Die Einführung einer potenten antiretroviralen Kombinationstherapie als "highly active antiretroviral therapy" (HAART) hat zu einer deutlichen Reduktion von Morbidität und Mortalität durch HIV und AIDS geführt [1]. Standardtherapie ist heute eine Kombination aus wenigstens 3 verschiedenen Substanzen mit dem therapeutischen Ziel der Suppression der HIV-Replikation mit einer plasmatischen Viruslast unter der Nachweisgrenze. Mit dieser Therapie und ihren Prinzipien hat sich die Lebenserwartung HIV-infizierter Patienten in den letzten Jahren drastisch verbessert. Die Verlängerung des AIDS-freien Überlebens bedeutet bei den derzeitigen Therapiemöglichkeiten für die meisten Patienten eine lebenslange Therapie, zumindest jedoch eine über Jahrzehnte fortgesetzte Behandlung. Damit treten Aspekte der Verträglichkeit und Langzeitnebenwirkungen in den Vordergrund.

Metabolische Veränderungen unter HAART

Zu unterscheiden sind einerseits substanzspezifische akute oder auch chronische Nebenwirkungen, die durch einen Substanzaustausch oder symptomatische Therapie in der Regel gut beherrschbar sind, andererseits metabolische, eher substanzklassenabhängige Langzeitnebenwirkungen (Tabelle 1). Hier ist zum einen die sog. Lipodystrophie mit einem sehr eigentümlichen Fettverteilungsmuster [2] zu unterscheiden von den Störungen des Glukose- und Fettstoffwechsels sowie der Blutgerinnung. Im Zusammenhang mit der erheblichen Verlängerung der Lebenserwartung haben sich durch die metabolischen Störungen Bedenken im Hinblick auf ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko ergeben. Die Konstellation der Stoffwechselstörungen, z. B. Diabetes mellitus Typ 2 und Hypercholesterinämie, sind als kardiovaskuläre Risikofaktoren eindeutig identifiziert, ihre Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System sind wegen der mindestens mehrjährigen Latenzzeit bisher nicht abschätzbar. In jedem Fall ist bei Patienten mit fortgeschrittener HIV-Infektion bei Abwägen von Nutzen und Risiko einer Therapie der Vorteil der antiretroviralen Behandlung nicht zu bezweifeln. Auch wenn die Pathogenese der metabolischen Störungen nicht geklärt ist, haben neuere Untersuchungen dennoch Detaileinblicke in den Zusammenhang zwischen HAART und metabolischen Komplikationen ermöglicht.

Tabelle 1. Antiretrovirale Medikamente

Bereits 1997 warnte die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) vor dem Auftreten eines Diabetes mellitus bei Patienten unter antiretroviraler Therapie, insbesondere bei Einnahme von Proteaseinhibitoren (PI; [3]). Im Jahr darauf wurde erstmals eine Fettverteilungsstörung in derselben Patientengruppe beschrieben [2]. Diese Fettveränderung wurde in Analogie zu angeborenen Syndromen als Lipodystrophie bezeichnet. Zunächst bei Einnahme von PI beschrieben, konnte sie auch bei Patienten unter einer anderen HAART beobachtet werden. Bereits in den Zulassungsstudien für die PI wurde auf eine Erhöhung der Serumlipide, insbesondere Triglyzeride und Cholesterin hingewiesen.

In der Zwischenzeit ist eine ganze Reihe von metabolischen Störungen beschrieben worden, die mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko bei HIV-infizierten Patienten unter HAART einhergehen können (Tabelle 2).

