Wissen wird nicht im luftleeren Raum produziert, sondern an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit. Diese Feststellung ist in der Wissenschaftsforschung seit mehreren Jahrzehnten zu einem Gemeinplatz geworden – ein Gemeinplatz jedoch, der Fragen aufwirft: Wie kann es sein, dass manche Wissensbestände trotz dieser lokalen und temporalen Gebundenheit internationale Akzeptanz finden? Wie gelangt ein Wissensbestand vom Ort seiner Produktion an andere Orte und wird hier erfolgreich stabilisiert?

Diesen Fragen möchte ich mich im Folgenden nähern, indem ich Techniken und Medien der Mobilisierung bakteriologischen Wissens in den 1880er Jahren an einem konkreten Beispiel untersuche: Ich folge dem „Vater der polnischen Bakteriologie“ (Przybyłkiewicz 1963: 268), Odo Bujwid (1857–1942), auf seinen Reisen zu den Ursprungszentren der Bakteriologie, die Labore von Robert Koch und Louis Pasteur in Berlin und Paris, und analysiere, wie Wissen und Praktiken um pathogene Bakterien gemeinsam mit Bujwid nach Warschau zurückkehrten und hier stabilisiert wurden. Dabei geht es mir nicht darum, in wenigen Seiten eine „Pasteurization of Poland“Footnote 1 zu versuchen. Vielmehr möchte ich mit einem genauen Blick auf die Transportlogistiken die ersten Etappen bei der Stabilisierung der Bakteriologie außerhalb ihres ursprünglichen Entstehungszusammenhangs beschreiben.

Bruno Latour betont, dass die erfolgreiche Ausdehnung von Wissensbeständen davon abhängig ist, die „Dinge“ eines lokalen Akteur-Netzwerks unbeschadet an einen anderen Ort bringen zu können:

Wenn man von seinem gewohnten Weg abweichen und schwer beladen zurückkehren möchte, um andere dazu zu zwingen, ihre gewohnten Wege zu verlassen, besteht das hauptsächlich zu lösende Problem in der Mobilisierung. Man muss fortgehen und mit den ‚Dingen‘ zurückkehren, wenn die Bewegungen nicht vergeblich sein sollen; die ‚Dinge‘ müssen aber in der Lage sein, die Rückreise zu überstehen, ohne Schaden zu nehmen. (Latour 2006: 266, Hervorhebungen im Original)

Die Frage, wie man die Dinge unbeschadet transportiert, hat Latour mit dem Verweis auf eine „Kaskade von immer simplifiziertere[n] Inskriptionen“ beantwortet (ebd.: 281). Durch Techniken der graduellen Transformation dreidimensionaler komplexer Zusammenhänge (zum Beispiel eines Labors) in immer reduziertere und flachere Formen stehen am Ende einer solchen Kaskade eine Graphik, ein Diagramm oder eine Statistik auf der zweidimensionalen Papierfläche, die mobil, aber auch unveränderlich sind. Es sind derartige papierne immutable mobiles , die nach Latour einen Wissensbestand in die Lage versetzen, Fernwirkung zu entfalten.

Das Konzept der immutable mobiles soll für die Beschreibung des bakteriologischen Wissenstransfers nach Warschau fruchtbar gemacht werden: Welche Inskriptionstechniken wendete Odo Bujwid an, um die Dinge der Bakteriologie unverändert nach Warschau zu transportieren? Da ich mich auf die ersten Etappen der Mobilisierung konzentriere, also quasi auf den Beginn der Inskriptionskaskade, werden wir es jedoch nicht nur mit Papier als Transportmedium zu tun haben, sondern auch mit Personen, technischen Geräten und Labortieren.

Latour hat die „Logistik der immutable mobiles“ (Latour 2009) beschrieben, um die große Frage nach der Entstehung des Universalitätsanspruchs naturwissenschaftlichen Wissens zu beantworten, und zu klären, warum als ‚universal‘ dominant gewordenes Wissen in der Neuzeit erstaunlicherweise immer im Westen produziert wurde. Studien zu Wissenstransfer, die nicht wissenschaftstheoretisch, sondern stärker historisch und auf konkrete Beispiele ausgerichtet sind, richten ihr Augenmerk in jüngerer Zeit weniger auf Aspekte der Unveränderlichkeit bei der Verbreitung von Wissensbeständen, sondern betonen, inspiriert besonders von postkolonialen Theorien, die Dynamiken, die in diesen Prozessen angelegt sind (Lölke 2008, Lipphardt/Ludwig 2011).

Diese Studien sowie Arbeiten aus dem Bereich der transnationalen Geschichte wollen Wissenstransfer nicht mehr als einen linearen Wissensexport verstanden wissen (Basalla 1967), sondern als einen dynamischen Austauschprozess (MacLeod 1987, Ash 2006, Delbourgo/Dew 2008). Dieser ist insbesondere in kolonialen Zusammenhängen meist in asymmetrische Machtverhältnisse eingebettet, die Sender und Empfänger mit unterschiedlichen Ressourcen ausstatten. Dennoch muss auf Grundlage dieser Studien davon ausgegangen werden, dass ein reisender Wissensbestand an seinem Ankunftsort nie auf eine Tabula rasa trifft, sondern dass er mit lokalen Wissensformen und Praktiken zu interagieren hat. Dies kann befruchtenden Austausch bedeuten, jedoch auch Ablehnung, Widerstand oder aber nur selektive Adaption am neuen Ort. So ist der Austausch von westlichen und lokalen Wissensbeständen insbesondere im Bereich der Vermessungstechniken herausgearbeitet (Mundy 1996, Raj 2000) oder beispielsweise für die Agrartechnik der Feuerrodung in Australien (Verran 2002) beschrieben worden.

Auch in der Medizingeschichte werden außereuropäische Räume nicht mehr nur als Laboratorium zur Erforschung „exotischer“ Krankheiten erfasst (Eckart 2009). Bei aller Sensibilität gegenüber einer kolonialen Medizin als Disziplinierungsinstrument wird darauf hingewiesen, dass westliche Konzeptionen von Gesundheit und Krankheit traditionelle Heilungsformen beispielsweise in Indien nicht verdrängen konnten (Arnold 2002) und sich die derart ‚Versorgten‘ durchaus gegen Disziplinierungsmaßnahmen wehrten (Cunningham/Andrews 1997) oder aber westliche medizinische Konzepte nur in Teilbereichen lokal aufgegriffen wurden (Worboys 2000: 210 f.). Grundsätzlich wird von der zentralen Bedeutung von Vermittlung und Vermittlern zwischen Wissenskulturen für die Genese der modernen Welt ausgegangen (Schaffer/Roberts/Raj/Delbourgo 2009). Die Vorstellung von The West and the Rest ist somit auch für die Wissenschaftsgeschichte revidiert und zugunsten eines multizentrischen und dynamisch verflochtenen Gefüges abgelöst worden.Footnote 2

Dieser Erkenntnis lag insbesondere die Frage zu Grunde, was mit einem reisenden Wissensbestand bei der Ankunft an einem neuen Ort passiert. Die Techniken seiner Mobilisierung sind hingegen wenig problematisiert worden. So hat in den oben genannten Studien auch keine kritische Auseinandersetzung mit der Unveränderlichkeit der immutable mobiles stattgefunden. Konzeptuell aufgegriffen wurde die Problematik eines möglichen Spannungsverhältnisses zwischen Latours Betonung von Unveränderlichkeit und der Beschreibung dynamischer Austauschverhältnisse wiederum von Forscherinnen und Forschern der Akteur-Netzwerk-Theorie – ebenfalls in Auseinandersetzung mit dem postkolonialen Raum. Anhand von Fallstudien zur Krankheit Anämie sowie einer Buschpumpe wurde hier in Ergänzung zu Latour das Konzept der mutable mobiles entwickelt (Mol/Law 1994, de Laet/Mol 2000, Law/Mol 2003). Damit wird die Beschreibung von Transfervorgängen ermöglicht, die sich nicht durch die unveränderliche Ausdehnung von Akteursnetzwerken vollziehen. Veränderliche Mobilisierung geht vielmehr davon aus, dass Wissensbestände in wandelbarer und flexibler Form reisen können und die Dinge trotzdem – oder gerade deshalb – unbeschadet den Ort ihrer Bestimmung erreichen. Das Konzept der mutable mobiles soll deshalb neben Latours immutable mobiles gestellt und als eine fruchtbare Erweiterung seines Zugangs für die Analyse herangezogen werden. Auf diese Weise möchte ich versuchen, die Dynamiken im Prozess der Mobilisierung bakteriologischen Wissens mit zu erfassen. Zunächst aber wollen wir das zu transportierende Ding, die Bakteriologie, genauer betrachten. Womit hatte sich Odo Bujwid bei seiner ersten Begegnung mit Robert Koch und der neuen Lehre von den Bakterien in Berlin vertraut zu machen?

