Hintergrund

Muskuloskelettale Erkrankungen sind die häufigste Ursache von chronischem Schmerz und körperlichen Funktionseinschränkungen in der Bevölkerung und können die Lebensqualität gravierend einschränken [1,2,3,4]. Sie verursachen hohe Kosten im Gesundheitswesen und in der Volkswirtschaft. Aus diesen Gründen wurden muskuloskelettale Symptome und Erkrankungen in das Befragungs- und Untersuchungsprogramm der NAKO Gesundheitsstudie aufgenommen [5]. In einem Interview wurden Selbstangaben erhoben und es wurden klinische Untersuchungen zu Schmerzen und Schwellungen an den Finger‑, Knie- und Hüftgelenken durchgeführt, die in bisherigen epidemiologischen Studien keine Entsprechung fanden.

Die muskuloskelettalen Erkrankungen lassen sich in vier zentrale Gruppen einteilen. Dies sind neben Rückenschmerzen die durch degenerative Veränderungen an den Gelenken gekennzeichnete Arthrose, die Osteoporose, deren charakteristisches Merkmal eine Abnahme der Knochendichte ist, sowie chronisch entzündliche Gelenkerkrankungen. Zu allen gibt es umfassende epidemiologische Anknüpfungspunkte.

Global gesehen sind Rückenschmerzen einer der wichtigsten Gründe für Beeinträchtigungen in der Allgemeinbevölkerung [6, 7]. In einem deutschen Survey gaben ca. 70 % der erwachsenen Teilnehmenden an, im letzten Jahr Rückenschmerzen gehabt zu haben, rund 10 % berichteten von Rückenschmerzen, die mit relevanten Beeinträchtigungen einhergingen [8]. Bei rund 20 % der Bevölkerung traten chronische Rückenschmerzen auf [9]. Hinsichtlich der Häufigkeit des Auftretens ist es wichtig, zwischen Populationsepidemiologie und Versorgungsepidemiologie zu unterscheiden. Die Anzahl der Erwachsenen, die mit ihren Rückenbeschwerden im Laufe eines Jahres laut AOK zu Patienten werden, ist mit 25 % gegenüber dem Anteil aller Betroffenen deutlich geringer [10]. Gleichzeitig sind Rückenschmerzen für das Gesundheitsversorgungssystem von hoher ökonomischer Bedeutung. Im Gegensatz zur Arthrose sind Rückenschmerzen mit Funktionsbeeinträchtigungen bei der berufstätigen Bevölkerung wesentlich verbreiteter [11].

Während Rückenschmerz primär durch eine subjektiv erlebte Symptomatik definiert ist, die vor allem bei geringen Beschwerden keinen Krankheitswert haben muss, ist die Situation für die anderen muskuloskelettalen Erkrankungen deutlich komplexer. Deren frühe Stadien können symptomfrei verlaufen und müssen den Betroffenen nicht bekannt sein. Überdies können neben Selbstangaben auch klinische oder radiologische Untersuchungen zur Erfassung der Erkrankung verwendet werden, wodurch sich sehr unterschiedliche Häufigkeiten ergeben können [12].

Prävalenzdaten zu Arthrosen in Deutschland liegen aus verschiedenen Gesundheitssurveys vor, etwa aus der Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS1) des Robert Koch-Instituts von 1997–1999 [13] und einer Befragung von ca. 24.000 Personen im Jahr 2014 im Rahmen der GEDA-Studie. Laut GEDA 2012 gaben insgesamt 28 % der Frauen und 20 % der Männer an, dass bei ihnen jemals eine Arthrose ärztlich diagnostiziert wurde [15]. Es werden mehr als 350.000 Hüft- und Knieendoprothesen jährlich wegen Gelenkverschleißes in Deutschland implantiert [16]. In DEGS1 wurde auch nach Gelenkschmerzen, unter anderem in den Fingergelenken, gefragt. Diese wurden bei gut 8 % der untersuchten Frauen und 4 % der Männer dokumentiert [17]. Die Prävalenzschätzung in DEGS1 differenziert nicht zwischen den verschiedenen Manifestationen einer Arthrose und beschränkt sich auf die berichtete Diagnose [18].