Tabelle 2. Nebenwirkungen der antiretroviralen Therapie

Lipodystrophie

Als Lipodystrophie wird eine Fettverteilungsstörung bezeichnet, die Patienten oft früher als der behandelnde Arzt bemerken und die sie subjektiv außerordentlich beeinträchtigt. Mit zunehmender Dauer der antiretroviralen Behandlung tritt ein Verlust des Unterhautfettgewebes im Bereich der Wangen und Schläfen ein, die Patienten wirken stark abgemagert und schwer krank. Zusätzlich kommt es zur Reduktion von Fettgewebe an den Extremitäten, vor allem an den Unterschenkeln. Die Patienten beklagen ein verstärktes Vortreten der Venen, besonders unansehnlich bei ausgeprägter Varikosis. Auch am Gesäß kann es zu Fettverlust kommen mit Verlust der normalen Rundung, in einigen Fällen kann auch ein umschriebener Fettverlust mit sehr unregelmäßiger Formung auftreten.

Die Lipodystrophie kann wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes zu einer erheblichen Stigmatisierung der Betroffenen führen, was die Bereitschaft der Patienten zur Fortsetzung der Therapie oft beeinträchtigt.

Bei einem Teil der Patienten entwickelt sich eine Lipodystrophie mit Fettablagerung im dorsozervikalen Nackenbereich ("Stiernacken") und intraabdominell im Bereich des mesenterialen Fetts. Das letztere Phänomen ähnelt stark dem metabolischen Syndrom X bei Typ-2-Diabetes, das mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko assoziiert ist.

Bei Frauen kann es zu einer erheblichen Zunahme des Fettgewebes in der Brust kommen. Lipoatrophie und Lipohypertrophie können bei demselben Patienten gemeinsam, aber auch getrennt vorkommen. Deshalb wurde auch im Englischen—fälschlich—von einem "fat redistribution syndrome" gesprochen. Vereinzelt sind auch Patienten mit lokalisierter Fettzunahme in Form von Lipomen beschrieben.

Erste Querschnittsuntersuchungen haben eine Prävalenz der Lipodystrophie unter HAART von 20–75% ergeben. Diese Varianz kann u. a. auf eine bisher nicht allgemein anerkannte Definition mit klaren Diagnosekriterien zurückgeführt werden. Erste prospektive Studien haben unter HAART eine Prävalenz bis zu 90% ergeben. Risikofaktoren für die Entwicklung einer Lipodystrophie sind in Tabelle 3 aufgelistet.

Tabelle 3. Risikofaktoren für die Entwicklung einer Lipodystrophie

Hyperlipoproteinämie

Bei fortgeschrittener HIV-Infektion ist bei therapienaiven Patienten eine erhöhte Konzentration von Triglyzeriden, insbesondere postprandial, zu beobachten, bei normalem oder erniedrigtem Gesamtcholesterin [4].

Nach Therapiebeginn kommt es bereits innerhalb der ersten 3 Monate insbesondere bei Behandlung mit PI zu einem z. T. massiven Anstieg der Triglyzeride, aber auch des Cholesterins [5]. Bei fortgesetzter Therapie bleiben diese Werte auf hohem Niveau weitgehend konstant. Die Zunahme des Cholesterins ist v. a. auf triglyzeridreiche VLDL, aber auch auf eine Erhöhung der LDL-Fraktion [6] zurückzuführen. Nicht selten kommt es zu einer Abnahme des HDL-Cholesterins. Auch der Apolipoprotein-B-Spiegel ist durch eine vermehrte Synthese und einen verzögerten Abbau erhöht [7].

Wurden diese Befunde zunächst auf Proteaseinhibitoren zurückgeführt, so ergab eine Studie mit 3TC, Efavirenz und Tenofovir in der einen und d4T in der anderen Patientengruppe, dass Patienten mit d4T signifikant höhere Cholesterinwerte hatten [8]. Die Gesamtkonstellation der Hyperlipoproteinämie mit einer Erhöhung des LDL-HDL-Quotienten auf 4–6 ist vereinbar mit einem erhöhten Arterioskleroserisiko.

