Zusammenfassung
Mit der Krankengeschichte einer 22jährigen Frau, die in einer endogenen Depression ihre 9 Monate alte Tochter getötet hatte, werden die Hintergründe der seltenen Tötungsdelikte Depressiver erörtert. Es handelt sich in der Regel um einen ursprünglich als erweiterten Selbstmord angelegten „indirekten“ oder „symbolischen“ Selbstmord. Der Kranke tötet seine liebsten Angehörigen, um sie vor dem als unerträglich empfundenen Leben zu schützen („Mitleidsmotiv“). Er reagiert dadurch unter Umständen die Selbstvernichtungstendenzen so weit ab, daß der geplante Selbstmord unterbleibt.
Es handelt sich überwiegend um Frauen, die ihre eigenen, oft noch kleinen Kinder töten. Die besonders enge Bindung zwischen Mutter und Kleinkind erleichtert die dem „symbolischen Selbstmord“ zugrundeliegende Identifikation, die zur Projektion eigener Not und eigener Selbstmordtendenz auf das Kind führt. Auch bei den zum Vergleich herangezogenen erweiterten Selbstmordversuchen zweier schizophrener Mütter und einer reaktiv Depressiven waren derartige Identifikationsund Projektionsvorgänge sowie das Mitleidsmotiv erkennbar.
Die Identifikation von Mutter und Kleinkind wurzelt also in so tiefen Schichten, daß sie durch Einflüsse von Krankheit und Motiv nicht tangiert wird, es sei denn, das Kind werde im psychotischen Extremfall als „Bedroher“ erlebt.
Auf die aus dieser psychologischen Konstellation hervorgehende Gefährdung besonders der Kleinkinder sowohl depressiver wie schizophrener Mütter wird aufmerksam gemacht.
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Zumpe, L. Tötung und Tötungsversuche eigener Kinder durch psychotische Mütter. Archiv für Psychiatrie und Zeitschrift f. d. ges. Neurologie 208, 198–208 (1966). https://doi.org/10.1007/BF00343268
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