Trotz einer erheblich verbesserten Intensivtherapie stellen die schwere Sepsis und der septische Schock die Haupttodesursache auf nichtkardiologischen Intensivstationen dar. Nach Erkenntnissen der SepNet-Studie ist die Krankenhausletalitätsrate mit ca. 55% weiterhin erschreckend hoch [1]. Für die Verbesserung der Überlebensrate von septischen Patienten sind neue, adjuvante Therapiestrategien dringend erforderlich. In der Klinik kommen etablierte Behandlungspfade der Sepsis (Fokussanierung, antiinfektive Therapie, organsupportive Maßnahmen) zur Anwendung. Unter bestimmten Voraussetzungen können offensichtlich Strategien einer „early goal-directed therapy“ nach Rivers et al. [2] mit der Zielsetzung einer frühzeitigen Stabilisierung der Hämodynamik (Makrozirkulation) und einer Optimierung der Organperfusion (Mikrozirkulation) zu einer eindrucksvollen Reduktion der Letalitätsrate der Sepsis führen. Es bleibt allerdings unklar, ob die im systemischen Blut der Patienten gemessenen metabolischen Parameter [venöse Sauerstoffsättigung (SvO2), Laktatspiegel] lokale oder regionäre Veränderungen der Mikrozirkulation resp. der Zellhomöostase präzise abbilden können.

Eine schwere Dysregulation der inflammatorischen Antwort wird für die Progression der Sepsis verantwortlich gemacht. Ziel vieler – wie wir heute wissen – erfolgloser klinischer Studien war es, diesem Phänomen entgegenzuwirken. Vielversprechende präklinische Ansätze durch den Einsatz von Inhibitoren oder monoklonalen Antikörpern gegen proinflammatorische Zytokine wie z. B. Tumor-Nekrose-Faktor- (TNF-)α oder Interleukin- (IL-)1β scheiterten an der mangelnden Übertragbarkeit der experimentellen Studienergebnisse auf den Menschen und führten z. T. sogar zu einer erhöhten Letalitätsrate [3]. Mitverantwortlich für den Misserfolg dieser älteren Studien war neben einer möglicherweise falschen Stratifizierung der Patientenkollektive auch der monokausale Therapieansatz mit fehlender Berücksichtigung von kompensatorischen antiinflammatorischen Mechanismen („compensatory anti-inflammatory response syndrome“, CARS; [4]) oder falsch gewählten therapeutischen Rahmenbedingungen [5]. Eine antiinflammatorische Intervention kann initial sinnvoll sein, um den autoaggressiven Charakter einer überschießenden Inflammation zu bremsen. Zu einem späteren Zeitpunkt kann diese Intervention u. U. eine Sepsis durch Kompromittierung der notwendigen Abwehrmechanismen zusätzlich aggravieren, die notwendigen Abwehrmechanismen kompromittieren und somit zu einer Schädigung des Wirtsorganismus beitragen.

Einen Meilenstein für ein besseres Verständnis der Komplexität der Immunantwort stellt die Entdeckung humaner Homologe von „Drosophila toll“ dar, einem Protein aus der Fruchtfliege mit essenzieller Bedeutung für die antiinfektive Antwort [6]. Die in Analogie zu Toll im Menschen beschriebene Familie der „Toll-like“-Rezeptoren (TLR) ist als Vertreter der Mustererkennungsrezeptoren für die Fremd-Eigen-Diskriminierung mit hoher Spezifität verantwortlich. Die bisher beschriebenen TLR sind in der Lage, eine Vielzahl von pathogenen Liganden, z. B. bakterielle Wandbestandteile (Lipopolysaccharid, Lipoteichonsäure) oder bakterielle DNA zu erkennen und auf diesem Weg eine Immunantwort zu initiieren. Von besonderem Interesse ist die Beobachtung, dass diese Rezeptoren nicht, wie ursprünglich vermutet, nur auf immunkompetenten Zellen nachgewiesen werden können, sondern auch von Gewebezellen in parenchymatösen Organen exprimiert werden [7]. Dies lässt die Vermutung zu, dass einzelne Organsysteme individuell auf einen inflammatorischen Stimulus regieren können, und ermöglicht eine neue Sichtweise auf das während der Sepsis häufig zu beobachtende Organversagen. Erste Arbeiten dokumentieren einen Zusammenhang zwischen organspezifischer TLR-Aktivierung und Organdysfunktion in verschiedenen murinen Modellen der Sepsis [8].

Der vorliegende Übersichtsartikel „Pathomechanismen des Organversagens – Zelluläre Sauerstoffverwertungsstörung im Rahmen der Sepsis“ von Wendel et al. [10] beschreibt aktuelle molekulare Erkenntnisse einer gestörten Zellfunktion und ihre Bedeutung für das Auftreten einer Organdysfunktion. Entzündungsmediatoren, ein vermehrter oxidativer Stress durch Produktion von „reactive oxygen species“ (ROS) und reaktiven Stickstoffverbindungen („reactive nitrogen species“, RNS) sowie die Bildung von „nitric oxide“ (NO) schädigen die Aktivität und Integrität der mitochondrialen Enzymsysteme sowie der mitochondrialen DNA und besitzen somit direkten Einfluss auf die zelluläre Energiegewinnung. Insbesondere das hochreaktive Peroxynitrit schädigt Nukleinsäuren, Lipide und Proteine und inhibiert die zelluläre Atmungskette. Integrität und Funktion von Organen werden somit auf vielfältige Weise bis hin zum vollständigen Versagen beeinträchtigt; hierbei lässt sich die Ursache bis auf die subzelluläre Ebene zurückverfolgen. Eine mitochondriale Dysfunktion mit gestörter Energiegewinnung in der Atmungskette wurde im Skelettmuskel, in Hepatozyten und für das Krankheitsbild der akuten septischen Kardiomyopathie beschrieben.