Insulinresistenz, gestörte Glukosetoleranz und Diabetes mellitus

Bei unbehandelten Patienten mit HIV-Infektion findet sich eine signifikant erhöhte Insulinsensitivität [9]. Im Gegensatz dazu führt eine antiretrovirale Therapie zu einer peripheren Insulinresistenz mit Hyperinsulinismus. Diese findet sich bei etwa 50% der mit PI behandelten Patienten, davon mit einem manifesten Diabetes mellitus vom Phänotyp 2 bei 5–10% der Patienten. Auch bei Therapie mit nukleosidalen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren (NRTI) findet sich zu etwa 25% eine eingeschränkte Insulinsensitivität, die jedoch nicht mit einem manifesten Diabetes mellitus vergesellschaftet ist. Etwa ein Drittel der Patienten unter HAART entwickelt eine gestörte Glukosetoleranz [10].

Laktatazidose

Die Laktatazidose ist eine lebensgefährliche Komplikation der antiretroviralen Therapie. Sie tritt besonders häufig in der Schwangerschaft bei Behandlung mit d4T und ddI auf. Daher ist diese Kombination in der Schwangerschaft kontraindiziert.

Insgesamt ist die Laktatazidose glücklicherweise ein sehr seltenes Ereignis, das mit den Nukleosidanaloga und darunter—auch unabhängig von einer Schwangerschaft—besonders mit d4T und ddI assoziiert ist. Als Frühsymptome treten sehr unspezifische Symptome wie Übelkeit, Bauchschmerzen und Muskelkrämpfe oder Hyperventilation auf, in diesem Stadium findet sich immer eine Erhöhung des Serumlaktats. Allerdings wird relativ häufig eine asymptomatische Hyperlaktatämie bis 5 mmol/l bei antiretroviraler Therapie, besonders bei Einschluss der NRTI, beobachtet, ohne dass ein erhöhtes Laktat einen relevanten prädiktiven Wert für die Entwicklung einer Laktatazidose darstellt. Bei vermehrter Bildung von Laktat kommt es nur bei einer verminderten Laktatclearance durch eine begleitende Lebererkrankung zu einer Laktatazidose. Bei erhöhtem Laktat und den bereits genannten unspezifischen Symptomen ist die antiretrovirale Therapie sofort abzusetzen. Wenn dies zu spät geschieht, kann es trotz intensivmedizinischer Behandlung zum Exitus letalis kommen.

Pathogenetische Aspekte

Mitochondriale Dysfunktion

Die verschiedenen zugelassenen NRTI können in unterschiedlichem Ausmaß zu einer Hemmung der mitochondrialen DNA-Polymerase-γ, dadurch zur verminderten Synthese der mitochondrialen DNA und somit zu einer Störung der zellulären Energiegewinnung führen [11]. Dies kann die relativ häufig beobachteten NRTI-assoziierten Nebenwirkungen wie Panzytopenie und Polyneuropathie auslösen, sicher spielen die NRTI allerdings auch eine Rolle bei der Entwicklung der Lipodystrophie. Offenbar haben PI und NRTI auf dieses Krankheitsbild eine synergistische Wirkung.

Die Laktatazidose entsteht durch eine erhöhte Laktatproduktion bei gleichzeitiger Verminderung der Elimination. Die Mitochondrien sind die aeroben Energielieferanten der Zellen. Kommt es durch NRTI zu einer verminderten mitochondrialen DNA-Synthese, so müssen alternative Wege der Energiegewinnung beschritten werden, nämlich die anaerobe Glykolyse mit Laktatbildung. Bei der mitochondrialen Toxizität handelt es sich um ein langfristiges Problem, das Laktat kann akkumulieren und bei Vorliegen weiterer begünstigender Faktoren wie einer chronischen Leberschädigung, etwa einer Leberzirrhose, zur lebensbedrohlichen Laktatazidose führen.

Da bei Patienten unter d4T-Therapie sowohl die Laktaterhöhung als auch die Lypodystrophie häufiger als bei anderen NRTI auftreten, könnte die mitochondriale Toxizität einen begünstigenden Faktor für die Lypodystrophie darstellen: Fettsäuren werden im Normalfall aus dem Blut carnitingebunden in die Mitochondrien transportiert, um dort die β-Oxidation zur Energiegewinnung zu durchlaufen. Eine mitochondriale Schädigung kann einen solchen Vorgang erschweren und zur metabolischen Störung führen. Unabhängig von der mitochondrialen Toxizität führen NRTI zu einer reduzierten Lipidaufnahme in Adipozyten [12, 13] und einer vermehrten Adipozytenapoptose.