Bis zum Auftreten der ersten Fraktur ist die Osteoporose eine weitgehend asymptomatische Skeletterkrankung [19]. Daher sind Selbstangaben der Betroffenen nur von eingeschränktem epidemiologischen Wert zur Beurteilung der Verbreitung. Goldstandard zur Erfassung ist die Knochendichtemessung, die aber wegen der Strahlenexposition kaum in bevölkerungsbezogenen Studien eingesetzt werden kann [20]. Betroffen sind vor allem Frauen ab 50 Jahren. Überdies beeinflussen Alter, Komorbiditäten und Medikamente das Osteoporoserisiko [21]. Die Prävalenz in Deutschland wurde anhand von Abrechnungsdaten auf 24 % bei Frauen und auf 6 % bei Männern über 50 Jahren geschätzt [22], rund 50 % hatten eine klinisch manifeste Fraktur. Insgesamt ist von einer Unterschätzung der Häufigkeit von Osteoporose auszugehen.

Entzündlich-rheumatische Erkrankungen sind chronische Autoimmunerkrankungen. Bei unzureichender Krankheitskontrolle führen diese aufgrund der Entzündungsaktivität zu Schmerzen und Funktionsverlust am Bewegungsapparat, aber auch zu Gewebeschäden an zahlreichen Organen [23]. Diese können mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einhergehen. Entzündlich-rheumatische Erkrankungen sind seltener als degenerative oder stoffwechselbedingte muskuloskelettale Erkrankungen, jedoch wird geschätzt, dass etwa 2 % der erwachsenen Bevölkerung an entzündlich-rheumatischen Krankheiten leiden [24]. Die Hände stellen den alleinigen Manifestationsort der Fingergelenksarthrosen und den wesentlichen Manifestationsort der rheumatoiden Arthritis dar. Letztere gilt als die häufigste entzündlich-rheumatische Erkrankung. Es gibt wenige Häufigkeitsangaben aus Deutschland und diese variieren je nach Definition, Stichprobe und Verteilung [25]. Die bevölkerungsbezogene Erfassung gestaltet sich vor allem durch die niedrige Prävalenz problematisch.

Mit der vorliegenden Arbeit werden Häufigkeiten wichtiger muskuloskelettaler Symptome und Erkrankungen auf Basis von Daten der deutschen NAKO Gesundheitsstudie beschrieben. Dabei wird die Verteilung der Symptome und Erkrankungsgruppen nach Geschlecht und Alter betrachtet. Die Häufigkeiten werden vor dem Hintergrund weiterer bevölkerungsbezogener epidemiologischer Studien bewertet. Ein epidemiologisches Alleinstellungsmerkmal ist die Durchführung von klinischen Untersuchungen an den Händen, Knien und Hüften, deren Ergebnisse mit Fokus auf Schwellungen und Schmerzen dargestellt werden.

Methoden

Studiendesign

Die Daten wurden in der ersten Hälfte der Basiserhebung der NAKO Gesundheitsstudie von März 2014 bis März 2017 in 18 Studienzentren erhoben. Eingeschlossen wurden über die lokalen Melderegister zufällig ausgewählte Erwachsene, die zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung 20 bis 69 Jahre alt waren. Weitere Voraussetzungen für die Teilnahme waren ein Wohnort im Einzugsgebiet des für das Studienzentrum verantwortlichen Einwohnermeldeamtes und ausreichende Deutschkenntnisse [26]. Die Ziehung der Stichprobe erfolgte alters- und geschlechtsstratifiziert (50 % Männer/Frauen; dabei jeweils 10-Jahres-Altersgruppen: je 10 % in den zwei unteren, je 26,6 % in den übrigen 10-Jahres-Altersgruppen).

Nach Ausschluss von 10 Fällen ohne Altersangaben gingen Daten von 101.779 Studienteilnehmenden aus dem Interview der Basisuntersuchung (Level 1) in die Auswertungen ein. Die klinische Untersuchung der Hand und die Winkelstuhluntersuchung wurden im umfangreicheren Untersuchungsprogramm der sogenannten Level-2-Untersuchungen (N = 28.833) als ein sogenanntes 1‑aus-3-Modul bei 9943 Teilnehmenden durchgeführt. 1‑aus-3-Modul bedeutet, dass die muskuloskelettale Untersuchung optional durchgeführt werden konnte, wenn in einem Studienzentrum ein besonderes Interesse an diesem Thema bestand.