Die von den Autoren beschriebenen Schädigungen der subzellulären Funktion sind letztendlich die Folge von Hypoxie, Inflammation und Dysregulation der Mikrozirkulation, denen eine zentrale Bedeutung im Verlauf von Sepsis und septischem Schock zukommt. Ein zu spätes Einsetzen der Therapie führt hier zum Multiorganversagen (MOV) und steigert die Letalitätsrate erheblich [9]. Die wichtigste Therapierationale ist deshalb die Rekrutierung von Kapillaren zur Wiederherstellung der Mikrozirkulation, um dem gestörten Gleichgewicht zwischen Sauerstoffangebot und Verwertung in der Zelle entgegenzuwirken. In der klinischen Praxis hat sich hierzu evidenzbasiert zum einen die frühzeitige und an hämodynamischen sowie metabolischen Zielen ausgerichtete Volumenersatztherapie durchgesetzt [2]. Zum anderen dienen eine Verbesserung des Herzminutenvolumens und/oder die Erhöhung des peripheren Gefäßwiderstands der Kreislaufstabilisierung. Beide Therapiekonzepte suggerieren, dass die Mikrozirkulationsstörung eine einfache Folge des systemischen Perfusionsdrucks ist. Ergebnisse aus der Grundlagenforschung zeigen aber, dass diese Sichtweise die tatsächlichen Vorgänge während einer Sepsis nur unzureichend abbildet [9]. Die Mikrozirkulation ist das Produkt einer großen Zahl an Interaktionen zwischen Endothel, Entzündungszellen und mikrohämodynamischen Veränderungen, die durch resultierende heterogene Blutflüsse das pathologische Bild eines distributiven Schocks verursachen. Wie von den Autoren des Übersichtsartikels gezeigt, ist dies mit komplexen intrazellulären Störungen vergesellschaftet.

Messungen von Größen in der Makrozirkulation (arterieller Mitteldruck, zentraler Venendruck oder pulmonal-kapillärer Verschlussdruck) verfehlen so das Ziel, den Schweregrad und Verlauf einer Sepsis verlässlich abzubilden. Auch die Messung der SvO2 als globalem Evaluationsparameter für die Zirkulation wird angesichts der Komplexität der inflammatorischen Matrix keine gute Hilfestellung für gezielte Eingriffe in den Entzündungsprozess leisten. Es stellt sich die Frage nach alternativen Diagnosekonzepten. Interessanterweise stehen bereits innovative Verfahren wie die orthogonale Polarisationsspektrometrie („OPS imaging“), die Laser-Doppler-Flowmetrie oder die sublinguale und submukosale Kapnographie zur Verfügung. Sie ermöglichen z. T. eine direkte Messung der Mikrozirkulation in der Klinik und werden zurzeit zur Evaluierung von Zielparametern für eine verbesserte Schockbehandlung eingesetzt. Ob eine breite Anwendung folgt, wird die Zukunft zeigen.

Wendel et al. [10] verdeutlichen mit ihrem Beitrag die komplexen zellulären Mechanismen, die das Bild der Sepsis prägen. Es ist allgemein anerkannt, dass pathogene Stimuli inflammatorische Signalwege aktivieren, die zum einen kaskadenartig innerhalb der Zelle verlaufen (vertikal) und zum anderen netzwerkartig mit weiteren Signalpfaden in Verbindung stehen (horizontal). Verkompliziert wird dies noch durch die Tatsache, dass die konsekutive Freisetzung von Entzündungsmediatoren organ- bzw. zellspezifisch verläuft und unterschiedlichen Zeitkinetiken folgt. Angesichts des wachsenden Wissens über die zahlreichen, z. T. parallel ablaufenden und sich gegenseitig beeinflussenden Mediatorsysteme wird es immer fraglicher, ob einzelne im klinischen Alltag gemessene Größen, die zurzeit als „Richtungsweiser“ für eine Therapie fungieren, das Stadium und den möglichen weiteren Verlauf der Inflammation realistisch abbilden können. Somit wird auch klar, warum monokausale Therapieansätze oder Strategien, die den Zeitverläufen der zu modulierenden Mediatoren nicht gerecht werden, vermutlich zum Scheitern verurteilt sind.

Eine der wesentlichen Aufgaben für die Zukunft wird es somit nicht nur sein, die molekularen Mechanismen der Sepsis zu beleuchten, sondern auch Hilfestellungen bei der Entwicklung von verfeinerten diagnostischen Werkzeugen und daraus abgeleiteten effizienteren Therapieansätzen zu leisten. Dazu benötigen wir zwei Dinge ganz besonders: ein noch profunderes Wissen und eine enge Vernetzung von Wissenschaft und Klinik.

P. Knüfermann