Das Transportgut: Die Bakteriologie als Laborpraxis

Als 27-jähriger Medizinstudent machte sich Odo Bujwid im Sommer 1885 von Warschau nach Berlin auf, um dort einen der ersten Bakteriologiekurse von Robert Koch zu besuchen. Ein solcher Forschungsaufenthalt im Ausland war für polnische Studierende und Wissenschaftler im 19. Jahrhundert keine Besonderheit. Die universitäre Ausbildung im Königreich Polen war nach dem Januaraufstand von 1863 von der zaristischen Regierung konsequent russifiziert und auf ein Minimum zusammengeschrumpft worden (Brzozowski 1987: 13). Ungefähr die Hälfte der polnischen Medizinstudenten absolvierte ihre Ausbildung deshalb ganz oder teilweise im Ausland.Footnote 3 Deutsche Universitäten, insbesondere die in Berlin, Breslau und Greifswald waren bei den Studierenden im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts besonders beliebt (Brzeziński 1991: 87 f., Nieznanowska 2008: 132). Für die universitäre Medizin in Warschau war die genaue Beobachtung medizinischer Entwicklungen im Ausland, die regelmäßige Lektüre deutscher, russischer, französischer und englischer Fachzeitschriften sowie die Übersetzung von einschlägigen ausländischen Arbeiten selbstverständlich und für die eigene Entwicklung konstitutiv (Konopka/Podgórska-Klawe/Dzierżanowski 1987: 387 f.). Die Entsendung eines fortgeschrittenen Studenten nach Berlin, um hier neueste Forschungstechniken kennen zu lernen, fügte sich in dieses transnationale Gefüge medizinischer Wissensproduktion in Warschau ein.

Bujwid hatte sich an der Warschauer Universität als eifriger und begabter Student hervorgetan, einige Preise für frühe, kleinere Forschungsarbeiten erhalten und sich das Wohlwollen von Professor Tytus Chałubiński (1820–1889), emeritierter Professor für innere Medizin an der Warschauer Universität, erarbeitet. Mit der Unterstützung von Chałubiński erhielt Bujwid ein Stipendium der Józef Mianowski-Stiftung für Wissenschaftler, das ihm die Reise nach Berlin ermöglichte (Bujwid 1990: 68).Footnote 4 Kurz nach seiner Rückkehr veröffentlichte Bujwid in der in Warschau herausgegebenen Gazeta Lekarska (Medizinische Zeitung) einen „Bericht aus dem Labor Robert Kochs“. Zu Beginn seines Berichts lässt er dieses Labor vor den Augen seiner Leser entstehen: Ohne Umschweife setzt er gleich auf der ersten Seite an, die Räumlichkeiten, Einrichtung und Gerätschaften der Arbeitsstätte Kochs und seiner Assistenten zu schildern. Von der Anzahl der Fenster pro Raum bis hin zu den exakten Maßen der verschiedensten Glasbehälter am bakteriologischen Arbeitsplatz präsentiert Bujwid en détail den Ort, den er als den zentralen Locus der Bakteriologie kennengelernt hatte (Bujwid 1885: 626–632). Aus seiner erschöpfenden Beschreibung wird klar, wie sehr die Bakteriologie an das Labor als Erkenntnisumgebung gebunden war. Das evidenzstiftende Programm der Bakteriologen setzte insbesondere auf Techniken der Visualisierung von Mikroben (Schlich 1997) sowie die Krankheitserzeugung im Tiermodell durch Inokulation von Bakterienkulturen (Gradmann 2008). Diese Techniken ließen sich nur in einem Labor verwirklichen.

So setzte beispielsweise die Sichtbarmachung eines Milzbrandbakteriums komplizierte und mannigfaltige Laborpraktiken voraus. Ihre Komplexität, so warnte Bujwid seine Leser, sei auf keinen Fall zu unterschätzen: „Es ist nicht alles so einfach, wie man sich das vielleicht vorstellen mag. Es reicht nicht aus, ein Mikroskop zu nehmen und hindurchzuschauen; man muss die Verfahren erlernen und eine möglichst fehlerfreie Methode entwickeln.“Footnote 5 (Bujwid 1885: 633) Und so schilderte Bujwid ausführlich die Technik zur Herstellung eines Milzbrandpräparats: Zunächst wurde einer im Vorfeld infizierten Maus Flüssigkeit aus Milz oder Lunge entnommen. Diese wurde in eine Nährlösung gegeben, in der sich die Bakterien vermehren konnten, um eine Kultur der Mikroben anzulegen. Diese Nährlösung musste der Bakteriologe in einem spezifischen Verfahren selbst herstellen. Es handelte sich hierbei um eine Bouillon auf Rindfleischbasis unter Zugabe von Fleischpepton und Salz, auf verschiedenen Wegen gesiebt, gekühlt und wieder erhitzt. Ein kleiner Tropfen der Nährlösung wurde mit einem vor der Benutzung bei 150 Grad sterilisierten Platindraht auf eine ebenfalls sterilisierte Glasplatte gebracht und zunächst für mehrere Stunden an der Luft getrocknet. Dann erfolgte die Färbung des Präparats. Hierzu musste zunächst der Farbstoff, eine Lösung aus Jod, zubereitet werden, um ihn dann auf das Präparat zu bringen. Nach einer gewissen Zeit erfolgte das Ausspülen des Präparats mit destilliertem Wasser oder Säure, um den überschüssigen Farbstoff zu entfernen. Auf Grund der unterschiedlichen Bindefähigkeit von Gewebe und Bakterien blieben die Milzbrandbakterien braun eingefärbt. Nun hatte man ein fast fertiges Präparat auf einem Glasplättchen. Bevor es unter das Mikroskop gelegt werden konnte, musste es noch in konservierendes Zedernöl eingelegt werden (ebd.: 651–653).

Das Visualisieren von Mikroorganismen war folglich ein ausgesprochen komplexes Verfahren, das von zahlreichen Laborutensilien und handwerklichem Können abhängig war. Die Vorlesungen und Übungen Robert Kochs und seiner Assistenten, an denen Bujwid teilnahm, konzentrierten sich dann auch ausschließlich auf das Unterrichten derartiger Handfertigkeiten im Labor, die das Visualisieren, Kultivieren und Verimpfen von Bakterien ermöglichten. Es gehe ihm nicht um „Bücherwissen“, paraphrasierte Bujwid Koch, sondern ums Praktische (ebd.: 633). Nur zwei Einheiten der insgesamt 17 Vorlesungen und Übungen bedachten mit der Behandlung von Desinfektionstechniken und der Pasteur‘schen Schutzimpfung gegen Anthrax auch Anwendungsfragen der Bakteriologie außerhalb der Labormauern – wobei die Pasteur’sche Impfung von Koch natürlich mit diversen Zweifeln und Vorbehalten gespickt präsentiert wurde (ebd.: 962 f.).Footnote 6

Die Bakteriologie war eine Laborpraxis, die an ein spezifisches Laborsetting gebunden war. Dieses Laborsetting bestand – in Bruno Latours Worten – aus menschlichen (unter anderem Koch, seine Assistenten und Eleven) und nicht-menschlichen Akteuren (Mikroben, Mikroskop, Platindraht, Glasplatte, Farbstoffe, Tische und weitere Elemente), die sich in einer spezifischen Beziehung zueinander verhielten, und dadurch epistemisch produktiv waren. Dieses Laborsetting mit seinen Praktiken wird im Folgenden, wiederum in Anlehnung an Latour, als Labornetzwerk bezeichnet.