Erhebungsinstrumente

Level-1-Basisuntersuchung: Interview

Das Interview wurde computerunterstützt an allen NAKO-Studienzentren identisch durchgeführt. Erfragt wurde, ob jemals eine der betreffenden muskuloskelettalen Erkrankungen diagnostiziert wurde sowie, bei einer positiven Antwort, deren Behandlung in den vergangenen 12 Monaten. Der Wortlaut der Fragen und Antworten ist in Tab. 1 aufgeführt. Für Rückenschmerzen gab es keine Frage zur Behandlung in den vergangenen 12 Monaten.

Tab. 1 Analysierte Interviewfragen mit muskuloskelettalem Bezug der NAKO Gesundheitsstudie

Level-2-Zusatzuntersuchung: klinische Handuntersuchung und Winkelstuhl

Bei der Handuntersuchung brachte der Untersucher die Hand des sitzenden Teilnehmers in die richtige Position. Die Hand zeigte mit der Handfläche zum Fußboden (Pronation) und war in Höhe der zu untersuchenden Fingergrundgelenke in einem Winkel von etwa 50 Grad im Handgelenk gebeugt und an den Mittelgelenken gestreckt. Jedes Fingergrund- und Mittelgelenk wurde nacheinander mit Zeige- oder Mittelfinger der einen Hand des Untersuchers nach dorsal (oben) gedrückt und mit Zeigefinger und Daumen der anderen Hand palpiert. Wurden beim Abtasten der Gelenke Schwellungen und/oder Druckschmerz erkannt, so wurde dies für das betroffene Gelenk dokumentiert. Eine Gelenkschwellung wurde bei fluktuierender Flüssigkeit, die bei Druck von 3 bzw. 4 Seiten verschiebbar war, oder bei einer proliferativen Schwellung über dem Gelenkspalt angenommen, die bei Druck elastisch und verschiebbar war. Nicht als Schwellung zählte eine derbe, „knochenharte“, nicht verschiebbare Auftreibung des Knochens. Die Teilnehmenden wurden zuvor aufgefordert, empfundene Schmerzen bei der Untersuchung zu äußern. Jede Gelenkuntersuchung endete mit der gezielten Frage, ob der Druck auf das Gelenk schmerzt. Als Druckschmerz wurde jede Form von Schmerzreaktion gewertet und diese für jedes Gelenk dokumentiert. Beispiele für Schmerzreaktionen waren: spontane Schmerzäußerung, Angabe von Schmerz auf Befragen oder Fluchtreaktionen.

Bei der Winkelstuhluntersuchung wurde, nachdem die teilnehmende Person auf dem Winkelstuhl Platz genommen hatte, zunächst das Vorliegen von Ruheschmerzen an Knie und Hüftgelenk erfragt. Dann erfolgte die Untersuchung der passiven Hüft- und Kniebeweglichkeit als Hinweis auf eine mögliche Bewegungseinschränkung sowie auf knöcherne Anbauten oder Bewegungsreiben bei aktiver Bewegung am Kniegelenk. Ergebnisse zu letzteren Untersuchungen wurden in der vorliegenden Arbeit nicht berücksichtigt, da der Fokus dieses Papers auf muskuloskelettalen Diagnosen und Schmerzen bzw. Schwellungen liegt.

Den Untersuchungen liegen standardisierte Prozeduren (SOP) zugrunde, die Untersucher wurden geschult und an Gesunden und Patienten trainiert. Hierzu wurden sowohl zentrale Schulungen als auch Einweisungen am jeweiligen Zentrum durchgeführt. Mittels Intraklassenkorrelation berechnete Untersuchereinflüsse liegen für die einzelnen Items zu Schmerzen ≤0,01 sowie für Schwellungen ≤0,04, wobei ein niedrigerer Wert einen geringeren Untersuchereinfluss indiziert.

Auswertung

Die Beschreibung der Verteilung einzelner Variablen erfolgte mittels absoluter (N) und relativer Häufigkeiten (%). Wegen der stratifizierten Stichprobenziehung mit Untergewichtung der Studienteilnehmenden unter 40 Jahren wurden die Ergebnisse nach Geschlecht und Altersgruppe in 5‑Jahres-Schritten auf die deutsche Standardbevölkerung 2011 standardisiert [27]. Die ungewichteten Ergebnisse sind im Online-Zusatzmaterial (Tab. S1, S2 und S3) zu finden; bei ihnen fallen die relativen Häufigkeiten entsprechend dem geringeren Ziehungsanteil der unter 40-Jährigen für die untersuchten Erkrankungen konsistent höher aus.