Hyperlipoproteinämie

Die in der HAART eingesetzten Proteaseinhibitoren sind relativ spezifisch für die virale Protease, können jedoch auch zelluläre Enzyme inhibieren. Zwischen dem katalytischen Zentrum der viralen Protease und dem aktiven Zentrum zweier zellulärer Proteine der Leber besteht eine etwa 60%ige Homologie. Das erste Enzym ist das "cytoplasmatic retinoic acid binding protein type 1" (CRABP-1), das für die Differenzierung von Adipozyten über einen auf peripheren Fettzellen befindlichen Rezeptor notwendig ist. Ohne die Interaktion von CRABP-1 mit diesem Rezeptor kommt es zu einem Fettschwund und zur Apoptose der Adipozyten [14]. Bei einer Adipozytendysfunktion kommt es darüber hinaus zu einem Anstieg von freien Fettsäuren und Triglyzeriden im Plasma.

Das 2. Enzym mit einer Homologie zur viralen Protease ist das "lipoprotein-receptor-related protein" (LRP), das für den Abbau von Chylomikronen und Triglyzeriden in der Leber verantwortlich ist. Eine Hemmung dieses Enzyms durch PI könnte demnach zu einer Störung des Chylomikronen- und Triglyzeridabbaus führen.

Insulinresistenz

Die Pathogenese der Insulinresistenz ist multifaktoriell. Anfangs führt die Insulinresistenz zu einer Hyperinsulinämie mit normalen Nüchtern- und postprandialen Glukosespiegeln, bei abnehmender Insulinsensitivität kommt es zunächst zu pathologischen postprandialen Blutzuckerwerten, mit zunehmender Störung der Glukosetoleranz sind auch die Nüchternblutzuckerwerte erhöht, später kommt es durch Erschöpfung der pankreatischen β-Zellen zu einem manifesten Diabetes mellitus Typ 2.

Inwieweit eine genetische Komponente mit Prädisposition zu diesem Diabetestyp bei der Manifestierung des HAART-induzierten Diabetes eine Rolle spielt, ist offen. PI greifen durch eine Hemmung des Glukose-4-Transporters (GLUT-4) an Adipozyten und Muskelzellen unmittelbar in die Glukoseregulation ein [15, 16]. Die Gabe von Indinavir über 4 Wochen bei gesunden Freiwilligen führte zu einer erheblichen Insulinresistenz [17]. Darüber hinaus konnten Behrens et al. 2002 eine vermindert Glukosephosphorylierung bei HAART-behandelten Patienten nachweisen [18]. Dadurch kam es zu einer Abnahme der Glukoseaufnahme im Skelettmuskel um 66%. Weiterhin führen PI zu einer verminderten Expression des adipogenen Faktors SREBP-1, das seinerseits PPAR-γ stimuliert mit dem Effekt einer Differenzierung der Adipozyten und Sensitivierung gegenüber Insulin. Die Hemmung von SREBP-1 führt also zur Hemmung von PPAR-γ und dies zu einer verzögerten Zelldifferenzierung mit Insulinresistenz [19].

Nicht zuletzt bewirken die vermehrt produzierten freien Fettsäuren eine Verminderung der PI-3-Kinase-Phosphorylierung und damit eine Verstärkung der Insulinresistenz [20]. Des Weiteren kommt es unter HAART zu einer verminderten Expression von Adiponektin, einem sekretorischen Protein aus dem Fettgewebe mit der Potenz, die Insulinsensitivität zu verbessern [21].