Die große Konzentration auf Laborpraktiken und die Abgrenzung von theoretischem „Bücherwissen“ mag ein Spezifikum der Schule Robert Kochs gewesen sein (Gradmann 2005: 10 f.), die auch Odo Bujwid ein paar Jahre später von einer stärker anwendungsbezogenen „französischen“ Schule unterschied.Footnote 7 Canguilhem jedoch charakterisierte die Bakteriologie grundsätzlich als eine „erfolgreiche Praxis“ im Gegensatz zu medizinischen Theorien (Canguilhem 1979). Auch für Louis Pasteur war das Labor der zentrale Ort bakteriologischer Wissensproduktion. Latour hat es für Pasteur als zentrales „fulcrum“ beschrieben (Latour 1988: 72–74). Wollte Odo Bujwid die bakteriologische Praxis nach Warschau transferieren, so musste er also das bakteriologische Labornetzwerk dorthin schaffen.

Der Transport. Wie kommt ein bakteriologisches Labor nach Warschau?

Robert Kochs Labor wird mobilisiert

Wie brachte man das als armer Medizinstudent zustande? Welche Transportmittel setzte Bujwid ein, um diesen Transfer zu ermöglichen? Um Robert Kochs Labornetzwerk nach Warschau auszudehnen, musste Odo Bujwid zunächst nach Berlin und dann auch wieder zurück nach Hause gelangen. Die finanzielle Unterstützung der Mianowski-Stiftung und die Eisenbahn machten dies möglich. Doch das zentrale Transportmedium für Bujwid war das Papier: Drei vollgeschriebene Notizhefte brachte er mit zurück nach Warschau (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Notizheft von Odo Bujwid: Wykłady Kocha w Uniwersytecie Berlińskie 1 [Die Vorlesungen Kochs an der Berliner Universität 1] (Familienbesitz).Footnote

Ich danke Marek Tomala, Urenkel Odo Bujwids, für die freundliche Genehmigung zu Durchsicht und Abdruck der Notizhefte, die im derzeit geschlossenen, familiär geführten Odo Bujwid-Museum in Krakau lagern.

Auf Grundlage seiner Mitschriften und sonstiger Notizen in diesen Heften stellte Bujwid zurück in Warschau seinen Bericht über die Forschungsreise in der Gazeta Lekarska zusammen. Für einen Nachwuchswissenschaftler wie Bujwid war die Gazeta eine gute Anlaufstelle. Von den nur vier polnischsprachigen medizinischen Fachzeitschriften, die in den 1880er Jahren im russischen Teilungsgebiet herausgegeben wurden, war die Gazeta die älteste und renommierteste und garantierte Bujwid eine breite Leserschaft unter polnischen Ärzten.Footnote 9

Sein hier veröffentlichter Bericht, die 1887 herausgegebenen Fünf Vorträge über Bakterien oder Der Grundriss der Bakteriologie von 1890 übersetzten die Instrumente, Labortiere und Handgriffe des bakteriologischen Labors in Schriftform und bannten sie als Text auf die zweidimensionale Fläche des Papiers. Karten, Graphiken oder Statistiken – die klassischen Inskriptionen Latours – finden sich hier nicht. Denn Bujwid ging es nicht allein um die Stabilisierung des pathogenen Mikroorganismus als wissenschaftliche Tatsache. Dann wären Mikrofotografien, die Thomas Schlich als machtvolle und unumstößliche Inskriptionen bakteriologischer Labortechnik beschrieben hat, vermutlich am wirkmächtigsten gewesen (Schlich 1997). Vielmehr sollte die bakteriologische Praxis, das heißt die Fähigkeit, Bakterien und ihre krankheitserregende Wirkung selbständig sichtbar zu machen, transferiert werden. Ziel von Bujwids minutiösen Schilderungen der Laborausstattungen und -praktiken war es, interessierten Lesern zu ermöglichen, das Labor nachzuahmen oder nachzubauen. Bei Bujwids Texten handelte es sich deshalb vielmehr um literarische Inskriptionen, deren Zielsetzung jedoch ebenso wie die von Diagrammen oder Mikrofotografien darin lag, das Labor von Robert Koch unveränderlich mobil zu machen.

Wie sahen Bujwids literarische Inskriptionsversuche aus? Um die Gestalt der für das bakteriologische Labor notwendigen Gerätschaften in Textform verständlich zu machen, vergleicht Bujwid sie in seinen Fünf Vorträgen mit Alltagsgegenständen: Ein Kolben sei ein gläsernes Gefäß, das aus einer Kugel und einem Hals bestehe und an eine Wasserkaraffe erinnere; ein Reagenzglas sei ein gläsernes Rohr mit Boden (Bujwid 1887b: 7 f.). Um spezifische Handgriffe, wie zum Beispiel das Verbringen einer Bakterienkultur von einem Reagenzglas in ein anderes mit Gelatine-Nährboden zu beschreiben, waren ausführlichere Textpassagen notwendig. Ein wesentliches Problem der Bakteriologen bei der Züchtung von Reinkulturen war, dass sich häufig andere Bakterien, Schimmel oder ähnliches in die angelegte Kultur verirrten, was die Beweisführung über die Verbindung „ein Bakterium – eine Krankheit“ erschwerte.Footnote 10 Spezielle Handfertigkeiten sollten das Eindringen von „Fremdkörpern“ in eine Kultur verhindern – beispielsweise, wenn sie versetzt wurde und dabei in Kontakt mit der Umwelt zu geraten drohte:

Um eine Kultur von einem Reagenzglas in ein anderes mit Gelatine zu geben, verfahren wir auf folgende Art und Weise: Wir entkorken das Reagenzglas mit der Kultur, die umgefüllt werden soll, indem wir den Wattekorken so lange drehen, bis wir fühlen, dass die an den Glaswänden klebende Watte losgelöst ist. Dieses Reagenzglas halten wir dann zwischen Zeigefinger und Mittelfinger der linken Hand schräg, so dass nichts aus der Luft hineinfällt. Auf die gleiche Art und Weise entkorken wir das Reagenzglas mit der Gelatine und halten beide [Watte-] Korken zwischen den Fingern der rechten Hand wie wir das Reagenzglas in der linken halten. All das zielt darauf, dass die Korken nicht abgelegt werden müssen oder aber ihre Innenseite die Fingerflächen berühren. Dieses Verfahren muss man unbedingt verinnerlichen. Jetzt entnehmen wir mit einem in der Flamme sterilisierten und wieder abgekühlten Platindraht […] ein kleines Stückchen der Kultur und verbringen sie in die Gelatine, indem wir den Draht in die oberen Zweidrittel der Gelatine stecken. Dabei bemühen wir uns, mit dem Draht nicht die Wände des ersten und des zweiten Reagenzglases zu berühren. (Bujwid 1885: 719)

Auch spezifische Handgriffe und -bewegungen wurden hier also inskribiert; Bujwid versuchte, auch eigentlich implizites Wissen schriftlich zu artikulieren. In seinem Bericht aus Berlin setzte er ausschließlich auf seine Beschreibungskünste und verzichtete gänzlich auf Zeichnungen. Auch seine Fünf Vorträge enthalten keine Abbildungen. Über die Gründe dafür lässt sich nur spekulieren: Den Bericht aus Berlin veröffentlichte Bujwid als Student und er war in der Gazeta Lekarska unterhalb eines Originalbeitrags auf nur einem Seitendrittel platziert. Es ist unwahrscheinlich, dass die Zeitschrift bereit war, für solch einen Beitrag aufwändige und kostspielige Abbildungstafeln drucken zu lassen. Finanzielle Erwägungen mögen auch bei den Fünf Vorträgen eine Rolle gespielt haben. In der Gazeta Lekarska jedoch konnte Bujwid auf anderweitig erschienene Zeichnungen verweisen (ebd.: 653). So hatte Marian Jakowski (1857–1921) in der gleichen Ausgabe der Zeitschrift, in der auch Bujwids Bericht aus Berlin erschien, einen umfangreichen Literaturbericht über die bakteriologische Forschung der Zeit vorgelegt, um eigene Erfahrungen im histologischen Labor der Warschauer Universität erweitert und mit zahlreichen Abbildungen von Bakterien unter dem Mikroskop versehen, die er zum großen Teil aus Kochs Publikationen kopiert hatte (Jakowski 1885–1886: 350).