Die Assoziationen der Outcomes mit dem Alter wurden mittels fraktionaler Polynome modelliert, um potenziell nichtlineare Zusammenhänge besser zu beschreiben [28]. Zugelassen wurden für den Haupteffekt des Alters funktionale Formen mit bis zu 3 Freiheitsgraden, Potenzen wurden aus der Menge [−2 −1(.5)1 2 3] ausgewählt. Ein Test zwischen unterschiedlichen funktionalen Formen fand auf Basis von Devianztests mit p < 0,01 statt. Die binären Endpunkte wurden mittels logistischer Regression modelliert, als Ergebnis sind in den Grafiken vorhergesagte Wahrscheinlichkeiten angegeben. Prädiktoren waren Alter in Jahren, Geschlecht sowie ein Produktterm zwischen Alter (zentriert) und Geschlecht.

Für die Hand- und Winkelstuhluntersuchung wurden mehrere Ausschlusskriterien definiert. Eingeschlossen wurden nur Ergebnisse von Studienassistenten, die mindestens 30 Personen untersucht haben, um einen ausreichenden Trainingsstand sicherzustellen. Die Winkelstuhluntersuchung wurde von insgesamt 119 Untersuchern durchgeführt, davon untersuchten 56 mindestens 30 Teilnehmende. Nach Ausschluss der Studienassistenten mit wenigen Untersuchungen verblieben 8470 (94,9 %) Teilnehmende für die weiteren Auswertungen. Bei der Handuntersuchung verblieben 57 von 122 Studienassistenten mit insgesamt 9155 (94,6 %) untersuchten Teilnehmenden. Zudem wurde ein Untersucher ausgeschlossen, bei dem im Rahmen der Qualitätssicherung mutmaßliche Falscheintragungen auffielen, begründet durch Serien von alternierenden, inhaltlich unmöglichen Ja‑/Nein-Eintragungen. Sämtliche Datenwerte dieses Untersuchers (n = 122) wurden nicht berücksichtigt. Überdies wurden bei der Winkelstuhluntersuchung 80 Teilnehmende mit einem Körpergewicht über 130 kg ausgeschlossen, die entgegen der SOP-Anweisung untersucht wurden, obwohl der Winkelstuhl nicht für ein solches Übergewicht konzipiert ist. Bei 83 Teilnehmenden konnte keine vollständige Knie-, bei 95 Teilnehmenden keine Hüftuntersuchung stattfinden, was vor allem bei künstlichem Gelenkersatz der Fall war. Da sowohl die Knie- als auch die Hüftuntersuchung im Winkelstuhl stattfanden, wurden alle Teilnehmenden ausgeschlossen, bei denen mindestens ein Gelenk nicht untersucht werden konnte. Damit verblieben für die Analysen zum Winkelstuhl 8051 (90,2 %) der 8928 Teilnehmenden, die das Modul begonnen hatten. Für die Handuntersuchung betrug die entsprechende Zahl 9076 (93,3 %) von 9725 Teilnehmenden.

Alle Analysen wurden syntaxbasiert durchgeführt mit Stata 15 (Version 15.1, Stata Inc ®, College Station, TX, USA).

Ergebnisse

Stichprobenbeschreibung und Teilnahme an den Untersuchungen

Im Beobachtungszeitraum nahmen in den 18 bundesweit verteilten Studienzentren 54.520 Frauen (53,6 %; Alter Mittelwert (M): 51,5 Jahre, Standardabweichung (SD): 12,35; Spannbreite 20–73 Jahre) und 47.259 Männer (46,4 %; Alter M: 52,5 Jahre, SD: 12,32; Spannbreite 20–75 Jahre) am Interview (Level 1) der NAKO Gesundheitsstudie teil.

