erkranktem Geflügel gehabt. Bei 40 (12%) der Erkrankten traten zusätzlich grippeähnliche Symptome („influenza-like illness“, ILI) auf, bei weiteren 23 Personen wurde nur eine ILI beschrieben. Ein Tierarzt, der einen Betrieb mit infizierten Tieren besucht hatte, verstarb kurz darauf an der Erkrankung. Der Nachweis von H7N7 in der bronchoalveolären Lavage bestätigte eine Infektion mit dem aviären Influenzavirus.

Insgesamt wurden bei diesem Ausbruch 453 Menschen mit Gesundheitsproblemen identifiziert [9]. Bei 89 dieser Personen war der Influenza-A/H7-Nachweis positiv. Drei Kontaktpersonen von an Konjunktivitis Erkrankten, die an der Tötung von Influenza-A (H7N7) infiziertem Geflügel beteiligt waren, die selbst aber nicht mit infiziertem Geflügel in Berührung gekommen waren, wiesen ebenfalls Symptome auf. In ihren Bindehautabstrichen wurden Influenza-A/H7N7-Viren nachgewiesen. Dies wurde als ein starker Hinweis für eine Mensch-zu-Mensch-Übertragung gewertet [3, 9].

Aktueller Ausbruch von Influenza A/H5N1 in Südostasien

Seit Mitte Dezember 2003 wurden Ausbrüche von HPAI H5N1 von 8 asiatischen Ländern mitgeteilt [25]. Mehr als 100 Mio. Vögel starben bisher bei diesen Ausbrüchen oder wurden getötet. Bis Mitte März erkrankten in Vietnam und Thailand insgesamt 35 Menschen, von denen 23 verstarben. Das klinische Bild beginnt meist mit grippeähnlichen Symptomen. Im weiteren Verlauf kommt es vielfach zu Pneumonien, Magen-Darm-Beschwerden und Transaminasenerhöhungen, wie auch zu Leuko- und Thrombopenie. Ein Teil der Patienten kann an einem Multiorganversagen versterben [7, 25]. In keinem der Fälle kam es bisher durch die H5N1-Erkrankungen zu einem Ausbruch oder Infektionsketten mit einer effizienten Mensch-zu-Mensch-Übertragung.

Implikationen der Ausbrüche von aviärer Influenza für Menschen

Diese Gefahr ist allerdings—auch nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation—nicht zu unterschätzen, da eine Anpassung des Virus an den Menschen durch Mutationen oder ein genetisches Reassortment denkbar ist. Wenn es hierdurch zu einer effizienten Weiterverbreitung von Mensch zu Mensch bei erhaltener Virulenz kommen würde, stünde die Welt vor einer neuen Influenzapandemie.

Zur Vorsorge müssen verschiedene Maßnahmen parallel ergriffen werden, u. a.:

  • die Vermeidung des direkten Kontakts von Menschen mit erkranktem Geflügel,

  • die Ausschaltung der Infektionsquelle durch Tötung der Tiere (ggf. eine Durchimpfung mit dem Ziel, die Virusausscheidung der Tiere zu reduzieren),

  • die Verhinderung von Doppelinfektionen beim Menschen durch Impfung gegen zirkulierende menschliche Influenza-A-Viren, insbesondere dort, wo Tierbestände betroffen sind.

Gleichzeitig müssen die Vorbereitungen auf den „worst case“ der Entstehung eines Pandemievirus vorangetrieben werden. Die rasche Entwicklung einer Vakzine gegen das aktuelle H5N1-Virus steht dabei an erster Stelle, aber auch andere Maßnahmen im Rahmen der Influenzapandemieplanung auf nationaler und internationaler Ebene, wie z. B. die Bevorratung mit antiviralen Medikamenten zur Frühtherapie und Prophylaxe, müssen parallel forciert werden. Hierbei handelt es sich um ein ganzes Maßnahmenpaket, dessen schrittweise Umsetzung mehrere Jahre Vorbereitung erfordert. Denn die Frage nach dem Auftreten einer neuen Influenzapandemie lautet nach Meinung aller Experten nicht „ob?“ sondern nur „wann?“ [22].

Dengue-Fieber

Epidemiologie

Dengue-Fieber und seine schweren Verlaufsformen, das Dengue-hämorrhagische Fieber (DHF) bzw. Dengue-Schocksyndrom (DSS), werden durch 4 Dengue-Virustypen (DEN-1, DEN-2, DEN-3, DEN-4) verursacht, die zu den Flaviviren gehören. Etwa 2,5 Mrd. Menschen leben in den betroffenen Gebieten. Weltweit treten jährlich schätzungsweise 50 Mio. Fälle von Dengue-Fieber, mehrere Hunderttausend Fälle von DHF und 10.000 bis 20.000 Todesfälle auf.