Insbesondere bei der Beschreibung der morphologischen Formen von Erregertypen griff Bujwid auf diese Abbildungstafeln von Jakowski zurück. Denn gerade hier waren Bilder von herausragender Bedeutung. Blickte ein bakteriologisch ungeschulter Arzt durch ein Mikroskop, so garantierte dies keineswegs, dass er darunter auch Bakterien erkannte, selbst wenn das Präparat nach allen Regeln der Kunst hergestellt worden war. Zunächst einmal sah das unerfahrene und ungeschulte Auge vermutlich ein einziges Durcheinander. Auf was sollte man das Mikroskop scharf stellen, wenn man nicht wusste, worauf es ankam? Wie konnte man einen Erreger identifizieren, wenn nicht bereits ein eindeutiges Referenzbild existierte? „Um zu sehen, muß man wissen, was wesentlich und was unwesentlich ist, muß man den Hintergrund vom Bild unterschieden können, muß man darüber orientiert sein, zu was für einer Kategorie der Gegenstand gehört“ – schreibt Ludwik Fleck ([1947] 2006: 148). Die Abbildung von spezifischen Mikroorganismen war neben der Beschreibung ihrer visuellen Eigenschaften zentral, um die Warschauer Ärzte ein solches „gerichtetes Sehen“ (ebd.: 154) zu lehren und sie pathogene Mikroorganismen erkennen zu lassen.

Die Grenzen der literarischen Beschreibung hatte Bujwid in seinem Bericht aus Berlin auch an anderen Stellen erkennen müssen. Nach umständlichen Ausführungen über einen Brutschrank, den Koch in Anlehnung an einen Apparat von Cohn entwickelt hatte, schloss er resigniert: „Eine Beschreibung reicht nicht aus. Man muss ihn sich ansehen.“ (Bujwid 1885: 781) In seinem Grundriss der Bakteriologie von 1890 fügte Bujwid dann zwei eigene Abbildungstafeln mit Legende bei (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Bildliche Inskriptionen der Gerätschaften und Objekte eines bakteriologischen Labors.Footnote

Vgl. Anmerkung 7: unpaginiert.

Tafel I zeigte die Gerätschaften des bakteriologischen Labors. Den so schwer in Worte zu fassenden Brutschrank von Koch hatte Bujwid zu diesem Zeitpunkt offensichtlich durch ein Modell von Berent ersetzt, der auf der Seite unten links abgebildet war. In der oberen linken Ecke der Tafel präsentierte Bujwid den Platindraht, der für das Verbringen von Bakterienkulturen von einem Reagenzglas in ein anderes vorgesehen war. Die ,,Art des Haltens des Reagenzglases bei der Impfung von Kulturen" wurde ganz unten auf Tafel 1 in der Mitte dargestellt. Wie von Bujwid ausführlich beschrieben (siehe oben), handelte es sich hier um ein schräg liegendes Reagenzglas, in das der Platindraht geführt wurde. Die dazugehörige Hand, die das Glas hielt, wurde zwar nicht abgebildet, in den Erläuterungen zur Tafel jedoch noch einmal beschrieben. Nun sollte das schräge Reagenzglas aber nicht mehr zwischen Zeige- und Mittelfinger gehalten werden, sondern zwischen Daumen und Mittelfinger der linken Hand, der Wattekorken zwischen Ring- und kleinem Finger der rechten Hand, so dass der Platindraht zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand Platz finden konnte.Footnote 12

Neben den Gerätschaften für die Übertragung von Bakterienkulturen waren unter anderem verschiedene Spritzen (als drittes Objekt in der oberen Reihe auch eine auch eine von Koch entwickelte zum subkutanen Injizieren von Erregern), Aufbewahrungsgefäße für Farbstoffe oder Nährböden – hier waren spezifische Systeme aus dem Labor Pasteurs aufgeführt –, eine Glasplatte für Präparate auf feuchter Oberfläche, ein Drahtkorb für zu desinfizierende Reagenzgläser, ein Dampfsterilisator, Gefäße zum Anlegen von Kulturen und ein Wattekorken, mit dem Reagenzgläser zu verschließen waren, abgebildet. Tafel II zeigte einerseits mit bloßem Auge sichtbare Strukturen, die Bakterien auf einem Kartoffelnährboden oder in Gelatine ausbildeten. Außerdem waren Zeichnungen von verschiedenen stark vergrößerten Bakterientypen abgedruckt, die der angehende Bakteriologe unter dem Mikroskop zu erkennen hatte. Um Bakterien sehen zu lernen, musste ein Student der Mikrobiologie in Warschau nun also nicht mehr auf Jakowskis Zeichnungen zurückgreifen.

Einige Elemente des bakteriologischen Labors ließen sich jedoch weder in Worte fassen, noch aufzeichnen. Das Papier als Medium für bakteriologischen Wissenstransfer erreichte hier die Grenzen seiner Möglichkeiten.Footnote 13 Das galt insbesondere für hochkomplexe Instrumente wie beispielsweise das Mikroskop oder die Apparatur für die Mikrofotografie. Beide waren für das Funktionieren des bakteriologischen Labors aber zentral. Wie konnten auch diese „nicht-inskribierten Objekte“ (Espahangizi 2011) des Labors nach Warschau gebracht werden? Hier spielte die Industrie eine entscheidende Rolle, die optische und andere medizinische Instrumente als standardisierte „technische Dinge“ (Rheinberger 2006: 27–34) auf den Markt brachte – auch in Warschau. Für angehende Bakteriologen handelte es sich bei derartigen Instrumenten um black boxes, die mit einer entsprechenden Anleitung versehen relativ einfach zu bedienen sein sollten.

Bujwid referierte in seinem Bericht aus Berlin Kochs Einschätzungen und Empfehlungen über geeignete Mikroskope. Ans Herz legte Koch seinen Schülern ein Mikroskop von Leitz – die Form des Stativs, die Größe des Objektträgers und die Einstellungsmöglichkeiten seien hier am besten. Zudem sei es kostengünstiger als ein entsprechendes Modell von Zeiss oder Hartnack. Zusätzlich zu dem Mikroskop von Zeiss benötige man den von Abbe entwickelten Beleuchtungsapparat in einer Form, die dem Original so ähnlich wie möglich sein sollte. Da es Mikroskope auch in Warschau zu kaufen gab, musste Bujwid keines aus Berlin mitbringen. Allerdings boten die Warschauer Händler nicht das von Koch empfohlene Modell von Leitz an. Auf Grundlage der relativ standardisierten Einzelteile eines Mikroskops, die von der optischen Industrie hergestellt wurden, und der genauen Angaben von Koch konnte Bujwid jedoch ein entsprechendes Gerät auf dem Warschauer Markt ausfindig machen: Er empfahl seinen polnischen Kollegen das Modell Hartnack Nr. VIII A aus dem Katalog von 1885 zu erwerben, das den Möglichkeiten des Leitz-Mikroskops in nichts nachstehe (Bujwid 1885: 631 f.).