Die klinischen Untersuchungen an der Hand sowie an den Knien und Hüften wurden an insgesamt 11 Studienzentren angeboten. Von den 9370 Teilnehmenden, die nach den o. g. Ausschlüssen berücksichtigt wurden (n = 7757 nahmen an beiden Untersuchungen teil, 294 nur an der Winkelstuhluntersuchung, 1319 nur an der Handuntersuchung), waren 4746 Frauen (50,4 %; Alter M: 50,9 Jahre, SD: 11,9; Spannbreite 20–73 Jahre) und 4624 Männer (49,6 %; Alter M: 51,4 Jahre, SD: 12,0; Spannbreite 20–72 Jahre).

Häufigkeit muskuloskelettaler Erkrankungen im Überblick

Auf der Grundlage der Selbstberichte der Teilnehmenden sind die jemals diagnostizierten andauernden Rückenschmerzen (22,5 %) sowie Erkrankungen aus dem Bereich der Arthrosen (20,6 %) am häufigsten (Tab. 2). Mit jeweils ca. 11 % folgten die Arthrose der Kniegelenke (Gonarthrose) sowie die mäßigen bis starken Rückenschmerzen. Die Osteoporose trat seltener auf (2,9 %).

Tab. 2 Relative Häufigkeiten muskuloskelettaler Erkrankungen, alters- und geschlechtsstandardisiert, in der NAKO Gesundheitsstudie zur Halbzeit der Basiserhebung

Unter den jemals diagnostizierten Erkrankungen aus dem Formenkreis rheumatischer Erkrankungen wurde die rheumatoide Arthritis mit 1,9 % am häufigsten genannt. Ein jemals diagnostizierter Morbus Bechterew, systemischer Lupus erythematodes oder ein Sjögren-Syndrom wurde jeweils von deutlich weniger als 1 % der Teilnehmenden berichtet.

Die Handuntersuchung ergab bei 6,0 % der Teilnehmenden Schmerzen an mindestens einem Fingergelenk sowie bei 2,4 % Schwellungen an mindestens zwei Gelenken (Tab. 3). Die Fingermittelgelenke waren konsistent häufiger von Schmerzen bzw. Schwellungen betroffen als die Fingergrundgelenke (Abb. 1). Die rechte Hand war stärker betroffen als die linke, vor allem am Zeige- und Mittelfinger.

Tab. 3 Relative Häufigkeiten, alters- und geschlechtsstandardisiert, von Schmerzen und Schwellungen in den Fingergelenken. Daten der NAKO Gesundheitsstudie zur Halbzeit der Basiserhebung
Abb. 1
figure 1

Verteilung von Schmerzen und Schwellungen in den Fingergelenken auf Basis der klinischen Handuntersuchung. Dargestellt sind auf die deutsche Standardbevölkerung im Jahr 2011 gewichtete Wahrscheinlichkeiten. Daten der NAKO Gesundheitsstudie zur Halbzeit der Basiserhebung

In der Winkelstuhluntersuchung lag bei 8,2 % ein Ruheschmerz in mindestens einem Knie vor (Tab. 4). Mindestens eine Hüfte war bei 5,1 % von Ruheschmerzen betroffen.

Tab. 4 Relative Häufigkeiten, alters- und geschlechtsstandardisiert, von Ruheschmerz in Knie- und Hüftgelenken auf Basis der Winkelstuhluntersuchung. Daten der NAKO Gesundheitsstudie zur Halbzeit der Basiserhebung

Geschlechterverteilung und Alterswendigkeit

Frauen berichteten häufiger von muskuloskelettalen Erkrankungen als Männer mit Ausnahme von Morbus Bechterew, den Männer geringfügig häufiger angaben (Tab. 2). Die Häufigkeiten nahmen mit dem Alter zu (Abb. 2). Je nach Erkrankung bzw. Symptom fielen die Effekte von Alter und Geschlecht unterschiedlich stark aus. Hinsichtlich der Geschlechterunterschiede hoben sich die Osteoporose und die meisten entzündlichen Gelenkerkrankungen von den Rückenschmerzen sowie den Arthrosen durch ein im Verhältnis deutlich häufigeres Vorkommen bei Frauen ab. Der Zusammenhang des Alters mit der Häufigkeit von Rückenschmerzen unterschied sich charakteristisch von dem der anderen Erkrankungen: Der stärkste Anstieg trat bei Rückenschmerzen im jüngeren Erwachsenenalter auf, während dies bei den anderen untersuchten Erkrankungen erst im fortgeschrittenen Erwachsenenalter ab der 5. Lebensdekade der Fall war. Das Ausgangsniveau der selbst berichteten diagnostizierten muskuloskelettalen Erkrankungen lag bei 20-Jährigen nahe bei 0 %, mit Ausnahme andauernder Rückenschmerzen, bei denen das Ausgangsniveau bei rund 6 % lag.