In den letzten Jahrzehnten hat Dengue-Fieber in vielen Ländern vor allem im Zusammenhang mit großen Ausbrüchen dramatisch zugenommen und sich geografisch weiter ausgebreitet [6]. Ein Beispiel hierfür ist die Dengue-Epidemie in Brasilien im Jahre 2001, die insbesondere auch Rio de Janeiro und das Umland erfasste. Auch in Südostasien ist das Dengue-Fieber in große urbane Siedlungsgebiete und in Tourismusregionen vorgedrungen (z. B. Thailand). In manchen Regionen hat sich inzwischen mehr als ein Dengue-Virustyp etabliert, was das Risiko von DHF/DSS erhöht.

Etwa 3 Mio. Menschen aus Deutschland reisen jedes Jahr in Dengue-Endemiegebiete. Der Nachweis von Dengue-Virusinfektionen ist seit 2001 nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) meldepflichtig. Im Jahre 2001 wurden 60 Fälle an das Robert Koch-Institut übermittelt, in 2002 stieg die Zahl auf 231 erfasste Fälle an. Knapp 40% der Dengue-Infektionen wurden in Thailand erworben, danach folgen Indien, Kambodscha, Venezuela und Indonesien. Der Anteil der aus Brasilien importierten Fälle nahm von 5% in 2001 auf 16% in 2002 zu. Dies spiegelte die massive Dengue-Epidemie in Brasilien Anfang 2002 wider [4]. Im Jahr 2003 ging die Zahl der gemeldeten Fälle auf 133 zurück, erneut war Thailand das wichtigste Infektionsland. In der 2. Jahreshälfte wurden gehäuft Fälle aus Indien importiert, was ebenfalls die dort grassierende Epidemie abbildete. Bisher wurden in Deutschland keine Fälle bekannt, die die WHO-Definition DHF/DSS erfüllten.

In Deutschland ist von einer nicht unerheblichen Dunkelziffer von importierten Dengue-Fällen auszugehen.

Nur ein Teil der infizierten Reisenden entwickelt Symptome, nur ein Teil der Erkrankten sucht einen Arzt auf und auch in diesen Fällen wird nicht immer eine Untersuchung auf Dengue-Fieber durchgeführt. Serologische Untersuchungen haben gezeigt, dass bei etwa 7% der Tropenreisenden mit Fieber eine Dengue-Infektion vorlag [12].

Wie die ersten Erfahrungen zeigen, ist die Surveillance auf der Basis des IfSG jedoch im Sinne eines Frühwarnsystems gut geeignet, Risikogebiete für Reisende identifizieren und entsprechende reisemedizinische Informationen veröffentlichen zu können.

Übertragungswege

Dengue-Viren werden durch Aedes-Moskitos übertragen und sind in über 100 tropischen und subtropischen Ländern verbreitet. Für die großen Epidemien beim Menschen ist ausschließlich die Virusübertragung zwischen Vektor (vor allem Aedes aegypti, in Südostasien auch Aedes albopictus) und Mensch von Bedeutung. Die Aedes-Mücken sind zeitlebens, d.h. 2 bis 4 Monate lang infektiös.

Klinisches Bild

Das Spektrum der klinischen Manifestation reicht von inapparenten oder milden Formen bis zu schweren, unter Umständen letalen Verläufen. Die Inkubationszeit beträgt im Durchschnitt 4–7 Tage (Bereich 2–14 Tage). Das klassische Dengue-Fieber ist gekennzeichnet durch akuten Beginn mit Fieber, Kopfschmerzen, Übelkeit, Lymphknotenschwellungen und besonders schmerzhaften Myalgien („breakbone fever“). Das Fieber dauert mehrere Tage an und weist häufig einen biphasischen Verlauf auf. Bei bis zu 50% der Patienten ist ein makulopapulöses Exanthem zu beobachten. Am Ende der febrilen Phase kann es zu Petechien kommen. Leuko- und Thrombopenie sind häufig, bei einigen Patienten sind die Transaminasen erhöht.

Bei DHF sind neben den klassischen Dengue-Symptomen eine ausgeprägte Blutungsneigung und Zeichen einer erhöhten Kapillarpermeabilität zu beobachten. Beim DSS besteht die Symptomatik des Kreislaufschocks. Beide Komplikationsformen treten vor allem bei Kindern unter 15 Jahren auf. In der Pathogenese scheint die Re-Infektion mit einem anderen Dengue-Virustyp eine wichtige Rolle zu spielen. Die Ko-Zirkulation verschiedener Dengue-Viren in einer Population ist damit ein entscheidender Risikofaktor für DHF und DSS.