Ein Mikroskop musste also in seiner dreidimensionalen Form transferiert werden. Sein Status als technisches Ding, das standardisiert und industriell hergestellt wurde, war für den Erfolg seines Transfers zentral. Ganz ohne Papier an seiner Seite reiste ein solches Objekt jedoch nicht. Notwendig war, wie erwähnt, eine Anleitung, um das Mikroskop in Betrieb zu nehmen.Footnote 14 So referierte Bujwid denn auch ausführlich Kochs Anweisungen zu Belichtung, Linseneinstellung und zu verwendenden Immersionen.Footnote 15 Entscheidend war zudem, dass das Hartnack-Mikroskop nur dann den Möglichkeiten des Leitz-Modells entsprach, wenn, so Bujwid, die Immersion auf „II“ angepasst würde (ebd.: 632). Ohne eine derartige Anleitung hätte es sich bei dem Hartnack-Mikroskop nicht mehr um ein technisches Ding gehandelt. Denn funktionierte es nicht, müssten es seine Nutzer hinterfragen – es gegebenenfalls auseinanderbauen, neu zusammensetzen und umgestalten.

Robert Kochs bakteriologisches Labor umfasste weitere Instrumente, die gemeinsam mit papiernen Anleitungen als dreidimensionale Objekte nach Warschau reisen mussten. So zum Beispiel das Mikrotom, ein Gerät zum Schneiden sehr dünner Gewebestücke. Diejenigen, die heute am meisten in Gebrauch seien, könne man bei „Schanz“ in Leipzig oder bei „Katsch“ in München erwerben, informierte Bujwid seine Leser (ebd.: 693). Den von Koch entwickelten Brutschrank vertreibe die Firma „Rohrbeck“ für 20 Mark (ebd.: 781 f.).

Nach seiner Rückkehr aus Berlin im Herbst 1885 richtete sich Odo Bujwid mit den erworbenen Gerätschaften in seiner Wohnung in der Ulica Wilcza 12 ein bakteriologisches Labor ein. Dieses nutzte er nicht nur, um sich selbst weiter in bakteriologischen Techniken zu üben, sondern auch als Unterrichtsraum. Um auch anderen Warschauer Medizinstudenten und Ärzten die Möglichkeit zu geben, nicht nur vom bakteriologischen Labor zu lesen, sondern es selbst zu erleben, anzuschauen und anzufassen, lud Bujwid in seiner Wohnung zu privaten Vorträgen zur Bakteriologie ein. Ob Bujwids Schüler sich wie in Robert Kochs Bakteriologiekurs auch selbst in den bakteriologischen Arbeitsweisen versuchen durften, unter seiner Aufsicht Kulturen anlegen lernten und ihr Blick durch das Mikroskop geschult wurde, ist auf Grundlage der vorhandenen Quellen leider nicht zu rekonstruieren. Übungen im großen Stil wird Bujwid in seinem Einraumlabor in der Privatwohnung nicht durchgeführt haben können. Die hier gehaltenen Vorträge bildeten jedoch die Grundlage für seine bereits erwähnten Fünf Vorträge über Bakterien (Bujwid 1990: 7), die das bakteriologische Labor und seine Arbeitsweisen so ausführlich und detailliert beschrieben. Während seiner Vorlesungen im Labor konnte Bujwid seine Ausführungen vermutlich mit dem Zeigen von Instrumenten und Bakterienkulturen sowie eventuell dem Vorführen von Techniken unterstützen und so die Wirksamkeit seiner Aussagen verstärken.

Neben seiner Unterrichtstätigkeit fand Bujwid noch die Zeit, im Januar 1886 sein medizinisches Staatsexamen abzulegen. Danach gelang es ihm, Tytus Chałubiński zu überzeugen, ihm eine weitere Forschungsreise mit einem Stipendium der Mianowski-Stiftung zu finanzieren – dieses Mal nach Paris in das Labor Louis Pasteurs, wo er die Techniken der Tollwutimpfung erlernen wollte.

Die Mobilisierung der Pasteur’schen Tollwutimpfung

Bei der Mobilmachung der Tollwutimpfung benötigte Odo Bujwid mehr als ein Notizheft und technische Dinge als Transportmedien. Das soll im Folgenden genauer ausgeführt werden. Die Geschichte des Transfers dieser Impftechnologie aus Paris zeigt außerdem, wie umstritten und fragil das Wissen um Mikroben gegen Ende der 1880er Jahre in Europa war. Zunächst aber war der Pariser Forschungsaufenthalt für Bujwid – zumindest in der Rückschau – eine Begegnung mit dem schwelenden Konflikt zwischen Koch und Pasteur. Er geriet direkt in die Gefechtslinien.

Bujwid hatte bei Pasteur wegen eines Forschungsaufenthalts angefragt und die Antwort erhalten, er könne kommen, wann immer er wolle. Bujwid brach kurz nach Erhalt der Zusage auf und traf am 1. April 1886 in Paris ein. Nachdem er seinen alten Hut auf Anraten seines in Paris lebenden Cousins gegen einen echten französischen Zylinder eingetauscht hatte, wurde er bei Pasteurs Labor in der Rue d’Ulm Nr. 45 vorstellig (Bujwid 1937: 274). Anders als in Berlin erwartete ihn hier jedoch kein durchorganisierter Lehrgang in peinlich geordneten Räumlichkeiten, in denen jeder Schüler einen Laborarbeitsplatz zugewiesen bekam. Die Cours de microbiologie sollten erst nach der Eröffnung des Institut Pasteur im Jahr 1888 eingeführt werden. Als Bujwid in der Rue d’Ulm ankam, sah er einen etwas untersetzten, mittelgroßen älteren Mann, der im Hof des Gebäudes Namen ausrief. Die slawischen konnte er nur mit großer Mühe aussprechen. Um ihn herum warteten zahlreiche Menschen unterschiedlicher Nationalität, die von einem tollwütigen Tier gebissen worden waren, auf die Verabreichung von Pasteurs Impfstoff. Im Gebäude selbst erblickte Bujwid drei kleine Zimmerchen, in denen die Assistenten des Instituts arbeiteten und das zehn Quadratmeter große Arbeitszimmer von Pasteur selbst. Der ältere Herr, der im Hof die Namen aufrief, entpuppte sich als der leibhaftige Louis Pasteur (ebd.: 257). Pasteur begegnete Bujwid trotz der ausgesprochenen Einladung zunächst mit großer Reserviertheit. Es gebe keinen Platz in der kleinen Einrichtung und er solle warten, bis es ein neues Institut gebe und offizielle Kurse angeboten würden (Bujwid 1886b: 484).

In seinen Erinnerungen an den Beginn seiner Karriere schrieb Bujwid 1937, Pasteur habe ihn als einen „von Koch“ eingestuft und sei deshalb misstrauisch gewesen: Als Bujwid der Entnahme von Hirnhaut eines tollwütigen Kaninchens beiwohnen durfte und ein Messer in einer Gasflamme „d’après Koch“ sterilisierte, habe sich Pasteur empört: „Vous, vous allemands, vous venez ici pour nous critiquer, pour nous corriger nos méthodes.“ Bujwids Versicherung, dass er nun wirklich kein Deutscher sei, hätten erst ihre Wirkung gezeigt, als er sich bereit erklärte, sich selbst der Tollwutimpfung zu unterziehen (Bujwid 1937: 257). Erst danach wies Pasteur einen Assistenten an, Bujwid mit dem notwendigen Material für seine Forschungen auszustatten. Dr. Jacques-Joseph Grancher (1843–1907), Professor für Kinderheilkunde an der Pariser Faculté de médecine und Pasteurs Mitarbeiter der ersten Stunde bei der Verabreichung des Tollwutimpfstoffes, stellte Bujwid einen Arbeitsplatz zur Verfügung (Bujwid 1886b: 484).