Abb. 2
figure 2

Altersverläufe jemals diagnostizierter muskuloskelettaler Symptome oder Erkrankungen (a–h) auf Basis von Selbstangaben aus dem Interview. Daten der NAKO Gesundheitsstudie zur Halbzeit der Basiserhebung. Die dargestellten Wahrscheinlichkeiten basieren auf logistischen Regressionen mit Alter und Geschlecht sowie dem Produktterm zwischen Alter und Geschlecht. Das Alter wurde mittels Fractional Polynomials nichtlinear modelliert. a Andauernde Rückenschmerzen, b Osteoporose, c Arthrose, d Arthrose der Hüftgelenke, e Arthrose der Kniegelenke, f Arthrose der Fingergelenke, g rheumatoide Arthritis, h Morbus Bechterew

Abb. 2
figure 3

(Fortsetzung)

Diskussion

Die vorliegenden Ergebnisse legen eine hohe Beschwerdelast durch muskuloskelettale Erkrankungen und Symptome in der erwachsenen Allgemeinbevölkerung nahe, insbesondere durch andauernde Rückenschmerzen und Arthrose. Die Beschwerdelast ist zu früheren bevölkerungsbezogenen Erhebungen überwiegend vergleichbar. Die berichteten Häufigkeiten können nicht als genaue Prävalenzschätzungen interpretiert werden, da dies weitere Analysen zu möglichem Selektionsbias durch das Sampling sowie zum Informationsbias erfordern würde.

Für die in der NAKO Gesundheitsstudie gewählte Operationalisierung zur Erfassung chronischer Rückenschmerzen ist der telefonische Gesundheitssurvey des Robert Koch-Instituts von 2003 ein wichtiger Bezugspunkt [9]. Die Angaben in unserer Studie, jemals chronische Rückenschmerzen gehabt zu haben, liegen zwar etwas höher als im Telefonsurvey, bei dem 15,5 % der Männer und 21,6 % der Frauen chronische Rückenschmerzen angaben (NAKO: 19,7 % bzw. 25,2 %). Allerdings ist die Operationalisierung nicht identisch, was neben Stichprobenunterschieden zum beobachteten Unterschied beitragen kann. Gut vergleichbar mit Vorarbeiten ist, mit etwas über 10 %, der Anteil der Teilnehmenden, die mäßige bis starke Rückenschmerzen berichteten [29]. Die verbreitete Vermutung, dass Rückenschmerzen in der Bevölkerung ständig zunehmen, ist in den Jahren 1990 und 2003 mit Surveys aus Lübeck widerlegt worden [30]. Die Krankheitswertigkeit der berichteten Angaben zu Rückenschmerzen kann mit den vorliegenden Daten nur eingeschränkt bewertet werden. Dafür wären ergänzende Angaben zu Funktionsbeeinträchtigungen durch Rückenschmerzen notwendig gewesen.

Die Häufigkeit der behandelten Osteoporose steht im Einklang mit der GEDA-Gesundheitsstudie von 2013–2014, bei der die Daten ähnlich erhoben wurden [14]. Sie zeigen dieselben bekannten Zusammenhänge mit dem Alter sowie eine höhere Prävalenz bei Frauen. Laut Abrechnungsdaten erhalten ca. 2 % der Versicherten ab 50 Jahren eine Therapie wegen Osteoporose [22]. Für jegliche Datenquellen, die auf Basis von Selbstberichten oder Versorgungsdaten basieren, ist eine erhebliche Unterschätzung der Prävalenz wahrscheinlich, da eine Osteoporose lange Zeit symptomfrei verläuft. Selbst bei einer für Osteoporose typischen Fraktur wird die Diagnose häufig nicht gestellt und es wird vermutet, dass nur 20 % der Menschen mit Osteoporose behandelt werden [22].