Lipodystrophie

Alle bisher genannten Effekte der NRTI und PI führen in einem vielfältigen Beziehungsgeflecht zur Lipodystrophie. Diese ist—wie bereits erwähnt—in eine lipoatrophische und eine lipohypertrophische Komponente zu unterteilen. Unter dem Einfluss der antiretroviralen Substanzen kommt es zu einer Vermehrung des metabolisch außerordentlich aktiven viszeralen Fettgewebes, während diese Substanzen lipolytisch auf das subkutane Fettgewebe in Gesicht und Extremitäten wirken. Die pathogenetische Ursache für die Entwicklung einer Lipodystrophie ist demnach in einer Dysfunktion des Fettgewebes und damit der einzelnen Fettzellen zu sehen [22].

Kurzfristige Effekte der PI auf das Fettgewebe finden sich in Form einer Inhibition von GLUT-4 und einer rasch auftretenden und reversiblen Insulinresistenz [23]. Dadurch kommt es zu einer verminderten Differenzierung der Adipozyten und zu einer verstärkten Apoptose, deren Ausmaß von den PI-Strukturen abhängig ist [24]. Durch den bereits beschriebenen Effekt auf SREBP-1 kommt es ebenfalls zu einer vermehrten Insulinresistenz und verminderten Differenzierung der Adipozyten [24, 25]. Außerdem wird die intrazelluläre Funktion des Laminanetzwerkes gestört [13]. Bei der familiären partiellen Lipodystrophie vom Typ Dunnigan konnten kürzlich Mutationen in den Lamin-A/C-Genen als verantwortlich nachgewiesen werden [26].

Ein weiterer Mechanismus der PI mit abnormer Reaktion von Adipozyten besteht in einer vermehrten Sekretion von TNF-α und IL-6 in den Adipozyten [27]. TNF-α seinerseits bewirkt ebenfalls eine Reduktion der Adipozytendifferenzierung und eine verstärkte Insulinresistenz. Darüber hinaus hemmt es die Expression von SREBP-1 [28]. Nicht zuletzt kann TNF-α auch die mitochondriale Funktion alterieren, mit verstärkter Produktion reaktiver Oxygenspezies und einer verstärkten Adipozytenapoptose.

Insgesamt betrachtet führen also PI zu einer Verminderung der Expression von Differenzierungstranskriptionsfaktoren und adipogenen Markern wie SREBP-1, PPAR-γ, C/EBP-α und GLUT-4, die an der Aufrechterhaltung der Insulinsensitivität beteiligt sind [29]. Die Insulinresistenz führt wiederum zu Erhöhung der freien Fettsäuren [30, 31] und wie erwähnt zu reduzierten Spiegeln von Adiponektin und verstärkter Aktivierung von TNF-α, Befunde, die mit metabolischen Alterationen unter HAART korreliert sind [32, 33].

Die bedeutsame Rolle von TNF-α in der Entwicklung der Lipodystrophie geht auch daraus hervor, dass bei Patienten mit LD eine erhöhte Expression und Sekretion von TNF-α sowie löslichen TNF-Rezeptoren gefunden wurde [34, 35]. Darüber hinaus korrelierten die Spiegel der löslichen TNF-Rezeptoren 1 und 2 eng mit der Zahl der apoptotischen Adipozyten [14]. Nicht zuletzt ließ sich ein Polymorphismus G/A in der Position −238 im TNF-α-Gen mit erhöhter Frequenz bei Patienten mit Lipodystrophie nachweisen [36, 37].

Während die genannten Faktoren vor allem zu einer Verminderung des subkutanen Fettgewebes führen, kommen hormonelle Einflüsse zum Tragen, die eine Zunahme des abdominellen und zervikospinalen Fettgewebes bewirken. TNF-α führt lokal zu einer verstärkten Expression und Aktivität der 11-β-Hydroxysteroiddehydrogenase Typ 1 (11-β-HSD1; [38]). Dies führt zu einer verstärkten Synthese von Kortisol und einer Erhöhung des Kortisol/DHEA-Quotienten [35, 39]. Die Folge davon ist die Hypertrophie des viszeralen Fettgewebes. Nach Befunden von Rietschel [40] findet sich bei HIV-infizierten Patienten eine Verminderung der Konzentration von Wachstumshormon (GH) mit reziproker Korrelation zum viszeralen Fettgewebe. Aus mehreren Studien ist bekannt, dass die Behandlung mit rekombinantem GH zur Abnahme des viszeralen Fettgewebes führt [41, 42, 43].