Bujwid konnte nun die Verfahren zur Herstellung von Tollwutimpfstoff und den Betrieb bei der Impfung über zwei Monate lang kennenlernen. An seinem eigenen Laborarbeitsplatz hoffte er, den Tollwuterreger in Reinkultur züchten zu können. Woran Pasteur und seine Mitarbeiter bisher gescheitert waren, glaubte er – vergeblich wie sich später herausstellen sollte – mit Hilfe der bei Koch erlernten Methode des festen Nährbodens schaffen zu können. Denn genau das war der Punkt, an dem Bakteriologen in Europa entweder tüftelten oder den sie als Grundlage für Zweifel und Kritik an Pasteurs Tollwutimpfung äußerten. Das eigentliche Programm der Bakteriologen, das die Verbindung zwischen Bakterium und Krankheit eindeutig herstellen sollte, konnte hier nicht vollzogen werden: Der Tollwuterreger war bisher nirgendwo in Reinkultur gezüchtet und visualisiert worden. So gab es Stimmen aus Deutschland und Österreich, die die Impfung als gefährlich einschätzten, und es zirkulierten Daten, die eine Todesrate von bis zu 15 Prozent bei den in Paris geimpften Patienten postulierten. Auch Koch äußerte gegenüber Bujwid große Bedenken sowohl an der Ungefährlichkeit des Mittels als auch an der Tatsache, ob es überhaupt Tollwuterreger waren, die Pasteur da zu einem Impfstoff verarbeitete. Um genau dies zu verifizieren, statteten zeitgleich mit Bujwid auch Wissenschaftler aus vielen anderen Ländern Pasteurs Labor einen Besuch ab (Bujwid 1886a: 600 f.).

Wie funktionierte Pasteurs bakteriologisches Labor in Konfrontation mit einer Krankheit, die sich eigentlich einer bakteriologischen Definition entzog? Bujwid referierte die „Metoda Pasteur’a“ in der Gazeta Lekarska von 1887: Es waren standardisierte klinische Symptome und eine eindeutig definierte Inkubationszeit, die an Stelle eines identifizierten und visualisierten Bakteriums die Tollwutkrankheit im Labor repräsentierten. Pasteur hatte zahlreichen Kaninchen die Hirnhaut eines tollwütigen Hundes injiziert und dabei eine durchschnittliche Inkubationszeit von 15 bis 18 Tagen festgestellt. In einem nächsten Schritt hatte er infiziertes Material (ein Stück Hirnrinde eines der tollwutkranken Kaninchen) über drei Jahre mittels Trepanation jeweils einem anderen Kaninchen zugeführt – im Jahr 1886 war er bei Generation 150 angekommen. Bereits nach einigen zehn Umimpfungen hatte sich die Inkubationszeit auf zehn Tage eingependelt, was auch in den Folgegenerationen nicht wesentlich unterschritten wurde. Infiziertes Material eines Kaninchens, das bei Verimpfung Tollwutsymptome nach zehn Tagen auslöste, nannte Pasteur den virus fixe. So konnte die Krankheit zwar nicht auf eine immer wieder zu findende Mikrobe im tollwutkranken Organismus reduziert werden, aber immerhin auf ein Stück Kaninchenhirnhaut. Auf dem virus fixe-Kaninchen beruhte dann auch die Pasteur‘sche Methode der Impfstoffherstellung. Einem solchen Kaninchen wurde Rückenmark entnommen, das 14 Tage lang getrocknet wurde und dabei seine tödliche Wirkung verlor. Das abgeschwächte Material wurde dann einer von einem tollwütigen Tier gebissenen Person geimpft. Über einen bestimmten Zeitraum wurde das Kaninchenmaterial in immer frischerem Zustand als Impfstoff verabreicht, wodurch der Körper immunisiert wurde (Bujwid 1887a: 716).

In Wien hatte Professor Frisch die von Pasteur postulierte stabile Inkubationszeit des virus fixe geprüft und war zu abweichenden Ergebnissen gekommen, die in der Gazeta Lekarska ebenfalls referiert wurden (Arnstein 1886, Mayzel 1887). In seinen Versuchen variierte die Zeit bis zur Erkrankung und schließlich zum Todesfall der Versuchstiere zwischen zwei und zwölf Tagen! Pasteurs Labortechniken und seine standardisierte Tollwut wiesen also außerhalb des Pariser Labors eine recht große Fragilität auf. Es war offensichtlich nicht leicht, es „unveränderlich mobil“ zu machen. Bujwid ließen Frischs Ergebnisse und auch andere kritische Stimmen jedoch keinesfalls an der Methode Pasteurs zweifeln. Entweder habe Frisch die Laborarbeiten nicht korrekt ausgeführt oder aber das von ihm verimpfte Material sei nicht wirklich tollwütig gewesen – so nahm er an (Bujwid 1887a: 718). Wie konnte er vermeiden, dass ihn nach seiner Rückkehr in seinem Warschauer Labor das gleiche Schicksal ereilte? Wie sollte er einen standardisierten Tollwutstamm erhalten, auf dessen Grundlage er den Impfstoff produzieren konnte? Musste er zunächst das gesamte Pasteur’sche Procedere wiederholen und ausgehend von einer „rage des rues“ Hunderte von Kaninchen impfen? Und wer garantierte, dass das Tollwutmaterial eines Warschauer Straßenhundes schließlich auch zu der gleichen stabilen Inkubationszeit von zehn Tagen führte wie das eines Pariser Hundes? Die Lösung war eine andere. Bujwid schildert sie in einem weiteren Bericht über seinen Pariser Aufenthalt folgendermaßen:

Am 6. Juni dieses Jahres nach zweimonatigem Aufenthalt in Paris und Studien über die Tollwut und nachdem ich ein Kaninchen erhalten hatte, das mit der 115. Generation des Tollwutstammes frisch geimpft worden war, verabschiedete ich mich von Pasteur. Ebenso geimpfte Kaninchen erhielten einige andere Ärzte, um damit weitere Forschungen durchführen und Impfstoff herstellen zu können, und zwar die ‚englische Kommission‘ aus London, Dr. Valentine Mott aus New York, Emmerich Ullmann aus Wien, Unkowskij aus Moskau, Gamaleja aus Odessa, Parszenskij und Iwanow aus Samara. (Bujwid 1886a: 600)

All diese Herren reisten also mit einem frisch mit Tollwut geimpften Kaninchen im Gepäck von Paris aus in ihre Heimatstädte in aller Welt zurück. Wie bei dem Mikroskop von Leitz handelte es sich beim Pasteur‘schen virus fixe um ein nicht-inskribiertes Objekt. Nur gemeinsam mit seinem Wirtstier konnte er reisen, um an einem anderen Ort in der Pasteur‘schen Methode eingesetzt zu werden. Allerdings war dieses Objekt keines, das die Industrie in standardisierter Form herstellte, so dass Bujwid es einfach in Warschau hätte kaufen können. Das Kaninchen musste deshalb gemeinsam mit dem polnischen Bakteriologen die Eisenbahn von Paris nach Warschau nehmen. Das Zitat weist außerdem darauf hin, dass die Entsendung von Kaninchen in alle Welt von Pasteur und seinen Mitarbeitern durchaus befördert wurde. Die Funktionsfähigkeit und Ungefährlichkeit des Tollwutimpfstoffes sollte durch seine erfolgreiche Reproduktion an möglichst vielen Orten bewiesen werden (Moulin 1992: 309). Ohne reisende Kaninchen war dies nicht möglich.

