Ein Blick über den Tellerrand kann hilfreich sein, den eigenen Standpunkt zu überdenken: Entwicklungen, aber auch offene Fragen können im Vergleich mit der Situation „draußen“ besser eingeordnet werden!

Die Arbeitsgruppe um Trimmel et al. ermöglicht mit ihrer Publikation „Reform der Notarztausbildung in Österreich – endlich zeitgemäß?“ Lesern aus den deutschsprachigen Nachbarländern einen solchen wichtigen Blick über den Tellerrand [1]. Die Autoren beschreiben den Stand und die Entwicklung der Notarztqualifikation in Österreich mit Fokus auf die präklinische Notfallmedizin und ziehen einen Vergleich mit der Situation in der Schweiz und in Deutschland. Vor dem Hintergrund der Novellierung der Ärzteausbildung und einer damit nicht mehr wie bisher vorliegenden (Basis‑)Qualifikation für die Teilnahme am Notarztdienst warnen die Autoren vor einer Gefährdung der Notarztgestellung in Österreich insgesamt.

Neue Ärzteausbildungsordnung in Österreich ein Hindernis

Die österreichische Gesellschaft für Anästhesiologie, Reanimation und Intensivmedizin (ÖGARI) hatte 2009 ein Dreistufenmodell zur Notarztausbildung vorgelegt. Dieses Stufenmodell sah neben der „allgemeinen Notfallmedizin“ als Basisausbildung für alle Ärztinnen und Ärzte die Ausbildungsstufe „spezielle Notfallmedizin“ für jene im prähospitalen Notarztdienst bzw. in Notfallaufnahmen sowie ein „Additivfach Notfallmedizin“ als höchstes Ausbildungsniveau vor. Das Additivfach mit einem Ausbildungsausmaß von 24 Monaten sollte dabei den Akutfächern Anästhesie, Chirurgie, innere Medizin und Neurologie offenstehen und insbesondere für rettungsdienstliche und innerklinische Leitungsfunktionen qualifizieren. Ein von der Standesvertretung vorgestelltes Curriculum als Reformvorschlag zur Notarztausbildung in Österreich sieht eine mindestens 24-monatige postpromotionelle klinische Ausbildung vor, die Ausbildungsinhalte orientieren sich an publizierten Kennzahlen und Lernkurven, und ein begleitender Notarztkurs umfasst 80 h. In einem Bundesland wurde dieses Ausbildungskonzept an einigen Kliniken bereits umgesetzt.

Im Jahr 2015 führte eine neue Ärzteausbildungsordnung allerdings dazu, dass die vorgeschlagenen Konzepte nicht bzw. nur noch eingeschränkt umgesetzt werden können: Bis dahin war es in Österreich für viele Ärztinnen und Ärzte üblich, vor einer Facharztausbildung die 36-monatige Ausbildung in Allgemeinmedizin als Basisqualifikation, z.B. für eine Tätigkeit als niedergelassener Arzt, zu absolvieren und damit auch das Recht zur selbstständigen Berufsausübung zu erwerben. Letzteres war wiederum Grundlage zum Erwerb der Notarztqualifikation. Mit der präklinischen Tätigkeit als Notarzt kann in Österreich allerdings ohne obligate klinische Erfahrung in der Intensivmedizin, Anästhesiologie oder/und Notaufnahme begonnen werden. Diese klinischen Mindestvoraussetzungen sind z. B. in Deutschland zwischenzeitlich für den Erwerb der Zusatzbezeichnung (präklinische) Notfallmedizin als essenziell und notwendig unumstritten und müssen nachgewiesen werden.

Mit Umstellung der Ärzteausbildungsordnung in Österreich, die nunmehr selbst die Minimalanforderung einer Ausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin zu Beginn nicht mehr vorsieht, fehlt diese Grundlage zum Erwerb der präklinischen Notfallmedizin. Ein drastischer Rückgang der Zahl qualifizierter Notärztinnen und Notärzte und eine schlechtere Qualifikation werden von den Autoren befürchtet.