Metabolische Störungen und KHK-Risiko

Wie bereits beschrieben ist die Konstellation der metabolischen Veränderungen unter HAART vereinbar mit einem klar erhöhten kardiovaskulären Risiko (Tabelle 4). Ob sich jedoch aus der Befundkonstellation tatsächlich eine erhöhte Inzidenz ergibt, ist offen. Der Zeitfaktor wird eine wichtige Rolle für das KHK-Risiko spielen. Zum einen wird es Jahre bis Jahrzehnte dauern, bis sich ein solches Risiko als relevant erweist. Zum anderen werden große Anstrengungen unternommen, das Risiko für eine KHK durch entsprechende Therapiekombinationen und die Entwicklung von neuen Substanzen ohne metabolische Nebenwirkungen zu reduzieren.

Tabelle 4. Metabolische Veränderungen mit erhöhtem kardivaskulärem Risiko

Mehrfach wurden inzwischen Gefäßkomplikationen unter antiretroviraler Therapie beschrieben [44, 45]. In mehreren retrospektiven Analysen wurden sich widersprechende Resultate zu Inzidenz und Prävalenz von kardiovaskulären Ereignissen mitgeteilt. In der großen Beobachtungsstudie EuroSida wurde die relative Rate von Herzinfarkten pro zusätzliches Jahr antiretroviraler Kombinationstherapie mit 1,26 angegeben [46]. In einer retrospektiven Analyse von Bozzette et al. [47] wurde bei fast 37.000 Patienten mit HIV-Infektion und Therapie innerhalb von 4 Jahren keine Zunahme, im Gegenteil sogar eine Abnahme der Rate von Herzinfarkten beobachtet. Auch diese Studie war retrospektiv angelegt und betraf einen relativ kurzen Zeitraum, sodass endgültige Aussagen zu dem grundsätzlichen Problem bisher nicht gemacht werden können.

Therapiemöglichkeiten

Da die metabolischen Veränderungen sowie die Lipodystrophie eindeutig Folge der antiretroviralen Therapie sind, wird das Absetzen der HAART ihr Auftreten verhindern oder wahrscheinlich zur Rückbildung führen (Tabelle 5). Dann aber nimmt die HIV-Infektion ihren üblichen, nämlich deletären Verlauf. Eine Reihe von Studien prüft, ob Therapiepausen durch Verminderung der Medikamentenexposition die Toxizität reduzieren könnten. Belastbare Daten zu dieser Frage liegen bisher nicht vor. Eine weitere Möglichkeit besteht im Austausch der besonders "schuldigen" Substanzen wie PI und NRTI. Neue, in der Entwicklung befindliche nichtpeptidische PI können ein geringeres Potenzial für diese Toxizitäten haben.

Tabelle 5. Möglichkeiten zur Verhinderung oder Rückbildung (?) der Lipodystrophie

Die metabolischen Veränderungen treten sowohl unter PI als auch unter NRTI auf, besonders häufig, ausgeprägt und schnell aber unter Kombination dieser beiden Medikamentenklassen. Eine antiretrovirale Therapie unter Vermeidung von PI und NRTI ist derzeit aber nicht möglich. Dennoch könnte man die dringendst verdächtigen NRTI wie d4T und ddI durch weniger verdächtige Substanzen wie 3TC und Abacavir oder das neue Nukleotidanalogon Tenofovir ersetzen. "Switch-Studien" mit Austausch von PI auf Abacavir haben erfreuliche Resultate zur Insulinresistenz und Hyperlipidämie gezeigt [48, 49]. Auch der Ersatz von PI durch den nicht-nukleosidalen Reverse-Transkriptase-Inhibitor (NNRTI) Nevirapin hat entsprechende Daten erbracht [50, 51]. Studien, in denen d4T und/oder ddI gegen Tenofovir ausgetauscht werden, wurden begonnen, Ergebnisse liegen bisher nicht vor. Wenn die besonders verdächtigen Substanzen aus dem Therapieregime—aus welchen Gründen immer—nicht entfernt werden können, kann eine symptom- und befundorientierte Therapie durchgeführt werden.