Erregerdiagnostik

Eine akute Dengue-Virusinfektion wird durch Untersuchung von Serum oder Plasma mittels Nukleinsäureamplifikationstechniken (z. B. Nachweis viraler RNA durch PCR), Antigentest oder Virusanzucht nachgewiesen oder durch einen mindestens 4fachen Anstieg spezifischer Antikörpertiter zwischen jeweils einer Serumprobe aus der klinischen Akutphase und der Konvaleszenzphase. In der Serologie sind Kreuzreaktionen mit Antikörpern gegen andere Flaviviren möglich (z. B. Gelbfieber, FSME, West-Nil-Fieber). Ein hoher IgM-Antikörpertiter in der Akutphase kann im Zusammenhang mit der Reiseanamnese, dem klinischen Bild und dem anamnestischen Ausschluss möglicher serologischer Kreuzreaktionen (z. B. Gelbfieberimpfung) eine Dengue-Infektion wahrscheinlich machen.

Therapie

Die Therapie bei Dengue-Fieber ist symptomatisch, bei DHF/DSS steht vor allem die Kreislaufstabilisierung im Vordergrund. Die Letalität von DHF/DSS kann bei inadäquat behandelten Patienten 20% erreichen, mit modernen intensivmedizinischen Maßnahmen lässt sie sich auf 1% reduzieren.

Prävention

Ein wirksamer Dengue-Impfstoff ist bisher nicht verfügbar. Deshalb kommt der Prävention die entscheidende Bedeutung zu. Reisenden sollten Gebiete mit massiven Dengue-Ausbrüchen meiden. Eine Expositionsprophylaxe gegenüber Moskitostichen ist wichtig und muss aufgrund der überwiegend tagaktiven Dengue-Vektoren konsequent durchgeführt werden.

West-Nil-Virus-Infektion

Epidemiologie

Das West-Nil-Virus (WNV) gehört ebenfalls zu den Flaviviren. Es lassen sich 2 Virussubtypen differenzieren mit unterschiedlicher geografischer Verbreitung. Das Virus wurde erstmals 1937 in Uganda von einer Frau mit einer fieberhaften Erkrankung isoliert. Später zeigte sich eine weite Verbreitung, insbesondere in Afrika, im Mittleren Osten, südwestlichen Ländern Asiens einschließlich Indien, Westrussland und Australien. Bis in die 1990er Jahre hinein wurden vor allem aus Afrika und Israel begrenzte Ausbrüche bei Menschen berichtet, die zumeist mit einer milden fieberhaften Erkrankung einhergingen.

In den letzten Jahren kam es jedoch zu großen Ausbrüchen in Rumänien (1996, mit 352 Fällen), Russland (1999; [8]), Israel (2000) und vor allem in Nordamerika (seit 1999) mit Tausenden von Erkrankten [17]. Die Infektionen verliefen z. T. mit schweren neurologischen Symptomen und verursachten zahlreiche Todesfälle. Die Ursachen für diese auffällige epidemiologische Entwicklung sind noch nicht endgültig geklärt. Eine wichtige Rolle spielt aber wahrscheinlich eine neue virulente Virusvariante, die sich zunächst im Mittelmeerraum und von dort in andere Regionen, unter anderem Nordamerika, ausbreitete.

In Deutschland wurden bisher nur 2 importierte WNV-Fälle aus den USA im Jahre 2003 diagnostiziert. In Frankreich trat im Jahre 2000 in der Nähe der Camargue ein WNV-Ausbruch bei Pferden auf. Im Oktober 2003 kam es dann in dieser Gegend zum ersten Mal seit den 1960ern auch zu vereinzelten Erkrankungsfällen beim Menschen.

Übertragungswege

Die WNV-Infektion ist eine klassische Zoonose. Als Vektoren fungieren Mücken (vor allem nachtaktive Culex-Arten). Vögel stellen unter den Vertebraten den Hauptwirt dar. Zugvögel transportieren den Erreger über weite Entfernungen. Bei einer Reihe von weiteren Tierarten wurde das WNV isoliert (Pferde, Schafe, Wölfe, Katzen, Nager u. a.). Abgesehen von Pferden, bei denen klinische Symptome mit Zeichen der Enzephalitis nicht selten sind, verläuft die Infektion bei den anderen Tierarten meist inapparent. Infektionen mit besonders virulenten WNV-Stämmen können jedoch ein auffälliges Massensterben bei Vögeln verursachen, was in den USA Indiz einer Gefährdung auch von Menschen war.