Neben den zirkulierenden infizierten Kaninchen, die dem Pasteur’schen Labornetzwerk der Tollwutimpfung zu seiner Stabilisierung außerhalb der Pariser Labormauern verhelfen sollten, griffen Pasteur und ebenso in Warschau Bujwid auch auf eine klassische Form der Inskription zurück – die Statistik. Auch hier spielten nicht-inskribierte und inskribierte immutable mobiles also zusammen. Um die kursierenden Informationen über eine erschreckend hohe Anzahl von Todesfällen nach Tollwutimpfungen zu widerlegen, hängte Bujwid seinen Ausführungen über die Methode Pasteurs in der Gazeta Lekarska umfangreiches Tabellenmaterial an. Hier präsentierte er zunächst zusammenfassende Darstellungen, die die geringen Todesraten bei der Tollwutbehandlung in Paris, St. Petersburg, Moskau, Odessa, Samara, Wien und Neapel rechnerisch nachvollziehbar machten. Für Warschau konnte Bujwid auf nur fünf Todesfälle bei 280 Behandlungen innerhalb eines halben Jahres verweisen. Darüber hinaus enthielten seine Ausführungen aber auch eine detaillierte Tabelle, die jede einzelne behandelte Person aufführte. Die zentrale Kategorie, die hier offengelegt werden sollte, war der Krankheitsstatus des Tiers, das den Patienten gebissen hatte. Auch hier zeigte sich, dass die Krankheit Tollwut für die Bakteriologen eine fragile Kategorie war. Obwohl Tollwut nicht bakteriologisch diagnostiziert werden konnte, musste die Krankheit bei einem Tier möglichst eindeutig festgestellt werden können, um die Wirkkraft des Impfstoffs zu beweisen. Sonst hätte die Genesung mit der Heilung von einer gänzlich anderen Krankheit verwechselt werden können. So war Bujwid stolz darauf, bei seinen Patienten davon ausgehen zu können, dass in 80 Prozent der Fälle tatsächlich der Biss eines tollwütigen Tieres vorlag. In diesen Fällen war die Krankheit entweder durch das Verimpfen von infiziertem Material des Tieres in ein Kaninchen festgestellt worden, durch eine Sektion oder auf Grund von eindeutigen Symptomen. Bujwids Berichte ließen also keine Zweifel aufkommen: Die Pasteur‘sche Methode der Tollwutimpfung funktionierte.

Auch der Warschauer Stadtrat ließ sich davon überzeugen und stellte Bujwid Betten im Krankenhaus Wola zur Verfügung. Dort konnte er seine von außerhalb anreisenden Patienten unterbringen. Außerdem war der Rat bereit, die Behandlungskosten von 15 Rubeln pro Patient zu übernehmen (Bujwid 1887a: 827). Bujwid konnte davon profitieren, dass die Gesundheitspflege in Warschau im Aufgabengebiet der städtischen Verwaltung angesiedelt war und Ausgaben in diesem Bereich von ihr erwartet wurden. Der Warschauer Stadtrat war seit Ende der 1870er Jahre angesichts einer stark wachsenden Bevölkerungszahl in Fragen der öffentlichen Gesundheitspflege ausgesprochen aktiv gewesen. 1886 wurde beispielsweise ein Kanalisationssystem in Warschau fertiggestellt und die Trinkwasserzufuhr war modernisiert worden. Dies war insbesondere der Warschauer Hygienebewegung zu verdanken, die dafür gesorgt hatte, dass Hygiene in der Stadt ein politisch relevantes Thema wurde und blieb. Die Aktivitäten der Hygienebewegung waren dabei auch national motiviert. Die polnische Nation sollte durch gesunde polnische Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden (Caumanns 2000: 49–51).

Bujwids Labor konnte in diesem Umfeld florieren. Er gab ihm den Namen Zakład Pasteurowski (Pasteur-Institut) und konnte es bald aus seiner Privatwohnung in eigene Räumlichkeiten verlegen. Einen wesentlichen Beitrag zum Erfolg des Labors leistete auch Bujwids Ehefrau Kazimiera, die als umsonst arbeitende Kraft zentrale Laborarbeiten übernahm. Neben seiner Labor- und Impftätigkeit wurde Bujwid zu Vorträgen eingeladen und inszenierte sich in Warschau ausgesprochen erfolgreich als Missionar der neuen Lehre von den Bakterien (Bujwid 1990).Footnote 16

Voraussetzung für seinen Erfolg war, dass er es geschafft hatte, die zentralen Elemente der Labornetzwerke von Robert Koch und Louis Pasteur „unveränderlich mobil“ zu machen. Die dafür notwendigen Transportmedien umfassten neben Papier als Träger von (literarischen) Inskriptionen auch dreidimensionale Objekte wie technische Dinge oder Labortiere für solche Elemente, die sich als nicht-inskribierbar herausstellten.

Bereits die Geschichte des Mikroskops von Leitz, das es in Warschau nicht zu kaufen gab, deutet jedoch an, dass der Transport nicht spurlos an den Labornetzwerken vorüberging. Damit es unbeschadet in Warschau ankam, musste es sich als relativ strapazierfähig erweisen und zum Beispiel auch mit einem Hartnack-Mikroskop und modifizierter Immersion funktionieren. Noch sehr viel größere Resistenz war nötig, wenn bakteriologische Praktiken nicht von einem für die Forschung glühenden Mediziner wie Bujwid adaptiert wurden, der in der Metropole Warschau zudem Mikroskope und weiteres Labormaterial einfach im nächsten Fachhandel erstehen konnte. In Settings, in denen praktisch arbeitende Ärzte, die eventuell sogar auf dem Land tätig waren, sich der Bakteriologie bedienen wollten, wurde das bakteriologische Labornetzwerk destabilisiert und musste eine noch größere Flexibilität aufweisen, um nicht zu zerbrechen.

Flexibilisierung des bakteriologischen Labornetzwerks

So bemühte sich Odo Bujwid in Warschau, die Bakteriologie zunächst auch ohne einen gesamten Laborapparat in die medizinische Praxis der polnischen Ärzte zu bringen. Seiner Erfahrung nach gehörte beispielsweise das Mikroskop keineswegs zur Grundausstattung eines Mediziners. Im Studium hatten er und seine Kommilitonen nur äußerst selten mit dem Gerät gearbeitet. Bujwid hatte sich privat ein Instrument zugelegt und sich im Mikroskopieren geübt. In seinen Erinnerungen beschreibt er, dass seinen Kollegen das geschulte Auge jedoch gänzlich gefehlt habe. So habe ihm der Arzt Dr. Sokołowski einmal aufgeregt eine Speichelprobe gebracht, in der er den Erreger der Lungenentzündung vermutete. Bujwid hätte diesen jedoch sogleich als Rückstand von Orangenhaut identifizieren können, die der Patient anscheinend verzehrt hatte (Bujwid 1990: 70). Vielleicht mit diesem Erlebnis im Hinterkopf empfahl Bujwid seinen Kollegen, Bakterien zunächst einmal mit bloßem Auge zu betrachten. Dazu sollte man eine aufgeschnittene Kartoffelhälfte für eine Weile der Luft aussetzen und sie dann unter eine Vakuumglocke legen. Aus der Luft würden sich Schimmel und Bakterien auf der Kartoffeloberfläche absetzen und dort eine schwarz-grüne Insel bilden: ein Gemisch aus Schimmel- und Bakterienkulturen. Dieses Verfahren hatte auch Koch seinen Schülern in Berlin beigebracht. Es diente der Verbindung von Lebenswelt und Labor (Bujwid 1885: 648 f.).

Weitere praxisnahe Verfahren bot der Histologe Henryk Hoyer (1834–1907) seinen praktizierenden Kollegen an. Er hatte in seinem Labor an der Universität Warschau die bakteriologische Methode Kochs erprobt. Aus seiner Forschungsstätte ging Marian Jakowskis Literaturbericht hervor (Jakowski 1885–1886). Hoyer empfahl seinen Kollegen ohne Labor zunächst ebenfalls die Betrachtung der aufgeschnittenen Kartoffel. Darüber hinaus schlug er ein bestimmtes Verfahren vor, um die komplizierte Entnahme von pathogenem Material aus einem Versuchstier für die mikroskopische Untersuchung zu umgehen. Denn Bakterien, so Hoyer, kämen überall in der Natur vor: Wenn man trübes Wasser aus dem Rinnstein einige Tage in einer Schüssel stehen lasse oder wenn man Heu, Fisch oder Fleisch mit Brunnenwasser übergieße, dann bilde sich an der Wasseroberfläche eine dünnere oder dickere Haut, in der man alle möglichen Bakterien entdecken könne. Besonders geeignet sei allerdings Speichel oder die „weiße Substanz“ auf den Zähnen, die man schlicht mit dem Fingernagel (nicht mit einem sterilisiertem Instrument) abkratzen und auf eine Glasplatte auftragen sollte, um sie dann nach Trocknung und Färbung mikroskopisch zu untersuchen (Hoyer 1884: 79). Um praktizierenden Ärzten die komplexen Schritte der Färbung und mikroskopischen Untersuchung eines Präparats zu ersparen, beschrieb Hoyer auch Verfahren, wie man ein Präparat sogar im Sommer über mehrere Monate haltbar machen konnte, um es dann in Karton gewickelt per Post an einen erfahrenen Mikroskopisten nach Warschau zu schicken (ebd.: 91).