Insulinresistenz und Diabetes mellitus

Ein durch HAART induzierter Diabetes mellitus ist klinisch nicht von einem Typ-2-Diabetes zu unterscheiden. Er ist entsprechend mit Diät, oralen Antidiabetika oder Insulin behandelbar. Da diesem Diabetestyp eine Insulinresistenz zu Grunde liegt, könnten Insulinsensitivatoren wie Metformin oder Glitazonderivate die Sensitivität verbessern. Unter Metformin kam es im Vergleich zu Placebo in der Studie von Hadigan et al. [52] zu einer Verbesserung der Insulinsensitivität, des diastolischen Blutdrucks sowie einer Abnahme des viszeralen Fetts, allerdings auch des subkutanen Fetts.

Zur Intervention mit Glitazonderivaten, Substanzen zur Insulinsensitivierung über eine Aktivierung von PPAR-γ mit reduzierter Lipolyse, liegen bisher 3 Arbeiten vor: Walli et al. [53] mit Troglitazon, sowie Sutinen et al. [54] und Gelato et al. [55] mit Rosiglitazon. In allen 3 Studien fand sich eine Verbesserung der Insulinsensitivität, Verbesserung der Leberfunktion und Abnahme der Fetteinlagerung in der Leber, jedoch keine Veränderung der Lipodystrophie in der kurzen Beobachtungszeit von maximal 24 Wochen. In einer Studie mit Troglitazon an HIV-negativen Patienten mit kongenitaler Lipodystrophie zeigte sich eine dramatische Abnahme der Fetteinlagerung in der Leber sowie eine Zunahme des subkutanen Fettgewebes innerhalb von 6 Monaten [56]. Längere Beobachtungszeiträume sind sowohl für Metformin als auch die verschiedenen Glitazonderivate notwendig, um ein abschließendes Urteil abgeben zu können.

Hyperlipoproteinämie

Die unter HAART auftretende Blutfetterhöhung ist nach Absetzen der auslösenden Medikamente rasch und vollständig reversibel. Unter fortgeführter HAART bewirken Fibrate eine relativ gute Senkung der Triglyzeride, aber nur einen mäßigen Rückgang des Cholesterins. Zudem bewirken sie möglicherweise eine Verminderung der Bioverfügbarkeit der einzelnen HAART-Medikamente. Statine werden ebenso wie die Proteaseinhibitoren über das Cytochrom-P450-System der Leber metabolisiert, sodass Interaktionen mit PI und auch dem NNRTI Efavirenz unvermeidlich sind. Dadurch kann es zu einer Wirkungseinbuße der Substanzen kommen.

Pharmakokinetische Studien haben gezeigt, dass der Metabolismus der meisten Statine und auch eines Teils der Fibrate durch PI—wahrscheinlich durch die inhibitorischen Effekte auf CYP3A4—beeinflusst wird. Lediglich Pravastatin scheint geringere Interaktionen mit PI zu zeitigen. Statine führen jedoch sowohl allein als auch in Kombination mit Fibraten zu einer besseren Lipidsenkung insbesondere des Cholesterins als eine Fibratmonotherapie. Inwieweit eine HAART-induzierte Hyperlipoproteinämie im Hinblick auf das Koronarrisiko therapiebedürftig ist, werden erst Daten zur Langzeitprognose zeigen.