Serologische Untersuchungen bei Vögeln und anderen Vertebraten deuten darauf hin, dass WNV auch in Europa verbreitet ist.

Die meisten WNV-Infektionen beim Menschen erfolgen durch Moskitostich. Im Rahmen der Epidemie 2002 in USA wurden weitere wichtige Übertragungswege aufgedeckt: perinatale Infektionen kommen vor, eine Übertragung durch Muttermilch ist in Einzelfällen möglich. WNV wurde außerdem durch Organtransplantationen und durch Bluttransfusionen übertragen. Das Risiko einer transfusionsbedingten Übertragung wurde auf dem Höhepunkt der Epidemie für besonders betroffene Städte auf 21 pro 10.000 Transfusionen geschätzt [1].

In Deutschland werden derzeit Blut- und Plasmaspender von der Spende zurückgestellt, wenn sie sich zwischen dem 1. Juni und dem 30. November eines Jahres auf dem nordamerikanischen Kontinent aufgehalten haben und der Tag der Rückkehr weniger als 4 Wochen zurückliegt.

Klinisches Bild

Beim Menschen nimmt die überwiegende Zahl von WNV-Infektionen einen inapparenten oder milden Verlauf. Nach einer Inkubationszeit von 3–14 Tagen entwickeln etwa 20% der Infizierten eine fieberhafte Erkrankung, die einige Tage andauert. Die Symptome umfassen Kopf- und Muskelschmerzen, Übelkeit, Exanthem und generalisierte Lymphknotenschwellungen. Eher selten kommt es zu einem komplizierten Verlauf mit Zeichen der Meningoenzephalitis. Dann ist ein breites Spektrum an neurologischen Symptomen zu beobachten. Über die Hälfte der Patienten mit Enzephalitis leidet an Spätfolgen.

Bei den Ausbrüchen in den letzten Jahren in USA, Rumänien, Israel und Russland lag die Letalität bei den hospitalisierten Patienten zwischen 4% und 14%. Risikofaktoren für einen tödlichen Verlauf sind höheres Alter, Diabetes mellitus und Immunsuppression. Bei neurologischen Erkrankungen von Personen, die sich in den letzten 14 Tagen in Endemiegebieten aufhielten, sollte unter Berücksichtigung der Jahreszeit und der aktuellen epidemiologischen Situation differenzialdiagnostisch auch an eine WNV-Infektion gedacht werden.

Erregerdiagnostik

Die Diagnose einer WNV-Infektion kann durch den direkten Virusnachweis (z. B. PCR) oder auch serologisch erfolgen (Nachweis WNV-spezifischer IgM-Antikörper, mindestens 4facher Titeranstieg zwischen Akutphase-Serum und Rekonvaleszenten-Serum; [14]). Mögliche Kreuzreaktionen mit anderen Flaviviren müssen berücksichtigt werden (Dengue, Gelbfieber, FSME, Japanische Enzephalitis, St.-Louis-Enzephalitis). Dabei spielt auch die gezielte Reiseanamnese eine wichtige Rolle.

Zurzeit werden in Deutschland epidemiologische Untersuchungen (Surveys bei Vögeln, Pferden, ausgewählten humanen Populationen) zum Vorkommen von WNV bzw. zur Prävalenz von WNV-Antikörpern durchgeführt, um das Gefährdungspotenzial für die Bevölkerung besser einschätzen zu können.

Prävention

Da die Übertragung überwiegend durch nachtaktive Mückenarten erfolgt, ist bei Aufenthalten in Gebieten mit bekannter WNV-Aktivität eine Expositionsprophylaxe erforderlich.

Fazit für die Praxis

Das Auftreten weiterer neuer Infektionskrankheiten in der Zukunft ist wahrscheinlich. Ebenso werden immer wieder Reisende nach Deutschland zurückkehren, die sich in Reiseländern infizieren, deren Erkrankung sich aber in Deutschland manifestiert. Wichtig ist, dass diese Erkrankungen in die Differenzialdiagnose miteinbezogen und mikrobiologisch bestätigt werden, da häufig eine frühzeitig eingeleitete Therapie die Prognose beeinflusst. Eine routinemäßig erhobene Reiseanamnese kann dazu entscheidende Hinweise geben. Die mikrobiologische Bestätigung ist auch als Ausgangspunkt für die unverzügliche Meldung ans Gesundheitsamt und die Weiterleitung von dort über die Landesstelle ans RKI wesentlich. Nur so können Informationen über eine gestiegene Gefährdung in bestimmten Gebieten zeitnah an die Fachöffentlichkeit für die reisemedizinische Beratung und an die Bevölkerung für die Prävention gegeben werden.