Rund ein Fünftel der Teilnehmenden gab eine jemals diagnostizierte Arthrose an. Damit ist die Häufigkeit vergleichbar mit Daten der GEDA-2012-Studie, bei der 28 % der Frauen und 20 % der Männer eine entsprechende Angabe machten (NAKO: 17,4 % bzw. 23,6 %). Gleichzeitig liegen die Werte leicht unterhalb einer Bevölkerungsstudie in Herne, im Rahmen derer insgesamt 27,4 % eine Arthrose im Rahmen von Selbstangaben berichteten [31]. Es bestehen jedoch Unterschiede zwischen der anamnestischen Angabe diagnostizierter Arthrose sowie aktuell vorliegender Gelenkschmerzen in Interviews und der Dokumentation von Ruhe- bzw. Bewegungsschmerzen im Rahmen klinischer Untersuchungen. So ergaben Fragen in europäischen Surveys nach dem Vorliegen einer Hüftarthrose überwiegend eine geringere Häufigkeit (0,9–7,0 %; [32,33,34,35,36,37]) als die Frage nach aktuell vorliegenden Hüftschmerzen (7,4–28,5 %; [33, 36, 38,39,40]). Umgekehrt ergab sich in der Framingham-Studie bei 19,6 % der untersuchten Teilnehmenden eine radiologisch gesicherte Arthrose (Kellgren-Lawrence Score ≥2), obwohl nur 4,2 % von schmerzhaften Symptomen berichteten [12]. In unserer Kohorte liegen die Häufigkeiten bezüglich selbst berichteter Hüft- und Kniegelenksarthrose im Interview sowie von den entsprechenden Ruheschmerzen bei der Winkelstuhluntersuchung auf einem ähnlichen Niveau. Vermutlich wird damit die tatsächliche Häufigkeit von Arthrose unterschätzt. Zukünftigen Auswertungen von Daten der NAKO Gesundheitsstudie wird unter Berücksichtigung der Magnetresonanztomographie(MRT)-Untersuchung eine hohe Bedeutung dabei zukommen, um die Ergebnisse der Selbstangaben und der klinischen Untersuchung besser einordnen zu können.

Die in dieser Studie ermittelte Häufigkeit der rheumatoiden Arthritis ist mit 1,9 % etwas niedriger als in DEGS1 (2008–2009), in der 2,5 % der 18- bis 79-Jährigen von einer ärztlich diagnostizierten rheumatoiden Arthritis berichteten [41]. Diese Quellen, die sich ausschließlich auf die selbst berichtete Diagnose beziehen, zeigen höhere Prävalenzen als eine regionale Befragung aus dem Jahr 1989 in Hannover, die 0,6–0,9 % ergab [42], sowie Abrechnungsdiagnosen, die im Bereich von 0,8–1,4 % lagen [25]. Ein möglicher Grund sind Unklarheiten hinsichtlich der Abgrenzung der Arthritis von der weitaus häufiger vorkommenden Arthrose. Eine höhere Prävalenz von über 4 % für Deutschland schätzt eine andere Studie [43] zur globalen Krankheitslast der rheumatoiden Arthritis. Dort wurden aber mit den ICD10-Codes M05–M06.9 und M08.0–M08.89 noch weitere Erkrankungen miterfasst, wie die in Deutschland häufig in Abrechnungen klassifizierte undifferenzierte Polyarthritis (M06.9) und die juvenilen Arthritiden (M08).

Die dokumentierte Prävalenz des systemischen Lupus erythematodes ist mit 0,14 % höher und die des Sjögren-Syndroms mit 0,07 % niedriger als aufgrund bisheriger Daten erwartet, während die Geschlechterverteilung mit einer sehr deutlichen weiblichen Dominanz den Versorgungsdaten entspricht [24]. Die Häufigkeitsangaben zum systemischen Lupus erythematodes entsprechen eher Abrechnungsdaten von 2012 aus Großbritannien [44] als deutschen Abrechnungsdaten aus dem Jahre 2002 [45]. Hier könnten die häufigeren rein kutanen Verläufe zu einer Zunahme der Berichthäufigkeit „Lupus“ führen. Da nicht nach primären und sekundären Formen des Sjögren-Syndroms gefragt wurde, ist die Einordnung schwierig, die Prävalenzangaben variieren je nach Falldefinition stark [46].