Lipodystrophie

Eine Therapie mit gesicherten, insbesondere durch Studienergebnisse belegten Effekten gibt es bisher nicht. Durch eine Umstellung der HAART auf PI-freie Therapie oder einen Ersatz der in der Gruppe der NRTI am ehesten verantwortlichen Stavudin und Didanosin durch andere NRTI oder das neue Nukleotidanalogon Tenofovir bildet sich—zumindest im bisherigen Beobachtungszeitraum—die Lipodystrophie nicht vollständig und sicher zurück. Bei Vorliegen einer lipoatrophischen Komponente sollten d4T und ddI, wenn immer möglich, durch Alternativen ersetzt werden.

Eine pathogenetisch orientierte Therapie ist wegen des Mangels an Kenntnissen zur Pathogenese bisher in der Klinik nicht umgesetzt worden. Bei der wahrscheinlich zentralen Rolle, die die Insulinresistenz auch in der Entwicklung der Lipodystrophie spielt, sollten längere und größere Studien mit Insulinsensitivatoren durchgeführt werden. Die neuen Ergebnisse aus in vitro-Modellen legen eine Intervention mit TNF-α-Inhibitoren nahe. Da die in der Rheumatologie inzwischen weitgehend etablierten TNF-α-Antikörper beziehungsweise Rezeptorantagonisten nicht unerhebliche, auch infektiologische Komplikationen auslösen, sollten diese bei HIV-Patienten—wenn überhaupt—mit größter Vorsicht und nur in sorgfältig kontrollierten Studien untersucht werden.

Das Problem einer isolierten Lipohypertrophie lässt sich relativ einfach durch körperliches Training, eventuell unterstützt durch Anabolika angehen. Eine Alternative könnte die Applikation von rekombinantem Wachstumshormon sein, das lipolytisch, aber auch diabetogen wirkt. Die bereits erwähnten Fallbeschreibungen, beziehungsweise kleinen Studien, belegen die Wirksamkeit von rekombinantem GH besonders auf die viszerale und zervikospinale Fettansammlung. Im Hinblick auf die vor allem durch PI induzierte Insulinresistenz ist jedoch mit größter Sorgfalt auf die Glukosestoffwechsellage zu achten.

In den letzten 2 Jahren hat es dramatische Fortschritte in unseren pathogenetischen Vorstellungen zur Entstehung der metabolischen Störungen und der Lipodystrophie unter HAART gegeben. Eine Reihe von interessanten Studien lässt sich aus den bereits bisher vorliegenden Befunden konzipieren. "Switch-Studien" und der Einsatz von neuen antiretroviralen Substanzen, die eine entsprechende Toxizität nicht oder nicht in dem bisher bekannten Ausmaß aufweisen, könnten weiter zur Lösung dieses Problems beitragen. Insbesondere die Lipoatrophie hat zu einer erheblichen Reduktion der Bereitschaft der HIV-infizierten Patienten geführt, die Therapie mit der notwendig hohen Compliance durchzuführen. Es wäre sehr bedauerlich, wenn die dramatischen Fortschritte in der Behandlung der HIV-Infektion mit einer erheblichen Verbesserung der Lebenserwartung durch die Nebenwirkungen der antiretroviralen Therapie konterkariert würden.

Fazit für die Praxis

Die Langzeittherapie der HIV-Infektion geht mit erheblichen metabolischen Veränderungen sowie einer Lipodystrophie bei vielen Patienten einher. Schon bei der Auswahl des ersten Therapieregimes sollten die Substanzen mit dem größten Potenzial für diese Störungen, d4T, ddI und Proteaseinhibitoren wenn möglich vermieden werden. Die Konstellation der Stoffwechselstörungen ist mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko vereinbar, ihre Relevanz aber bisher nicht klar. Sind unter einer bestimmten Medikamentenkombination metabolische Störungen aufgetreten, kann bei guter Wirkung der antiviralen Therapie ein Wechsel zu Substanzen mit geringerer Potenz zu entsprechenden Störungen vorgenommen werden. Ist dies nicht möglich, müssen Diabetes und Fettstoffwechselstörungen behandelt werden, immer unter Berücksichtigung der möglichen Medikamenteninteraktionen.