Elemente des bakteriologischen Labornetzwerks wurden hier also entweder ersetzt oder das Netzwerk wurde nur teilweise mobil gemacht. Bakteriologie konnte offensichtlich auch so funktionieren. Die vollkommene Unveränderlichkeit des Laborgefüges war keine unabdingbare Voraussetzung für seine erfolgreiche Mobilisierung. Dass sich bakteriologische Praktiken auch in stark veränderten Laborgefügen aufrechterhalten ließen, soll noch ein weiteres Beispiel belegen – das jedoch nicht aus Warschau stammt, sondern aus dem französischen Kontext:

In ihrem Traité de technique microbiologique von 1902 beschreiben die Pasteur-Schüler Maurice Nicolle und Paul Remlinger ein „laboratoire improvisé“, ein improvisiertes Labor, gedacht für den Landarzt oder Ärzte in den französischen Kolonien. Zu einem portablen Labor gehöre unbedingt ein gutes Mikroskop – darauf könne man nicht verzichten. Anstatt eines Dampfsterilisators empfehle sich jedoch auch ein Bäckerofen, dessen Temperatur gut geeignet sei, Laborgeschirr zu sterilisieren. Man solle es einfach gemeinsam mit dem zu backenden Brot in den Ofen geben und entnehmen. Einen Brutschrank könne man auch mit Hilfe von zwei Keksdosen aus Blech von unterschiedlicher Größe herstellen. Sollte man auch diese nicht zur Verfügung haben, reiche manchmal auch schlicht die menschliche Körperwärme aus, um eine Bakterienkultur beispielsweise in der Jackeninnentasche zu züchten (Nicolle/Remlinger 1902: 34–37).

Bakterien manifestierten sich folglich auch in gänzlich veränderten Laborsituationen. Die Bakteriologie war hier nicht von der kontrollierten Ausdehnung des Koch’schen oder Pasteur’schen Labornetzwerks durch immutable mobiles abhängig. Das bakteriologische Labor war in den geschilderten Fällen vielmehr „veränderlich mobil“ und könnte in Anlehnung an Annemarie Mol und John Law als fluid bezeichnet werden. Fluids grenzen Mol und Law gegen den Latour’schen Netzwerkraum ab:

For in a network things that go together depend on one another. If you take one away, the consequences are likely to be disastrous. But in a fluid it isn’t like that because there is no ‘obligatory point of passage’. (Mol/Law 1994: 661)

Fluids ermöglichen vielmehr „variation without boundaries and transformation without discontinuity“ (ebd.: 658). Während unveränderlich mobile Netzwerke zusammenbrechen, wenn auch nur das kleinste Element verändert wird – beispielsweise der von Madeleine Akrich 1993 eindrucksvoll beschriebene Gazogene in Costa Rica, der nach seinem Transport in das Dorf Buena Vista bereits aufhörte zu funktionieren, als man ihm etwas feuchteres Holz verabreichte – sind derartige flüssige Gefüge weitaus robuster. Die von Marianne de Laet und Annemarie Mol beschriebene Zimbabwe Bush Pump kann an ihren vielen Einsatzorten transformiert und den lokalen Ansprüchen angepasst werden, ohne dass sie an Funktionalität einbüßt:

While some of its parts are essential, many can be replaced with something else. Even if many of its elements are transformed, ‘the whole’ does not necessarily fall apart. And the standards that seem ready to be applied to it may stop making sense, or change. There are, to be sure, limits to the Bush Pump’s flexibility and elasticity. There are points where nothing works, everything fails. But before such dead ends are reached - if they are reached at all - many varied things may happen to a Zimbabwe Bush Pump. As indeed they do. (de Laet/Mol 2000: 247 f., Hervorhebungen im Original)

Auch für das bakteriologische Labornetzwerk gilt, dass es weitgehend unbeschadet blieb, wenn einige seiner Elemente sich veränderten (das Mikroskop), ausgeschlossen wurden (das komplexe Anfertigen von Präparaten) oder neue hinzukamen (Keksdosen). Bakteriologischer Wissenstransfer kann hier also als dynamischer Prozess beschrieben werden. Das Labornetzwerk wird nicht ausschließlich entsprechend einer militärischen Marschordnung in geordneten Reihen mobilisiert, es befindet sich vielmehr im Fluss. Und da Flüssiges nicht zerbrechen kann, bleibt der bakteriologische Wissensbestand intakt. Die erfolgreiche Stabilisierung bakteriologischer Laborpraktiken in Warschau ist daher nicht nur auf erfolgreiche Inskriptionsarbeit zurückzuführen, sondern auch der Flexibilität und Elastizität des Labornetzwerks zu verdanken.

Damit bakteriologische Praktiken ihren Weg nach Warschau zurücklegen konnten, waren Personen, literarische und bildliche Inskriptionen sowie nicht-inskribierte Objekte wie technische Dinge und Labortiere als Transportmedien notwendig: Bujwid und seine Reisen nach Berlin und Paris waren zentral, um sich vor Ort mit den komplexen Techniken der Bakteriologie und dem impliziten Wissen, die diese enthielten, vertraut zu machen. Persönlichen Austausch ermöglichten auch die Laborvorträge, die Bujwid selbst später in Warschau abhalten sollte.

Dazwischen lag jedoch Bujwids detaillierte Übersetzungsarbeit von Kochs Labor auf die zweidimensionale Papierfläche, die die diversen hier verwendeten Glasgefäße, Pipetten und Spritzen in literarische und später auch bildliche Inskriptionen verwandelte. Papierne Inskriptionen reichten zur Mobilisierung weder des Koch’schen noch des Pasteur’schen Labornetzwerkes aus. Hochkomplexe Gerätschaften wie etwa das Mikroskop ließen sich nicht einfach in Worte fassen, sondern wurden als standardisierte technische Dinge in ihrer dreidimensionalen Form transferiert. Der Tollwutimpfstoff Pasteurs ließ sich nur gemeinsam mit seinem Wirtstier, dem Kaninchen, nach Warschau transportieren. Im Gegensatz zum Mikroskop handelte es sich hier jedoch keineswegs um ein technisches Ding, sondern um ein auf spezifische Weise behandeltes Tier, das Ende der 1880er Jahre nur bei Pasteur in Paris erhältlich war.

Neben der Inskriptionsarbeit, mit der versucht wurde eine ‚unveränderliche Mobilisierung‘ der Laborpraktiken sicherzustellen, war es jedoch auch die Option der ‚veränderlichen Mobilisierung‘, welche die unversehrte Ankunft bakteriologischer Praktiken in Warschau gewährleistete. Insbesondere der Transport des bakteriologischen Labornetzwerks zu praktisch arbeitenden Ärzten, die nur einen eingeschränkten Zugriff auf Laborgerätschaften hatten, machten Veränderungen im Gefüge bakteriologischer Wissensproduktion notwendig. Eine Bakterienkultur musste im Notfall auch in einem Brutschrank aus Keksdosen gedeihen – und sie tat es. Das bisher in der Wissenstransferforschung wenig rezipierte Analyseinstrument der mutable mobiles von Mol und Law bietet die Möglichkeit, derartige Veränderungen in Prozessen von Wissenstransport fassbar zu machen, ohne dabei das Phänomen der machtvollen Ausdehnung von Netzwerken und der Schaffung von hegemonialen Wissensbeständen gänzlich aus dem Blick zu verlieren. Denn Wandel und Mobilität sind in diesem Konzept unmittelbar verknüpft und machen das eigentliche Paradox der Stabilität durch Instabilität denkbar.