Bisherige publizierte klinische Untersuchungen beschränken sich oft auf sehr kleine Fallzahlen, obwohl unlängst die prognostische Überlegenheit der klinischen Untersuchung im Vergleich zur Befragung bei der Fingerpolyarthrose dargestellt wurde. Die vorliegende Studie ermittelt im Gegensatz dazu epidemiologisch erstmals mittels einer klinischen Untersuchung die Häufigkeitsverteilung von Schmerzen und Schwellungen in den Fingergelenken. Die Ergebnisse können zu einer weiteren Validierung der berichteten Diagnosen dienen. In DEGS1 wurden Fingergelenkschmerzen von 8 % der Frauen und von 4 % der Männer angegeben [47]. Die Prozentwerte sind in der klinischen NAKO-Untersuchung vergleichbar (8,5 % bzw. 3,8 %). Die Verteilung der beobachteten Gelenkschwellungen auf die einzelnen Finger ähnelt den jeweils dokumentierten Schmerzen und legt einen Einfluss der natürlichen mechanischen Mehrbelastung der Daumen, Zeige- und Mittelfinger sowie der Mittelgelenke auf die Entstehung möglicher Symptome nahe.

Stärken und Schwächen

Stärken der Studie sind die große Stichprobengröße im Interview und die beiden klinischen Untersuchungen. Hinsichtlich Alter und Geschlecht ist die Auswahl der Teilnehmenden, die an der klinischen Untersuchung teilgenommen haben, der NAKO-Gesamtstichprobe ähnlich. Eine Schwäche ist die für Deutschland nichtrepräsentative Stichprobenziehung. Die NAKO Gesundheitsstudie wurde vor allem an Einrichtungen mit Vorerfahrungen in bevölkerungsbezogenen epidemiologischen Untersuchungen durchgeführt. Die berichteten Häufigkeiten können daher nicht als Prävalenzschätzungen für die deutsche Allgemeinbevölkerung interpretiert werden. Hinzu kommt, dass zwischen der Stichprobenziehung und der Untersuchung bis zu 6 Jahre vergehen konnten, was die Teilnahmewahrscheinlichkeit hoch morbider Personen gesenkt haben könnte. Ergänzende Analysen zu Selektionseffekten wären daher nötig, um die Generalisierbarkeit unserer Befunde auf die Allgemeinbevölkerung besser bewerten zu können. Zudem sollten alle Teilnehmenden der Basisstudie berücksichtigt werden. In diese Auswertung, die einen Zwischenstand darstellt, ging nur ca. die erste Hälfte der Stichprobe ein. Dieser Umstand schränkt die Vergleichbarkeit zu bisherigen Surveys ein, wenngleich die Ergebnisse insgesamt für eine ähnliche Beschwerdelast sprechen.

Informationsbias bei den retrospektiven Angaben hinsichtlich jemals diagnostizierter Erkrankungen ist wahrscheinlich. Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass länger zurückliegende Ereignisse sicher erinnert werden [48]. Zudem muss von einem Problem bei der Abgrenzung von Arthrose und Arthritis ausgegangen werden: Ein Teil der Teilnehmenden, der von der weitaus häufiger auftretenden Arthrose betroffen ist, könnte diese fälschlich als Arthritis bezeichnet haben.

Bei der Durchführung der klinischen Untersuchung spielen potenzielle Untersuchereffekte eine Rolle. Vorliegende Analysen für Schmerzen legen einen eher geringen Einfluss nahe, bei Schwellungen ist der Einfluss etwas höher. Zudem haben viele Untersucher über lange Zeiträume jeweils nur sehr wenige Teilnehmende klinisch untersucht und sind deshalb nicht berücksichtigt worden. Dies hat die auswertbare Fallzahl aber nur geringfügig abgesenkt.

Fazit

Die Auswertungen der Daten zur Halbzeit der NAKO-Basiserhebung belegen eine große Verbreitung von muskuloskelettalen Erkrankungen und Symptomen, insbesondere von andauernden Rückenschmerzen und Arthrose. Die berechnete Beschwerdelast ist mit den Ergebnissen früherer bevölkerungsbezogener Erhebungen vergleichbar. Die berichteten Häufigkeiten können nicht als genaue Prävalenzschätzungen interpretiert werden.