Eine Erweiterung und Intensivierung der Ausbildung als Voraussetzung für eine Tätigkeit als Notärztin und Notarzt dünnt zwar die verfügbare Anzahl an Notärzten (vermeintlich) aus: Als Grundvoraussetzung für die Teilnahme am Notarztdienst haben die notärztlich Tätigen und insbesondere die zu versorgenden Patienten allerdings Anspruch auf eine ausreichende Qualifikation mit ausreichender vorhergehender klinischer Tätigkeit und Vorbereitung. Dies unterstreichen deutsche und österreichische Untersuchungen die zeigen, dass die hierfür notwendigen Fertigkeiten nicht alleine durch eine Teilnahme am Notarztdienst selbst erlangt werden können [2, 3].

Sind also Abstriche bei der Notarztqualifikation und damit wahrscheinlich auch der Versorgungsqualität zugunsten einer Erhöhung der Anzahl potenziell verfügbarer Notärztinnen und Notärzte ein zulässiger Ansatz? Wie viel klinische Ausbildung ist tatsächlich notwendig, und sind dabei auch alternative Methoden der Ausbildung erlaubt?

Mit Blick auf den damaligen Istzustand der prähospitalen Notfallmedizin in Deutschland wurde in dieser Zeitschrift bereits 2003 eine hohe Anzahl an Notarztstützpunkten als Qualitätskriterium kontrovers diskutiert und von Gries et al. die Frage aufgeworfen, ob nicht eine Ausdünnung der Notarztstandorte und Modifikation des Notarzteinsatzkatalogs unter Selektion der tatsächlich notwendigen Notarzteinsätze mit gleichzeitig höherer Notarztqualifikation und damit auch intensiverer und umfassenderen Notarztausbildung eine auch wirtschaftliche Strategie zur Lösung des „Notarztmangels“ sein könnte. Möglicherweise kann die Bildung von Kompetenzzentren mit entsprechender Notarztgestellung die Lösung für Abmeldungen auch ländlicher Notarztstandorte darstellen. Aus Sicht der Autoren hat ein Gestellungsvertrag mit Kliniken deutliche Vorteile im Vergleich zur Delegation der Sicherstellung an z. B. Rettungsorganisationen oder kassenärztliche Vereinigungen und der dann häufig erfolgenden Besetzung auf Freelancer-Basis [4].

Zunehmende Relevanz: „Berufsbild Notfallsanitäter“

In einer aktuellen Arbeit zur Zukunft der Notfallmedizin in Deutschland zeigte die gleiche Arbeitsgruppe 2017, dass viele der damals gestellten offenen Fragen auch in Deutschland nicht angegangen worden waren und weiter präsent sind [5]. Allerdings wurde als wichtiger Schritt zu einer besseren notfallmedizinischen Versorgungsqualität mit Etablierung des Berufsbildes Notfallsanitäter in Deutschland eine deutlich bessere Qualifikation des nichtärztlichen Personals umgesetzt [6]. Die Aufwertung des Berufsbildes des nichtärztlichen Rettungsdienstfachpersonals gibt die Möglichkeit – unter Einbindung einer gelungenen Supervision durch den Ärztlichen Leiter Rettungsdienst – auf weniger Notarzteinsätze zu fokussieren, die dann aber eine ärztlich-notfallmedizinische Fachexpertise wirklich erfordern. Die Expertise der dann in Zukunft auch wirklich ausreichend gut qualifizierten Notärzte sollte somit den Situationen vorbehalten sein, in denen diese tatsächlich notwendig ist und auch zu einem Überlebensvorteil führen kann [7].

Der Arbeitsgruppe um Trimmel ist für ihre aktuelle kritische, aber auch konstruktive Übersicht zu danken. Der Blick über den Tellerrand zeigt neben der zu lösenden Frage zur zukünftigen Gestellung einer ausreichenden Zahl adäquat qualifizierter präklinisch tätiger Notärztinnen und Notärzte aber auch, dass eine Zusatzweiterbildung „klinische Akut- und Notfallmedizin“ für in der Klinik notfallmedizinisch tätiges ärztliches Personal auch in allen deutschsprachigen EU-Ländern mittlerweile als notwendig erachtet wird und in der Schweiz bereits eingeführt ist. Nach Konsentierung eines Konzepts für eine 24-monatige Zusatzweiterbildung „klinische Akut- und Notfallmedizin“ durch die Deutsche Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA), Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und die deutschen Fachgesellschaften mit hohem Anteil an Notfallpatienten, das zwischenzeitlich auf Länder- und Bundesebene zur weiteren Erörterung vorliegt, bleibt die weitere Entwicklung auch in Deutschland 2018 mit Spannung abzuwarten [8].

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A. Gries